Heiße Chips

Microtech sind Chips gestohlen worden – der Beginn einer riesigen Verschwörung in Stanton.

Von John Brubacker

Hoch über den vereisten Hochhausschluchten von New Babbage, auf dem Dach des Aspire Hotels, herrschen minus 90 Grad Außentemperatur – und der Herr kommt im feinen Zwirn. Glatt gekämmtes Haar, Lackschuhe, selbstsicheres Lächeln. „Guten Tag, ich komme in Vertretung für meinen Kollegen aus der PR-Abteilung, mit dem Sie eigentlich verabredet sind. Er ist leider unpässlich. Mein Name ist Thane McMarshall. Ich bin der stellvertretende Leiter der Abteilung für Sicherheit und Schadensregulierung bei Microtech.“ Mir fällt in meinem Helm die Kinnlade herunter. Mein gesamter Plan löst sich in diesem Moment in Luft auf. Mein Gegenüber mustert mich kurz, dann fährt er fort: „Es geht sofort los. Wir werden mit dem Tochterschiff einer Carrack abgeholt, steigen dann um, fliegen nach Daymar, wo wir unser Interview führen können. Haben Sie das Vorbriefing erhalten?“

Ich nicke fassungslos – das hatte ich. Und ich hatte mir genau überlegt, wie ich den Konzern an die Wand nageln wollte. Noch habe ich keine Ahnung, wie sehr mich der nett lächelnde Herr ins Nichts laufen lassen wird. Ich rufe mir die Einladung in Erinnerung. Darin hatten ein paar Detailinfos zum Vorfall und ein paar Verhaltensregeln während des Einsatzes gestanden und dass mir der „3rd Executive Assistant“ von Microtech für ein Interview zur Verfügung stehen würde. „3rd Assistant“ – das klang nach dritter Garde. Ich hatte mir genau vorgestellt, wie bei denen das Pressebriefing ausgesehen haben dürfte: Wir nehmen zur Abwechslung mal keine von den großen Newsorgs mit, sondern einen Neuling. „Off the Record“ oder so ähnlich. Das ist preiswerte PR für uns bei wenig Aufwand. Ich hatte den Zuschlag so schnell erhalten – verdammt, ich hätte misstrauisch werden müssen.

Die Suppe will ich ihnen jedenfalls gründlich versalzen. Kaum an Bord der Carrack geht mir die gespielte Freundlichkeit schnell auf die Nerven. „Wollen Sie etwas trinken? Ist der Ausblick aus dem Fenster nicht schön? Waren Sie schon einmal auf einer Carrack?“ Ich verneine, bejahe, sage, dass ich als Chefredakteur von „Off the Record“ selbst Eigner einer Carrack bin und gehe schließlich in die Offensive. „Ich habe letztens in einer Bar bei meinem Sitznachbarn ein paar Seiten auf dem Mobiglas gesehen, die ich noch nie zuvor auf einem anderen gesehen habe“, sage ich unvermittelt. McMarshall zuckt keine Sekunde. „Ja, das kann schon mal sein. Wir haben immer wieder mal Prototypen im Feld.“ Ich stöhne innerlich. Das kann ja heiter werden.

Weniger heiter sind indes die Umstände, wegen denen wir überhaupt unterwegs sind. Der Konzern Microtech hat eine Caterpillar verloren, beladen mit technologisch höchst wertvollen Chips, die nun offenbar in Piratenhand gefallen sind. Mehr noch: Bei der Explosion des Schiffes ist auch die Station Spacehub Gundo über Daymar zerstört worden. Der Versicherungsmann soll nun klären, was genau passiert ist und die Chips wenn möglich wiederbeschaffen. Als Reporter soll ich den Einsatz für die Öffentlichkeit begleiten. So heißt es zumindest offiziell in der Einladung.

Vorher  landen wird jedoch auf Daymar, um dort in Ruhe das Interview zu führen. Es wird, wie befürchtet, zur Farce. McMarshall, ein junger Mann, pariert jede Frage gekonnt. Mittlerweile glaube ich auch nicht mehr, dass er in der Schadensregulierung arbeitet. Er ist der eigentliche PR-Mann, denke ich mir insgeheim. Gut, muss ich ihn halt anders zu fassen kriegen. Nach dem Interview und ein wenig Smalltalk bei gefrorenem Lächeln, geht es schließlich weiter zum Spacehub. Zur Besichtigung steigen wir gemeinsam aus, abgesichert durch ein externes Team, das Microtech für den Einsatz extra angeheuert hat – den „Helldivern“, einer Rettungs- und Personenschutz-Truppe.

Wir schweben durch die Ruine, als wir draußen Schüsse hören. Rabbit, der „Helldiver“-Mann, der sowohl mich als auch McMarshall beschützen soll, beordert uns sofort zurück aufs Schiff. „Zahlt Microtech so einen Schaden eigentlich aus der Portokasse?“, frage ich so nebenbei, als sei mir die Frage eben erst eingefallen. Der Microtech-Manager hatte kurz zuvor schließlich mit ein paar dürren Worten, darunter keines der Bedauerung, befunden, dass die Station eigentlich nur noch Schrott sei. Ich bilde mir ein, dass McMarshall kurzzeitig schwerer atmet, dann aber antwortet er im gleichen Singsang wie zuvor: „Das werden wir zusammen mit Covalex erörtern, dann wird sich die entsprechende Abteilung um die Kosten kümmern.“ Aha. Dass die „Helldiver“ unterdessen in Kämpfe verwickelt werden, scheint ihn indes nicht zu stören. Während wir zurückschweben, erfahre ich, dass er seinen Dienst bei  der UEE Navy abgeleistet hat.  Auch hier täuscht die Fassade.

Allein: Chips findet McMarshall auf der Station nicht – wie auch: Mittlerweile dürften hier tausende Glücksritter durchgekommen sein. Schließlich werden wir angefunkt. Es sind die Piraten, die unseren Besuch bereits erwartet hatten. Wären wir interessiert an den Chips, sollten wir nach Grimhex kommen, heißt es. Dort würde man uns in der Bar erwarten. Es obliegt McMarshall, was er tun möchte, er entscheidet sich für ein Treffen. „Unser Konzernchef Jeff Alfonz möchte die Chips auf jeden Fall wieder in Sicherheit wissen“, sagt er. Ich erfahre: „Black Project“, ein aufstrebendes kriminelles Syndikat, hat die Chips in die Finger bekommen. 

Einen Quantumsprung später. Der Anflug zwischen den Felsen über Yela ist spektakulär, McMarshall scheint die Ruhe selbst, die Helldiver haben die Finger am Abzug – und ich, ich bin empört, weil  mir McMarshall nun mit freundlichster Attitüde plötzlich anbietet, mich doch mal in Ruhe unter Geleitschutz auf der Station umzusehen, während er mit den Piraten verhandelt. Ich kann kaum an mich halten. „Sie machen als vermeintlicher Saubermann von Microtech mit den Piraten vielleicht einen schmutzigen Deal, während ich Sightseeing betreibe?“ Ein aalglatter PR-Profi, ein nichtssagendes Interview und wenn’s spannend wird, soll ich aufs Nebengleis – ich fühle mich an der Ehre gepackt. Ich gebe zu: Ich pokere hoch. Er hat für den Einsatz die Verfügungsgewalt auf dem Schiff der „Helldiver“ und ich rechne fest damit, dass er mich nun von Bord wirft – doch dann sagt er zu meiner Überraschung: „Gut, ich stelle es Ihnen frei.“ Natürlich gehe ich mit.

Auf dem Weg in die Bar, weiterhin professionell abgesichert durch die „Helldiver“, steuern wir kurz ein Geschäft an. McMarshall hat plötzlich Durst. Nachdem er die Flasche abgesetzt hat, entfährt ihm: „Das setze ich von den Spesen ab.“ Ich schaue auf die Auslage: Drei lumpige Credits hat das Getränk gekostet. Dem Reporter, der nur zu gern sehen würde, wie dem Herrn auch mal die Maske von Gesicht fällt und dass er sich für seinen Konzern der Verantwortung stellt, platzt der Kragen: „..aber sonst ist Ihnen nichts peinlich?!“ Mir ist unverständlich, wie man so im Geld schwimmen, gleichzeitig aber so abgebrüht sein kann, wenn es um den Wiederaufbau einer Station geht, für deren Zerstörung man zumindest teilverantwortlich ist. Ich ernte einen irritierten Blick, dann löst „Helldiver“-Sicherheitsmann Rabbit die Spannung: Die Piraten wollen mit uns sprechen.

Das Treffen findet in der Bar statt. Der Pirat legt einen Chip auf den Tisch.  McMarshall nickt und was nun folgt, ist ein Kräftemessen zwischen dem Wort führenden Outlaw und dem Microtech-Mann. Wo trifft man sich für die Übergabe Credits gegen Chips? Wer soll dabei sein? Wer sichert wen ab? Die „Helldiver“ stehen direkt vor mir, ihre Blicke scannen unablässig den Raum. Immer wieder ziehen sich McMarshall und Kjeld Stormanson, McMarshalls persönlicher Sicherheitsmann, für kurze Beratungen zurück. Es folgt ein Gespräch unter vier Augen, dann heißt es: Levski. Ich sinniere unterdessen über die vertrackte Situation. Wer kann was gewinnen, wer kann was verlieren?

Nun, die Piraten haben aktuell die Chips, die für sie aber im Grunde wertlos sind, solange sie keinen Hacker finden, der ihre Verschlüsselung knackt. Platzt der Deal, nehmen sie vielleicht einfach den hochrangigen Microtech-Mitarbeiter als Geisel und gehen aufs Lösegeld. Für Microtech gilt: So sehr, wie sie die Chips wiederhaben wollen, könnte da noch etwas anderes hinter stecken. Vielleicht eine geheime Technologie, die weit über das hinausgeht, was Microtech offiziell verlautbart. Vielleicht ein Milliarden-Seller. Wegen eines einzelnen Koffers macht doch niemand so einen Aufstand.

Schließlich berät sich McMarshall auch mit den „Helldivers“. Rabbit, der für McMarshalls Unversehrtheit haftet, warnt vor einem Treffen in kleiner Runde. „Für Ihre Sicherheit kann ich dann nicht garantieren“, sagt er. Auch McMarshall äußert Bedenken. Zum ersten Mal klingt er besorgt: „Die Motivationen sind unklar.“ Und: „Ich sollte besser bezahlt werden.“ Im Vorfeld hatte es Drohungen gegen Microtech gegeben – Drohungen, die nun auch McMarshall gelten könnten. Gleichwohl entscheidet er sich für ein Treffen. „Alfonz will die Chips unbedingt zurück.“ 

Levski, Delamar – die Carrack schwebt über dem Planetoiden, als das Feuerwerk auch schon beginnt. Die Piraten hatten offenbar einen Hinterhalt geplant. Da die „Helldiver“ die Gegend aber zuvor aufklärten, tappen wir nicht in die aufgestellte Falle hinein. McMarshall beobachtet, wie seine Chips mit den Schiffen der Piraten in Flammen aufgehen, doch genau wissen tut er es nicht. Schließlich sagt er: „Mir wäre lieber gewesen, wir hätten sie gesichert. Dann wüssten wir nun, woran wir sind.“ Zum ersten Mal sehe ich seine Selbstsicherheit schwinden. Klar, mit leeren Händen seinem Chef gegenübertreten zu müssen, ist nicht der beste Ausgang. Ich glaube nicht, dass sich Alfonz mit ein paar launigen Ausreden zufrieden gibt. „Off the Record“ bleibt in jedem Falle dran. Irgendwann werden sie die Hosen herunterlassen müssen.

Interview zum Spachub Gundo-Vorfall mit Microtech-Mann Thane McMarshall

Interview mit den „Helldivern“ über ihre Arbeitsweise

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Microtech-Manager Thane McMarshall und sein Sicherheitsberater Kjeld Stormanson wurden für dieses Ingame-Roleplay von der Orga „Tyr Security“ gestellt, die Helldiver von der Orga  „Helldiver“. Die Geschichte spielt mit der Lore, ist aber nicht fest in der Lore verankert. Spacehub Gundo wurde etwa nicht bei einem Piratenüberfall sondern durch einen Unfall zerstört.  Es war ein schöner Abend – und hat Spaß gamacht. Falls Ihr Euch fragt, was das auf dem Aufmacherbild für ein Chip ist: Schon mal was vom C64 gehört? Bru-

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