Waffenbrüder

Rhedd Alert Security: Es ist alles andere als leicht, legal zu werden und sein Geld zu verdienen.

Von Andy Rogers

(übersetzt von Moxie)


Kapitel 01

Die Warnanzeige auf dem Display der Cutlass verdunkelte sich an den Rändern. Grüne Dreiecke markierten jedes Mitglied von Gavin Rhedds Sicherheitsteam, wurden zu flimmernden und spitzen, horizontalen Ausschlägen.

Er schlug gegen die Seite seines Helms. Es war eine routinierte Bewegung, die sein HUD in der Vergangenheit immer wieder scharf gestellt hatte. Diesmal aber flackerte die Anzeige nur, verblasste und erlosch dann komplett. Ein schwerer Atemzug legte einen dünnen Dunstschleier über das Visier seines Helms und Kondenswasser verdeckte die Sicht auf den schwarzen, leeren Raum vor ihm. Leer wie das tote Head-up-Display. Leer, so wie es schon seit Wochen war. Es gab viele Outlaw-Banden, die die Planeten im Verse plagten und er konnte keine einzige dieser verdammten Banden finden.

Nichts klappte so, wie er es geplant hatte. Auf dem Navsat schwärmten die anderen drei Mitglieder seiner Rhedd Alert Security aus. Gavins Bruder Walt hatte seine Position direkt an Backbord eingenommen. Jazza und Boomer befanden sich weit außerhalb ihrer eigentlichen Position. Alle wirkten gelangweilt und wurden langsam nachlässig.

Boomer war diesmal der Erste, der die Funkstille brach:

“Hey, Leute?”

“Was gibt’s, Boomer?”

Walt war der erste, der antwortete.

“Mir ist kalt.”

“Dann zieh dir einen Pullover an.”

“Hey, Jazz?”

“Ja?”

“Nimm mal deinen Helm für einen Augenblick ab.”

“Warum denn, alter Mann? Willst du einen Kuss?”

“Nö. Ich hoffe, du wirst rausgesaugt und stirbst, wenn ich ein Loch in dein Cockpit schieße.”

Gavin seufzte in seinen Helm.

“Kommt schon Leute. Ich will Funkstille. Die Bergleute auf Oberon haben uns angeheuert, damit wir uns um ihr Piratenproblem kümmern. Und wenn ihr drei auf einem offenen Kanal plappert, hilft uns das nicht gerade dabei, sie schneller zu finden.”

“Ich fange an, dieses System zu hassen”, murmelte Walt.

Sie waren alle müde und ausgelaugt von wochenlangen Überstunden, ohne irgendeine Action. Walt gab ihrer Moral nun den Rest.

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Diese ganze Sache – Rhedd Alert Security, das Schmuggeln aufzugeben, um sauber zu werden, die Staatsbürgerschaft zu beantragen – war etwas, was sie gemeinsam tun wollten. Gavin und Walt. Brüder. Legal werden und ein Geschäft eröffnen. Aber manche Dinge ändern sich eben nicht – und Walt war und blieb derselbe alte Walt. Nur Gerede und nichts dahinter. Es würde nicht lange dauern und er würde mit einer neuen Ausrede wieder in sein altes Leben zurückkehren.

“Was ist los, Boomer?”

“Mir ist kalt, Gavin. Ich glaube, die Heizung ist aus.”

Wunderbar. Noch etwas zu reparieren.

Jazza bellte ein Lachen,

“Jep. Das klingt ungefähr richtig für dieses Outfit.”

“Jazza, hältst du endlich mal die Klappe? Mit welchem Teil hast du Probleme? Funk oder Stille?”

“Ja, Sir, Big Boss Mann.”

“Jesus. Ihr hattet mehr Respekt vor mir, als wir noch Kriminelle waren. Boomer, bei allen Banu-Göttern, warum hast du mir nicht gesagt, dass du Probleme hast, bevor wir den Hangar verlassen haben?”

“Ich…äh…dachte, ich sollte bis nach der Mission schweigen. Bis wir bezahlt werden.”

Das hätte ein schneller Job sein sollen. Rein und raus. Aber nach wochenlanger erfolgloser Jagd, selbst wenn sie die Piraten verjagt hätten, wäre dieser Job immer noch ein Verlustgeschäft.

“Hey, Leute?” Jazza fing wirklich an, ihm auf die Nerven zu gehen.

“Gavin, ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich da etwas gefunden habe.”

Gavin studierte schnell seine Navsat-Konsole. Die Gegend sah immer noch verlassen und leer aus. Was immer sie gefunden hatte, es war auf keiner seiner Radaranzeigen zu sehen. Er klopfte erneut auf seinen Helm in der stillen Hoffnung, dass sein HUD wieder zum Leben erwachen würde.

“Es ist ein Wrack”, sagte Jazza. “Ein Großes. Sieht aus wie eine zerstörte Idris. Scheint aber tot zu sein.”

“Ich sehe dich nicht … “, sagte Walt. “Ah, da bist du ja. Wie bist du denn so weit vom Kurs abgekommen?”

“Ganz ruhig, Leute”, sagte Gavin.

“Boomer, du richtest Dich zu Jazza aus. Walt und ich halten die Position.”

“Verstanden.”

Eine Idris war ein riesiger Brocken als Bergungsgut. Seltsam, dass bisher niemand sie beansprucht hatte. Sie waren in Oberon, um Piraten zu verjagen, aber ein kleiner Schrottjob nebenbei war ein durchaus willkommener Bonus.

“Jazz”, sagte Gavin, “ich habe nichts in deiner Nähe auf den Sensoren. Glaubst du, es ist nur irgendein treibender Schrott?”

“Ich glaube schon” sagte sie langsam aber unschlüssig.

“Ich dachte erst, ich hätte eine Wärmespur gesehen, aber jetzt sehe ich sie nicht mehr. Ich gehe näher ran – Jesus..!”

“Jazz…”

Boomer flüsterte fast. Der alte Mann war nun ganz bei der Sache. “Zieh nach rechts, ich locke ihn von euch weg und lotse sie zu den Jungs zurück.”

“Ich kann ihn nicht abschütteln.”

Das Navsat zeigte plötzlich drei neue Schiffe an. Eine Origin 325a näherte sich Jazz rasend schnell. Walt raste vorbei und beschleunigte, dem Gefecht entgegen. Gavin drehte um und folgte.

“Hart hochziehen”, sagte Boomer.

“Bring ihn wieder zu uns zurück … oh, verdammt…”

“Sprich mit uns, Boomer”, sagte Walt.

“Jazz hat einen Treffer gelandet. Aber die Jungs haben alle eine Tarantula … und zwar die richtig fette.”

“Halt durch”, sagte Gavin.

“Wir sind fast da. Walt, mein HUD ist ausgefallen. Ich brauche Sichtkontakt für den Kampf, kannst du mir helfen?”

“Bin dran.”

“Halt durch, Boomer. Wir sind gleich da.”

Walt war nur noch ein glühender Streifen vor ihm. Seine Umgebung schien trügerisch leer, ohne die Visualisierungen seiner HUD-Instrumente. Nur Oberon IV, bedrohlich nahe unter ihnen, gab ihm ein Gefühl für den Raum.

Walts Stimme knisterte in der bedrückenden Stille.

“Boomer. Ich komme tief rein, auf drei Uhr.”

“Verstanden.”

“Ich werde mit den Repeatern feuern, um ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.“

„Du gibst der 325er eine Breitseite und dann bekommt sie von mir eine Rakete dahin, wo die Sonne nicht scheint.”

“Beeil dich, Walt. Ich bin zu alt für Drei-gegen-Einen.”

“Bin gleich da.“

Vor den dreien schnitten rasiermesserscharfe, rote Strahlen durch den Raum. Die Laser fächerten sich abrupt auf, als Walt ein Piratenschiff umrundete.

“Boomer…”

Walts Worte überschlugen sich fast.

“…ich kann keine Rakete abschießen, wenn du zwischen uns fliegst.”

“Ich kann ihn nicht abschütteln.”

“Er wird dich treffen, wenn du nicht schneller bist.”

Eine Rakete raste auf eines der Piratenschiffe zu. Gavin sah eine Serie kleiner Blitze im Cockpit, dann flammte die 325a plötzlich auf, wie ein lodernder Ball und erlosch. Gavin mischte sich unter die anderen Schiffe und fügte sein eigenes Laserfeuer hinzu, geradewegs auf die Schilde eines der Piratenschiffe.

“Das war’s”, sagte Walt, “sie werden fliehen.”

Er hatte recht. Als sie merkten, dass sie in der Unterzahl waren, sammelten sich die verbliebenen Piraten und beschleunigten direkt an Jazz’ Schiff vorbei. Gleichzeitig mit ihnen verschwand jede Hoffnung auf einen profitablen Job.

“Umzingelt sie Jungs.”

“Vergiss es”, rief Walt und ließ sich zurückfallen.

“Lasst sie laufen. Sie werden hier nichts mehr machen, nachdem wir ihr Versteck entdeckt haben. Wir haben gewonnen, Gav.”

“Dieser Job deckt nicht mal unsere Treibstoffkosten, Walt. Wir brauchen diese Schiffe.”

“Ich habe sie.”

Boomer wendete und zwang die fliehenden Schiffe zwischen sich und seine Kollegen.

“Boomer”, rief Walt, “tu’s nicht!”

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Die Piraten gingen erneut sofort auf Kollisionskurs. Ihre Mündungsfeuer blitzten zweimal auf und Boomers Avenger explodierte noch im selben Moment. Der größte Teil des Steuerbordflügels driftete davon, hell brennend vom austretenden Sauerstoff. Die Piraten flogen direkt durch das treibende Wrack und rasten dann mit voller Beschleunigung davon. Gavin stieß einen Fluch aus und wurde langsamer. Ohne sein HUD verschwanden die fliehenden Piraten schnell aus seinem Blickfeld.

“Boomer? Sprich mit mir, Kumpel.”

Boomers Avenger rotierte langsam in der Dunkelheit. Dann wurde das Kabinendach abgesprengt, Luft entwich und Boomers Überlebensanzug wurde ins All geschleudert. Ein neues Signal, rot blinkend, reflektierte auf Gavins Cockpithaube. Er brauchte nicht auf die Anzeige zu schauen, um zu wissen, dass es Boomers Peilsender war. Er ließ seine Hände fallen, schloss die Augen und ließ den Kopf nach hinten kippen. Sein Helm krachte laut gegen die Kopfstütze. Bunte Lichter tanzten kurz vor seinen geschlossenen Augen. Dafür reaktivierte der Schlag das HUD wieder.

“Was zum Teufel war das?” Walts Worte hatten eine bissige Schärfe.

“Tarantula GT-870 Mk3”, sagte Gavin.

“Ich weiß von den verdammten Kanonen, Gavin. Ich meine, Boomer hinterherzuschicken. Wir hatten bereits gewonnen. Wir hatten sie in die Flucht geschlagen.”

“Diese Schiffe reparieren sich nicht von selbst, Walt. Vielleicht hast du nicht nachgerechnet, aber wir sind pleite. Wir brauchen den Bergungslohn.”

“Bergung ist schön und gut, aber Dell wird dich umbringen, wenn Boomer wieder verletzt ist.”

“Ich kümmere mich schon um Dell.”

Gavin griff zu den Kontrollen seines Schiffes.

“Ruft Oberon. Lasst sie wissen, dass wir uns um ihr Ungezieferproblem gekümmert haben und dass wir ihre kleine Basis abschleppen werden, auf der sich die Piraten versteckt hatten.

“Verstanden”, Walts Stimme klang nachdenklich. “Geld zuerst. Gute Arbeit. Prioritäten richtig setzen.”

“Verdammt, Walt. Würdest du für zwei Minuten die Klappe halten, damit wir zusammenpacken und alle nach Hause fliegen können.”

“Gut.”

“Ich hole Boomer. Kannst du bitte nachsehen, ob du Jazz wieder zum Laufen bringen kannst?”

“Du bist der Boss, kleiner Bruder.”

Gavin schob seine Familiensorgen für einen Moment in den Hintergrund und dachte nach: Kümmere dich um die Crew. Bring Boomer nach Hause. Repariere die Schiffe. Zahle ein paar Schulden ab. Er ratterte eine ellenlange Liste nächster Schritte herunter. Aber ein Gedanke behielt die Oberhand. Sie brauchten wirklich ganz schnell einen neuen Job.

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Kapitel 02

Walt war schneller beim Hangar als die anderen. Er passte sein Schiff der Rotation an, driftete an der Längsseite entlang, bis er den Hangar von Rhedd Alert erreichte. Walt verlangsamte sein Tempo und kam vor einer der drei breiten Doppel-Hangar-Tore zum Stehen. Jedes dieser Hangartore war in einem alarmierenden Rotton gestrichen. Davor schwebten Warnblinkleuchten, die von kleinen Schubdüsen auf Position gehalten wurden. Ein Arbeitsteam frischte mit Hochdruckfarbgeräten graue Farbe und unter Zuhilfenahme von Schablonen, soeben das „Rhedd-Alert“-Logo auf.

Walt nahm einen tiefen Atemzug, seine Brust hob sich und drückte gegen seinen Raumanzug. Es sah cool aus, den eigenen Namen in großen Buchstaben auf der Seite des Hangars zu erblicken. Andererseits: Der Hangar, das Personal – es war allesamt unnützer Ballast. Die Malercrew und das Logo als Teil des Pachtvertrags mit der Station mahnten als Erinnerung eher an eine dauerhafte Verbindlichkeit. Walt knabberte an seiner Unterlippe angesichts der Last dieser Bürde. Er versuchte seine Schuldgefühle beiseite zu schieben, aber sie saßen zu tief und das wiederum schürte seine Wut auf Gavin.  Sein Bruder hatte diese Firma unbedingt gewollt. Dell ebenso.

Erfolg – rechtschaffener Erfolg – bedeutete eben alte Routinen hinter sich zu lassen. Kein Verstecken mehr. Kein Wechsel des Labels alle paar Wochen, um der Advocacy zu entgehen. Eine Firma zu gründen, auf die Staatsbürgerschaft hinzuarbeiten, das war eine große Sache – aber zu welchem Preis? Leute zu beschäftigen und die Staatsbürgerschaft zu beantragen war gut, aber das Ganze verlor schnell an Glanz, wenn Erfolg eben auch bedeutete, dass sie bei ihren Aufträgen in Zukunft über Leichen gehen müssten. Walt wollte sicherstellen, dass Gavin das erkannte. Sie waren alle müde, aber das war zu wichtig, um zu warten.

“Dell”, sagte Walt. “Mach auf.”

D’lilah‘s Stimme kam sofort über die Sprechanlage. Sie hatte bereits gewartet. “Hangar 3, Walt. Und achte auf die Malercrew.”

“Ich sehe sie. Bin froh, zu Hause zu sein, Dell.”

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Gavin landete als Letzter. Walt wartete am Fuß der Leiter seines Schiffee, als sein Bruder auf die Plattform hinunterglitt.

“Fang gar nicht erst an”, waren die ersten Worte aus Gavins Mund.

“Hör mal”, sagte Walt, “vielleicht war es unangebracht, dich während eines Kampfes in Frage zu stellen, aber wir müssen darüber reden, was da draußen eben passiert ist.”

“Wir haben gewonnen, okay? Im Moment muss ich Boomer zu den Sanitätern bringen und dann Barry wegen eines anderen Jobs kontaktieren.”

“Barry hat uns diesen Job besorgt, Gav. Ich weiß nicht, ob du es bemerkt hast, aber es ist nicht wirklich sonderlich gut ausgegangen.”

“Wir wurden von ein paar Schlägern vermöbelt. Das passiert eben, wenn man schlampig wird.”

Zwei ihrer Schiffe waren beschossen worden, Boomer wurde verwundet und Gavin murrte über zu enge Flugformationen. Walt streckte seine Finger aus. Sein Bruder klemmte seinen Helm unter einen Arm, trat zur Seite und umkreiste Walt.

“Verdammt, Gavin.”

Walt packte Gav‘s Schulter und drückte ihn gegen die Leiter.

“Würdest du mal für zwei Sekunden herunterkommen?”

Er hatte Gavin zwar überrumpelt. Doch Gavin schlug ihm mit einer schnellen Bewegung die Hand von der Schulter, warf seinen Helm auf das Hangardeck und verpasste Walt einen beidhändigen Hieb gegen die Brust.

“Was ist dein Problem, Walt?”

Im Hangar wurde es still. Ein kurzer Blick in beide Richtungen, zeigte den beiden, dass das übrige Personal intensiv nach einer Beschäftigung suchte, so weit entfernt von den Brüdern wie möglich.

Walt beugte sich vor und zischte ihn an: “Ich versuche zu verhindern, dass du jemanden verletzt. Was macht Rhedd Alert für einen Sinn, wenn wir für einen beschissenen Job töten müssen?”

“Ein beschissener …?”

Gavins Augen waren so weit aufgerissen, dass man das Weiß seiner Augäpfel sah.

“Du musst aufwachen, Walt. Das war unser einziger Job. Die Hälfte der Schiffe im Kader wurden beschädigt. Boomer, fror sich den Hintern ab, weil er nichts weiter trug als seinen Raumanzug. Wir können nicht mehr von System zu System springen und das nächstbeste Schiff kapern, das vorbeikommt. Dafür haben wir unterschrieben, Mann.”

Walt wurde wieder zornig. Er wusste, er wäre besser gegangen, aber Gavin verstand immer noch nicht, worauf er hinauswollte.

“Ich weiß, wofür ich unterschrieben habe.”

Er wusste, dass sie ihre Aufträge gut erfüllen mussten, aber warum gleich sterben, bei dem Unterfangen ihre Schulden zu begleichen?

“Und ich weiß auch noch, warum ich mich gemeldet habe.”

Gavin trat an ihn heran.

“Ach ja? Und warum ist das so?”

“Deinetwegen, Gavin.”

“Also ist alles meine Schuld? Weil ich dich dazu gebracht habe, mitzumachen.”

“Das meine ich nicht.”

“Ich weiß, dass ich das Gebot für diesen Job hätte höher ansetzen sollen. Aber weißt du was? Ich habe es nicht getan. Und der Job war eben alles, was wir hatten.”

Walt senkte seine Stimme und sah Gavin in die Augen.

“Das habe ich nicht gemeint und das weißt du. Ich bin hier, weil du das willst.”

Er stieß einen steifen Finger in Gavins Brust.

“Du willst es für Dell. Weil du Angst hast, dass sie dich verlässt, wenn du es nicht durchziehst.”

Sie gingen hart zu Boden und Walts Kopf knallte gegen das Deck. Dann war Gavin direkt über ihm. Er war kompakt und gebaut wie ein Sataball-Verteidiger, aber Walt war größer und hebelte ihn aus.

Es war etwas, das sie schon hundertmal ausgefochten hatten, seit sie kleine Jungs waren, mit nahezu jedes Mal dem gleichen Ergebnis. Aber Gavin wusste einfach nicht, wann er aufgeben sollte. Es war ein kurzes und hartes Gerangel. Innerhalb von Sekunden klemmte Walt seinen Unterarm in den Nacken seines jüngeren Bruders und stützte sich mit dem anderen vom Deck ab. Gavins Gesicht wurde auf den kalten Stahl des Hangar Bodens gepresst. Dann trat plötzlich die abgewetzte Schuhspitze eines schwarzen Arbeitsstiefels schmerzhaft auf Walts Finger. Sein Würgegriff lockerte sich und Gavin begann sich zu befreien. Dann fiel ein schwerer Schraubenschlüssel auf Gavins Schulter und rückte ihn wieder mit dem Gesicht nach unten.

“Aber, aber, Jungs”, sagte Dell. “Was werden bloß die Nachbarn denken?”

Walt zuckte und biss die Zähne zusammen, als sie den Stiefeldruck auf seine Finger verstärkte. Er verdrehte sich seinen Hals und sah sie an. D’lilah´s Stiefel waren mit rosafarbenen Schnürsenkeln gebunden, auf denen ein weißes Totenkopfmuster aufgenäht war. Sie trug einen abgenutzten Overall, der sich an ihre kräftigen Beine schmiegte und dessen Taschen mit Werkzeugen und Ersatzteilen gefüllt waren.

Ihr dunkles Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der über ihre Schulter hing, wobei die Spitzen in leuchtendem Blau gefärbt waren. Das war neu, seit sie nach Oberon aufgebrochen waren. Dieser verspielte Akzent, spiegelte sich aber nicht in dem wütenden Blau ihrer Augen wider.

“Oh. Hey, Dell.” Walt bemühte sich, sich nicht durch einen schmerzverzerren Tonfall in seiner Stimme zu verraten.

“Hallo zurück. Und wenn mir die nächsten Worte aus deinem Mund nicht verraten, wo mein Dad ist, wirst du künftig nur noch mit links arbeiten können.”

Gavin antwortete ihr. “Beruhige dich, Dell.”

“Wer hat ihn?”

“Ich.”

Gavin nickte hinüber zu seinem Schiff.

“Na dann.”

Sie hob ihren Fuß und Walt zog seine Hand heraus, um sich die schmerzenden Knöchel zu reiben. Er blickte sie so entrüstet an, wie es ihm möglich war, während er noch auf dem Deck kniete. Ihr Lächeln täuschte eine Samtheit vor, die allerdings die eisige Wut in ihren Augen nicht zu vertreiben vermochte.

“Ich werde den Buggy holen, sobald ihr beide mit dem Kuscheln fertig seid. Klingt so, als hätte mein Vater eine Verabredung mit den Technikern im medizinischen Zentrum.” Dell schwang den Schraubenschlüssel über ihre Schulter, machte kehrt und schritt davon.

Gavin rollte sich stöhnend auf den Rücken.

“Diese Frau wird uns eines Tages noch umbringen.”

“Glaubst du, wir könnten ihr entkommen?”, fragte Walt.

“Du, vielleicht, sagte Gavin. Es gibt im gesamten Universum kein einziges dunkles Loch, in dem ich mich verstecken könnte!”

“Nun ja”. Walt rappelte sich ächzend auf die Beine und ergänzte lachend, “das ist deine eigene verdammte Schuld. Du hast sie geheiratet.”

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Einige Systeme entfernt, auf einer Station, die viel größer und besser ausgestattet war als Vista Landing, blickte Morgan Brock finster auf eine Reihe von Zahlen auf ihrem MobiGlas. Sie hob ihren Blick über den oberen Bildschirmrand und starrte Riebeld an. Der Verkäufer lümmelte lässig in dem, wie Brock wusste, sehr unbequemen Stuhl auf der anderen Seite ihres Schreibtisches herum. Sie sorgte dafür, dass er unbequem war, niemand sollte sich sicher fühlen, wenn er ihr gegenübersaß. Dennoch schaffte es Riebeld irgendwie. Es war diese Goßspurigkeit, die ihn zu einem guten Mitarbeiter für ihre Firma machte. Anstrengend, ja – aber gut fürs Geschäft. Sie schaltete ihr MobiGlas aus.

“Die Nettogewinne dieser Schätzung basieren auf einer zwölfprozentigen Provision.”

“Jawohl.”

“Ich denke, wir wissen beide, dass Ihre vereinbarte Provision nur zehn Prozent beträgt, Riebeld.”

“Und ich denke, wir wissen auch beide, dass dieser Job die Größe der Firma innerhalb von zwei Jahren verdoppeln könnte”, erwiderte er.

Dann lehnte er sich nach vorne an ihren Schreibtisch. “Ich will zwölf Prozent, wenn ich den Auftrag klar mache.”

“Und du denkst, ich werde sie dir einfach geben?”

“Ich weiß, dass Sie es tun werden.”

Jetzt lehnte sie sich nach vorne, Riebeld sehr nahe, sodass er hätte zurückweichen sollen. Er tat es jedoch nicht und verharrte in seiner Position.

“Und warum”, fragte sie, “ist das so?”

“Weil ich weiß, dass für Sie Gewinn grundsätzlich Vorrang vor Prinzipien hat.”

Sein breites Grinsen war so strahlend, es hätte Laserstrahlen reflektiert. Sie war das verdorbene Lächeln von Männern gewohnt, aber bei Typen wie Riebeld bedeutete es nur, dass es um Geld ging. Sein MobiGlas surrte neben ihnen. Riebeld ignorierte den eingehenden Anruf. Nachdem der Alarm aufgehört hatte, sagte sie: “Du bekommst die zwölf Prozent. Aber jeder Helfer, wird von Deinem Anteil bezahlt, nicht von meinem. Und ich will drei Optionen für jährliche Verlängerungen, statt nur einer. Nur dann unterschreibe ich.”

“Erledigt.”

 “Gut. Und jetzt raus.”

Das tat er und Brock lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.

Sie würde mehr Schiffe brauchen. Entweder bekommt Riebeld die Verlängerungen oder nicht. Sie gaben ihm eine Aufgabe, ohne Herausforderung würde er nachlässig werden. Gute Verkäufer waren wie Rennpferde, pflegeintensiv und temperamentvoll. Überwiegend nervtötend, aber am Tag des Rennens will jeder eines im Stall haben.

Plötzlich klopfte es an ihrer Tür. Riebeld wartete nicht auf eine Antwort und streckte seinen Kopf herein.

“Ich werde nicht auf die Optionen eingehen, Riebeld. Ich will drei oder es gibt keinen Deal.”

“Nein”, sagte er. “Das ist es nicht. Navy SysCom hat gerade unseren Tyrol-Vertrag zur Neuausschreibung gebracht.”

“Was?”

“Ja. Wir dürfen wieder mitbieten, aber sie schreiben ihn jetzt im offenen Wettbewerb aus.”

“Warum zum Teufel sollten sie das tun?”

Die UEE-Wissenschaftler zu den Forschungseinrichtungen auf Tyrol zu eskortieren, war nicht ihre größte Aufgabe gewesen, aber sie hatte sich viel Mühe damit gegeben. Sie hatten Jahre damit verbracht, die Schifffahrtswege im Charon-System zu säubern – lukrative Jahre, zugegebenermaßen. Jetzt waren die Missionen reiner Profit und versprachen künftiges Wachstum.

“Ich kenne noch nicht die ganze Geschichte, aber offenbar versuchen sie, risikoarme Auftragsarbeiten an einheimische Firmen auszulagern. Irgendein Schlaumeier aus dem Rechnungswesen hat die Tyrol-Transporte ausgewählt und – bumm – hat Major Greely den Vertrag herausgeholt.”

“Sehen Sie zu, was Sie herausfinden können”, sagte sie zu Riebeld. “Und machen Sie sich an die Arbeit für die Neuausschreibung.”

“Habe ich schon erledigt.”

“Und Riebeld?”

“Ja?”

“Finden Sie den Namen des Sachbearbeiters heraus.”

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Kapitel 03

Es war schon spät, als Gavin die Station verließ. Als Zeichen des guten Willens lud er Walt ein, ihn auf dem kurzen Flug nach Cassel zu begleiten, wo er mit Barry Lidst verabredet war.

Ob Walt als eine Art Versöhnung mitkam oder einfach nur, um einer weiteren Auseinandersetzung mit Dell aus dem Weg zu gehen, blieb unbeantwortet. Wie dem auch sei, er schien nicht über den Streit sprechen zu wollen und Gavin sah auch keinen Grund das Thema nochmals zur Sprache zu bringen.

Barry, Navy SysCom-Rechnungsprüfer von Beruf und freiberuflicher Geschäftsmann aus Leidenschaft, war zusammen mit den Brüdern aufgewachsen. Er hatte Goss verlassen, um der Navy beizutreten. Offiziell war Barry für das Aushandeln von Verträgen zwischen der UEE-Navy und privaten Anbietern zuständig, ausserdem schaffte er es nebenbei auch noch ein paar inoffizielle Aufträge zu organisieren.

Er war ein Opportunist und Gavin vertraute ihm wie einer der zwielichtigen Gestalten, mit denen sie in der Vergangenheit zusammengearbeitet hatten. Nämlich: gar nicht.  Und die Tatsache, dass Barry mit Dell zu tun hatte bevor er zur Navy ging, spielte nach Gavins Meinung keine Rolle. Nicht im Geringsten.

Trotzdem hatte Barry ihnen den ersten seriösen Job an Land gezogen. Mit etwas Glück war es auch nicht der Letzte. Gavin hatte einen dicken Kloß im Hals in Anbetracht dessen, dass sie dringend Arbeit brauchten. Walt schwieg.

Während Cassel massiv wuchs, blau und einladend, zog Gavin seine Augenbrauen zu einem grimmigen Blick zusammen. Die Brüder landeten und machten sich auf den Weg zu einem Club, in dem das lokale Publikum der Resort-Welt verkehrte. Obwohl viel los war, ergatterte Barry nach einer kurzen Wartezeit einen freien Tisch. Seine Marineuniform war aus einem speziellen glänzenden Material geschneidert und sah daher stets frisch gebügelt aus. Sie schien unbequem zu sein, dafür kaschierte sie seinen runden Bauch sehr vorteilhaft.

“Oberon hat etwas mehr Zeit in Anspruch genommen, als wir dachten.”

Gavin zwang sich zu einem Lächeln, “aber wir haben es geschafft.”

“Ist alles gut gegangen?”

“Klar.”

In seinen Worten klang Zuversicht und er hoffte, dass das auch so rüber kam. Walt schaute ihn scharf an, aber Gavin ignorierte ihn. Sie mussten fähig erscheinen, sonst würden bessere Jobs Mangelware.

“Piraten sind kein Problem für uns.”

Barry forderte sie auf, sich zu setzen, und seine Stimme nahm einen düsteren Ton an.

“Es heißt, dass Dells Vater abgeschossen wurde. Ist er okay?”

“Mein Gott, Barry”, sagte Walt. “Wie hast du überhaupt davon erfahren?”

“Ich bin Teil dieser Regierung. Wir haben unsere Augen und Ohren überall.”

Gavin starrte ihn an und hob abwartend eine Augenbraue.

 “Na gut.”

Barry zuckte mit den Schultern und nahm einen Schluck von seinem Drink,

“diese Bergleute auf Oberon haben vielleicht etwas erwähnt.”

“Boomer geht es gut. Unsere Schiffe haben mehr abgekriegt als er.“

Gavin wollte davon ablenken, dass das Team bei dem Job aufgemischt worden war.

“Ich war überrascht zu hören, dass Sie im Goss-System sind.”

 

“Meine Mutter hat sich hier auf Cassel zur Ruhe gesetzt”. Barry warf einen säuerlichen Blick durch den Raum, als er das sagte. “Ich bin nur zu Besuch hier. Ich halte es hier nicht aus mit dem ganzen Tourismus, aber sie liebt die Shows und Ausstellungen. Jedenfalls bin ich froh, dass ihr in Oberon aushelfen konntet.”

“Gern geschehen.”

“So etwas kommt von Zeit zu Zeit vor”, fuhr Barry fort. “Es ist nicht so, dass wir uns nicht selbst darum kümmern wollen oder so. Wir tun das, aber die Navy kann ihre Truppen nicht hinter jedem Ganoven herschicken. Besonders, wenn sie in einem unbewohnten System kampieren. Also, ja. Keiner hat was dagegen, wenn wir diese Jobs an Einheimische wie euch vergeben.”

“Nun”, sagte Gavin, “wir haben im Moment wenig Arbeit. Haben Sie etwas Neues für uns?”

“Ich habe vielleicht etwas – kein UEE-Auftrag, aber trotzdem einen anständigen Job. Und ich weiß, dass der Kunde mit Euren Preisen zufrieden sein wird.”

Gavins Herzschlag verlangsamte sich ein wenig, aber vielleicht konnten sie ihren Preis etwas erhöhen, ohne Barry zu vertreiben. Gavin ermutigte Barry weiter zu reden.

“Der Job ist ganz in der Nähe, nur ein paar Sprünge entfernt. Es ist harte Arbeit, aber ich kann euch den Job besorgen, wenn ihr Interesse habt.”

“Was ist das für ein Job?”, fragte Walt.

“Hast du schon mal von Molybdän gehört?”

Gavins Gesicht war genauso ausdruckslos wie das von Walt.

“Nein? Ein seltenes Metall, das in Elektronik und vielem mehr Verwendung findet. Es kommt in der Nähe von Kupfervorkommen vor. Ein Freund von mir kennt jemanden, der gerade die Schürfrechte für einen Mond in die Hände bekommen hat.”

“Bergbau”, murmelte Walt. “Warum ist es immer Bergbau?”

“Ich schätze, der ganze Mond ist mit Stollen und Gängen durchzogen. Anscheinend gab es dort früher große Kupfervorkommen, aber leider ist das ganze Zeug jetzt weg. Das Einzige, was übrig ist, ist das Molybdän. Dieser Typ hat drei Wochen Zeit, um mit der Produktion zu beginnen, oder er verliert seine Pacht an den nächstbesten Schürfer.”

“Barry”, sagte Gavin, “wenn du nach einem Team suchst, das Schutzhelme trägt und Spitzhacken schwingt, sind wir die falschen Leute.”

“Nein, so ist es nicht. Die Vorkommen sind jetzt ausgeschöpft aber jemand nutzt die Höhlen aktuell als Stützpunkt. Wir vermuten Schmuggler. Die haben automatische Geschütztürme installiert. Mein Mann sagte mir, dass sie überall sind. In jedem Winkel. Wie auch immer, das ist alles Banu-Technologie. Einige sind von Bacchus rüber gesprungen.”

“Also, wie lautet der Auftrag?”

“Sie brauchen jemanden, der das Ganze durchforstet und die Geschütztürme außer Gefecht setzt. Sie können keine Bergbauausrüstung und Arbeiter da reinschicken, bevor nicht alles gesichert ist.”

“Das war’s?” fragte Gavin.

“Jep. Das war’s.”

Walt beobachtete Barry, der gegenübersaß, wie sich eine seiner Augenbrauen verschmitzt hob.

“Das ist der langweiligste Job, von dem ich je gehört habe.”

“Hey”, sagte Barry, “wenn du lieber etwas suchst, wo das Risiko auf einen Kampf etwas höher ist, habe ich auch einen UEE-Begleit-Service-Vertrag zu vergeben. Wir wurden von einem Auftragnehmer finanziell betrogen. Ich habe den Major schließlich davon überzeugt, den Job neu auszuschreiben.”

Das hörte sich schon eher nach dem Job an, den Rhedd Alert brauchte.

“Erzähl uns mehr davon”, sagte Gavin, “über den Begleit-Service, meine ich.”

“Ich, äh, hört mal “, sagte Barry. “Das war nicht wirklich ernst gemeint. Nichts für ungut, aber das ist ein bewaffneter Begleit-Service durch ein paar ziemlich raue Systeme.”

“Unsere Jungs schaffen das “, sagte Gavin.

„Ich weiß nicht einmal, ob ihr genug Schiffe habt, um die Anforderungen des Vertrags zu erfüllen.”

“Gib uns eine Chance. Wenn wir erfolgreich sind, werde ich die zusätzlichen Schiffe und Piloten schon auftreiben.”

“Die Truppen, die sich für solche Aufträge verpflichten, sind in der Regel vom Militär. Bestens ausgebildet. Viele Kontakte im Navy SysCom. Die meisten Auftragnehmer, die wir einsetzen, sitzen direkt neben der Navy im Kilian-System. Das war ein Scherz, Leute. Vergesst einfach, dass ich es überhaupt erwähnt habe.”

“Nein ernsthaft, wir können das. Wie groß ist der Auftrag? Wie viel -“

“Gav”, unterbrach Walt, “wir reden hier von Marineflugverbänden und Taktiken. Überlegenen Waffensystemen. Vielleicht sollten wir mehr Infos über das Waffensystem in der Mulberry Mine einholen.”

“Molybdän.”

“Wie auch immer.”

“Komm schon, Walt. Das klingt perfekt für uns. Und ich würde dich oder Jazza sofort gegen einen Ex-Navy-Piloten antreten lassen. In jedem System, zu jeder Zeit.”

“Leute … hey, hört zu”, sagte Barry. “Die UEE versucht, lokale Aufträge an lokale Unternehmen zu vergeben. Wenn ihr wirklich Lust habt, euch in die Höhle des Löwen zu begeben, schicke ich euch die Ausschreibung. Ist das gut genug? In der Zwischenzeit … sprechen wir über meinen Kumpel mit der Mondmine?”

Gavin verfolgte nur noch halbherzig, Walt und Barrys Diskussion über den Geschützturm-Job. In seinen Gedanken begleiteten sie bereits UEE-Schiffe durch feindlichen Raum. Walt holte ihn aus seiner Träumerei, als er einen überraschten Barry verstummen ließ.

“Warte”, sagte Walt, “geh mal einen Moment zurück. Diese Waffensysteme der Banu. Hast du gesagt, das Zeug kommt aus Bacchus?”

“Wahrscheinlich. Warum?” “Dieser Mond … Barry, wo ist er?”

“Oberon VI, warum?”

Gavins Herz blieb stehen. Sein Blick war auf Walt gerichtet.

“Ach, komm schon”, sagte Barry. “Ihr habt schon gute Jobs für diese Typen geleistet.”

“Sie werden uns umbringen”, sagte Walt.

“Nein”, winkte Barry ab, “sie lieben Rhedd Alert.”

“Nein”, sagte Walt, “nicht die Bergleute.”

“Wer..?” Barry blickte verwundert. “…wer denn?”

Gavin antwortete.

“Unsere Mannschaft wird uns umbringen, wenn wir sie zurück nach Oberon schleppen.”

“Hey”, beruhigte Barry, “es ist ein kleines Universum. Sie werden früher oder später dort ohnehin mal wieder vorbeikommen. Man kann sich genauso gut dafür bezahlen lassen. Habe ich recht?”

“Ja”, sagte Walt, “aber Oberon?”

“Ich habe doch erwähnt, dass es sich lohnt, oder nicht?”

Barry tippte etwas in sein MobiGlas. Er drehte es so, dass die beiden die Anzeige lesen konnten. Am unteren Rand stand eine Zahl. Eine nicht unbedeutende Zahl. Gavin starrte auf seine Hände, während Walt die Zahlen auf sich wirken ließ. Dann schlug Walts Kopf hörbar auf den Tisch. Er stöhnte etwas gedämpft: “Ich kann nicht glauben, dass wir zurück kehren nach Oberon.”

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Kapitel 04

Gavin verließ Walt auf Cassel. In seinen Single-Tagen, war es vorgekommen, dass ein verlängerter Aufenthalt in einem Ferienressort eine ideale Belohnung für einen miesen Job war. Jetzt jedoch hatte er ein viel besseres Angebot, das zu Hause auf ihn wartete und zwei Flaschen gekühlten Kōen Chōchū begleiteten ihn dabei. Das bessere Angebot hieß Dell.

Dem Chōchū galt seine große Hoffnung, seine Rückkehr nach Oberon doch noch etwas abzugewinnen. Es war nicht gerade sein bester Auftritt gewesen und er spürte, wie seine Wangen nach und nach warm wurden. Er war froh, allein zu sein. Mit einem Seufzer kniff er seine Augen zu und ließ den Kopf in den Sitz zurücksinken. Als sein Helm gegen den Cockpitrahmen stieß, sah er gerade noch wie sein HUD erlosch. Er drehte den Kopf und betrachtete die Flaschen Reiswein. Vielleicht brauchte er den Alkohol ja mehr als Dell.

Der Hangar von Rhedd Alert war ruhig. Die Lichter waren auf ein mattes, saphirblaues Leuchten heruntergeregelt. Gavin legte seinen Raumanzug ab und schnappte sich dann Helm und Reiswein. Der Helm landete kurzerhand auf einer Werkbank. Den Reiswein nahm er mit in Dell´s Abteil.

Drinnen war es dunkel – er kam zu spät. Dell schlief bereits. Er lehnte sich gegen die Tür, während sich seine Augen dem gedämmten Licht im Schlafzimmer anpassten. Dell lag auf der Seite mit dem Rücken zu ihm. Ihr Haar war als dunkler Fächer auf dem farblosen Kissen und Laken ausgebreitet. Die verspielten blau gefärbten Haarspitzen waren im schwachen Licht nicht zu erkennen. Er blickte auf die Kurve ihrer Hüfte und die lange Linie ihrer bedeckten Beine. Leise stellte er den Reiswein auf einem Tisch ab.

Während er sein Hemd abstreifte, sah er auf dem Weg zum Kleiderschrank wie ihre Kleiderstapel bizarre Schatten im schwachen Licht an die Wand warfen. Sie hatte die Schranktür offengelassen. Alles roch nach ihr. Er hatte ganz vergessen, wie sehr er das liebte. Dann beugte er sich nach vorn und tauchte mit seinem Kopf zwischen ihre hängenden Hemden und Jacken.

Die beiden hatten nicht viel, aber das war eben ihr Zuhause. Sie waren sesshaft geworden und hatten keine Lust mehr auf ein Leben zwischen Cockpits und schmutzigen Laderäumen. Aber wenn er das hier nicht hinbekam, würden sie genau dort wieder landen. Gavin bückte sich und hob das weggeworfene Hemd auf. Es gab Arbeit zu tun. Dinge zu reparieren. Er schloss die Tür so leise, er konnte, als er ging.

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Er saß an einer Werkbank im Hangar, als hinter ihm das leichte Patschen von Dells nackten Füßen auf dem kalten Hangardeck zu hören war.

“Hey, Schläger.”

Ihre Stimme klang verspielt und neckte ihn wegen des Streits mit Walt. Der versöhnliche Ton war in gewisser Weise eine gute Nachricht. Es bedeutete, dass sie nicht mehr ganz so wütend war. Trotzdem war ihm der Streit immer noch peinlich und er ging nicht darauf ein.

“Ich dachte du schläfst”, sagte er stattdessen.

Sie strich mit der Hand über seine Schultern, schubste ihn leicht mit der Hüfte, er rutschte zur Seite und sie setzte sich neben ihn auf die Bank.

 “Ich habe geschlafen, aber es hörte sich an, als ob eine Herde Schoone durch die Gegend getrampelt wäre.”

 Er fühlte sich besser, als er das Lächeln in ihrer Stimme hörte.

“Woran arbeitest du?”, fragte sie ihn.

Gavin begann in Gedanken, seine Liste durchzugehen, und fragte sich, wo er anfangen sollte. Dann antwortete er einfach: “An allem.”

“Wurden wir bezahlt?”

Er nickte und ihr Ausdruck von Erleichterung war ernüchternd. Von Dells Ex-Freund finanziell abhängig zu sein, war nicht gerade das, was er sich für seine Rolle als Geschäftsinhaber vorgestellt hatte.

“Wie geht’s Boomer?”, fragte Gav.

“Er kann so nicht weitermachen. Sie haben ihn wieder zusammengeflickt, aber er hatte einfach schon zu viel eingesteckt.

Es stimmte. Dells Vater war öfter wieder zusammengeflickt worden als jeder andere Pilot, den Gavin je getroffen hatte. Vielleicht gab es ein paar Militärpiloten, die mehr Regenerationsbehandlungen erhalten hatten, aber deren medizinische Möglichkeiten waren viel besser, als jene wozu Zivilisten wie Boomer Zugang hatten.

“Du musst ihn dazu bringen, sich zu schonen, Gav. Lass ihn mehr als Unterstützung in der Freelancer fliegen oder so.”

“Ihn als Unterstützung fliegen lassen? Wir reden hier von deinem Vater. Er ist mindestens halb so stur wie du. Und du weißt, wie er fliegt.”

“…willst du es wenigstens versuchen?”

Gavin stimmte zu. Es machte keinen Sinn mit Dell darüber zu streiten. Das Thema hatten sie schon oft besprochen. Schon sehr oft. Er hantierte am Kabelkanal seines Helms herum.

“Ist das Headset wieder kaputt?”, fragte sie. Er nickte.

“Komm, lass mich das machen.”

Sie zog das passende Werkzeug zu sich heran und machte sich an die Arbeit.

“Also … Walt ist geblieben, um seinen Gehaltsscheck mit Barry zu versaufen?”

“Walt arbeitete genauso hart wie jeder andere in Oberon. Eigentlich härter als die meisten. Er kann mit seinem Anteil machen, was er will.”

“Während wir unseren ganzen Anteil in Reparaturen und Vorräte stecken?”

“Ich habe dir etwas Reiswein mitgebracht”, lenkte er ab.

“Das habe ich gesehen.”

Sie kuschelte sich an seine Seite und schob ihren Arm um seine Taille.

“Mmmmm … danke.”

Sie gab ihm ein Kuss auf die Wange. “Ich habe ihn schon in den Kühlschrank gestellt.”

Sie löste sich von ihm und machte sich wieder an die Arbeit an seinem Helm.

“Vielleicht ist es besser, wenn wir uns das für eine Nacht aufheben, wenn ich nicht so müde bin.”

Das machte die Stimmung kaputt.

Gavin schob die Werkzeuge auf der Werkbank hin und her. Dell muss seinen Stimmungswandel gespürt haben. Sie setzte sich aufrecht hin, ihr Ton wurde ernster.

“Ich habe etwas nachgerechnet”, sagte sie.

“Wie schlimm ist es?”, fragte er.

“Gar nicht gut,” antwortete Dell.

Gavin hoffte, dass seine Miene sie versöhnlich stimmte. Wahrscheinlich aber nicht.

“Der Gewinn der Bergungsgüter wird uns für ein paar Monate aus den roten Zahlen bringen”, sagte sie. “Übrigens, gute Arbeit. Ich weiß nicht, wie es mit der Idris aussieht, aber die 325a ist eigentlich ganz gut zu verkaufen. Es sei denn, du willst sie behalten.”

Gavin dachte kurz darüber nach.

“Verkauf sie “, sagte er schließlich.

 “Wir können es uns nicht leisten, auch nur einen unserer Leute neu auszurüsten und ich stelle keine weiteren Piloten ein, bis wir einen festen Auftrag an Land ziehen.”

“Apropos, hat Barry etwas Neues für uns oder ist er nur ins Goss-System gekommen, um mit deinem Bruder zu zechen?”

Gav erzählte ihr von dem Geschützturm-Auftrag und sie strahlte.

“Das ist gut, Gav. Meinst du daraus könnte sich eine ständige Auftrags-Arbeit entwickeln?”

“Vielleicht, aber wir haben ein Team von Kampfpiloten, Babe. Die werden nicht für diese Art von Arbeit hierbleiben.”

“Dann vergiß sie. Lass sie gehen und ich fliege mit dir.”

“Du fliegst schlechter als dein Vater. Außerdem wolltest du doch hier sein, um den Laden zu führen.”

“Ich bin hier, weil ich will, dass es funktioniert.”

Sie legte ihr Werkzeug weg und verschränkte ihre Finger mit seinen.

“Glaube mir, ich würde viel lieber mit dir und Dad fliegen.”

“Schon klar”, gab Gav zu, “ich will aber nicht, dass du da draußen bist. Boomer wieder ins Geschehen zurück zu bringen ist eine Sache, aber du …”

Sie zog ihre Finger aus den seinen, tätschelte seine Hand und zog sich zurück.

“Das ist eine Möglichkeit, an die du dich gewöhnen musst. Dad wird die alte Avenger nicht ewig fliegen. Irgendwann wird sie mir gehören. Aber jetzt”, sie beugte sich vor und gab ihm einen kurzen Kuss, “gehe ich ins Bett.”

Dell stand auf, drückte das Drahtgehäuse des Helms mit einem Klicken an seinen Platz und ging. Gavin hob den Helm auf und spähte hinein. Das Glühen der Fadenkreuzanzeige leuchtete. Dell hatte es wieder zum Laufen gebracht. Es war eine gute Sache, die er und Dell am Laufen hatten. Aber die chronisch nagenden Finanzprobleme könnten das eventuell eines Tages ruinieren.

Er brauchte einfach gut bezahlte Arbeit, hinter der auch seine Piloten standen. Arbeit, die Walt davon abhielt, Glänzendem, Interessantem und Neuem hinterher zu jagen. Was er brauchte, war dieser Tyrol-Escort-Job. Gavin schob den Helm und das Werkzeug auf der Werkbank beiseite. Er startete die Konsole und rief Barrys über sein MobiGlas an. Barry nahm den Anruf entgegen.

“Barry. Oh gut, du bist noch im System?”, sagte Gavin.

“Ich bin gerade dabei, Cassel zu verlassen, warum?”

“Wie müsste ein Angebot aussehen, damit jemand für den Auftrag in Tyrol in Frage kommt?”, fragte Gav.

“Gavin”, Barrys Stimme wurde ernst, “du bist neu in dieser Branche, aber du musst wissen, dass ich diese Art von Informationen nicht herausgeben kann.”

Gavins MobiGlas vibrierte an seinem Handgelenk mit einer eingehenden Nachricht.

“Es tut mir leid, Barry. Ich wollte keinen Stress machen…”

Barry unterbrach ihn.

“Was ich tun kann, ist dich auf die richtigen Registrierungs- und Anmeldeformulare hinzuweisen. Wie du die Preisgestaltung handhabst, ist deine Sache. Verstehst Du?”

Auf Gavins MobiGlas war doch eben eine Nachricht von einem unbekannten Kontakt eingegangen. Die Nachricht war einfach und enthielt nur ein Credits-Zeichen und eine Zahl. Eine sehr große Zahl!

“Danke, Barry. Ich weiß es zu schätzen und ich verstehe vollkommen.”

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Kapitel 05

Walt schaltete den ersten Turm am Eingang zur Höhle innerhalb von Sekunden nach seiner Ankunft mit einem gezielten und präzisen Schuß aus. Den zweiten Geschützturm pulverisierte Jazz’ Cutlass. Dafür musste sie aber auch kräfig einstecken, kehrte schließlich nach Hause zurück und fehlte für den weiteren Einsatz.  Als dem restlichen Team am vierten Tag sowohl die Geduld, die Munition und die Flüche ausgingen, fanden sie endlich eine Lösung. Nicht schön – und sehr gefährlich. Aber als sie immer tiefer in den Mond vordrangen, erwies es sich als die einzige Lösung, die funktionierte.

“Boomer”, sagte Gavin, “halte dich hinter dem Felsvorsprung.”

Boomers Avenger stoppte neben ihm. Tief im Innern der Höhle war die Rotation des Mondes gerade noch stark genug, um ihnen das gewisse Gefühl für Oben und unten zu geben. Trotzdem war es nicht einfach, eine stabile Position zu halten. Die Manövriertriebwerke korrigierten kontinuierlich in kurzen, unregelmäßigen Stößen. Gavin überprüfte seine Orientierung und den Abstand zu den Wänden.

Das Deckungs-Manöver, das sie sich ausgedacht hatten, hatte bisher ziemlich gut funktioniert. Während ein Schiff das Feuer des Geschützturms auf sich zog, wurde dieser von einem zweiten außer Gefecht gesetzt. Es war eine schweißtreibende und halsbrecherische Aufgabe, aber schließlich war der Mond fast vollständig gesäubert. Bald war nur noch eine Handvoll Abwehrsysteme intakt.

“Okay.”

Gavin positionierte seine Hände auf der Steuerung.

“Auf mein Zeichen.”

Er ließ sein Mikro offen und löste einen Timer aus. Dann beobachtete er, wie sich Boomers Schiff langsam in die Schusslinie des Geschützturms schob. Genau im richtigen Moment zündete Gavin seine Triebwerke und stürzte in die Höhle, gerade als die erste Explosion des Geschützturms Boomers Schilde traf. Gavin zog sein Schiff nach steuerbord und neigte die Nase bis er sowohl den Geschützturm als auch Boomers Schiff sehen konnte. Die Avenger des alten Mannes wand sich unter dem Dauerfeuer. Seine Schilde hielten, aber die Druckwelle schob die Avenger zurück noch bevor Gavin einen Schuss abgeben konnte. Gavin feuerte während die Zwillingsläufe des Geschützturms blitzschnell herumschwenkten.

“Verdammt”, schrie Gav.

Die Läufe explodierten förmlich in einer Salve aus purpurnem Licht. Gavin feuerte erneut und hatte keine Ahnung, ob er auch nur annähernd das Ziel traf. Dann sah er es: Der Geschützturm war unversehrt. Er spürte eine beklemmende Spannung als die Kabine schnell den Druck verlor und sich sein Anzug um Gliedmaßen und Brust zusammenzog.

Eine erneute Salve hämmerte auf ihn ein und er spürte wie seine Cutlass mit dem Heck rücklings gegen eine Höhlenwand krachte. Das Schiff schlingerte. Gavin raste durch den schwarzen leeren Raum und hoffte, dass er in der Schmugglerhöhle nicht in den Tod flog. Im nächsten Moment sah er Boomers Avenger unter ihm vorbeifetzen. Entsetzt stellte er fest, dass ihm die Wände des engen Stollens die gesamte Sicht raubten. Er umklammerte seine Steuerung. Plötzlich schlug er hart auf und die Kollision schleuderte ihn noch tiefer hinab in die Höhle. Er überschlug sich wieder und wieder und betete, dass sein Schiff dem Sturz standhielt. Als er sich schließlich dazu zwang, die Flugsteuerung loszulassen, richtete sich das Schiff von selbst auf.

“Heilige Scheiße”, sagte Boomer. “Gav? Lebst du noch, Kumpel?”

Seine Brust pochte, als ob er gerannt wäre.

“Ich glaube mich zu erinnern, dass irgendein Idiot gelästert hat, dass dieser Job langweilig ist.”

Walt, der an einem anderen Teil des Mondes einen Stollen erkundete, grummelte: “Das klingt, als wäre ich gemeint. Geht es euch beiden gut?”

“Nein, ich bin nicht okay. Ich wurde gerade in die Luft gejagt!”

“Beruhige dich, Sohn”, sagte Boomer. “Ich bin schon oft in die Luft gejagt worden. Das war noch gar nichts. Aber ich… äh … ich glaube allerdings nicht, dass du noch einmal auf einen Geschützturm schießen solltest, bevor wir dein Schiff repariert haben.”

“Oh, wirklich? Meinst du?” Gavins Kommunikator blinkte auf – ein eingehender Anruf. “Bleibt dran, Leute. Ein Anruf kommt rein.”

Boomer lachte: “Man hat uns wahrscheinlich auf der Oberfläche gehört und möchte, dass wir leiser sind.”

“Sehr witzig. Es ist Dell. Und jetzt haltet die Klappe.”

Gavin nahm den Anruf entgegen.

“Gav?”

Er konnte nicht sagen, ob Dell verängstigt oder wütend klang, vielleicht beides.

“Wir haben ein Problem, Babe. Jazza ist abgehauen. Sie sagt, sie nimmt ein Schiff, es sei denn, sie bekommt ihren Anteil an dem Geschützturm-Job bevor sie geht.”

“Was? Was meinst du mit abgehauen?”

“Sie verlässt uns”, sagte Dell, “…verlässt die Firma, meine ich.”

Walt meldete sich auf dem Gruppenkanal.

“Hey Gav, ich bin hier drin fertig. Soll ich mir das mal ansehen?”

Gavin jonglierte mit den Kanälen, dann ließ er sie einfach offen.

“Warte mal, Walt.”

Er kniff die Augen zusammen, sauer, frustriert und irritiert.

“Dell. Wo geht Jazz hin? Du meinst, sie kündigt?”

“Sag ihr, du bist gerade in die Luft geflogen.”

“Das würde ihren Tag erheblich versüßen”, erwiderte Boomer.

Sie lachten beide.

Gavin rollte mit den Augen, hob die Hände in die Luft und zuckte mit den Achseln.

“Würdet ihr bitte die Klappe halten?”

Sie folgten dem Befehl.

“Was hast du gerade zu mir gesagt?!”

“Nicht du, Babe. Walt und …… ach, vergiss es. Sag mir einfach noch mal, was mit Jazz los ist.”

Sein MobiGlas vibrierte. Gavin seufzte leise und ballte die Fäuste. In seinem Raumanzug war es schwierig, das MobiGlas zu aktivieren. Es gelang ihm dennoch, während Dell ihn weiter über Jazzas Fahnenflucht aufklärte. Sie wollte sich Arbeit bei einer der Schmugglerbanden suchen, die im Olympus-Pool zu finden waren. Bezahlte Arbeit. Blah. Blah. 

Gavin schaltete schließlich sein MobiGlas-Display ein. Es war eine Nachricht von einem unbekannten Kontakt, aber Gavin wusste genau, von wem sie war.

“Dell,” sagte Gav.

“Ich habe versucht, es ihr auszureden, Gav”, Dell schien den Tränen nahe. “Das habe ich wirklich.”

“Dell, hör mir zu,” beruhigte er sie.

“Was?” entgegnete Dell verzweifelt.

“Hol Jazza zurück. Tu alles, was nötig ist.”

“Ich werde es versuchen, Gav, aber…”

“Was auch immer nötig ist, okay? Wir brauchen sie. Wir werden jeden brauchen und einiges mehr.”

“Was ist los, Gavin?”

Er schaltete sein Mikroein und sendete auf beiden Kanälen: “Alle mal herhören. Sie haben nur zwei Angebote für den Navy-Vertrag vorliegen. Wir sind das niedrigste Angebot.”

“Ist niedrig schlecht?” fragte Boomer.

“Dell”, sagte Gavin, “Jazza soll zu uns nach Oberon kommen. Wir arbeiten rund um die Uhr, bis wir die letzten Geschütztürme beseitigt haben.”

Gavin saß mit einem breiten Grinsen in seiner beschädigten Cutlass.

“Leute”, sagte er, “wir haben soeben den Navy-Job erhalten!”

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Kapitel 06

“Gehen Sie hinein, Miss Brock.”

Ein Leutnant hielt ihr die Tür auf.

“Major Greely und sein Gast sind bereits da.”

Morgan Brock glättete ihren Rock und rauschte in Greelys Konferenzraum. Der Major und sein “Gast” standen am Kopfende des Tisches. Greely sah in seinen Hemdsärmeln mehr nach Marine als nach Navy aus. Der Mann hatte Arme, so muskulös, wie die Beine der meisten Männer.

“Mrs. Brock, schön, dass Sie persönlich gekommen sind. Darf ich Ihnen Gavin Rhedd vorstellen, einen der Miteigentümer von Rhedd Alert Security.”

Rhedd war jünger, als sie vermutet hatte, ein gutaussehender Mann von stattlicher Statur. Er hatte die merkwürdige Entscheidung getroffen, zu diesem Treffen einen verwitterten, zivilen Fliegeranzug zu tragen. Es schien, als müsse er alle davon überzeugen, dass er tatsächlich Pilot war. Trotzdem stand ihm der Anzug gut. Rhedd machte einen unbehaglichen, aber durchaus selbstbewussten Eindruck, während er neben Major Greely stand.

“Erfreut, Sie kennenzulernen, Miss Brock.”

Sie ignorierte seine ausgestreckte Hand und beendete diese Farce.

“Sie sind also das Schätzchen, das meinen Vertrag unterboten hat.”

Sie machte ihm unmissverständlich klar, dass es sich hier eindeutig um keine Frage handelte.

“Lassen Sie mich klar festhalten, dass die Vertragsklausel vorsieht, dass ich an einem solchen Gespräch teilnehmen muss und lassen Sie uns nicht so tun, als ob ich darüber erfreut wäre.”

“Also gut”, sagte Greely. “Ich nehme an, das genügt für die Vorstellungsrunde. Lassen Sie uns anfangen, ja?”

Er nahm am Kopfende des Tisches Platz und gab jedem der Anwesenden ein Zeichen sich zu setzen.

“Nun, die Vergabe- und Einspruchsfrist ist vorbei.”

“Es wird trotzdem einen Einspruch meinerseits geben “, sagte sie.

“Das bezweifle ich nicht, Morgan. Aber mein Büro und das Navy SysCom haben allen Grund zu der Annahme, dass der Zuschlag aufrechterhalten bleibt.”

“Ich habe zwei Jahre investiert, den Weg nach Min und Nexus aufzuräumen, um eine sichere Passage zu gewährleisten”, schnaubte sie. “Und wir beide wissen, dass die Arbeitsbelastung dramatisch zunehmen wird. Ich werde das nicht kampflos aufgeben…”

Sie hielt inne, als Greely die Hand hob.

“…die UEE will, dass wir Wege finden, die Unabhängigen in diesen Systemen zu unterstützen. Wenn Sie darüber streiten wollen, dann tun Sie das mit den Politikern. Aber im Moment brauche ich ein Missionsbriefing, und ich denke, wir alle würden es begrüßen, wenn dieses Treffen hier schnell voranschreitet.“

Brock überließ dem Major den Vortritt. Es hatte keinen Sinn, sich mit Greely anzulegen. Es gab bessere Ziele für ihren Zorn. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit Gavin Rhedd zu.

“Ja, nun…”

Der junge Mann räusperte sich. Seine Stirn glänzte wo sie auf sein kurzgeschorenes Haar traf.

“Ich habe mir die…ähm…die Einsatzberichte durchgelesen.”

Rhedd wischte durch mehrere Anzeigen auf seinem uralten MobiGlas.

“Alle zehn Tage eskortieren wir eine neue Wechselschicht zur Haven Forschungseinrichtung auf Tyrol V. Was können Sie mir also über die Sicherheitsanforderungen für den Personaltransfer zwischen den Transportschiffen und Haven sagen?”

Brock musterte ihn. Der Typ konnte seinen Hintern nicht von einem Loch im Boden unterscheiden, so viel war klar. Vielleicht war ihr Tyrol-Vertrag doch nicht so ein hoffnungsloser Fall, wie Major Greely ihn darstellte. Brocks Lächeln war aufrichtig, als sie begann, den Transferprozess vom Schiff zur Siedlung zu beschreiben. Dieser Job würde die Rhedd Alert Security bei lebendigem Leib auffressen.

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Kapitel 07

Das Min-System war extrem dunkel. In Goss füllten sich die Sprungpunkte mit schimmernden Farbkaskaden. Die Bänder des Olympus-Pools tauchten sie in Gold, Bernstein und Blutorange, ein schillerndes Schauspiel himmlischer Schönheit. Min hingegen war ganz anders und Gavin fragte sich, wie viele Schiffe und Leben Mins Sprungtore schon gefordert hatten, bevor das System erfolgreich kartografiert wurde.

Der Anflug war jetzt gut markiert. Navigationsbaken beleuchteten einen zehn Kilometer langen Eintrits-Kanal, der sechs Rhedd-Alert-Eskorten, deren Ladung, wie auch eine Constellation Aquila mit UEE-Kennzeichnung zum Sprungtor führte. Die automatischen Baken sendeten einen ständigen Strom von Navsat- und Transportstatusinformationen und beleuchteten zusätzlich den visuellen Zugang. Das Tor selbst war riesig. Es war eine leere unsichtbare Scheibe, wenn nicht das schwache Licht der Baken gewesen wäre. Dieses Licht krümmte und verformte sich zu einem Schlund des Raumes, der zwischen beiden Sprungpunkten lag. Wenn man dieses Tor richtig betrat, beförderte es einen in das Nexus-System.

Über einen unbekannten Sprungpunkt zu stolpern, musste eine furchtbare Erfahrung sein. Gavin hatte Bilder von dunklen Toren gesehen, wenn die Baken offline waren. Selbst wenn er wusste, wonach er auf diesen Bildern suchen musste, war es schwierig den dezenten hellen Fleck zu erkennen, der ein Portal durch Zeit und Raum darstellte.

“Gate Authority Min, hier ist Rhedd Alert Security, in Übereinstimmung mit den Vorschriften des Naval Systems Command zur Unterstützung des UEE-Forschungsschiffs Cassiopeia.”

Gavin ratterte sein Sprüchlein herunter.

„Erbitte Freigabe für Transit von Min zu Nexus und Bestätigung des Landeanflugs.”

Sie brauchten die Anfrage und die Bestätigung nicht, um den Sprung zum Nexus durchzuführen, aber ihr Vertrag verlangte die Aufzeichnung bestimmter Kommunikationen an allen Sprungtoren. Nur die Götter wussten, wie oft er und Walt zuvor bereits unangemeldet in die Systeme gesprungen waren. Wenn man darüber nachdenkt, hätte es sich wahrscheinlich seltsam anfühlen müssen, ein Sprungtor mit legalen Markierungen zu betreten, ohne dass ihnen das Gesetz im Nacken saß. Aber die Zeiten änderten sich und wenn es nach Gavin ging, änderten sie sich zum Besseren.

Er erhielt die erwartete Aufforderung und antwortete mit Schiffs-IDs, die mit den Markierungen für jedes Schiff des Konvois übereinstimmten. Sie erhielten ihre Freigabe und Gavin gab den Befehl das Sprungtor zu durchfliegen. Er übernahm mit Jazza die Führung. Jeder von ihnen flankierte sich an einer Seite der Aquila. Sie glitten in das Tor mit einem vertrauten Gefühl des Fallens. Das Cockpit schien sich zu dehnen, in einem Meer von Geräuschen und Farben, schien es sich von ihm zu entfernen. Es fühlte sich an, als hätte jemand einen Haken in seine Eingeweide gebohrt und zöge daran, sodass sich sein Bauch immer mehr und mehr dehnte. Dann knackte es plötzlich und er befand sich wieder inmitten zunehmend vertrauter Sternkonstellationen des Nexus-Raums.

“Gate Authority Nexus”, sagte er, “hier ist Rhedd Alert”

“Gavin!” Jazzas Stimme war klar und deutlich. Er überprüfte bereits seine Navsat-Anzeigen, als sie fortfuhr: “Drei Schiffe nähern sich uns. Dreihundert Kilometer. Oh…mach zweihundertfünfzig daraus…Du liebe Güte, die bewegen sich aber schnell.”

“Jazz, nimm Mei und Rahul mit um zu sehen was unsere neuen Freunde wollen. Walt, du und Boomer spielen Torwart. Wenn die Typen auf die Cassiopeia losgehen, sollten sie sich das besser zweimal überlegen.”

“Verstanden.”

Gavin wechselte den Kanal, um sich direkt an die UEE-Crew an Bord des Transporters zu wenden.

“Cassiopeia, hier ist Red One. Beschleunigen Sie auf mein Zeichen und weichen Sie nicht vom Kurs ab.”

“Kontakt.“

Jazza klang ruhig, nüchtern. “Es sind drei Hornets in verschiedenen Konfigurationen. Sie sind ziemlich ramponiert, aber sie kommen schnell näher.”

“Haben sie irgendwelche Markierungen oder Kennzeichen?”

“Nichts, was ich durch das Chaos von Waffen und Schrottteilen erkennen kann”, antwortete Jazz.

“Achtung, sie feuern!”, sagte Mei. “Heiliger Strohsack, diese Typen sind aber schnell.”

“Gav”, fragte Walt, “sollen wir abhauen?”

Einem neuen Piraten-Team zu erlauben an einem ihrer wichtigsten Sprungpunkte Fuß zu fassen, schien keine sehr gute Idee zu sein.

“Wir kämpfen”, antwortetee Gav. “Wir können es uns nicht leisten jetzt Angst zu haben und diesen Boden alle zwei Wochen neu erobern zu müssen.”

“Was auch immer du vorhast, mach es schnell”, sagte Jazza. “Hier drüben scheint es als würden diese Typen gerne mit ihrem Leben spielen.”

 “Walt, Stellung halten”, befahl Gavin. Sollten die noch Freunde haben, so will ich nicht in eine Falle gelockt werden.”

“Verstanden.”

“Alles klar, Jazz. Ich bin auf dem Weg zu dir.”

Gavin zog steil hoch, wendete über der Cassiopeia und beschleunigte geradewegs auf den Pulk von fremden Jägern zu. Gavin hatte Dutzende von Kämpfen überlebt und zwar immer als Sieger, bevor er Rhedd Alert gegründet hatte. In der Defensive zu sein, war etwas Neues für ihn. Es war merkwürdig, dass diese verrückten Mistkerle auf sechs bewaffnete Eskorten losgingen.

Jazza war ein paar hundert Kilometer entfernt und hatte einen guten Blick auf das Gedränge.

“Jazz, ich komme jetzt unter dir hoch. Es wird Zeit, das Ganze zu einem unfairen Kampf zu machen.”

“Pass auf! Diese Typen sind gut, Gavin.”

Ihre Cutlass rollte hinter einen der Jäger. Sie feuerte und die Schilde des Gegners flammten auf. Sie rotierte ihr Schiff, um über Jazzas Schiff zu gelangen. Die beiden anderen Jäger schwenkten auf beiden Seiten in Position und alle drei stürzten wie eine einzige Messerklinge auf Gavin. Er rollte sich auf seine Backbordseite und versuchte so um die Jäger herum zu beschleunigen. Wenigstens konnten die Jäger so nicht alle gleichzeitig auf ihn schießen. Rahul flog über ihn hinweg und feuerte auf eine der Hornets, aber die Jäger hielten ihre Formation.

“Jazza, formiere dich mit mir”, sagte Rahul. “Lass uns diese Bastarde aufsplitten.”

“Verstanden.”

Gemeinsam stürzten sie sich auf das Trio der Hornets. Die Jäger erreichten Mei bevor er und Jazza in Schussweite waren.

“Ah, verdammt …”

Ein Sperrfeuer präziser Salven aus den an den Flügeln montierten Laserkanonen riss Meis Schiff in Stücke. Entweichender Sauerstoff brannte in einem lodernden Feuerball.

“Verdammt noch mal!”

Gavin konnte nicht erkennen, ob Mei herausgekommen war. Er und Jazza kämpften sich weiter durch die Formation der Feinde. Die Hornets stoben auseinander und formierten sich hinter ihnen neu.

“Wir haben einen Mann weniger. Walt, wir könnten hier deine Hilfe gebrauchen.”

 “Das hat man davon, wenn man bleibt um zu kämpfen. Gav, wir hätten abhauen sollen”, erwiderte Walt.

“Darüber können wir später reden”, sagte Gavin. “Komm her und … nein, warte. Sichere uns ab.”

“Sie fliehen”, rief Jazza plötzlich verdutzt. “Es fühlte sich an, als hätten sie uns in ihren Klauen, aber jetzt hauen sie einfach  ab.”

Gavin beobachtete die Triebwerksstrahlen der sich zurückziehenden Schiffe. Innerhalb weniger Augenblicke waren sie aus dem Nexus-Raum verschwunden.

“Cassiopeia ist sicher”, sagte Walt.

“Seid ihr alle in Ordnung?”, fragte Gavin.

Jazza antwortete ihm nicht gleich.

“Sag mal! Was glaubst du, was das alles sollte?”

Gavin entdeckte erleichtert Meis Peilsender. Alle waren am Leben und sie schienen allein auf der Nexus-Seite des Tores zu sein. Walt und die Cassiopeia näherten sich dem äußersten Bereich seines Displays.

“Walt, bleib wo du bist. Bleib wachsam und schau nach vorne. Ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, warum die uns zu dritt angegriffen haben.”

“Vielleicht”, sagte Jazza, “wussten sie einfach, dass sie uns in den Hintern treten können.”

“Oder vielleicht war das nur eine Übung”, überlegte Gavin laut.

“Lassen wir uns nicht noch einmal mit heruntergelassenen Hosen erwischen, falls noch mehr von denen hier draußen sind. Jazz, du und Rahul haltet mir den Rücken frei, während ich Mei hole. Wir feuern als erste, falls sie wieder auftauchen.”

Seine Ansage stieß auf allgemeine Zustimmung. Davon abgesehen, dass Walt jeden seiner Schritte hinterfragte, war Gavin stolz auf sein Team.

“Ich frage mich, ob die auf der anderen Seite warten?” fragte Jazza.

Walt antwortete schnell. “Wir werden nicht durch das Tor gehen, um nachzusehen.”

“Entspann dich, Walt”, sagte Gavin. “Ein Sieg ist ein Sieg. Und gut geflogen, ist gut geflogen.”

“Glücklicher Sieg, meinst du? In einem Kampf, den wir nicht zu führen brauchten?”

Gavin ignorierte ihn.

Obwohl sie bewusstlos war, meldeten die biometrischen Daten in Meis Anzug nur geringe Verletzungen. Ihr Schiff hingegen war eine ganz andere Geschichte. Gavin rechnete im Kopf die Kosten für Ersatzteile, Arbeit und medizinische Betreuung durch. Das Ergebnis war entsetzlich.

Diese Attacke würde aus dieser Mission einen finanziellen Verlust machen – andererseits war der Vertrag immer noch der Trumpf, den Rhedd Alert für sein Geschäft verbuchen konnte. Außerdem war der Angriff wahrscheinlich eine Ausnahme gewesen, überlegte Gavin, denn er erinnerte sich daran, dass Brocks Einsatzberichte einen stetigen Rückgang der Feindseligkeiten während der letzten Jahre verzeichneten.

Leider sollten sie bald herausfinden, wie bedeutungslos diese Berichte waren.

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Kapitel 08

Rhedd Alert wurde während der nächsten zwei Begleitmissionen zwischen Min und Nexus noch weitere Male angegriffen. Beim ersten Mal war es ein übereifriger Solo-Pirat, der sich kurz vor dem Sprungtor nach Min versteckt hatte. Die Erinnerung an den Hornet-Angriff war noch frisch und machte Gavin und das Team nervös. Der unglückselige Pirat griff das erste Rhedd-Alert-Schiff in dem Moment an, als es Nexus erreichte. Es gab keinen handelsüblichen Antrieb auf dem Markt, der das Schiff des Piraten hätte schnell genug wenden lassen können, als das Portal sechs wütende Rhedd-Alert-Jäger und ihren Frachter ausspuckte. Sie bargen den bewusstlosen Piraten mit Aussicht auf ein Kopfgeld. Von seinem Schiff war nicht mehr viel übrig, was man hätte bergen können. Der nächste Zwischenfall ereignete sich innerhalb des Tyrol-Systems in der Nähe des Treffpunktes in Haven. Als sie sich Tyrol V näherten, griff sie das Hornet-Dreier-Gespann wieder an.

Walt war der Erste, der sie kommen sah.

“Gav, wir haben Feindkontakt aus Richtung hinter dem Planeten.”

Gavins Team blinkte als grüne Symbole auf seinem HUD. Geschützt innerhalb ihrer Perimeter befand sich die UEE Cassiopeia mit einer neuen Forschergruppe an Bord. Gav zoomte seine Anzeige heraus und sah das Trio roter Punkte, die den Planeten umkreisend, genau auf ihre Position zurasten.

“Ist das …das soll wohl ein Scherz sein….wie zum Teufel haben die uns gefunden? “

Gavin brachte sein Team schroff zum Schweigen und überlegte, ob er nach Tyrol V fliehen sollte. Haven war eine ansehnlich große Stadt für ein ansonsten unterentwickeltes System. Tyrol V verfügte über keinerlei planetare Verteidigung. Das gesamte System war der unvermeidlichen und unmittelbar bevorstehenden Nova ausgeliefert, die sich auf seinen Zwillingssternen anbahnte. Haven garantierte sowohl der UEE, als auch privaten Investoren, Unterstützung einzigartiger Forschungsmöglichkeiten zur  bevorstehenden Katastrophe. Da jedoch das gesamte System auf seinen Untergang wartete, machte es nicht viel Sinn, Geld in Verteidigungssysteme zu stecken.

Gavin begann, Optionen von der Liste zu streichen. Tyrol bot ihnen keinen Schutz. Wenn sie aus dem System flohen, konnten sie sich mit den Hornets eine brenzliche Verfolgungsjagd liefern, aber das Risiko für die Cassiopeia und seine Besatzung war zu hoch. Außerdem  war ihre erste direkte Konfrontation nicht so gut verlaufen. Nachdem er gesehen hatte, wie das Team der Piraten im Nexus arbeitete, zögerte Gavin, es noch einmal mit ihnen aufzunehmen. Außerdem konnte er sich gut vorstellen, wie Walt reagieren würde, wenn er die Piraten absichtlich frontal angreifen würde. Vielleicht würde etwas mehr Diplomatie bessere Ergebnisse bringen als Kampf oder Flucht.

Gavin schaltete seinen Kommunikator ein und sendete auf allen lokalen Frequenzen.

“Hier ist Rhedd- Alert-One mit einem Team von Jägern und einem UEE-Transportschiff. An die Hornet-Jäger über Tyrol V. Wir transportieren kaum wertvolle Güter, aber Menschenleben. Bitte überdenken Sie Ihren Plan.”

Walt gab etwas von sich, das wie ein anerkennendes Schniefen klang,

“Glaubst du, das wird funktionieren?”

“Kann nicht schaden, es zu versuchen.”

Die Minuten vergingen, ohne dass sich der Kurs der Piraten änderte.

“Vielleicht kann etwas noch Unheilvolleres ihre Aufmerksamkeit erregen.”

Gavin aktivierte erneut den offenen Funk.

“An die Hornet Piraten über Tyrol V, hier spricht Rhedd-Alert-One. Wir bestehen aus einem Team von Jägern und einem UEE-Transportschiff. Der Wert unserer Ladung ist nicht nennenswert, aber unsere Munition. Die schicken wir sehr gern direkt an Ihre Schiffe, wenn Sie Ihr Vorhaben nicht überdenken.”

 “Also das wird definitiv nicht funktionieren”, sagte Walt nüchtern.

Gavin sah, wie er seine Waffensysteme aktivierte. Gavin überließ Boomer und Mei die Bewachung von Cassiopeia. Dann lieferten sich Rhedd-Alert einen  Vier-gegen-Drei-Kampf, bei dem keine der beiden Seiten Nachlässigkeiten erkennen ließ. Diesmal kämpften Walt und Jazza an vorderster Front. Der folgende Nahkampf war weit weniger einseitig als die erste Begegnung mit den Hornets. Rhedd-Alert machten eine gute Figur. Trotz des heruntergekommenen Aussehens waren aber auch die Schiffe der Piraten überraschend schnell und ihre Waffensysteme in gutem Zustand. Trotz der Heftigkeit des Kampfes hielt Rhedd-Alert die Plünderer von Cassiopeia fern. Walt schien damit zufrieden, sie zu vertreiben. Jazza nahm die Verfolgung auf.

“Lass sie gehen, Jazz”, sagte Walt.

“Von wegen”, erwiderte sie wütend, „eine Hornet hole ich mir noch.“

“Nein, das wirst du nicht”, befahl Walt. “Die umkreisen uns so lange, bis sie dich in feinen roten Staub verwandeln und wir können dann die Reste auffegen.”

“Leute”, ging Gavin dazwischen, “beruhigt euch. Wir treffen uns beim Transporter.”

Jazza brach die Verfolgung ab und traf sich mit Boomer in der Nähe der Cassiopeia.

“Ich mag es einfach nicht, wenn er mir Befehle gibt”, motzte Jazz.

“Hmmm.”

Walts Stimmung war eindeutig angespannt,

“Mal sehen. Ich bin Miteigentümer der Firma. Du solltest vielleicht anfangen, meine Worte verbindlichen Anweisungen gleichzusetzen.”

“Hört auf damit.“, ging Gavin dazwischen. „Die Navy bezahlt uns, um Personal zu eskortieren, nicht für einen Machtkampf in den eigenen Reihen.”

“Das hättest du schon in Nexus wissen müssen”, giftete Walt.

“Du hast einen Kleinkrieg daraus gemacht, als wir uns entschlossen haben zu kämpfen.”

“Genug jetzt! Wenn einer von euch noch was zu sagen hat, kann das warten, bis wir wieder in Vista Landing sind. Verstanden?”

Rahul war an den Beinen getroffen worden und musste die Sanitäter auf Haven aufsuchen bevor sie das System verlassen konnten. Der Job und die Verletzten hatten für Gavin oberste Priorität, aber auch über Walts sich permanent verschlechternde Einstellung musste dringend gesprochen werden. Bevor sie mit Rhedd-Alert begannen, waren sie eher Gelegenheitskämpfer. Bei diesem Auftrag ging es darum die Stellung zu halten, bei der Sache zu bleiben – und Walts Unwillen wurde langsam zu einem echten Problem.

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Kapitel 09

Gavin war der erste, der wieder in Vista Landing ankam. Rahul war bei ihm und erwachte soeben als sie landeten. Obwohl die Mediziner in Haven ihre Arbeit gut gemacht hatten, bestand Dell darauf ihn zur Untersuchung in das medizinische Zentrum der Station zu bringen. Der Rest der Truppe traf kurz darauf ein. Gavin überließ es Jazza die Schiffe zu sichern und bat Walt, ihm im Büro mit dem Einsatzbericht zu helfen. Nach der angespannten Stimmung zu urteilen, glaubte niemand der Crew wirklich daran, dass die Brüder den Bericht besprechen würden.

Walt betrat ihr kleines gemeinsames Büro. Er zwängte sich an ein paar günstig erstandenen Stühlen vorbei und stand am Fenster hinter dem verkratzten Metallschreibtisch, als Gavin die Tür hinter sich schloss. Walt sprach ohne sich umzudrehen: “Wenn du vor hast mir eine Moralpredigt zu halten, schlage ich vor, sie an Jazza zu richten.”

Gavin trat zu ihm ans Fenster. Der Stahlrahmen war kalt, als er seine Hände aufstützte.

“Keine Moralpredigt! Was ich brauche sind ein paar Antworten. Was zum Teufel ist los mit dir, Mann?”

Walt war kühl und gelassen.

“Du kämpfst gegen mich.”

Gavin versuchte, den monatelangen Frust aus seiner Stimme zu halten. Er war zermürbt und müde, aber das konnte man nicht alles Walt in die Schuhe schieben.

“Du streitest mit jedem aus der Crew. Zum Teufel, du kämpfst gegen jeden, außer gegen die Bastarde, die unseren Transporter angreifen.”

“Ich habe genauso hart gekämpft wie jeder andere da draußen”, schnauzte Walt zurück.

“Einen Dreck hast du!“

Gavins Stimme donnerte laut und hart gegen die Scheibe.

“Du kämpfst gerade hart genug, um deinen Arsch zu retten.”

“Dann sag mir doch, wie zum Teufel soll ich denn kämpfen?  Soll ich Trophäen hinterherjagen wie Jazz?”

“Wenn es das ist, um den Job gut zu erledigen – dann JA. Wir sind keine Räuber mehr, Mann. Wir sind jetzt die Bullen. Wir sind die Abschreckung. Und wenn wir da draußen sind, müssen wir ein Zeichen setzen.”

Walt blinzelte, seine Lachfalten in den Augenwinkeln zogen sich zusammen, als er den Kopf schüttelte und es sah nach Erstaunen und Missmut aus.

“Hörst du dir eigentlich selbst zu?”

“Jedes Mal, wenn wir da draußen auf Schwierigkeiten stoßen, müssen wir uns aufeinander verlassen können. Aber ich kann dich nicht dazu zwingen, das zu tun. Du magst es nicht, wenn man dich bedrängt.”

Gavin spürte, wie sich sein Bruder neben ihm verkrampfte, aber er hörte nicht auf. Er musste wissen, ob Walt es wirklich ernst meinte.

“…du mochtest es noch nie in die Enge getrieben zu werden. In dieser Hinsicht bist du wie Dad. Du ziehst dich lieber zurück, als eine harte Auseinandersetzungen zu führen.”

Walt riss den Kopf herum und schrie: “Wir hatten ein verdammt gutes Leben, als wir das taten. “

Die Schärfe mit der er das sagte, überraschte Gavin und er wich kurz zurück, um sich nach einem kurzen Moment wieder gegen die Fensterbank zu lehnen. Die beiden Rhedd-Brüder standen Schulter an Schulter am Bürofenster und blickten auf ihre kleine Flotte. Sie schauten dem Treiben für mehrere Minuten zu, bis das letzte Besatzungsmitglied den Hangar verlassen hatte.

Die Beleuchtung in der Halle verfärbte sich in ein kühles Kobaltblau und Gavins Arme fühlten sich bleiern an. Seine Füße taten weh, er wollte sich nur noch hinsetzen, seine Stiefel ausziehen und sich besaufen. Aber er wollte verdammt sein, wenn er sich setzen würde, solange Walt noch stand.

“Wir könnten aufhören.”

Die Art und Weise, wie Walt das sagte, klang fast wie eine Frage.

“Das kannst du unmöglich ernst meinen”, sagte Gavin während er sich wieder vom Fenster abstieß.

“Im Ernst.”

Walt drehte sich endlich zu ihm um, beugte sich nach vorne, sodass sie auf Augenhöhe waren und Walts Augen waren groß und bittend.

“Wir könnten einfach aufhören.  Selbst wenn wir bei diesem UEE-Job Gewinn machen, was kommt als Nächstes? Mehr Arbeit finden? Mehr Piloten und Techniker anheuern?”

“Wenn alles gut geht..auf jeden Fall. Wir schaffen etwas, das wir nie hatten, als wir aufwuchsen. Etwas, das größer ist als wir selbst. Was genau denkst du, worauf wir hier hinarbeiten?”

“Ich weiß es nicht, Mann.”

Walt klang sehr müde.

“Ich dachte, ich wusste es, als wir anfingen. Aber es war nur eine Aufgabe nach der anderen. Wir haben zu viele Münder zu stopfen und es sieht nicht so aus, als würde das je aufhören.”

“Das wird es nicht”, sagte Gavin. “Das ist die Verantwortung, die wir übernommen haben, als wir diesen Betrieb gegründet haben.”

“Aber das ist nicht unsere Art von Einsatz, Gav. Wir sind keine Agenten der Regierung.“

“Laut der Firmensatzung und gemäß Vertrag, den wir beide unterschrieben haben, sind wir genau das. Soldaten zum Anheuern – Söldner.”

“Komm schon. Wir sind Schläger, Mann. Wir fliegen schon unser ganzes Leben lang, aber wir kämpfen keine fairen Kämpfe. Wir schnappen uns diejenigen, die entweder zu dumm oder zu geizig sind, sich professionellen Schutz zu engagieren. Vielleicht ist das nicht nobel oder aufregend, aber das ist es, was wir getan haben und wir haben es immer gut gemacht. Aber das hier?”

Walt wandte sich wieder der dunklen Halle zu und winkte mit der Hand hinunter.

Gavin wurde schlagartig klar, was Walt die ganze Zeit über beschäftigt hatte. Sein Bruder machte sich keine Sorgen, dass jemand in einem fairen Kampf verletzt werden könnte, denn sie waren kampferprobt, schon fast ihr ganzes Leben lang. Es war die ganze Verantwortung, die ihm Angst machte. Besonders gegenüber dem Team.

“Ich weiß, dass wir das schaffen können”, sagte Gav.

“Wie viel Risiko bist du bereit einzugehen, um das zu beweisen?”, konterte Walt.

“Hier geht es nicht darum, es sich leicht zu machen, Walt. In diesem Geschäft geht es nur um Vertrauen. Also frag dich selbst, vertraust du mir?”

Er hasste es, diesen beschwörenden Klang in seiner Stimme zu haben. Konnte Walt nicht sehen, dass sie bereits erfolgreich waren? Gavin bekam keine Antwort. Sein Bruder starrte stattdessen auf die Schiffe in der dunklen Anlage.

“Wir brauchen jeden Piloten, den wir haben”, sagte Gavin. “Und – seien wir mal ehrlich, du bist unser Bester.”

“Das wird dir um die Ohren fliegen, Gav. Das wird genau wie damals, als du versucht hast, die Osoianer zu den Xi’an zu schmuggeln.”

“Es hätte geklappt, wenn du mir den Rücken gedeckt hättest.”

“Sie haben dich auf einem Asteroiden abgeladen…”

 Walts Stimme wurde lauter und lauter.

“Du hast Dads Gladius bei diesem Deal verloren. Was wird dich dieser Job hier kosten?”

Gavins Magen verkrampfte sich. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass Walt seine Entscheidung bereits getroffen hatte. Er schluckte, bevor er weitersprach.

“…das war’s also, hm? Wir fangen gerade erst an, etwas auf die Beine zu stellen. Wir lernen als ein echtes Team zusammenzuarbeiten.”

Gav hatte gewusst, dass es so kommen würde. Also war es im Grunde keine große Überraschung und es gab eigetlich keinen Grund sich darüber zu ärgern – und doch…

“In Gottes Namen! Und ich dachte…ich habe so gehofft, du würdest es gemeinsam mit mir durchhalten.”

“Wie du dich anhörst…”, sagte Walt.

“Wie denn? “, entgegnete Gavin scharf. “Du tust nur das, was du immer tust.”

Walt schwieg eine Weile lang. Gavin starrte hinaus auf ihre Schiffe.

“Wirst du es den anderen sagen?”, fragte Walt.

“Ihnen was sagen? Jeder der zählt ist wahrscheinlich sowieso überrascht, dass du so lange durchgehalten hast,” schimpfte er.

Seine Lippen wurden schmal. Seine Augen brannten. Er war müde und brauchte eine Dusche. Gavin ließ Walt allein am Bürofenster stehen. Als die Leute vom Rhedd-Alert-Team am nächsten Morgen erwachten, war Walter Rhedd bereits verschwunden. 

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Kapitel 10

Die ersten paar Monate ohne Walt verliefen reibungslos und ohne Zwischenfälle. Die Gehaltsschecks begannen einzutrudeln und Gavin tilgte einige ihrer ausstehenden Rechnungen. Sie sammelten so viele Ersatz- und Bauteile, wie und wo sie nur konnten. Dell entpuppte sich als Genie im Wiederbeleben der beschädigten Technik. Das wenige Geld, das übrigblieb, nachdem die Gläubiger bezahlt waren, ging direkt in die Nachrüstung. Walt verloren zu haben tat weh. Es zeigte Gavin, wie sehr er sich auf seinen Bruder verlassen hatte, um den Rest des Teams auf Trab zu halten. Die Teamleistung war natürlich entscheidend, aber im Vergleich zu der schmerzhaften Tatsache, dass Walt ihn tatsächlich im Stich gelassen hatte, verblasste selbst das.

Niemand vergaß das Duell mit dem Piraten-Trio und das Rhedd-Alert-Team war bereit für ein nächstes Aufeinandertreffen. Als sie das Teclis-Band durchquerten, trafen sie erneut auf die Hornets. Von Weitem schien das Band so, als bestünde es aus einer wogenden Welle aus langsam pulsierenden Lichtern. Aus der Nähe betrachtet, entpuppte sich die Welle als eine Wand aus taumelnden Asteroiden. Die erfahrenen Mitglieder von Gavins Team waren daran gewöhnt, sich an der Unterseite eines Asteroiden anzuheften. Es war noch gar nicht so lange her, als sie selbst diese Taktik benutzten, um Transporter zu überfallen. Daher waren sie nicht überrascht, als die Angreifer aus dem Inneren des Teclis-Bandes auftauchten. Gavin aktivierte sein Mikro, um sich an seine Truppe zu wenden.

“In Ordnung Leute, wir wissen, dass diese Bastarde fliegen, als wären sie an der Hüfte zusammengewachsen. Ich denke, wir sind innerhalb des Bandes im Vorteil, aber wir können nicht zulassen, dass sie Cassiopeia einkesseln. Boomer, du bist der Aufpasser. Bring den Transporter durch und sichere ihn ab. Alle anderen, kommen mit mir.”

Die Kämpfe innerhalb von Teclis waren heftig. Gavin war in seinem Element, als er durch enge Spalten raste, im Grunde unberechenbare Rollmanöver voraussah und das Gelände nutzte, um die Hornets zu zwingen, ihre strengen Formationen aufzugeben. Seine neueren Piloten waren gut, aber sie hatten nicht die Erfahrung von hunderten von Cockpit-Stunden auf engstem Raum, wie er und Jazza. Trotzdem schafften sie es, die Hornets einzukreisen.

Ganz unerwartet löste sich plötzlich ein Pirat von der Gruppe und schoss durch den Gürtel auf das flüchtende Transporterschiff zu.

“Wir haben einen Ausreißer”, schrie Jazza.

Gavin setzte bereits zur Verfolgung an.

“Ich sehe ihn. Haltet die anderen beiden zurück. Es ist leichter mit ihnen fertig zu werden, wenn sie nicht in einer Gruppe fliegen.”

Geschickt umflog er die riesigen Gesteinsbrocken, um ein paar Klicks später auf das schnellere Schiff zu zielen. Die Hornet rollte nach steuerbord und umrundete eine zackige, Monolith-ähnliche Felsnadel. Gavin setzte sich darüber und gewann so ein wenig mehr an Boden. Die beiden Schiffe schossen aus der tückischen Enge des Teclis-Bandes und Gavin landete ein paar Treffer, bevor die Hornet erneut wegrollte. Es folgte ein harter Wettkampf um den fliehenden Transporter.

“Cassiopeia”, rief Gavin,” hier ist Red One. Feindlicher Gegner im Anflug.”

“Verstanden, Red One. Schilde sind oben und wir sind bereit.”

“Boomer?”

“Verstanden, Gavin.”

“Vorsichtig, alter Mann. Der hier kann wirklich fliegen.”

Gavin sah, wie Boomer auf das angreifende Schiff zusteuerte. Die Hornet rotierte erneut. Boomer kopierte jede Bewegung des entgegenkommenden Schiffs, Zug um Zug. Beide begannen zu feuern und ihre Schilde leuchteten auf. Die Hornet drehte nach Steuerbord und Gavin verfehlte sie mit seinem Distanz-Schuss. Boomers Schilde flackerten auf und brachen zusammen.

“Boomer!”

Dann zerriss ein gleißend blendender Schuss aus einer Neutronenkanone Boomers Avenger. Die Teile des Rumpfes zerstreuten sich in alle Richtungen, während die Hornet am Schiffswrack vorbeiflog und sich der Cassiopeia weiter näherte. Gavin zog nach oben, um eine Kollision mit Boomer zu vermeiden und er betete, dass sich der ältere Pilot per Schleudersitz aus seinem Schiff gerettet hatte. Die Cassiopeia schickte ein Sperrfeuer von Raketen, aber die Hornet antwortete mit entsprechenden Gegenmaßnahmen. Mit dem ersten Angriff schaltete der Pirat den Raketenwerfer aus. Gavin begegnete der Hornet Kopf an Kopf, als diese wendete und erneut auf den Transporter feuerte.

Gavin verbuchte ein paar saubere Treffer als er vorbeiraste. Er wendete scharf, sein Schiff bebte unter der hohen Belastung und es presste ihn mit Macht in seinen Gurt. Seine Wahrnehmung wurde kurzzeitig schwächer. Aber er drehte die Cutlass rechtzeitig, um zu erkennen, wie die fliehende Hornet über einer kleinen, treibenden Silhouette innehielt.

Gavins Zielerfassungssystem identifizierte das Objekt. Boomers PRB blinkte rot.

“Nein!”

Er presste eine Hand gegen die Kabinendecke.

Mit voller Absicht und in einer Reihe aufeinanderfolgender Schüsse riss der Pirat Boomers treibenden Körper auseinander. Dann raste er zurück zum Teclis-Band.

“Mein Ziel hat sich gerade abgesetzt.”

“Sie fliehen.”

Gavin registrierte die Rufe und den Jubel seines Teams kaum.

Overkill. Die Piloten nannten das “OK geben”. Er wusste nicht genau, woher der Begriff stammte, aber einem Piloten das OK zu geben, bedeutete eine der wenigen unausgesprochenen und universellen Einsatzregeln zu brechen. Verlierst du einen Kampf, verlierst du vielleicht dein Schiff. Wird man schwer verprügelt, kann es sein, dass man ohne Gliedmaßen oder mit bleibenden Verletzungen oder Nervenschäden aus der Reha kommt. Aber auf einen treibenden Piloten zu feuern, der nur durch die unter Druck stehende Haut eines Raumanzugs geschützt war? Das war unmenschlich.

“An alle…”

Trauer übermannte Gavin und man konnte sie deutlich in seiner Stimme hören, “…formiert euch auf Cassiopeia. Wir haben einen gefallenen Piloten.”

Der Trauer in seiner Stimme folgte tiefes Schweigen – keiner sprach ein Wort. Alle Rhedd-Schiffe kamen aus dem Teclis-Band zusammen und sammelten sich um das Transportschiff. Himmel. Was sollte er Dell sagen? Gavin schluckte schwer und versuchte nachzudenken. Er musste etwas tun. Der Transporter war getroffen worden. Es könnte andere verletzte Piloten haben. Vielleicht hatte Walt Recht gehabt…

“Haltet die Position, bis wir Boomer geborgen haben.”

Er wechselte den Kanal, um den Transporter anzusprechen. “Cassiopeia, hier ist Red One. Wir brechen die Mission ab. Bereiten Sie sich auf die Rückkehr nach Nexus vor.”

“Ah … Red One, der Schaden ist minimal und unter Kontrolle. Wir sind in der Lage die Mission zu beenden.”

Gavin konnte nicht. Er musste Boomer zurück nach Vista Landing bringen.

Jazzas Stimme zitterte. “Um Himmels Willen…”

Gavin konnte nicht antworten.

“Bring ihn nach Hause, Gav. Wir markieren sein Schiff und schleppen es auf dem Rückweg ab.”

Er nickte nur, wohl wissend, dass sie ihn nicht sehen konnte, aber er war nicht in der Lage etwas zu sagen.

Was sollte er nur Dell sagen?

“Bring ihn schnell nach Hause”, sagte Jazza.

“Das werde ich.”

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Kapitel 11

Gavins MobiGlas surrte. Dell war auf der Krankenstation. Sie hatte ihm unmissverständlich klar gemacht, dass sie ihn nicht sehen wollte. Jazza war nach der Mission mit dem Team zurückgekehrt und sie machte einen großen Bogen um die Familie. Alle Nachrichten, die eingingen, waren höchstwahrscheinlich wichtig. Und die meisten davon waren, allem Anschein nach, schlechte Nachrichten.

Barry rief an. Nichts Positives erwartend, nahm Gavin das Gespräch entgegen.

“Gavin, Kumpel, hör zu. Ich habe Neuigkeiten. Das ist nur eine Vorab-Information, okay? Keine große Sache. Ist dein Bruder bei dir?”

“Walt ist weg.”

Selbst für seine eigenen Ohren klang Gavins Stimme leer.

“Du kannst es ruhig mir sagen.”

“Ich habe eine Mitteilung von einem meiner Bekannten aus der Vertragsabteilung. Sie erstellen ein FTP für den Tyrol-Vertrag. Es wird voraussichtlich in den nächsten ein oder zwei Tagen versandt. Tut mir leid, Gavin.”

“Muss es nicht.”

Gavin war Barry nicht böse. Dennoch klangen seine Worte schärfer, als er es beabsichtigte.

“Sag mir einfach, was zum Teufel ist ein FTP.”

“Entschuldige. FTP ist eine Leistungsunterlassungs-Benachrichtigung.”

Gav wusste sofort, es musste etwas Ernstes sein. Barry hätte sonst nicht angerufen. Verdammt noch mal! Was kam als Nächstes? Er hatte sich jeden Bericht aus Brocks Akten angesehen. Nirgendwo – in keiner einzigen Akte – gab es Hinweise auf solch koordinierte und bösartige Angriffe. Barry deutete sein Schweigen richtig.

“Hey, so etwas wird ständig herausgegeben. Ich wollte dich nur vorwarnen, dass es kommt, damit du nicht ausflippst. Ein paar Probleme bei einem Transport zählen nichts, wenn du durch ein gesetzloses System wie Min fliegst. Dafür werden sie den Vertrag nicht kündigen.”

“Weshalb denn sonst?”

“Nun….”, Barry sprach betont langsam und wählte seine Worte sorgfältig aus. „…es müsste ein FTP nach dem anderen eingehen. Oder wenn du den Transport verloren hättest oder so, das würde dann natürlich reichen. Aber Major Greely setzt sich für euch ein. Er ist ein großer Befürworter des UEE-Plans, lokale zivile Auftragnehmer zu verpflichten.”

Genau das brauchte Gavin jetzt auch noch – noch mehr Druck.

“Danke, Barry”, sagte Gavin.

“Kopf hoch, mein Freund. Ihr Jungs macht das schon. Ich meine, du solltest mal hören, was bei anderen Unternehmen los ist. Im Ernst, das hier ist gar nichts.”

“Nochmals danke.”

Gavin trennte die Verbindung. Es fühlte sich nicht so an, als würden sie alles gut machen. Die Bürotür öffnete sich und Jazzas Umriss erschien im Gegenlicht des Korridors.

“Jazz?”

Gavins Magen zog sich zusammen. Er versuchte zu schlucken, aber seine Kehle war wie zugeschnürt.

“Was ist los? Wo ist Dell?”

Sie trat einen Schritt näher und das Licht des Zimmers spiegelte sich in ihren feuchten Augenwinkeln. Sie riss sich zusammen, aber das blieb Gavin nicht verborgen.

“Es ist Boomer”, sagte sie. “Diesmal war der Schaden zu groß. Er ist wirklich tot.”

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Kapitel 12

Eine feierliche Hymne begleitete Arun “Boomer” Ains, als sie ihn auf die große Reise ins Abenteuer entließen, das im Jenseits auf ihn wartete. Gavin hatte den Gottesdienst im Hangar von Rhedd Alert abgehalten, leider klang es wirklich furchtbar. Der letzte düstere Ton widerhallte wie ein Echo und prallte von den harten Wänden des großen Raums zurück.

Gavin wünschte, sie hätten etwas Würdevolleres engagieren können, oder ein Orchester, wenn es eines auf der Orbital-Station gegeben hätte. Selbst ein Horn wäre eine bessere Hommage für den Mann gewesen, der Dell in sein Leben gebracht hatte. Für den Mann, der ihm und Walt so viel darüber beigebracht hatte, wie man ein freies Leben führt.

Dells zierlicher Arm legte sich um seine Taille und Gavin zog sie dicht an sich heran, unsicher, ob das in diesem Moment passend war. Er wandte sich ihr zu und küsste ihr Haar. Da sah er Walts schlanke Gestalt neben ihnen auftauchen. Walts trauriger Ausdruck wirkte wie eine grimmige starre Maske. Gavin kannte seinen Bruder gut genug, um zu wissen, dass Walt sich innerlich Vorwürfe machte. Er konnte nicht gut mit Schuld oder Verantwortung umgehen und Gavin glaubte, dass das ein wesentlicher Grund dafür war, warum Walt immer weglief.

Die Trauer-Gesellschaft löste sich allmählich auf. Sowohl Piloten als auch die Hangar-Crew wandten sich Ihren Aufgaben rund um Rhedd Alerts beschädigte Flotte von Jägern zu. Dell bewegte sich nicht. Gavin wich nicht von ihrer Seite. Walt legte seine Hand auf Gav’s Schulter.

“Gavin…Du lieber Himmel…Dell…ich kann euch gar nicht sagen, wie leid es mir tut.”

Jazza beugte sich vor und sprach mit leiser Stimme, fast einem Flüstern.

“Fahrwerk in zehn Minuten einfahren, Boss. Deine Ausrüstung liegt auf dem Buggy.”

Sie deutete mit dem Kopf in die Richtung, wo sein Schiff wartete. Dell schaute ihn an und drückte ihn.

“Sei vorsichtig.”

“Das werde ich.”

“Du kommst zu mir nach Hause, Gavin Rhedd. Ich bringe dich persönlich um, wenn du mich zwingst, diesen Laden allein zu führen.”

Er presste seine Lippen sehr lange auf ihre Stirn.

“Warte. Was?”

Walts Kinnlade fiel herunter, er riss seine Augen weit auf.

“Sag mir nicht, dass du da wieder rausgehst?”

Jazza rempelte Walt mit der Schulter an, ging scheinbar mehr durch ihn hindurch, statt an ihm vorbei.

“Verdammt richtig, das werden wir, du Feigling”, entgegnete sie.

“Weißt du was? Fick dich, Jazz. Alles klar? Früher hast du etwa … zweimal im Monat gekündigt.”

“Nicht so wie du. Nicht wie ein Angsthase…”

“Jazz”, sagte Gavin, “sieh bitte zu, dass das Team einsatzbereit ist, ja?”

Mit einem Nicken zu Gavin und einem abschätzigen Blick auf Walt ging sie in den Hangar.

“Lass es sein, Walt. Wir müssen wirklich gehen. Nach dem letzten Mal können wir nicht riskieren, zu spät zur Abholung zu kommen.”

“Scheiß auf zu spät!”

Walts Augen waren weit aufgerissen und die Winkel gerötet. “Warum zum Teufel gehst du überhaupt?”

“Walt -“

“Sag nicht ‘Walt’ zu mir, Gavin. Da draußen ist ein Rudel Psychopathen, die dich umbringen wollen!”

“Walt, würdest du mal für zwei Sekunden die Klappe halten und zuhören? Wir haben keine andere Wahl, okay? Es hängt alles von diesem Job ab. Wir sind Monate im Rückstand und stecken bis zum Hals in Schulden für Treibstoff, Ersatzteile und Munition.”

“Die können mir das verdammt noch mal in Rechnung stellen”, sagte Walt laut.

“Nein”, sagte Gavin, “das können sie nicht. Deine Anteile fielen an die Firma zurück, als du gekündigt hast.“

Walt wandte sich hilfesuchend an Dell.

“Dell, komm schon. Du musst ihn zur Vernunft bringen.”

“Boomers Anteile gingen auf mich über, als er starb”, sagte Dell. “Wir stecken da gemeinsam drin.”

“Okay, Boss”, rief Jazza. Die drei blickten zu ihr hinüber, wo sie mit einer Reihe von Mitarbeitern stand.

“Es ist so weit.”

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Kapitel 13

Walt sah zu, wie sich die großen Hangartore schlossen, nachdem der letzte von Gavins Team den Hangar verlassen hatte. Sein Fighter und die wenigen verbliebenen Schiffe wirkten fehl am Platz in der großen Halle. Als er allein neben Dell stand, überkam ihn ein starkes Gefühl der Unbeholfenheit.

“Es tut mir so leid, Dell. Wenn ich da gewesen wäre…”

“Nicht”, unterbrach sie ihn, während sie ihre blauen Haarspitzen schüttelte.

“Tu dir das nicht an. Ich habe mir die taktischen Protokolle angesehen. Er wurde im Zweikampf geschlagen. Es gab nichts, was du hättest tun können.”

“Ich fühle mich immer noch elend”, sagte er. “Wenn ich vielleicht nicht gegangen wäre…ich weiß nicht…”

“Gavin gibt sich auch die Schuld. So seid ihr beide eben veranlagt. Glaub mir, es gab niemanden, der meinen Vater je vom Cockpit hätte fernhalten können. Er ist schon geflogen, lange bevor ihr Rhedd-Jungs in unser Leben gestolpert seid.”

Das entlockte ihm ein Lächeln. Das wiederum schien Dells Stimmung aufzuhellen und so lächelte er weiter.

“Komm schon”, sagte sie. “Es waren ein paar lange Wochen. Trinkst du einen Kaffee mit mir?”

Und so unterhielten sie sich leise eine Zeit lang an den hohen Tischen der Küchenzeile des Hangars. Dell informierte ihn über das Leben an Bord von Vista Landing, seit er gegangen war. Sie war sichtlich erschöpft und das nicht nur wegen der Beerdigung ihres Vaters. Ihre Schultern hingen herunter und die dunklen Ringe unter ihren Augen waren das Ergebnis wochenlanger Arbeit und Sorge. Die ständige Angst vor den lebensgefährlichen Angriffen der Hornets hatte offenbar nicht nur die Piloten überanstrengt. Es schien sonderbar, dass sich die Angriffe seltsam persönlich anfühlten.

“Weißt du, was ich nicht begreife?”, überlegte er laut.

Dells müde Augen sahen ihn erwartungsvoll an.

“Was zum Teufel wollen diese Typen?”

Sie nickte.

“Ja. Darüber wurde schon viel spekuliert.”

“Und?”

“Schwer zu sagen, nicht wahr? Es könnten politische Spinner sein, die gegen die Forschung in Haven sind. Oder vielleicht ist es eine der alten Banden, die es nicht akzeptieren, dass wir jetzt legal arbeiten. Eventuell ist es auch eine Gruppe von Tevarin, die gegen UEE-Ziele vorgeht. Wer weiß das schon?”

“Nee. Wenn es Tevarin wären, würden wir das an ihrer Flugweise erkennen.”

“Dann sag du es mir, wenn du so gescheit bist. Ich meine, du warst da draußen. Du hast gegen sie gekämpft.”

Walt zuckte mit den Schultern und nahm einen Schluck kalten Kaffee. Etwas, von dem was sie sagte, nagte an ihm.

“Hey, du sagtest, du hättest Navsat-Taktik-Logs vom Kampf, richtig?

“Ja.”

Was von ihrer Energie übrig geblieben war, schien mit diesem einen Wort zu verschwinden. Walt verfluchte sich selbst dafür so ein unsensibler Arsch zu sein. Er hatte sie schließlich gerade nach den Aufzeichnungen des Mordes an ihrem Vater gefragt.

“Dell. Ah, verdammt … es tut mir leid. Ich hätte nicht fragen sollen.”

“Ist schon okay”, erwiderte sie.

“Ich bin sie schon durchgegangen. Wirklich, es macht mir nichts aus.”

Sie ging zu einer Konsole, das Licht dimmte sich automatisch, als sie die Projektion aufrief. Sie wählte ein Schiff aus und richtete die Ansicht so aus, dass das Hologramm von Boomers Avenger das Display ausfüllte. Nein, erinnerte sich Walt, es war nicht mehr Boomers Schiff. Dell war seine Erbin und – zusammen mit seinen Schulden – gehörte Boomers Vermögen nun ihr. Etwas fiel Walt auf und er stoppte sie.

“Warte, geh zurück.”

Das tat sie und Walt stoppte das Display, um sich den Rumpf des Schiffes genauer anzuschauen. Er stieß einen leisen Pfiff aus.

“Das ist eine Tarantula GT-870 Mk3.”

“Ich weiß, was das ist.”

“Erinnerst du dich an die Piraten, die uns in Oberon so viel Ärger gemacht haben? Ich habe die Tarantulas abmontiert, bevor wir die Schiffe verkauft haben.”

Selbstverständlich erinnerte er sich daran, denn die Bastarde hatten zwei ihrer Schiffe mit ihren Tarantulas zerrissen.

“Wie hast du die Tarantulas an die Avenger montiert?”

“Mit meinem sturen Schädel und einer Menge Kraft”, sagte sie.

Er warf ihr einen verwirrten Blick zu.

“…und wenn ich mir was in den Kopf setze, fummel ich eben so lange daran herum, bis es funktioniert “, sagte Dell.

“Verdammt, Mädchen.”

“Wolltest du nicht den Flugschreiber sehen?”

Sie sahen sich die Navsat-Wiederholungen schweigend an. Es sah nach einem höllischen Kampf aus. Chaotisch. Wild. Die Rhedd-Alert-Jäger waren schwer in Bedrängnis. Jazza hatte Momente der taktischen Brillanz. So sehr sie ihm auch auf die Nerven ging – Walt, musste zugeben, dass sie ihre Cutlass so tanzen ließ, wie sonst kaum jemand. Gavin verfolgte eine konsequente Strategie und hatte zusätzliche Fighter eingesetzt, um den Angriff abzuwehren. Aber stimmte nicht. Irgendetwas an dem Kampf machte keinen Sinn.

Walt ließ Dell die Szene noch einmal abspielen, damit er sich ganz auf die Piraten konzentrieren konnte. Aus dieser Perspektive sah es überhaupt nicht nach einem Kampf aus. Es sah eher wie ein Spiel aus – und   nur ein Team verstand die Spielregeln. Die Hornets flogen, um zu stören, um zu verwirren. Sie wussten, dass Gavin eine Truppe vorschicken würde, um den Transport zu schützen. Er hatte es jedes Mal getan, wenn sie aufeinander getroffen waren.

“Siehst du das?”, sagte er. “Sie brechen dort auseinander und werden sofort wieder in Formation gerufen. Sie lassen nie eine Flanke ungeschützt. Unsere Jungs finden deshalb keine richtige Angriffsmöglichkeit.”

Er deutete auf eine der angreifenden Hornets.

“Der gibt den Ton an.”

“Das ist die, die Boomer getötet hat.”

Das Navsat-Display funkelte rot und grün in Dells Augen. Ihre Stimme war ausdruckslos und leer. Walt konzentrierte sich auf das Display. Der Pirat, den er als Anführer identifiziert hatte, brach aus dem Kampfgetümmel aus. Gavin verfolgte ihn, war aber zu weit weg. Boomer fing ihn ab, wurde ausgeschaltet und sein Signal blinkte rot auf dem Display. Die Hornet überflog den Transporter, bevor sie zu ihrer Gruppe zurückkehrte. Dann bremste sie ab und hielt auf Boomer zu.

“Warum macht er nur einen Überflug über den Transporter? Wie oft haben sie ‘uns’ getroffen? Sechs Mal? Sieben Mal? Und wenn sie endlich das Ziel getroffen haben, hauen sie ab? Das verstehe ich nicht.”

“Du sagt ‘uns’, ” neckte ihn Dell,  “willst du wieder bleiben?”

Walt stieß ein kleines Lachen aus.

“Wir werden sehen.”

“Wir haben einfach Glück gehabt”, antwortete Dell auf seine Frage.

“Bis jetzt haben wir sie verjagt.”

“Glaubst du das wirklich? Sie hätten den Kampf gewonnen, wenn sie es gewollt hätten. Und wie finden sie uns immer wieder? Es ist, als hätten sie sich dauerhaft in unserer verdammten Flugbahn eingenistet.”

Das war’s! Er hatte es! Die Erkenntnis muss sich in seinem Gesicht gespiegelt haben.

“Was?”, fragte Dell, „Was ist denn?”

“Spul zurück zu der Schießerei auf die Aquila.”

Dell spulte zurück und sie sahen sich alles noch einmal an. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er sie dazu gebracht hatte, sic den Mord an ihrem Vater noch einmal anzusehen, aber er musste sich sicher sein, was er sah. Und da war es:

Strafe. Wenden. Pause.

Eine festgelegte Handlung auf jede fliegerische Entscheidung. Und dann waren sie weg.

“Sie sind gar nicht hinter dem Transporter her. Wir waren die ganze Zeit ihr Ziel.”

“Warte”, sagte Dell, “Sie? Wer?”

“Dell, ich habe gerade herausgefunden, wer deinen Vater getötet hat.”

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Kapitel 14

Morgan Brock beendete das Meeting. Riebeld fing ihren Blick auf und hob eine Hand vom Tisch – eine Aufforderung für sie zu bleiben, während die anderen den Konferenzraum verließen. Riebeld ließ sie warten, bis sie allein waren, stand dann auf, um die Tür zu schließen.

“Ich nehme an”, sagte Brock, “dass unser Tyrol-Problem immer noch besteht?”

“Ich habe während des Meetings erfahren,” er nahm neben ihr am Tisch Platz, und fuhr mit leiser Stimme fort, “dass sie bald den Sprung nach Nexus machen sollen.”

“Unsere diskreten Piloten? Sind sie im Einsatz oder hier auf der Station?”

 Seine Antwort kam langsam, sein Nicken war zögerlich.

“Sie sind hier.”

Brock überprüfte die Zeit und rechnete im Kopf kurz nach.

“Tarnt die Schiffe. Wir werden um 1700 aufbrechen und treffen uns in Nexus, gleich hinter dem Tor von Min.”

“Morgan”, Riebeld‘s Blick schweifte durch den Raum, “diese Typen verstehen den Hinweis einfach nicht. Ich weiß wirklich nicht, welche Verluste sie noch erleiden müssen, bevor sie klein beigeben. Zum Geschäft gehört es, Angebote auch mal zu verlieren, habe ich nicht recht?”

Brock widersprach nicht und fuhr fort. “Vielleicht … vielleicht sollten wir das Ganze abschreiben?”

“Ihre Provision richtet sich ja nach dem Auftragswert. Ich aber habe bei diesem Job jahrelang kaum Gewinn gemacht und tat es freiwillig, mit der Aussicht auf Gewinne, für den Fall, dass der Verkehr nach Haven ansteigt.”

“Das verstehe ich”, sagte er.

“…aber irgendwann müssen wir den Verlust akzeptieren und uns auf das nächste Geschäft konzentrieren, oder?”

“Nehmen wir einmal an, wir lassen den Tyrol-Job sausen und schauen was Greely und Navy SysCom von den Auftragnehmern erwarten. Ich kann mir jetzt schon vorstellen, dass Politiker, die gegen das Establishment sind, mehr auf Freelancer setzen. Zur Hölle, wahrscheinlich versprechen sie Verträge, um Stimmen auf ihren Heimatsystemen zu kaufen.”

Sie sah zu, wie er sich wand. Es war nicht seine Art, mit seinem Gewissen zu hadern. Ehrlich gesagt, war sie enttäuscht, dass er so etwas wie ein Gewissen entdeckte.

“Wenn Rhedd Alert sich nicht freiwillig zurückzieht”, sagte sie, “dann werden sie es eben auf die harte Tour lernen müssen. Bereite die Schiffe vor, Riebeld. Wir haben sehr gut zusammengearbeitet, Sie und ich. Sie sollten wissen, dass ich nicht auf etwas verzichte, das mir gehört.”

Er schien ihre Aufrichtigkeit zu schätzen, aber Brock wollte hören, was der selbstbewusste Verkäufer zu sagen pflegte.

“Sind wir uns einig?”

“Ja, Ma’am”, erwiderte Riebeld und stand auf. “Völlig einig.”

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Kapitel 15

“Hattest Du schon Glück?”

Walt rief Barrys Datensatz in seinem MobiGlas auf. Dell saß an der Hangarkonsole und versuchte Gavin und das Team zu erreichen. Ihre Stirn kräuselte sich und sie schüttelte den Kopf.

“Verdammt. Versuch´s weiter.”

Barry stellte die Verbindung her. Der Sachbearbeiter trug seine Uniform. Er war immer im Dienst, egal wo er auch war und sein aufgesetztes Gesicht sah mürrisch aus.

“Hey”, sagte er, “lange nicht mehr gesehen, Mann. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich um Boomer trauere.”

“Danke.”

Barry kannte Dell und Boomer fast sein ganzes Leben lang. Vermutlich war er hin- und hergerissen, ob er an der Trauerfeier teilnehmen oder die Familie in Ruhe trauern lassen sollte. Wie auch immer, Anteilnahme und Mitgefühl würden warten müssen.

“Wir brauchen deine Hilfe, Barry. Bitte sag mir, dass du Zugang zum Angebot für den Tyrol-Vertrag hast.”

“Natürlich habe ich das. Und wer sind “WIR”?

Bist du wieder mit Dell und Gavin zusammen?”

“Ja”, sagte er und spürte Dells Blick auf sich, als er das sagte. “Wie auch immer, wir brauchen einen Gefallen. Ich muss wissen, welche Schiffsmodelle und -konfigurationen der Vertrag vorschlägt.”

“Morgan Brocks Ausrüstung, klar. Aber bei den Schiffsdaten geht das nicht. Diese Informationen sind alle vertraulich. Nur die Preisvorschläge sind öffentlich zugänglich und das auch nur während der Einspruchsfrist.”

“Komm schon, Barry. Wir reden hier nicht über Geschäftsgeheimnisse. Ich könnte das mit einem Kurzbesuch in Kilian herausfinden. Dafür habe ich aber einfach keine Zeit. Ich muss wissen, welche Schiffe diese Typen fliegen.”

Barry stieß einen Seufzer aus: “Warte. Ich kann euch die Vorschläge nicht schicken, okay? Ihr bewegt euch mit diesem Vertrag schon jetzt auf sehr dünnem Eis.”

“Wem sagst Du das. Und danke, dafür schulde ich dir viel.”

Walt wartete mit trockener Kehle. Er kratzte mit dem Fingernagel an einer abgesplitterten Kante seines abgenutzten MobiGlases.

“In Ordnung”, Barry las etwas vom Bildschirm ab: “Es sieht so aus, als flögen sie Hornets. Genauer gesagt sind es F7As. Ich kann dir eine Liste schicken und ich weiß zufällig, dass Brock selbst eine Super Hornet fliegt.”

Das MobiGlas zitterte an Walts Handgelenk. Sein Gesicht fühlte sich heiß an und er versuchte seinen verkrampften Kiefer zu entspannen.

“Barry, wenn du irgendeinen Einfluss bei der Navy hast, schick ein paar Schiffe nach Tyrol. Es war die ganze Zeit Brock. Sie hat uns zum Scheitern verurteilt. Und sie ist das Miststück, das Boomer getötet hat.“

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Kapitel 16

“Ich fliege, Walt. Das ist endgültig.”

Walt rieb sich die Augen. Wie konnte Gavin jemals einen Streit gegen sie gewinnen? Es war aussichtslos, ihr die Teilnahme zu verbieten. Vielleicht konnte er vernünftig mit ihr reden.

“Hör zu. Wann warst du das letzte Mal überhaupt in einem Cockpit?”

“Ich kenne dieses Schiff. Ich wurde quasi in diesen Dingern geboren.”

“Dell -“

Sie warf seinen Helm nach ihm. Er fing ihn ungeschickt auf und noch bevor er seinen Gedanken zu Ende führen konnte, hatte sie ihren Overall abgelegt und sich in ihren Raumanzug gezwängt. Sie strafte ihn mit einem stechenden Blick und sagte:

“Zieh dich an, wenn du nicht abgehängt werden willst.”

Dell konnte unerbittlich sein. Na schön. Es war ihre Beerdigung und Walt wurde klar, dass sein Bruder niemals einen Streit gegen sie gewonnen hätte. Dell und Walt beendeten die Vorbereitungen schweigend. Walt zog die Bremsklötze unter ihrer Avenger weg, während sie ins Cockpit kletterte. Er tätschelte die Tarantula wertschätzend.

“Hast du Munition für dieses Baby dabei?”

“Ein wenig,” erwiderte Dell.

“Gut”, lächelte er.

“Hoffen wir, dass Brock noch nicht fertig ist.”

Walt grübelte über diesen Satz nach. Es stimmte, dass Gavin das Team bei jedem Kampf geteilt hatte, aber Rhedd Alert hatte nie Reserven geschickt. Jeder Einsatz war ein fairer Kampf gewesen. Es war unwahrscheinlich, dass Brock irgendetwas über Alerts Ressourcen wusste, ob begrenzt oder nicht, abgesehen vom Begleitschutz. Das könnte ihr Vorteil sein.

“Hey, Dell. Steig noch mal kurz aus, ja?”

“Einen Teufel werde ich tun.”

Der Blick, den sie ihm zuwarf, war die reine Kampfansage.

“Ich sagte, ich bin dabei und damit basta.”

“Oh, nein. Diesen Kampf habe ich schon verloren. Aber du und deine Kanone hier haben mich gerade an die Piraten in Oberon erinnert. Sag mal, haben wir jemals einen Käufer für den alten Idris-Rumpf gefunden?”

“Nein. Er liegt im Lager außerhalb der Station, warum?”

Dell sah ihn skeptisch an, er grinste.

“Wir werden diesen Militärtypen ein paar alte Schmugglertricks beibringen.”

                                                                                       

Gavin hielt das Team nahe des Sprungtors zwischen Min und Nexus zurück.

“Also gut Leute, hört zu. Ihr wisst, wie es läuft und was uns auf der anderen Seite erwarten könnte.

Jazza, ich will, dass ihr, du und Rahul, für diesen Sprung an der Spitze fliegt. Ich bringe die Cassiopeia rüber, nachdem ihr und der Rest des Teams drüben seid. Sind alle bereit?”

Sein Team schwieg, während es sich mit professioneller Präzision in Position brachte. Der Pilot an Bord der „Cassiopeia“ gab das Signal zur Bereitschaft und Gavin schickte Jazza hindurch. Die anderen waren ihr dicht auf den Fersen und Gavin spürte den immer wieder merkwürdigen Fall durch die Öffnung des Sprungtors. Licht und Schall dehnten sich aus und zogen ihn durch den Zwischenraum. Ein weiterer Fall, ein kurzer Moment der Desorientierung, dann tat sich Nexus um ihn herum auf.

 

Ohne Vorwarnung flog Meis Jäger an seiner Frontalscheibe vorbei. Weißglühendes Laserfeuer schlitzte das graue und feuerrote Schiff auf, legte Meis Schilde lahm und riss Teile der gepanzerten Hülle ab. Mei feuerte zurück auf ein Trio von sehr vertrauten Hornets, die in einer engen Dreiecksformation flogen. Jazza brüllte Befehle.

“Mei. Rahul. Flankiert Gavin und bringt dieCassiopeia hier raus. Gavin, hast du das verstanden? Du hast das Paket.”

Gavin schüttelte den Kopf, um klare Gedanken fassen zu können. Er konnte sich nicht daran erinnern, seine Schilde aktiviert zu haben, aber sie blinkten auf seinem HUD und seine Waffensysteme waren scharf.

“Verstanden.”

Gavin wechselte auf den Transportkanal.

“Cassiopeia. Lasst uns von hier verschwinden.”

Die Crew an Bord des UEE-Transporters brauchte keine weitere Aufforderung. Gavin beschleunigte, um mit dem größeren Schiff Schritt zu halten, während sich zwei Rhedd-Alert-Jäger über und unter ihm in Position brachten. Gemeinsam rasten sie auf das Sprungtor nach Tyrol zu. Die Hornets wendeten und rasten geschlossen von einer Seite auf sie zu. Gavins HUD leuchtete auf, als Jazza ein paar Raketen gefährlich nah über seinen Kopf hinweg auf eines der angreifenden Schiffe feuerte.

Ihr Schiff ächzte und passierte oberhalb an ihnen vorbei, aber die Hornets hielten Kurs und blieben bei der Verfolgung des fliehenden Transporters. Alarmsignale ertönten. Gavins Team brauchte mehr Feuerkraft gegen die Hornets, um für die „Cassiopeia“ Zeit zu gewinnen. Gavin brüllte einen Kurs und die „Cassiopeia“ tauchte mit Mei und Rahul an beiden Flanken ab. Gavin zog hoch, wendete und feuerte, um die Aufmerksamkeit der Angreifer auf sich zu lenken.

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Er wirbelte herum und seine starken Steuerbordschilde bekamen die volle Wucht des Hauptfeuers ab. Der Aufprall erschütterte seine Cutlass heftig, die Balken seiner Schildanzeige sackten in den roten Bereich. Gavin drehte ab, feuerte noch einen Schuss mit seinen Lasern ab und beschleunigte von der  „Cassiopeia“ weg, während die Hornets ihm dicht auf den Fersen blieben.

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Kapitel 17

Die Navsat-Daten für den Sprung nach Nexus erschienen am Rand von Walts Display. Einige Sekunden und tausende Kilometer später blinkte das erste der umkämpften Raumschiffe. Sein Bruder und das Rhedd-Alert-Team hatten alle Hände voll zu tun. Walt beobachtete, wie Brock und ihre Crew die Rhedd Alert-Schiffe einkreisten und angriffen. Gavin versuchte, die Angreifer wegzulocken, aber Brock wollte nicht anbeißen. Indem sie den Kampf auf den UEE-Transporter konzentrierte, hielt sie den Transporter gefangen.

Zeit, die Chancen auszugleichen. Jazza stürzte sich auf eine der Hornets. Walt sah, wie die überlegenen Schilde der feindlichen Jäger die Einschläge wegsteckten wie nichts. Bevor sich die feindlichen Schilde wieder aufladen konnten, schaltete Walt eine Hornet als Ziel auf und bereitete den Angriff vor. Er schaltete seinen Primärantrieb aus, wendete und schoss rückwärts durch das Kampfgemenge. Sein Zielsystem erfasste die feindliche Hornet und er bombardierte sie mit Geschossen. Meis ramponierter Fighter stürzte sich unterdessen mitten hinein in das blitzende Trümmerfeld, aber die Superhornet, vermutlich war es Brocks, wartete auf der anderen Seite auf sie. Eine Salve aus ihrer Neutronenkanone zerriss das Rhedd-Alert-Schiff. Mei konnte sich retten, aber ihr Team hatte ein Schiff verloren.

“Um Gotteswillen…”

Gavins Stimme war verzweifelt.

“Mach, dass Du hier wegkommst, Walt. Schließ dich mit dem Transporter zusammen und haut ab.”

Walt ignorierte ihn. Er wendete noch einmal und öffnete sein Mikro auf einen allgemeinen Kanal.

“Das Spiel ist vorbei, Brock.”

Seine Worte durchschnitten den Äther.

“Weißt du”, fuhrt Walt fort, „wenn du uns glauben machen wolltest, dass du hinter dem Transporter her bist, hättest du dir deine großen Geschütze für die Cassiopeia aufsparen sollen, anstatt unseren Freund zu töten.”

“Ich nehme an, ich sollte überrascht sein, dass ihr mich enttarnt habt“, erwiderte Brock kühl.

Aus Brocks Stimme klang ein bissiges Grinsen. Es war genauso kalt und abgebrüht, wie Gavin es beschrieben hatte.

“Andererseits bin ich froh, dass du das Geheimnis jetzt mit mir teilst. Ich hätte mich vielleicht damit begnügt, den Großteil eurer so genannten Flotte auszuschalten. Aber jetzt werde ich wohl gründlicher sein müssen.”

Sie feuerte, er wich aus und der Kampf fing wieder von vorne an.

Walt schaltete sein Funkgerät auf Rhedd Alerts Squad-Kanal.

“Brock war nie hinter Cassiopeia her, Gav. Sie war immer nur hinter uns her.”

“Vielleicht bin ich ein wenig abgelenkt von all den Raketen, aber ich sehe nicht, inwieweit das im momentan überhaupt relevant ist.”

“Wir sind der Technik ihres Schiffes nicht gewachsen. Wenn sie den Transporter angreift, ist alles verloren.”

Er rollte sein Schiff und brachte sich neben Gavin in Position. Zusammen gingen sie in den Tiefflug und beschossen eine Hornet.

“Großartig”, sagte Gavin, “warum hast du sie gewarnt?”

Walt unterdrückte ein hämisches Grinsen.

“Weil”, sagte er, “sie es sich nicht leisten kann, auch nur einen von uns entkommen zu lassen.”

“Wenn du irgendwelche brillanten Ideen hast, spuck es aus. Ich bin ganz Ohr.”

“Komm mit.”

Walt war bewusst, dass Brock jedes Wort hören konnte, der Kommunikations-Kanal war noch immer offen. Sie würde sie in Stücke reißen, wenn sie blieben. Er musste Gavin dazu bringen, ihm zu folgen.

“Komm mit, Gavin.”

“Verdammt noch mal, Walt! Wenn du hier bist, um zu helfen, dann hilf. Ich habe einen abgestürzten Piloten und ich werde es nicht zulassen, dass Mei wie Boomer getötet wird.”

“Es geht nicht darum, es sich leicht zu machen, Gav. Jemand, den ich sehr bewundere, hat mir einmal gesagt, dass es in diesem Spiel nur um Vertrauen geht. Also frag dich selbst … vertraust du mir?”

Gavin knurrte etwas. Dieses Geräusch schnürte Walts Kehle zu. Trotz all ihrer Streitigkeiten, Boomers Tod und Walts Flucht, als alles echt schwierig wurde – trotz alldem: Gavin wollte Walt immer noch vertrauen.

“Vertrau mir, Gavin.”

Brock und ihr Flügelmann flogen im Tiefflug, um Cassiopeia und deren Begleitschutz einzukesseln. Jazza lenkte sie mit einer Flut von Laserfeuer um und wurde im Gegenzug von Brocks Neutronengeschützen beharkt. Die Schilde ihrer ramponierten Cutlass blitzten auf, verdunkelten sich und fielen aus. Jetzt oder nie!

“Jazz….”

Gavins Stimme klang schroff und scharf –

„…triff dich mit Cassiopeia und macht euch aus dem Staub.”

Walt beschleunigte und nahm den gleichen Weg zurück, den er gekommen war.

“Walt”, Gavin klang extrem wütend, „ich bin auf deiner Sechs. Los geht’s, Leute! Bewegt euch!”

Walt rief eine Reihe von Standardprozeduren ab und raste mit Gavin, der dicht hinter ihm war, davon. Die beiden verbleibenden Hornets teilten sich auf, wobei Brock sich hinter Gavin setzte, um die Verfolgung aufzunehmen. Selbst gemeinsam hatten er und Gavin keine große Chance an den überlegenen Schilden vorbeizukommen. Stattdessen setzte er einen geraden Kurs auf den am Rande seines Displays markierten Zielpunkt. Als das eingehende Feuer Brocks sie vom Kurs abbrachte, korrigierte er und steuerte erneut direkt auf das Ziel zu. Brock holte auf. Gavins Symbol blinkte auf Walts Display. Sie war nahe genug, um mit ihren Repeatern zuverlässig zu treffen. Als sie den gesetzten Koordinaten näher kamen, entdeckte Walt eine wabernde Verzerrung aus funkelndem Sternenlicht. Er korrigierte seinen Kurs nochmals leicht und flog direkt darauf zu. Gavin, gefolgt von Brock, waren dicht hinter ihm.

“Komm schon”, flüsterte Walt, “bleib dicht dran.”

Auf dem Mannschaftsdisplay sah er, dass Gavins Schutzschilde erneut gesunken waren. Brock landete immer häufiger Treffer.

“Noch ein Stückchen weiter.”

Walt konzentrierte sich auf das Wabern des Sternenlichts vor ihm, ein dunkler Fleck im All, der Nexus verschluckte. Er korrigierte abermals Kurs – Gavin passte sich an. Gemeinsam setzten sie ihre halsbrecherische Flucht, unter Brocks tödlichen Angriffen, fort. Der kleine Fleck im dunklen Raum wuchs. Walt öffnete den Mannschaftskanal an seinem Mikro und rief:

“Jetzt!”

Auf seinem HUD flackerte ein neues Schiff auf dem Display auf. Es schien sich fast über ihnen zu materialisieren, als Dells Avenger aus ihrem Versteck, der geschwärzten Hülle der abgewrackten Idris auftauchte. Walt zündete seine Schubdüsen. Der Auftrieb drückte ihn hart in seinen Sitz. Mit dieser Aktion bewegte er sich aufwärts und gleichzeitig über die Falle, in die sie Brock geradewegs hinein lockten. Er hörte Dell über den Kommandokanal schreien, er drehte sich um und versuchte, nach hinten zu sehen. Helle Blitze aus Brocks Mündungen, begleitet von einem schrecklichen Grollen. Dell hatte ihr Mikro offen gelassen und es hörte sich an, als würde die riesige Bordkanone drohen, ihr Schiff zu zerreißen.

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Kapitel 18

“Pass auf, Gav!”

Dells Stimme traf Gavin wie ein Schlag ins Gesicht. Er sah, wie sein Bruder seine Hornet nach oben zog und plötzlich hinter einer leeren, sternenlosen Wolke verschwand. Plötzlich tauchte Boomers Avenger aus eben dieser Dunkelheit auf und nur Gavin wusste, dass anstelle von Boomer seine Frau im Cockpit saß. Sie war mit ihm da draußen in der Dunkelheit, wo ihnen die feindlichen Piloten waffentechnisch überlegen waren. Er handelte schneller, als er denken konnte. Er drückte sein Schiff hart nach unten. Die Triebwerke waren überbelastet, Gav versuchte eine Kollision mit Dell zu vermeiden. Ein brillanter Zug, begleitet von einem markerschütternden Donnern. Gavin wendete unterdessen sein ramponiertes Schiff. Die Cutlass wurde durch die hohe Belastung durchgeschüttelt, Gavin klebte an der Seite des Cockpits. Er sah wie das erste schwere Geschoss Brock traf. Die kombinierte Kraft der Granate plus des Schwunges seines Schiffes zerfetzten ihre Schutzschilde. Dann schlug ein Geschoss nach dem anderen in Brocks Superhornet ein, bis sich die Luft im Inneren entzündete.

“Dell, pass auf!”

Die brennende Hornet stürzte auf seine Frau zu wie ein riesiger Feuerball.

Brock betätigte ihren Schleudersitz. Dell riss ihr Schiff zur Seite, aber die Hornet verhakte sich im Rumpf der Idris, wo sie sich vorher versteckt hatte. Die Explosion schleuderte Schiffe und Trümmer in alle Richtungen auseinander.

“Dell!”

Sein Schiff wirbelte herum, um ihr trudelndes Schiff abzufangen. Walt war vor ihm da. Die Triebwerke feuerten in streng kontrollierten Abständen und zielgenau, Walt fing ihre Avenger ab, verlangsamte das Trudeln und stoppte es schließlich. Gavin rotierte sein Schiff, um Cockpit an Cockpit mit seiner Frau zu sein.

“Dell?”

Sie saß regungslos an den Steuerelementen, den Kopf gesenkt und zur Seite gedreht.

“Komm schon, Baby. Sprich mit mir.”

Gott sei Dank, sie bewegte sich. Bedächtig langsam rollte sie ihren Kopf auf ihren Schultern. Als sie aufsah, trafen sich ihre Blicke. Dell schenkte ihm ein verhaltenes Lächeln und hielt einen Daumen hoch. Er schluckte schwer, presste eine Hand an sein Herz und schloss erleichtert die Augen.

Gavin wendete seine Cutlass und raste hinüber zu Brock, die in der Nähe schwebte, ihre Waffensysteme waren noch immer heiß. Dann hielt er inne und schaute zu ihr hinüber, so wie sie es bei Boomer gemacht hatte. Ihr Kommunikator war noch aktiv.

“Was denn, Rhedd?”

Er erinnerte sich an sie auf dem Treffen mit Greely. Groß, schlank und knackig. Jetzt wirkte sie klein und schwebte nicht mehr als einen Meter vorn der Nase seiner Cutlass.

“Gavin?”

Dells Stimme klang dünn nach dem Lärm des Kampfes. Walt tauchte neben ihm auf. Seine Stimme war tief und ruhig.

“Ganz ruhig, mein Freund. Wir wurden nicht zu OK-Piloten erzogen.”

“Sie ist es nicht wert”, sagte Dell.

Brock knurrte: “Mach schon.”

Er hatte Brocks Berichte seit Monaten studiert. Sie hatte mehr Schiffe und mehr Piloten, als er sich jemals würde anstellen können. Was trieb Brook also dazu, sie zu schikanieren und eines seiner Crewmitglieder für diesen Job zu töten?

“Ich will nur wissen, warum”, fragte er. “Du hast andere Verträge. Du hast wahrscheinlich mehr Geld verdient, als jeder von uns in seinem Leben je sehen wird. Warum bist du hinter uns her?”

Brocks Augen waren geschlossen, die Lichter der Cutlass reflektierten sich in ihrem Visier.

“Warum?”, wiederholte sie. “Sieh dich um, Rhedd. In diesen Systemen gibt es kein Gesetz. Alles, was hier zählt, ist der Mut, sich zu nehmen, was man will und die Bereitschaft Opfer zu bringen, um es zu behalten.”

“Du willst über Opfer reden?”, fragte er. “Der Pilot, den du getötet hast, gehörte zu meiner Familie.”

“Du hast ihn in Gefahr gebracht”, sagte sie, “nicht ich. Ich habe für das bisschen Ordnung, das in diesen Systemen existiert, gesorgt. Ich habe meinen Erfolg aus dem Nichts geschaffen. Ihr Unabhängigen seid Diebe. Ihr seid wie Nagetiere, die sich an den Rändern des Erfolgs anderer laben.”

“Ich war ein Dieb”, erwiderte er, “und ein Schmuggler. Wir bauen uns unseren eigenen Erfolg auf und wenn wir uns das nächste Mal treffen, dann mit der Navy – in einem Gerichtssaal.”

Gavin gab mit seinen Triebwerken gerade so viel Schub, dass er Brock mit der Cockpit-Nase seiner Cutlass anstupste. Brock drehte sich um die eigene Achse und taumelte, während sie davon schwebte – wurde kleiner und kleiner. Schließlich sah er von ihr nur noch die PRB auf seinem HUD, das war alles. Dann war sie weg.

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Kapitel 19

Ein paar Aufklärer mit Navy-Kennzeichnungen waren vor dem Redd-Hangar verankert, als Gavin und seine Crew schließlich nach Vista Landing zurückkehrten. Die Besatzung der Cassiopeia bestand darauf bei der medizinischen Versorgung und Genesung zu helfen. Das Team, das in Haven abgeholt werden sollte, schloss sich an und wollte, dass sich Rhedd Alert um seine eigenen Leute kümmerte, bevor es weiterging. Technisch gesehen hatte sich niemand beim Navy SysCom erkundigt. Hatten die Navy Auftragnehmer von Angesicht zu Angesicht geschossen? Soviel er wusste, war das der Fall. Gavin kümmerte sich um die Versorgung ihrer beschädigten Schiffe, während die anderen die Verwundeten weiter nach Vista Landing brachten. Als er fertig war, tauschte er ein kurzes Nicken mit Barry Lidst aus, der entspannt hinter Major Greely stand.

“Major”, Gavin streckte seine Hand aus, “ich nehme an, jemand hätte mir schon gesagt, wenn ich gefeuert worden wäre.”

Seine Hand verschwand in der massiven Pranke des Majors.

“Ich nehme an, das hätte man getan.”

“Was verschafft uns dann die Ehre?”

Dell und Walt gesellten sich zu ihnen und Gavin stellte sie vor.

“Ich zuerst, dann wir'”, wiederholte Greely, “das gefällt mir, Rhedd. Ich schätze einen Mann, der die Konsequenz persönlich annimmt und darauf besteht, die Lorbeeren mit seinem Team zu teilen. Sagen Sie mir, mein Sohn. Wie haben Sie Brock bekommen?”

Gavin stupste seine Frau an. Mit einem schelmischen Grinsen legte Dell ihren Arm um Gavins Taille und trat nach vorne, um die Tarantel an ihrer ramponierten Avenger zu tätscheln.

“Gut geschossen, Miss”, lobte Greely.

Dell zuckte mit den Schultern: “Walt entfernte meine Kennzeichnungen, das Navigationsgerät und den Flugschreiber bevor wir losgeflogen sind. Ich saß als Tarnobjekt im Dunkeln, bis mir die Jungs Brock direkt ins Mündungsfeuer schickten.”

Barry lehnte sich zu Greely und sagte in einem gut hörbaren Flüsterton: “Es wäre vielleicht das Beste, wenn wir den illegalen Teil davon ignorieren.”

Greely winkte unwillig ihn ab. “Das ist es, was das Verse braucht. Männer und Frauen, die den Mut haben, ihren Namen an die Seite eines Hangars zu tackern. Eine Chance für verantwortungsbewusste Zivilisten, gute, ehrliche Arbeitsplätze mit echter Bezahlung für die einheimische Bevölkerung zu schaffen. Dass ein ehemaliges Militärunternehmen versucht hat, das zu ruinieren …”

Gavin und das Team bekamen aus nächster Nähe einen guten und sehr genauen Eindruck, wie ein wütender Navy-Offizier aussah. Es war ein Gesichtsausdruck, der wirklich Eindruck hinterließ.

“Wie auch immer”, beruhigte sich Greely wieder, “keine Seele im Universum würde es Ihnen verübeln, wenn Sie uns als schlechte Geschäftspartner abschreiben würden. Ich bin hier, um Sie zu bitten, zu bleiben.”

Gavin widerstrebte es die finanzielle Situation seines Unternehmens vor dem einzigen, zahlenden Kunden zu thematisieren, aber sie waren am Ende ihrer Kräfte. Rhedd Alert hatte nicht mal mehr das nötige Kleingeld, um Munition zu kaufen, geschweige denn ihre abgeschossenen Jäger zu reparieren.

“Eigentlich, Sir. Ich glaube, wir müssen uns etwas Lukrativeres suchen, als uns von verärgerten Amtsinhabern abschießen zu lassen.”

“Was das angeht”, nickte Greely und legte seine Hand auf Gavins Schulter. Er lenkte ihn zu einem der großen Hangar Fenster, um auf die draußen schwebenden Aufklärer zu schauen.

“Mein Mitarbeiter hat mir eröffnet, dass es durchaus etwas Spielraum gibt, um bestimmte Teile des Tyrol-Vertrags neu zu verhandeln. Aber dieser Job wird nicht genug sein, um Ihr Team zu beschäftigen, jetzt, wo Brock aus dem Weg ist.”

Gavin lachte. “In diesem Punkt hoffe ich sehr, dass Sie recht haben.”

“Nun … ich habe mehr Arbeit für ein Team wie das Ihre. Ich hoffe, Sie nehmen mein Angebot an, denn das haben Sie sich redlich verdient. Sagen Sie mal, Rhedd, sind Sie eigentlich mit dem Oberon-System vertraut?”

Hinter ihnen hörte man wie Walt seinen Helm fallen ließ.

– Ende –

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