– Das Jahr 2951 –
Killersatelliten, die das ganze Stanton-System und darüber hinaus bedrohen? Brubacker kann nicht glauben, womit er es plötzlich zu tun hat. Er gerät mitten hinein in die wohl größte Verschwörung der vergangenen Jahrhunderte. Als Journalist fühlt er sich der Wahrheit verpflichtet. Doch wie weit ist er wirklich bereit zu gehen? Und wer in diesem Spiel ist Freund und wer Feind? Neue Freundschaften weisen ihm den richtigen Weg.
Vorspann
Unbekannt: „…dann lassen Sie mal hören.“
Agent: „Nun, wie Sie wissen, ist Spacehub Gundo über dem Mond Daymar bereits vor einiger Zeit zerstört worden. Bisher war die genaue Ursache unbekannt. Die Öffentlichkeit nimmt bis heute an, dass es sich dabei um einen Unfall gehandelt hat. Jetzt jedoch haben wir neue Erkenntnisse. Eine Caterpillar ist in unmittelbarer Nähe bei einem Piratenüberfall explodiert. Offenbar ging es dabei um neuartige Chips von Microtech – waffenfähige Chips, wie wir mittlerweile wissen. Diese waren an Bord des Schiffes. Bei einer offenbar vorgetäuschten Untersuchung der Station sollten die Chips wiederbeschafft werden. Der zuständige Sicherheitschef, ein Mann namens Thane McMarshall, ist damit beauftragt worden. Um die Öffentlichkeit ruhig zu stellen, wurde ausgerechnet “Off the Record” mitgenommen.“
Unbekannt: „…Off the Record?“
Agent: „John Brubacker.“
Unbekannt: „Wie bitte?“
Agent: „Er hat die Redaktion vergangenes Jahr gegründet.“
Unbekannt: „…auch das noch…weiter…”
Agent: „Plötzlich bieten die Piraten, ein Syndikat namens Black Project an, die Chips gegen eine hohe Summe zu tauschen. Offenbar haben sie keine Ahnung, was sie da haben. Doch die Übergabe geht schief. Das Schiff, auf dem sich der Koffer mit den Chips befindet, explodiert. Zumindest ist das die offizielle Version. Der Journalist hat darüber einen detaillierten Bericht geschrieben. Ist im File angehängt.“
Unbekannt: „…weiter…“
Agent: „Aufeinandertreffen mit Zero Sense, Miner und Mitglied eines Aktivistennetzwerkes aus Levski. Die glauben, Shubin würde ihnen durch Marktmanipulationen die Preise verderben. Zusammenhang mit dem Chips-Diebstahl bislang noch nicht ersichtlich.”
Unbekannt: „Herrje. Wissen wir noch was über ihn?“
Agent: „Er ist nicht gerade UEE-Anhänger.“
Unbekannt: „…fahren Sie fort….“
Agent: „Brubacker hat darüber auch einen Bericht verfasst. Bisher stochert er aber nur im Nebel. Zero Sense übergibt Brubacker Unterlagen, die beweisen sollen, dass Shubin dunkle Geschäfte betreibt. Nach dem Bericht „Heiße Chips“ zieht die Sache weitere Kreise. Chhris Miller, ehemaliger Entwicklungschef bei Microtech, pingt Brubacker an. Dieser lässt sich auf ein Treffen ein. Miller hat die Chips für Microtech mitentwickelt. Hat aber wohl aus privaten Gründen mittlerweile gekündigt.”
Unbekannt: „…aha…“
Agent: „Wir wissen nicht wie, aber sie stoßen mit der Nase schließlich auf den abgestürzten Com-Satelliten auf Hurston und finden darin einen MTX1-Chip von Microtech. Nun reimen sie sich etwas zusammen. Nach unseren Erkenntnissen haben sie aber keine Ahnung, wie nah dran sie wirklich sind. Brubacker haben wir trotzdem erstmal kalt gestellt.”
Unbekannt: „Ihre Einschätzung?“
Agent: „Schwierig. Viele Stränge und Verknüpfungen. Sollten wir es aber tatsächlich mit Killersatelliten zu tun haben, mit denen man ganze Planeten erpressen kann, dann…“
Unbekannt: „…bleiben Sie dran, Smith.“
Agent: „Ja, Sir.“
New Babbage, Microtech, Stadt der Innovationen….
“Habt Ihr das damals auch gehört? Im Sommer 2947 ist Professor Mobi, Vorreiter der Bio-Bot Technologieoptimierung, samt seiner privaten Forschungsgruppe auf dem Mond Clio bei einem Laborunfall ums Leben gekommen. Der offiziellen Aussage der microTech Protection Force nach, hat es eine unterirdische Explosion gegeben. Mehr als drei dutzend Wissenschaflter verloren ihr Leben. Einzig und allein zwei schwer verletzte Sicherheitskräfte überlebten den Vorfall und meldeten es der Protection Force. Interessanterweise konnte bis heute nicht festgestellt werden, woran genau Professor Mobi dort gearbeitet hat. Es hieß offiziell, er habe einen Weg gefunden seine Bio-Bot Technologie auch im Bergbau anwenden zu können, was meiner Meinung nach aber absurd ist. Der Mann war kein Steineklopper und hat sich immer einen Dreck um die Bergbauindustrie gekümmert. Und dann sind die beiden Sicherheitskräfte auch noch im Krankenhaus verstorben. Die ganze Geschichte wurde unter den Tisch gekehrt. Dass daraufhin weitere befreundete Wissenschaftler von Mobi hier in New Babbage ihren Job aufgaben, das Weite suchten oder bei einem Metroloop-Unfall starben, hat niemanden weiter gestört. Ich verstehe Crio und Lyrian mit ihrer „Dietro le Quinte”-Protestbewegung und ihren Anschuldigungen der Vertuschung der Großkonzerne! Ich sage euch: Schaut Hinter die Kulissen! Lasst euch nicht beirren, was euch die großen Tech-Könige ins Ohr flüstern!”
– Juan Perdez (Moderator der Talk-Show SNOW in Newbbabge|15.Folge 31.12.2950
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… New Babbage … eine Stadt der Innovation, hochmoderner Technologien und der reichen Tech-Lobbyisten. Man könnte meinen, der mächtige Großkonzern hat seine Finger überall irgendwo in der UEE im Spiel. Wortwörtlich hat uns Alfonz am Handgelenk, denn das MobiGlas genießt eine Monopolstellung in der Tech-Welt. All der Einfluss und effektive Entwicklung wäre ohne ein stabiles naturwissenschaftliches und technisches Netzwerk jedoch nicht möglich. Die eiskalten Innovationsbarone und Funktionäre von Microtech Corporation besitzen ein breites Feld von hauseigener Forschungsindustrie und akademischer Laborarbeit.
Unter den ambitioniertesten und eigenwilligsten Wissenschaftlern befand sich auch Professor Mobi, Vorreiter der medizinischen Bio-Bot-Technologie. Aufgrund seiner hochangesehenen Forschungsarbeit, willigte Microtech ein, dass er Investitionen für private Forschungseinrichtungen erhielt. Daraus entstand zum einen die private Wissenschaftsakademie “Eldfjall University”, sowie diverse Forschungsgruppen, die in ganz Stanton verteilt sind.
Nach einem Unfall auf dem Mond Clio kam Professor Mobi und einige seiner wichtigsten Mitarbeiter ums Leben, woraufhin sämtliche Freunde und Forschungskollegen in New Babbage ebenfalls spurlos verschwanden oder bei Unfällen ihr Leben verloren. Die Rede im Untergrund der Stadt ist nun von einer geheimen Gruppierung und einer damit verbundenen privaten Forschung mit tödlichen Folgen. Doch woran hat Mobi geforscht? War sein Tod Sabotage? Und wenn ja, wer steckt hinter diesem Attentat? Was wie ein Krimi beginnt, kann schnell in einem umfassenden Schattenkrieg enden…
Die Rettung
Es hört sich an, als würde jemand in der Ferne nach mir rufen.
„Brubacker…hey…wach auf…“
Ich spüre, wie an mir gerüttelt wird.
Ich öffne leicht die Augen.
„John…“
„Hmmm…?“
„Komm, wir müssen los…wir wissen nicht, wann sie wiederkommen…“
Ich spüre, wie ich wieder wegsacke.
Dann beugt sich jemand über mich.
„Brubacker…hoch mit dir!“
Ich spüre, wie sie mir aufhelfen. Ich öffne die Augen ein wenig mehr.
„Zero….Chhris…was ist passiert?“
„Du bist entführt worden. Wir retten dich.“
„Wo bin ich?“
„Auf Microtech. Drogenlabor Necropolis….komm, wir müssen dringend los.“
„Mir ist schwummerig.“
„Ja…das wird schon wieder…Hauptsache, du kotzt mir nicht ins Schiff.“
„…nur, wenn du Blumenkübel an Bord hast.“
Ich setze mich gerade hin.
„Ist schon wieder ganz der Alte…“
„Die müssen irgendwas in mich reingepumpt haben.“
Dann fällt mir alles wieder ein.
Die Party nach der Messe. Der Schlag auf den Kopf.
„Smith…“, sage ich leise.
Zero und Chhris packen mich rechts und links unter dem Arm, dann verlassen wir das Drogenlabor. Die frische Luft Microtechs weckt meine Geister. Sie holen mich mit einer Mercury Starrunner ab. Es ist Zeros Schiff und während er fliegt, setze ich mit ins Quartier des Captains. Chhris bleibt bei mir. So langsam werde ich wieder klar.
„Nun mal raus mit der Sprache“, sagt Chhris. „Weißt du, wer das war?“
Ich nicke.
„Smith.“
„Wer ist das?“
„Gib mir noch einen Moment. Wo fliegen wir hin?“
„In einen Schutzshelter auf die andere Seite des Planeten.“
Nachdem wir gelandet sind und uns im Shelter gesammelt haben, sortiere ich meine Gedanken, dann erkläre ich alles. Den Unfall auf der Rangin, den Kälteschlaf, die Organisation, die mich angeblich durch die Zeit geschickt hat. Smith – und dass er offenbar von dieser Organisation ist. Chhris und Zero sehen mich an, als würden sie einem Verrückten zuhören.
„So,so, du bist also über 700 Jahre alt…“, sagt Zero schließlich nach einer Pause.
„…und stammst also aus der Vergangenheit.“
Er macht eine Pause, blickt mich durchdringend an.
„Vielleicht sollten wir ihn doch lieber ins Krankenhaus bringen“, sagt Chhris.
„Eher in eine Irrenanstalt. Ein seltsamer Vogel warst du ja schon immer. Aber das…“
„Es ist wahr!“, erwidere ich. „…und ich weiß, wie sich das alles anhört.“
Schließlich atmet Zero tief durch, zieht die Augenbrauen hoch, dann liest er mir den Funkspruch vor, der mir offenbar das Leben gerettet hat:
“Bringen Sie unseren Mann zur Sicherheit nun aus dem System. Keinesfalls darf bekannt werden, was auf H. abgestürzt ist. Momentan ist er sediert in einem Drogenlabor auf MT.“
Nachdem ich mich auf mehrere Funksprüche nicht gemeldet hatte und es dann noch um einen geheimnisvollen Absturz auf Hurston ging, hat Zero eins und eins zusammengezählt.
„…da wusste ich, das kannst nur du sein.“
Ich nicke, dann sage ich: „Irgendjemand weiß, dass wir an den Killersatelliten dran sind…“
Beide nicken wortlos.
„Und jetzt?“, fragt Zero schließlich.
Ich zucke mit den Schultern.
„Ich habe nicht den geringsten Plan.“
„Vielleicht solltest du erstmal ein wenig die Füße still halten“, sagt Chhris.
Schließlich laufen wir zum Schiff zurück. Zero will noch irgendwelche Drogen verkaufen, die er in einem anderen Labor erstanden hat. Ich bleibe hingegen auf Port Tressler und blicke gedankenverloren hinunter auf Microtech.
Journal-Eintrag 24 / 01 / 2951
Zwei Monate war ich sediert. Mittlerweile ist viel geschehen. Zero hat auf eigene Faust weiter recherchiert, um die Wahrheit über das Komplott im Stanton System ans Licht zu bringen. Unter anderem hat er einen Kommunikationssatelliten über Hurston angezapft, um herauszufinden, welche Rolle Constantin Hurston in dem ganzen Schlamassel spielt – ein glücklicher Umstand. So fing Zero den entscheidenden Funkspruch auf. Auch scheint sich zu bestätigen, was wir schon die ganze Zeit vermuten – Shubin Interstellar will offenbar illegale Handelsbeschränkungen für Miner durchsetzen. Hochwertige Metalle können seit kurzem nur noch in den Handelszentren der Haupt-Landezonen auf den Planeten verkauft werden. Kurzum: Die Sache nimmt Fahrt auf.
Die Bedrohung
Wir stehen im Atrium der Commons auf New Babbage, als plötzlich alle die Köpfe heben und entsetzt auf einen riesigen Bildschirm über uns blicken – darauf zu sehen: ein Pirat. Seine Worte lassen uns sofort das Blut in den Adern gefrieren:
„Achtung, Bewohner von Stanton. Wir sind ab sofort diejenigen, die die Kontrolle über das System haben. Wir sind die Xeno Threat“.
Nachdem die Botschaft geendet hat, ertönt auf allen Mobiglases zeitgleich auch schon der Ton für eine Dringlichkeitsnachricht. Sie stammt von der „Civilian Defense Force Initiative“. Laut Nachricht haben Piraten der Gruppe „Xeno Threat“ Konvoi-Schiffe auf ihrer Route zur Jericho-Station im Stanton-System überfallen, wie sie wohl auch für eine Menge anderer Verbrechen im System die Verantwortung tragen. Kurzum: Es handelt sich um eine feindliche Invasion, offenbar aus dem benachbarten Pyro-System. Nun ruft die Navy alle Bewohner Stantons dazu auf, aus den Wracks wichtige Güter zu bergen und zur Station zu bringen. Gleichzeitig müsse ein Javelin-Kreuzer, der an der Station angedockt hat und für den Einsatz kampfbereit gemacht werden soll, unter allen Umständen verteidigt werden.
Chhris und ich blicken uns fassungslos an. Eben erst hatte ich beschlossen, mich nicht weiter in Panik versetzen zu lassen. Motto: So viel Normalität wie möglich. Ich weiß, wer hinter meiner Entführung gesteckt hat. Und ich bin unbeschadet wieder auf freiem Fuß – dank meiner Freunde. Wenn ich auf mich aufpasse, passiert mir das kein zweites Mal – und jetzt dies.
„Was machen wir?“, frage ich Chhris, nach Worten ringend.
„Na, mithelfen, diese Invasion abzuwehren“, antwortet er ohne Umschweife.
Ich nicke.
„Dann mal los.“
Wir rennen zur Bahn, steigen in Chhris Superhornet, und fliegen gemeinsam zu einer Station, die Jericho am nächsten liegt. Unterwegs melden wir uns bei Rowena Dulli, Advocacy Attaché der CDF, die den Einsatz koordiniert. Uns wird mitgeteilt, dass wir mit feindlichen Kräften zu rechnen haben, die sich bisher zwar noch an der Peripherie des Systems befinden, aber ebenfalls auf dem Weg zu den Wracks sind.
„Vielleicht sollten wir lieber mit zwei Hornets fliegen?“, frage ich Chhris.
Ich sehe, wie er vor mir kurz nickt.
„…und Fabi Bescheid geben. Ein junger, verdammt guter Pilot mit Nerven aus Stahl“, ergänzt er.
„Gut.“
Minuten später landen wir auch schon auf der Station, wo uns Fabi bereits erwartet.
Die Begrüßung ist kurz, der Hektik geschuldet.
So schnell es geht, starten wir wieder.
An den Wracks haben sich bereits andere Bürger Stantons eingefunden. Verschiedene Materialien gilt es nun zu bergen, manches sehr explosiv, anderes instabil. Alle vor Ort begreifen schnell: Die Aufgabe kann nur gemeinsam gemeistert werden. Erst recht, als plötzlich die ersten Wellen der Piraten eintreffen. Gemeinsam stürzen wir uns in die Schlacht. Ich gerate in einen regelrechten Kampfrausch, keine Ahnung, ob das schon immer in mir gesteckt hat, und schieße Schiff um Schiff ab. Mal halten wir uns gegenseitig den Rücken frei, dann bergen Chhris und Fabi aus dem Innern der Wracks Materialen, während ich draußen Patrouille fliege. Bald habe ich zehn Piraten auf meiner Uhr.
„Wow, ich wusste gar nicht…“, staunt Chhris, von dem ich ja weiß, dass er ein Flieger-Ass ist.
„Kannst mich Killer-Opa nennen“, erwidere ich lächelnd.
Dass ich unlängst neue gelenkgelagerte Waffen auf die Hornet montieren ließ, erklärt meine neue Trefferquote, aber: egal. Es macht jedenfalls einen Heidenspaß, den Piraten Saures zu geben. Immer wieder geht es zwischen den Wracks und der Station Jericho hin und her. Sogar mittelgroße Schlachtschiffe der Idris-Klasse werfen die Piraten in die Schlacht. Auch sie feuern aus allen Rohren. Gemeinsam wehren wir Welle um Welle ab – schließlich, nach mehreren Stunden, ist es geschafft: Die Piraten sind bis auf Weiteres zurückgeschlagen.
Ich blicke auf mein Konto – und kann es nicht fassen. Die UEE hat sich für diesen Einsatz nicht lumpen lassen – und mir sage und schreibe rund 300.000 Credits überwiesen. Während wir zurückfliegen, sinniere ich: Die Feder ist mächtiger als das Schwert? Daran glaube ich zwar immer noch. Mehr Credits und Merits sind aber auch nicht schlecht.
Brotkrumen
Was für ein Stress! Kaum haben wir die Piraten-Bedrohung mit vereinten Kräften zurückgedrängt, geht es Schlag auf Schlag weiter. Chhris meldet sich am nächsten Tag übers Mobiglas – ob ich ihn auf Microtech zu einem Treffen begleiten könne. Er sei mit Thane McMarshall verabredet, der von ihm ein paar Infos über da Silva haben wolle. Ich sage zu, schließlich lässt man einen Freund nicht hängen. Außerdem: Vielleicht erfahren wir so selbst auch ein paar neue Infos. Chhris holt mich am Spaceport ab, gemeinsam fliegen wir hinüber zum Dach des Aspire Grand, wo ich McMarshall auch damals zum ersten Mal getroffen hatte.
„Irgendeine Ahnung, worum es geht?“
„Nope.“
McMarshall sieht wie immer geschniegelt aus und auch an seiner unverbindlichen Art, viel zu reden, aber nur wenig zu sagen, hat sich nichts geändert. Er wirkt nur kurz überrascht mich zu sehen, dann verschwinden alle Emotionen wieder hinter seiner Manager-Fassade. Es zeigt sich: Die beiden kannten sich von Microtech zwar vom Sehen, wirklich viel zu tun hatte Chhris mit ihm aber nicht. Da Silva, ich erinnere mich an das, was Chhris mir erzählt hatte, war derjenige, der mit den kampffähigen Chips offenbar illegalen Geschäften nachgegangen und sie an Piraten verscherbelt hatte. Plötzlich fällt von McMarshall ein mir unbekannter Name: Xedan Thormento…irgendwas klingelt da…schließlich fällt es mir wieder ein: Thormento war derjenige, mit dem ich mich für den Spacehub Gundo-Auftrag ursprünglich hatte treffen sollen, der dann aber in Vertretung McMarshall geschickt hatte. Offenbar ein Überflieger aus reicher Familie, den man aus welchen Gründen auch immer gleich bis in die Konzernspitze berufen hatte und der jetzt verschwunden ist. Ich verstehe nur Bahnhof – was hat das mit uns zu tun? Plötzlich senkt sich McMarshalls Stimme.
„Lassen Sie uns zum Mond nach Euterpe fliegen – und dort alles Weitere besprechen. Hier ist es nicht sicher…“
Ich bin diesmal nur die Begleitung, lasse Chhris alles entscheiden. Komisch kommt es mir allerdings schon vor. Fragend blickt er mich an. Ich zucke mit den Schultern. Täuscht der Eindruck oder ist McMarshall nervös?
„Okay.“
Chhris willigt ein.
Wir fliegen mit einer Constellation Phoenix, dem Luxusliner der Schiffsklasse. Hinten drin: Bar, Whirlpool, noble Einrichtung.
„Ich hätte gedacht, in Ihrer Position lässt man fliegen?“
„Leider nein. Ist auch nicht mein Schiff“, erwidert McMarshall lächelnd.
„Es stammt aus dem Fuhrpark Microtechs – oh, wir sind gleich da.“
McMarshall geht in der Nähe eines Outposts mit dem viel sagenden Namen Buds Growery runter. Chhris blickt grinsend durch die Frontschreibe.
„Hier kann man jede Menge Agricium schürfen“, sagt er. Smalltalk.
Ich nicke geistesabwesend. Mining – das wird nie mein Ding.
Dafür haben offenbar die beiden ein Thema gefunden. Während des Landeanflugs fachsimpeln sie über Erze, Mineralien, Refining-Prozesse, dann sind wir endlich unten.
„Bisschen einsam hier“, werfe ich ein.
Im Außenposten scannt McMarshall zunächst nach Abhörgeräten. Dann wendet er sich Chhris zu, mit der Frage, was er ihm über da Silva erzählen könnte. Chhris beschreibt seinen Ex-Chef als fähigen Technikspezialisten, aber auch als eher durchschnittliche Führungskraft. McMarshall hört anscheinend interessiert zu, kommt mir aber fahrig vor. Schließlich meint er, er müsse noch einmal zum Schiff zurück und wir sollten kurz auf ihn warten.
Wir nicken und bleiben mit tausend Fragen zurück.
Die Zeit vergeht – und McMarshall kommt nicht wieder.
Ich gehe zur Tür. Sie ist blockiert.
„Das gibt’s doch nicht…der Mistkerl hat uns eingeschlossen. Ist einfach abgehauen…“
Plötzlich piepen fast gleichzeitig unsere Mobiglas – und wir erhalten kryptische Dokumente. Chhris liest mir vor, was bei ihm steht, dann zeige ihm meines.
„Was zur Hölle hat das nun wieder zu bedeuten?“
„Ich habe nicht die geringste Ahnung.“
Die Minuten vergehen, während wir uns den Kopf zerbrechen. Plötzlich wird die Tür aufgebrochen – doch statt McMarshall richten drei Kerle ihre schwerkalibrigen Waffen auf uns und bezichtigen uns, eine Entführung begangen zu haben.
„Wo ist unser Kommandant?“
„Wer?“
„Kjeld Stormarnson.“
Ich komme mir vor, wie in einem schlechten Film.
„Wer zur Hölle ist das?“
„Wir stellen die Fragen. Mitkommen!“
Wir wissen nicht, ob wir lachen oder weinen sollen angesichts der Absurdität der Situation – und doch folgen wir. Wir werden zu einer nah stehenden Mercury Star Runner gescheucht. Wieder und wieder betonen wir, mit einer Entführung nichts zu tun zu haben. Es fliegen ein paar heftige Worte hin und her, dann beruhigt sich die Situation. Unsere Entführer stellen sich Mitglieder von Tyr Security vor. Aha.
Wir sind gespannt, was als Nächstes passiert.
Plötzlich klettert aus dem oberen Deck der Star Runner jemand herab, den wir ums Verrecken nicht vermutet hätten – Zero Sense.
„Zero…was zum Teufel hast du mit diesen Kidnappern zu schaffen?“
Er atmet tief durch, dann klärt er uns auf: Er sei quasi „unter Druck“ angeheuert worden.
Wir verstehen nur noch Bahnhof. Zero rollt mit den Augen.
„…ich habe ein paar Drogen rund um Microtech geschmuggelt. Die Herren haben als Söldner für Microtech mein Schiff aufgebracht. Aber statt mich in den Knast zu stecken, boten sie mir einen Deal an.“
„Und zwar?“
„Ich sollte einen Menschen schmuggeln…wir sollten ihn hier treffen.“
Wir blicken uns ratlos an.
„Wir sind eingesperrt worden und nun haben uns deine neuen Freunde gefangen genommen und werfen uns vor, ihren Chef entführt zu haben.“
Zero blickt uns ebenso verwirrt an, wie wir ihn.
Wir erzählen von den kryptischen Botschaften. Der Sicherheitsmann fordert uns auf, ihm alles auszuhändigen, was wir widerstrebend wegen vorgehaltener Waffe tun – doch auch er kann damit nichts anfangen.
„Ähem…“
Plötzlich heißt es vom Anführer, wir müssten nach Yela – keine Ahnung wieso. Mittlerweile ist es mir aber auch egal. Um dort unbemerkt landen zu können, schlägt Zero vor, den Comm Array über dem Mond zu deaktivieren. Gesagt, getan. Chhris und ich werden weiterhin bewacht, während Zero innerhalb des Satelliten seinen Job erledigt. Als Zero zurückkehrt, ist er kreidebleich.
„Schau mal, was ich bei dem Hack noch für eine Botschaft aus dem Speicher gezogen habe…“
Er zeigte mir schnell und heimlich die Nachricht.
„Was soll das nun schon wieder?“
„Keinen Schimmer.“
Zero, der offenbar Vertrauen zu einem der Entführer gefasst hat, zeigt ihm die Botschaft ebenfalls.
„…wahrscheinlich stammt die Nachricht von den Leuten, die hinter unserer Zielperson her sind. Die sehen uns als Bedrohung an, weil wir eben die Zielperson schützen”, antwortete der Security-Mann seelenruhig. Mir bringt diese Info wenig, Zero scheint sie indes zu beruhigen. Dann zeigt er ein weiteres kryptisches Dokument.
Oh Mann.
Minuten später landen wir auf Yela. Durch das offene Intercom eines Tyr-Mannes höre ich, dass irgendwo gekämpft wird. Plötzlich springt der Kommandant des Schiffes, ein Mann namens Amöbe auf, und sagt, dass Stormarnson – den wir angeblich entführt haben sollen – auf Port Olisar sei. Augenblicklich fliegen wir los – und treffen auf der alten Station über Crusader eine Menge verwirrter Leute, die offenbar alle an der Nase herumgeführt worden waren.
Auch McMarshall ist darunter.
„Was war das denn? Wohin sind Sie plötzlich?“
„Ich bin ebenfalls entführt worden. Aber nur kurzzeitig…“
„Wie bitte?“
„Mr Brubacker, später. Offenbar wird mit uns allen ein undurchsichtiges Marionettenspiel betrieben.“
Erneut lasse ich mich von McMarshall abspeisen. Vielleicht bin ich aber nur zu müde, um mein Gehirn anzustrengen. Jedenfalls: Irgendetwas verdammt Großes ist hier im Gange. Der Komplott im Stanton-System scheint noch viel umfangreicher zu sein als wir bisher vermutet haben. Die waffenfähigen Chips von Microtech scheinen nur die Spitze des Eisbergs zu sein. In den Informationen die wir nun haben, ist plötzlich die Rede von einer Biowaffe. Als würden Killersatelliten nicht schon genügen. Mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter. Und auch Chhris ist sprachlos. Ich blicke zu ihm, er starrt wütend McMarshall an. Chhris scheint innerlich zu kochen, die Faust in der Tasche geballt. In was sind wir da nur hineingeraten?
Licht im Dunkel
Ich blicke Chhris entgeistert an. Hat er über Nacht Kreide gefressen? Tagelang lag er mir in den Ohren, wie hart er mit McMarshall umspringen wolle – nun lädt er ihn plötzlich auf einen Plausch unter Freunden in eine Bar ein. Mir hingegen platzt daher fast der Metallkragen meines Raumanzugs.
„…ich will wissen: Treiben Sie doppeltes Spiel und haben Sie eine geheime Agenda? Oder arbeiten Sie offen und ehrlich mit uns zusammen?“, fauche ich McMarshall an.
McMarshall, Sicherheitschef von Microtech, scheint tatsächlich verdattert. So unsicher habe ich ihn noch nie gesehen.
„Letzteres natürlich.“
Wenige Tage zuvor hatte er uns angeschrieben, ob er und Kjeld Stormarnson sich noch einmal mit uns treffen könnten, um zu klären, was zum Henker auf dem Mond Euterpe geschehen war und warum er uns eingesperrt in einem Outpost mitten im Nirgendwo zurückgelassen hatte.
Wir erfahren: In der Constellation versteckt war bereits erwähnter Xedan Thormento mitgeflogen. Wir waren ein Vorwand, um ihn heimlich von New Babbage wegzubringen, weil er offenbar um sein Leben fürchtete. Kurz eingesperrt sollten wir nur sein, damit McMarshall ihn unbemerkt auf ein anderes Schiff bringen konnte. Danach wollte er zu uns zurückkehren und wir hätten unser Gespräch fortgesetzt. Dummerweise wurden McMarshall und Thormento plötzlich selbst gekidnappt.
Während wir uns McMarshalls Version der Story anhören, pfeift uns der Wind um die Ohren. Chhris hatte als Einschüchterungstaktik einen Schrottplatz auf Daymar als Treffen ausgewählt. Über uns kreisen zu unserer Absicherung die „Helldiver“.
Zero Sense, ebenfalls bei dem Treffen mit dabei, erweist sich unterdessen immer mehr als ausgefuchste Spürnase. In den Tagen zuvor hatte er alle Brotkrumen zusammengetragen, Links hergestellt, versucht ein Bild zusammenzusetzen. Demnach ist Xedan Thormento, den Chhris und McMarshall zwar aus der Zusammenarbeit bei Microtech, aber nicht persönlich näher kennen, tief in den Skandal um die verschwundenen MTX-1-Microchips verwickelt. Also wohl auch in das, was damit offenbar angestellt werden soll.
Wie es aussieht, wollte er sein eigenes Süppchen kochen, um nicht nur seine Karriere, sondern eine Vision voranzutreiben: Während seines steilen Aufstiegs bei Microtech hatte er offenbar immer wieder von einem „Sternenkonzern“ phantasiert, der die Megacorps Stantons unter einem Dach vereinigen sollte – eine Macht, der niemand mehr etwas entgegenzusetzen gehabt hätte.
Wir lassen die Informationen, die uns allesamt neu sind, sacken, dann verdeutliche ich McMarshall noch mal nachdrücklich meine Position, von der ich hoffe, dass sie die anderen teilen: „Nehmen wir das einmal so hin. Aber eines müssen Sie verstehen: Was Sie hier von uns heute bekommen, ist eine zweite Chance. Keine Lügen mehr.“
Aus McMarshalls Gesicht, soviel kann ich hinter seinem Helm erkennen, ist die Hochmütigkeit verschwunden. Er weiß: Irgendwo bei Microtech hat es eine riesige Sicherheitslücke gegeben und falls er diese nicht schleunigst schließt, so rollt auch sein Kopf.
Nach einer Pause sagt er: „Das ist mir bewusst, Mr. Brubacker.“
Ich atme tief durch.
Zero stellt ein paar Fragen, die er vorher notiert hatte. Ich beobachte McMarshall genau, als er spricht. Immer deutlicher wird: Die Killersatelliten scheinen nur die Spitze des Eisbergs zu sein, wir sind an einer riesigen Verschwörung dran, die alle Grenzen des Vorstellbaren sprengt.
Chhris neben mir streckt sich.
„Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich könnte jetzt einen Schluck gebrauchen.“
Wir steigen in Zero Sense’ Star Runner und beschließen, nach ArcCorp zu fliegen – soweit weg von Microtech, wie möglich. Chhris, McMarshall und ich halten uns während des Fluges im Captainsquartier auf.
„Spielen Sie eigentlich Schach?“
Er nickt – und so lange der Flug nach ArcCorp dauert, starren wir konzentriert auf das Brett. Es scheint, als verlagerten wir unseren Konflikt auf die Spielfiguren. Wir nehmen uns gegenseitig ein paar, dann meldet Zero, dass wir im Landeanflug seien.
„Das führen wir ein andermal fort“, sagt McMarshall.
„Gern“, erwidere ich und bin froh, dass wir landen. Es sah nicht gut für mich aus.
Wir fahren in die Innenstadt und wollen in der „G-Loc“-Bar mal ein wenig unsere Gedanken sortieren. Zuvor zeige ich McMarshall jedoch, wo „Off the Record“ seinen Sitz hat.
„Gemütlich“, sagt er mit Blick in die Hinterhofgasse.
„…jeder hat mal klein angefangen. Vielleicht werde ich ja eines Tages noch ein richtiger Medien-Mogul?“
„Zuzutrauen wäre es Ihnen.“
„Lass Sie uns zu den anderen gehen.“
Minuten später sitzen wir am großen Panoramafenster der Bar. Nachdem alle anderen ihre Getränke haben, werfen wir alle Puzzleteile zusammen.
So sieht es aktuell aus: Offenbar wurde von einem gewissen Professor Mobi auf Microtech an einem gefährlichen Erreger für eine Biowaffe namens „Enos“ im Kampf gegen die Vanduul gearbeitet. Dann aber starb Mobi bei einem Unfall in seinem Labor. So lautet zumindest die offizielle Version. An seinen Forschungsergebnissen waren anschließend jedoch weiterhin verschiedene geheime Mächte interessiert. Doch dann drohte das Projekt öffentlich zu werden. Crusader Security nahm Ermittlungen auf, nachdem mehrere Personen auf dem Mond Cellin durch einen unbekannten Erreger erkrankten. Diese Personen waren alle kurz zuvor im Planetensystem Microtech – vermutlich handelte es sich hier um eben diesen „Enos“-Erreger.
Soweit, so schlecht. Ich blicke aus dem Fenster und sinniere. War unser vermeintlicher Killersatellit vielleicht der Prototyp für eine Biowaffe? Aber geht es nur um die Vanduul? Oder steckt vielleicht noch mehr dahinter? Was, wenn man mit dieser Waffe auf ganzen Planeten das Leben auslöschen könnte, um so etwa den „Fair Chance Act“ zu umgehen? Um Raum für die Expansion des Menschen ins All zu schaffen? Klingt zu irre? Vielleicht. Genauso irre, wie künstlich einen ganzen Planeten zu bauen wie die „Synthworld“? Was, wenn das Projekt nicht realisierbar ist und die Konzerne nun eine “Alternative” suchen?
Die anderen debattieren sich die Köpfe heiß. Argumente werden gewogen und gewichtet. Nun, zumindest in einem haben wir uns schon mal komplett geirrt: in Xeno Threat. Wir hatten vermutet, dass Port Olisar zerstört werden sollte. Das ist nicht eingetreten. Ja, die Piraten waren eine handfeste Bedrohung für das Stanton-System. Und ja, man kann auf der Station auch keine Mineralien mehr verkaufen – etwas, das wohl Shubin sehr gelegen kommt. Aber sonst? Zumindest in diesem Punkt gilt: Offenbar viel Wind um nichts. Ich habe die dunkle Ahnung, dass das nicht so bleiben wird.
Journal-Eintrag 23 / 02 / 2951
Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage werden wir angemorst – und zum zweiten Mal tappern wir brav hin. Diesmal möchte uns Kjeld Stormarnson seine Sicht der Dinge erläutern, was vor wenigen Tagen geschehen war und was sich hier vor unseren Augen entfaltet. Wir sitzen auf der Piratenstation Grimhex wie auf einer Hühnerstange nebeneinander, darunter auch Vertreter von Gruppen namens GBC und Yellohands, von denen ich noch nie zuvor gehört hatte. Auch sie scheinen irgendwie in die Verschwörung verwickelt zu sein, haben ebenfalls offenbar sonderbare Puzzleteile bekommen. Dann fallen lauter mir völlig unbekannte Namen – und relativ flott schalte ich ab. Plötzlich aber fällt ein Name, der mich aufhorchen lässt: Xedan Thormento. Er ist offenbar wieder aufgetaucht und liegt auf einer Krankenstation. Chhris will wissen, wann wir ihn befragen können, mir scheint: Stormarnson windet sich, will darauf nicht konkret antworten. Auch erfahren wir, dass McMarshalls Eltern für Microtech ebenfalls an Bio- bzw. Nanotechnolgie gearbeitet haben. Vielleicht wissentlich oder unwissentlich auch an „Enos“? Sie waren bei einem Metroloop-Unfall auf Microtech ums Leben gekommen, etwa zur gleichen Zeit, als sich auch der Unfall in Mobis Labor ereignete. Zufall – oder Mord? Kaum fügen sich in diesem Puzzle zwei Teile, passt es an anderer Stelle wieder nicht.
Journal-Eintrag 28 / 02 / 2951
Genau ein Jahr ist es her, dass „Off the Record“ seine Türen geöffnet hat. Ich erinnere mich noch genau an die erste Geschichte über einen Wächter auf Lorville, der durchbrannte und das Verse kennenlernte – und wie ich damals in der Redaktion über dieser Story brütete. Einsam, unsicher und doch voller Hoffnung. Danach folgten schnell viele weitere tolle Geschichten.
Nein, nie hätte ich damals mit dem großen Erfolg gerechnet, den die Redaktion innerhalb kürzester Zeit haben würde – welche Chance sollte ein kleiner Krauter schon gegen die großen NewsOrgs des Verse haben? Nun aber bin ich an der größten Story und Verschwörung dran, die das Universum vielleicht bisher jemals gesehen hat…
Ich laufe durch die Menschenmassen und begrüße jeden Gast einzeln – Chhris ist natürlich gekommen, auch Zero, Commander Mando, Thane McMarshall und viele andere. Hawk kümmert sich um die Technik im Hintergrund. Auch ist es schön, Jabea mal wieder zu sehen. Die Musik aus den Boxen wummert, die Getränke fließen in „Wallys Bar“ auf Microtech und der von mir eigens engagierte Moderator, ein Mann namens Junah Radegast, dem ich bei der Sendung zur Imperator-Wahl schon einmal begegnet war, lockert die Stimmung auf und führt Kurz-Interviews. Kurzum: Die Party zum einjährigen Bestehen von „Off the Record“ könnte nicht schöner sein. Schließlich vergesse ich für ein paar Stunden sogar den ganzen Schlamassel in dem wir mittlerweile bis über die Ohren drinstecken.
Auf Drogen
Der Call kommt kurz nach dem Aufwachen. Die Klimaanlage surrt so laut, dass ich den Anruf fast überhört hätte. Kalt ist es in dem kleinen Hub auch. Höchste Zeit, dass sich das mal ein Techniker anschaut. Ich friere und bin geneigt, mich noch mal umzudrehen. Schließlich aber rapple ich mich hoch, reibe mir die Augen – und blicke auf mein Mobi. Zero.
„Was gibt’s denn so dringend?“
„Auf mich ist ein Anschlag verübt worden!“
Sofort bin ich hellwach.
„Was…?“
„Auf Grimhex. Jemand hat mein Hub in die Luft gesprengt. Keine Ahnung, ob das nur eine Warnung sein sollte – oder ob ich einfach Glück hatte. Und dann war da noch so ein Hüne, der mich gewarnt hat, dass ich meine Nase nicht zu tief in Dinge stecken soll, die mich nichts angehen…“
„Wo bist du?“
„In einem Asteroidenfeld nahe Crusader versteckt.“
„Ich komme.“
Ich ziehe mir meine Klamotten an und mache mich auf den Weg. Auch am frühen Morgen ist es auf ArcCorp so geschäftig wie eh und je. Ich laufe am IO North Tower vorbei, dem größten Gebäude von Area 18. Gerade letztens erst hatte ich in einem Werbeprospekt gelesen, dass darin nur „glückliche Menschen leben und arbeiten“. Ich hetze weiter zur Bahn. Nach der Party auf Microtech hatte ich in der Redaktion mal wieder nach dem Rechten geschaut und war dann gleich auf ArcCorp geblieben.
Während die Bahn zum Riker Memorial schwebt, blicke ich aus dem Fenster auf die vorbei ziehende Silhouette der unendlichen Stadt und denke an meine Freunde – Hawk macht sich aktuell etwas rar, hat wohl anderweitig den Kopf voll, wie auch Jabea und Skorpi. Chhris ist ebenfalls stark eingespannt – und Zero steckt in der Klemme.
Am Spaceport lasse ich mir die „Clarke II“ in den Hangar stellen, renne fast zum Schiff. Normalerweise lasse ich mir Zeit. Mag der Rest des Verse sein Leben auch im Eiltempo durchleben – für mich hat nach 700 Jahren alles immer noch den Reiz des Neuen und Unbekannten. Drehe ich normalerweise sonst über der Stadt immer noch eine kleine Runde, so ziehe ich die „Clarke II“ nun geradewegs in den Himmel. Nur Minuten später bin ich im Weltraum und im Quantumjump zu Zero.
Ich sinniere. Jetzt also ein Anschlag. Oder zumindest eine extrem deutliche Warnung. Gefährlich, klar – einerseits. Andererseits heißt das aber auch: Wir sind auf der richtigen Spur. Irgendjemand hat Panik. Schließlich erreiche ich das Asteroidenfeld. Ich scanne die Gegend. Zero kommt über den Call.
„Bist du das, der da wie ein Irrer die Gegend scannt?“
„Yup, ich suche dich.“
„Auffälliger geht’s wohl nicht?“
„Okay, okay.“
Es dauert ein paar Momente, dann schält sich aus dem Nichts Zeros Schiff heraus, eine Prospector – clever, der Mann. Wesentlich unauffälliger als seine Star Runner. Alle Schiffskomponenten, die infrarote oder elektromagnetische Signaturen aussenden könnten, hat er auf das Minimum reduziert. Ich sehe, wie er sein Schiff verlässt und zu mir herüberschwebt, schließlich öffne ich ihm die Heckklappe.
Schon unter seinem Helm sehe ich sofort: Er sieht kreidebleich aus.
Zero steuert direkt sofort das Captainsquarter an.
„Hast du was zu trinken da? Vielleicht einen Whisky?“
„Glaube nicht“, antworte ich und grinse. Ich habe mittlerweile ja ein schönes Image.
Zero kippt einen Saft aus der Bordküche runter und ich sehe, wie er sich langsam entspannt.
„Nun mal der Reihe nach“, sage ich.
Zero nickt kurz, scheint seine Gedanken zu sammeln, dann bringt er mich auf den Stand der Dinge. Wie immer hat er auf eigene Faust in der Enos-Geschichte weiter recherchiert. Eine weitere Spur hatte zu eventuellen Hintermännern nach Grimhex geführt. Zero hatte Hinweise gefunden, dass die mir bis dato unbekannte „Asteroid Mining Corporation of Yela“ und die Nine-Tails ebenfalls hinter Project Enos her sind. Die Nine Tails sind im Stanton-System eine bekannte Piraten-Splittergruppe, mit denen ich auch schon das Vergnügen hatte. Im Admin Office von Grimhex erfuhr Zero zudem, dass die A.M.C.Y. mittlerweile zwar nicht mehr existiert. Ihr Gründer Daston Rim und sein Berater Ignotus verschwanden aber wie Xedan Thormento von einem Moment auf den anderen spurlos. Soweit kann ich folgen, wobei die Zahl der Akteure, die in diese Story verwickelt sind, mittlerweile weit über meinen Verstand hinausgeht.
“Aha“, sage ich, „und wie hilft uns das jetzt?“
„Na, das hilft uns so weiter, dass wir wissen, dass hinter Enos noch viel mehr Gruppierungen her sind“, erwidert Zero. Und offenbar gebe es zwei Seiten: Die eine will unbedingt die ultimative Waffe der Macht in den Händen halten, die andere will Unheil verhindern und im Zuge dessen streut sie für uns Brotkrumen und Hinweise, will aber selbst unerkannt bleiben. So habe mittlerweile auch Thane McMarshall eine Botschaft erhalten: „Löse mein Rätsel und rette das Leben aller”, habe darauf gestanden
Ich schnaufe tief durch.
Dann erzählt Zero, dass sich Unbekannte auch an seiner„White Rabbit“, so der Name seiner Star Runner, zu schaffen gemach hätten: „Alle meine Spezial-Komponenten sind geklaut worden. Alles, was ich eingebaut hatte, um unter dem Radar zu bleiben. Meine Spezialkühler, mein schneller Quantumdrive – alles weg.“
„Schöner Mist“, erwidere ich schließlich, „und jetzt?“
„Du könntest mir einen Gefallen tun. Ich müsste noch mal nach Grimhex.“
„Was? Wieso? Ich dachte, du bist von dort eben erst geflohen…“
„…ja, aber ich habe mit Wallace Kim aktuell einen Deal zu laufen und ich will ihn nicht enttäuschen. Also, ich müsste eine Lieferung machen…“
Ich weiß, dass Kim der örtliche Drogendealer auf Grimhex ist.
„Ich soll mein Schiff zum Drogenschiff machen?”
„Nur dieses eine Mal. Deine Schiffskennung ist auf Grimhex nicht registriert. Wir fliegen zu einem alten geheimen Eingang. Man wird überhaupt nicht merken, dass wir da waren.“
Ich schüttele den Kopf, sage dann aber: „Okay – kannst du mir vorher mal die Schmugglerverstecke auf meinem Schiff zeigen?“
Zero blickt mich konsterniert an.
„Wie..?“
„Ich war bisher noch nie da unten. Brauchte ich bisher ja nicht.“
Zero steht murmelnd auf.
„Hat das geilste Schiff im Verse, aber keine Ahnung …“
Zero nimmt auf meinem Schachspiel die weiße Dame und stellt sie auf der Anrichte der Küche auf eine kleine Platte, die aussieht wie ein gewöhnlicher Untersetzer – plötzlich schwenkt der kleine Tisch im Captains Quartier zur Seite und gibt einen geheimen Eingang in den Bauch des Schiffes frei.
„Ich bitte, mir zu folgen.“
Es ist in der Tat das erste Mal, dass ich durch die Eingeweide meiner Star Runner laufe – gebückt und darauf bedacht, mich nicht sofort zu verirren.
„Und du warst wirklich noch nie hier unten?“
„Nope.“
„Das gibt’s doch gar nicht.“
Schnell weiß ich auch warum – es ist das reinste Labyrinth mit verschiedenen Ein- und Ausgängen. Nach einer Sekunde habe ich Zero aus dem Blick verloren. Mir wird klar, warum die Mercury Star Runner das perfekte Schmugglerschiff ist. Auf keinem anderen Schiff kann man die Advocacy so gut narren. Rechts lang, links lang, rauf, runter – schmuggeln bedeutet eben mehr als nur etwas zu verstecken. Es ist das gekonnte Verwirrspiel mit Erwartungen. Schmuggler müssen Zauberkünstler sein – und die Mercury ist dafür der perfekte Zauberkasten. Mal kommen wir im Scannerraum raus, dann auf dem Frachtdeck. Sogar das Crew-Quartier hat einen versteckten Zugang. Bald habe ich jedoch genug gesehen.
„Ab nach Grimhex“, sage ich. Zero nickt und Minuten später sind wir unterwegs.
Angekommen, lotst mich Zero zu einem alten Eingang. Ich bugsiere das Schiff so nahe wie möglich zwischen die Asteroiden, dann verlässt Zero das Schiff und schwebt hinüber zu der alten Bergbaustation. Ich warte draußen. Über Funk höre ich, wie er sich durch die Station schleicht, offenbar unbemerkt zu Wallace Kim vordringt. Ich höre leise, wie die beiden miteinander verhandeln, dann kommt er auch schon wieder zurück.
„Alles klar, mich hat niemand bemerkt. Alles ruhig sonst auf Grimhex.“
Ich fahre leise die Triebwerke hoch und schwebe aus dem Schatten des Asteroiden. Ich denke mir nichts dabei, als es an der einen Stelle so komisch silbrig glänzt. Vielleicht eine ungewöhnliche Reflektion des Sonnenlichts.
„Wohin jetzt?“
„Daymar, Yela, Microtech. In der Reihenfolge.“
„Alles klar.“
Was man für Freunde nicht alles tut. Vom Chefredakteur zum Drogenkurier.
Auf Daymar holt Zero das Drogenpäckchen ab, während ich erneut im Schiff warte.
Schließlich fängt es an.
Zunächst halte ich es nur für eine kleine Sehstörung. Blitze zucken vor meinen Augen und mein Schiff scheint sich irgendwie … zu verändern.
„Was zum…?“
Zero kommt zurück an Bord.
„Jetzt nach Yela, Drogenlabor.“
Ich reibe mir die Augen und starte. Doch das seltsame Zucken geht nicht weg – im Gegenteil.
„Siehst du das auch?“, frage ich.
„Was sehe ich auch?“
„Irgendwas stimmt mit mir nicht.“
„Was ist jetzt schon wieder?“
„Nichts, nichts.“
Kaum auf Yela gelandet, geht Zero erneut seinen halbseidenen Geschäften nach. Ich beschließe, mir ein wenig die Füße zu vertreten – und als ich aus dem Pilotensitz aufstehe und mich umdrehe, trifft mich fast der Schlag: Die gesamte „Clarke II“ hat sich im Innern in ein Horrorschiff verwandelt. Ein Virus hat es befallen. Oder irgendwas stimmt ganz gewaltig nicht mit meinen Sehnerven, schließlich aber dämmert es mir: Ich bin auf Drogen. Und wie!
„Zero…“
„Ja…“
„Ich glaub, ich hab’ mir was eingefangen, während ich vor Grimhex auf dich gewartet habe…“
„Bru, nicht jetzt….“
„Im Ernst, mir geht es ganz und gar seltsam.“
Ich laufe durch mein Schiff – und sehe Farben, Formen und seltsame Muster, die noch nie zuvor gesehen habe. Als könnte ich plötzlich durch das Schiff halb hindurch sehen, als wäre ich irgendwie in einer Art „Matrix“ gefangen.
„Fuck, Zero, ich bin auf irgendwas drauf. Keine Ahnung, was das ist.“
„Ich fliege“, sagt er ungerührt. Nächster Stopp Yela, Drogenlabor.
Kaum gelandet, verlasse ich das Schiff. Die Halluzinationen werden immer schlimmer, nehmen schließlich ganz überhand.
„Zero, ich habe eine Vision. Ich knie vor dir und spreche dich als Master an.“
„Alter…“
Ich taumle aus dem Schiff und als ich mich umdrehe, sehe ich, wie mein ganzes Schiff von innen leuchtet, als wäre es der Eingang ins Jenseits.
Ich laufe zum Drogenlabor. Innen genau das Gleiche – nur noch schlimmer. Zeros Gestalt wird zum spukhaften Wesen, der gesamte Innenraum wirkt wie einem Geisterfilm entsprungen. Zu den Blitzen kommen jetzt Lichtflüsse, ganze Kanonaden und Lichtdome hinzu. Flashbacks durchfluten mich. Mir ist als müsste ich lachen und weinen in einem Atemzug.
„Wow. Das ist… wunder…wunderschön.“
Als ich schließlich zum Schiff zurücklaufe, sehe ich Zero in der Heckklappe, wie er bereits nach mir winkt.
„Zero, bist du das?“
„Wer sonst?“
„Na ja…ich dachte eben…“
Während Zero kurz darauf das Schiff nach Microtech fliegt, um sein Päckchen abzugeben, gebe ich mich ganz meinem Trip hin. Schließlich höre ich, wie er zu mir sagt: „Vielleicht solltest du auf Microtech doch erstmal einen Arzt aufsuchen. Wir steuern jetzt New Babbage an.“
Zero landet die „Clarke II“ und halb bewusstlos schleppe ich mich aus dem Schiff.
Die Visionen lassen immer noch nicht nach. Im Gegenteil: Mittlerweile sieht es aus, als wäre der ganze Hangar befallen, auch wenn mir mein Restverstand sagt, dass natürlich nur ich “befallen” bin. Ich folge Zero, der indes immer mehr mit der Umgebung zu verschmelzen scheint.
„Das wird wahrscheinlich die geilste Bahnfahrt ever“, sage ich, während ich mich schließlich in der Metroloop-Bahn ganz nach vorn stelle und festhalte. Und in der Tat: Ganze Kaskaden von Blitzen, Lichtnebeln unterschiedlicher Couleur und Fraktale, in denen sich das eine aus dem anderen schält und wieder zerlegt, bombardieren mein Hirn. Unfähig, dem irgendetwas entgegen zu setzen, lasse ich mich davontragen in einem Rausch aus Wellen und Formen. Ein Tunnel, gebaut aus Licht und Gefühlen, eine Fahrt ins Nirvana.
Schließlich holt mich Zeros Stimme zurück.
“Endstation. Wir sind da.”
Immerhin meine Beine gehorchen noch meinem Unterbewusstsein und ich stolpere fast besinnungslos Zero hinterher. Ich laufe die Treppe hoch, vorbei an hirnverbrannten Dauerjoggern, die an die ewige Jugend glauben – dann bleibt mir mein Herz wirklich fast stehen. Der Eingang zu Wallys Bar sieht aus eine Teufelsfratze – so wahr ich das hier schreibe. Ja, so hat man das schon oft gehört von Drogen: Erst ist alles wunderschön, makellos – dann folgt der Absturz, die nackte Angst, die Paranoia.
„Zero…ich…ich…“, stottere ich noch.
Dann breche ich zusammen.
Journal-Eintrag 28 / 03 / 2951
Maze. Eine volle Überdosis. Ein Arzt im Krankenhaus von New Babbage hat mich darüber aufgeklärt, worauf ich drauf war. Wie oft ich das nehmen würde, hat er gefragt, ob ich ein Junkie sei – und ich ob ich wüsste, wie gefährlich das sei. Nachdem ich alles verneint hatte, verließ er mein Zimmer kopfschüttelnd. Wahrscheinlich sind es immer wieder die gleichen Antworten, die er zu hören bekommt. Egal, die Blitze sind verschwunden, die Welt ist wieder klar. Maze also – eine der schlimmsten Drogen, die es im Verse überhaupt illegal zu kaufen gibt. Eine Handvoll Religionen wurden nach der Einnahme von Maze gegründet. Ich muss ein lautes Lachen unterdrücken – das erklärt meine Vision von Zero: „Zero Sense – Herrscher und Gebieter aus Levski.“ Wie heißt es in der offiziellen Galactapedia? Ich öffne mein Mobi: „Im Innern ist es eine wilde Reise.“ Ja, das kann man sagen. Und weiter: „Allerdings besteht die Gefahr, dass man nicht mehr davon runterkommt. Man bleibt im eigenen Kopf eingeschlossen, bis das Gehirn schließlich zerfällt.“ Es scheint, als hätte ich noch mal Glück gehabt. Jetzt ist mir auch klar, wie und wo ich überhaupt so vergiftet wurde: Die silbrig glitzernde Masse, die offenbar aus Lüftungsschächten von Grimhix ins All verdampfte, war Maze. Offenbar sollte es auf der Station eine Razzia geben – und in Panik haben die Dealer ihre Ware lieber über Bord gekippt, als bei so einem Fund für immer im Klescher-Knast Steine zu kloppen. Und ich bin genau durch so eine Schwade durchgeflogen, während ich auf Zero gewartet habe. Ein bisschen länger an Ort und Stelle und es wäre um mich geschehen gewesen.
Freier Mitarbeiter
Das Angebot klingt verlockend, nur habe ich leider überhaupt keine Zeit und auch nicht wirklich Lust. Außerdem hängt mir auch noch meine Drogenerfahrung in den Knochen. Ich lese die Einladung ein zweites Mal…
– uff, nee…aber warte mal…Junah Radegast. Ich sinniere kurz. Er hatte die erste Geschichte überhaupt für „Off the Record“ geschrieben, über den ausgebüchsten Wächter Lorvilles – „Steves Wandlung“. Und es war ihm auch ziemlich gut gelungen, ihn zu knacken. Ob er sich traut, es diesmal gleich mit einer ganzen Mannschaft aufzunehmen? Nach zweimaligem Summen ist die Verbindung über das Mobiglas hergestellt.
„Hi Junah, John Brubacker hier von „Off the Record“….wie läufts?“
„Gut – und bei dir?“
„Du, ich habe da vielleicht was dich. Wir hatten ja letztens mal kurz gequatscht, dass du für mich ja mal aktiv werden könntest… ja, also pass auf…ich habe hier eine Einladung bekommen von Drake Interplanetary, dem Schiffshersteller – kennst du, oder?
„Klar…“
Ich lese ihm die Einladung vor.
„…okay, das ist natürlich alles Marketing-Blabla. Die wollen, dass wir schreiben, wie super ihr Schiff ist. Eigentlich sage ich so was ja auch immer ab. Aber ich finde, in dem Fall sollten wir uns die Gelegenheit vielleicht nicht entgehen lassen. Und schreiben eine Super-Story, nur halt ganz anders, als die sich das so denken.“
Ich merke, wie Junah am anderen Ende ganz Ohr ist. Ich weiß genau, welche Story ich für „Off the Record“ gern hätte – also lege ich los: Was sind das da für Typen an Bord? Ist der Captain ein alter Brummbär und warum? Was ist der Lademeister für ein Kerl? Ist der Koch ungewaschen? Kriegt der Ingenieur die Zähne auseinander? Kurzum: Wie managen die so einen Flug?
Ich lobe Junah noch ein wenig, gehe ihm um den Bart, dann sage ich: „…und bevor du was sagst: Ich brauche jetzt echt ne schnelle Antwort. Der Captain wartet in der Bar auf Lorville und nimmt dort gerade einen Schluck…“
Junah druckst ein wenig herum, fragt ernsthaft als freier Mitarbeiter bei seinem ersten Job nach einer guten Bezahlung; ob er sich da auch die Finger schmutzig machen muss – dann sagt er jedoch zu. Ich lege auf und grinse mir eins. „Off the Record“ hat seinen ersten Reporter im Feld.
Zwei Stunden später ruft Junah zurück.
„Sag mal, wo hast du mich denn da hingeschickt? Kennst du die eigentlich?“
Ich verneine. „Nee, der Vorschlag kam ja von Drake direkt. Was ist denn los?“
„Na, der Captain hat, sagen wir mal so…eine gewisse Attitüde…“
Ich lächle still in mich hinein.
„Stell dich nicht so an, so ist das Reporterleben nun mal.“
Junah schickt den ersten Teil seines Videologs rüber. Ich klicke mich schnell mal durch: Fünf Leute sind außer Junah an Bord: Neben dem Captain Jim Connor, ein Ingenieur, dazu ein Koch, ein Lademaster und der Pilot. Standardbesatzung für einen Frachter dieser Größe. Der Koch und der Lademeister scheinen nicht die hellsten Kerzen auf der Torte zu sein. Der Koch quatscht ständig von Zwiebeln, der Lademeister – Kurtchen – scheint eher einfacherer Natur zu sein und ist bemüht, es allen recht zu machen. Und in der Tat: Dem Captain ist es offenbar von Anfang an zu viel, dass ihm Drake diesen Auftrag aufs Auge gedrückt hatte. Für ihn ist Junah nur Ballast. Mir huscht ein Lächeln nach dem anderen übers Gesicht – das kommt mir in der Tat alles sehr bekannt vor aus meinem früheren beruflichen Leben…
Generell macht Junah das jedoch gut, fühlt ihnen auf den Zahn, lässt sie schön zu Wort kommen, schmeichelt sich ein wenig ein. Es scheint: Die Crew ist auf die Cat zwangsverpflichtet worden – jedenfalls muss sie sich ebenfalls erst zurecht finden. Bald aber zeigt sich: Der ursprüngliche Frachtauftrag kann nicht wie geplant durchgeführt werden. Der Pilot, ein Mann namens Tony Limoni, erhält wegen zu vieler Strafzettel plötzlich keine Starterlaubnis, sodass der Captain selbst fliegen muss. Wie aus dem wahren Leben gegriffen. Kurzum: Es geht zurück nach Hurston.
Unterwegs erzählt der Koch Gordon Wayshum ein wenig von seiner täglichen Arbeit an den Kochplatten und dass er das meiste mit Salz geregelt kriegt, auch „Kurti“ – so nennen alle den Lademeister – erzählt einen Schwank aus seinem Leben und wie in einem Sonnensturm einmal eine riesige Ladung Katzenfutter derart überhitzte, dass alle Dosen platzten und das ganze Schiff innen komplett versauten. Einen Monat habe es im Schiff gestunken, als wäre darin jemand verwest. Der Ingenieur, ein Mann namens Taran Solari macht indes im Hintergrund einen soliden Job, gibt ab und zu Statusmeldungen durch.
Junah und ich sprechen noch kurz. Schließlich beenden wir unser Gespräch. Ich schreibe Drake anschließend, dass die Geschichte leider nicht so wurde, wie gedacht – aber dann ist auch gut. Sollen sie es halt besser organisieren. Im Nachhinein höre ich, dass Junah noch eine zeitlang mit den Jungs unterwegs war, sie „auf Pilzen“ irgendwo in einer Höhle fast versackten. Herrgott Junah, als Reporter verbrüdert man sich doch nicht gleich …
Radio Infinity
Der Anruf kommt so unverhofft wie unvermittelt.
„John Brubacker von Off the Record?“
“Ja?”
“Paul Mason hier von Radio Infinity. Sie kennen uns?”
„Habe ich schon mal gehört“, antworte ich. „Ein kleiner Radiosender auf ArcCorp. Gute Laune und so.“
„Genau. Haben Sie Lust für uns zu arbeiten?“
„Entschuldigen Sie, aber ich habe schon eine Redaktion.“
„Natürlich. Ich dachte auch eher an eine kleine Kooperation.“
„Ich bin ganz Ohr.“
Ich komme mir recht geistreich vor bei dieser Antwort, doch Mason, Chefredakteur von „Radio Infinity“, geht nicht darauf ein. Mit schnellen Worten erklärt er, warum er anruft. Ich soll Interviews mit Bürgern des Empires machen. Bewohnern wie Du und ich. Da hinhören, wo sonst keine von den großen Newsorgs mehr so recht hinhört.
„…also, was sagen Sie?“
„Bin dabei“, sage ich kurzentschlossen. Es kann nicht schaden, seine Fühler ein wenig auszustrecken – und auf diese Weise vielleicht auch „Off the Record“ etwas bekannter zu machen.
„Die Sendung heißt Standpunkt, einen Jingle gibt es schon. Wir würden dann einfach noch Ihren Namen hinten dranhängen.“
„Okay.“
Ich fühle mich zwar ein bisschen überrumpelt, aber manche Gelegenheiten sollte man nicht einfach so verstreichen lassen.
„Die erste Sendung soll am 1. Mai starten. Das ist in zwei Wochen. Schaffen Sie das und haben Sie da vielleicht auch schon jemanden, der etwas zu sagen hat?“
Ich sinniere kurz – Zero Sense.
„Ja, ich hätte da…“
„…müssen Sie mir gar nicht erklären. Ist ja Ihre Sendung. Sie wissen ja, wie wir hier beim Radio ticken: Bisschen aufgekratzt, mit Dampf unter der Haube. Aber auch informativ.“
„Alles klar.“
Mason legt auf. So schnell, wie das Gespräch begonnen hatte, ist es auch schon wieder vorbei. Jetzt bin ich plötzlich Radio-Moderator.
Zwei Tage später.
Zero Sense und ich sitzen uns im Studio von „Radio Infinity“ auf ArcCorp gegenüber, das Mikrofon zwischen uns. Ich musste ihn ein wenig bequatschen mitzumachen, nun ist er aber voll auf Touren. Ich hatte ihm meine Fragen vorher zu lesen gegeben.
„Stell Dich auf was ein…“, sagt er noch.
„Pscht, denk dran, wir sind gleich per Sie…“
Dann leuchtet die rote Lampe auf, die signalisiert, dass wir ab sofort live sind.
„Herzlichen Willkommen zu Standpunkt…“, lege ich los.
In der folgenden Viertelstunde zieht Zero Sense richtig vom Leder. Er redet sich regelrecht in Rage – darüber, dass sich die UEE einen Dreck für die Bewohner in den äußeren Systemen interessiere, wie der Staatsapparat umgebaut werden müssen, dass die Imperatorwahl für die meisten Menschen nichts zum Besseren verändern werde und, und, und. Mit meinen teils recht zugespitzt formulierten Fragen liefere ich ihm dafür die entsprechende Vorlage.
Schließlich erlischt das Aufnahmelicht und wir lassen uns in unsere Stühle zurückfallen.
Mason stürmt zur Tür herein.
„Das war super – unser neuer Interview-Star…“
„Na ja…“
„Nee, wirklich, das war richtig fetzig. Auf Krawall gebürstet. Nicht so lammfrom. Das Verse ein wenig aufmischen…das ist genau Ihr Format. Sagen Sie mal, wollen Sie eigentlich auch die News für uns schreiben? Unser bisheriger Nachrichtenredakteur ist gerade in Rente gegangen.“
„Ich….“
„Klar, kein Problem für Sie…weiß ich doch…alles klar…also dann… weiter so….“
Dann ist er wieder zur Tür raus.
Diese Radiotypen gehen mir jetzt schon auf den Wecker.
Der Sender ist gerade erst gegründet worden – und man merkt: Die wollen hoch hinaus.
Zero guckt mich schelmisch an.
„Läuft gut für dich, oder? Medienstar und so?“
“Klar, willste ‘nen Autogramm?”
Zero legt den Kopf schief.
„Hey, Zero, ich bin’s, Bru. Relax! Lass uns lieber an der Killersatelliten-Story weiter recherchieren.“
Ein Lächeln huscht ihm übers Gesicht.
„Genau, ich hab da auch schon was…“
Ein erster Beweis
“Wie siehst du denn aus?!“
„Bin auf der Sonnenbank eingepennt“, erwidere ich lakonisch. „Ich dachte, ich gönn’ mir mal was nach dem ganzen Stress.“
Zero kommt aus dem Lachen nicht mehr raus.
„Du bist beim Radio, nicht beim Fernsehen. Du musst da nicht gut aussehen.“
„…davon ist Bru auch weit entfernt.“ Chhris hält mir seinen Zeigerfinger ins Gesicht, als hätte ich da einen übergroßen Pickel.
„Ja, stimmt. Fett ist er auch.“
„Und wie kommt das nun wieder?“
„Aufgedunsen“, erwidere ich. „Eine Nachwirkung des Maze-Trips. Kann vorkommen, hat der Arzt gesagt.“
„Herrje, geht das wieder weg?“
„Ich hoffe es.“
Nach dem Aufstehen hatte mich fast der Schlag getroffen. Ich sehe in der Tat aus wie eine gebräunte Qualle. Wir haben uns auf Everus Harbor getroffen. Zero hatte mit seiner „White Rabbit“ eine Nachricht abgefangen, die uns aufhorchen lässt:
„Information bezüglich Satelliten-Prototyp E. Die fehlende Komponente für die nächste Stufe der Waffe wurde geliefert. Transport-Schiff hatte nach Verlassen der Höhle einen Crash. Sicherungskräfte sind vor Ort. Koordinaten im Anhang.“
„Satelliten-Prototyp E?“, wiederhole ich. „Klingt nach Enos.“
Die anderen beiden nicken.
„Das Wrack sollten wir uns mal ansehen“, sagt Chhris.
„Deshalb sind wir hier“, erwidert Zero.
Zum Begleitschutz – und weil wir schlicht nicht wissen, was uns dort erwartet – hat Zero die „Yellow Hands“ für den Einsatz rekrutiert, eine im Stanton-System bekannte Söldnertruppe. Gemeinsam gehen wir schnellen Schrittes zu den Schiffen – schließlich wissen wir nicht, wie viel Zeit uns bleibt, bevor Plünderer das Schiff entdecken. Ich renne den anderen hinterher, so schnell ich kann. Es zwickt, während mir der Undersuit immer tiefer zwischen die Pobacken rutscht.
„Bru, kommste?“
„Ja, geht heut’ nicht so schnell. Der Raumanzug spannt etwas.“
Minuten später sind wir an Bord von Zeros Mercury. Ich lasse mich auf den Co-Piloten-Sitz plumpsen.
„Nicht, dass wir deinetwegen noch Schlagseite kriegen.“
„Is’ gut jetzt!“
Das Wrack hat es bei seinem Aufschlag in zwei Hälfen zerrissen. Es ist eine Starfarer von Musashi Industries – oder vielmehr das, was noch davon übrig ist. Die Starfarer ist ein Tanker für Quantumfuel. Offenbar ist dieser beim Aufprall explodiert.
Ich kämpfe mich von unserer Landestelle mühsam gegen einen Sandsturm zum Wrack vor, während die Yellow Hands das Gelände sichern. Zero und Chhris sind vorgeeilt, über Headset höre ich, wie sie das Wrack untersuchen. Gerade als ich es auch erreiche, hat Chhris in dem Wrackteil, was mal das Cockpit war, das Logbuch des Captains gefunden. Dessen letzter Eintrag lautet so:
„Ein Crewmitglied ist an einer seltsamen Krankheit erkrankt. Ich weiß nicht, ob das mit unserer Ladung zu tun hat. Aber er war der einzige mit direktem Kontakt zur Fracht. Befürchte sehr hohe Ansteckungsgefahr. Keine Zeit für einen Umweg, um ihn medizinisch zu versorgen. Termingerechte und direkte Lieferung hat allerhöchste Priorität. Sehe keinen anderen Weg, als ihn in einer Höhle auf dem Mond Aberdeen auszusetzen. Sollen ihn andere retten, falls er überlebt.“
Drunter sind die Koordinaten der Höhle eingetragen.
„Toller Captain“, keuche ich hervor, „wirft seine Leute einfach aus seinem Schiff, wenn einer krank wird.“
„Wir müssen in diese Höhle“, sagt Zero nüchtern.
„Was? Bist du verrückt? Wenn es sich um Enos handelt, stecken wir uns damit vielleicht auch noch an.“
Chhris ergreift das Wort.
„Zero hat recht. Wollen wir dieser Verschwörung auf den Grund gehen, müssen wir in diese Höhle. Wer weiß, was wir da noch finden.“
Ich schüttele den Kopf.
„Habt ihr schon mal darüber nachgedacht, warum das Schiff hier überhaupt runtergekommen ist? Vielleicht hatte Enos auch die anderen befallen…wer weiß, was Enos mit den Leuten macht.“
Die anderen sagen nichts.
„Und überhaupt: Haben wir hier Leichen gefunden? Nein! Wo zum Henker ist die Besatzung des Schiffes? Ich sag’s euch: Weggeschafft worden.“
„Das Logbuch des Captains haben sie jedenfalls übersehen“, erwidert Chhris. „Das ist unsere Chance.“
Ich muss zugeben, dass das etwas für sich hat.
„Hmm…also dann, auf nach Aberdeen.“
Die Yellow Hands sichern auch diesen Einsatz ab – auch hat unser Trio plötzlich Zuwachs bekommen – kurz vor dem Aufbruch waren wir an dem Wrack über Fabian, Chhris jugendlichen Freund, gestolpert. Er hatte an dem Wrack nach möglichen Kostbarkeiten gesucht. Er war durch Zufall beim Überflug über Hurstons Einöde darauf gestoßen. Ein weiterer guter Pilot an unserer Seite kann jedenfalls nicht schaden.
Vor Ort geht es schnell immer tiefer in die Höhle hinein – die sich zu unserem Erstaunen alles andere als leer erweist. Im Gegenteil: Plötzlich wird auf uns geschossen und wir sind froh, dass die „Yellow Hands“ ein ums andere Mal die Situation klären.
Eine Frage manifestiert sich alsbald in unseren Köpfen: Was bewachen die in der Höhle? Ihre Uniformen geben darüber keinen Aufschluss. Dafür entdecken wir Halterungen, die geeignet gewesen ein könnten, um einen biologischen Kampfstoff zu fixieren und zu transportieren.
Wir finden einen toten Miner, der offenbar den Ausgang nicht mehr gefunden hat, den Kranken der Starfarer jedoch nicht. In einer weitläufigen Höhle ruft uns Zero schließlich zu sich herüber.
„Lest hier“, sagt er fast atemlos.
Ich leuchte mit meiner Lampe auf ein Schild an einer großen Kiste, die mehrfach gesichert und eingeschweißt ist. Darauf steht:
„Vorsicht. Dekontaminierung.“
Wir alle drei wissen sofort, was damit in Wirklichkeit gemeint ist: Enos.
Wie reimen uns zusammen, was passiert ist: Die Starfarer sollte Bio-Komponenten für den Killersatelliten liefern und diese in der Höhle auf Aberdeen zwischenlagern. Während des Fluges erkrankte das Besatzungsmitglied und wurde mit dem Material zurückgelassen. Unbemerkt hatte es aber bereits die gesamte Besatzung angesteckt, was zum Absturz auf Hurston führte. Und wir sind in der Höhle schließlich mitten in die Aufräumaktion geplatzt. Leiche und Biowaffen waren schon fortgeschafft.
Die Spur wird heißer.
Journal-Eintrag 27 / 04 / 2951
Ich gehe auf ArcCorp ein wenig spazieren. Zeit, mal ein wenig den Kopf durchzulüften – als ich plötzlich ein mir bekanntes Gesicht sehe, das ich aber nicht sofort einordnen kann. Ich könnte schwören, ich habe dieses Gesicht schon einmal gesehen – dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen: der Koch an Bord des Frachters, über den Junah Radegast eine Video-Reportage gedreht hat. Der Mann beobachtet gerade einen vermeintlichen Zirkustrick von zwei Personen auf einer Parkbank.
„Schön, Sie zu treffen…“, sage ich.
“Wie bitte?“
„Sie sind doch der Koch von dem Frachter…ich bin John Brubacker, Chefredakteur von Off the Record…ich habe den Auftrag vergeben, bei dem…“
„Sie müssen mich verwechseln.“
Ich blicke der Person direkt ins Gesicht. In der Tat klingt seine Stimme völlig anders. Und doch sieht die Person aus, als wäre sie dem etwas einfältigen Koch wie aus dem Gesicht geschnitten.
„Ich…tut mir leid. Sind Sie sicher, dass Sie keinen Zwillingsbruder haben?“
„Absolut. Von welcher Zeitung sind Sie?“
„Off the Record. Ist noch eine sehr junge Redaktion.“
„Verstehe – hier auf Arc Corp?“
Wir kommen immer weiter ins Gespräch – schließlich laufen wir an der Redaktion vorbei und landen in der „G-Loc-Bar“. Ein guter Ort, um jemanden kennenzulernen.
Ich erfahre, der Mann heißt „Daos“, ist ein klassischer Freelancer – nimmt jeden Auftrag an, der sich ihm bietet. Ich plaudere ein wenig aus dem journalistischen Nähkästchen, es zeigt sich: Wir hatten beide mal eine Carrack – Daos hat seine immer noch – wir tragen ähnliche Klamotten und scheinen auch sonst eine ziemlich ähnliche Sicht auf die Dinge im Verse zu haben. Schließlich tauschen wir die Nummern unserer Mobiglas aus. Wir beschließen in Kontakt zu bleiben.
Einer geht, einer kommt
Türen knallen, nebenan wird sich lautstark unterhalten, draußen auf dem Gang ist ständig jemand unterwegs. Die kommende Messe – sie geht mir jetzt schon auf die Nerven. Das halbe Verse, so scheint es, ist ins Stanton-System angereist, richtet sich auf Microtech behaglich ein. Keine Frage: Die Invictus Launch Week ist für das UEE-Militär eben verseweit der wichtigste Tag im Jahr. Die frischen Rekruten treten ihren Dienst an. Es ist ein Tag der Selbstvergewisserung, des Stolzes, der Stärke. Und: Die Hersteller nutzen den Tag, um auf einer angeschlossenen Messe modernstes Kriegsgerät vorzustellen, das sie wahrscheinlich zu Mondpreisen an das UEE verkaufen. Kurz: Es ist allerhand los im Stanton-System.
Ich raffe mich auf, ziehe mich an. Zeit, mich ins Getümmel zu stürzen. Noch sind es zwar ein paar Tage Zeit bis zur Eröffnung der Messe, eine kleine Vorrecherche kann aber nie schaden. „Radio Infinity“ hatte mich angefragt, ob ich für sie vielleicht eine Radio-Reportage anfertigen könne. Warum nur kann ich auch meine Klappe nicht halten? Im Gespräch mit dem Chefredakteur hatte ich getönt, dass ich der perfekte Reportage-Schreiber sei – das habe ich nun davon. „Dann kannst du das bestimmt auch für uns“, hatte er geantwortet und schon war er zur Tür hinaus.
Ich verlasse das Hub des Grand Aspire und habe mich nicht getäuscht. Unzählige Menschen auf den Fluren und ich mittendrin. Unerkannt, allein. Wie heißt es so schön? Neues Jahr, neue Freundschaften. Es ist erst ein Jahr her, dass ich mit Jabea, Skorpi und Hawk gemeinsam auf der Invictus Launch Week auf ArcCorp gemeinsam unterwegs war. Nun haben sich unsere Wege schon wieder weitestgehend getrennt. Ich bedauere das, aber Hawk wollte einfach nicht mehr warten, um sich auf die Suche nach seinen Eltern im Vega-System zu begeben. Ich kann ihn ja sogar verstehen. Es lebt sich schrecklich mit Ungewissheit. Seit er als Chefingenieur der „Clarke I“ abgemustert und ich das Schiff verkauft hatte, war unsere Verbindung ohnehin schon lockerer geworden. Da über ihn auch die Bande zu Jabea und Skorpi geknüpft waren, haben sich nun auch diese Freundschaften gelöst. Aber: So ist eben das Leben, Menschen kommen, Menschen gehen, die wenigsten bleiben. In all den Jahrhunderten hat sich das nie geändert. Es ist wohl etwas, das dem Menschen innewohnt. Vertrautheit suchend, gleichzeitig auch immer im Aufbruch.
Ich nehme den Fahrstuhl hinunter in die Lobby. Auch dort vibriert schon alles im Zeichen der Invictus Launch Week. Selbst für einen reichen Planeten wie Microtech dürfte das eine Einnahmequelle sein, die er nicht alle Tage hat. Plakate zur Messe hängen an den Wänden, hochrangige Militärs kreuzen ebenso meinen Weg wie auch einfache Besucher. Es sind Eltern, Freunde, Bekannte der Rekruten, denen ihre Dienstzeit bevorsteht. Schüchtern stehen sie oft mittendrin, als wenn es auf Klassenfahrt ginge. In wenigen Tagen werde ich mit einigen von ihnen Interviews führen, werde versuchen, ihre Gefühle zu beschreiben.
Noch aber laufe einfach durch sie hindurch, lasse alles auf mich wirken. Radio-Reporter für „Radio Infinity“ und Chefredakteur von „Off the Record“, inkognito. Schließlich wird es mir zu viel – bald wird mir der Trubel noch zur Genüge bis unter den Kragen meines Raumanzugs stehen. So mache ich mich schließlich mit der Bahn auf zum Raumhafen, um Microtech wenigstens für ein paar ruhige Stunden den Rücken zu kehren. Weit weg will ich jedoch nicht – ich fliege nur hinauf nach Port Tressler, mal ein wenig Abstand gewinnen. Ich trage meine Rust-Society-Rüstung, einfach weil sie bequem und nicht allzu schwer ist. Kaum angekommen, werde ich an einem Kaffeeautomaten angesprochen, der sich beharrlich weigert, seinen Dienst zu tun.
„Hallo Bruder!“
„Bruder..?“
„Na, deine Rüstung. Du bist doch ein Rusty – oder etwa nicht? Ich bin einer.“
„Ich…ähm…nein“, erwidere ich verdattert.
Ich stottere ein wenig herum, weil ich mich in diesem Moment nicht mehr daran erinnern kann, wo ich die Rüstung eigentlich her hatte. Schließlich sage ich, dass mir der Grundgedanke, der mit der Rüstung verbunden ist, aber durchaus gefällt – der einer Gemeinschaft, die sich gegenseitig stützt und hilft. Ich ernte anerkennendes Kopfnicken, dann werde ich auch schon auf einen Kaffee eingeladen.
„Diese Automaten funktionieren nirgendwo im Verse“, sagt der Fremde und stellt sich schließlich als Nick Cartago vor.
„Stimmt“, antworte ich, „das tun sie wirklich nicht.“
Wir beschließen, in ein nahe gelegenes Café zu gehen. Ich erfahre, dass Cartago ein Frachterpilot mit eigener Caterpillar ist, eingeschworener „Rusty“ noch dazu, ich erzähle ihm was mich nach Microtech verschlagen hat. Es scheint, dass wir uns ganz sympathisch sind. Schließlich entscheiden wir uns für einen kleinen Rundgang über die Station – eine gute Idee, die letzten Wochen habe ich eh viel zu viel Zeit am Schreibtisch verbracht.
Wie immer, wenn man sich ein wenig Zeit nimmt, kann man Neues entdecken, das einem zuvor noch nicht aufgefallen war – so auch diesmal auf einer vermeintlich öden Raumstation, wie es tausende im Verse gibt. Im oberen Stockwerk trauen wir unseren Augen nicht. In einer Ecke, die ebenfalls mit dem verräterischen Namen „Coffeeshop“ bezeichnet ist – an dem es aber interessanterweise keinen Kaffee zu kaufen gibt – ist Rasen auf dem Boden verlegt. Waschechter Rasen! Ich muss mich einmal kneifen, um es glauben zu können. Ich hocke mich hin und streiche mit den Fingern hindurch.
„Yo“, sage ich, „warum auch nicht?“
„Jepp“, ergänzt Cartgo, der so etwas offenbar auch zum ersten Mal sieht.
„Komisch ist es aber schon.“
„Absolut.“
Ich blicke mich um. Gleich gegenüber unter Birken, die hier seltsamerweise auch wachsen, geht der Rasen weiter. Darüber prangt ein riesiges Schild: „Rest & Relax“. Coffeeshop steht über dem Laden – und der Verkäufer macht einen recht – nun ja – tiefenentspannten Eindruck.
„Ich glaube…“
„..das ist Gras“, vollendet Cartago den Satz.
Ich ziehe meine Schuhe aus und laufe barfuß darüber. Bald fühle ich mich ganz leicht und entspannt. Das Gras – es dünstet aus. Stoned werden, ohne etwas zu rauchen. Ganz was Neues. Es ist nicht wie beim Maze-Drogentrip, eher entspannt und leicht. Schließlich lasse ich mich hinein fallen. Die bevorstehende, hektische Flottenwoche, der Verlust guter Freunde, das bescheuerte Gute-Laune-Radio, das ich mir da aufgehalst habe – alles ist plötzlich weit weg.
Cartago schaut mich entgeistert an.
„Solltest du auch mal probieren“, sage ich.
„Bist du sicher, dass du Reporter bist?“
„Klar, ein Spitzen-Reporter“, erwidere ich. „Einer, der eben Dinge ausprobiert.“
Ich schnüffle am Gras und blicke hinüber zum weißen Mülleimer, der plötzlich wie eine riesengroße Tüte aussieht.
„Morgens ein Joint und der Tag ist dein Freund“, murmele ich.
Dann drängt sich mir eine Frage auf, die schon lange in mir schlummert: Warum nur beginnen meine neuen Bekanntschaften immer nur auf so absurde Weise? Einer geht, einer kommt. Ja, ja. So ist das Leben…ich wische den Gedanken mit letzter Kraft beiseite wie eine lästige Fliege, dann penne ich an Ort und Stelle ein.
Radio-Reporter
Ich habe für „Radio Infinity“ meine erste Radio-Reportage gesprochen. Es war ein komisches Gefühl, so vor dem Mikrofon zu sprechen. Fast kam ich mir ein wenig vor wie ein Theaterschauspieler. Andererseits: Warum nicht mal etwas Neues ausprobieren? Hier jedenfalls das Transkript, eigentlich ganz gelungen, wie ich finde. Ich bin jedenfalls gespannt auf die Reaktionen der Zuhörer. Außerdem hat die Arbeit daran tief in mir eine Saite zu Klingen gebracht. Wie eine Erinnerung an…ach, ich weiß nicht…
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… und hier ist die wöchentliche Radio-Reportage bei Radio Infinity. Mein Name ist John Brubacker. Herzlich Willkommen! Ich berichte heute live von Bord der Javelin „War Hammer“, einem Schlachtschiff der UEE. Während ich mit Ihnen spreche, hat dieses an der orbitalen Raumstation Port Tressler angedockt, direkt über dem Planeten Microtech im Stanton-System. Unter uns, in der Hauptstadt New Babbage, feiert das Militär des Empires die „Invictus Launch Week 2951“. Es ist eine Woche, die wie kaum eine andere für Zusammenhalt und Kameradschaft steht. Zum ersten Mal seit Jahren hat die Navy ein wenig ihre Tore geöffnet. Sie lässt nicht nur die Rekruten der kommenden Dienstzeit an Bord ihrer Schiffe, sondern auch Zivilisten, Besucher, Interessierte und Medien.
Um mich herum herrscht dichtes Gedränge. Jeder will einmal einen genauen Blick in eines der größten Schiffe der Navy werfen. Unter den Besuchern sind die jungen Rekruten, aber auch ihre Eltern, Freunde und Verwandte. Es ist eine Mischung aus Unsicherheit und Vorfreude, die den jungen Menschen ins Gesicht geschrieben ist. Mit wem wird man sich an Bord gut verstehen? Wer wird eines Tages derjenige sein, der einem den Rücaken deckt, wenn es hart auf hart geht da draußen und wer wird derjenige sein, mit dem keiner Dienst schieben will? Was wird ihnen bevorstehen? Welche Abenteuer werden sie erleben, welche Freundschaften schließen, welche Verluste erleiden? Es sind Fragen, die unausgesprochen im Raum stehen – und doch schweben sie über allem.
Das Schiff selbst, es glänzt und strahlt an allen Ecken anlässlich der „Invictus Launch Week“ – fast so, als könnte ihm nichts im Verse etwas anhaben. Als sei die „War Hammer“ immun gegen jegliche Gefahren, die auf sie lauern mögen. Ein entsprechendes Sicherheitsgefühl vermitteln auch die Guides, die an Bord darüber aufklären, wie es in der Messe zugeht, in den Crewquartieren oder an einem der riesigen Turrets, an denen eine junge Offizierin zunächst eine kurze Einweisung gibt. Sie ermahnt, dass die „War Hammer“ ein im Dienst befindliches Kriegsschiff ist, dann erteilt sie mir die Erlaubnis, einmal selbst an den Feuerknöpfen der riesigen Waffe zu sitzen. Natürlich ist der Feuermodus deaktiviert, die Kraft, die man in den Fingern zu spüren glaubt, ist aber echt, wenn sich das gewaltige Geschütz mit einer kurzen Nachlaufzeit neu ausrichtet. Wer an Bord wird eines Tages ein Meisterschütze sein – und wer wird ein Kingship der Vanduul nicht einmal dann treffen, wenn es einen Triebswerksschaden hat? Die Spreu wird sich an Bord recht schnell vom Weizen trennen, so viel ist klar und das weiß an Bord auch jeder. Ich verlasse das Turret wieder, ernte ein freundliches und doch reserviertes Nicken, dann laufe ich weiter durch das Schiff.
Der Skipper der „War Hammer“ hat nur gewisse Bereiche zur Besichtigung freigegeben – kein Wunder, viele sind extrem sicherheitssensibel, die Brücke ist zum Beispiel komplett gesperrt. Ich laufe ein paar Treppen auf und ab, die jedoch alle in Sackgassen enden – wo auch die Freundlichkeit der Navy ein Ende findet. Unmissverständlich werde ich von Posten an den Türen zurückgewiesen. Nicht einmal ein kurzer Blick durch kleine Sehschlitze in den Türen ist erlaubt. Nun denn, es gibt auch so genug zu sehen. Mir fallen viele Kleinigkeiten ins Auge. Das Schiff ist im Innern zwar spartanisch, vermittelt aber dennoch Geborgenheit. Schilder zeigen auf allen Decks, wo man sich befindet und wie man am schnellsten zum Ziel kommt. Sicherlich eine gute Sache für die neuen Rekruten. Und natürlich dürfen auch die obligatorischen Spielautomaten nicht fehlen – wie die Besucher lernen, ein heiß umkämpfter Kampfplatz um virtuelle Plätze und Punkte an Bord.
Nach einem guten 20-minüten Rundgang verlasse ich die „War Hammer“ wieder und laufe zurück durch die Gangway nach Port Tressler. Wenige Minuten später ist das Schiff auch schon wieder unterwegs und dreht zwischen den Planeten ArcCorp, Microtech und Hurston seine Runden. Jeder in Stanton soll während der „Invictus Launch Week“ die Gelegenheit haben, an Bord gehen zu können. Geradezu friedlich schwebt es dahin, ist sich seiner Kraft bewusst. Ich bin mir sicher: Sollten Piraten aus Pyro auf Ärger aus sein, oder gar die Vanduul plötzlich in Stanton einfallen – es wäre binnen Sekunden kampfbereit.
Journal-Eintrag 26 / 05 / 2951
Ich habe mich mit Zero Sense noch einmal auf der Invictus Launch Week getroffen. Er hat mir atemlos erzählt, dass ihm die Advocacy seine geliebte „White Rabbit“ unterm Hintern weggenommen hat – mit millionenschwerer Ladung an Bord. Zero war ganz aufgelöst. So kenne ich ihn gar nicht. Schmuggelware sei nicht der Grund gewesen, erzählt er. Zero vermutet stattdessen böse Mächte dahinter – erst wurde sein Hub auf Grimhex in die Luft gesprengt, jetzt sein Schiff konfisziert. Er glaubt, dass wir den Hintermännern von Enos vielleicht näher sind, als wir glauben. Ich habe vorgeschlagen, dass wir uns zunächst die Messe anschauen, um ein wenig herunterzukommen, dann könne ich ihn dort hinbringen, wo er möchte. Auf der Messe selbst dann ausgestellt ist der riesige Transport Hercules Starlifter von Crusader Industries. Ich muss an das Interview denken, das ich anlässlich der Messe mit dem Geschäftsführer von Nordlicht Aviation, Friedrich Winters, geführt habe. Er hat völlig recht: Was hat ein derartiger Bomber in zivilen Händen zu suchen? Zero und ich untersuchen das Schiff. Schließlich mietet er es sich für zwei Tage. Ein leichtes Lächeln huscht ihm über das Gesicht. Später treffen wir sogar noch Nordlicht-Aviation-CEO Friedrich Winters höchstpersönlich auf der Messe, eine schöne Überraschung. Auch wenn er an seiner Meinung selbstredend festhält, so findet er auch er das Schiff selbst beeindruckend. Es wird an diesem Abend nur ein kurzer Rundgang. Dieses ständige Menschengewusel alle paar Monate wird mir langsam zuviel.
Nick Cartago
Ich sitze in der Redaktion und brüte über den letzten Zeilen eines Interviews, als mein Mobiglas piept.
Es ist Nick Cartago, der Frachterpilot, den ich letztens auf Port Tressler kennen gelernt habe. Er ist wegen eines Auftrags soeben auf ArcCorp gelandet und fragt mich, ob er mich in meiner Redaktion besuchen könne. Ich stimme sofort zu. Es war ein interessanter Kontakt gewesen. Er hatte mir von seinen Reisen ein paar Soundlogs geschickt und ich hatte sie auf Verdacht ans Radio weitergeleitet. Darin geht es unter anderem um eine alte Caterpillar, von der er sich nur schwer trennen kann, seine an Bord eingebaute künstliche Intelligenz „Eva“ oder seine Neuerwerbung, eine Hercules M2 von Crusader Industries. Beim Radio haben sie aus dem Material dann auch gleich eine Sendung gestrickt – den „Cargo Man“. Mittlerweile sind schon ein paar Folgen davon gelaufen. Gut eine Stunde später steht er in meiner Redaktion und ich sehe ihm seine Konsterniertheit an, in welches Loch ich ihn gelotst habe.
„Das ist also…“
„…meine Redaktion“, falle ich ihm ins Wort.
„Aber lass dich davon nicht schocken. Wir müssen eh gleich rüber zu Radio Infinity. Habe gleich ein Interview.“
Cartago nickt wortlos. Er scheint froh zu sein, hier wieder raus zu kommen.
Ein paar Minuten später fahren wir mit dem Fahrstuhl an der nahe gelegenen ArCorp-Plaza einen der Wolkenkratzer hinauf – ich habe gleich einen Termin mit McMarshall, Sicherheitsberater von Microtech. Er will Stanton über das Radio Rede und Antwort stehen, wie denn die Invictus Week sicherheitstechnisch so gelaufen ist.
Nick Cartago folgt mir, blickt sich um, während ich ein paar Hände schüttelte und ein paar Worte mit Intendant Mason spreche. Cartago schnuppert das erste Mal Redaktionsluft und scheint davon fasziniert zu sein. Ich verfrachte ihn zum nächsten Kaffeeautomaten und mache mein Interview. Kaum bin ich fertig, hole ich ihn in die Runde. Ich schwärme Mason von Cartago vor, dass er ein waschechter Rusty sei und irre Geschichten auf Lager habe. Ich spüre, wie Cartago unsicher wird, weiß aber, dass man bei diesen Radiotypen keine Unsicherheit zeigen darf. Also labere ich einfach weiter – Labern, das ist eben das A & O im Radiobusiness. Kaum habe ich geendet, ergreift Mason das Wort in seiner Art, die keinen Widerspruch duldet.
„ich habe da gerade noch eine Idee. Wie wäre es, wenn Sie von unterwegs noch ein wenig über die Wirtschaft berichten würden? So nah dran am Verse, das fällt Ihnen da draußen doch automatisch in den Schoss.“
„Ich…“
„…klar, kein Problem für Nick“, falle ich ihm ins Wort.
„Okay“, sagt Mason knapp und ist zur Tür raus.
Wir laufen zum Fahrstuhl.
„Jetzt moderierst du wöchentlich die Wirtschaftsnachrichten. Kannst du auch von unterwegs machen. Hey, das wird ganz easy. Ich scanne dir hier kurz die Notizen der Rechercheabteilung für Wirtschaftskrimskrams und schicke dir eine Zusammenfassung rüber. Du schaust dir das dann an und machst eine Zusammenfassung als Sprachmemo. Der Titel der Sendung ist Unitrader.“
Ich grinste mir eins und sehe Cartagos ungläubigen Blick.
„Ich denke, du bist knapp bei Kasse, auch wegen deiner neuen M2. Komm, wir schnappen erstmal frische Luft. Unitrader – jetzt musst du halt mal etwas Seriöses machen. Nachrichtensprecher werden doppelt so gut bezahlt. Insider betiteln es auch als Schmerzensgeld.“
Cartago lacht laut auf. Der Knoten ist geplatzt. Als wir in die kühle Abendluft ArcCorps hinaustreten, muntere ich ihn weiter auf. Mir ist durchaus bewusst, dass ich ihn ziemlich überfahren habe.
„Hättest du nicht gedacht, dass du so schnell ein fester Bestandteil des Senders wirst…“
Cartago schüttelt wortlos den Kopf.
Dann sagte er: „Danke, John.“
Ich blicke in den Himmel des Stadtplaneten und sage: „Zwei Stimmen, von denen das Empire noch einiges hören wird.“
Unser Weg führt ins nächste G-Loc, wo Cartago schließlich von seinem halbseidenen Frachtauftrag erzählt, den er an Land gezogen hat und wegen dem er überhaupt auf ArcCorp ist. Während er berichtet, wird mir klar: Cartago ist genau der richtige Mann für derlei Stories und Informationen – er ist bereit, sich auch mal die Hände schmutzig zu machen, wenn es einer guten Geschichte dient. Aber diesen Gedanken schlucke ich mit Bier lieber hinunter.
Stumme Zeugen
Die Idee spukte mir schon lange im Kopf herum – einmal eine Reportage über die Wracks im Verse schreiben. Es muss Millionen geben, schließlich findet irgendwo immer gerade ein Kampf zwischen den Sternen statt – und wenn ein Schiff nicht in tausend Teile explodiert, muss es Überreste geben. Ein Wunder im Grunde, dass nach rund 1000 Jahren Raumfahrt des Menschen nicht an jeder Planetenecke ein herrenloses, halb zerstörtes Raumschiff durchs Nichts schwebt. Wie dem auch sei: Nachdem Zero, Chhris und ich letztens an dem zerstörten Starfarer-Wrack waren, war mein Interesse geweckt. Dann erzählte mir Chhris von einem Javelin-Wrack auf dem Mond Daymar – und ich ließ nicht mehr locker. Das musste ich unbedingt sehen…wann bekommt man schon einmal einen waschechten Schlachtenkreuzer zu sehen, der frei begehbar ist? Nachdem ich auf der Invictus Launch Week eine im Dienst befindliche Javelin betreten hatte, wollte ich so bald wie möglich los – doch was mich erwarten würde, darauf war ich nicht gefasst…hier das Transkript für meinen Bericht in „Off the Record“…
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Das ferne Licht Crusaders fällt gespenstisch durch die gewaltige Öffnung im Rumpf – so, als wollte es darauf hindeuten, dass hier etwas Wichtiges, etwas Entscheidendes fehlt. Langsam klettert der Gasriese über dem Horizont Daymars empor, verändert Schattenlinien und -würfe. Für einen Moment scheint es, als wäre wieder Leben im Schiff – allein: Es täuscht. Still ruht der gewaltige Stahlkörper im Sand, zum Teil darin versunken, einem Leichentuch gleich an vielen Stellen zugeweht.
Wie lang das Wrack der Javelin hier schon so liegt – niemand weiß es. Es wirkt so, als sei es hier schon immer gewesen – was natürlich nicht stimmt. Einst hat das Schiff stolz und mächtig zwischen den Sternen seine Bahnen gezogen, seine Kämpfe gefochten, seine Mannschaft behütet. Nun liegt es einsam und verlassen auf dem Mond, in einer endlosen Sand- und Steinwüste. Einen Namen hat das Schiff nicht mehr – vor Ewigkeiten schon hat ihn der ewige kratzende, feinkörnige Wind aus der Geschichte geschmirgelt. Es ist ein namenloses Wrack, eines das natürlich dennoch eine Geschichte hat. Wieso liegt es gerade hier? Was ist passiert? Welche Schlacht hat es geschlagen und verloren?
Es sind Fragen, die einem unweigerlich durch den Kopf gehen, wenn man die riesige Wrackstelle erkundet. In mehrere Teile ist das Schiff zerbrochen, das Cockpit liegt von Hauptrumpf und Hangar getrennt. Die Zerrissenheit von Werden und Vergehen – sie wird bedrückend greifbar. Die riesigen Triebwerke sind halb im Sand begraben – wann haben sie zum letzten Mal mit voller Kraft gefeuert, um das Unglück vielleicht doch noch abzuwenden? Wo genau stand in diesem Moment der Captain auf der Brücke, um seine letzten Befehle zu geben, das Ende vor Augen? Man streicht mit den Fingern über die Piloten-Konsolen, die noch immer vorhanden sind, die scheinbar auf neue Eingaben warten – der Schubhebel steht auf Maximum-Schub. Man steht im Cockpit, schließt die Augen und erwartet den Aufprall. Wie ein entferntes Echo meint man ihn beinahe hören zu können. Hier und dort lassen sich noch Schalter umlegen. Es klickt kurz, dann ergreift wieder Stille den Raum. Doch das Schiff ist tot, hat längst jegliche Lebensenergie verloren.
Man läuft langsam hinüber zum Hangar. Piloten, Mechaniker, an- und abfliegende Schiffe, Befehle, Startkommandos – alles nur noch eine schwache Erinnerung. Nur noch ein Gerippe ist übrig. Das Schiff ist bis ins Mark ausgeschlachtet worden. Glücksritter, Plünderer, Händler von Schrottteilen – wie Aasfresser haben sie sich am Schiff gütlich getan, sind im Lauf der Jahre über den einst stolzen Schlachtkreuzer hergefallen wie über eine wehrlose Beute. Verkleidungen sind brutal ab- und weggerissen. Entkleidet, roh und ausgeweidet liegt das Schiff da. Man möchte liebevollere Worte wählen, um ihm seine Würde zurückzugeben. Schließlich wird einem klar, was das Javelin-Wrack auch ist: ein Friedhof. Ein Friedhof der Hoffnungen. Freundschaften, Kameradschaft und Gemeinschaft – alles dies liegt hier mit im Sand begraben.
Es gibt unzählige solcher Wracks im Verse – jedes mit eigener Geschichte und vielen Geschichten, die an Bord geschrieben wurden. Es sind Schiffe, deren Schicksale sich von einem Moment auf den nächsten änderten. Es sind stumme Zeugen, Orte des Innenhaltens in einem ruhelosen Empire. Besitzen Raumschiffe eine Seele? Natürlich sind sie zunächst Objekte, die die Menschen zu den Sternen bringen, auf denen Leben gelebt, Kämpfe gefochten werden – und doch sind sie eben immer auch mehr als das: Sie sind unsere Anker im Sternenmeer, unsere Heimstatt, unsere Verbündeten. Warum geben wir ihnen sonst Namen? Warum sollten wir sie sonst taufen? Warum trugen die Segelschiffe auf der Erde sonst über Jahrhunderte Galionsfiguren am Bug, um böse Geister fern zu halten und Unglück abzuwehren?
Und dann endet ihre Geschichte schließlich. Manchmal Dreck wie die Javelin. Erbarmungswürdig. Und so wird eines immer klarer, wenn man das Javelin-Wrack im spukhaften Licht Crusaders auf sich wirken lässt: Es ist mehr als nur ein Wrack – es ist ein Sinnbild für das, was uns als Menschen ausmacht: Erkundung, Entdeckung, die Bewahrung von Werten. Und ja, vielleicht auch ein wenig Hybris. Kurzum: Es ist ein Mahnmal.
Die Lichter der funkelnden Constellation Phoenix, mit der wir das Schiff aufgesucht haben, streichen ein letztes Mal über den gewaltigen Rumpf, dann versinkt das Schiff in der Dunkelheit des Sandmeeres als würde es auf dem Grund eines Ozeans liegen. Wir aber steigen wieder hinauf zu den Sternen, wo auch einst die Javelin ihre Bahn zog, gedenken ihrer – und wenden uns wieder dem Leben zu. Denn wenn uns der Besuch eines gelehrt hat, dann dies: Es gibt immer etwas, wofür es einzustehen lohnt. Und sei es in den letzten Sekunden.
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Nachtrag: Wie sich mittlerweile herausgestellt hat, handelt es sich bei dem Javelin-Wrack um die UEES Flyssa, die einst unter dem Kommando der ehrgeizigen Pavlina Marlin stand. In unmittelbarer Nähe zur Flyssa explodierte ein Bergbauschiff mit hochinstabilen, illegal geschürften Erzen, das die Flyssa aufbringen wollte. Die Druckwelle traf das Schlachtschiff unvermittelt, so dass es schließlich auf Daymar abstürzte. Alle 65 Besatzungsmitglieder kamen bei dem Unglück ums Leben.
Journal-Eintrag 05 / 06 / 2951
Es hat mich tief bewegt, das muss ich schon sagen. Chhris war schon zuvor bei dem Javelin-Wrack gewesen, er wusste, was ihn erwartet. Doch mich hat es ganz schön aus den Socken gehauen. Vor allem, als wir dann noch ein zweites Wrack anflogen, das erst seit kurzem auf Yela bekannt ist – eine Constellation war dort aus bisher unbekannten Gründen heruntergekommen. Auch dieses Schiff ist auseinander gebrochen – doch das Blut in den Adern lässt mir der Umstand gefrieren, dass die Besatzung noch vor Ort ist. Schockgefroren, verkrümmt, von einem Moment auf den anderen aus dem Leben gerissen. Den Piloten – oder Kommandanten – hat es im Augeblick des Aufpralls vorn durch die Frontscheibe geschleudert, zerbrochenes Glas liegt nach wie vor im Cockpit. Im hinteren Teil des Schiffes hängen lose Kabel aus der Decke. Auch hier hat es die Verschalung von den Wänden gerissen. Kurzum: Es ist ein entsetzlicher Anblick. Ich signalisiere Chhris, dass ich völlig fertig bin und nicht mehr kann, dann rufen wir die Advocacy, sodass zumindest die Leichen abtransportiert werden und wir fliegen zurück nach Port Olisar. Ich kann jetzt einen sehr kräftigen Schluck vertragen.
Journal-Eintrag 19 / 06 / 2951
Bin von Lift Industries, einem Industrie-Unternehmen, zu einem Rennen auf dem Mond Daymar eingeladen worden. Lift Industries ist eine Ausgründung aus Phoenix Interstallar. Habe daher ein paar alte Bekannte wiedergetroffen. Acht Fahrer gingen an den Start. Hab’s etwas langsamer angehen lassen als die Konkurrenzen, habe nicht jeden Stein mitgenommen – und bin schließlich auf den dritten Platz gekommen, weil das Rennen nach der Hälfte der Strecke wegen zu vieler Ausfälle abgebrochen werden musste. Als einer der Überlebenden habe ich 100.000 Credits dafür bekommen – schnell verdientes Geld. Wusste gar nicht, dass ein Tumbril Cyclone so viel aushält.
Enos
Zero hat sich auf der Station Everus Harbour in der hintersten Ecke versteckt. Er sieht mitgenommen aus und nachdem Chhris und ich Platz genommen haben, legt er auch schon los. Wir hatten uns ein paar Tage nicht gesehen – und wie immer hat er auf eigene Faust weiter recherchiert, was Enos und die Killersatelliten angeht.
„Alles klar?“, frage ich.
„Nope.“
Dann fasst er die Geschehnisse zusammen: Anschlag auf sein Hub, persönliche Bedrohung, Diebstahl seiner „White Rabbit“, krytpische Nachrichten auf seinem Mobiglas. Schließlich findet er auf dem Mond Clio seine Starrunner unter Mithilfe von Kjeld Stormarnson wieder – und muss feststellen, dass die Datenspeicher seines Schiffes durchsucht wurden. Im Captain’s Quarter findet er eine Tasse der „Thiago“-Lobby, die ebenfalls in diesem Schlamassel mit drin zu hängen scheint.
„So blöd ist niemand. Die lassen doch keine Visitenkarte zurück“, werfe ich ein.
„…vielleicht waren sie noch nicht fertig?“, mutmaßt Chhris.
„Genau. Und außerdem: Hatte Professor Mobi nicht sein geheimes Forschungslabor auf Clio?“, fragt Zero. Wir nicken. Es scheint, es fügen sich wieder ein paar Puzzleteile zusammen. Klar ist auf jeden Fall: Zero steht im Fadenkreuz. Plötzlich summt sein Mobiglas.
Seine Aktivistenfreunde. Wir sehen, wie Zero fassungslos die Nachricht liest, dann sagt er: „Eine zweite abgestürzte Starfarer auf Hurston. Sie glauben, da könnte noch Enos an Bord sein.“
„Was?“, werfe ich ein.
“…aber wir müssen schnell sein. Sehr schnell.“
Nur Minuten später sind wir bereits an Bord seiner „White Rabbit“ mit Kurs auf die Absturzstelle. Bald schon sehen wir das Wrack – tatsächlich, es ist eine weitere Starfarer.
„Es waren zwei Schiffe, die mit Enos beladen waren“, sage ich, „und beide sind abgestürzt. Das gibt’s doch nicht.“
Zero landet das Schiff in unmittelbarer Nähe, die Sonne geht soeben unter, nur Augenblicke später erkunden wir Schritt für Schritt das Wrack. Schnell merken wir, dass wir nicht allein sind. Als auf uns das Feuer eröffnet wird, machen Chhris und Zero mit den Bewachern kurzen Prozess.
„Seht mal, die trugen die gleichen Anzüge wie die in der Höhle.“
Wir schleichen durch das dunkle Gängelabyrinth der Starfarer – dann entdecken wir es: Behälter, in denen eine grüne, zähflüssige Masse gelagert ist.
„Fuck, ist das Enos?“, frage ich flüsternd. Nachdem wir jetzt schon so oft drüber gegrübelt hatten, ist es fast unwirklich, es nun offenbar mit eigenen Augen zu sehen.
„Möglich ist es“, erwidert Zero.
„Und jetzt?“
„Meine Aktivistenfreunde können das in einem Labor untersuchen. Sie haben dazu ein geheimes Depot auf einem Schrottplatz in der Nähe eingerichtet. Da müssen wir die Kisten hinbringen.“
Ich nicke, auch wenn mir alles andere als wohl dabei ist.
„Wenn du meinst.“
„Leute, da ist ein Timer dran. 13 Minuten, nachdem man sie bewegt hat, fliegen sie offenbar in die Luft“, wirft Chhris ein.
Ich blicke die Kisten an, als könnten sie zu mir sprechen. Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Die haben an den Kisten rumgefummelt, den Timer ausgelöst. Dann sind sie ihnen um die Ohren geflogen, die Schiffe sind abgestürzt und vergiftet hat sie das Zeug auch noch.
13 Minuten zwischen Leben und Tod. Zeit kann ein unerbittlicher Gegner sein.
Kaum haben wir die Kisten aufgenommen, fängt der Timer an rückwärts zu laufen.
„Das sind Hochsicherheitsbehälter. Die haben ein Schutzfeld das dafür sorgt, dass der Inhalt nicht entweichen kann. Wenn wir den Behälter aus dem Gestell nehmen trennen wir ihn von der Energiequelle. Das Schutzfeld bricht zusammen sobald der Energiepuffer leer ist. Zur Sicherheit explodiert dann der Behälter und zerstört den Inhalt“, erklärt Zero.
Ich überlege: Vielleicht wollten sie an Bord die Ladung noch mal umsortieren, wussten das aber nicht – schon war ihr Schicksal besiegelt. Wir sehen zu, dass wir die Starfarer verlassen und rennen mit den Kisten zur „White Rabbit“.
„Lass das Scheiß-Zeug bloß nicht fallen“, rufe ich Zero zu und achte peinlich genau darauf, dass das Zeug in meiner Kiste nicht allzu stark hin- und herschwappt.
Chhris bugsiert seine Kiste per Traktorstrahl in die den Frachtraum – und knallt sie mir dabei fast an den Kopf.
„Ey, vorsichtig…“
Kaum sind wir alle an Bord, jagt Zero die „White Rabbit“ über den Planeten zum Schrottplatz. Chhris und ich untersuchen derweil die Kisten.
„Ich wette, dass das Zeug Enos ist – was sollte es sonst sein?“
Zero landet direkt vor dem geheimen Depot und quasi auf den letzten Drücker schieben wir die Kisten durch die kleine luftdichte Schleuse, wodurch auch der Timer deaktiviert wird.
Uns allen steht der Schweiß auf der Stirn. Zero ist mit dem Nerven runter. Er hat seine „White Rabbit“ geradezu durch die Atmosphäre geprügelt, damit wir das schaffen.
„Zurück nach Everus“, sagt Zero.
Kaum sind wir gelandet, entführt er uns in ein geheimes Versteck der Aktivisten hinter Containern im Frachtterminal. Es ist eine schummrige, aber gemütliche Ecke, prädestiniert für Geschäfte unter der Hand.
„Hier treibst du dich also rum, wenn du mal wieder nicht aufzufinden bist.“
„Manchmal“, erwidert Zero.
„Ein gutes Versteck kannst Du jetzt auch gebrauchen. Irgendjemandem wird gar nicht gefallen, dass wir den Kampfstoff gestohlen haben. Und wahrscheinlich werden sie wieder Dich hinter der Aktion vermuten“, sagt Chhris.
Jetzt gilt es abzuwarten, was das Labor der Aktivisten herausfindet und woraus der grünliche Schleim besteht. Wir haben da ein ganz mieses Gefühl.
Unsichtbarer Satellit
Port Olisar. Ich hänge, nachdem ich auf Spectrum ein irres Canyon-Rennen auf Daymar verfolgt habe, bei dem sich die Teilnehmer in Rovern gegenseitig den Garaus gemacht haben, ein wenig in der Luft. Was als Nächstes? Ich atme tief durch und blicke aus dem Fenster der alten Raumstation. Bald schon, so gehen die Gerüchte, könnte die Station weggeschleppt werden…Zeit, sich vielleicht bald zu verabschieden…ich sinniere…hier begann alles…
Plötzlich erspähe ich in der fast menschenleeren und verwaisten Terminal-Halle ein bekanntes Gesicht – Friedrich Winters von der „Nordlicht Aviation.“ Ich gehe hinüber.
„Das ist ja eine schöne Überraschung“, sage ich und bin froh, dass ich die trüben Gedanken beiseite schieben kann. Mir war unser Treffen auf der Invictus Launch Week sowie unser Interview für „Radio Infinity“ noch in guter Erinnerung.
Winters dreht sich zu mir um.
„Brubacker…“
Ich stutze kurz, bin mir nicht mehr sicher, ob wir uns noch gesiezt hatten oder schon per du waren…
„Mr. Winters….Friedrich…“
Er weiß es offenbar auch nicht mehr. Wir beschließen, einfach zum Du überzugehen.
„Was…machst…äh…du hier?“
„Meine Knochen fit halten. Kleine Aufträge zwischendurch bringen den Körper in Schwung.“
Ich lächle. Winters ist ein Mann im fortgeschrittenen Alter, Geschäftsführer eines Touristik-Unternehmens.
„…und das machst du wie?“
„Ich klemme mich ab und zu selbst hinter das Steuer eines Raumschiffs…habe gerade einen Auftrag angenommen, im Asteroidenfeld von Yela einen Satelliten auszusetzen. Lust mitzukommen…oder hast du was anderes vor…?“
„Ich… nein“, antworte ich wahrheitsgemäß.
„Na dann los.“
Zu meiner Überraschung hat Winters eine Cutlass Black in seinem Bestand, Minuten später sind wir auch schon unterwegs – Zeit für ein wenig Smalltalk.
„…und?“, frage ich, „schon in Stanton eingelebt?“
„Ja, aber es ist nicht leicht. Wir mussten bei unserem Umzug aus dem Ellis-System hierher eine Menge zurücklassen. Viele Mitarbeiter wollten nicht mit. Wir müssen daher unser Unternehmen in Stanton komplett neu aufbauen.“
Ich erinnere mich: Nordlicht Aviation, so hatte Winters im „Radio Infinity“-Interview erzählt, war vor der touristischen Billigkonkurrenz aus dem Ellis-System geflohen, die die Preise so sehr drückte, dass sein Unternehmen damit nicht mehr konkurrieren konnte.
„Gibt’s eigentlich was Interessantes in Stanton? Schöne Ausflugsziele? Orte, die es zu besuchen lohnt?“
Ich denke kurz nach, antworte dann: „Na ja, Microtech ist sehr schön mit seinen schneebedeckten Bergen und tundra-ähnlichen Tälern. Der Stadtplanet ArcCorp ist immer eine Reise wert, selbst Hurston hat so seine schönen Ecken, auch wenn der ganze Planet im Grunde zerstört ist.“
Ich merke, wie Winters aufmerksam zuhört, schließlich fragt er:
„Bist du von hier?“
Ich überlege kurz, was ich ihm antworten soll. Je länger mein Kryoschlaf und meine Wiedererweckung zurückliegen, umso weniger kann ich sie selbst glauben.
„Ich….“
Ich beschließe, einfach von der Leber weg zu erzählen. Es macht wenig Sinn, auf Dauer aus seinem Herzen eine Mördergrube zu machen. Ich erzähle vom Start der Artemis, meinem unvorhergesehen Kälteschlaf, erkläre, dass ich mich mittlerweile aber gut im 30. Jahrhundert eingelebt habe, dass ich versuche wieder den roten Faden meines früheren Lebens aufzunehmen, eben wieder als Journalist arbeite und so weiter…
Nach einer Weile sagt Winters: „Okay, warum solltest du mir einen Bären aufbinden. Hast ja nichts davon.“ Damit scheint die Sache für ihn erledigt zu sein. Was er sich wirklich denkt, weiß ich natürlich nicht. Vielleicht hält er mich auch für verrückt. Ich muss daran denken, wie Zero reagiert hat, als ich ihm meine Lebensgeschichte erzählt hatte.
Schließlich erreichen wir den Asteroidengürtel von Yela.
Winters fragt mich, ob ich den Satelliten aussetzen wolle. Ich bejahe – warum nicht. Immer mal was Neues.
Der Satellit sieht aus wie eine herkömmliche Transportkiste und ist nicht sonderlich groß. Man kann ihn zwischen den Händen halten, ein Satellit im Westentaschenformat. Ich drücke im All den Knopf, der die kleinen Solarpaneele entfaltet – und im nächsten Moment löst sich der Satellit vor meinen Augen in Luft auf. Vor Schreck verschlucke ich mich fast.
„Äh…Friedrich…“
„…ja, ich hab’s auch gesehen. Muss eine Tarnvorrichtung haben oder so.“
Er checkt auf seinem Mobiglas den Auftrag.
„Eine normale ICC-Probe. Hier steht nichts von einem Spezialsatelliten…“
Ich versuche im All dahin zu greifen, wo sich der Satellit eben noch befand – nichts.
Weg. Einfach verschwunden. Killersatelliten, Satelliten, die sich im Nichts auflösen – Herrgott.
„Und jetzt?“ Ich drehe mich in der Schwerelosigkeit zur Friedrich.
„Die Bezahlung ist regulär eingegangen. Besser wir verschwinden. Wer viel fragt, kriegt viel Antwort.“
Ich nicke – das kommt mir als Journalist bekannt vor. Von Projekt Enos und allem anderen erzähle ich lieber noch nichts.
„Kann ich dich irgendwo hinbringen?“
„Microtech“, sage ich spontan. „Ich muss da noch etwas erledigen.“
Winters nickt.
“Das trifft sich gut. Ich muss ohnehin zurück zu unserer Zentrale und auch noch im Dock vorbeischauen, wie die Instandsetzung unserer 890 Jump läuft. Wir hatten da einen kleinen Schaden durch eine Fehlfunktion der neuen Dockingtunnel.”
Ich bin nun gespannt, was Zero und Chhris zu Satelliten sagen, die eine Tarnvorrichtung haben. Wer weiß, wie viele dieser Dinger um die Planeten herumschwirren? Wer weiß, was die im Geheimen machen, welche seltsamen Dinge hier noch ablaufen…?
Ich schüttelte den Kopf. Verdammt, wo stecken die beiden bloß?
Dann kommt auch schon Microtech in Sicht. Ich muss mich erst einmal um ein paar Alltagsgeschäfte kümmern.
Trugbilder
Mit dem Sonnenuntergang ändert sich die Stimmung auf dramatische Weise – und mit ihr das eigene Empfinden. Wo noch vor wenigen Minuten beinahe zärtlich Wolken die schwebenden Plattformen umschmeichelten, herrscht plötzlich eine intensive, fast brutale Atmosphäre. Tiefrote Strahlen, von der Sonne Stantons geschickt, durchbrechen die obersten Wolkenschichten Crusaders, schneiden wie Messer in das eben noch so friedliche Bild. Sie bringen Konturen hervor, schälen Markantes heraus, lenken den Blick auf Details. Die natürliche Farbgebung wird um ein Vielfaches verstärkt. Kaum ist die Sonne untergegangen, wähnt man sich an einem anderen Ort.
Solch’ ungewöhnliche Eindrücke und Wechselbäder sind wohl nur deshalb möglich, weil der Ort selbst ungewöhnlich ist. Er befindet sich mitten in den Wolken eines Gasriesen. Der zweite Planet Stantons – er ist prädestiniert für ein Naturschauspiel, das im ganzen Empire seinesgleichen sucht. Tagsüber, so heißt es, zeigt eine Stadt ihre Körperlichkeit, nachts hingegen offenbart sie ihre Seele. Kaum irgendwo sonst wird das deutlicher als auf und an den schwebenden Plattformen von Crusader Industries, hoch oben in den äußersten Schichten des Gasriesen. Es ist ein Ort des Staunens.
Bis zum Horizont und darüber hinaus erstrecken sich die schwebenden Plattformen von Orison. Moderne Wohntürme wechseln mit Stahlskeletten ab, in denen tausende Frachtcontainer auf ihre Verladung warten. Schiffswerften mit riesigen Andockklammern ruhen am Firmament als sei es das Natürlichste der Welt. Sie dominieren den Himmel, machen ihn sich zu eigen. Immer wieder glaubt man den eigenen Augen nicht zu trauen – wie nur können diese riesigen Plattformen so ruhig in der Luft stehen? Wir wissen natürlich, dass es feuerspeiende Aggregate an ihrer Unterseite sind, die sie an Position halten. Und doch strafen die Augen den Verstand immer wieder Lügen. Es sind Trugbilder, die über Crusader schweben, gleichsam einem Traum entsprungen. Und doch: Was eben noch unerreichbar schien, wächst plötzlich empor, verdichtet und manifestiert sich. Nähert man sich einer Plattform, dann wird es wieder bewusst: Es ist menschengemacht, was dort im Nichts schwebt.
Ist es Genie oder Wahnsinn, eine komplette Stadt mitten in die Wolken zu bauen? Kühn und visionär ist es in jedem Falle. Während man läuft und staunt, immer wieder inne hält und versucht, irgendwo in der Ferne einen Fixpunkt zu finden, kreisen über der Stadt die Versorgungsschiffe Orisons. Stoisch, fast unbeteiligt, ziehen sie ihre Bahn und scheinen dabei wie Riesen mit den Wolken Schach zu spielen. Auf den Plattformen selbst geht das Leben unterdessen seinen Gang. Shuttles bringen die Bewohner und die Besucher von Plattform zu Plattform, in Discotheken hämmert der Beat, Shops machen pralle Geschäfte mit Souvenirs. Natürlich, alles ist irgendwann eine Frage der Gewöhnung und des Alltags. Und doch gibt es keinen Augenblick, an dem es den Blick nicht doch wieder hinaus zieht, zu den Plattformen, die wie Sehnsuchtsorte losgelöst von allem Irdischen zur Stippvisite einladen – einem Ölgemälde gleich, in das man hineinlaufen und in dem man sich verlieren möchte. Hingehaucht und doch real.
Keine Frage: Von den vier Megacorps, die sich Stanton geteilt haben, hat Crusader das Glückslos gezogen. Während Microtech nach einem Terraforming-Unfall zu großem Teil mit Eis bedeckt ist, ArcCorp als Stadtplanet keine Ruhepausen mehr kennt und Hurston nach unzähligen Waffentests nur noch Schatten seiner selbst ist – hier auf Orison liegt all das in weiter Ferne. Man schwebt mit den Plattformen über den Dingen. Es ist im Wortsinne fantastisch. Wie sehr sich Crusader Industries dessen bewusst ist, zeigt es an jeder Ecke – mit Fahnen, Videoleinwänden, Stelltafeln und Inschriften. Nichts ist hier dem Zufall überlassen, alles ist sorgsam inszeniert.
Und doch kratzt all dies nur an der Oberfläche. Denn die wahren Wunder liegen unter der fliegenden Stadt – verborgen in den unteren Schichten des Gasplaneten. Die Skulptur des schwebenden Wals von Crusader, in Bronze gegossen, legt auf der Hauptplaza davon Zeugnis ab. Man braucht Glück, um einen Blick auf ein lebendiges Exemplar zu erhaschen. Eine Garantie gibt es bei den angebotenen Discovery-Touren, die hinab in die Tiefe des Planeten führen, nicht. Manchmal aber ertönt sein Walgesang herauf, leise nur, aber doch deutlich vernehmbar. Dann gibt er uns mit einem paar Tönen zu verstehen: Es ist seine Welt. Wir sind hier nur Besucher, kurzzeitige Sinnestäuschungen. Orison – das ist nur ein Trugbild. Zu schön, um wahr zu sein.
Journal-Eintrag 11 / 08 / 2951
Manchmal fließen einem Texte nur so aus den Fingern – so wie der obige zur Wolkenstadt Orison über dem Gasriesen Crusader. Nachdem Crusader Industries die Tore geöffnet hatte, ließ ich nichts anbrennen und machte mich auf den Weg. Es hat mich tatsächlich umgehauen. Raumstationen – klar. Menschengemachte Gebilde im Nichts – auch klar. Aber das hier…das hier ist im Abendhimmel eher wie Poesie.
Journal-Eintrag 17 / 09 / 2951
Ich liege in meinem Hub auf Orison und durchforste auf meinem Mobiglas die Datenbank der „Arche“, dem Hort des Wissens des Empires. Es ist komisch, dass ich erst jetzt auf die Idee gekommen bin – ich gebe meinen Namen in das Suchfeld ein, dazu mein Geburtsdatum und lasse die Suche starten. Es dauert nur ein paar Mikrosekunden – dann ist alles da. Einträge über meinen Lebenslauf, Eltern, Berufliches, ein paar Zeitungsartikel aus Kanada. Verschwunden am 28 / 03 / 2232 an Bord der„Rangin“ zur Verabschiedung des Generationenraumschiffes „Artemis“ am Rande des Sonnensystems. Es scheint: Ich bin ich, keine Verwechslung möglich. Ich zoome ein wenig in das Bild hinein, auf dem mein Konterfei zu sehen ist…dann stutze ich unvermittelt….blicke genauer hin und entdecke den charakteristischen Schatten eines Gravitationsringes einer Raumstation – einer Raumstation, die mir nur zu bekannt ist. Ich zoome ein weiteres Stück hinein und lese die Endung eines Wortes im Schatten, kaum zu sehen, wenn man nicht gezielt danach sucht, aber doch lesbar: „…lisar“. Ich stutze einen Moment: „Port Olisar.“ Kein Zweifel.
Mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter. Wie zum Henker kommt mein Bild auf einer Raumstation aus dem 30. Jahrhundert neben die Beschreibung meiner Person aus dem 22. Jahrhundert? Sicher, seit ich vor etwas mehr als drei Jahren aus der Kryokapsel gefischt wurde, hätte es tausend Gelegenheiten gegeben, mich auf Port Olisar heimlich zu fotografieren. Doch warum ist in dem Register kein altes Bild zu sehen? Eines aus dem 22. Jahrhundert. Davon musste es doch ebenfalls Unzählige geben…ich durchsuche die Datenbank: nichts. Kein einziges weiteres Bild. Nur dieses eine. Und warum zum Teufel hatte der Datenbankeintrag von den Archivaren bisher kein Update erhalten? Seit meiner Wiederauferstehung hinterlasse ich jeden Tag allein über das Mobiglas tausende Beweise, dass ich existiere. Und doch: Der Datenbank-Eintrag weist mich nach wie vor als verschollen aus. Als würde es mich seit 700 Jahren nicht mehr geben. Ich kneife mich einmal. Ich existiere, soviel steht fest. Ansonsten dreht sich alles um mich herum.
Scenic Cruise
Ich cruise gerade ein wenig über ArcCorp, um mich abzulenken, als über Mobiglas ein Anruf reinschneit.
„Mr. Brubacker, wo sind Sie? Lust darauf, mich bei einer kleinen Tour zu begleiten?“
Es ist Friedrich Winters von „Nordlicht Aviation.“
„Friedrich…ähm…Mr. Winters…hm, ja, warum nicht? Ich hab’ grad nichts Besonderes zu tun.“
Ich sinniere – hat er schon wieder vergessen, dass wir bereits beim Du waren? Etwas vergesslich, der Mann, so scheint es.
„…wo soll es denn hingehen?“
„Nun, ein wenig über Microtech. Ich arbeite gerade an meiner ersten Ausflugstour in Stanton, um hier mit Nordlicht Aviation Fuß zu fassen.“
Ich nicke.
„Klingt interessant. Wo sind Sie?“
„Port Tressler über Microtech. Dort können wir uns treffen.“
Ich nicke abermals und ziehe die Aquila an den Himmel. Nur Minuten später bin ich im Quantumjump nach Microtech. Nachdem ich gelandet bin, beordert mich Winters zum Deck II, an dem seine „Nordlicht 1“, eine 890 Jump von Origin, festgemacht hat. Ich laufe den dunklen Gang entlang, in dem es offenbar eine Sicherung rausgehauen hat. Augenblicke später laufe ich durch die Luftschleuse und Winters und ich geben uns die Hand.
„John, schön dich wiederzusehen und dass du Zeit hast.“
Ich nicke, jetzt sind wir also wieder per Du.
„Wir legen gleich ab.“
Winters, der allein an Bord des riesigen Schiffes ist, steuert das Oberdeck an, während ich beobachte, wie wir ablegen und der lange Andocktunnel langsam zurückfährt. Dann steige ich ein paar Stiegen hinauf, geselle mich zu ihm und blicke auf die blau glitzernde Kugel Microtech unter uns hinab.
„Wunderschön, nicht wahr?“
„In der Tat“, antworte ich.
Dann ergreift Winters wieder das Wort.
„Sag mal…der Radiosender…Radio Infinity…bei dem wir auch das Interview geführt haben, meinst du, der könnte ein wenig Werbung für mich machen? Wir haben da ja dieses Interview geführt. Was ist das eigentlich für ein Laden?“
Ich sinniere kurz, muss an Mason denken.
„Nun, das ist halt so ein Gute-Laune-Sender. Viel Musik. Paar Formate. Ich schätze, die sind da alle ein wenig überdreht. Radiotypen eben.“
Ich sehe, wie Winters nickt.
„…und, was denkst du?“
„Ich kann ja mal fragen.“
Winters nickt erneut, nimmt dann Kurs hinab auf den Planeten.
„Ich arbeite an meiner ersten Tour. Es geht darum, künftigen Gästen von Nordlicht Aviation das Stanton-System mal aus einem anderen Blickwinkel vorzustellen.“
„Aha…“
„Stell dir vor: Ich habe letztens von einem Mann gehört, der hatte sich in den Bergen von Microtech verlaufen und kampierte über Wochen in einer Höhle. Darin entdeckte er einen alten Altar und eine Stele, die sehr alt zu sein scheint.“
„…ach…“
„…alles ist so belassen, wie es war, als der Mann doch noch gerettet werden konnte. Jedenfalls werden wir uns das jetzt mal ansehen.“
Winters steuert das riesige Schiff in Bodennähe über den Planeten, immer wieder nimmt er Kurskorrekturen vor. Er steuert einen örtlichen Schutzshelter an, von dem es bis zur Höhle nicht mehr weit sein soll.
„Man muss sich halt immer wieder was Besonderes ausdenken, will man Gäste bekommen und gegen die Konkurrenz bestehen.“
Wir legen einen kurzen Zwischenstopp bei dem Schutzshelter ein, der in üppig bewachsener Steppe liegt. Dann plötzlich, nur wenige Flugminuten entfernt, schlägt das Wetter um und wir befinden uns in einem ausgewachsenen Schneesturm. Durch die Cockpitscheibe sehen wir den Eingang zur Höhle, es handelt sich um ein so genanntes „Sinkhole“. Aus der Höhe sieht es aus, als hätte sich die Erde aufgetan.
Winters kämpft mit starken Seitenwinden und hat Mühe, das Schiff über der Höhle zu halten. Eigentlich hatte er vor, mit einem kleinen Begleitschiff in die Höhle hinein zu fliegen. Daraus, so wird schnell klar, wird nichts.
„Ich denke, das müssen wir abbrechen. Wir kommen wieder.“
„Klar“, erwidere ich. „Ist auf jeden Fall eine schöne Idee.“
Nachdem wir wieder auf Port Tressler sind, verabschieden wir uns.
„Ich werde die bei Radio Infinity anmorsen“, verspreche ich. „Mal schauen, was ich tun kann.“
Dann gehen wir beide wieder unserer Wege.
Journal-Eintrag 22 / 08 / 2951
Ich schreibe „Radio Infinity“ an und erzähle von „Nordlicht Aviation“ – und dass dieses Reiseunternehmen eine recht interessante Geschichte und einen besonderen Ansatz bei seinen touristischen Unternehmungen hat. Nur einen Tag später bekomme ich Nachricht von Winters: „Vielen Dank, John. Habe mich mit Mason getroffen. Wir werden jetzt von Radio Infinity gesponsert. Die machen sogar Werbung für uns. Es wird “Scenic Cruise” heißen. Ist das nicht großartig?“
Journal-Eintrag 26 / 08 / 2951
Panzer fahren – zu dieser netten, kleinen „Spielerei“ bin ich auf den Mond Daymar eingeladen worden. Kurzum: Zwei Teams, eine große Fläche und jede Menge Kawumm! Fest steht: Die „Tonks“, wie einige sie nennen, können einiges ab. Ein paar Mal bekommen wir in unserem Panzer eine volle Breitseite ab. Ich persönlich kann es hingegen weniger verknusen: Habe mir im engen Sitz des Schützen gleich mehrfach richtig den Kopf angeschlagen, als das Metallungetüm über Steine gebrettert ist, auch hat mir das ständige Vor- und Zurück und das ewige Geschaukel auf den Magen geschlagen. Für manche mag da ein richtiger Kindheitsraum in Erfüllung gehen – meins wird es nicht, so viel steht nach der kleinen „Schlacht unter Freunden“ fest. Mir ist jetzt noch schlecht.
Journal-Eintrag 29 / 08 / 2951
Sie sind zurück, die Piraten aus dem Pyro-System. Erneut überfallen die Xeno-Threat Transporter – und erneut ruft die Civilian Defense Force zur Verteidigung des Stanton-Sytems auf. Ich bin auf Port Tressler, als uns der Hilferuf ereilt. Nur Minuten später bin ich an Bord einer Aegis Hammerhead und besetze eines der Turrets. Wir sind zu fünft unterwegs. So wollen wir den Piraten Saures geben und gleichzeitig die kleinen Schiffe der Bürgerwehr beschützen.
Es ist eng in dem kleinen Turret, die Sicht ist extrem eingeschränkt. Bald schon befinden wir uns mitten im Getümmel. Ich halte auf die Feinde drauf, treffe aber kaum etwas. Sie sind einfach zu schnell vorbei. Kaum bewegt oder dreht sich das Schiff, wird es noch einmal schwieriger. Mit dem Gyro-Mode geht es schließlich besser. Er entkoppelt das Turret von den Eigenbewegungen des Schiffes und ich lande den einen oder anderen Treffer. Auch im Großkampf mit einer Idris, die von Piraten gekapert wurde, halten wir uns ganz gut. Ihre Explosion ist schließlich ein riesiges Feuerwerk. Der stundenlange Einsatz macht sich schließlich bezahlt und die Advocacy lässt sich nicht lumpen. Rund 150.000 Credits fließen zur Belohnung auf mein Konto.
Abhören
Zeros Nachricht kommt wie aus dem Nichts.
„Traust du eigentlich McMarshall über den Weg?“
Ich blicke die Nachricht erstmal gut 30 Sekunden an. Dann schreibe ich zurück: „Eigentlich schon. Nachdem er bei unserem Treffen auf Daymar versichert hatte, keine bösen Dinge im Schilde zu führen, ist mir noch nichts Gegenteiliges aufgefallen. Warum fragst du?“
Ich lächle in mich hinein. Ich hatte McMarshall damals ziemlich auf den Zahn gefühlt.
Ich schicke die Nachricht ab, sinniere kurz, dann schicke ich hinterher: „Wo zur Hölle steckst du?“
Es dauert ein paar Minuten. Dann antwortet Zero wieder.
„Bin auf Microtech. Hab mich versteckt. Komm vorbei, hol mich ab, dann erkläre ich alles.“
Herrgott, warum immer diese Geheimnistuerei?
„Schick mir die Koordinaten.“
Es pingt einmal, dann ploppen die Koordinaten auf.
„Bin unterwegs.“
RSI hatte mir zur Probe unlängst mal wieder eine Constellation Aquila zur Verfügung gestellt. Sie hatten gefragt, ob ich nicht doch wieder umsteigen wolle – habe zugegriffen. Ein wenig Abwechslung kann nie schaden.
Ich hatte auf einer Raumstation nahe des Einsatzgebietes gegen die Xeno-Threat übernachtet. Mir steckt der Kampf immer noch in den Knochen. Ich strecke mich und lasse mir die Aquila in den Hangar stellen. Minuten später bin ich unterwegs und steuere die beschriebenen Koordinaten an. Bald sehe ich mitten in der Wildnis eine einsame Mercury Star Runner – die „White Rabbit“.
Ich suche einen passenden Landeplatz, dann knackt es im Headset.
„Ey, du kommst auf einem Hang runter. Mann, landen wirst du nie lernen!“
„Ist ja gut.“
Zero steht auf einem Hügel.
„Soll ich da jetzt hochlatschen?“
„Bisschen Sport wird dir mal ganz gut tun.“
Sinnlos, mit Zero zu diskutieren, also stapfe ich den Hügel rauf.
Nachdem ich komplett außer Atem oben angekommen bin, blickt mich Zero spöttisch an und schüttelt mit dem Kopf.
„Schreibtischtäter… Mann, du musst dich mehr bewegen!“
„Raus mit der Sprache“, erwidere ich, „was ist los?“
Dann klärt mich Zero auf.
Das grünliche Zeug, das seine Aktivisten-Kumpel analysiert haben, scheint tatsächlich „Enos“ zu sein. Auf jeden Fall ist es irgendetwas Hochgiftiges, Lebensgefährliches. Zero erklärt mir, dass er in der Zwischenzeit bei Shubin Interstellar einen Informanten ausgemacht habe, der über die geheimen Machenschaften des Konzerns auspacken will. Zeros Meinung nach sitzt der Konzern wie eine Spinne im Netz, um die sich alles dreht. Er erwähnt noch diverse andere Namen, von denen mir aber bisher keiner etwas sagt: Blutrote Front oder das Microtech Bureau of organized Crime. Sie alle hängen hier irgendwie mit drin.
„Uff. Wenn nicht einmal wir das verstehen, wie wollen wir es dann irgendwann der Öffentlichkeit erklären?“
Zero zuckt mit den Achseln.
„Ich weiß nur eines. Wir kommen der Sache immer näher.“
„…und was kann ich jetzt tun?“
Zero blickt zur Aquila hinüber.
„Um Shubin abzuhören, hat mit mein Informant eine Wanze gegeben. Deren Reichweite ist jedoch nur begrenzt. Ich möchte hier auf Microtech auf dem Dach in der Nähe des Shubin-Gebäudes einen Transmitter installieren, sodass ich die Gespräche auch außerhalb des Planeten mithören kann.“
„Und warum erledigst du das nicht selbst?“
„Weil meine White Rabbit eventuell immer noch unter Beobachtung ist. Wir fliegen mit deiner Aquila rüber, ich docke mit dem kleinen Begleitschiff ab, fliege zu dem Dach, baue das Gerät ein – und bin schwupps wieder zurück.“
„…aber sonst geht’s noch?! Das ist höchst illegal….“
Zero legt den Kopf schief. Ich weiß, wie komisch das klingt angesichts der Situation, in der wir es uns ohnehin befinden.
„Dann los.“
Wir jetten rüber nach New Babbage und ich fliege die Stadt seitlich im Tiefflug an. Zero macht unterdessen die kleine Merlin im Heck des Schiffes startklar, dann legt er ab. Er dreht ein paar Spaßrunden um die Aquila, dann taucht er hinab ins Stadtgewimmel zwischen die Wolkenkratzer von New Babbage. Bald habe ich ihn aus dem Blick verloren. Über Funk höre ich mit, wie ihm sein Coup offenbar gelingt. Er landet auf dem benachbarten Dach neben einer Shubin-Dependance und klinkt seinen kleinen Transmitter ins Netzwerk ein.
„Fertig, ich komme wieder hoch.“
Dann: Stille.
„Bru, das Schiff startet nicht mehr.“
„Was? Hast du es kaputt gemacht?“
„Nein, ich…“
„Du musstest ja vorher unbedingt noch ein paar Loopings fliegen…“
„…kannst du mich jetzt endlich abholen?“
„Komme ja…“
Ich atme tief durch und fliege hinab. Bald sehe ich Zero auf dem Dach stehen. Ich lande und nehme ihn an Bord.
„Und jetzt?“
„Zurück zur White-Rabbit.“
Kaum gelandet, steigt Zero um und gemeinsam verlassen wir mit beiden Schiffen den Orbit von Microtech. Sofort lädt Zero die ersten Gespräche auf die Server seiner Star Runner herunter.
„Wir können noch etwas trinken gehen. Dann kann ich gleich erzählen, was auf den Bändern drauf ist.“
„Nee, danke. Höre das erstmal selber in Ruhe ab. Dann erkläre mir das Wichtigste“, erwidere ich nur.
Ich starre unterdessen konsterniert auf mein Mobiglas.
Darauf nur eine kurze Nachricht:
„Ich bin raus. Macht’s gut – Chhris.“
Keine weitere Erklärung.
Journal-Eintrag 05 / 11 / 2951
Während ich vor mich hincruise und über dies uns jenes nachdenke, höre ich im Hintergrund ein wenig Radio Infinity. Plötzlich ein Werbespot über Big-Bennys-Nudeln – mit Zeros Stimme.
„Ich sitze hier irgendwo einsam im Nichts…blablabla…Big Bennys, mach sie dir noch mal warm.“
Ich schreibe Zero an.
„Alter, was ist das denn? Machste jetzt Nudel-Werbung?“
Er schreibt kurz zurück: „Yo. Denen gefiel wohl meine Stimme.“
Ein fettes Grinsen huscht mir übers Gesicht.
„Haben Sie dich wenigstens gut bezahlt?“
„Nee, keinen Cent.“
Radio-Arschgeigen.
Journal-Eintrag 16 / 09 / 2951
Ich bin auf ArcCorp – und ein wenig einsam. Dabei ist heute mein Geburtstag. Am 16. September 2203 wurde ich auf der Erde in Vancouver in Kanada geboren. Jetzt lebe ich fast 750 Jahre später in einem mir nach wie vor unbekannten Universum. Ich bin jetzt 48 Jahre alt und habe doch das Gefühl, eben erst auf die Welt gekommen zu sein. Mittlerweile habe ich viel gesehen, neue Freunde gefunden und auch wieder verloren, ich bin soweit meinen Weg gegangen, bin aktuell einer großen Verschwörung auf der Spur – und fühle mich doch seltsam leer. So, als würde ein Teil von mir fehlen…als wäre da ein Loch in mir…ein anderes Ich….
Mein Mobiglas piept.
„John? Friedrich hier. Friedrich Winters.“
„Ah…was kann ich für dich tun?“
Er druckst ein wenig herum, dann rückt er mit der Sprache heraus. Er ist mitten im All mit einer kleinen Origin 85x gestrandet, hatte sich offenbar darauf verlassen, dass es auf seiner Route nach ArcCorp eine weitere Raumstation zum Auftanken geben würde.
„Soll ich dich abholen?“
„Das wäre prima.“
Ich laufe zur „Clarke II“ und bin kurz darauf unterwegs. Ich habe unlängst in das Schiff einen neuen schnelleren Quantumdrive einbauen lassen. Auch probiere ich mal eine dunklere Lackierung aus. Im Eiltempo rast die „Clarke II“ durch den Quantumtunnel. Bald schon sehe ich Winters in seinem kleinen Schiff und wenige Minuten später ist er an Bord meiner Mercury.
„Soll ich dich nach ArcCorp bringen?“
Er schüttelt den Kopf.
„Nein danke, mein Geschäftstermin ist ohnehin geplatzt.“
Er erzählt, dass es mit seinen touristischen Unternehmungen im Stanton-System gut vorangehe, ich sage, dass ich heute Geburtstag hätte, woraufhin sich seine Miene aufhellt.
„Herzlichen Glückwunsch! Drink gefällig?“
Ich nicke.
Wir fliegen gemeinsam nach Orison. Ich finde relativ flott den „August Dunlow“-Spaceport und lande. Ich hatte gehört, dass sich manche hier so lange einen Wolf suchen, bis ihr Tank fast alle ist. Friedrich und ich landen aber problemlos und steuern die nächste Bar an – nachdem wir auf einem der Hochhäuser zunächst einen fantastischen Blick über die Wolkenstadt genossen haben. Die Barkeeper sind auf Orison so störrisch wie überall sonst im Verse, fast scheint es so, als würde dahinter Methode stecken. Irgendwann halte ich aber meinen Geburtstagsdrink, ein kräftigen Whisky-Cola, in den Händen. Ich spüle mit ein paar großen Schlucken manchen Ärger und manche Enttäuschung der vergangenen Monate hinunter – dann schaue ich zu Winters und sehe nicht recht: In seinen Händen hält er eine undefinierbare, grüne Flasche.
„Was ist das denn – Abflussreiniger?“
„Grüner Smoothie“, erwidert Friedrich trocken.
„Und damit willst du mit mir anstoßen?“
Friedrich grinst mich an.
„Na klar, in meinem Alter muss man sich fit halten.“
Ich schüttele entgeistert den Kopf.
„Pfui Deibel.“
Aber es hilft nichts. Geburtstag ist Geburtstag. Hauptsache, ich muss den grünen Schleim nicht selber runterwürgen. Da nehme ich ja lieber einen Schluck Enos. Also stoßen wir an.
Es kann alles nur besser werden.
Was für ein Irrtum!
Waffe an der Schläfe
Ich stapfe mitten im Nirgendwo durch die Tundra und Taiga Microtechs. Der keifende Wind zerrt an meinen Klamotten. Ich blicke mich um. Der Ort ist perfekt für Menschen, die Einsamkeit suchen. Oder für Depressive. Ich erklimme einen Hügel, dann erspähe ich die Constellation Phoenix. Wie ein Fremdkörper, der einen am liebsten von hier wegbringen möchte, wirkt das wundschöne weiße Schiff in dieser Einöde. Ich krame die Einladung aus meiner Tasche und werfe einen schnellen Blick drauf. Es kommt mir vollkommen absurd vor, was ich hier soll – aber was soll’s. Ich erzähle denen von „Snowflake Spirit“ am besten was sie hören wollen. Dann bin ich hier schnell wieder weg.
Wer kann dazu schon nein sagen, wenn einem so viel Honig um den Mund geschmiert wird?
Zwei Personen erwarten mich am Lift der Phoenix.
„Mr. Brubacker?“
Ich blicke den grobschlächtigen Mann an. Nicht der Hellste, wie es scheint.
Fast hätte ich geantwortet: „Sehen Sie noch jemanden in dieser Einöde?“
Stattdessen nicke ich kurz und steige auf den Fahrstuhl.
„Schön, Sie zu sehen. Seien Sie doch so freundlich und nehmen Sie Ihren Helm ab, ebenso bitte Ihre Waffe. Aus Sicherheitsgründen.“
„Natürlich“, erwidere ich und folge den Anweisungen.
„Schönes Schiff“, sage ich und versuche ein wenig Smalltalk zu beginnen.
„Hier entlang. Mrs. Smith wartet bereits auf Sie.“
„Wie Sie meinen.“
Momente später stehe ich im Konferenzabteil des Schiffes. An einem langen Tisch sitzt eine weibliche Person, versteckt unter einem Helm.
„Mr. Brubacker, schön, dass Sie sich zu uns gesellen…hatten Sie eine gute Anreise?“
„Ja, danke, ich…“
„..und halten Sie die Gegend auf den erste Blick dafür geeignet, um hier ein Urlaubs-Resort zu errichten?“
„Nun, meiner Meinung nach…“
Ich komme nicht dazu, den Satz zu vollenden.
„…was wissen Sie eigentlich über eine gewisse Krankheit, die in Stanton derzeit kursiert?“
Ihre Stimme nimmt von einem Moment auf den anderen einen gefährlichen Unterton an.
Ich bin überrumpelt, fast geschockt. Eine Falle!
„Mr. Brubacker…“
Die nunmehr eiskalte, wenn auch schmeichelnde Stimme duldet keinen Widerspruch.
Ich blicke mich hektisch um. Der grobschlächtige Kerl versperrt den Ausgang,
Ich reiße mich zusammen, atme tief durch, versuche mich zu beruhigen.
„Hatten Sie in letzter Zeit schon einmal Kontakt zu einem gefährlichen Kampfstoff?“
„…ich, nun, da sind Gerüchte im Umlauf…also…ich dachte, ich soll beurteilen, ob diese Gegend geeignet ist für… wer zum Teufel sind Sie?“
„Sie sind nicht in der Position, hier Fragen zu stellen…“
„Moment mal, so läuft das nicht. Ich will jetzt sofort hier raus.“
Ich spüre wie meine Verdatterung in Wut umschlägt.
„Vergessen Sie es.“
Ich drehe mich um und will zum Ausgang – als mir der Schläger eine verpasst.
Ich taumele ein paar Schritte zurück zum Konferenztisch.
„Nehmen Sie Platz. Bitte. Machen Sie es sich nicht so schwer.“
Ich versuche die Oberhand über meine aufkeimende Panik zu bekommen. Meine Gedanken rasen…dreh die Situation…die wollen etwas von dir…du bist nur in einer schwächeren Position, wenn sie das spüren… wenn sie haben, was sie wollen, dann …
Ich stelle direkten Blickkontakt her.
„Wie wäre es, wenn Sie auch Ihren Helm abnehmen?“
„…und Sie sind auch nicht in der Position, hier Bedingungen zu stellen.“
„Dann sage ich Ihnen gar nichts.“
„Ich rate Ihnen zu kooperieren.“
Auf mich prasseln plötzlich lauter Fragen ein. Ob ich Kjeld Stormanson von der Tyr Security oder Thane McMarshall, Sicherheitschef von Microtech kennen würde, einen gewissen Xedan Thormento schon mal getroffen hätte, wissen würde, was auf Security Post Kareah vorgefallen ist…gib ihnen etwas, denke ich fieberhaft, etwas, das eh keine Rolle spielt. Lass sie kleine Erfolge haben.
„Sagt Ihnen der Name Xedan Thormenato etwas?“ – „Ja. Ich habe ihn aber nie persönlich getroffen.“
„Wissen Sie, was auf Kareah vorgefallen ist?“ – „Ja. Ich war aber nicht persönlich vor Ort.“
„Kennen Sie die Reichen und Schönen von Stanton?“ – „Ja, den einen oder anderen.“
Ich werde innerlich ruhiger und gewinne die Initiative zurück. Noch haben sie mich nicht erschossen. Das bedeutet: Sie haben noch nicht, was sie wollen. Und das wiederum bedeutet: Auch sie stehen unter Druck. Die Vernehmerin probiert es mit einer neuen Masche.
„Erzählen Sie doch einmal etwas über Ihren Beruf als Journalist.“
Ich traue meinen Ohren nicht. Ich habe keine Lust auf ein Pro-Seminar.
„Nun, der Beruf dient der Wahrheitsfindung“, sage ich knapp.
Ich kann mir fast vorstellen, wie mich meine Entführerin unter ihrem Helm spöttisch ansieht.
„Der Wahrheitsfindung…?“
„Ja, aber nicht für einzelne Personengruppen. Und schon gar nicht auf diese Weise.“
Ich spreche über Quellenschutz, über das Redaktionsgeheimnis, versuche das Gespräch noch einmal auf das Urlaubs-Resort zu bringen, wissend, dass wir nicht deshalb hier sind. Ich versuche Zeit zu gewinnen – plötzlich ergreift der Schläger das Wort.
„Das hier führt zu nichts…“
Die Vernehmerin steht auf.
„Mr. Brubacker, tut mir leid, aber Sie sind für uns unbrauchbar.“
Mir läuft es eiskalt den Rücken runter – offenbar habe ich mein Blatt überreizt.
„Hören Sie…“
Es folgt ein kurzer Tumult. Schüsse fliegen durch das Schiff, mir schießt das Adrenalin bis in die Haarspitzen, instinktiv gehe ich in die Hocke. Der Schläger liegt plötzlich tot in der Ecke – und die Entführerin springt wie von der Hornisse gestochen auf und rennt zum Heck des Schiffs. Offenbar will sie fliehen. Als ich aufblicke, erkenne ich hinter dem Helm das Gesicht von McMarshall. Er atmet schnell, schaut sich kontrolliert im Schiff um. Dann wendet er sich an mich.
„Das war knapp. Die wollten schon ihre Werkzeuge auspacken…“
„Werkzeuge? Was zum Teufel ist hier los? Wer war das?“
Während McMarshall in jede Ecke späht und sichergeht, dass die Situation an Bord geklärt ist, beruhige ich mich langsam.
„Die waren vom MBOC. Meine Agenten hatten die fingierte Einladung abgefangen. Deshalb war ich so schnell hier.“
Den Namen hatte ich schon mal gehört – das „Microtech Bureau of Organzied Crime“, eine Microtech-interne Abteilung, die versucht, auch mit unlauteren, um nicht zu sagen brutalen Methoden organisierter Kriminalität das Handwerk zu legen; eine im Konzern hoch umstrittene Sektion.
„Und was wollten die von mir?“
McMarshall setzt mich ins Bild.
„Sie versuchen herauszufinden, was Ihre Redaktion weiß. Im Grunde stochern aber auch sie nur im Nebel. Stormansons Schiff haben sie auch schon durchsucht. Aber wenn sie zu solchen Mitteln greifen, dann müssen sie wirklich verzweifelt sein. Ich glaube aber nicht, dass sie Sie wirklich umbringen wollten. Das können sie sich auch gar nicht leisten.“
McMarshall empfiehlt mir dennoch bis auf weiteres auf ArcCorp zu bleiben und Microtech zu meiden. Ich sage, dass sie mal die Datenträger des Schiffes durchsuchen sollten. Ein Scan auf Fingerabdrücke könnte auch weiterhelfen. Gleichzeitig verfluche ich mich für meine Dummheit und blicke aus dem Fenster, wo die Dämmerung einsetzt.
„Ein Resort mitten im Nirgendwo. Auf felsigem Untergrund. Hier kriegt man nicht mal ein Loch in die Erde, um jemanden zu verscharren“, murmele ich leise. Ich schimpfe noch eine Weile vor mich hin, dann atme ich tief durch.
Ist gerade noch mal gut gegangen.
McMarshall will Jeff Alfonz, CEO von Microtech, persönlich einschalten.
Wir verlassen die Constellation und fliegen mit McMarshalls Shuttle zurück nach Port Tressler. Seine Männer werden sich um das Schiff kümmern. Der Anschlag auf Zeros Hub, meine Entführung – klar ist: Wir haben es mit Gegnern zu tun, die vor nichts zurückschrecken – nicht einmal vor Folter und kaltblütigem Mord. Höchste Zeit, Zero zu treffen und die nächsten Schritte abzusprechen.
Ich habe die dunkle Ahnung, dass uns das bald alles um die Ohren fliegen wird.
Der Spitzel
Zero hat ein genauso großes Quatschbedürfnis wie ich. Nachdem wir uns in unserer kleinen geheime Ecke auf Port Tressler gesetzt haben, bringen wir uns gegenseitig rasch auf den neuesten Stand. Ich erzähle von der Falle des MBOC und meiner Fast-Entführung. Dann berichtet Zero, was ihm sein Spitzel bei Shubin Interstellar mittlerweile geflüstert hat. Wir sind tatsächlich auf der richtigen Fährte, unser Gefühl hat uns nicht getrogen! Shubin Interstellar und Hurston Dynamics führen geheime Gespräche darüber, wie der Fair Chance Act umgangen werden kann. Dabei fiel offenbar auch ein Codename: Seesterne.
Ich grübele – Seesterne, nie gehört. Dann berichtet Zero von einem Datenträger, der auf seiner „White Rabbit“ versteckt war. Unter anderem war darin von einem geheimen Investoren-Treffen auf einer “Renaissance” die Rede, gesichert vom MBOC. Gerichtet war die Nachricht an Mr. Arlington, unterzeichnet von einem gewissen Eris.
„Kannst du damit etwas anfangen?“
„Uff…nee…aber es tauchen immer wieder die gleichen Namen auf. Auch die Arschlöcher vom MBOC.“
„Ich habe selten einen Reporter getroffen, der so wenig Ahnung hatte…“
„Wofür habe ich dich?“
„Stimmt auch wieder.“
Dann erklärt Zero was er darüber herausgefunden hat.
„Eris ist doch der Typ, der die Yellowhands beauftragt hatte, Xedan festzusetzen und ihn am Leben zu halten, erinnerst du dich?“
„Hm, kann sein…“
„Arlington ist der CEO von Shubin Interstellar. Shubin wurde laut dieser Nachricht von Thiago auf die Renaissance zu einer Party eingeladen….klar soweit?“
„Nur, wenn du mir sagst, wer Thiago und was die Renaissance ist…“
„Habe ich mich auch gefragt. Wusste dann aber Thane…“
„Aha…“
“Hinter der Thiago Lobby stecken Investoren mit verdammt viel Geld. Und die Renaissance ist eine Origin 890 Jump Luxusyacht. Thane wurde darauf eingeladen…“
Ich sortiere noch meine Gedanken, doch Zero fährt schon fort.
„…er hat mir fest versichert, dass mit dem MBOC keinesfalls unter eine Decke steckt.“
Ich nicke. Mir schwirrt der Kopf. Dann erwähnt Zero noch irgendwelche anderen Gruppen, die wohl auch mit drin stecken – irgendeine Blutrote Front, eine Piratensplittergruppe namens Versipellis Sica – mein Hirn schaltet zwischenzeitlich ab, dann formt sich die alles entscheidende Frage:
„Warum will jemand, dass wir das alles wissen? Warum versteckt eine unbekannte Person diesen Datenträger auf deinem Schiff?“
Zero blickt mich durchdringend an.
„Genau, das ist die Gretchenfrage. Es sind Brotkrumen, wie von Anfang an. Ich lese aus alldem, dass die Thiago Lobby an Xedan ran will. Von ihm wollen sie Informationen. Es geht von Anfang an nur um Xedan Thormento. Alle anderen sind nur Schachfiguren.“
„Hmm…und jetzt?“
„Gehen wir unseren Spitzel von Shubin abholen.“
„Wie bitte?“
„Hast du gedacht, du bist nur hier, um schöne Augen zu machen?“
„Ich…“
„Kjeld Stormarnson und die Jungs von Tyr Security warten auf Caliope – versteckt in einem Drogenlabor. Sie bieten uns Geleitschutz. Dann fliegen wir runter nach New Babbage und sammeln unseren Mann auf dem Dach von Shubin auf.“
„Ich hoffe, wir nehmen Dein Schiff?“
„Worauf du wetten kannst.“
Minuten später sind wir unterwegs, nehmen die Söldner von der Tyr Security an Bord und fliegen im Tiefflug nach New Babbage. Bald schon kommen die Zwillingstürme von Shubin Interstellar in Sicht. Während Zero und ich nach der Landung auf dem Dach des Gebäudes an Bord der “White Rabbit“ bleiben, wollen die Tyr-Männer den Spitzel zum Schiff eskortieren. Wir warten.
Dann, direkt über uns, ein Schiff, das uns scannt.
„Verflucht.“
Schon über dem Drogenlabor war ein uns unbekanntes Schiff über uns hinweg gedonnert.
„Ich habe da ein ganz mieses Gefühl. Ich wette, wir werden beobachtet.“
Zero stimmt mir zu.
Dann die Nachricht über Funk: „Hier ist niemand.“
Als Nächstes fangen die sensiblen Scanner der „White Rabbit“ einen Funkspruch ab. Zeros Bordrechner decodiert ihn.
„Terroristische Aktivitäten beim Hauptquartier von Shubin Interstellar. Möglicher Bezug zum inhaftierten Maulwurf bei Shubin. Entsenden die MSF zur Klärung der Situation.”
„Verdammt. Sie sind uns zuvor gekommen.“
„Weg hier“, befiehlt Zero – und kaum, dass die Tyr-Männer wieder an Bord sind, hebt Zero auch schon ab – zurück in die Einöde von Microtech.
Die Manöverkritik fällt schnell und eindeutig aus – wir sind gerade so noch einmal davongekommen. Sie waren uns dicht auf den Fersen.
„Und jetzt?“
Alle blicken sich ratlos an.
Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Wir müssen auf die „Renaissance“.
„Ich wette, da laufen alle Fäden zusammen“, sage ich.
Zero blickt mich entgeistert an.
„Und wie sollen wir da rauf kommen ohne Einladung?“
„Thane könnte uns doch mitbringen“, grinse ich ihn an.
Dann ergreift Kjeld das Wort.
„Wir mischen uns unter das Personal und durchsuchen heimlich das Schiff. Wir brauchen dann nur noch eine schnelle Fluchtmöglichkeit.“
„Klingt cool“, sage ich, „aber auch gefährlich in der Höhle des Löwen…vor allem, wenn das MBOC das Sicherheitspersonal stellt.“
„Bleibt nur noch die Frage, wo wir bis dahin unsere geheimen Informationen sichern können. Wie wäre es in deiner Redaktion, Bru?“
„Da kannst sie auch gleich Thiago und dem MBOC direkt geben. Die Tür kriegst du mit nem Zahnstocher auf.“
Ich kann in Zeros Augen genau sehen, was er denkt.
„Okay…alles klar..aber ich kenne jemanden. Twitch. Alte Freundin von mir. Sie kennt immer perfekte Verstecke. Muss eh zu ihr nach ArcCorp, weil ich ihr noch einen Gefallen schulde…“
Kurzum: Nichts erreicht, viel besprochen – aber einen Plan: Zero fliegt uns zurück nach Port Tressler, dann trennen sich unsere Wege.
So ist es weiterhin am sichersten, sofern von uns überhaupt noch jemand sicher ist im Stanton-System. Ich schnappe mir meine „Clarke II“ und fliege rüber nach ArcCorp. Ich muss noch ein großes Gute-Laune-Stück zum kommenden Bürgertag schreiben, auch wenn ich dazu alles andere als in der Stimmung bin. Na ja, Hauptsache erstmal weg von Microtech.
Journal-Eintrag 08 / 10 / 2951
Es ist Bürgertag im Empire – und ich habe diesen Text mit zitternden Fingern in meiner Redaktion geschrieben, als Vorlage für ein Radiostück. Dann habe ich es mal RI-Mitarbeiter Cartago zu lesen gegeben – und er hatte echt noch tolle Ergänzungen. Ist jetzt eine runde Sache. Ich wünschte nur, ich könnte davon jede Zeile frei und unbeeindruckt von den Geschehnissen der vergangenen Monate unterschreiben. Ich wünschte, ich wäre frei von Zweifel und Angst. Ich wünschte, es gäbe keine dunklen Machenschaften. Ja, es wird Zeit, dass die Geheimnisse um Enos und die vermeintlichen Killersatelliten endlich ans Licht kommen. Das sich andere darum kümmern. Ich hoffe, dass Zero und ich heil aus der Sache rauskommen. Ich hoffe es wirklich.
Bürgertag
Von John Brubacker & Nick Cartago
Die frühe, frische Luft des aufgehenden Tages – sie umweht uns hier oben auf dem Dach der Sendezentrale von „Radio Infinity“ auf einem der Wolkenkratzer von Area 18. Wir blicken hinaus auf das wunderschöne Lichtermeer, auf die unzähligen Gebäude voller Leben und Schicksale, die in ihnen zu Hause sind. Der stete Strom des Stadtplaneten, der Wind des Lebens, er zieht umher zwischen den Häusern, wechselt immer mal wieder die Richtung und seine Intensität, weht mal stärker und mal schwächer. Er ist ein Sinnbild für das Leben selbst. Er umschmeichelt uns, als wollte er sagen: Sieh her, es wird ein guter Tag werden in diesem Empire. Wer weiß, was er bringen wird. Wer weiß, was du heute Abend erlebt haben wirst. Welche Begegnungen dir neue Horizonte aufgezeigt und eröffnet haben werden.
Ja, ein Bürger des Empires zu sein, ist ein großes Privileg. Eines, das verdient sein will. Und vor allem eines, das mehr ist als nur ein Wort. Ein Citizen zu werden, ist die Beschreibung für eine Lebensphase in den uns geschenkten Jahren, wenngleich das Empire alles andere als perfekt ist – wie könnte es auch? Es ist ein Empire, das sich immer wieder neu finden und das seine Bürger immer wieder überzeugen muss. Ein Bürger des Empires zu sein, das bedeutet vor allem, eine innere Haltung zu besitzen. Man drückt den Rücken durch, nimmt das eigene Geschick in die Hand, lacht dem Teufel und dem Vanduul ins Gesicht, wenn es Not tut, und macht sich an sein Tagewerk. Das und noch viel mehr ist die Bedeutung des Bürgertages, des „Citizen Day“, der in diesem Monat gefeiert wird.
„Der heutige Tag soll alle daran erinnern, dass die Zukunft des United Empire of Earth das ist, was wir aus ihr machen. Wenn wir nicht nur ein besseres Universum für uns selbst, sondern auch für die kommenden Generationen wollen, so müssen wir ein solches erschaffen.“
Diese wohl gewählten Worte von Imperatorin Erin Toi vor bald 150 Jahren definieren unser Verständnis der „CitizenCon“, jenem Ort, an dem der Bürger feiert, was das Empire im Kern bis heute ausmacht: sich selbst. Dort wird wie nirgendwo sonst deutlich: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Der Kitt, der das Empire zusammenhält, besteht nicht etwa aus dem kalten Stahl der Raumschiffe und ihrer Feuerkraft, aus Verordnungen und Vorschriften, nicht einmal aus dem legislativen Rahmenwerk der UEE, nein der Kitt des Empires besteht im Engagement und dem Commitment eines jeden einzelnen Bürgers.
Seit mehr als anderthalb Jahrhunderten feiert die „CitizenCon“ nun schon all diejenigen, die das UEE zu einem besseren Ort machen wollen. Diese jährliche Konferenz stellt die Citizens ins Rampenlicht, feiert ihre Erfolge und konzentriert sich darauf, wie man das Empire noch besser machen kann, indem wichtige Themen hervorgehoben und diskutiert werden. Kurz gesagt: „Citizen Day“ und „CitizenCon“ verkörpern die Hoffnungen und Träume all derjenigen, die daran arbeiten, unser Universum für alle ein Stück zu verbessern.
Diese tragende Idee hat gerade in den vergangenen Jahren die „CitizenCon“ eine Renaissance erleben lassen. Anlass genug, die vergangenen Jahre ein wenig unter die Lupe zu nehmen. Sie haben gezeigt, wie sehr den Bürgern bei allen Differenzen und verschiedenen Lebenswegen das Empire doch gemeinsame Heimat ist. Nicht unbeteiligt daran dürfte die Situation eines jeden einzelnen Bürgers sein. Von äußeren Feinden bedroht, von innerparteilichem Gezänk zerrissen, dienen „Citizen Day“ und „CitizenCon“ vor allem der Selbstvergewisserung. Selbst der andauernde Zwist zwischen Erde und Terra über den künftigen politischen Hauptsitz des Empires scheint an diesem Tag vergessen. Vergessen sind für einen Moment auch die irrsinnigen Ausgaben des Militärs, die jeden Kostenrahmen sprengen – von den Kosten für die Synthworld ganz zu schweigen. Es ist ein Moment des inneren Aufrichtens und Innehaltens und es ist auch der Moment Ausschau zu halten nach dem, was Citizens im Empire zu bieten haben und wie unsere Zukunft aussehen könnte.
Im Jahr 2947 blickten die Citizens gebannt auf ihre Displays, als Silas Koerner die Consolidated Outland Pioneer vorstellte – ein gigantisches Konstruktionsschiff, das die Perspektive schon im Namen trägt: In Einsamkeit und Ödnis aufzubrechen und dort, wo es noch keiner wagte, etwas aufzubauen – und eine Perspektive zu schaffen für uns. Der Applaus, der damals im Auditorium aufbrandete und weit über alle CommArrays ins Empire hallte, ist ein unverrückbarer Beweis dafür, was uns Bürger in der UEE, aber auch darüber hinaus, miteinander verbindet. Es legt Zeugnis darüber ab, was uns Menschen von Natur aus innewohnt: Aufbruch und Entdeckung.
Ein weiteres Highlight konnten wir im Jahr 2949 verfolgen, als das UEE-Militär vorführte, welche Schlagkraft sich entwickeln kann, wenn luft- und bodengestützte Einheiten zusammenarbeiten. „Theaters of War“ nannte das Militär seine Vorführung. Ein Donnerhall – oder eben doch nur Theaterdonner? Nun, gleichwohl: Als die Xeno-Piraten unlängst aus Pyro erneut ins Stanton-System eindrangen und sich die Bürger des Empires dem in ihren privaten Schiffen entgegenstellten – was war das anderes als ziviles Engagement? Und entsteht ein solches nicht erst dadurch, wenn man sich der eigenen Kraft und Möglichkeiten bewusst ist? Als Bürger sowohl in als auch ohne Uniform?
Was war das anderes als ein starkes Statement, sich die wieder erlangte Freiheit nach dem dunklen Zeitalter der Messer-Ära und des Vanduul-Konflikts nicht einfach erneut entreißen zu lassen? Es ist immer wieder die „CitizenCon“, auf der Bürger einmal Schiffe steuern dürfen, die sie selbst nicht besitzen – unter Aufsicht natürlich, aber in voller Verantwortung. Kurzum: Für jeden Bürger des Empires ist dies der wichtigste Tag des gesamten Jahres – sei es nun nur virtuell über Spectrum oder direkt vor Ort, wenn man eine der begehrten Eintrittskarten ergattert hat, die jedes Jahr innerhalb von Sekunden vergriffen sind.
Vergessen wir rund um die „CitizenCon“ nicht, dass das Event des Jahres nur ein Teil der Feierlichkeiten abbildet. Das UEE feierte den Bürgertag bereits seit Jahrhunderten, schon lange bevor es die erste „CitizenCon“ gab. Als die Regierungen der Erde im 22. Jahrhundert zum ersten Mal das bis heute aktuelle Konzept der Bürgerschaft einführten, folgte der Bürgertag, also der „Citizen Day“, kurz darauf als Möglichkeit, bürgerliche Pflicht und Verantwortung gleichermaßen zu zelebrieren. Später sollte es der Tag werden, an dem neue Bürger eingeschworen wurden. Für hunderte Jahre war der Tag ein gesetzlicher Feiertag, an dem die Leute nicht zur Arbeit mussten und Kinder an die Wichtigkeit des Erreichens der Bürgerschaft erinnert wurden.
Und doch hat auch dieser Tag eine dunkle Vergangenheit – die ihn heute aber umso heller erstrahlen lässt. So wurde er, was heute kaum noch jemand weiß, einst von hochrangigem Militärs initiiert. Eine Welle von Vanduul-Überfällen im Tiber System hielt das Empire in Atem. Die Truppen erlitten Verluste, Ressourcen gingen zur Neige und sie befürchteten, dass die Verlegung von Truppen von der Perry Linie nach Tiber von den Xi’an als Schwäche interpretiert werden könnte. Das Militär brauchte mehr Piloten, Crews, Soldaten. Deswegen schlugen sie dem damaligen Imperator Galor Messer IX einen Bürgertag vor, der „die Bürger und die Opfer feiert, die sie bringen, um ein besseres Empire zu erschaffen.“
Oberflächlich betrachtet, erreichte der Bürgertag zwar seine Ziele, erzeugte gleichzeitig aber auch eine Gegenbewegung aus Aktivisten, die begannen, die wahre Macht zu feiern – nämlich den Bürger selbst. Es war ein weiterer Funke an der Zündschnur, die das Messer-Regime schließlich zum Einsturz bringen sollte – und so wurde tatsächlich eine bessere Zukunft geschaffen. Insofern bildet der „Citizen Day“ tatsächlich das Beste im Menschen ab – ein Tag, um sich zu erheben, in jedem Sinne.
Imperatorin Erin Toi lud am 10. Oktober 2793 dann schließlich zur ersten „Citizen Day“-Konferenz nach New York ein. Toi hielt eine mitreißende Rede darüber, dass die Zukunft des UEE nun wahrlich in den Händen der Bürger lag. Die meisten Menschen sehen die Einführung der „CitizenCon“, wie sie bald genannt werden sollte, heute als Erfolg an – auch wenn manche Kritiker sie als aufgeblähte Werbe-Kampagne für das UEE bezeichnen. Dennoch haben die Bürger sich längst zu eigen gemacht an kleinen Ständen rund um das Konferenzzentrum zu präsentieren, was ihnen wichtig ist: ihr Leben in der UEE, sei es nun als Rennveranstalter, Radiomacher oder Hersteller von Kartenspielen. Wer wollte nicht schon immer einmal am Lagerfeuer auf einem fernen Planeten sitzen und bei ein paar kühlen Smolz auf Spielkarten eine Superhornet gegen einen Vanduul-Jäger antreten lassen? Die Citizens des Empires wissen, wie sie sich feiern. Am Ende ist die „CitizenCon“, wie sie heute existiert, eine Verkörperung ihrer ureigensten Idee.
Während neue Citizens vereidigt werden und in stundenlangen Vorträgen Bahn brechende Perspektiven für das Verse präsentiert werden, sorgen die Stände, der Austausch und der Besuch der vielen Citizens dafür, dass die „CitizenCon“ einem Volksfest gleich zelebriert wird. Die Bürger des Empires erinnern sich damit selbst daran, wie wichtig Bürgerschaft ist und halten diese als Ideal hoch: „Citizenship muss man sich verdienen.“ Sie ist erstrebenswert – unabhängig davon, wie bescheiden die eigene Herkunft oder wie schwierig die Reise bis hierher war. So gilt nach wie vor, was Imperatorin Toi während ihrer Eröffnungsrede bei der „CitizenCon“ im Jahr 2793 sagte:
„Das United Empire of Earth ist ein Traum, der nur durch die Unterstützung der Menschen möglich ist. Es ist eine Reflektion des Universums, das sie haben wollen und für dessen Erhaltung sie kämpfen werden. Solange die Bürger stark bleiben, wird es auch das Empire sein.“
Anders gesagt: So lange der Wind weht, so lange trägt er neue Früchte heran.
Die Befreiung
Ein paar Tage später, es ist der Abend vor dem Bürgertag im Empire. Wo man hinschaut, hat es sich herausgeputzt, fiebert dem großen Tag entgegen. Ich hingegen stehe unschlüssig auf Port Tressler über Microtech und weiß nicht so recht, wohin mit mir. Wenige Stunden zuvor war ich erneut mit Friedrich Winters unterwegs gewesen, habe mir noch einmal seine Route für sein neues touristisches Angebot im Stanton-System angesehen. Unter anderem will er die Geschichte eines verirrten Minenarbeiters erzählen. Recht spannend – doch mir steht der Kopf woanders.
Ich blicke mich um – wem kann ich jetzt noch trauen? Nach allem, was vorgefallen ist? Was passiert als nächstes? Die Menschen um mich herum haben keine Ahnung, in welcher Gefahr sie schweben…ich wünschte, ich könnte genauso unbedarft die Arme hochreißen und den Bürgertag feiern. Unwissen kann manchmal ein Segen sein. Ich habe das Gefühl, um meinen Hals hängt ein Mühlstein und eine tonnenschwere Last liegt mir auf den Schultern.
Gedankenverloren laufe ich über die Station, als ich mit jemandem zusammenstoße.
„..’tschuldigung, ich…“
Ich drehe mich um und meine Stimmung hellt sich auf.
„Cartago…?“
„…John…“
„Das ist ja ein Zufall, wohin des Wegs?“
„Ich habe gerade einen Cargo-Run abgeschlossen. Jetzt, unmittelbar vor dem Bürgertag ist überall das Bedürfnis nach Waren aller Art im Empire groß. Hochzeit für Hauler wie uns.“
„Verstehe. Und jetzt wolltest du…“
„…gerade mal eine kleine Pause einlegen. Wollte gerade die letzten Formalitäten erledigen.“
„Und du?“
„Ich…ach, eigentlich nichts.“
Ich blicke kurz in die Leere, als mein Mobiglas piept.
„Moment…“
Zero.
Ich lese seine Nachricht – und kann sie kaum glauben. Offenbar hat Twitch, heimliche Patin vieler Verbrechen auf ArcCorp und interessanterweise gute Bekannte von Zero, ihm einen Tipp gegeben, wo unser verschollener Shubin-Spitzel zu finden ist: auf einer Caterpillar, ruhig gestellt in einer Kryokapsel und nicht etwa – wie vermutet auf der „Renaissance“. Auch ein paar von Twitchs Leuten sind wohl an Bord. Der Deal: Befreien wir auch ihre Leute, verrät uns Twitch, wo der Gefangenentransport zu finden ist. Offenbar sollen die Gefangenen aus dem System geschafft werden. Unser wichtigster Beweis – er scheint sich gerade ins Nirwana zu verabschieden. Zeitfenster für die Rettung: Jetzt sofort.
„Fuck…“
„Was ist denn los?“
„Nichts…ich…äh…ich muss sofort los.“
Offenbar habe ich Cartagos Interesse geweckt.
„Wohin denn?“
„Schwer zu erklären…wenn du dich nicht sofort hinlegen willst, komm einfach mit. Kleines…Abenteuer….“
„Ein Abenteuer?“
„Ja, muss ich dir alles unterwegs erklären. Ich habe eine wichtige Nachricht erhalten. Wie gesagt: Ich muss sofort los…“
Zu meiner Überraschung nickt Cartago.
„Bin dabei.“
Minuten später sind wir an Bord der „Clarke II“ und unterwegs nach Bajini Point über ArcCorp, wo wir Zero treffen sollen. Kaum haben wir die Station verlassen, schaut mich Cartago neugierig an und aus mir platzt vieles nur so heraus – die Killersatelliten-Verschwörung, der Fair-Chance-Act, den die großen Konzerne nach Lage der Dinge unterlaufen wollen, um neues Land zu gewinnen, das Enos-Gift, Xedans wahnsinniger Traum vom „Sternenkonzern“…. Ich bin froh, dass ich es mir mal von der Seele quatschen kann. Schließlich: Wenn Zero und mir etwas passiert, wer sollte es dann noch aufhalten? Das Empire gehört den Bürgern – heißt es nicht so? Also sollten die Bürger auch darüber Bescheid wissen, was darin geschieht, oder? Gerade jetzt zum Bürgertag?
Cartago hört konsterniert, wenn auch völlig ruhig zu. Ich kann mir genau vorstellen, was er denkt: Warum bin ich nicht einfach ins Bett gegangen? Mir ist klar, dass er völlig überfordert sein muss, schließlich aber sagt er seelenruhig: „Da habt Ihr echt eine rote Linie überschritten.“
Ich fasele etwas davon, mich von alldem nicht verrückt machen lassen zu wollen, die Distanz zu wahren, von journalistischem Auftrag und anderes mehr – und weiß doch, wie hohl meine Worte klingen. Die simple Wahrheit ist: Mir geht der Arsch auf Grundeis. Verständlich, wenn man bedenkt, dass Milliarden Leben unmittelbar bedroht sind und ein kleiner Reporter und ein Freigeist mit Irokesen-Haarschnitt alles ans Licht bringen sollen.
Kaum sind wir gelandet, treffen wir Zero am großen Panoramafenster der Station.
„Alles in meiner Nachricht verstanden, Bru?“
Ich nicke.
„Wer ist das?“
„Cartago. Neuer Freund von mir. Ist vertrauenswürdig. Wir brauchen mehr Leute, Zero. Es müssen mehr wissen, was hier abgeht. Wir können das nicht mehr allein stemmen.“
Zero nickt.
„Okay.“
Dann umreißt er kurz seinen Plan der Befreiungsaktion.
„Die Cat liegt bereits gestoppt im All. Einer von Twitchs Leuten hat offenbar den Antrieb sabotiert. Bevor wir unseren Mann befreien können, müssen wir aber zuerst das nahe gelegene CommArray still schalten, damit sie keine Hilfe rufen können. Dann können wir das Schiff stürmen.“
„Alles klar.“
Cartago sieht betroffen aus. Mit Kampfhandlungen hatte er offenbar nicht gerechnet. Er ist eben ein klassischer Frachterkapitän.
„Wir sollen…?“
„…keine Sorge. Ich habe Hilfe organisiert. Die Jungs von Tyr Security sind mit dabei. Kjeld ist sofort gekommen.“
Cartago verschwindet für einen Moment, kommt kurz darauf dick gepanzert zurück.
„Wo haste denn die Ausrüstung auf einmal her?“
„Aus dem Admin-Büro. Die haben da manchmal Fundkisten und geben für einen Spotpreis gebrauchte Klamotten ab, weil sie nicht wissen, wohin damit.“
„Aha, gut zu wissen.“
Wir blicken zum Panoramafenster hinaus. Dann sehen wir sie auch schon anschweben.
Cartago schaut entgeistert auf die riesige Hammerhead.
„Ein Kriegsschiff?“
„Unauffälliger ging’s wohl nicht“, ergänze ich.
Das Schiff dockt aus Sicherheitsgründen nicht an, wir schweben hinüber und sind wenige Minuten später an Bord, wo wir auf Stormarnsons Truppe und ihn selbst treffen. Es folgt ein kurzes Geplänkel, dann wird es militärisch, wie bei Söldnertruppen gang und gebe.
Zero soll zunächst den Satelliten hacken, später unter Schutz der Tyr-Leute mit an Bord der Cat gehen und den Spitzel befreien. Schließlich hatte er als Einziger bisher direkten Kontakt zu ihm. Cartago und ich sollen an Bord der Hammerhead bleiben und bei etwaigem Feindangriff das Schiff verteidigen. Soweit, so gut. Ich sehe wie Cartago ruhiger wird, er scheint sich an Bord sicher zu fühlen.
Schließlich hören wir über Funk mit, wie Zero den Satelliten hackt. Als Nächstes erreichen wir die Caterpillar. Sofort wird auf uns geschossen – doch die Tyr-Jungs verstehen ihren Job. Wir hören wie die Söldner mit Zero im Schlepptau ins Schiff vordringen. Es geht alles glatter als gedacht: Der Spitzel wird von einem zweiten Team, das Twitch geschickt hatte, abgeholt – zusammen mit ihren Freunden. So bleiben alle anonym – Gangstermethoden. Unseren Spitzel sollen wir später auf ArcCorp in die Finger bekommen. Es folgt ein kurzes Debriefing, dann geht es mit der Hammerhead zunächst nach Grimhex, der Hauptbasis von Tyr Security.
Nach der Landung sprechen Zero, Kjeld Stormarnson und ich darüber wie wir nun weiter verfahren wollen. Zwei Personen müssen vor allem befragt werden – unser Spitzel und nach wie vor Xedan Thormento, um den ja alles kreist. Er liegt aber noch immer im Koma. Kurz sprechen wir darüber, ob seine Erinnerungen mit der modernen Echo- und Imprint-Technologie vielleicht in einen anderen Körper übertragen werden könnten, verwerfen die Idee dann aber als zu unethisch. Wie könnten wir die Methoden der großen Konzerne anprangern, wenn wir zu ähnlichen greifen würden?
Nadeln im Heuhaufen
Als ich auf Port Olisar lande, warten die anderen schon.
„Mr. Brubacker, schön Sie wiederzusehen. McMarshall kommt auch gleich noch.“
Neben Kjeld Stormarnson stehen noch ein paar andere mir unbekannte Personen. Offenbar gehören sie zu einem erweiterten Team rund um Stormarnson, das nötig ist für das, was wir vorhaben.
„Sind Sie wie besprochen mit Ihrer Star Runner gekommen?“
„Wie gewünscht. Ich muss aber sagen, dass ich technischer Laie bin, was so etwas angeht.“
“Kein Problem. Wir werden Sie koordinieren.“
Über das Mobiglas hatte mir Stormarnson eine Nachricht geschickt, ob ich möglichst schnell nach Port Olisar kommen könne – mit der „Clarke II“. Mit Hilfe zweier Star Runner und einer Herald, eines kleinen Schiffes mit ausgefeilter Scan-Technik, möchte er verschlüsselte Comm-Nachrichten abfangen, die aktuell rund um Crusader durch den Äther schwirren – Nachrichten, die offenbar Enos betreffen. Das Ganze sei extrem zeitkritisch. Dafür sollen wir mit drei Schiffen ein Scan-Dreieck im Raum aufspannen, das selbst noch kleinste codierte Schnipsel auffängt.
Kurz darauf trifft McMarshall ein und gemeinsam besetzen wir die Schiffe. McMarshall steigt zu mir mit ins Schiff; nachdem er mir das Leben gerettet hat, habe ich eigentlich keinen Grund mehr ihm zu misstrauen. Wir fliegen nicht weit in den Raum hinein. Port Olisar bleibt noch in Sichtweite. McMarshall ist über einen internen Funkkanal mit den anderen Schiffen verbunden, ich spiele den Chauffeur. Bald heißt es, ein bisschen mehr nach steuerbord, ein wenig ausrichten hin zu den anderen Schiffen, Abstand halten, Ruhe ins Schiff bringen… Ich sehe zwar nicht, was passiert, aber offenbar wird der Datenstrom, der unaufhörlich auf subatomarer Ebene durch Stanton fließt, nun von den starken Scannern der Schiffe gefiltert und nach einer bestimmten Kennung durchsucht.
McMarshall bietet mir unterdessen das Du an. Zunächst ein wenig verdutzt, stimme ich zu. Mir war der Gedanke auch schon gekommen. Manchmal muss man auch einen Schritt wagen, wobei eine gewisse professionelle Distanz immer gut ist. „Nicht sofort verbrüdern“, das war schon immer meine Devise – „erst recht nicht, wenn es um den Job geht.“ Ein eiserner journalistischer Grundsatz. Wir stecken mittlerweile aber gemeinsam so tief in der Sache drin, dass es darauf jetzt auch nicht mehr ankommt.
„Ich hab’s!“
Es ist Stormarnson, der über Funk meldet, dass er offenbar etwas gefunden hat. Nach ein paar Minuten erhalten wir die decodierten Nachrichten auf unser Mobiglas.
Ich lese zweimal, dreimal. Neue Rätsel.
„Ihr wollt die Wahrheit über Enos? So findet die Wahrheit über mich.“
„Und jetzt?“
Ich wünschte, Zero wäre hier. Stormarnson hatte ihn wohl auch angepingt, aber er hatte sich nicht mehr rechzeitig zurückgemeldet.
Thane berät sich mit Stormarnson.
Schließlich heißt es: Zurück nach Port Olisar.
„Wir müssen die erwähnten Orte abfliegen – The Orphanage, Outpost Dobbs und Rayari Anvik Research Outpost. Vielleicht finden wir dort weitere Hinweise“, schlussfolgert Thane.
Ich nicke, auch wenn ich alles andere als begeistert bin. Auf eine Hetzjagd durch das halbe System bin ich eigentlich nicht eingestellt.
„Okay, wenn es der Sache dient…“
Zurück bei Port Olisar stellt uns aber zunächst die alte Station mal wieder auf die Nervenprobe. Ich erhalte zwar die Landefreigabe, aber mir wird kein Landepad zugewiesen. Zweimal wiederhole ich die Anfrage, bis der Controller ungehalten wird.
„Sie haben Ihre Freigabe bereits…“
„Ja, das weiß ich…aber ich weiß nicht wo…ihre Station spinnt mal wieder…“
Ich geb’s echt auf. Port Olisar – was für ein fliegender Schrotthaufen! Seit vor ein paar Jahren die Reclaimer auf der Station landen durfte, ist es mit ihr kontinuierlich bergab gegangen. Die riesigen Pötte haben die Station damals so durchgeschüttelt, dass Sicherungen rausflogen, dass sich Steckverbindungen lösten und wer weiß was noch alles…
„Hören Sie, da ist keine Markierung, gar nichts…“
„Landen Sie einfach, wo sie wollen“, blafft der Controller zurück.
Ich schimpfe mir den ganzen Frust von der Seele. Genau in diesem Geiste wird die ganze Station geführt, genau in diesem Geist kann so etwas entstehen, womit wir es hier zu tun haben. Desinteresse, wohin man blickt. Jeder ist sich nur noch selbst der Nächste. Schließlich aber kriege ich mich wieder ein und lande die „Clarke II“.
Thanes Blicke sprechen Bände.
Minuten später sind wir erneut unterwegs – diesmal mit einer Constellation. Wir fliegen alle mit einem Schiff, aus Sicherheitsgründen, wie es heißt. Mir ist das ganz recht, ich muss die „Clarke II“ nicht überall auf den Präsentierteller setzen. Das bräuchte ich jetzt wie einen Kropf, dass mein Schiff wie Zeros „White Rabbit“ konfisziert oder gar gestohlen wird.
Unser erster Anlaufpunkt ist der Rayari-Anvik Research Outpost auf dem Mond Caliope bei Microtech. Wir landen nachts – und das schwarze, scharfkantige Lava-Basalt-Gestein wirkt noch abweisender also sonst, wie der Outpost selbst vor düsterer Kulisse. Wir betreten den Outpost und habe keine Ahnung, wonach wir suchen – vielleicht nach einem Datenpad, einer handschriftlichen Notiz, einem Stick. Es ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Es will mir einfach nicht in den Kopf: Warum diese Geheimnistuerei des großen Unbekannten? Warum diese Brotkrumen? Warum nicht einfach mit der Wahrheit herausrücken, wenn doch alles so gefährlich ist? Ich grübele noch vor mich hin, während meine Augen mehr oder weniger unbewusst die Tische in dem Labor absuchen – als einer von Stormarnsons Leuten die Botschaft findet:
Himmel hilf – nur ein neues Rätsel. Und diesmal mit Binärcode…
„Kann das jemand im Kopf umrechnen“, frage ich scherzhaft.
Nur Augenblicke später erhalte ich die Antwort, die Jungs von Tyr Security sind echt fix.
CHG – was hat das nun wieder zu bedeuten?
Nach einem kurzen Tankstopp geht es weiter auf den Mond Aberdeen bei Hurston zum Outpost Dobbs – eine Höhle, wie sich zeigen wird. Der in eine dicke Schwefelschicht gehüllte Mond gibt seine Geheimnisse nur ungern preis. Im fahlen Sonnenlicht landet die Constellation unweit des Höhleneingangs.
Stormarnsons Leute bilden die Vorhut, Thane sichert nach hinten ab. Mir wieder mal wieder klar: Es gibt Höhlen – und Höhlen. Manche, wie diese hier, sind eng, feucht und hinter jeder Ecke könnte irgendetwas lauern. Und dann gibt es Höhlen, wie jene, die Friedrich Winters für seine erste Tour ausgemacht hat, eine, die zum Erkunden einlädt. Na ja, es ist kein Wunschkonzert, also versuchen wir einfach, unseren Job zu erledigen. Mir ist schleierhaft, wie wir in diesem Höhlensystem auch nur den geringsten Hinweis finden wollen.
Dann aber sehe ich, wie einer von Stormarnsons Leuten einen Scanner schwingt – in der Hoffnung, irgendwelche elektronischen Signaturen zu finden. Schließlich, an einem offenbar eilig zurückgelassenen Dekontaminierungsset, schlägt der Scanner an. Der Söldner speichert die Datei auf sein Mobiglas und leitet sie an uns weiter. Erneut ein kryptischer Tagebucheintrag und ein per Binärcode verschlüsselter Hinweis:
Der Hinweis lautet: -2b-
Thane scheint das Ganze ebenfalls zu schaffen zu machen.
„Wenn wir nicht bald was Handfestes herausfinden…“
Ich stimme ihm wortlos zu.
Wir sind froh, dass wir den trostlosen Ort wieder verlassen können. Letzter Stopp ist der Mond Lyria bei ArcCorp. „The Orphanage“ heißt der Outpost. Dort finden wir – hoffentlich – den letzten Hinweis. Bei einem weiteren Zwischenstopp wechseln wir erneut das Raumschiff. Diesmal geht es mit einer Freelancer weiter. Falls uns jemand folgt, wollen wir so unsere Spuren verwischen. Schließlich hat Stormarnson den richtigen Riecher. Er findet einen Stick.
Der übersetzte Binärcode ergibt das Wort „Stanton“.
Wir legen die drei Botschaften nebeneinander.
An erster Stelle brennt das Feuer, ein Feuer mit giftiger Asche: Stanton
An zweiter Stelle findet die Karte das Ziel, ein Kind mit Großmutter: -2b –
An dritter Stelle liegt das Andenken, dort wo alles begann: CHG
Dann fällt es uns wie Schuppen von den Augen: Wir müssen nach Spacehub Gundo über Daymar, unter Spacetruckern auch als Stanton 2b bekannt. Das „Kind mit Großmutter“ verweist auf eine alte Kindergeschichte, in der es ebenfalls um den Mond geht.
„..wo alles begann…“
„Die verdammten Chips. Damit begann alles“, sage ich fast flüsternd.
Thane und Stormarnson nicken.
„Wir müssen zurück auf die Station.“
Der große Unbekannte hat uns einmal quer durch das System im Kreis geschickt. Macht ihm das Spaß? Braucht er das für sein Ego? Oder will er vielleicht selbst auch seine Spuren verwischen? Ich blicke hinaus aus dem schmalen Cockpitfenster der Freelancer, hinein in die Schlieren des Quantumtunnels. Es hat fast etwas Meditatives, alles wirkt weiter weg, unwirklich – als mich einer von Stormarnsons Männern in die Realität zurückholt.
„Wir sind da.“
Die zerstörte Station kreist stoisch und scheinbar unbeteiligt über Daymar. Alles wirkt immer noch so wie an dem Tag, an dem hier alles begonnen hat. Wie damals schweben Thane McMarshall und ich sowie die Kollegen von Stormarnson in die halb zerstörte Station – nur dass wir diesmal alle auf der gleichen Seite stehen. Wir wissen nicht, wonach wir suchen – sind aber sicher, dass es diesmal ein entscheidender Hinweis sein muss. Warum hätten wir sonst hierher zurück geführt werden sollen?
Wir tasten uns Raum für Raum, Stockwerk für Stockwerk vor, Stormarnson und seine Truppe hält uns den Rücken frei. Schließlich stößt Thane auf eine Tür, die uns bei unserem ersten Besuch noch nicht aufgefallen war – dahinter: ein geschützter und noch teils intakter Serverraum.
„Ich werde verrückt, wie konnte uns der beim ersten Mal entgehen?“
Thane geht auf meine Frage nicht weiter ein, nimmt stattdessen ein Terminal in Beschlag. Konzentriert tippt er auf der Tastatur, dann spuckt das Terminal eine versteckte Botschaft samt Audiolog aus.
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Sie sagt zwischen den Zeilen folgendes: „IGNOTUS FINDE MICH“.
Ignotus, Ignotus…irgendwas klingelt da bei mir.
Herrgott, warum ist Zero hier nicht mit dabei? Höchste Zeit, ihm die ganzen Schnipsel zukommen zu lassen. Vielleicht kann sich die alte Spürnase einen Reim darauf machen. Wo steckt der bloß, wenn man ihn mal braucht?
Der Informant
Ich erreiche Zero schließlich auf Port Tressler.
„…endlich, wo treibst du dich denn rum?“
„Hatte einiges zu tun.“
„Aha…wir müssen uns treffen.“
„Yo, ich muss dir auch was erzählen.“
Ich sortiere kurz meine Gedanken.
„Ich bin auf der Shallow-Raffinerie-Station vor Microtech.“
„Alles klar. Ist was nicht in Ordnung?“
„In der Clarke spinnen die Kontrollen. Ist grad im Dock. Ansonsten ist alles okay, soweit man das sagen kann. Hol mich einfach ab.“
„Alles klar, bin unterwegs.“
Zirka 20 Minuten später trifft Zero mit seiner „White Rabbit“ ein. Wir beschließen, gleich wieder zu starten. Es gibt viel zu besprechen.
„Du zuerst. Wo hast du gesteckt?“
Zero blickt mich kurz an.
„Geschäfte…seltsame Geschäfte….“
Dann erzählt er mir von ein paar Torpedos, die er unlängst illegal von der UEE-Navy „besorgt“ hat und bei denen dann vom Empfänger offenbar der Zündmechanismus so manipuliert wurde, dass sie schon im eigenen Schiff explodieren.
Ich bin fassungslos.
„…du hast geholfen, Bomben zu bauen?“
„Na ja, ich…es klang am Anfang recht harmlos, ein einfacher Transportauftrag und dann…“
„…kann man es zu dir zurückverfolgen?“
„Nein, es lief über mehrere Ecken. Außerdem ich habe einen versteckten Schalter eingebaut, dass ich sie ferngesteuert deaktivieren kann.“
„Zero, so etwas ist echt gefährlich. Die verstehen da keinen Spaß bei der Navy, wenn man Torpedos entwendet und auch dran rumpfuscht. Lösche alle Spuren.“
Er nickt stumm.
Dann fliegen wir einen Moment still durch den Quantumtunnel. Ich weiß, dass ich ein wenig den Moralischen raushängen lasse. Das Verse ist nichts anderes als eine große Grauzone und solche „Geschäfte“ sind quasi an der Tagesordnung. Wahrscheinlich gehört so etwas auch zum Leben als Schmuggler dazu. Gleichwohl: Wer mit dem Feuer spielt, muss sich nicht wundern, wenn er sich eben auch mal verbrennt. Und wir haben aktuell ja auch noch ein paar andere Sorgen.
„Wo fliegen wir eigentlich hin?“
„Bajini Point über ArcCorp“, antwortet Zero schmallippig, „unser Mann ist aufgewacht. Zeit, ein paar Antworten zu bekommen. Wir bringen ihn nach Grimhex. Dort können wir ihn dann in Ruhe befragen.“
Wir wechseln auf eine Cutless Red, wo auch immer die Zero nun wieder her hat. Hinten drin sind zwei Medbays eingebaut, darin können wir unseren Mann gefahrlos transportieren. Ich erzähle von unserer Hatz durch das gesamte System, dass es offenbar neue Hinweise auf Ignotus, unseren heimlichen Gönner gibt. Dass ich aus alledem wie immer nicht sonderlich schlau werde, wir uns aber zunächst einmal nur auf einen Part konzentrieren sollten – die Killersatelliten und was es damit auf sich hat. Zero verspricht, dass er sich alle Hinweise mal in Ruhe zu Gemüte führen wird.
Kaum gelandet, steuern wir das Medi-Center auf der Station an – an der Rezeption geben wir uns bei der völlig übermüdeten Dame als Freunde aus, dann schieben wir unseren Mann auf einer Trageliege geradewegs und ohne großes Aufsehen auch schon in die Cutless. Während Zero Kurs Grimhex setzt, schaue ich nach unserem Mann, der langsam aus seinem Delirium erwacht.
„Wo bin ich?“
„In Sicherheit. Du bist entführt worden und solltest aus dem System gebracht werden. Wir haben dich gerettet. Wir sind diejenigen, denen du deine Informationen über Shubins Machenschaften erzählen willst.“
Ich ernte ein mattes Kopfnicken, dann bricht unser Spitzel wieder weg.
Zero landet auf Grimhex außerhalb der Station auf den unlängst außer Betrieb genommenen Landepads. Wenige Minuten später sind wir mit unserer wertvollen Fracht im Innern der Piratenstation. Wir bringen ihn zur örtlichen Krankenstation, wo ihm der Arzt ohne große Nachfragen ein Aufputschmittel verabreicht. Der Ehrenkodex der Ärzte – er zählt auf Grimhex nicht viel.
Wir beschließen, dass ich unseren Informanten befrage. Arthur, so nennt er sich jedenfalls, erzählt, dass er Assistent der Vorstandsetage von Shubin Interstellar sei, quasi im innersten Zirkel der Macht. Alles was dort besprochen wurde, sei stets auch über ihn gegangen. Wir hören atemlos zu – und erfahren, dass wir die ganze Zeit recht mit unseren Vernutungen hatten: Shubin Interstellar baut gemeinsam mit Hurston Dynamics geheime Satelliten, in denen auf Planeten empfindungsfähiges Leben ausgelöscht werden kann, um so Land fürs Terraforming zu gewinnen. Der Plan ist extrem fortgeschritten – getarnt als Comm-Arrays sollen diese „Killersatelliten“ in die Tiefen des Alls entsandt werden, um so den Fair-Chance-Act auszuhebeln. Einen Prototyp hat es auch schon gegeben. Er war aufgrund einer Fehlfunktion jedoch auf Hurston vor zirka einem Jahr abgestürzt.
„Unser Satellit“, flüstere ich Zero zu, der hinter mir steht. Zero nickt.
Dann eröffnet unser Spitzel, dass er seine Behauptungen auch beweisen könne – in einem Bunker auf Hurston seien alle Gesprächsprotokolle gespeichert, eine Art Rückversicherung aller Verschwörer, damit keiner den anderen eines Tages hintergehen könne. Damit hätten wir den ultimativen Beweis in unseren Händen. Allerdings sei der Bunker extrem schwer bewacht. Ich sage unserem Spitzel, dass ich Reporter bin und das Ganze an die große Glocke hängen werde, er sich aber auch als Zeuge zur Verfügung halten soll, auch wenn für ihn natürlich Quellenschutz gelte.
Unser Mann nickt. Ich weiß aber sofort instinktiv, dass wir ihn nicht mehr wieder sehen werden. Ich an seiner Stelle würde auch abhauen, so schnell ich könnte. Auf Zeros Mobiglas piepst es, der Spitzel hat uns den Standort des Bunkers geschickt. Schließlich übergeben wir ihn Kjeld Stormarnson von der Tyr Security, der ebenfalls auf Grimhex ist. Er will ihm helfen, das System sicher und unter höchster Geheimhaltungsstufe zu verlassen.
„Wie fandest du meine Gesprächsführung?“
„Bisschen grob“, erwidert Zero.
„Aber zielführend. Wir haben, was wir wollten. Und nur das zählt momentan.“
Jetzt gilt es, den ultimativen Beweis für diese groß angelegte Verschwörung im Stanton-System in die Finger zu bekommen. Das braucht eine genaue zeitliche und koordinierte Planung und einen sauber durchgeführten Überfall mit Überraschungsmoment, bevor die Daten noch schell gelöscht werden. Uns ist klar: Wir haben nur diese eine Chance.
Der Killersatellit
Hurston also, der Planet, auf dem der ganze Mist angefangen hat.
Ich lande auf der Orbitalstation Everus Harbor, blicke währenddessen hinab auf den rötlichen Planeten und marschiere dann schnurstracks zu Zero, der bereits auf mich wartet.
Heute ist der große Tag.
Der Tag, an dem wir die Geschichte wasserdicht machen.
Schon morgen, wenn alles gut geht, werde ich in meiner Redaktion am wahrscheinlich größten Knüller der letzten 500 Jahre im Stanton-System sitzen.
Ich habe schweißnasse Hände.
Minuten später stehen wir auf der Galerie vor dem großen Aussichtsfenster.
„Alles klar?“
„Soweit man das behaupten kann“, antworte ich. „Wir werden heute die Beweise bekommen und den Skandal mit dem Killersatelliten an die Öffentlichkeit bringen.”
Nun, wenn alles gut geht…
Zero hat sich wie immer um alles gekümmert. Im Organisieren und Planen ist er echt groß. Auch seine vielen Verbindungen auf legalen und halb-legalen Wegen zahlen sich immer wieder aus. Kurzum: Er hat zwei Organisationen davon überzeugen können, uns heute zur Seite zu stehen – die Yellowhand Security und natürlich Tyr, Stormarnsons Truppe. Auch Stormarnson selbst ist vor Ort. Zeros Plan: Während er den Comm-Array-Satelliten über Hurston hackt und uns so Zeit verschafft, werde ich mir mit den Yellowhands den Bunker vornehmen.
Ich sinniere kurz, ob zwei Yellowhands für die Aufgabe ausreichend sind. Auf meine Schießkünste als Fußsoldat würde ich keinen Pfifferling geben und der Bunker soll schwer bewacht sein. Bis zu zehn Marines, vielleicht sogar Spezialtruppen, könnten uns erwarten. Doch dann betrachte ich mir die Söldner genauer: Beide sind bis unter die Zähne schwer bewaffnet, einer hat sogar eine Art panzerbrechende Waffe dabei. Mit einem kleinen Shuttle sollen wir drei Kilometer außerhalb des Bunkers abgesetzt werden, dann wollen wir uns heimlich bis zum Bunker vorarbeiten.
Zero nickt mir aufmunternd zu.
„Die Jungs wissen, was sie tun. Und ich hacke auch nicht zum ersten Mal einen Satelliten.“
„Dein Wort ins Hurstons Gehörgang.“
Zero weist die Söldner in das Bevorstehende ein, Minuten später geht es auch schon los. Wir fliegen mit einer Pisces hinunter auf den Planeten, Zero bricht nach einem fast schon sentimentalen Abschied mit Tyr zum Comm-Array in den Orbit auf.
Auf unserer Seite des Planeten bricht soeben die Nacht an. Unser Fußmarsch führt durch eine riesige Schrotthalde – und mir wird wieder einmal klar, warum ich Hurston Dynamics so verabscheue. Sie behandeln den ganzen Planeten wie den letzten Dreck.
Die beiden Söldner, Puk und Hermie, laufen ein gutes Stück vor mir, klären das Gelände auf, ich hetze hinterher. Immer wieder verstecken wir uns hinter Felsen, keinesfalls wollen wir zu früh entdeckt werden. Wir wollen das Überraschungsmoment nutzen. Werden wir zu früh entdeckt, löscht jemand noch die Daten vom Server. Schnell und unbemerkt rein, schnell wieder raus – das ist die Devise.
Immer wieder stimmen sich die beiden über internen Funk mit unserem Satelliten-Team ab – dort scheint es länger zu dauern, als gedacht. Dann hören wir plötzlich Schüsse aus dem Bunker. Sind wir schon zu spät? Erneut stimmen sich die beiden Yellows ab.
Schließlich heißt es: „…es geht weiter. Das Comm-Array ist klar.“
Offenbar hat es Zero geschafft.
Einer der Soldaten zerstört mit seiner riesigen Waffe einen Geschützturm, der Weg in den Bunker ist frei. Wie fahren hinab in die Tiefe, sie sehen im Innern echt alle gleich aus. Wie oft war ich nun schon in so einem Bunker? Vier, fünf Mal? Die beiden Söldner nehmen sich die ersten Soldaten vor, wir rücken langsam vor, ich bleibe in Deckung. Zwei, drei Bewacher lassen ihr Leben, dann bricht Hermie plötzlich neben mir zusammen. Nur Momente später folgt Puk. Ich drehe mich um, während meine Sicht verschwimmt, dann nehme ich noch wahr, wie jemand offenbar mit einer Elektroschockwaffe auf uns schießt.
Mir klappen die Beine weg. Wir haben einen übersehen! Einen hinter uns! Die verdammten Schüsse, die wir vorher aus dem Bunker gehört hatten – wir hätten auf sie achten sollen.
Zu spät!
Ich kann mich nicht rühren. Jemand beugt sich über mich, zieht mir die Klamotten aus.
Verdammte Scheisse.
„Urrgh…“
Nur ein leises Röcheln entringt sich meiner Kehle.
Dann wird es dunkel um mich herum.
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Ich erwache auf Bajini Point, mein Imprint hat mich zurückgeholt.
Was für eine Technologie! Darüber muss ich unbedingt einen Artikel verfassen. Ich weiß nicht, wieso mir dieser Gedanke als erster durch den Kopf schießt. Wahrscheinlich bin ich einfach nur froh, am Leben zu sein.
Dann trifft es mich sofort wieder wie der Schlag.
Die ultimativen Beweise für den Killersatelliten – weg!
Mein ganzen Sachen – geraubt!
Meine dauerhaften Überlebenschance nach dieser Nummer: null.
Ich stehe langsam auf, mit nichts an als einem Krankenhauskittel. Meine nackten Füße patschen auf den Krankenhausboden.
Wir sind am Arsch.
…Zero…was zum Henker ist mit Zero?
Wenigstens mein Mobiglas habe ich noch.
Ich pinge Zero an.
„Zero…wo seid ihr? Wir sind aufgeflogen. Es ist vorbei. Ich bin eben als Echo auf Bajini Point wieder aufgewacht. Sie haben uns umgelegt, vielleicht sogar erwartet….Zero…?“
„…ja, ich bin hier…“, kommt es schließlich matt zurück.
„Was ist passiert? Wo bist du?“
„Wir sind krass beschossen worden. Unsere Carrack ist fast explodiert. Ich werde gerade mitten aus dem All gefischt.“
„Waaaas…?“
„Ja, der Satellit hat plötzlich auf uns geschossen. Ganze Raketensalven! Wir haben volle Breitseiten kassiert….sonst schießen die nie so…“
„Das gibt’s doch nicht.“
Ich muss mir fast ein Grinsen verkneifen. Wir sind echt Helden.
„…mir ist es trotzdem gelungen, einzudringen…und du wirst es nicht glauben…“
Er atmet kurz durch. Zero erzählt, dass er während des Feuerwerks aus dem fliegenden Schiff gesprungen sei. Ich höre atemlos zu.
„Es war eines dieser Dinger. Er hatte neben den ganzen Waffen Sicherheitsprotokolle, die ich noch nie bei einem normalen Comm-Array gesehen habe….“
„Ein voll funktionsfähiger Killersatellit etwa?“
„Yep. Sollte vielleicht in Kürze aus dem System gebracht werden.“
„Ich werd’ verrückt. Du hast hoffentlich Fotos von dem Scheißding gemacht.“
„Wofür hältst du mich?“
Meine Laune hellt sich schlagartig auf.
„Wir haben sie an den Eiern.“
Ich blicke in den Spiegel – herrje, ich sehe aus wie eine Witzfigur.
„…komm rüber nach Bajini. Mir frieren hier gleich die Füße ab. Dann bring mich runter in meine Redaktion…Jetzt schnappen wir sie uns!“
Journal-Eintrag 13 / 11 / 2951
Ich sichte und tippe, sortiere und gehe in Gedanken noch einmal alles durch. Jeden Journal-Eintrag des vergangenen Jahres, alle Erlebnisse, alle Erkenntnisse. Wir haben eine Kiste Enos bei den Aktivsten, unseren Kronzeugen, Bilder vom abgestürzten Prototypen-Satelliten und sogar Bilder von einem voll funktionsfähigen Killer-Satelliten im Orbit von Hurston. Ich ackere die ganze Nacht durch, bin wie im Wahn, dann mache ich den letzten Schliff am Layout einer klassischen Zeitungsseite, packe alles in ein File, um es an die großen Newsorgs und Radio Infinity zu schicken, kopiere aus dem Artikel in die Betreffzeile: „Killersatelliten bedrohen das Leben in Stanton und darüber hinaus…“ und drücke auf Senden.
Die Katze ist aus dem Sack.
Extrablatt
Ich stehe am Abend auf, nachdem ich die Nacht durchgeackert hatte. Ich habe in meinen Klamotten auf einem alten Sofa gepennt, das ich mir letztlich in die dunkelste Ecke des heruntergekommenen Raumes geschoben hatte.
Was für ein abgefahrener Traum!
Killersatelliten!
Eine verseweite Verschwörung!
In meinem Oberstübchen geht offenbar so einiges durcheinander.
Ich blicke auf mein Mobiglas. Ich hatte es stumm geschaltet.
Dutzende Nachrichten.
Darunter: Die Advocacy. Radio Infinity. Der UEE-Senat.
…wäre ja auch zu schön gewesen.
Ich öffne zuerst die Nachricht der örtlichen Advocacy.
Ich schüttele fassungslos den Kopf. Angriff ist die beste Verteidigung oder wie? Gleichzeitig nagt ein unbestimmtes Gefühl an mir: Waren wir vielleicht zu vorschnell? Zu sehr darauf eingestellt, alles auf eigene Faust zu regeln? Hätten wir sie eher ins Boot holen sollen? Müßig, jetzt noch darüber nachzudenken. Ich lese es noch einmal. Dann sehe ich es – Herrje, die sind sogar zu doof, meinen Namen richtig zu schreiben…
Ich öffne Masons Nachricht.
Na klar, gelingt dir was, bist du sofort der „best Buddy“ vom Chef. Bis du beim nächsten Mal Mist baust. Dann kannst du nicht mal bis drei zählen.
Eine Nachricht aus dem Büro des UEE-Senats.
Dann noch ein paar weitere Nachrichten von den großen News Orgs wie „New United“, die sich da nun offenbar dran hängen wollen. Zumindest können sie uns jetzt nicht mehr ohne weiteres einfach umlegen. Ich atme tief durch, schließe das Mobiglas und lege mich wieder hin. Jetzt muss man den Dingen ihren Lauf lassen.
Journal-Eintrag 17 /11 / 2951
Ich sehe die Video-Aufzeichnung der letzten Sitzung des UEE-Senats. Obwohl Stanton selbst nicht im Senat vertreten ist, berühren die Vorkommnisse doch alle Nachbarsysteme.
Senatorin Mira Ngo, Terra: „Was zum Teufel ist da im Stanton-System los?“
Ein Sprecher gibt ihr einen kurzen Abriss.
Senatorin Ngo: „…und wer zum Teufel hat das alles aufgedeckt?“
Sprecher: „Eine kleine Hinterhofredaktion. Name spielt keine Rolle. Und einer von den freien Völkern.“
Senator: „Ah. …und von denen müssen wir uns so vorführen lassen?“
Sprecher: „Nein, Mam.“
Jetzt beginnt es, das Schwarzer-Peter-Spiel. Ich schalte ab. Die Kacke ist am Dampfen.
Mein Mobi pingt.
Darin nur eine Zeile mit einem unbekannten Absender:
„Es ist nicht vorbei.“
Ich starre minutenlang auf die Zeile. Und bekomme kein Wort heraus.
Journal-Eintrag 20 / 11 / 2952
Die Premiere des „Scenic Cruise“ – sie war ein voller Erfolg. Ich war an Bord der „Nordlicht eins“, des Flaggschiffs von „Nordlicht Aviation“, als Friedrich Winters zur ersten Tour im Stanton-System einlud – hinab zum „Bergkönig“, in einer großen Höhle auf Microtech. Ich freue mich sehr für ihn – er hatte alle Kabinen verchartert. Ja, es gab ein paar Probleme, Kinderkrankheiten. Aber das ist ja normal, wenn man ein neues Unternehmen gründet und so etwas auf die Beine stellt. Die Gäste waren zum Schluss jedenfalls voll des Lobes.
Während ich den Cruise selber genieße, blicke ich immer wieder mal zu den großen Panoramafenstern des Schiffes hinaus. Eine Woche ist es nun her, dass die Killersatelliten-Story wie eine Bombe im Stanton-System geplatzt ist. Wie ich höre, hat es Durchsuchungen bei den Konzernspitzen von Shubin Interstellar und Hurston Dynamics gegeben, die Advocacy wühlt sich durch Datenströme, um das Puzzle zusammenzusetzen. Ich habe das Gefühl: Wir sind soweit erstmal raus, aber irgendwie auch immer noch mittendrin…
„Es ist nicht vorbei.“
Und: Ich habe eine Nachricht vom Krankenhaus auf Bajini Point erhalten: Mit meinem Imprint stimmt irgendetwas nicht – nach meinem Tod auf Hurston bin ich zwar vollständig regeneriert worden, ein echtes medizinisches Wunder, das muss man sagen, aber irgendwie sind sie dabei auf Unregelmäßigkeiten in einer Hirnregion gestoßen. Sie hätten aber nicht die technischen Möglichkeiten, das freizulegen. Womöglich blockierte Erinnerungen. Noch mehr Geheimnisse.
Journal-Eintrag 22 / 11 / 2951
Messezeit im Empire. Schon wieder ist ein Jahr rum. Ich erinnere mich noch genau, wie ich im vergangenen Jahr mit Chhris, Skorpi und Hawk über die Intergalactic Aerospace Expo geschlendert bin – und wie wir manche Pläne geschmiedet haben. Jetzt laufe ich allein über die Ausstellung. Wie schnell sich manchmal alles ändert. Einerseits bedauere ich das, andererseits weiß ich aber auch, wie unstet das Leben ist. Alles ist immer im Fluss.
Auf der Messe selbst gibt es dieses Jahr eine große Neuvorstellung: die Aegis Reedemer, ein Schiff mit starker Feuerkraft bei gleichzeitig minimaler Besatzung. Es ist ein Schiff, bei dem die Bürger das Design mitbestimmen durften. Nur: Als wenn es nicht schon genügend Kampfschiffe in Privathänden geben würde! Friedrich Winters hat völlig recht, wenn er sagt, dass ein Tarnkappenbomber wie die Eclipse nicht auf den zivilen Markt gehört. Wie soll das Verse jemals friedlicher werden, wenn es vor waffenstarrenden Schiffen nur so strotzt?
Ich laufe gedankenverloren über die Messe – es ist viel passiert in diesem Jahr: Meine Mitarbeit bei Radio Infinity, die Killersatelliten, neue Freundschaften. Bald habe ich jedoch genug gesehen – manchmal geht mir diese Selbstbeweihräucherung der UEE und ihrer Firmen auch ganz schön auf die Nerven. Erst recht, wenn man weiß, dass vieles davon auch nur Fassade ist. Ich lasse das Getummel hinter mir, nehme mir ein Appartement in New Babbage und penne mich mal richtig aus.
Puzzlestücke
Ich blicke konsterniert auf mein Mobiglas – ein Crimestat.
Wer zum Henker ist auf die Idee gekommen, auf Microtech mitten an einen Berghang einen Spaceport zu bauen? Jeder, der schon einmal im Gebirge war, weiß, dass es dort schlagartig starke Aufwinde geben kann. Und genau so ein Aufwind greift, während ich landen will, plötzlich unter den Rumpf meiner gemieteten Constellation Phoenix und wirft sie auf die Seite. Ergebnis: Während meines Landeversuchs hänge ich plötzlich schräg über der Bucht und touchiere beim Landen eine Wand, während ich das Schiff langsam absenke. Gut, diesmal bekomme ich nicht gleich ganz Flugverbot. Noch während die Intergalactic Aerospace Expo läuft, mache ich mich aber auf die Socken zur Piratenstation Grimhex, um ein paar Hacking-Chips zu kaufen. Damit will ich auf der Station Kareah den Crimestat wieder loswerden.
Wie ich solche illegalen Aktionen hasse!
Kaum gelandet, schaue ich mir auf Grimhex auch mal die Krankenstation etwas genauer an – Herrgott, sie sieht aus wie Frankensteins Höhle. Hier will man echt nicht krank werden. Fast könnte man annehmen, hier werden irgendwelche geheimen Experimente mit den Patienten gemacht. Ich hole die besagten Hacking-Chips mit vielsagendem Namen „Tigerclaw“ und marschiere danach schnurstracks in die Bar, um mir Mut anzutrinken.
Dort werde ich dann auch gleich angequatscht.
„Hey…“, sagt eine tiefe Stimme „…wir kennen uns doch. Was machst du denn schon wieder hier?“
Ich bin eigentlich nicht in der Stimmung für Smalltalk, drehe mich eher aus Gewohnheit dem Fremden zu. Das Gesicht habe ich schon mal gesehen, weiß es aber nicht mehr zuzuordnen.
„Ja…ähm…“
„Valentin…“, kommt es zurück.
„Ja, richtig.“
Ich erinnere mich dunkel. Ein Kerl, der auf Grimhex zu Hause ist, die Station aber bisher kaum verlassen hat.
„Wie geht’s?“
„Gut, und dir?“
„Geht so“, antworte ich wahrheitsgemäß und erzähle von meinem kleinen Missgeschick.
Wir regen uns gemeinsam über den extrem lahmarschigen Barkeeper auf, dann sagt Valentin:
„…du, ich hab da was…das könnt’ dich interessieren…“
Mir ist eigentlich nicht nach weiteren Verschwörungen, will aber nicht abweisend sein.
„Zeig her.“
Per Mobiglas schickt er mit eine Datei.
Ich muss sie nur einmal überfliegen, um sofort zu erkennen: Sie hat etwas mit Enos zu tun.
„Woher hast du…?“
„Geschäftsgeheimnis. Fliegt hier so durch die Gegend.“
Ich lese die Datei noch einmal – das Übliche: Ich verstehe kein Wort.
Dann taucht Kjeld Stormarnson auf – richtig, seine Söldnertruppe hat auf Grimhex ihr Hauptlager aufgeschlagen. Er hatte das beiläufig mal erwähnt. Auch ihm erzähle ich von meinem kleinen Problem. Er will mir helfen und mir Geleitschutz geben, während ich auf Kareah das Terminal hacke. Im Gegenzug bittet er mich, mit nach Everus Harbor zu kommen – Zero treffen. Auch Thane wird dort sein. Schon in wenigen Tagen soll es das ominöse Treffen auf der „Renaissance“ geben, einer Origin 890 Jump Luxusyacht. Die Gelegenheit, endlich mal Licht in alles zu bringen. Ich stimme zu, auch Valentin ist mit von der Partie.
Wie sich herausstellt, können wir direkt zu Zero, umständliches Hacken meines Profils ist nicht nötig – an einem Terminal werde ich den Crimestat gegen eine Zahlung von 15.000 Credits los. Die nehmen es echt von den Lebenden. Egal. Hauptsache, wieder clean und nicht mehr Freiwild. Unterwegs zeigt mir Kjeld dann genau die gleiche Datei. Gleichzeitig schüttelt Valentin ganz leicht mit dem Kopf – was läuft hier? Ich tue ein wenig verwundert und halte meine Klappe. Wieso wissen die beiden das nicht voneinander? Wieso schon wieder eine neue Geheimnistuerei?
Nachdem wir auf Everus Harbor gelandet sich, steuern wir direkt Zeros Versteck an – seine übliche Räuberhöhle hinter den Containern auf dem Frachtdeck. Er wirkt angespannt.
„Und, hast du dich über mein Lob in meinem Kommentar gefreut?“
„Klar, jetzt kennt mich wirklich jeder. Super für einen Schmuggler.“
Ein typischer Zero.
Wenn mich jedoch nicht alles täuscht, schwingt in seiner Stimme aber auch ein wenig Stolz mit.
„Hey, man rettet nicht jeden Tag das Universum. Außerdem sind wir jetzt erstmal sicher. Niemand wird uns jetzt einfach noch umlegen.“
Zero nickt kurz.
Wir beide wissen aber: Bisher war das nur die halbe Miete – „Enos“, oder das, was sich dahinter verbirgt, scheint eine noch größere Gefahr zu sein. Dunkle Machenschaften, die einen gruseln lassen, weil man eben überhaupt nicht weiß, womit man es zu tun hat. Bald reden sich alle die Köpfe darüber heiß, wie auf der „Renaissance“ konkret am besten vorgegangen werden soll und worum es hier geht. Ich halte mich zurück, bin eh noch völlig platt, lausche und versuche zu rekapitulieren, wer hier alles mit drin hängt – und warum. Klar wird, wir müssen auf der „Renaissance“ einen gewissen Eris entführen, der mit einem Vitalscan offenbar eine Blackdata mit wichtigen Daten schützt. Das geht zumindest aus der letzten Übertragung hervor. Diese schon von 2947 – also vier Jahre alt. Mindestens so lange entwickelt sich das hier schon alles im Schatten, ohne dass jemand eingeschritten wäre. Wahnsinn! Und: Eris hatte Xedan Thormento verhört. Ich blicke verstört auf ältere, mir bis dato aber unbekannte Puzzleteile.
Zurück in der Redaktion durchforste ich alte Chat-Protokolle mit Zero und Chhris, gehe alle kryptischen Hinweise durch, sortiere Gedanken, Mutmaßungen, Ideen. Später mache ich mir dann noch einmal ein paar Reminder. Wirklich schlau werde ich auch weiterhin aus vielem nicht – wahrscheinlich, weil mir einfach auch Hinweise und Informationen fehlen. Auch werde ich nie eine so gute Spürnase wie Zero. Gleichwohl:
Was wir wissen:
- Shubin Interstellar hat gemeinsam mit Hurston Dynamics „Killersatelliten“ entwickelt, um so den Fair Chance zu umgehen und empfindungsfähiges Leben zu töten. Eingesetzt werden sollte dafür ein Giftstoff – „Enos“.
- Geforscht hat an „Enos“ Professor Mobi auf dem Mond Clio. Sein Labor ist unter ungeklärten Umständen explodiert.
- Von „Enos“ gibt es mehrere Entwicklungsstufen. Auf dem Mond Cellin im Crusader-System gab es Erkrankte.
- Es gibt einen Unbekannten, der versucht, das Schlimmste zu verhindern – „Ignotus“. Er streut Brotkrumen, will aber aus unerfindlichen Gründen selbst unentdeckt bleiben.
- Thane McMarshall hat seine Eltern offiziell durch einen Zugunfall auf Microtech verloren. Sie arbeiteten ebenfalls an Nano-Technologie. McMarshall vermutet, dass Microtech seine Eltern auf dem Gewissen hat. Er will die Wahrheit herausfinden.
Was wir vermuten:
- Schlüsselfigur ist Xedan Thormento, ein junger Mann mit großen Ambitionen, der als Mitglied der Konzernspitze von einem großen Sternenkonzern mit unbeschränkter Macht träumt. Dazu will er die unabhängig voneinander operierenden Megacorps unter einem Dach vereinen. Dieses Konglomerat könnte sich sogar vom Empire abspalten und ein Industriemonopol der Galaxis werden. Er hat vielleicht entscheidende Informationen, floh von Microtech, wurde aber gefangen genommen. Thormento liegt nach einer Folter auf einem Schiff namens „Hydra Talis“ im Koma und kann nicht befragt werden. Das Sklavenschiff gehört einer Splittergruppe der Nine Tails (“Versipellis Sica”).
- Das Unternehmen Microtech hat für die Killersatelliten (vielleicht ohne eigenes Wissen) waffenfähige Chips geliefert („Project Scopus“). Die Chips geraten in Piratenhände und werden offenbar an Höchstbietende weiterverkauft.
- Prof. Mobi wollte die Enos-Waffe auch im Krieg gegen die Vanduul einsetzen. Dafür experimentierte er illegal auch mit Vanduul-Leichen (so genannten „Varps“). Vielleicht hat er aus deren Blut Enos erst gewonnen.
- Verschiedene Gruppen werden aufeinander gehetzt. Ziel: Thormento zu beseitigen und sich danach gegenseitig auszuschalten, um so alle Spuren zu verwischen. Daran beteiligt: die „Yellow Hands“, „Tyr Security“, die „Helldiver“.
- Die Waffe „Enos“ bringt große Macht, deshalb ruft sie verschiedene Player mit unterschiedlichem Motiven auf den Plan, darunter diverse Piratengruppen: die „Nine Tails“, die „Forgotten 15“, die „Blutrote Front“.
- Eine weitere wichtige Gruppierung ist die Thiaggo Lobby, eine Investorengruppe, die Interesse an dem Kampfstoff hat.
- Das MBOC, Microtechs interne Sicherheitsabteilung, will den ganzen Skandal vertuschen. Dazu greift es auch zu unlauteren Mitteln. Ebenso Nils Mobi, Sohn von Professor Mobi, der die illegalen Versuche seines Vaters unter den Tisch kehren möchte.
- Laut einem abgefangenen Dokument könnte sogar eine Infiltration der Advocacy drohen.
Darüber hinaus tauchen immer wieder Namen und Organisationen auf, die ich – noch – nicht direkt zuordnen kann und deren Rolle daher unklar ist: Richter Rusari aus Crusader, die Protection Force, Troja Journey Technologies, Daston Rim, Macherus, die A.M.C.Y. oder Deger…
Ich schaue mir meine Notizen an. Und mir wird klar: Jede Verknüpfung, jedes Spiel über Bande, werden wir nicht lösen können. Manche Puzzleteile werden auf dem Tisch liegen bleiben, es wird lose Enden geben. Es wird aber auch darauf nicht ankommen: Wir müssen nur das große Ganze erkennen. Welche Schleier werden sich also auf der „Renaissance“ lüften? Welche Namen werden ihr dunkles Geheimnis preisgeben? Letztlich beschließen wir, dass ich bei der Infiltration inkognito als Thanes Assistent aufschlagen soll. Ich bin sofort einverstanden – es ist eh besser, den Kopf noch ein wenig unten zu halten.
Gespaltene Persönlichkeit
Hochwasserhose. Rosa Jacke. Rote Schuhe. Nietenmütze.
Ich stehe da, schaue in den Spiegel und sehe aus wie die lächerlichste Figur unter Stantons Sonne. Als wäre ich einer von den Village-People.
Thane fällt vor Lachen fast um.
„…so willst du gehen?“
„Ja klar, als exzentrischer Trilliardär aus Terra.“
Wir treffen uns auf Port Olisar. Ich hatte mir auf dem Herflug genau überlegt, wie ich mich möglichst unerkannt unter die Leute auf der „Renaissance“ mischen kann. Meine – vielleicht auch total bescheuerte – Idee: indem ich besonders auffalle. An den Journalisten John Brubacker, so meine Hoffnung, wird dann keiner denken.
Ich habe somit eigentlich nicht viel mehr zu tun, als für Ablenkung und Stimmung zu sorgen. Ich bin direkt an Thanes Seite. Er koordiniert alles andere. Wir sollen auf einer kleinen Pisces abgeholt werden, leider verspätet sich unser Transfer etwas. Ich nutze die Zeit und groove mich langsam ein – indem ich mir einen gepresst-aggressiven, halb-bayerischen Slang draufschaffe.
„…dös gaiht ja scho guat los. Do hob’ I schon fast koa Luuust mehr….“
Thane guckt mich verschmitzt an, verdreht leicht die Augen.
Mit uns werden noch ein paar andere Gäste abgeholt, sie wissen nichts von der Maskerade.
„…i hoff’, des wird a guate Party….vielleicht mach ich ja ein paar guate G’schäfte…“
Zu mir gesellt sich ein Mann namens Asada, offenbar Sprößling aus der Asada-Familie, die ein Mining-Unternehmen betreibt.
Um den Ton weiter zu setzen, tue ich so, als würde er unfassbar nach Parfüm stinken.
„Himmelarsch, sind Sie do reingfall’n?“
Ich werfe mich auf den Boden, als würde mit schwummerig werden.
„…des kann ja heiter werd’n…“
Thane wirft mir immer wieder verstohlene Blicke zu. Offenbar amüsiert er sich prächtig.
„Los geht’s, unser Shuttle ist da.“
Beim Einsteigen in seine Origin 400i knallt er mir aus Versehen fast die Treppe auf den Kopf.
„Saan Sie noch bei Sinnen!?“
So geht es im Minutentakt weiter – ich steigere mich immer weiter rein, auch später an Bord der „Renaissance.“ Kurzum: Ich gebe das abgehobene, mit allem unzufriedene Super-Arschloch, spiele wilde Sau, zeige mich von der schlechtesten Seite.
Die Türen gehen nicht sofort auf – wer hat das zusammengeschustert?
Der Champus ist mir natürlich zu warm.
Ich gebe ungefragte Management-Ratschläge.
Ich kotze mich über den Biernamen „Smolz“ aus.
Dann labere ich völlig ungebremst über einen Bengal-Carrier mit Namen „Trepmelk One“, den ich mir unlängst gegönnt hätte, dass ich die Leute mit meinem „Geld zuscheißen würde“ und noch einiges anderes mehr. Innerlich grinse ich mir eins, finde fast ein wenig Gefallen an der Rolle. Gleichzeitig habe ich aber auch Angst, dass jemandem plötzlich der Kragen platzt und mir einfach eine geknallt wird. Doch: Nichts passiert – einen Trilliardär schlägt man eben nicht so schnell.
Unterdessen entwickelt sich die Situation offenbar wie gewünscht. An Bord ist besagter Eris von der Thiago Lobby, weiterhin ein Vertreter von Shubin Interstellar. Es gibt höflichen Smalltalk, überall auf dem Schiff stehen Söldnertruppen Schließlich flüstert mir Thane zu, dass Eris wie geplant entführt worden sei, unsere kleine Inflitration habe funktioniert. Dafür habe jemand das Schiff lahmgelegt – wir kommen hier nicht mehr weg und sind mitten im All im Asteroidengürtel von Yela gestrandet.
Ein gefundenes Fressen für Mr. Trepmelk.
„Soll I vielleicht aussteig’n und schiab’n?“
Unterdessen verlassen immer mehr Leute das Schiff. Das kleine Begleitschiff, mit dem wir hergekommen waren, explodiert direkt vor meiner Nase.
„Herrgottsakra!“
Fast fühle ich mich ein wenig schizophren – Mr. Trepmelk gewinnt in mir ein Eigenleben…
Gleichzeitig schneide ich mit, dass im ganzen Stanton-System Aufruhr wegen dieser verdammten Enos-Sache gewesen ist – mehrere Söldnertruppen sind involviert, neben den „Yellow Hands“ und „Tyr Security“ auch wieder die „Helldiver“. Auf dem Mond Daymar, ich weiß nicht warum, sind schwere Bomben abgeworfen worden. Die mit dem Vitalscancode von Mr. Eris geschützte Blackdata, wohl das Beweismittel für die Biowaffenforschung im Stanton-System, scheint aber jedenfalls gesichert worden zu sein. So viel kriege ich mit.
Auf der Kommandobrücke ist inzwischen niemand mehr.
„Muss I des saublöde Schiff da jetzt etwa selber nach Hause flieg’n…?…Hallo, is’ da noch wer? Ois muss man selber machen.“
Der Quantumdrive ist kaputt – Zeit für eine neue Regeneration….
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Als ich auf Port Olisar wieder aufwache, habe ich noch eine Idee – ich rufe bei „Radio Infinity“ an und frage sie, ob sie mir zum Jahresausklang helfen würden, ein paar Kumpel ein wenig zu veralbern – indem sie in ihren sonst seriösen Nachrichten eine kleine Fake-Nachricht einbauen. Mason, das hätte ich ihm gar nicht zugetraut, macht den kleinen Spaß mit. Brubacker – ab sofort ein Mann mit zwei Gesichtern. Jetzt auch bekannt als „Mr. Revilo Trepmelk, Trilliardär aus Terra“. Besser hätte es gar nicht laufen können.
Nachdem ich das erledigt habe, scanne ich einmal schnell die Datei durch – zum Teil ist sie noch codiert. Im decodierten Teil stehen jedoch Dinge drin, die mir sofort das Blut in den Adern gefrieren lassen. Darin wird von der Züchtung eines neuen Menschen gefaselt, einem Menschen, der den Vanduul überlegen sein soll. Eine Art Superwaffe. Offenbar, so geht aus der Datei hervor, wurden dafür schreckliche Experimente gemacht. Ich schließe die Datei wieder. Gehe ich gleich damit zur Advocacy? Ich habe ihren anklagenden Ton noch im Ohr. Doch – nicht zu früh sein Pulver verschießen. Gleichwohl: Es reicht. Ich steuere meine Redaktion an und setzte mich an die Geschichte über den „Betrogenen Tod“. Ich brauche jetzt dringend mal etwas Aufbauendes.
Der betrogene Tod
Echos der Vergangenheit: Gedanken zur Wiedergeburt rund um Weihnachten und das Luminalia-Fest
Von John Brubacker, Nick Cartago und Friedrich Winters
Ein Schuss aus dem Hinterhalt, ein kurzer Schrecken und eine Ohnmacht – dann wacht man wieder auf und blickt in ein Krankenzimmer. Verärgert, weil man ein paar Rüstungsteile verloren hat, niedergeschlagen, weil man nicht siegreich aus einem Kampf hervorging. Aber sonst? Sonst ist weiter nichts Schlimmes passiert.
Der Tod – er ist zu einer Unannehmlichkeit geworden. Etwas, das Verdruss schürt, aber nichts, vor dem man noch groß Angst hätte inmitten des 30. Jahrhunderts. Man blickt nach oben, in ein paar Monitore mit den Scanergebnissen der eigenen Lebensfunktionen. Funktionstüchtig steht man schließlich auf aus seinem Bett und setzt sein Tagesgeschäft fort. Die Medizin vollbringt heutzutage wahre Wunder – und mit der „Regenerationstechnologie“ hat sie gottgleiche Mächte entfesselt. Haben wir uns endlich selbst gesegnet oder nähren wir den Fluch der Unsterblichkeit?
Klar ist: Das 30. Jahrhundert hat den Tod fast besiegt. Er wird zu einer simpel anmutenden technischen Angelegenheit. Doch der Weg hierher war weit – und dies nicht nur im technischen Sinne, sondern auch im über Jahrtausende gewachsenen Selbstverständnis der Menschen. Im antiken Rom auf Sol III etwa, Vorbild des heutigen United Empire of Earth, gab es ein feststehendes Ritual: Hinter dem siegreichen Feldherrn ging beim Triumphzug ein Sklave durch die Straßen Roms und hielt einen Gold- oder Lorbeerkranz über den Kopf des Siegreichen. Ununterbrochen mahnte der Sklave: „Memento Mori – Sei dir der Sterblichkeit bewusst.“
Das Ritual betonte die Vergänglichkeit des großen Sieges und verwies auf die kleine Bedeutung des Triumphes im Angesicht der Unendlichkeit. Gedenke des Todes. Was heute noch die Welt bewegt, kann schon morgen vom Strom der Geschichte davon gerissen werden. Wo man dir heute noch zu Füßen liegt, kannst du morgen schon vergessen sein. Unabhängig von Art und Umfang des Begräbnisses – ob ägyptische Pyramiden oder indianischer Totenkult – immer war der Tod eines Gemeinschaftsmitgliedes früher eine Situation, die unmittelbar an den Gestorbenen gebunden war. Seine Individualität, Biographie, Erfahrungen oder Erlebnisse endeten mit der Totenfeier.
Gleichwohl: Keine Kultur der Menschheit hat jemals den Tod als ultimatives Ende begriffen – vielleicht auch, weil wir uns unsere Nicht-Existenz einfach nicht vorstellen können. Über Jahrtausende hatte die Vorstellung, wiedergeboren zu werden oder nach dem Tod im Paradies weiterzuleben, etwas Beruhigendes und für die Hinterbliebenen etwas Tröstliches. Die christliche Vorstellung von Auferstehung etwa ist, dass Körper und Geist, Leib und Seele nach dem Tod miteinander verbunden bleiben. Diese Vorstellung wurde spätestens mit der Überlieferung der österlichen Auferstehungsgeschichte um den Gottessohn Jesus Christus fest in der menschlichen Kultur verankert. Er wandelte nach seiner Auferstehung in sterblicher Gestalt einige Tage bevor er die Erde endgültig verließ um den Platz neben seinem Vater einzunehmen. Im Himmel, einem ätherischen Ort ohne Leid und körperliche Beschwerden. Ein jenseitiges Refugium der Seeligkeit, der Ort des Lebens nach dem Tode, dem alle Christen entgegenfiebern, als Belohnung für ein gottesfürchtiges Leben im Diesseits.
Die „Regenerationstechnologie“ macht solch regelkonforme Existenzen nun wohl überflüssig. „Der Tod verbirgt sich“, sagte bereits im 20. Jahrhundert der französische Historiker und Forscher Philippe Ariès über den Tod. „Die Gesellschaft hat den Tod ausgebürgert, sie legt keine Ruhepause mehr ein. Das Leben in der Großstadt wirkt so, als ob niemand mehr stürbe.“ In der Tat: Seit langem schon überlassen wir das Totengewerbe den Experten. In der arbeitsteiligen Gesellschaft hat sich Sterben zum funktionierenden Servicebetrieb entwickelt. Nun, im 30. Jahrhundert, wird dies auf die Spitze getrieben.
Bis hierhin war es ein steiniger Weg. Bis zur Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert sind Tod und Sterben fester Bestandteil des Familienlebens. Angehörige pflegen den Familienangehörigen bis zum Schluss, waschen die Leiche, kleiden sie und bahren sie auf. Mit steigender Zuverlässigkeit und mit zunehmendem Wissen der Medizin wächst jedoch der Glaube an die Allmacht der Ärzte. Der Tod wird schließlich nicht mehr hingenommen, sondern mit allen technischen Mitteln bekämpft. So wie die Allmacht Gottes – oder das, was die Menschen über Jahrhunderte dafür halten – wird auch der Tod scheibchenweise mit jeder neuen wissenschaftlichen Erkenntnis zurückgedrängt. Der Lauf der Zeit hinterlässt seine Spuren im Umgang mit dem Ableben. Der Tod wandelt sich: Zunächst mit feierlichen Zeremonien ritualisiert, wird er von den Kirchen über Jahrhunderte als Machtinstrument missbraucht. Die Erfindung des Teufels als Peiniger sündiger Seelen in der Hölle schürt tiefe Ängste unter den irdischen Christen. Der Tod wird zum Schrecken.
Mehr und mehr wird er gesellschaftlich verleugnet, auch dank wachsender Popularität asiatischer Glaubenskulturen, in denen der Tod im Kern lediglich als Übergangsphase von einem Leben in ein anderes verstanden wird. Das 20. menschliche Jahrhundert ist ein Jahrhundert erdumfassender Kriege. Die Menschheit tötet sich millionenfach gegenseitig. Die Allgegenwart des Todes macht ihn unerträglich. Massengräber und Militärfriedhöfe entpersonifizieren den Tod und pressen ihn in Grabsteinschablonen mit Aufschriften wie „Für immer beweint“ oder „Unseren Tapferen Brüdern und Schwestern“. Am Ende wird der Tod schließlich komplett tabuisiert. Es sind alles mehr oder weniger untaugliche Versuche, mit dem unentfliehbaren Schicksal eines jeden Einzelnen umzugehen.
Dafür wird der Tod geschäftstüchtig. Geradezu lächerlich scheint im Rückblick das Unterfangen, Menschen in flüssigem Stickstoff einzufrieren um sie irgendwann in ferner Zukunft mit Hilfe wundersamer Technologie wiederzuerwecken. Der erste Schritt zu einem nachhaltigen Geschäftsmodell macht die Klontechnologie. Ende des 20. Jahrhunderts wird mit „Klonschaf Dolly“ das erste Tier geklont. Bald darauf können Menschen für ein mittleres Jahresgehalt ihr liebstes Haustier klonen lassen. Fast zeitgleich folgt der erste 3D-Druck von Organen: Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird mit Hilfe eines Stammzellen verarbeitenden Druckers eine kleinen Niere synthetisiert. Es dauert dann noch 20 Jahre bis es einem israelischen Forscherteam auf Sol III gelingt, ein ganzes Herz zu drucken. Es verfügt über sämtliche Eigenschaften eines menschlichen Herzens, und sie verwenden in ihrer Erklärung erstmals den Begriff „Imprint“.
Es dauert nochmals knapp 1000 Jahre bis in 2949 erstmals die erfolgreiche Regeneration eines kompletten Menschen auf Basis der von BiotiCorp entwickelten Bio-Print-Technologie gelingt. Die Grundlagen hierfür legt Dr. Aka Ibrahim, nachdem er mit erbeuteter biogenetischer Scantechnik der Vanduul experimentiert und daraus die so genannte Ibrahim-Sphäre entwickelt. Sie ermöglicht die Anfertigung vollständiger biogenetischer Abdrücke einer Person. Der Abdruck – oder „Imprint“ – geht dabei weit über DNA- und Mentalscans hinaus und erfasst eine vollständige Version einer Person, einschließlich ihrer Erinnerungen, Gedanken und Persönlichkeit. Das Jenseits, so könnte man sagen, wird im Diesseits verankert, der Tod wird betrogen.
Zwar ist der Regenerationsprozess kostspielig, schnell wird aber jede Raumstation mit einem medizinischen Scanner ausgestattet, der einen Imprint erstellen kann – und die Menschen nehmen die neue Technologie auch umgehend an. Doch wie bei jedem technologischen Durchbruch gibt es Zweifel. So begehren religiöse Gruppen dagegen auf, dass die Seele eines Lebewesens eingefangen werde. Wirtschaftssachverständige äußern Bedenken, dass die Verlängerung des Lebens schwerwiegende Auswirkungen auf das sozialwirtschaftliche Gesellschaftsgefüge haben könnte.
Hinter alledem steht eine zentrale ethische Frage: Was ist das Leben noch wert, wenn man weitere in der Schublade hat, die man bei Bedarf herausziehen kann? Sind die Vanduul am Ende derart verroht, weil ihnen die Technik der Wiedergeburt in den Schoß fiel? Wie verändert es eine Gesellschaft auf Dauer, wenn man in einem Kampf nicht mehr die Existenz des Gegners an sich auslöscht, sondern nur noch dessen Abziehbild? Wie tief sinken die Hemmschwellen für brutale Konflikte? Wird das Imperium nun ein noch dunklerer und gefährlicherer Ort?
Es ist ein tiefer kultureller Bruch, den die neue Technologie mit sich bringt. Wir spielen mit Mächten, die wir noch immer weder mental noch technologisch verstehen. Es ist als würden wir mit einem Vordiplom in Ingenieurswissenschaften versuchen, gleich den Hauptantrieb im Maschinenraum der eigenen Existenz zu wechseln. Sofern es einen Gott gibt, so sollten wir mit jeder Faser hoffen, dass er uns trotz aller Anmaßung bei diesem naiven Unterfangen beisteht.
So mag tröstlich stimmen, dass wir den Tod noch nicht zur Gänze bezwungen haben, denn jedes Ableben hinterlässt seine Spuren. Je traumatischer ein Toderlebnis ist, desto prägnanter sind die Folgen. Traumata verursachen nachhaltige Echos – die Person wird nach ihrer Regeneration samt Traumaschädigung wiederhergestellt, kommt versehrt zurück. Auch Teile der Erinnerungen und Erfahrungen gehen weiterhin verloren. Kurzum: Abschied und Neubeginn bleiben auch im 30. Jahrhundert Teil der Menschlichkeit. Und so wohnt jedem Neuanfang weiter ein Zauber inne. Hier schließt sich der Kreis: Man erwacht auf seiner Liege im Krankenhaus, ohne Rüstung, Waffen, Kleidung, lediglich in einen Kittel gehüllt – einem Neugeborenen gleich. Von altem Ballast befreit, beginnt die die Reise als Wiedergeborener. Welches Risiko wird man diesmal bereit sein einzugehen? Man weiß nie genau, wie viele Chancen auf eine gelingende Regeneration noch bleiben.
Gerade jetzt, in Vorfreude auf das Weihnachtsfest und Luminalia, werden uns derlei existenzielle Fragen wieder bewusst. Luminalia – das Fest, das Banu und Menschen gemeinsam feiern. Während zeremonielle Lampen brennen, werden alle Banu, egal wo sie sind, als ein Souli betrachtet. Sie laden Freunde, Geschäftspartner und vorbeikommende Fremde ein und überreichen ihnen Geschenke. Gemeinsam feiern sie das Leben, ihre interstellare Existenz – in Frieden und Freundschaft! Auf der Erde und darüber hinaus feiern Christen nur drei Tage danach Christi Geburt, bekannt als Weihnachtsfest. Dass Gottes Sohn als Krone der Schöpfung Menschengestalt hatte, stand lange Zeit außer Frage – ein Weltbild, das mit der Entdeckung der Banu im Jahr 2438 zerbarst. Doch den Sturz vom Schöpfungsthron haben die Menschen augenscheinlich gut verwunden. Vermutlich hat dabei der Tausch gegen den Titel der interstellaren Spezies geholfen. Das macht Mut und spendet Zuversicht. Denn wenn im Lauf der Zeit und mit der Ausbreitung des Menschen in ferne Welten tatsächlich etwas stirbt, so sind es Gewissheiten. Davon zeugt die Geschichte vom Umgang mit dem Tod. Mit Sicherheit bleiben lediglich die Echos der Vergangenheit. Besinnen wir uns ihrer und hören wir auf sie!
Journal-Eintrag 07 / 12 / 2951
Ich habe mich in der Redaktion intensiv mit der Technologie der Regeneration beschäftigt – und dafür auch in alten Archiven gestöbert. Interessant, was man alles zu Tage fördern kann, wenn man nur tief genug eintaucht. Herausgekommen ist nun eine Geschichte, die das Thema Tod und Wiedergeburt über die Zeit beleuchtet. Ich habe sie Nick Cartago und Friedrich Winters zu lesen gegeben – und ihr Feedback war so gut, dass ich sie als Co-Autoren mit aufgenommen habe. Echt kluge Leute, mit denen ich da aktuell unterwegs bin.
Jetzt bin ich aber erstmal komplett urlaubsreif. Man könnte auch sagen: ich habe die Schnauze voll. Mein Bedarf an Verschwörungen, Geheimnissen und Heimlichtuereien ist bis auf Weiteres gedeckt. Die letzte Datei von Mr. Eris hat mir den Rest gegeben. Ich packe meine sieben Sachen in die „Clarke II“ und bin auf und davon…