Sid & Cyrus

Ein Ex-Söldnerpaar will ihre Tochter vor Piraten retten. Und erlebt dabei eine dicke Überraschung.
Von Adam Wieser

(übersetzt von Moxie)


Kapitel 01

in schrilles Quietschen kreischte durch die Bar „Falling Sky“, als sich die Eingangstür öffnete. Keiner der Stammgäste in der heruntergekommenen Kneipe kümmerte das Geräusch, nur Sidney hinter der Bar blickte auf. Im Gegensatz zu den meisten Menschen ihres Alters, brauchte Sid nur einen Moment, um den jungen Mann zu beurteilen, der gerade hereinkam. Sie machte sich wieder an die Arbeit. Der Junge schlich sich an die Bar, musterte Vinny und setzte sich ein paar Hocker weiter. Vinny nahm einen tiefen Schluck und behielt seinen Bildschirm im Blick. Wenn die Crashers spielten, gab es für ihn nichts Wichtigeres als das. Und schon gar nicht ein nervöser Junge mit einem irren Ausdruck in den Augen.

Der Junge beugte sich zu Sid, hielt dann aber inne und schaute wieder in Vinnys Richtung. Als er sich absolut sicher war, dass er nicht zuhörte, murmelte er:

“Tomyris schickt mich.”

Tomyris war der Anführer einer aufstrebenden und skrupellosen Bande von Gesetzlosen, die sich selbst die „Cadejo Crew“ nannte. Sid kannte Tomyris zwar nur vom Hörensagen, aber der Junge glaubte wohl etwas anderes und so ließ sie ihn in dem Glauben. Also lächelte sie ihn an und antwortete:

“…wie wär’s, wenn ich dir einen Drink spendiere?”

“Radegast, pur…warte, hast du Ghosts?”

“Natürlich.”

Sid griff nach der Flasche Tevarin Rye White Whiskey und schenkte ihm ein. Der Junge musterte Vinny erneut. Seine Nervosität war deutlich spürbar.

“Das ist das erste Mal, dass du eine Nachricht überbringst, stimmt’s?”

Sid hatte seine ganze Aufmerksamkeit und stellte das Glas vor ihm ab.

“Keine Sorge, du machst das toll.”

Der Junge schüttete den weißen Whiskey hinunter und musste sich zusammenreißen nicht alles wieder sofort auszuspucken – zu spät bemerkte er das starke Brennen in seiner Kehle.

“Es ist nur…”, sagte der Junge und wischte sich die Lippen mit dem Ärmel seines abgetragenen Overolls ab, “…na ja, du weißt schon. Es war ein verrückter Tag für mich.”

Sid schenkte ihm nochmals aus der Flasche des Schwarzgebrannten nach, denn sie war sich sicher, dass er nach dem ersten Brennen den Unterschied nicht mehr bemerken würde.

“Erzähl mir davon.”

“Nun, es ist erledigt.”

“Es?”

“Du weißt schon.”

Der Junge beugte sich etwas weiter vor und senkte seine Stimme, bis sie kaum noch hörbar war, “der Konvoi nach Behistun.”

Sids Magen verkrampfte sich. Immanuelle.

Alles, was sie darauf erwidern konnte, war:

“Du bist sicher, dass es…”

“Ja…ich war dort.”

Der Junge leerte seinen Drink und verfolgte nun ebenfalls das Sataballspiel auf dem Bildschirm. Sid schenkte nach und widerstand dem Drang, ihm die Flasche über den Kopf zu ziehen.

“Also, sind wir fertig? Sie sagten, du übernimmst Phase zwei, richtig?”, fragte der Junge.

Sid zwang sich zu einem Lächeln und nickte. Der Junge kippte den letzten Rest hinunter und stellte das Glas ab.

“Ich habe deinen Namen nicht verstanden.”

“Devin.”

Sid prägte sich den Namen ein. Dann sprach sie ihn laut an, um sich seinen Namen tief in ihr Gedächtnis einzumeißeln.

“Pass auf dich auf, Devin.”

Devin lächelte und stolperte zur Tür, jetzt spürte er die Wirkung des Alkohols richtig. Sid verschwand im Büro, das im hinteren Teil der Bar lag. Als sie Talsa sah, erklärte sie ihm, dass sie sich krank fühlte. Talsa seufzte heftig, winkte aber dann ohne weitere Nachfrage ab.

Sekunden später schlüpfte Sid durch die Hintertür der Bar hinaus. Sie überlegte, ob sie Devin folgen und herausfinden sollte, was er sonst noch wusste, entschied sich dann aber dagegen. Im Moment brauchte sie Cyrus. Sid beschleunigte ihren Schritt und machte sich auf den Heimweg.

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Das ständige Dröhnen der landenden und startenden Schiffe erfüllte die Luft, als Sid durch die Straßen von Reis eilte. In der Stadt herrschte am späten Nachmittag reges Treiben, denn die Bewohner beeilten sich, ihre Besorgungen zu erledigen, bevor die bläulich-weiße Sonne von Nexus hinter den stark befestigten Stadtmauern unterging. Die meisten mieden die Straßen nach Einbruch der Dunkelheit. Die Kriminalitätsrate schoss in der Dunkelheit in die Höhe. Sid aber zog es vor im Dunkeln unterwegs zu sein. Dann waren weniger Leute unterwegs.

Sid bog um die Ecke, ging bis zu Q&D Aeroservice und reihte sich dann in das Gedränge ein, das sich durch einen besonders engen Teil der Straße schob. Die Ursache für den Engpass war eine Ansammlung von Hütten, gebaut aus ausrangierten Schiffscontainern. Darin lebten Flüchtlinge von Außenposten, die von den Vucari überrannt worden waren. Diese Überlebenden zählten zu den Glücklichen.

Die Vucari, eine der ältesten Verbrecherbanden in Lago, waren in den letzten Monaten wieder zu Macht und Ansehen gelangt. Unter der Führung des neu ernannten Meisters Kraujas waren sie wieder zur größten Bedrohung in der ganzen Gegend geworden und stellten sogar die Cadejos in den Schatten, die in letzter Zeit für Unruhe gesorgt hatten. Methodisch dehnten die Vucari ihr Gebiet aus, indem sie zivile Außenposten übernahmen. Jeder, der sich wehrte, bekam ihre Grausamkeit zu spüren. Diejenigen, die alle Waffen und Besitztümer abgaben, durften fliehen. Die meisten landeten mit nichts als den Kleidern auf dem Leib daher in Reis. Die kargen Unterkünfte, wie die, an denen Sid sich jetzt vorbeiquetschte, waren zumindest ein kleiner Fortschritt gegenüber dem kaputten Pflaster, das die meisten armen Seelen, die auf der Straße schlafen mussten, zur Verfügung hatten.

Sie ging noch ein paar Blocks weiter, bevor sie in eine stinkende Gasse abbog. Ein ätzender Geruch von menschlichen Abfällen schlug ihr entgegen. Dieser Geruch war neu, ein klares Zeichen für die sich weiter verschlechternde Abfallwirtschaft der Stadt.

Sid hielt den Atem an und wich den Müllhaufen und den seltsamen Drecklachen vorsichtig aus. Ein Seuchenausbruch aufgrund der schlechten öffentlichen Hygiene war das Letzte, was Lago gebrauchen konnte. Die Menschen waren wegen der Wohnungsknappheit und der schrumpfenden Lebensmittelversorgung ohnehin schon nervös. Sid wusste, dass, wenn Reis noch weiter abrutschte, der dünne Firnis der  Zivilisation reissen würde. Sie hatte es schon einmal erlebt und wusste, was dann als nächstes passieren würde.

Die Vucari würden die Zwietracht ausnutzen und noch härter zuschlagen. Reis zurückzuerobern war der Traum eines jeden Kommandanten der Gesetzlosen, seit die UEE den Planeten 2931 gewaltsam zurückerobert hatte. Bandenchef Kraujas wusste, dass er mit einer solchen Eroberung mit seinem Namen in die Geschichte eingehen würde. Er wusste auch, dass die zivile Instabilität sein größter Verbündeter war und dass der Zerfall der Zivilisation die Einnahme der Stadt nur erleichtern würde.

Sid orientierte sich an einem hohen Zaun aus Wellblech und nahm ihn dann genauer in Augenschein. Sie prüfte, ob er intakt war. Sid folgte dem Zaun vorsichtig um die Ecke, bis er an die Rückseite eines zweistöckigen Gebäudes stieß. Sie ging vorsichtig zur Vorderseite des Gebäudes und betrat eine heruntergekommene Reparaturwerkstatt im ersten Stock. Eine Glocke ertönte, als Sid die Tür öffnete.

Hinter dem Service-Tresen standen Regale voll mit Schrott, auf denen sich mehrere Millimeter dicker Staub angesammelt hatte. Sid duckte sich unter dem Tresen hindurch und ging in den Arbeitsraum der Werkstatt.

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Cyrus döste in einem ramponierten Stuhl hinter einem Schreibtisch, der mit mechanischen Teilen und elektronischen Komponenten überhäuft war. Sid stieß die Füße ihres Mannes vom Schreibtisch, was ihn aufweckte. Eine kleine Drohne fiel von seinem Schoß auf den Boden. Cyrus beugte sich nach vorn und nahm sich einen Moment Zeit, da sich sein Zustand nach dem Nickerchen noch nicht viel verbessert hatte. Obwohl Cyrus immer noch scharfsinnig und flink war, reagierte er neuerdings manchmal schwerfällig.

“Warum bist du schon so früh zurück?”, fragte er, während er die heruntergefallene Drohne aufsammelte.

“Wozu ist die Glocke gut, wenn man sie nicht hört?”

Cyrus winkte ab, während er die Drohne auf Schäden untersuchte. Er schnappte sich einen kleinen Schraubenzieher und nahm einige kleine Anpassungen vor. Sid atmete tief durch, denn sie wusste, dass in diesem nächsten Moment alles wahr werden könnte, was sie befürchtete. Cyrus spürte die Pause und sah ihr in die Augen.

“Was ist los?”

“Wir müssen Immanuelles Peilsender überprüfen.”

Cyrus brauchte einen Moment, um die Aussage zu verarbeiten, bevor er sich mit seinem Stuhl drehte, die Drohne auf seinen Schreibtisch warf und zügig zu tippen begann – alles in einer einzigen schnellen Bewegung. Er sah auf seinen Terminal. Sein Tippen ließ die Ersatzteile auf seinem Schreibtisch klappern. Er blickte auf und sah Sid nervös auf und ab gehen. Ihre Schultern waren vor Sorge nach vorne gebeugt. Sekunden später begann Cyrus, ein Programm zu starten, das er seit fast einem Jahr nicht mehr geöffnet hatte. Es war eine Hintertür zu den Geolokalisierungs- und Biofeedback-Sensoren in Immanuelles Rüstung. Eine Funktion, die ihrer Tochter nicht bekannt war.

Cyrus hatte den Sender eingebaut, nachdem ihr Lebensmittel- und Erste-Hilfe-Material Konvoi, der zu Siedlungen in ganz Lago unterwegs war, zum ersten Mal von einem Vucari-Angriff getroffen worden war. Sie hatte danach eine Woche im Krankenhaus verbracht, eine der längsten Wochen seines Lebens. Die Gesetzlosen wurden von Tag zu Tag rücksichtsloser, aber Cyrus wusste, dass das Immanuelle nicht aufhalten würde. In ihrem Alter hätte es ihn auch nicht aufgehalten.

Selbst geschockt darüber, dass er einen geheimen Sender in Immanuelles Rüstung eingebaut hatte, erzählte Cyrus davon Sid. In dem darauffolgenden Streit tadelte sie ihn und dankte ihm gleichzeitig dafür. Die beiden einigten sich darauf, nur dann auf die Informationen des Panzers zuzugreifen, wenn es unbedingt notwendig war. Immanuelle hatte seitdem zahlreiche Lieferungen auf Lagos umkämpften Planeten durchgeführt, ohne dass es zu weiteren Zwischenfällen gekommen wäre. Dies war das erste Mal, dass sie sich gezwungen sahen, den Sender genauer zu überprüfen. Cyrus wusste, dass etwas nicht stimmte, ohne dass er fragen musste, aber er konnte nicht länger schweigend dasitzen.

“Was hast du in der Bar gehört?”

“Ein Junge kam und erzählte von einem Angriff auf einen Konvoi nach Behistun. Er hielt mich für jemand anderen, also weiß ich nicht, wie sehr ich ihm trauen kann …”

“…aber…”

“Er hatte diesen bestimmten Blick in seinen Augen.”

Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Cyrus verstand sofort.

“Glaubst du, es sind wieder die Vucari?”, fragte er.

“Cadejo.”

Cyrus erblasste. Das Programm wurde schließlich initialisiert. Er tippte ein paar schnelle Befehle ein und wartete. Das Terminal pingte kurz und gab dann erste Ergebnisse zurück.

“Und?”, fragte Sid, die sich nicht dazu durchringen konnte, auf den Bildschirm zu schauen. Nach ein paar Sekunden quälender Stille drehte sie sich um und sah Cyrus, der die Daten scannte.

“Geht es ihr gut?”

“Ungewiss”, antwortete er vorsichtig.

“Was soll das heißen? Funktioniert das Ding überhaupt?”

“Das hat es. Bis vor acht Stunden. Seitdem tut sich nichts mehr. Es besteht die Möglichkeit, dass…”

“Wo…?”

Sid ging zum Terminal.

“…woher kam das letzte Signal?”

“34 Grad Nord… 26 Minuten -”

“Ich meine nicht die Koordinaten.”

Sid lehnte sich über den Schreibtisch und erweiterte den sichtbaren Bereich der Karte. Das Signal kam aus der Mitte der Platean-Ebene, etwa auf halbem Weg nach Behistun.

“Das ist Vucari-Gebiet, nicht wahr? Was machen die Cadejo dort?”

Sid dachte kurz darüber nach. Eine Lieferung in feindlichem Gebiet zu überfallen, verstieß gegen den Ehrenkodex, nach dem viele dieser gesetzlosen Rudel lebten. Dann schnappte sie sich ihr Gewehr und legte Munition ein.

“Ich weiß es nicht und es ist mir auch egal.”

Weder Sid noch Cyrus hatten den Mut, ihre Angst auszudrücken, was mit ihrer Tochter geschehen sein könnte. Stattdessen beschlossen sie einfach, es selbst herauszufinden. Die beiden verbrachten die Nacht damit, ihre alte Ausrüstung zusammenzusuchen und vorzubereiten. Sie verrückten Möbel und hoben Bodenplatten an, um Zugang zu den von Cyrus gebauten versteckten Waffenschränken zu erhalten. Die Verstecke waren strategisch in ihrem zweistöckigen Haus platziert, damit die Waffen immer in Reichweite waren, falls Gesetzlose oder irgendwelche anderen Bösewichte aus ihrer Vergangenheit plötzlich vor ihrer Tür auftauchen sollten.

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Sid und Cyrus betrieben nach eigenen Angaben eine kleine Sicherheitsfirma, bevor sie nach Reis zogen. In Wirklichkeit waren sie jedoch gefragte Söldner mit einer beeindruckenden Anzahl von Aufträgen und einer beachtlichen Anzahl von Feinden. Es war das Leben, das sie wollten, bis das Unerwartete geschah. Immanuelle war nie Teil ihres Plans gewesen. Sid war genauso schockiert wie Cyrus, als sie erfuhr, dass sie schwanger war. Die Nachricht erschütterte das Paar und zwang sie, ihr Leben neu zu überdenken. Zu ihrer beider Überraschung stellten sie fest, dass ihnen die Idee, ihre Familie zu vergrößern, gefiel. Das Problem war nur, dass sie dem Tod schon viel zu oft ausgewichen waren und wussten, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er sie einholen würde. Immanuelle war eine Chance, noch einmal neu anzufangen.

Als Immanuelle fünf Jahre alt war, kauften sie das bescheidene zweistöckige Haus auf Reis. Im Jahr zuvor hatte die UEE dem gesetzlosen Pack, das das System jahrhundertelang beherrscht hatten, die Kontrolle über Nexus entrissen. Die Regierung lockte neue Bewohner mit günstigen Grundstücken. Da Sid und Cyrus noch nie innerhalb des Systems gearbeitet hatten, hielten sie dies für einen idealen Ort, um neu anzufangen und die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Vergangenheit einholte, auf ein Minimum zu reduzieren.

Cyrus baute das Erdgeschoss des Gebäudes in eine Reparaturwerkstatt um. Seine Fähigkeit, Dinge zu reparieren, war von unschätzbarem Wert. Angriffe von Gesetzlosen auf Versorgungslieferungen waren an der Tagesordnung. So hatte Cyrus immer etwas zu tun. Sid half bei der Leitung der Werkstatt und der Erziehung von Immanuelle. Sie fühlte sich aber rastlos, bis sie in der Bar „Falling Sky“ anfing. Unter den Söldnern, die dort verkehrten, fand sie ein Stück ihres alten Lebens wieder. Also brachte sie sich selbst bei, wie man einen mörderischen Terra Tornado mixte und überzeugte Talsa, sie dauerhaft anzuheuern.

Die ganze Zeit über wusste Immanuelle nichts über das frühere Leben ihrer Eltern. Es war nicht so, dass Sid und Cyrus ihre Vergangenheit vor ihr verbargen. Sie waren lediglich vorsichtig bei dem, was sie ihr erzählten. Beide hofften, dass ihr Risiko-Gen eine Generation übersprungen hätte. Doch dauerte es nicht lange, bis der Abenteuerdrang ihrer Tochter zum Vorschein kam. Noch bevor sie zehn Jahre alt wurde, hatte Immanuelle jeden noch so kleinen Winkel und jede Gasse in ihrem Viertel erkundet. Als Teenager bekam sie oft Ärger, weil sie sich heimlich ins “Falling Sky” schlich, wenn Sid keinen Dienst hatte. Sie liebte die haarsträubenden und oft grausamen Geschichten der Gäste. Für Sid und Cyrus war bald offensichtlich, dass ihre Tochter aus demselben Holz geschnitzt war wie sie.

Cyrus überprüfte eine Munition nach der anderen, bevor er sie in seinen Rucksack packte. Er versuchte so seine Emotionen in den Griff zu bekommen und sich auf die anstehende Aufgabe zu konzentrieren. In den letzten Monaten hatte er nur am Rande von Tomyris und der Cadejo-Crew gehört. Jede Erwähnung hatte ihm einen Schauer über den Rücken gejagt. Im Gegensatz zu den Vucari, gab es niemanden, der von den Cadejo angegriffen worden war und der es zurück nach Reis geschafft hätte. Es kursierten Gerüchte, dass die Cadejos es vorzogen, Menschen lebend zu fangen und an ihnen ein finsteres Ritual durchzuführen. Cyrus glaubte nicht so recht an diese Geschichten, aber er hatte in seinem Leben schon genug seltsame Dinge gesehen, darum schloss er es auch nicht völlig aus. Wenn die Gerüchte stimmten, so dachte er, hätte Immanuelle zumindest eine bessere Chance, noch am Leben zu sein.

Cyrus warf sich einen Seesack voll mit Ausrüstung und Waffen über die Schulter und trug ihn die Treppe hinunter. Er ließ die Tasche mit einem lauten Knall auf den Boden fallen. Er holte tief Luft und war überrascht, wie erschöpft er war, dann betrat er die Werkstatt.

“T Minus fünfundvierzig Minuten “, rief er Sid zu. “Ich bring den Wagen hinters Haus.”

“Ich helfe dir sobald ich zurück bin.”

Sid stand an einer Werkbank und nahm letzte Einstellungen an ihrem Energiegewehr vor, obwohl sie ihre schwere Rüstung ohne Helm trug. Ihr Glückshalstuch hielt ihr Haar zurück. Der Anblick ließ Cyrus innehalten. In ihrer Zeit als Söldnerin hatte sie immer eine leichte Rüstung getragen, weil sie lieber flink zu Fuß war als stark gepanzert, dafür aber langsam.

Vor ein paar Jahren kam sie von einer Schicht im „Falling Sky“ zurück und trug eine schwere Rüstung. Sie erschreckte Immanuelle halb zu Tode, als sie hinter den Schalter der Werkstatt trat, bevor sie sich zu erkennen gab. Sid behauptete, jemand habe ihr ein gutes Angebot gemacht und erklärte, die Rüstung könnte eines Tages nützlich sein. Nie hätte sie erwartet, dass dies je der Fall sein würde.

“Du ziehst die schwere Rüstung an?”

“Der Zeitpunkt scheint so gut wie jeder andere zu sein”, antwortete sie.

“Der Effekt auf deine Geschwindigkeit und Ausdauer könnte dich überraschen…”

“…Ich dachte, du wolltest den Wagen holen.”

Sid nahm den Blick von ihrer Waffe und sah Cyrus lange an. Ihr Gesicht schien inmitten der massiven Panzerung um sie herum fast zu verschwinden.

“Gut, aber ich muss dir schnell zwei Dinge sagen. Erstens, und da bin ich ganz ehrlich, siehst du ein bisschen lächerlich aus”, sagte er, während er auf die Garage zuging.

Sids Augen funkelten.

“Und zweitens, wenn du deinen Helm aufsetzt, wähle die Einstellung, die mit deinem Namen beschriftet ist. Ich habe deine Vorlieben einprogrammiert.”

Ein kleines Lächeln schlich sich auf Sids Gesicht, das erste, das Cyrus sah, seit sie zu Hause angekommen war. Bevor sie antworten konnte, war Cyrus schon aus der Tür. Das Lächeln war die einzige Bestätigung, die er brauchte, um zu wissen, dass seine Welt nicht völlig zusammenbrechen würde, wenn diese Mission so endete, wie keiner von ihnen zu denken wagte. Die beiden tauschten einen Blick aus, als sie den östlichen Sicherheitskontrollpunkt der Stadt verließen. Es war das erste Mal seit der Geburt von Immanuelle, dass die beiden wieder einen Auftrag hatten.

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Als sie das Mycale-Tal durchquerten, zeichneten sich hohe graue Berge am Horizont ab. Im Gegenlicht der langsam aufgehenden Sonne wirkten sie noch bedrohlicher und imposanter als sie ohnehin schon waren. Während Sid fuhr, berechnete Cyrus mehrere mögliche Routen zum letzten bekannten Aufenthaltsort ihrer Tochter. Als er sie auf die Karte übertrug, sah er, dass sie einen der vielen Pässe durch das Harran-Gebirge nehmen mussten, um die Plateau-Ebene zu erreichen. Er überflog die Liste und war sich nicht ganz sicher, welche Route die sicherste sein würde.

“Der direkteste Weg führt über den Datis-Pass”, stellte er schließlich fest.

“In der Bar wird immer davon gesprochen, dass dieser Pass von Gesetzlosen heimgesucht wird. Gibt es noch andere Möglichkeiten?”

Immanuel hatte einmal erzählt, dass die Überquerung dieses Gebirgszuges oft der beschwerlichste Teil ihrer Reise war.

“Wie wäre es mit dem Sargon-Pass? Vinny schwört, dass es der sicherste Weg Richtung Osten ist.”

“Du vertraust dem Kerl, der auch schwört, dass der Asteroid in Nemo tatsächlich wie ein Weltraumwal aussieht?”

“Er kann sich nicht immer irren. Sieh einfach nach, okay?”

Cyrus lächelte. Die Leichtigkeit ihres Austauschs verflog, als die Absicht ihrer Mission wieder in den Vordergrund rückte. Er überflog die Liste der möglichen Routen, bis er eine über den Sargon-Pass fand.

“Das verlängert die Reise um mindestens eine Stunde.”

Er wählte die Route aus, um sie im Detail zu prüfen.

“Warte…erinnerst du dich an den Ausflug, den Immanuelle und ich vor fünf, sechs Jahren zusammen gemacht haben?”

“Ihr beide lacht immer noch darüber”, seufzte Sid leise.

“Ich wünschte wirklich, du wärst in der Nacht vor unserer Abreise nicht krank geworden.”

“Ich auch.”

Beide schwiegen.

“Wie auch immer, mir ist gerade aufgefallen, dass wir auf dieser Reise den Sargon-Pass genommen haben.”

“Also ist zumindest einer von uns damit vertraut.”

Cyrus nickte. Sid trat auf das Gaspedal und lenkte das Quad weiter südlich in Richtung Pass. Die Federung des Fahrzeugs ruckelte unter dem unwegsamen Gelände. Vor ihnen leckten die Sonnenstrahlen an den Berggipfeln und verliehen dem Gebirge etwas Tiefe und Schärfe. Cyrus nahm sich einen Moment Zeit, um die Aussicht zu genießen, dann machte er sich wieder Gedanken darüber, wie sie sicher über den Pass kommen würden.

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“Warum hast du uns wieder für diesen Scheißjob gemeldet?”

Dmitri zog seinen dünnen Mantel enger um sich herum, um sich vor der Kälte zu schützen, die von den Felsen kam, die seinen Scharfschützenplatz einsäumten.

“Bleib weg vom Funkgerät”, bellte Charlie zurück.

Ein kalter Wind pfiff durch den Sargon-Pass. Ein Schauer lief Dmitri den Rücken hinunter. Als sich der Wind endlich legte, schaute er durch sein Zielfernrohr und scannte den Eingang des Passes, der noch im dunklen Schatten des frühen Morgens gehüllt war. Trotzig sprach er erneut in sein Funkgerät:

“Dieser Pass ist zu schmal, um einen großen Fang zu machen. Du wirst deine neuen Freunde nicht beeindrucken, wenn du Minifische fängst, die hier durchkommen.”

Für einen Geächteten war Charlie ein echter Spielverderber – eine Eigenschaft, die sich noch verstärkt hatte, nachdem die beiden beschlossen hatten, mit den Vucari zusammenzuarbeiten. Dmitri dachte sich, dass es Spaß machen würde, mit einer Bande zu arbeiten, das so viele Gebiete beherrschte.

Währenddessen war Charlie schnell in den Masterplan der Vucari verliebt, um der UEE die Kontrolle über Reis zu entreissen. Dmitri freute sich lediglich auf die Plünderungen. Trotz ihrer verschiedenen Motivationen kauerten Dmitri und Charlie nun auf gegenüberliegenden Seiten des Sargon-Passes und hofften, jeden, der von Reis kam, in einen Hinterhalt locken zu können. Dmitri schaute auf seine Uhr und fragte sich, wie lange die Sonne noch brauchen würde, um den Ausgang des Passes zu erhellen – und was noch wichtiger war – ihm ein wenig Wärme zu spenden.

Dmitri ließ das Scharfschützengewehr in Position und rutschte von seiner Position herunter, damit Charlie den Rauch nicht sehen konnte. Er nahm seinen Helm ab und holte eine Packung Kings aus seiner Tasche. Er genoss den Geschmack, als ihm der erste Zug in den Kopf schoss. Es machte fast alles wieder gut. Plötzlich erfüllte ein leises Summen die Luft. Das Geräusch war leise, aber es kam immer näher. Dmitri scannte den Himmel und entdeckte eine kleine Drohne, die nicht weiter als zehn Meter entfernt schwebte. Irgendein Kerl hat ihn ausspioniert. Dmitri zog seine Pistole. Mit der freien Hand tastete er verzweifelt nach seinem Helm, konnte ihn aber nicht finden. Er drehte sich um, dann wurde plötzlich alles schwarz.

Abgelenkt von der Drohne, sah er nicht, wie sich  Sid genähert hatte. Sie ließ ihr Gewehr sinken und drückte ein paar Knöpfe auf ihrem MobiGlas. Die Drohne flog zu dem gewünschten Standort und landete sicher. Nachdem Sid den Puls des Jungen überprüft hatte, fesselte sie seine Hände und durchsuchte ihn dann aus Gewohnheit, wobei sie nur eine halbe Packung Kings fand. Er trug einen Flickenteppich an Kleidung und eine billige Rüstung, die mit den Vucari-Insignien versehen war.

Sid kletterte den Felsen hinauf, riss das Scharfschützengewehr aus seiner Halterung und kauerte sich hinter eine Felsformation, während sie es untersuchte. Die Seriennummer war ausgefeilt und das Vucari-Emblem grob in den Schaft geätzt worden. Die Vucari verteilten also magere Rüstungen, aber anständige Waffen. Sie machte sich eine geistige Notiz. Sid scannte schnell die andere Seite des Passes durch das Zielfernrohr des Scharfschützengewehrs. Wenn noch jemand in der Nähe war, konnte sie ihn nicht sehen. Mindestens ein, vielleicht auch zwei Vucarir mussten anderswo auf der Lauer liegen. Da war sich Sid sicher. Solange das nicht geklärt war, könnte es gefährlich sein, näher heranzufahren.

“Wir haben Besuch. Habe einen von ihnen überwältigt. Wir werden jeden aufscheuchen müssen, der noch bei der Drohne ist.”

“Ich komme und helfe.”

“Halte deine Position. Wir wissen noch nicht, womit wir es zu tun haben.”

Sid ließ die Drohne erneut starten, um den Pass von oben zu überwachen. Auf den ersten Blick sah alles klar aus. Dann entdeckte sie eine seltsame Form zwischen zwei großen Felsbrocken. Sie ließ die Drohne langsam über der Stelle sinken und sah eine geparkte Dragonfly. Das Ding hatte nur Platz für zwei Personen, also musste es mindestens noch einen Gesetzlosen geben. Plötzlich brach die Videoübertragung der Drohne ab. Ein Schuss hallte durch den Pass, als die Drohne vom Himmel fiel. Sid versuchte, den Ursprung des Schusses auszumachen, aber es war zu spät. Beeindruckend – der Schütze hatte nur einen einzigen Schuss gebraucht, um die Drohne  zu treffen.

Ein seltsames Knistern ließ Sid aufschrecken. Sie drehte sich mit erhobener Waffe um, aber es war niemand zu sehen. Erleichtert atmete sie aus und verfolgte das Geräusch zum Helm des Geächteten, der vor ihr auf dem Boden lag. Es würde nicht lange dauern, bis sein Landsmann merkte, dass diese Position kompromittiert worden war. Sie musste bald handeln. Sid hob langsam den Kopf, das Scharfschützengewehr im Anschlag. Plötzlich brach Gewehrfeuer aus, Kugeln flogen ihr um die Ohren Schnell ging sie in Deckung, hatte aber zumindest den Angreifer im Visier.

“Bist du das, der da schießt?”

Cyrus’ Stimme knisterte in Sids Ohr.

“So ist es… in ein paar Sekunden”, antwortete sie, während sie sich hinter dem Felsen zurechtrückte.

“Ich bin auf dem Weg.”

“Ich schaffe das schon.”

Sid richtete sich mit dem Scharfschützengewehr auf die Stelle aus, an der sie das Mündungsfeuer gesehen hatte. Es war niemand zu sehen. Weitere Schüsse fielen aus einem etwas anderen Winkel. Sie landeten auf dem Boden, bevor sie genau einschätzen konnte, woher sie kamen.

“Hast du ihn erwischt?”

“Ich war es nicht.”

“Ich brauche nur etwas, um das Feuer woanders hinzulenken.”

Cyrus hatte recht. Außerdem waren es nur Handfeuerwaffen gewesen. Das würde ihrem Fahrzeug nicht allzu viel Schaden zufügen.

“Gut. Zeige dich, aber wage dich nicht zu weit nach oben. Nach allem, was wir wissen, könnte der Eingang mit Sprengstoff versehen sein.”

Unweit des Passes versteckt, trat Cyrus auf das Gaspedal. Der Buggy schlingerte vorwärts. Er merkte sich, dass er sich das zu Hause einmal ansehen sollte. In der Zwischenzeit suchte Sid weiter oben eine neue Feuerposition und hoffte, dass ihr neuer Aussichtspunkt zusammen mit Cyrus’ baldiger Ankunft diese Begegnung schnell beenden würde.

“Sie überqueren gerade den Pass”, verkündete Cyrus.

Sid machte ihre Waffe bereit und spähte über eine felsige Böschung, während sie darauf wartete, dass sich dieser Bastard wieder zeigte. Das Rumpeln eines Fahrzeugs hallte durch die Schlucht und kündigte Cyrus Ankunft an. Sid ertastete mit dem Finger den Abzug. Eine plötzliche Bewegung lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie konzentrierte sich auf die Stelle und hielt dann inne. Irgendetwas schien nicht ganz richtig zu sein. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, was sie da sah. Der Gesetzlose hatte eine massive Waffe auf die Schulter gehievt und zielte auf den Buggy.

“Raketenwerfer!”, rief Sid über Funk.

Sie feuerte eine Reihe von Schüssen auf den Verbrecher ab und sah ihn taumeln. Seine Bewegung wurde durch die massive Waffe, die er immer noch auf der Schulter trug, verstärkt. Sid holte tief Luft und feuerte weitere Schüsse ab, während sie ausatmete. Der Verbrecher verschwand schließlich aus ihrem Blickfeld.

Einen Moment später ertönte an der Stelle, an der er gefallen war, eine Explosion. Sid spürte, wie der ganze Berghang erbebte und hörte das deutliche Grollen von Felsen und Geröll. Die Felsformation gegenüber der Stelle, an der der Pirat gestürzt war, war in Stücke gesprengt worden. Cyrus war kurz zuvor instinktiv auf das Gaspedal getreten, weil er befürchtete, dass der Raketenwerfer in seine Richtung gerichtet sein könnte. Das Nächste, was er wusste, war, dass ein Knall durch die Schlucht hallte. Als er begriff, was geschah, war es jedoch bereits zu spät.

Cyrus sah etwas, das wie eine Flutwelle aus Trümmern auf ihn zu raste. Er riss das Lenkrad hart nach links, woraufhin sich das Fahrzeug um neunzig Grad drehte und die Beifahrerseite entblößte, während die Steinlawine auf ihn zurollte. Der Aufprall hob die Räder des Fahrzeugs vom Boden und schleuderte es bergab. Am Fuß des Passes angekommen, überschlug sich der Buggy weitere Make, bis er schließlich liegenblieb.

Sid hörte den Aufprall und das wiederholte Knirschen von Stein auf Metall. Als das Geräusch endlich verstummte, richtete sie ihr Scharfschützengewehr auf die sich auflösende Staubwolke am Fuß des Passes. Das Fahrzeug war auf dem Dach gelandet, ramponiert und zerschrammt, aber in einem Stück. Aus diesem Winkel konnte sie jedoch nicht in das Innere der Kabine sehen.

“Cyrus! Kannst du mich hören?”, rief sie über Funk.

Bevor sie eine Antwort erhielt, begann sie bergab zu rennen. Sid hatte das Gefühl, dass das Leben in Zeitlupe ablief. Schon bald rang sie nach Atem, die schwere Rüstung und die Angst, um Cyrus, trafen sie brutal und hart. Sie hielt an, um sich zu sammeln. Sie blickte dann nach oben und über den Pass. Sie seufzte erleichtert auf, als sie die Dragonfly sah, die immer noch  zwischen zwei Felsblöcken lag, gerade oberhalb der Explosion. Sid nahm die Dragonfly und raste zur Absturzstelle.

Cyrus lag regungslos im Inneren des auf dem Dach liegenden Fahrzeugs. Er war noch immer mit den Sicherheitsgurten an den Sitz gefesselt, nur seine Arme baumelten schlaff an seinem Kopf. Sid griff zog einen MedPen heraus und injizierte ihm eine Dosis. Cyrus erlangte sein Bewusstsein zurück. Sein Körper war voll Adrenalin. Er war verwirrt, langsam drehte er sich um und sah Sid an.

„Hast du ihn erwischt?“

Sid nickte.

“Bist du bereit?”

Er erwiderte das Nicken. Sie schnitt vorsichtig die Sicherheitsgurte durch und half ihm vom Fahrersitz. Befreit, setzte sich Cyrus langsam auf, Geist und Körper waren noch immer nicht ganz wieder da.

“… Ich werde mal sehen, ob ich herausfinden kann, wo der Arzneikasten gelandet ist.”

“Ich helfe dir.”

“Bist du sicher?”

“Bin in fünf Minuten wieder hier.”

Sie hielt den Daumen hoch. Cyrus wollte lächeln, war sich aber nicht sicher, ob er es konnte. Sid kletterte auf die Dragonfly und folgte vorsichtig der Spur der Zerstörung. Cyrus umrundete unterdessen langsam den Buggy, fand aber nichts. Das gab ihm wenigstens einen Grund, sich wieder aufzurappeln. Sid kam schneller als erwartet zurück.

“Kein Glück. Du hast ihn wahrscheinlich auf halbem Weg rausgeschleudert.”

Sid suchte den Horizont ab.

“Wenn wir den Suchradius erweitern wollen, sollten wir uns beeilen. Ich kann nicht garantieren, dass der Vorbesitzer dieses Schätzchen nicht den gesamten Vucari-Clan informiert hat, dass wir versuchen, über diesen Pass zu kommen.”

“Mir geht’s gut. Los geht’s.”

Sid sah ihn unsicher an.

“Das Wichtigste ist, den Pass hinter uns zu lassen, bevor die Verstärkung eintrifft.”

Cyrus zog sein Scharfschützengewehr aus seiner Halterung. Ihm rutschte das Herz in die Hose. Der Lauf war verbeult und leicht verbogen.

“Hier . . .”

Cyrus sah auf, als Sid ihm das Vucari-Scharfschützengewehr zuwarf. Er sah es sich einmal an. Es war nicht schlecht, aber es war nicht seins. Er sprang auf die Dragonfly. Cyrus’ Rücken kam an Sids Rücken zur Ruhe. Er atmete aus, legte das Scharfschützengewehr auf seinen Schoß und schnallte sich an. Sid drehte die Turbinen auf Maximum und konzentrierte sich darauf, so schnell wie möglich Abstand zwischen sich und den Hinterhalt zu bringen. Doch Sid und Cyrus trafen beim Verlassen des Sargon-Passes auf keinen weiteren Widerstand. Sie rasten auf die Platean-Ebene und wurden bald von der Morgensonne geblendet. An verschiedenen Stellen des Horizonts verschwand das Land in der Helligkeit. Diese Lücken wiesen auf geografische Narben hin, die einst Tagebaugebiete gewesen waren, jetzt aber immer häufiger Lager von Banditen. Sid achtete darauf, einen großen Bogen um die Lücken zu machen.

“Folgt uns jemand?”

“Nicht dass ich wüsste.”

Cyrus suchte nach Staubwolken oder anderen offensichtlichen Anzeichen.

“Gut. Wir sind fast da.”

Ein unnatürliches Wirrwarr von Formen zeichnete sich am Horizont ab. Das musste es sein. Sid blickte sich schnell um. Sie konnte kilometerweit in alle Richtungen sehen. Es war ein interessanter Ort, um einen Konvoi zu überfallen. Sid hielt in einiger Entfernung von dem Wrack an. Cyrus beobachtete es mit dem Scharfschützengewehr, aber er entdeckte niemanden. Der Scanner der Dragonfly zeigte auch nichts. Sie näherten sich dem Hinterhalt und umkreisten ihn. Mehrere Lastwagen lagen in verschiedenen Stadien der Zerstörung vor ihnen. Einer war völlig verbrannt, kaum mehr als ein Gerippe. Andere waren von Einschusslöchern und Laserbeschuss durchlöchert. Einer lag auf der Seite. Sid hielt die Dragonfly in der Mitte des Konvois an. Die beiden stiegen ab und blickten in alle Richtungen. Nirgendwo war eine Leiche zu sehen.

“Links oder rechts?”

“Ich nehme links”, antwortete Cyrus.

Er machte sich auf den Weg in die ihm zugewiesene Richtung. Das nächstgelegene Fahrzeug war ebenfalls verbrannt . Außer Rahmen und Asche war nicht viel übrig. Cyrus sah es sich trotzdem genau an. Die völlige Zerstörung musste das Werk der Cadejo-Crew sein. Die Vucari wären vorsichtiger gewesen, damit sie die Ausrüstung für ihre eigenen Zwecke nutzen konnten. Die Cadejo forderten die Vucari eindeutig um die Kontrolle über das Gebiet heraus. Ein solcher Bandenkrieg würde die Region nur weiter destabilisieren und die Versorgung von Behistun noch gefährlicher machen. Cyrus war auf halbem Weg zum nächsten Fahrzeug, als Sid ihn rief.

“Cyrus, zu mir.”

Er drehte sich um und eilte in ihre Richtung. Sid stand am Heck eines weitgehend intakten Trucks, dessen Hecktüren weit geöffnet waren. Wo einst Vorräte gelagert worden waren, lag nun ein Haufen ramponierter Rüstungen. In der Mitte lag das Bruststück von Immanuelles Rüstung. Da er den Brustpanzer im Laufe der Jahre schon so oft repariert hatte, würde Cyrus das Stück Metall überall wiedererkennen. Nachdem sie nach Sprengstoff gesucht hatten, zogen sie Immanuelles Rüstung aus dem Haufen und untersuchten sie.

“Glaubst du an die Gerüchte, dass die Cadejos Menschen lebendig fangen?”

Sid ging langsam von dem Fahrzeug weg, plötzlich zog es sie woanders hin.

“Ich glaube das meiste nicht, was ich höre, aber ich werde mich davon nicht abhalten lassen.”

Cyrus blickte auf und sah, wie Sid in die Ferne starrte. Er schloss sich ihr an, dann sahen sie es gleichzeitig – Reifenspuren, die nach Norden führten.

Sid und Cyrus blickten sich wortlos in die Augen.

“Ich hole die Dragonfly.”

_____________________________

Der Vucari-Zug fuhr über die Platean-Ebene. Kraujas stand auf dem Rücksitz eines schwer gepanzerten Fahrzeugs, das speziell für seine massive Titan-Rüstung umgebaut worden war. Das Fahrzeug verfügte über eine drehbare Plattform, so dass Kraujas  schnell seine Blickrichtung ändern konnte – ein wesentliches Merkmal in Anbetracht der am linken Arm des Titanen Anzugs angebrachten Tachyonen-Kanone. Das Fahrzeug holperte über eine Bodenwelle und nur Kraujas’ Magnetstiefel verhinderten, dass er aus dem Heck geschleudert wurde. Er schlug mit einer metallischen Hand auf die Kabine direkt über dem Fahrer, der sofort abbremste. Die Vucari-Mechaniker scherzten stets, dass diese Kabinenverkleidung das einzige Panzerungsstück des gesamten Fahrzeugs war, das jemals ersetzt werden musste. Geschützt von seiner Vucari-Elitekavallerie und der Tachyonen.Kanone kamen nicht viele Feinde nahe genug an Kraujas’ Fahrzeug heran, um auch nur den Lack zu beschädigen.

Kraujas richtete seine Aufmerksamkeit auf den Horizont, wo er schwarzen, beißenden Rauch von dem überfallenen Konvoi aufsteigen sah. Je näher er dem Ort kam, desto höher kochte die Wut in ihm hoch. Wie konnten sie es wagen, einen so großen Konvoi, der durch sein Gebiet reiste, so dreist anzugreifen? Die Cadejo waren nicht länger ein Ärgernis, sie waren eine Bedrohung, die beseitigt werden musste. Alles hatte vor ein paar Monaten begonnen. Späher der Vucari fanden das Wrack eines kleinen zivilen Konvois am Rande ihres Territoriums. Ein paar Wochen später wurde ein weiterer Konvoi angegriffen. Dann ein weiterer. An jedem Tatort wurden von den Menschen im Konvoi abgerissene Körperpanzer auf einem Haufen gefunden, aber nie irgendwelche Leichen. Das war der Zeitpunkt, an dem die Gerüchte begannen.

Die Geschichten über die Cadejos verbreiteten sich schnell in seinen Reihen. Wie konnten sie immer gewinnen? Wie konnten sie immer spurlos verschwinden? Die Geschichten besagten, dass sie nicht einfach nur Sklavenhändler waren. Es wurde geflüstert, dass der Anführer der Cadejos, Tomyris, vielleicht Menschen entführte, um seltsame, uralte Rituale durchzuführen, die der Mannschaft dunkle Kräfte verliehen. Kraujas wusste es besser, als solchen Unsinn zu glauben, aber einige seiner Truppen taten es trotzdem. Dann begann er, die Angst in den Augen seiner Männer zu sehen, als ein weiterer Angriff auf die Cadejos deutete. In diesem Moment wusste Kraujas, dass sie vernichtet werden mussten. Er konnte nicht zulassen, dass seine Mannschaft jemanden fürchtete – ängstliche Krieger versagten.

Vucari-Spione wurden in ganz Lago ausgesandt, um Informationen über die Cadejos zu sammeln, aber es wurde nichts gefunden. Niemand schien zu wissen, wer sie waren oder wo sie sich versteckten. Das Einzige, was man über die Cadejos wusste, war, dass sie verstärkt Angriffe auf zivile Konvois verübten, die Vucari-Gebiet durchquerten.

Vor Kraujas lag nun der größte Konvoi, der bisher von den Cadejos angegriffen worden war. Außerdem war er direkt auf der Hauptstraße zwischen Reis und Behistun angegriffen worden, eine klarer Angriff an seine Autorität, die ihn vor seinen Truppen und anderen Anführern der Gesetzlosen als schwach erscheinen lassen sollte.  Am Ort des Hinterhalts angekommen, schritt Kraujas durch die noch immer schwelenden Trümmer und versuchte zu verstehen, wie dieser Angriff in einem so weiten Gebiet der Ebene geschehen konnte. Es gab keine guten Orte, um eine angreifende Truppe zu verstecken, die einen Konvoi dieser Größe zerstören konnte. Es existierten auch keine Schäden am Boden, die auf den Einsatz von Minen hindeuteten. Das alles machte einfach keinen Sinn. Kraujas stapfte um den Schauplatz herum und untersuchte jedes Detail. Er schätzte, dass die Cadejo angesichts der Größe des Konvois mit einer beträchtlichen Beute davongekommen waren. Woher hatten sie überhaupt davon gewusst?  Laut Dalton sollte die nächste größere Lieferung nach Behistun Reis erst in zwei Tagen verlassen. Wie konnte dieses Datum geändert werden, ohne dass er davon wusste, aber die Cadejo davon erfahren hatten? Jetzt schien er nicht nur inkompetent, sondern auch nicht mehr auf dem Laufenden zu sein.

Kraujas näherte sich dem Heck des einzigen intakten Trucks. Darin befand sich ein großer Stapel persönlicher Rüstungen, die Visitenkarte der Cadejo-Crew. Eine Welle der Wut duchflutete ihn. Er packte eine der hinteren Türen des Trucks, riss sie mit einer furchterregenden Bewegung aus den Angeln und schleuderte sie hinter sich. Die Tür riss zwei Vucari von den Füßen. Einer blieb regungslos liegen. Der andere krümmte sich vor Schmerzen, bis  Kraujas ihm den Fuß auf den Kopf setzte.

“Wo ist Dalton?”, fragte Kraujas.

Als keine Antwort kam, sahen sich die Vucari untereinander um. Alle Augen suchten nach dem Mann, der diesen Teil ihres Territoriums beaufsichtigen sollte.

“Sir …”

Kraujas drehte sich zu einem Gesetzlosen um, der auf die Leiche zeigte, die er gerade zertreten hatte. In das Bruststück war ein verschlungenes Vucari-Emblem geätzt. Dalton hatte es selbst von Hand geschnitzt.

Kraujas blickte die schlaksige Gestalt an, die auf Daltons Leiche zeigte.

“Wie ist dein Name?”

“Colby, Sir.”

“Da du so aufmerksam bist, sag mir, was zum Teufel hier passiert ist.”

Colby stockte, unsicher, was er antworten sollte. Dann erinnerte er sich an etwas, das er bei der ersten Begutachtung des Geländes gesehen hatte.

“Sie haben vergessen, ihre Spuren zu verwischen. Sie sind sonnenklar und gehen nach Norden.”

Kraujas lächelte.

“Zeig sie mir.”

_____________________________

Sid und Cyrus waren der Spur gefolgt. Sie hielten an, als der Weg in ein kleines Tal führte, das einen breiten Eingang hatte und sich dann verengte. Um nicht ins Ungewisse zu stürmen, suchten Sid und Cyrus ein Versteck abseits des Weges und sahen sich detaillierte Karten der Gegend an. Das Tal führte zu einem alten Außenposten, der am Rande eines tiefen Tagebaus lag. An diesem Außenposten musste die Spur enden und höchstwahrscheinlich wurde ihre Tochter dort als Geisel festgehalten.

Mit dem Rücken zur Mine bildete das felsige Tal einen perfekten Engpass – mit Geschütztürmen, die jede Seite flankierten, war es unmöglich, sich dem Außenposten aus dieser Richtung unauffällig zu nähern. Den beiden blieb nichts anderes übrig, als nach einer alternativen Route zu suchen. Dann bemerkte Cyrus, dass eine alte Förderstraße in die Mine hinabführte. Sie begann in der Nähe des Außenpostens, tauchte in die Mine ein und schlängelte sich auf der anderen Seite wieder nach oben, in der Nähe einer Reihe von Abraumhalden, auf denen der gesamte nicht benötigte Dreck aufgeschüttet wurde.

Wenn sie über die Abraumhalden auf die Förderstraße gelangten, konnten sie in die Mine vordringen und sich vielleicht von hinten an den Außenposten heranschleichen, dachte er. Sobald sie nahe genug waren, könnten sie dann genau einschätzen, womit sie es zu tun hatten und festlegen, wie sie eindringen konnten. Außerdem bestand immer noch die Möglichkeit, dass ihre Tochter irgendwo in der Mine selbst als Geisel festgehalten wurde. Vielleicht konnten Sid und Cyrus Immanuelle befreien, ohne sich mit Tomyris und dem Rest der Cadejos auseinandersetzen zu müssen.

Sid und Cyrus lenkten ihren Kurs auf die andere Seite der Mine. Sie fanden einen Weg, der sie oberhalb des Tals entlangführte. Sie hielten kurz an, um den Außenposten und seine beiden Türme von oben zu betrachten. Sie hielten sich jedoch nicht lange auf, da sie befürchteten, die Cadejos könnten sie ihrerseits beobachten. Die Minengrube war vor Jahrhunderten verlassen worden, nachdem sie ausgebeutet worden war und seitdem zu einer Müllhalde für Schutt und alles andere geworden, was nicht wiedergefunden werden sollte. Der Gestank von verrottendem Müll und Industrieabfällen war sogar von ihrem Platz oberhalb des Tals aus deutlich wahrnehmbar. Die üblen Dämpfe hielten selbst die eifrigsten unerwünschten Besucher fern und machten den Ort zu einem perfekten Zuhause für ein geheimnisvolles Rudel von Gesetzlosen.

Sid steuerte die Dragonfly vorsichtig um den Rand des Tals herum zur anderen Seite der Mine. Cyrus blickte von oben auf die Abraumhalden hinunter. Mitten durch die Reihen verlief die Förderstraße. Alles schien klar zu sein, bis er bemerkte, dass sich jemand bewegte. Die Person ging an einer der Abraumhalden vorbei und zogen einige Tarnnetze von einem Geschützturm, der perfekt platziert war, um jeden, der vorbeiflog, aus dem Hinterhalt anzugreifen.

“Sieht aus, als hätten wir ein Ziel.”

Sid senkte die Signatur der Dragonfly so weit wie möglich, als sie sich der Förderstraße auf der anderen Seite der Mine näherten. Sie überprüfte ihre Scans und glaubte ihnen nicht so recht. Sie stimmte mit Cyrus überein. Es gab nur eine Person und einen Geschützturm, die diese Seite der Mine bewachten. Sid schob die Dragonfly heimlich zwischen zwei Reihen der Abraumhalde hindurch. Sie stellte den Motor ab, während Cyrus absprang und sein Scharfschützengewehr entsicherte. Er stützte das Gewehr auf dem Rücken der geparkten Dragonfly ab und richtete das Fadenkreuz auf den feindlichen Mechaniker, der offenbar verzweifelt den Bodenturm reparierte.

“Wird uns der Geschützturm Probleme bereiten?”, fragte Sid.

“Nicht, wenn wir uns beeilen. Sieht aus, als würde er repariert werden.”

“Ich schaue mich mal um.”

“Ich gebe dir Deckung”, antwortete Cyrus mit einem Auge auf den Mechaniker.

“Ich bleibe hier und überwache das Vucari-Geschehen.”

Cyrus hatte sich in die Kommunikation der gestohlenen Dragonfly gehackt, damit sie über die Bewegungen der Vucari auf dem Laufenden bleiben konnten. Sid nickte, überprüfte die Scanner ihres Anzugs und stieß dann vor. Sie eilte zu einem besseren Aussichtspunkt, überprüfte dann erneut ihre Scanner und konnte die Ergebnisse immer noch nicht ganz glauben. Warum sollten die Cadejo die Abraumhalde der Mine so schwach verteidigen? Sid beobachtete den Mechaniker einen Moment lang bei seiner Arbeit. Der Mechaniker drehte sich um, um sich ein anderes Werkzeug zu schnappen, so dass Sid einen guten Blick auf sein Gesicht werfen konnte. Es war Devin, der Junge, der sich versehentlich ins „Falling Sky“ verirrt und das alles ausgelöst hatte.

“Das ist definitiv der richtige Ort”, sagte Sid. Sie wartete auf Cyrus’ Antwort, aber es kam keine.

“Cyrus…alles in Ordnung?”

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“Sie haben die Spur gefunden. Verdammt, wir haben vergessen, sie zu verwischen.”

“Was..?”

“Sie kommen, die Vucari. Kraujas hat gerade einen Aufruf an alle in der Gegend geschickt, sich ihm anzuschließen.”

Bei jeder anderen Mission hätten Sid und Cyrus die Spur, die sie beim Verlassen des Hinterhaltes gefunden hatten, verwischt, damit ihnen niemand folgen konnte, aber diesmal waren sie nachlässig gewesen. Die Möglichkeit, dass ihre Tochter noch am Leben sein könnte, überstrahlte alles andere. Dieses Versehen war genau der Grund, warum Cyrus jungen Söldnern immer sagte, dass sie niemals etwas Persönliches bearbeiten sollten.

“Wie viel Zeit haben wir?”, fragte Sid.

“Nicht genug, in Anbetracht all der neuen Variablen”, murmelte Cyrus leise und richtete seine Waffe neu auf den Mechaniker aus.

“Wie sieht es mit dem Scan aus? Soll ich den Mechaniker ausschalten?”

Sid sah wieder zu Devin. Auch wenn sie ihn für seine Rolle bei dem Angriff auf den Konvoi verachtete, wusste sie, dass sie ihn brauchten.

“Negativ. Lass ihn uns stattdessen schnappen. Finden wir heraus, ob er weiß, was sie mit Immanuelle gemacht haben. Komm zu mir.”

Cyrus schob sich vorsichtig vor, bis er an ihrer Seite war. Sid überprüfte noch einmal ihren Scanner, dann schlichen sie zu Devin und dem Geschützturm. Sie mussten sich beeilen. Wenn Devin das Ding in Gang setzte, während sie sich näherten, wären sie in tödlicher Gefahr.

Obwohl ihr letzter Söldnerjob schon zwei Jahrzehnte zurücklag, bewegten sich die beiden immer noch synchron zueinander. Wenn Sid in die eine Richtung schaute, schwenkte Cyrus in die andere. Sid hielt häufig an, um die Scans zu überprüfen und Luft zu holen. Cyrus richtete sein Scharfschützengewehr auf den Mechaniker und versuchte, die laufenden Reparaturen zu beurteilen. Sie begaben sich zu einer Abraumhalde in der Nähe des Geschützturms. Devin war zu sehr mit seinen Reparaturen beschäftigt, als dass er mitbekam, was um ihn herum geschah. Er stand auf und streckte sich. Er musste nur noch den Geschützturm mit Strom versorgen, dann sollte er wieder einsatzbereit sein. Er griff nach der Schalttafel und wäre beinahe von einer Kugel getroffen worden. Devin stolperte erschrocken zurück, fiel über sein Werkzeug und knallte zu Boden. Als er aufblickte, hatte er ein Gewehr im Gesicht.

“Hände hoch”, sagte Sid, die sich in ihrer schweren Rüstung über ihn beugte. Devin hob seine Hände.

“Und jetzt schön langsam aufstehen. Ich will dir nicht wehtun müssen.”

Devin befolgte den Befehl, seine Augen klebten die ganze Zeit auf ihr, obwohl er Sid in ihrer schweren Rüstung nicht zu erkennen schien. Gut. Cyrus stürmte mit erhobenem Scharfschützengewehr auf sie zu und kam ohne Umschweife zur Sache.

“Wo sind die Gefangenen?”

“Welche Gefangenen?”, erwiderte Devin nervös.

“Mach ihn nicht wütend, Devin”, warf Sid ein.

“Woher wisst ihr, dass mein Na-?”

“Wir wissen viele Dinge”, fuhr Sid fort. “Zum Beispiel, was ihr mit dem Konvoi nach Behistun gemacht habt.”

“Ihr seid Vucari, nicht wahr?”

Cyrus schüttelte den Kopf:

“Betrachte uns einfach als Leute, die dein Leben in den Händen halten.”

Ein leises Zittern bahnte sich seinen Weg durch Devins Körper. Es war subtil, aber Sid bemerkte es. Zeit für die Schmeichelei.

“Hör zu, hilf uns, das zu bekommen, was wir wollen und wir lassen dich gehen. Verstehst du?”

Devin nickte nervös,

“Was wollt ihr?”

“Ich will wissen, wo zum Teufel meine Tochter ist!”

“Wie sollte…ich meine, ich weiß nicht einmal, wer ihr seid. Wie soll ich denn -”

“Sie war ein Teil des Konvois nach Behistun. Ihre Rüstung war in dem Haufen, den ihr zurückgelassen habt.”

Devin starrte Sid mit einem verlorenen Gesichtsausdruck an. Cyrus trat einen Schritt vor.

“Kein guter Zeitpunkt, um den Dummen zu spielen, Devin”, sagte Sid.

“Deine Hilfe wird dir das Leben retten.”

“Aber ich weiß nicht, wovon du redest -”

Cyrus schlug einen festen linken Haken in Devins Leber. Er fiel auf die Knie und schnappte nach Luft. Sid legte eine Hand auf Cyrus’ Schulter.

“Verarsch uns nicht”, sagte Sid streng. “Wir wissen, dass du eine Rolle bei dem Vorfall mit dem Konvoi gespielt hast.”

“Ja, aber ich weiß nichts von irgendwelchen Gefangenen.

Devin stand langsam wieder auf.

“Habt ihr jemanden in der Mine eingesperrt?”

“Nein, warum sollten wir?”

“Vielleicht sind sie dann auf dem Außenposten?”

“Ich sage es dir. Ich weiß nichts von einem Gefängnis -”

Cyrus schlug Devin erneut auf dieselbe Stelle. Der Junge fiel auf alle Viere. Sid musterte ihn. Entweder war er ein Fan von Bestrafung oder er war wirklich ahnungslos.

“Devin, so muss es nicht sein. Wir wollen es dir leicht machen, okay? Steh auf.”

Devin nickte, während er sich langsam erhob. Sid legte ihm eine massive Hand aus ihrer schweren Rüstung auf die rechte Schulter.

Devin zuckte unter dem Gewicht zusammen, da es die Seite seines Körpers belastete, in der die Leber saß.

“Bringen wir auf den Punkt, was wir wissen”, begann Sid. “Du warst bei dem Überfall dabei, richtig? Das wissen wir mit Sicherheit.”

Devin nickte mit dem Kopf.

“Das ist ein guter Anfang. Da du dabei warst, kannst Du sicher verstehen, warum es uns schwerfällt zu glauben, dass du absolut keine Ahnung hast, was mit den Leuten in diesem Konvoi passiert ist.”

Devins Augen wurden groß.

“Das liegt daran, dass Tomyris mich auf eine Mission geschickt hat, bevor sie fertig waren.”

Cyrus warf einen Blick zu Sid, die nickte. Der Junge war im „Falling Sky“ aufgetaucht und hatte ihr fälschlicherweise diese Nachricht überbracht. Vielleicht wusste der Junge es wirklich nicht. Er tat jedenfalls nicht so, als würde er versuchen, ein Geheimnis zu verbergen.

“Wer sollte es dann wissen, Tomyris?”

Devin nickte.

“Wo ist Tomyris?”

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Devin schien besser darin zu sein, seinen Mund zu halten, wenn er nüchtern war. Er ging schnell und leise zwischen den beiden hindurch, als sie in die Mine hinabstiegen und sprach nur, wenn ihm eine direkte Frage gestellt wurde. Sid und Cyrus überhäuften ihn mit Fragen darüber, was sie auf dem Außenposten erwartete. Seine Antworten waren schnell und direkt. Keine Pausen deuteten darauf hin, dass er über eine Antwort nachdenken musste. Devin behauptete, es seien nur fünf Personen drinnen, einschließlich Tomyris. Diese Zahl erschien Sid zu niedrig. Es musste noch mehr geben. Sid ging voran und hielt häufig an, um ihre Scans zu überprüfen. Je tiefer sie kamen, desto mehr altes Bergbaugerät sahen sie um sich herum verstreut. Einiges davon sah aus, als wäre es von oben in die Tiefe gestoßen worden.

Auf dem Grund der Mine stand ein riesiger Kran in der Mitte der Grubensohle. Um ihn herum stapelten sich alte Bergbauausrüstung und Fahrzeuge. Sid begutachtete den verlassenen Betrieb, als sie sich näherten. Es sah nicht so aus, als würden sie irgendetwas reparieren oder abbauen, sondern nur den massiven Kran benutzen, um den Schutt zu sortieren. Cyrus hielt seine Augen nach Anzeichen von Gefangenen oder seltsamen Ritualplätzen offen. Bis jetzt hatte er keine Anzeichen für beides gesehen. Er hatte keine Ahnung, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen für die Sicherheit ihrer Tochter war. Sid brachte sie hinter einem rostigen Fahrzeug zum Stehen, das sich auf halber Strecke durch die Grube befand. Sie holte ihren Scanner hervor und untersuchte ihn. Dann blickte sie auf und sah ein schwaches Logo der Hathor-Gruppe an der Seite des Trucks vor ihr. Sid hatte es vor kurzem irgendwo anders gesehen, konnte es aber nicht mehr zuordnen.

Sie schüttelte den Gedanken ab und warf einen Blick auf ihr eigentliches Ziel – den kleinen Außenposten, der auf der anderen Seite der Mine lag. Sie betrachtete einen Lastenaufzug, der in die Seite der Mine hinter dem Außenposten eingebaut war. Ihn zu nehmen wäre schneller als zu Fuß zu gehen, könnte aber Aufmerksamkeit erregen. Cyrus warf einen Blick auf den massiven Kran, der sich über ihm erhob. Eine riesige Metallscheibe baumelte vom Ausleger. Fasziniert fragte er:

“Ist das eine Art Magnet?”

“Der ist so stark, dass er einen Truck einfach vom Boden abhebt”, sagte Devin stolz.

Sid tippte Cyrus an und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf das eigentliche Thema.

“Schau dir den Lift an.”

Er hob sein Scharfschützengewehr und suchte den Aufzug ab. Der Bereich sah sauber aus. Dann konzentrierte er sich auf die Konsole des Fahrstuhls. Er nickte Sid zu, zuversichtlich, dass er sie so hacken konnte, dass man sie nicht kommen sehen würden.

“Wie weit ist das Gelände zwischen dem Aufzug und dem Außenposten?”

“Ich weiß es nicht …”

“Schätze.”

“Ich meine es ernst, ich kann Entfernungen schlecht einschätzen. Dreißig Meter…vielleicht?”

“Was ist mit den Geschütztürmen?”

“Was ist mit denen?”

“Werden sie sich gegen uns wenden?”

Devin schüttelte den Kopf.

“Sie sind so programmiert, dass sie sich nur um die Feinde direkt vor euch kümmern. Ich kann dir zeigen, dass -”

“Du solltest nur eines wissen”, unterbrach ihn Sid, “du wirst direkt vor uns stehen, wenn wir den Gipfel erreichen. Wenn die Dinger in unsere Richtung schießen, treffen sie dich zuerst, verstanden?”

Devin nickte.

“Also, ich frage noch einmal. Müssen wir uns wegen der Geschütztürme Sorgen machen?”

“Nein, ich sage die Wahrheit. Ich versuche zu helfen.”

“Das hoffe ich. Ich hoffe es wirklich.”

“Lass ihn die Türen noch einmal beschreiben”, sagte Cyrus.

“Du hast den Mann gehört. Enttäusche ihn besser nicht.”

Devin nickte erneut.

“Wenn man aus dem Aufzug steigt, gibt es geradeaus eine Tür. Sie führt in den Hauptraum, in dem sich wahrscheinlich alle gerade aufhalten. Dann gibt es noch eine zweite Tür rechts, die wie eine Garage aussieht und die ich öffnen kann.”

Cyrus könnte sich einhacken, aber mit dem Ausweis des Jungen würde es schneller gehen. Je schneller sie waren, desto besser. Im Moment war ihr einziger Vorteil das Überraschungsmoment.

“Erkläre mir den Plan noch einmal”, forderte Sid.

“Wir… ähm… gehen auf den Gipfel. Ich bleibe direkt vor euch beiden, während wir zum Garagentor rennen.”

“Und…”, spornte Sid ihn an.

“…und“, fuhr Devin zögernd fort. “…wenn ich mich jemals mehr als zwei Schritte von euch beiden entferne oder irgendetwas Dummes tue, dann werdet ihr mich wahrscheinlich umbringen.”

“Definitiv umbringen”, betonte Cyrus.

Devin schluckte.

“Jetzt, wo wir alle auf derselben Seite stehen…”, sagte Sid. “…lasst uns aufbrechen.”

Die drei durchquerten die Grube und liefen zum Aufzug. Cyrus hackte die Konsole, übernahm die Kontrolle und schaltete die Sicherheitskameras aus. Sie stiegen ein und fuhren nach oben.

Sid schüttelte den Kopf.

“Ich versteh’s nicht.”

“Was?”

Devin schluckte den Köder.

“Was hast du mit all dem zu tun? Du arbeitest mit Leuten, die schreckliche, schreckliche Dinge tun. Ich weiß nicht, ich glaube, das ist einfach nicht dein Stil, Junge.”

“Ist es auch nicht”, schoss er schnell zurück. “Ich bin hergekommen, um den Kran zu reparieren. Ich bin geblieben, weil ich an die Mission glaube.”

“Welche Miss -”

Die Stromzufuhr zum Aufzug wurde unterbrochen. Die Kabine kam ruckartig zum Stehen, als die Bremsen anschlugen. Alle Systeme fielen aus und fuhren plötzlich wieder hoch.

Sid richtete ihr Gewehr auf Devin.

“Ich habe nichts getan.”

Devin hob langsam die Hände über den Kopf.

Während sie ihr Gewehr auf ihn richtete, gab Sid Cyrus ein Zeichen, der zur Konsole schritt. Er drehte sich wieder zu ihr um und schüttelte den Kopf. Sie hatten keine Kontrolle mehr über den Aufzug. Das winzige rote Licht der Kamera in der Ecke zeigte, dass sie beobachtet wurden. Plötzlich setzte sich der Lift wieder in Bewegung.

“Ich schätze, sie wollen uns treffen”, sagte Sid.

“Du solltest hoffen, dass deine Freunde dich so sehr mögen, dass sie verhandeln wollen”, sagte Cyrus.

“Sie brauchen mich, ich schwöre es”, sagte Devin. “Ich bin der Einzige hier, der wirklich etwas über diesen verdammten Kran weiß.”

Sid und Cyrus positionierten Devin vor dem Tor und bereiteten sich auf einen Überfall vor. Der Aufzug setzte sich in Bewegung. Das Tor senkte sich vor ihnen. Jemand winkte sie vorn, aber sie blieben an Ort und Stelle.  Einen Moment später öffnete sich das Haupttor des Außenpostens und eine Gestalt trat langsam mit erhobenen Händen vor.

“Wer ist das?”

“Tomyris”, antwortete Devin.

.

Kapitel 02

„Also…wer ist das?“, fragte Sid nochmals.

“Tomyris”, antwortete Devin.

Tomyris trat langsam aus dem Schatten und kam näher. Ihre Rüstung sah aus, als hätte sie auf dem Schlachtfeld die Hölle durchgemacht: Einschläge, Schüsse, Energieverbrennungen – das volle Programm. Seltsame Symbole waren mit grellen Farbklecksen aufgebracht worden. Etwa auf halbem Weg blieb die Gestalt stehen und nahm langsam den Helm ab. Ihr langes braunes Haar war mit einem Glücksband zurückgebunden.

Cyrus ließ sein Scharfschützengewehr sinken, als er ihr Gesicht sah:

“Das glaub ich jetzt nicht …”

Cyrus stürmte achtlos nach vorne.

Sid nahm ihre Waffe höher, sah sich die Frau aber ganz genau an. Das Kopftuch, der trotzige Blick in ihren Augen – das konnte nur eine Person sein.

Cyrus erreichte die Frau und zog sie in eine Umarmung. Devin sah zu Sid hinüber –

“…was zum Teufel ist hier los?”

“Das ist unsere Tochter.”

“Tomyris?”

Sid nickte und sah Immanuelle an, die es selbst kaum zu glauben schien.

“Scheint so.”

Sid fühlte sich, als würde sie durch Treibsand waten, als sie auf ihre Tochter zueilte. Von ihrer schweren Rüstung gebremst, erreichte sie Immanuelle schließlich schwer atmend. Sid zog ihre Tochter an sich und war sehr glücklich, dass sie noch am Leben war.

Nach einer innigen Umarmung, sah Sid Immanuelle an und schüttelte den Kopf. Sie konnte es kaum fassen. Nichts machte wirklich Sinn. Während des längsten und qualvollsten Tages in Sids Leben dachte sie, dass Tomyris, der berüchtigte Anführer der Cadejos, ihre Tochter getötet oder gefangen genommen hatte, stattdessen erfuhr sie jetzt, dass ihr kleines Mädchen Tomyris selbst war.

“Worauf hast du dich da eingelassen?”

“Das könnte ich dich auch fragen”, erwiderte Immanuelle und musterte ihre Mutter von oben bis unten.

“Du hast mich zu Tode erschreckt. In dieser schweren Rüstung in den Aufzug zu kommen. Gut, dass ich Dad erkannt habe, sonst…”

Immanuelle beschloss, den Satz nicht zu beenden. Sie betrachtete Sid und Cyrus, vielleicht noch verblüffter über diese Wendung als die beiden. Diese Leute waren nicht die Mutter und der Vater, die sie in Reis zurückgelassen hatte. Sie hatte sie noch nie so gesehen. Zusammen, in voller Montur, gaben sie ein imposantes Paar ab.

“Was macht ihr hier?”, begann sie.

“Wir dachten, du wärst entführt worden.”

“Oder getötet”, fügte Cyrus hinzu.

“Wie kommt ihr auf so etwas?”

Sid nahm ihren Helm ab und nickte Devin zu. Seine Augen wurden groß.

“Devin kam in die Falling Sky, während ich an der Bar bediente. Er überbrachte eine kryptische Nachricht von Tomyris.”

Immanuelles Augen verengten sich.

“Das ergibt keinen Sinn.”

“Das habe ich mir auch gedacht. Also schenkte ich ihm ein paar Drinks ein, bis er mir etwas über den Angriff auf den Konvoi nach Behistun verriet.”

“Wir mussten wissen, ob du noch am Leben bist”, sagte Cyrus und drückte sanft Immanuelles Hand.

Immanuelle konnte immer noch nicht glauben, dass ihre Eltern hier bei ihr waren. Sie hatte extra Vorkehrungen getroffen, um ihre Eltern im Unklaren darüber zu lassen, was sie vorhatte. Das Letzte, was sie wollte, war, dass sie sich Sorgen machten. Dann wurde ihr etwas klar und sie wandte sich an Devin.

“Warte, warum bist du in die Falling Sky gegangen?”

“Weil du mir gesagt hast, dass ich dorthin gehen soll”, antwortete Devin nervös.

“Ich habe dir erzählt, dass ich dort aufgewachsen bin”, sagte Immanuelle. “Du warst nicht im Cliff’s Edge, oder?”

Devin zögerte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf.

Immanuelles Herz begann zu klopfen. Kein Wunder, dass ihre Verstärkung nicht gekommen war. Sie waren immer noch in Cliff’s Edge und warteten auf die Nachricht, dass die Mission erfolgreich gewesen war. Das änderte alles. Ohne Verstärkung würde die Abraumhalde der Mine unbewacht sein, abgesehen von diesem Geschützturm. Sie wandte sich an Devin.

“Hast du wenigstens den Geschützturm bei den Abraumhalden repariert?”

Devin schüttelte den Kopf.

“Verdammt noch mal -”

“Das ist nicht meine Schuld. Er hat darauf geschossen.”

Cyrus stimmte achselzuckend zu. Immanuelle drehte sich um und eilte in Richtung des Stützpunktes. Sid und Cyrus sahen sich an, dann eilten sie ihr hinterher. Devin folgte den dreien, immer noch benommen von allem, was vor sich ging. Als sich die Türen des Stützpunktes öffneten, sah sich Sid prüfend um. Er war in eine Art Kommandozentrale umgewandelt worden. Vier weitere Cadejos befanden sich darin, bereit für einen Kampf. Margo und Red sahen nicht einmal von ihren Terminals auf. Dee hielt eine Schrotflinte in der Hand und beäugte Sid und Cyrus misstrauisch. Sie stand in der Nähe von Arch, einem Tevarin, der seinen Blick vom Hologlobe abwandte und versuchte, Immanuelles Aufmerksamkeit zu gewinnen.

“Hört zu”, Immanuelle hielt inne, bis alle sie ansahen.

“Die Kavallerie wird nicht kommen. Wir sind allein.”

Alle warfen sich nervöse Blicke zu. Selbst die beiden an den Terminals sahen von ihren Bildschirmen auf.

“Konzentrieren wir uns also darauf, uns so gut wie möglich zu verteidigen. Aber bereitet euch für Phase zwei auf einen Rückzug vor, sobald ich den Befehl dazu gebe. Ist das klar?”

“Kristallklar”, antwortete ihre Crew unisono.

“Moment mal”, sagte Cyrus mit erhobener Stimme zu Immanuelle.

Da er die Aufmerksamkeit aller auf sich zog, nutzte er die Gelegenheit.

“Wir müssen von hier verschwinden. Die Vucari kommen.”

“Das wissen wir”, antwortete Immanuelle. “Wir haben sie hergelockt.”

Cyrus stand fassungslos da und wandte sich dann an Sid, die aussah, als würde sie gleich ausrasten.

“Was zum Teufel ist hier los?”, platzte Sid schließlich heraus.

“Das ist eine lange Geschichte …”

“Dann fang an zu reden. Wir haben einen verdammt langen Weg hinter uns.”

“Mom, ich weiß. Es tut mir leid. Ich wollte nie -”

“Entschuldigungen?”

Sid flippte aus.

“Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Vor zehn Minuten habe ich mir noch Sorgen gemacht, dass du tot sein könntest. Jetzt bist du nicht nur am Leben, sondern auch noch Tomyris, eine verdammte, gesetzlose Anführerin.”

“So einfach ist das nicht.”

“Dann machen wir es einfach. Bist du für die Angriffe auf diese Konvois verantwortlich?”

“Nun … ja und nein. Es waren keine Anschläge…”

“Erzähl Deiner Mutter keinen Scheiß. Wir haben gesehen, was mit dem Konvoi nach Behistun passiert ist.”

“Ich leugne es nicht. Ich versuche dir nur zu sagen, dass wir es inszeniert haben.”

“Wie bitte? Wie das?”, fragte Cyrus ungläubig.

“Jeder Angriff, der den Cadejos zugeschrieben wird, war eigentlich inszeniert”, erklärte sie sachlich.

“Devin nutzt den Kran, um alte Fahrzeuge aus der Mine zu holen. Dann schießen wir auf sie, jagen sie vielleicht sogar in die Luft, damit sie so aussehen, wie sie aussehen sollen und entsorgen dann das, was übrig ist, auf Vucari-Gebiet.”

Cyrus versuchte das Puzzle zusammenzusetzen.

“Aber es waren nicht nur Anschläge. Was ist mit all diesen Gerüchten? Die über die Cadejos und ihr seltsames rituelles Zeug?”

“Nur Gerüchte, um die Cadejos unvergesslich zu machen. Manche Leute glauben nach ein paar Drinks alles. Viele Gerüchte fangen im kleinen Kreis an, mit ein paar Leuten, die sich in dunklen Bars unterhalten, stimmt’s, Mom?”

Sid war still. Immanuelle schmunzelte. Sie wusste, dass ihre Mutter das nicht widerlegen konnte. Es war ja schließlich ihr Zitat.

“Außerdem”, fuhr sie fort, “muss es einen Grund geben, warum es an den Fundorten keine Leichen gab, sondern nur Wrackteile und Schutzwesten.”

Sid schüttelte den Kopf. Insgeheim war sie beeindruckt, aber sie wagte nicht, es ihre Tochter wissen zu lassen. Zumindest nicht, bis sie die offensichtlichste Frage beantwortet hatte.

“Warum machst du das alles?”, fragte sie schließlich.

“Weil es jemand tun musste, bevor Kraujas und die Vucari die Stadt übernehmen. Die UEE kümmert sich nicht um uns, sonst würden sie etwas gegen die Vucari unternehmen. Kraujas weiß das. Er macht sich mehr Sorgen um Gesetzlose als um alles andere.”

“Aber warum ausgerechnet du?”

“Als mein Konvoi letztes Jahr in einen Hinterhalt geraten ist …”

Immanuelles Stimme klang ergriffen.

“…ich lag da, halb tot und sah zu, wie die Vucari meine Freunde hinrichteten. Nachdem es vorbei war, habe ich darauf gewartet, dass jemand, irgendjemand, auftaucht und sie zur Strecke bringt, aber nichts ist passiert. Ich habe es dem Hauptquartier gemeldet, aber sie haben nur Entschädigungsschecks für die hinterbliebenen Familien ausgestellt. Dann ging es wieder zur Tagesordnung über. ”

“Hey”, rief Margo von der Kommunikationsstation.

“Rua ist in der Leitung. Die Vucari sind im Begriff, in das Tal einzudringen.”

Immanuelle fing sich schnell wieder und rief selbstbewusst: “Pass auf, dass er nichts Riskantes tut. Sieht aus, als bräuchten wir den Truck.”

“Verstanden.”

“Mom, Dad, ihr müsst sofort von hier verschwinden. Devin wird euch zurückbringen…”

“Warte, was?,” stotterte Devin.

Alle ignorierten ihn.

“Wir gehen alle oder keiner geht”, erklärte Cyrus. Sid nickte. Ihr besorgter Blick ging hinüber zu ihrer Tochter.

“Das ist kein Scherz, Dad. Mit unserer eigentlichen Verstärkung, die in Cliff’s Edge wartet, sind wir zahlenmäßig und waffentechnisch unterlegen. Das wird ein echter Kampf werden.”

“Oh, mach dir keine Sorgen, Schatz”, antwortete Sid.

“Das ist bei weitem nicht unser erster.”

_____________________________

Rua schickte den letzten Scan und drückte das Gaspedal durch. Der Truck raste durch das Tal direkt auf den Stützpunkt zu. Eine riesige Staubwolke wirbelte hinter ihm auf und kündigte die Ankunft der Vucari-Kavallerie an. An ihren Rädern waren spezielle Bürsten befestigt, die während der Fahrt über den Boden kratzten und so noch mehr Staub aufwirbelten, als sie es ohnehin schon taten. Diese Taktik diente der Einschüchterung.

Die Aufgabe des Spähers bestand darin, ein paar gute Scans zu machen, sie an den Stützpunkt zu übermitteln und dann die Vucari in das Tal zu locken. Die ersten beiden Aufgaben waren ihm gelungen und er war gerade dabei, die dritte Aufgabe anzugehen, als der Boden nicht weit vor seinem Wagen explodierte. Plötzlich heulten die Sensoren auf und warnten, dass der hintere Schild des Trucks Geschützfeuer absorbierte. Rua riss das Lenkrad scharf nach rechts und drückte einen Knopf auf der Konsole. Der Geschützturm des Trucks wurde aktiv und feuerte eine Salve auf die Vucari zurück.

“Margo”, rief Rua über den Funk. “Sie sind mir dicht auf den Fersen, sie kommen gleich ins Tal. Seid ihr bereit?”

“Wir sind startklar.”

Der Geschützturm des Trucks, der ununterbrochen gefeuert hatte, kam stotternd zum Stillstand. Der beißende Geruch von verbrannter Elektronik stieg Rua in die Nase. Vor Rua verengten sich die steilen Abhänge des Tals zu einem Engpass, der die Vucari-Fahrzeuge dazu zwingen würde, sich zu einer Kolonne zusammenzufinden. Rua beschleunigte wieder, um so viel Abstand wie möglich zwischen sich und die Vucari zu bringen. Schließlich passierte er die erste Reihe von Geschütztürmen, die sorgfältig in Felsspalten auf den gegenüberliegenden Seiten des Tals versteckt waren.

“Position eins geräumt!”

“Es kann losgehen.”

Am Stützpunkt gab Margo Red das Signal. Er aktivierte die erste Gruppe von Geschütztürmen. Zurück im Tal schalteten sie auf Alarmbereitschaft und drehten sich in Richtung der herannahenden Vucari. Als die erste Welle der Vucari-Verfolger in Reichweite der Geschütztürme war, wurden sie von einer Salve von Kugeln durchschlagen. Einige der Fahrzeuge prallten ineinander und überschlugen sich. Die zweite Welle von Fahrzeugen krachte in die damit entstehende Straßensperre und machte das Chaos noch schlimmer. Ein paar Vucari-Fahrzeuge schlüpften unbeschadet hindurch und setzten ihren Kurs fort. Rua warf einen Blick auf den Scanner und änderte ständig seinen Kurs, damit ihn keiner ins Visier nehmen konnte.

“So ist’s richtig, ihr Bastarde, kommt weiter”, murmelte Rua und meldete via Funkgerät:

“Position zwei geräumt!”

Kurze darauf wurde ein zweiter Satz versteckter Geschütztürme aktiviert und feuerte auf die nachkommenden Vucari-Fahrzeuge. Die wenigen, die den zweiten Angriff überlebt hatten, brachen ihre Verfolgung ab. Rua stieß einen Jubelschrei aus und setzte seine Fahrt in Richtung des Stützpunktes fort.

Durch die Fenster des Stützpunktes beobachteten Sid und Cyrus, wie Ruas Truck dem Chaos hinter sich entkam. Beide verspürten ein gewisses Unbehagen. Bewaffnete Konflikte waren nichts Neues für die beiden, aber sie hatten sich noch nie so unvorbereitet gefühlt. Sie hatten Immanuelles ganzes Leben damit verbracht, sie vor dieser Art von Welt zu schützen. Jetzt waren sie mit ihr mittendrin und sahen sich einem Kampf gegenüber, der sie selbst in der Blütezeit ihrer Söldnertätigkeit in Verlegenheit gebracht hätte.

“Verdammt noch mal! Wo ist er?”

Immanuelles Ausbruch lenkte ihre Aufmerksamkeit auf das Hologramm, das Ruas Scan der anrückenden Vucari-Kavallerie projizierte. Arch hatte sie aufmerksam studiert, aber immer noch nicht gefunden, was sie wissen wollten – wo genau in dieser aufgewühlten Wolke aus Staub und Maschinen waren Kraujas und seine Tachyonen-Kanone? Die Geschütztürme, die den Stützpunkt flankierten, waren so eingestellt, dass sie auf jeden Feind in Reichweite feuerten, aber sie hatten gehofft, Kraujas’ Fahrzeug in der Vucari-Formation ausfindig machen zu können, damit sie die Feuerkraft beider Geschütztürme auf ihn konzentrieren konnten. Den Kopf der Schlange abzuschlagen, würde das ganze Unterfangen wesentlich erleichtern.

“Rua ist fast zurück”, rief Margo, “aber der Geschützturm seines Trucks ist hinüber.”

Immanuelle warf einen Blick aus dem Fenster und erfasste seine Position.

“He, Dad…”

Sie drehte sich um und sah, dass Cyrus bereits zur Tür hinausging. Sie eilte ihm hinterher, während Ruas Truck zwischen dem Stützpunkt und dem Rand der Mine zum Stehen kam.

“Wer zum Teufel ist das?” fragte Rua, als er Cyrus sah.

“Mein Vater.”

“Dein Vater..?“

Er warf Cyrus einen misstrauischen Blick zu.

“Na schön. Ich nehme nicht an, dass du einen Geschützturm reparieren kannst, alter Mann.”

“Das kann ich sogar tun, während ich dir Deckung gebe”, erwiderte Cyrus trocken und kletterte in den Geschützturm hinein.

Sobald er drin war, sah er, wie Sid vom Stützpunkt zu ihnen herüberkam. Sie blieb neben Immanuelle stehen und klopfte zweimal auf die Rüstung über ihrem Herzen. Cyrus antwortete mit der gleichen Geste, lächelte und machte sich an die Arbeit.

“Hast du ihn gesehen?” fragte Immanuelle Rua.

“Wen?”

“Kraujas.”

“Wir konnten ihn auf keinem eurer Scans identifizieren.”

Einer der autonomen Bodentürme, die den Stützpunkt flankierten, wurde in diesem Moment aktiv. Wenige Augenblicke später feuerte auch der zweite Geschützturm. Der Menge der Schüsse nach zu urteilen, hatten sie offensichtlich eine Menge Ziele zur Auswahl. Immanuelle wusste, dass die Geschütztürme die Vucari nicht lange aufhalten konnten.

“Devin, wie lange brauchst du noch?”

“Fast fertig.”

“Beeil dich, wir haben nicht viel Zeit.”

Plötzlich explodierte einer der Geschütztürme, die den Stützpunkt flankierten. Sid und Immanuelle duckten sich gegen den Truck.

“Was zum Teufel..?”

Dann explodierte der zweite Geschützturm. Ein heller Blitz leuchtete von den Abraumhalden auf der anderen Seite der Mine auf, begleitet von dem unverwechselbaren Geräusch einer Tachyonen-Kanone. Kein Wunder, dass sie Kraujas nicht auf den Scans finden konnten. Er hatte den größten Teil seiner Streitkräfte in den Rachen ihrer Verteidigung geschickt. Sein Fahrzeug hatte sich währenddessen mit ein paar anderen auf die andere Seite der Mine geschlichen. Dann hatte er sich direkt in die Grube gestohlen und nun ihre Verteidigungsanlagen ausgeschaltet. Da die Geschütztürme offline waren, hörten sie nur noch die Geräusche der sich nähernden Maschinen.

“Verschwindet von hier. Geht und helft Devin!”, brüllte Immanuelle.

Sid trat den Rückzug an, während Rua den Truck in Richtung Förderstraße lenkte, die in die Mine hinunterführte. Immanuelle drehte sich um und sah, wie Sid ihr Gewehr anlegte. Eine Dragonfly flog um die Ecke eines Stützpunktes und zwei Vucari setzten ihrerseits ihre Gewehre an. Sid feuerte eine Reihe von Schüssen ab, die den Brustpanzer des Piloten durchschlugen. Er sackte nach vorne und stürzte mit seiner Dragonfly zu Boden. Er schlug hart auf, fiel dann auf die linke Seite und kam schließlich nicht weit von Immanuelle zum Halten. Immanuelle stand fassungslos da.

“Mom… du kannst vielleicht schießen.”

“Siehst du, auch ich habe ein paar Überraschungen parat.”

Sid riss erneut ihr Gewehr hoch und feuerte zwei weitere Schüsse auf den Beifahrer der Dragonfly ab. Immanuelle wirbelte herum und sah, dass er eine Pistole von seiner linken Hüfte gezogen hatte, die unter der Dragonfly eingeklemmt war.

“Du hast nicht einmal gezögert. Du hast einfach -”

“…Schatz, später. Jetzt ist es vielleicht Zeit für Phase zwei.”

Immanuelle drückte auf ihr Funkgerät: “Außenposten-Team, Rückzug.”

Dann machte sie sich auf den Weg zum Aufzug. Sid rief ihr nach, während sie ihre Scans studierte.

“Warte mal, hilf mir mal damit.”

Sid winkte Immanuelle zurück zur Dragonfly. Das Ding lief immer noch. Vielleicht konnten sie es gebrauchen. In der Zwischenzeit öffnete sich die Tür des Stützpunktes und Dee kam mit ihrer Schrotflinte im Anschlag heraus. Sie hielt die Tür offen, während die anderen zu ihr eilten. Ein plötzlicher Blitz blendete Sid und Immanuelle. Beide wurden von der Dragonfly zurückgeschleudert. Als sie aufblickten, war der Eingang des Stützpunktes durch einen Volltreffer von Kraujas’ Tachyonen-Kanone zerstört worden.

Sid blieb in Deckung und kroch auf die andere Seite der Dragonfly. Immanuelle zeigte auf den Aufzug. Phase zwei sollte besser funktionieren, dachte sie, denn sie hatten gerade die Hälfte ihrer Truppen mit einem Schuss verloren. Immanuelle wollte sich hochstemmen, aber Sid hielt sie fest und forderte sie ,it einer unmissverständlichen Handbewegung auf, stillzuhalten. Wenige Augenblicke später wurde der Stützpunkt erneut von der Tachyonen-Kanone getroffen und ein großer Teil davon in Schutt und Asche gelegt. Ein leises Grollen war zu hören. Blitze von sich nähernden Dragonflys und Rovern tauchten durch den sich absetzenden Schmutz und die Trümmer auf.

“Hilf mir, die Dragonfly aufzurichten”, rief Sid.

“Wir müssen -”

“Vertrau mir!”

Sid schob die massiven Arme ihrer Rüstung unter die Vorderseite der Dragonfly und wartete.

“Wir müssen es jetzt tun.”

Immanuelle stemmte sich hoch, griff nach der Lenkstange der Dragonfly und zog. Weit unten in der alten Mine sprang Devin in das Führerhaus eines alten Trucks, der halb in den Trümmern verkeilt war. Das Armaturenbrett war herausgerissen und durch eine von ihm entworfene Konsole ersetzt worden, mit Diamantlaminat für das Glas der Fahrerkabine und einem verstärkten Rahmen, der den Standards für Panzer entsprach. Er legte einen Schalter um und das Armaturenbrett leuchtete auf. Zwei massive Geschütztürme tauchten auf der gegenüberliegenden Seiten der Mine auf. Es handelte sich um Phase zwei und sie waren perfekt positioniert, um die Fahrzeuge zu treffen, die sich soeben ihren Weg durch die Förderstraße unter dem Stützpunkt bahnten.

Devin übernahm die Kontrolle über den einen Geschützturm und stellte den anderen auf Automatik. Er drehte seinen Geschützturm vom Stützpunkt weg, in Richtung Abraumhalde der Mine. Devin überprüfte die Scans und entdeckte drei Objekte in einer Gruppe nahe der Stelle, an der die Förderstraße in die Mine hinabführte. Die Objekte drehten ab und kamen direkt auf ihn zu. Der Geschützturm hatte keinen idealen Winkel, aber es sollte reichen. Devin gab eine Reihe von Schüssen ab. Ein Schwall Kugeln durchschlug eines der Vucari-Fahrzeuge. Die beiden anderen wichen aus und fuhren vom Minenrand weg zurück in den Schutz der Abraumhalden. Devin konnte nicht sagen, ob es sich bei dem Fahrzeug, das er getroffen hatte, um das von Kraujas handelte oder nicht, also konzentrierte er sich auf seine Scans und wartete, bis eines der beiden Fahrzeuge es erneut wagen würde, sich zu nähern. Er meldete mit seinem Funkgerät:

“Habe einen Geschützturm auf den Abraumhalden und eines der Fahrzeuge ausgeschaltet. Jetzt sind noch zwei auf der anderen Seite übrig … ist noch jemand da draußen?”

Er betete, dass sich jemand melden würde.

Auf der Transportstraße unterhalb des Stützpunktes raste Rua eine Serpentine hinab. Der Schwung schleuderte Cyrus gegen die Seite des Trucks. Er ließ sein Multitool fallen. Der Truck driftete bis an den Rand der Transportstraße, bevor er wieder Bodenhaftung fand.

“Wir können nicht helfen, wenn wir die Fahrt nach unten nicht überleben!”, rief Cyrus, während er das fallengelassene Multitool ergriff.

Rua ging vom Gaspedal und meldete sich über Funk.

“Hier ist Rua. Ich bin bei dem alten Mann. Wir sind etwa ein Drittel des Weges nach unten auf dem Weg zu deiner Position.”

Rua war erleichtert, dass Devins Geschützturm Kraujas abgelenkt hatte. Rua warf einen Blick in den Rückspiegel und sah, wie Cyrus in einer Vorratskiste wühlte.

“Wie läuft’s?”

“Sieht gut aus”, sagte Cyrus und schnitt mit seinem Multitool eine Ecke von der Plane ab, die die Rückseite des Lastwagens teilweise bedeckte und legte sie vor sich hin. Er legte Granaten aus der Vorratskiste in die Mitte und faltete dann alle vier Ecken um sie herum.

“Wie lange noch?”

“Ich muss warten, bis die Diagnose abgeschlossen ist.”

Cyrus knüpfte einen festen Knoten, um die Tasche mit den Granaten zu sichern und legte sie dann zu seinen Füßen. Cyrus’ MobiGlas piepte. Er klappte die Luke auf, um in das Innere des Turms zu gelangen. Rua warf einen Blick auf den Scanner des Trucks. Er sah, dass die Vucari soeben im Begriff waren, den Stützpunkt anzugreifen. Zwei von ihnen trennten sich von der Haupttruppe und folgten ihnen auf der Transportstraße.

“Tangos kommen auf uns zu”, meldete Rua.

Cyrus warf einen Blick auf seinen Scan und machte sich dann an die Arbeit am Geschützturm, in der Hoffnung, dass er ihn wieder reparieren konnte, bevor es zu spät war.

_____________________________

An der Dragonfly war die linke Vorderkufe verbogen und die Seite war aufgerissen, aber sie funktionierte noch. Sie driftete jetzt natürlich nach links. Immanuelle griff nach einer Lenkstange, um sie zu stabilisieren, während Sid an Bord kletterte.

“Ich übernehme ab hier”, rief Sid.

“Mach den Lift startklar, sobald ich da bin.”

Immanuelle rannte los. Sid drehte die Dragonfly unterdessen in Richtung eines des sich nähernden Rover-Paares. Sie kletterte vorsichtig von der Dragonfly, hielt aber eine der Lenkstangen fest. Auf dem Boden angekommen, öffnete sie mit der freien Hand die Satteltasche und zog dann eine Granate aus ihrer Rüstung. Sid überprüfte noch einmal das Ziel der Dragonfly. Zufrieden machte sie die Granate scharf und legte sie zurück in die Satteltasche der Dragonfly. Mit einem Schubs ließ sie die Dragonfly los.

Sie bockte stark und flog weiter nach links als erwartet. Sie driftete über die Trümmer des Stützpunktes, während die Rover zwischen den Trümmern und dem Rand der Mine hin- und her fuhren.

Obwohl die Dragonfly ihr Ziel nicht genau traf, war das Timing einwandfrei. Die Granate in der Dragonfly explodierte gerade in dem Moment, als sie die Rover passierte. Massenhaft Dragonfly-Stücke krachten in das führende Fahrzeug, um es auf die Seite zu schleudern. Das nachfolgende Fahrzeug bremste stark, übersteuerte, um dem Wrack auszuweichen. Es überschlug sich und kam schließlich auf dem Kopf liegend zum Stillstand. Rauch und Staub wirbelten um die Unfallstelle. Sid konnte keine Überlebenden ausmachen, hatte aber keine Zeit, sich zu vergewissern.

Stattdessen verfolgte sie das Aufblitzen von Bewegungen jenseits des halb zerstörten Stützpunktes. Sie zog ihr Gewehr, lief rückwärts zum Aufzugsschacht, den Lauf im Anschlag und zielte gleichzeitig auf den Bereich zwischen Stützpunkt und Rand der Mine.

Kurze Zeit später schwärmte eine Flotte von Dragonflies um sie herum. Sid empfing sie mit einem Kugelhagel. Sid zog den Stift ihrer letzten Granate und ließ sie vor sich rollen, als sie angriffen. Sie hatte in ihrer Zeit als Söldnerin genug von ihnen geworfen, um den Explosionsradius zu kennen, aber sie hatte noch nie in schwerer Rüstung vor einer Granate fliehen müssen. Sid sprintete in Richtung Aufzug, aber schon bald war sie außer Atem, was sie verlangsamte. Sie war sich nicht mehr sicher, ob sie es noch rechtzeitig aus der Gefahrenzone schaffen würde. Instinktiv zählte sie die Sekunden bis zur Explosion herunter und warf sich rechtzeitig zu Boden. Die Granate explodierte. Die Explosion wirbelte Erde auf und ließ die Dragonflies wie bockende Pferde so wild herumwirbeln, dass sie ihren Piloten in die offene Weite der Mine schleuderten. Ein großes, gezacktes Stück Schrapnell prallte von Sids Rüstung ab und sie war in diesem Moment sehr froh, dass sie sich für die schwerere Rüstung entschieden hatte.

Sid zog sich hoch und kraxelte die letzten Meter zum Aufzug. Kaum war sie im Aufzug, startete Immanuelle die Abfahrt. Der Aufzug verschwand in dem Augenblick aus dem Blickfeld der Vucari, als sich der Staub der Explosion legte. Sid versuchte, wieder zu Atem zu kommen und hoffte, dass sie genug getan hatte, um die Vucari in Schach zu halten, bis sie die Grubenetage erreicht hatten. Immanuelle meldete sich über Funk.

“Immanuelle hier. Meine Mom und ich…”

Eine Explosion hallte draußen in der Mine wider und erschütterte den Aufzug. Der von Devin gesteuerte Geschützturm ging blitzschnell hoch. Immanuelle blickte nervös zu Sid. Trotzdem befahl Immanuelle über den Funk: “Wir kommen mit dem Aufzug nach unten. Lasst uns den zweiten Geschützturm auf Kraujas direkt richten, um ihn abzulenken. In diesem Ding hier sind wir leichte Beute.”

Devin griff nach der Steuerung des verbliebenen Geschützturms und deaktivierte den autonomen Modus. Er schwenkte ihn in Richtung der Abraumhalde der Mine und warf einen Blick auf den Scanner. Die beiden Objekte hatten sich getrennt. Einer blieb oben, in der Nähe der Abraumhalden. Der andere Punkt huschte über den Bildschirm, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie sich die Förderstraße hinunter und in die Mine hinein bewegten. Devin war sich nicht sicher, welcher der beiden Objekte Kraujas war, also schätzte er und schwenkte den Geschützturm auf das obere Ende der Mine bei den Abraumhalden, weil er dachte, dass dies ein perfekter Platz für Kraujas’ Tachyonen-Kanone war. Der Geschützturm scannte nach Kraujas’ Fahrzeug, bis ein Lichtblitz seine Position verriet. Devin drehte den Geschützturm darauf zu und feuerte.

Kraujas’ Tachyonen-Strahl verfehlte die Aufzugskabine, traf aber den höher gelegenen Schacht. Trümmer regneten auf die Aufzugskabine und verbeulten das Dach. Sid zog Immanuelle dicht an sich heran und drückte sie in einer Ecke des Fahrstuhls auf den Boden, wobei ihr ihre schwere Rüstung half, um ihre Tochter vor herabfallenden Trümmern zu schützen. Plötzlich drehte sich ihr Magen und sie hatte das Gefühl zu schweben. Ein Trümmerstück hatte das Ausgleichsgewicht des Aufzugs losgerissen und die Kabine fiel ungebremst. Obwohl sie nicht weit vom Boden entfernt war, durchzuckte eine Schockwelle des Schmerzes sowohl Sid als auch Immanuelle, als die Aufzugskabine schließlich auf dem Boden des Schachtes aufschlug. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Sid, das Schlimmste sei überstanden. Dann prallte ein großer Trümmerbrocken auf das Aufzugsdach und stürzte auf sie herab. Alles wurde schwarz.

_____________________________

Devin scannte die Oberseite der Mine, denn Kraujas Fahrzeug hatte sich wieder in die Abraumhalden zurückgezogen, wo es sich außerhalb der Reichweite und der Schusslinie des Geschützturms befand. Seine intensive Konzentration auf das Ausschalten von Kraujas’ Fahrzeug ließ ihn das andere Vucari-Fahrzeug vergessen – aber nur so lange, bis es seinen Geschützturm angriff. Der Geschützturm fing sich ein paar Kugeln ein, als Devin seinen Lauf von der Spitze der Mine auf den Boden der Grube richtete. Der Vucari-Rover entfernte sich von seiner Position und feuerte eine weitere Serie von Schüssen ab, die aber den Turm verfehlten. Devin erwiderte das Feuer und landete ein paar Treffer, aber das war egal. Sekunden später explodierte der Geschützturm durch einen Tachyonen-Impuls. Kraujas hatte die Ablenkung genutzt, um einen perfekten Schuss zu platzieren.

Devin schlug mit der Faust auf die Konsole. Er saß in der Kabine, völlig wehrlos, als Kraujas’ Fahrzeug die Förderstraße in die Mine hinunter raste. Er zog seine Pistole und legte sie auf seinen Schoß, unsicher, was er als Nächstes tun sollte. Zwei Vucari-Buggys schoben sich gekonnt durch die Serpentinen hinter Ruas Truck. Ohne den funktionierenden Geschützturm waren sie etwas zu nah dran, als dass man sich hätte entspannen können.

_____________________________

Cyrus nahm eine Einstellung am Geschützturm vor, startete das System neu und drückte die Daumen. Während er wartete, hob er sein Scharfschützengewehr und zielte auf den nächsten Verfolger. Der Truck ruckte, als er den Schuss abgab. Cyrus nahm ein paar schnelle Anpassungen vor und griff dann nach der behelfsmäßigen Tasche mit den Granaten an seinen Füßen. Rua verlangsamte den Truck und lenkte ihn in die letzte Kurve vor dem Grubenboden. Cyrus ließ die Tasche mit den Granaten kurz nach der Kurve fallen und hob sein Scharfschützengewehr. Er visierte die Tasche an und atmete tief durch. Schon bald wirbelte der Dreck in der Kurve auf, als die verfolgenden Buggys durch sie hindurchrutschten. Cyrus atmete aus und gab den Schuss ab. Die Tasche explodierte und sprengte den ersten Buggy weg, während der zweite von Staub und Trümmern geblendet wurde. Die Explosion rasierte auch einen Teil der Straße ab und verengte sie erheblich. Der zweite Buggy fiel dieser neuen Falle zum Opfer und stürzte kopfüber auf den Boden. Cyrus überprüfte sein MobiGlas und war erleichtert, dass seine Reparaturen funktioniert hatten.

“Der Geschützturm läuft auf Automatik. Ich werde mit meinem Gewehr Unterstützung leisten.”

“Verstanden”, brüllte Rua, während er den Truck auf den Boden der Grube lenkte. Dann sagte er im Funk:

“Verstärkung ist eingetroffen!”

Erst jetzt wurde Rua klar, dass sie die einzige verbliebene Verstärkung sein könnten, da beide Geschütztürme mittlerweile ausgefallen waren. Er lenkte den Truck hinter einen Haufen Trümmer. Dann bemerkte er einen Fleck auf dem Scanner, der sich von der anderen Seite der Grube auf sie zubewegte. Das Vucari-Fahrzeug, das Devin abgelenkt hatte, suchte jetzt nach ihnen.

“Rua, melde dich”, flüsterte Immanuelle heiser über den Funk.

“Wo bist du?”, antwortete Rua.

“Nicht weit vom Aufzug entfernt”, erwiderte sie atemlos. Sie hatte Sid gerade aus dem Wrack gezogen und sie hinter den nächsten Schrotthaufen geschleppt. Sobald sie in Sicherheit war, hatte Immanuelle ihrer Mutter einen MedPen in die Hand gedrückt.

“Wo bist du?”

“Zwischen dir und dem Kran”, antwortete Rua.

“Kannst du wieder zu uns zurück?”

Sid tippte Immanuelle an und wies auf die Transportstraße, die vom Stützpunkt kam. Die verbliebenen Vucari-Truppen strömten die Straße hinunter und auf den Boden der Grube zu.

“…und wir brauchen euch hier schnell. Von der Seite des Stützpunktes kommt eine Menge Gesellschaft.”

Cyrus sprang aus dem Truck und rannte zur Fahrertür.

“Sag ihnen, dass wir gleich da sind. Und bleib noch einen Moment so stehen. Wir wollen dich als Köder benutzen, um einen guten Blickwinkel auf den Vucari zu bekommen, der uns verfolgt.”

Cyrus eilte davon, bevor Rua antworten konnte. Als Cyrus sich um einen Trümmerhaufen herumdrückte, meldete Rua: „Wir werden gleich da sein. Haltet durch.”

“Verstanden. Geht zum Aufzug, wenn ihr könnt. Wir sind dann zu eurer Rechten.”

Cyrus entdeckte das Vucari-Fahrzeug, das sich vorsichtig über den Boden der Grube auf ihren Standort zubewegte. Seine Windschutzscheibe war durch den früheren Zusammenstoß mit dem Geschützturm bereits stark beschädigt. Cyrus huschte hinter den nächsten Schrotthaufen und überprüfte den Winkel. Er nahm einige letzte Einstellungen an seinem Scharfschützengewehr vor und gab dann zwei gezielte Schüsse ab. Noch bevor das Fahrzeug reagierte, wechselte Cyrus die Position und bewegte sich auf den Truck zu. An seinem nächsten Deckungspunkt hielt er an, wollte sehen, was der Buggy trieb. Der prallte unterdessen ungebremst gegen einen Schrotthaufen. Als er schließlich zum Stehen kam, visierte Cyrus das Fahrzeug an und sah den Fahrer, der über das Lenkrad gebeugt war.

“Ich habe ihn”, sagte Cyrus zu Rua.

“Holen wir meine Mädchen.”

Rua lenkte den Truck am Rand des Schrotthaufens vorbei in die Richtung, in der Cyrus verschwunden war. Kraujas entdeckte die Bewegung sofort, als sein Fahrzeug den Boden der Grube erreichte. Er feuerte und traf den Trümmerhaufen vor Ruas Truck. Die Explosion ließ den Schrott durch die Luft fliegen und warf den Wagen um. Die Schockwelle schleuderte Cyrus von den Füßen auf einen Haufen Wrackteile. Um ihn herum verschwamm die Welt. Immanuelle hörte den Einschlag des Tachyonen-Impulses. Sie blickte um die Ecke und sah, wie Ruas Truck zum Stehen kam. Sie wandte den Blick ab und schüttelte verzweifelt den Kopf.

“Cyrus!”, rief Sid über Funk. Die beiden warteten auf eine Antwort. Aber sie bekamen keine.

“Was nun?”, fragte Immanuelle.

“Wir lassen Kraujas dafür bezahlen.”

Immanuelle brauchte eine Sekunde, dann nickte sie zustimmend.

“Hast du einen Plan?”

Sids Augen wanderten nach oben. Immanuelle folgte ihnen und sah den massiven Magneten, der vom Ausleger herabbaumelte.

“Du gehst dorthin und ich werde versuchen ihn aufzuscheuchen.”

Immanuelle zögerte, weil sie plötzlich befürchtete, dass dies das letzte Mal sein könnte, dass sie sich sahen. Sid hatte jedoch keine Zeit für Sentimentalitäten.

“Mach dich auf den Weg.”

Immanuelle nickte und lief zum Kran. Sid drehte sich zu Kraujas um und wünschte, sie hätte nicht alle ihre Granaten verbraucht. Kraujas schwenkte seine Tachyonen Kanone von links nach rechts. Auf dem Boden der Grube schien alles stillzustehen, bis auf eine Gestalt, die sich langsam aus den Trümmern herauszog. Kraujas fuhr langsam vorwärts. Sein Truck schlich zur Absturzstelle zu, bis Kraujas ihn stoppte. Er löste seine Magnetstiefel und sprang aus dem Fahrzeug, um herauszufinden, ob die verwundete Gestalt noch am Leben war und ihm Informationen über die Cadejo geben konnte. Er wollte sicherstellen, dass dies ihr Ende war.

Als Kraujas zur Absturzstelle schritt, trat Sid mit erhobenem Gewehr aus dem Schatten. Sie feuerte mehrere Schüsse auf ihn ab. Sie prallten von seiner Titan-Rüstung ab. Kraujas blieb stehen und drehte sich zu seinem Angreifer um. Sid ließ den Abzug los. Ein Lächeln breitete sich auf Kraujas’ Gesicht aus, aber es verging, als er sah, wie Sid ihm zuzwinkerte und auf etwas hoch über seinem Kopf zeigte. Erst jetzt hörte Kraujas das mechanische Geräusch. Er blickte auf und sah, wie der Ausleger des Krans eine massive Metallplatte über seinem Kopf bewegte. In der Kabine des Krans legte Immanuelle den Schalter um, der den Elektromagneten aktivierte. Er riss Kraujas vom Boden hoch in die Luft. Seine Titan-Rüstung prallte mit unglaublicher Wucht gegen den Magneten.

Immanuelle drehte den Ausleger und hob den Magneten so hoch, wie sie konnte. Dann schaltete sie den Strom ab. Kraujas stürzte aus großer Höhe auf den Boden. Nicht einmal seine Titan-Rüstung konnte ihn jetzt noch retten.

_____________________________

Der verdrehte Haufen aus Metall und Fleisch bewegte sich nicht mehr. Der vucarische Gesetzlose hinter dem Steuer von Kraujas’ Fahrzeug war zu betäubt von der Wendung der Ereignisse, um zu bemerken, dass Devin sich an ihn heranschlich. Ein Kopfschuss aus seiner Pistole setzte den Fahrer außer Gefecht. Devin zerrte ihn aus dem Wagen, setzte sich hinter das Steuer und raste zu Ruas Wagen. Sid war bereits an Ruas Seite. Er hatte sich aus dem Wrack geschleppt und war dann zusammengebrochen. Sie überprüfte seine Vitalwerte, aber es war zu spät.

Devin kletterte aus dem Wagen und kam zu ihr. Sid bat ihn, ihr bei der Durchsuchung des Wracks zu helfen, aber keiner von ihnen konnte Cyrus finden. Immanuelle rannte hoch, euphorisch von ihrem Sieg. Sie wurde langsamer, als sie die Sorge in Sids Gesicht sah.

“Was …”, sagte sie langsam, dann wurde ihr alles klar.

“Wo ist Dad?”

Sid schüttelte den Kopf, “Ich weiß es nicht.”

“Wir müssen weiter nach ihm suchen.”

“Ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist”, warf Devin ein.

“Er hat recht. Es ist zu gefährlich. Es kommen noch einige Vucari. Geht, solange ihr noch könnt.”

Sid überprüfte die Munition in ihrem Gewehr. Die Motoren donnerten von der Transportstraße beim Stützpunkt, als sie sich der Grubensohle näherten.

“Ich gehe nirgendwo hin”, schoss Immanuelle trotzig zurück.

“Streite nicht mit deiner Mutter”, knisterte Cyrus’ Stimme plötzlich über den Funkkanal.

“Das geht nicht gut aus.”

Sie drehten sich alle um und sahen, wie Cyrus nach vorne stolperte, wo er gelandet war und sich die Seite hielt. Sid und Immanuelle eilten zu ihm. Sid fischte ein MedPen heraus und behandelte seine Wunden. Die Welt um Cyrus herum wurde wieder klarer. Die beiden standen über ihm und sahen erleichtert aus.

“Ich bin so froh, dich zu sehen…”, begann Immanuelle.

“Ich auch. Und jetzt lass uns gehen”, sagte Cyrus, während er versuchte aufzustehen.

Sid und Immanuelle zogen ihn auf die Beine und halfen ihm in die Fahrerkabine. Dann stieg Sid in den Truck und ließ den Motor an. Immanuelle klopfte an die Seite, als sie und Devin hinten saßen. Sid trat auf das Gaspedal. Unterhalb des Stützpunktes raste das führende Vucari-Fahrzeug um die letzte Serpentine vor der Grube, ohne zu bemerken, dass die Straße durch die vorherige Explosion plötzlich schmaler geworden war. Sein rechtes Vorderrad rutschte in den Krater und riss den Rest des Fahrzeugs mit sich. Die nachfolgenden Fahrzeuge kamen vorsichtiger um die Kurve und fuhren schließlich auf den Boden der Grube. Sie schwärmten aus und begutachteten die Zerstörung. Bald entdeckten sie  Kraujas’ zertrümmerte Titan-Rüstung und versammelten sich um ihn. Ohne Anführer wussten sie nicht, was sie als nächstes tun sollten – sie waren wie betäubt vom Verlust ihres Anführers. Sie bemerken nicht einmal, dass sein alter Truck die Förderstraße hinauffuhr. Sid steuerte den Truck aus der Mine heraus, vorbei an den Abraumhalden und auf die Platean-Ebene. Immanuelle rief ihr MobiGlas auf und tippte eine Sequenz ein.

“Was machst du da?”, fragte Devin.

“Phase drei”, sagte sie und drückte den letzten Auslöser.

Daraufhin wurde eine Reihe gewaltiger Explosionen in der Grubensohle ausgelöst, die die Mine schließlich zum Einsturz brachten. Cyrus sah einen Moment lang zu, wie die riesige Staubwolke hinter ihnen aufstieg, dann wandte er sich an seine Tochter.

“Okay, aber ab jetzt gibt es keine Geheimnisse mehr.”

– Ende –

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