Kid Crimson

Ein berüchtigter Sklavenhändler will sich eine neue Identität zulegen. Dafür will er einen UEE-Senator töten lassen.

Von Dave Haddock

(übersetzt von Moxie)


Kapitel 01

“Du hast hier nichts zu sagen.”

Das wurde mir in den letzten zwei Minuten ungefähr achtmal gesagt, als hätte ich es nicht beim ersten Mal schon verstanden. Und jedes Mal hatte man mir es mit einem Schlag eines Gewehrkolbens auf meinen Hinterkopf deutlich gemacht. Es wurde langsam nervig.

Die meisten Besucher in der Bar machten sich auf Zehenspitzen auf den Weg zur Tür, als sich diese beiden Genies  auf mich stürzten. Manche nahmen sogar ihre Drinks mit, in der Annahme, dass das Ganze wahrscheinlich sowieso nicht lange dauern würde.

Ich konnte die beiden noch nicht einmal richtig erkennen. Vor gerade erst zwei Minuten hatte ich es mir bequem gemacht, bereit, mir einen hinter die Binde zu gießen. Es war ein langer Monat gewesen, um den Kopfgeldjäger von Garron abzuschütteln – und es war schwieriger gewesen, als ich gedacht hatte. Das nächste Mal sollte ich mir wirklich die Mühe sparen, mich in ein Schiff zu schleichen, um ein NavDrive herauszureißen und ihn einfach zu erschießen.

Es folgte ein weiterer Schlag auf meinen Hinterkopf.

“…hörst du mich, Salassi?”

“Eigentlich nicht, tut mir leid. Könntest du den letzten Teil noch mal wiederholen?”

Er zog mir den Kolben seiner Pistole über den Kopf. Ich ging zu Boden und rollte mich auf die Seite, um so zum ersten Mal einen Blick auf meine Angreifer zu erhaschen.

Einer war größer, kräftiger und hatte die Ausstrahlung eines SLAM-Junkies. Der andere mit der Pistole war dünn, nervös und keuchte, als ob er ständig nach Luft rang.  Dass ich sie nicht erkannte, beunruhigte mich am meisten. Es ist ein Vorteil, zu wissen, warum jemand versucht, dich zu verprügeln.

“Glaubst du vielleicht, das ist ein Spiel?”, sagte der Typ namens Wheezy und hielt mir die Waffe in mein Gesicht.

“Du hast dich nicht unter Kontrolle, Salassi.”

“Tarsis sagte, du gehörst jetzt ihm”, fügte der große Kerl hinzu.

Genevol Tarsis war ein Geschäftsmann. Für die Öffentlichkeit war er ein erfolgreicher Bürger und Unternehmer, der mehrere Geo-Unternehmen leitete. Jenseits der seriösen Gesellschaft betrieb er jedoch einen umfangreichen Waffenhandel. Er kaufte oder verkaufte von und an jede Zivilisation im Verse. Vor einem Monat hatte ich eine Lieferung Xi’An-Waffen angenommen, musste sie aber schnell wieder loswerden, um nicht von der Advocacy erwischt zu werden. Danach wurde ich von der Kopfgeldgeschichte in Anspruch genommen. Wahrscheinlich hätte ich ihm sagen sollen, dass seine Lieferung verloren gegangen war.

“Ich meinte, das musst du wiedergutmachen und Schadenersatz leisten”, sagte Wheezy.

“Stimmt”, erwiderte ich. Dann hatte er einen starken Hustenanfall.

Ich richtete mich auf und nahm einen Schluck meines Getränks. Wheezy verfolgte mich mit seiner Waffe, während der andere Kerl nur auf einen Vorwand wartete, um erneut seine massiven Fäuste fliegen zu lassen. Ich untersuchte meinen Kopf. Er fühlte sich an, als würden die Engel singen.

“Also gut. Wir machen Folgendes…”

Während ich das sagte, lehnte ich mich auf meinen Hocker zurück.

“Halt die Klappe, Salassi, du hast hier gar nichts zu sagen …”, murrte der große Kerl erneut und trat einen Schritt vor, um sich zwischen Wheezy und mich zu stellen. Zwischen mich und die Waffe…

Ich versenkte die Klinge meines Messer zirka 15 Zentimter tief in seine Brust. Es war fast unfair, aber wenn sie so dumm waren… da wollten sie einen Kerl verprügeln und durchsuchten ihn nicht einmal nach weiteren Waffen? Ehrlich, Gangster, die so dumm waren, hatten nichts Besseres verdient.

Tarsis sollte mir dankbar sein, dass ich seinen unfähigen Mitarbeiter-Pool ausdünnte. Der große Kerl riss die Augen weit auf. Seine Finger griffen nach meiner Kehle und versuchten zuzudrücken. Ich zog das Messer heraus und stach erneut zu. Wheezy sprang auf und gab einen Schuss ab. Er tat mir den Gefallen, seinem Freund in den Rücken zu schießen. Die Finger lockerten sich.

Ich griff nach hinten, packte den Hocker und warf ihn nach Wheezy. Der Hocker erwischte ihn direkt am Kinn, schleuderte ihn in die eine Richtung und seine Waffe in die andere. Wheezy sank auf seine Knie und ich löste seine Finger. Ich packte ihn an der Kehle und schlug ihn bewusstlos, dann setzte ich die Spitze meiner Vanduul-Klinge an seine Kehle.

“Wie schon gesagt. Ich weiß durchaus, dass ich hier derjenige bin, der im Unrecht ist. Also sag Tarsis, dass ich es wieder gutmachen werde. Aber wenn ich noch einmal einen seiner Lakaien sehe”, ich grub ihm das Messer weiter in den Hals, “dann werde ich sie langsam ausweiden. Verstanden?”

Wheezy wimmerte – zu erschrocken, um sich zu bewegen.

“Gut”, sagte ich und ließ ihn fallen. Dann holte ich meine Pistole.

“…und vielleicht solltest du deinen Freund zu einer Krankenstation bringen.”

Einer der Barbesucher steckte seinen Kopf zur Tür herein. Er warf einen kurzen Blick in die Runde.

“Seid ihr fertig hier drin?”

“Ja, es ist alles geklärt.”

Nach und  nach kamen alle wieder herein und nahmen ihre Plätze ein, wobei sie einfach über die beiden Schläger am Boden stiegen. Ich leerte mein Glas mit einem letzten Zug und machte mich auf den Weg zur Tür. Ich trat hinaus und streckte mich. Der Lärm traf mich wie ein weiterer Schlag ins Gesicht.

Einst waren die orbitalen Stationen Aufenthaltsorte in den Systemen für die Terraforming-Crews gewesen, aber jetzt waren es nur noch Zufluchtsorte für Aussteiger und Herumtreiber, Schwarzmarkthändler und Flüchtige. Ein ziemlicher Absturz. Man könnte das Gleiche über mich sagen… doch zurück zum Geschäftlichen. Ich musste herausfinden, wie ich etwas Geld verdienen konnte. Schnell.

 

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Kapitel 02

Das kalte Meer des Weltraums. Manche Menschen liebten es. Sie hielten es für Freiheit. Mir war es unheimlich. Auf mich wirkte es stets eher wie ein Gefängnis. Schlimmer noch, mir kam es vor wie ein Henker, der über mir stand und der nur darauf lauerte, mich durch einen Riss in der Hülle meines Schiffes auszulöschen. Aus irgendeinem Grund wurde ich immer ein wenig unruhig, wenn ich kurz vor der Landung stand. Der Covalex Hub kam in Sicht. Eine Stimme knisterte über meine Sprechanlage.

“Bereit für ID-Kontrolle.”

Ich wühlte mich durch meine Schmuggler-Etiketten, bis ich eines fand, das ich noch nicht genutzt hatte. Er überprüfte es ein paar Sekunden lang.

“Danke, Mrs. Ballywa. Deck 2, Hangar 4, Feld 32.”

Der Disponent schaltete ab.

Mehrere Schifffahrtsverbände hatten sich zusammengetan, um solche Hubs im All als Zwischenstationen für  Frachttransfer, Händler und Spediteure zu eröffnen. So mussten sich diese nicht mit den Schwierigkeiten der Landung auf einem Planeten herumschlagen. Kurz gesagt, hier verdiente ich mein Geld.

“Hey, Ethan.”

Ich drehte mich langsam um. Raj Benny. Ich glaubte nicht, dass er einen Grund hatte, sauer auf mich zu sein.

“Hey Raj, bist du hier um zu spionieren?”

“Ja, du weißt ja wie die Dinge laufen.”

Soweit es Ganoven angeht, war Raj gar nicht so übel. Er hatte allerdings eine recht fiese Ader. Das ist zwar bei einem Tevarin generell der Fall und ich hatte gesehen, wie ihn sein Temperament schon an manch’ unschönen Ort gebracht hatte. Das war in der Vergangenheit oft auch der Grund für einige Konflikte zwischen uns gewesen – aber nicht heute. Davon ganz abgesehen, würden wir uns wahrscheinlich eines Tages gegenseitig umbringen. Aber bis dahin, gab es keinen Grund, nicht anständig miteinander umzugehen.

“Irgendetwas Interessantes?”, fragte ich ihn und wandte mich wieder der Menge zu. Raj zuckte mit den Schultern und nahm einen Schluck HydroFroz.

“Nicht wirklich.”

Seine pechschwarzen Augen erblickten jemanden und er nickte kurz. Es war eine Advocacy-Agentin.

“Bis später.”

Raj ging und verschwand in der Menge. Ich tat es ihm gleich.

Das „Door“ war ein beliebter Treffpunkt für Frachterkapitäne und Händler, um sich einen Drink zu genehmigen und einen Happen zu essen. Die kleinen Kojen mit den Etagenbetten im hinteren Bereich boten Platz und Gelegenheit für ein oder zwei Stunden Schlaf.

Wenn sich ein Haufen Herumtreiber mit Geld an einem Ort wie diesem versammelten, ist das wie ein Magnet für Gelegenheitsdiebe, zu deren Pech ich ebenfalls gehörte. Ich bestellte mir einen Wodka und platzierte mich in einer Ecke, um den Raum im Blick zu haben. Bereits drei Gläser später sah es nicht mehr ganz so friedlich aus. Das Geräusch eines zersplitternden Glases zog die Aufmerksamkeit und einige Blicke auf sich. Einer der Hauler kam taumelnd wieder auf seine Beine und machte ein paar schwankende Schritte zur Seite. Die Adern auf seiner Stirn pulsierten, schwollen an, als wollten sie platzen.

“…ich habe dich einen Betrüger genannt! Wenn du mich bittest, es noch einmal zu sagen, ritze ich es Dir gern auch auf deine Stirn. Mal sehen, ob du dann auf mich hörst.”

Der Sicherheitsdienst drehte eine Platzrunde. Die anderen Gäste verharrten aus Angst regungslos, sie wollten dem Angreifer nicht provozieren.

“Macht das draußen ab“, brüllte der Barkeeper.

Der Sicherheitsbeamten packten den Betrunkenen an den Armen und zerrten ihn zum Eingang. Auf dem Weg nach draußen trat der Trunkenbold gegen ein paar Tische, sodass sie umfielen und Gläser zu Bruch gingen. Er kicherte und sonnte sich offenbar darin. Schließlich beförderte ihn der Sicherheitsdienst nach draußen. Er schwang sich auf seine Beine und stieß etwa fünf Minuten lang einen steten Strom von Beschimpfungen aus, bevor er davonstolperte.

Ich folgte ihm mit Abstand für den Fall, dass andere die Show ebenfalls mitbekommen hatten. Schließlich ging er zurück zu den Hangarbuchten. Er kletterte in seine ramponierte MISC Fiera und rutschte dabei zweimal auf der Leiter aus. Unter dem Schiff hing ein abnehmbarer Frachtraum. Er fuhr die Maschinen hoch. Ich wiederholte im Kopf die Registernummer seines Schiffes, joggte zurück zu meinem Pad und hob ebenfalls ab.

Ich holte ihn kurz nach seinem Start ein. Die Haupttriebwerke seiner Fiera sprangen gerade an und das Schiff beschleunigte. Ich hielt Abstand, mehr aus Angst wegen möglicher Konkurrenten, als dass dieser Idiot mich bemerkten würde.

Ich weiß nicht, wo er hinwollte, aber es war offensichtlich, dass er nicht auffallen wollte. Das war okay für mich und machte mir meinen Job hundertmal einfacher. Ich ließ ihn noch ein wenig länger als üblich gewähren. Dann schlug ich zu. Ich schwang mich vor das Cockpit seiner Fiera und zündete meine Elektrohülle, während ich meine Hauptkanonen ausrichtete. Die Farbe meiner Schiffshülle nahm das blutverspritzte Design an, für das mein Schiff und ich bekannt waren.

Ich sah ihn im Cockpit, mit offenem Mund und in völliger Schockstarre. Ich rief ihn über den Funk.

“Deinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, gehe ich davon aus, dass du weißt, wer ich bin.”

Er konnte sich gerade noch zu einem Nicken durchringen.

“Okay, hier sind die Regeln. Wenn du fliehst, stirbst du. Sind wir uns einig?”

Er nickte erneut.

Als ich ihm sagte, er soll seine Ladung freigeben, folgte er sofort. Er löste die Ladung und wich zurück. Ich manövrierte um ihn herum bis die Ladung unter meinem Schiff einrastete.

“Jetzt verschwinde.”

Er beschleunigte und war nur Sekunden später auf und davon.

Es dauerte ein wenig bis mein Schiffssystem das Computerprotokoll der Ladung anzeigte, dann bekam ich Zugang zu den Bildern im Cargo-Raum meines Schiffes.

“Komm schon, Zahltag”, dachte ich.

Die Ladung tauchte auf meinem Bildschirm auf – und ich traute meinen Augen nicht. Es waren Personen. Hungrig. Ausgemergelt. Es waren einige Menschen darunter, ein paar Banu und auch  Tevarin. Der Typ war ein Sklavenhändler. Der größte Abschaum des gesamten Verse.

Ich gab vollen Schub auf die Schubdüsen und wendete scharf. Ich erkannte kaum noch das Glühen seiner Triebwerke in der Ferne. Doch er würde mir nicht entkommen. Der Abstand verringerte sich schnell. Dieses Mal wollte ich mir Zeit lassen und so lange auf ihn einschlagen, bis er nicht mehr wissen würde, wie sich ein Leben ohne Schmerzen anfühlt.

Plötzlich flogen zwei Raketen an mir vorbei. Die erste sprengte sein Triebwerk vom Rumpf, die andere schlug direkt hinter seinem Cockpit ein. Die Explosion flammte auf und die Fiera verbrannte.

Ich blicke mich um. Auf den Scannern war der Angreifer nicht zu sehen.

Da war ich also – allein mit einer Ladung voller Sklaven.

Mein Blut kochte immer noch.

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Kapitel 03

 Ich hatte das Gefühl auf einer Landmine zu stehen. Egal welchen Scan ich durchführte, ich konnte nicht erkennen, ob der Attentäter noch da war oder nicht. Es sah es so aus, als ob ich das Opfer meiner eigenen ganz tollen Idee werden würde. Der Hauptgrund, warum ich diesen Sprungpunkt gewählt hatte, war die Interferenz, die durch den nahen Sonnensturm verursacht wurde.

Jetzt störte sie meine Scanner genauso wie seine. Es vergingen fünf weitere Minuten. Ich hatte nicht vor, etwas zu unternehmen. Wenn er vorhatte mich abzuknallen, so konnte er das jederzeit tun. Mir blieb nichts anderes übrig, als herauszufinden, welches Blatt ich auf der Hand hatte.

Aber das Wichtigste zuerst – da waren gut ein Dutzend Sklaven im Frachtraum eingesperrt, betäubt und zusammengepfercht. Wahrscheinlich folgte dem Sklaverhänder ein unsichtbarer Schatten, der die kostbare Fracht bewachte. Für den Fall, dass er überfallen werden würde, hätte ihn sein Beobachter ausgeschaltet. Den Hintermännern war ihre Fracht wichtiger, als der Händler selbst. Ich ging davon aus, dass sie mich dazu bringen wollten, den Job zu beenden.

Auf meinem Bildschirm leuchteten alle möglichen Kontrolllampen auf: Überwachung der Lebenszeichen, Steuerung des Medikamentenflusses, Temperatur- und Druckkontrolle und anderes. Ich prüfte noch einmal die Umgebung.

Ich gab ein wenig Schub. Eine Schubdüse an der Tragfläche zündete. Meine Defensivmonitore leuchteten auf, Raketen kamen auf mich zu. Gut, ich hatte nicht erwarten können, einen schnellen Ausweg zu finden. Aber in Wirklichkeit hatte ich nichts und war auf frischer Tat ertappt worden, mit einem Frachtraum voller komatöser Sklaven ohne Herkunfts- oder Registrierungskennzeichen. Alles in allem, war ich ziemlich im…

“…nicht identifizierte Freelancer. Gemäß Artikel 43 des Advocacy Authority Acts sind Sie verpflichtet Ihr Schiff abzuschalten.”

Es war eine Frauenstimme. War es die Agentin aus dem Hub? Mir fehlten die Worte. Ich war mir sicher, die nette Advocacy-Agentin würde meine Geschichte über den unsichtbaren Schlepper wohlwollend aufnehmen und mich nicht des Menschenhandels anklagen und mir keine dreißig Jahre Gefängnis aufbrummen. Meine Scanner waren durch den Sturm immer noch nicht wieder voll funktionsäüchtig und es schien mir eine Menge Aufwand zu sein, um…oh…vielleicht hat der Attentäter sie informiert…meine Gedanken rasten.

“Nicht identifiziertes Flugobjekt der Freelancer-Klasse. Sie haben eine Minute…”

Scheiß drauf. Ich gab vollen Schub und drehte mit meinem Schiff ab. Wenn sie mich erschießen wollten, konnten sie das gern tun während ich flüchtete. Der Abfangjäger der Advocacy feuerte aus allen Rohren und raste hinter mir her. Laserfeuer zischten an meinem Cockpit vorbei. Ich lud meine Schilde wieder voll auf. Das sollte genug sein, um ihre Schüsse abzufangen, außerdem versuchte sie nicht, mich zu zerstören. Sie zielte nur auf unwichtige Stellen am Schiff. Es sah so aus, als ob sie genau wusste, welche Ladung an Bord war.

Ich flog zurück in Richtung Zivilisation. Gerade als ich die Schiffsrouten studierte, flammten meine Schilde erneut auf und mein Schiff erbebte. Sie traf mich mit einer Blend-Rakete. Ich war mir ziemlich sicher, dass das nicht zum Standardprozedere der Advocacy gehörte. Ich steckte einige Lasertreffer ein. Mein Schiff taumelte, bis sich die Schilde wieder erholt hatten. Ihr Schiff war viel wendiger als meins. Ich hätte schon noch ein paar Überraschungen in petto gehabt, aber ich kämpfte grundsätzlich nicht gegen die Advocacy.

Ich brauche diese Art von Aufmerksamkeit nicht, also ließ ich die meisten meiner Modifikationen in die direkte Handhabung des Schiffes stecken – in Zusatz- und Reservetriebwerke etwa. Wir glitten umeinander und kreisten durch den Raum, ohne den Weg zurück in den Verkehrsfluss aus den Augen zu verlieren. Ich steuerte den Sprungpunkt an und war mir sicher, dass sie das wusste. Sie wollte mich ins Zielkreuz nehmen und ich wandte jeden Trick an, um das zu verhindern.

Vor uns verließen örtliche Polizeischiffe ihre Posten und gingen auf Abfangkurs. Ich schätzte, dass sie sie über die Verfolgung informiert hatte. Pech für sie – ich hatte nicht so lange überlebt, wenn ich nicht mindestens ein oder zwei von ihnen  ausmanövrieren könnte. Ihr Wenderadius ist unfassbar miserabel. Die erste Lektion ist, direkt auf sie zuzufliegen, dann direkt an ihnen vorbei zu rasen – und schließlich zu wenden. Voraussetzung ist, die Schüsse und Raketenangriffe zu überleben. Die beiden Schiffe eröffneten das Feuer mit allem was sie hatten. Ich teilte die Energie auf die Schilde auf und checkte, welche Waffen sie benutzten. Der Trick, um solche Manöver zu überleben, ist, sein eigenes Schiff genau zu kennen. Man muss wissen, was es aushalten kann und was nicht, um dann seine Verteidigung darauf auszurichten, wo Not am Mann ist. Und doch wurde ich nun fast zerlegt.

Ich brach mein Rollmanöver ab, warf für die anliegenden Raketen ein paar Täiuschkörper aus. Ich schoss sogar eine eigene Rakete ab und schaltete sofort danach die Triebwerke aus. Dann ging ich wieder auf volle Leistung und leitete die Energie der Geschütze auf die Schilde um. So konnte ich ihrer schnellen  Enleerung entgegenwirken. Plötzlich schalteten die Polizeischiffe auf ihre Kanonen um. Ich schätzte, der Agent hatte ihnen gesagt, welche Ladung sich an Bord befand.

Ich raste an ihnen vorbei in Richtung des steten Stroms von Pendlern und Handelsschiffen, die darauf warteten, ins nächste System springen zu können. Ich tauchte unter einem Frachter hindurch und raste an dessen Aussichtsplattform vorbei, sah die große Augen von Kindern, die offenbar auf einer Reise zu anderen Systemen waren. Ich schaltete meine Elektrohaut aus, um mit den normalen Zivilisten zu verschmelzen, dann lud ich den NavPath für diesen Sprungpunkt und gab ihn ein.

Der Advocacy-Abfangjäger drängte sich unterdessen zwischen mich und den Sprungpunkt. Ihre Waffen flackerten auf. Ich schlängelte mich weiter durch die Zivilisten. Ich wollte es ihr so schwer machen wie möglich. Ich rollte mein Schiff über sie hinweg, ließ eine kleine „Überraschung“ fallen und stürzte in den Sprungpunkt. Die Sterne verschwammen, beschleunigten und verlangsamten sich zur gleichen Zeit. Kurz nachdem ich verschwunden war, explodierte meine EMP-Bombe. Sie war nicht tödlich und die Schiffe regenerierten sich von selbst, aber es würde genug Chaos verursachen, um mir die nötige Zeit zu verschaffen damit ich entkommen konnte.

Als ich auf der anderen Seite auftauchte, schoss ich so schnell und so weit weg, wie ich konnte. Nachdem ich mich vergewissert hatte, in Sicherheit zu sein, nahm ich mir einen Moment Zeit zum Nachdenken. Die ganze Situation trieb mich in den Wahnsinn. Ich musste unbedingt versuchen, die Dinge wieder in den Griff zu bekommen.Eines wusste ich jedoch genau: Irgendwer da draußen wollte mich Tanzen lassen. Jetzt muss ich herausfinden, wie ich die Melodie ändern konnte.

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Kapitel 04

Die alte Arshop-Bergbau Anlage lag inmitten der gigantischen Felsen des Magnus-Systems. Vor fast fünfzig Jahren war Arshop noch ein vollautomatischer Betrieb gewesen. Jetzt war es nur noch ein heruntergekommener Rest seiner einst technologischen Pracht, notdürftig besetzt mit Baggern und ein paar Minenarbeitern.

Ich kannte Klay noch aus meinen Tagen als Schuldeneintreiber für ein erbärmliches kleines Unternehmen auf Armitage. Klay war ein Citizen gewesen, aber nach ein paar falschen Entscheidungen und einem fiesen Liebeskummer, fand er sich in einer Abwärtsspirale wieder. Als ich ihn anrief, war ihm die Staatsbürgerschaft entzogen worden, seine Familie und sein Leben hatte er verloren. Nun war er ganz unten angekommen und arbeitete als Aushilfs-Geologe auf der Bergbauanlage, wo er mir ohne großes Aufsehen einen Andockplatz gab.

“Du bleibst doch nicht lange, oder? Ich bin mir nicht sicher, wie lange ich diese Landebucht freihalten kann.”

Er blickte sich nervös um.

“Beruhige dich, Klay. Nur so lange, um einen klaren Kopf zu bekommen, dann bin ich wieder weg.”

“Danke. Der Chef hat mich schon die ganze Woche im Visier.”

Klay entspannte sich ein wenig.

“Mach dir keine Sorgen, Kumpel. Das wird schon wieder”, sagte ich während ich den Frachtraum öffnete und eine Menge komatöser Sklaven zum Vorschein kamen.

Klay bekam fast einen Herzinfarkt.

“Was zum … bist du verrückt?”

Er stürzte nach vorne und versuchte, die Türen wieder zu schließen.

“Klay! Beruhige dich.”

Ich starrte ihn an, bis er endlich die Tür losließ. Ich ging hinein und begann, einen Menschen aufzuwecken. Es dauerte etwa zwanzig Minuten, bis er aufwachte. Es war ein junger Mann, wahrscheinlich in seinen späten Teenagerjahren, mit Tätowierungen und dem Scancode einer Jugendstrafanstalt. Er verortete ihn in die Nähe von Terra. Ich sah, dass der Sender bereits in sein Handgelenk eingepflanzt worden war. Er diente als Ortungsgerät, war aber auch ein universelles Zeichen dafür, um jemanden als Eigentum zu markieren. Der junge Mann zitterte, als ich ihm in groben Zügen erzählte, was passiert war. Er nahm die Nachricht ziemlich gut auf.

“Ich wollte mir die Systeme sowieso eines Tages ansehen”, sagte er schließlich. Klay und ich sahen uns an. Ein Scherz. Der Junge entkam nur knapp einem lebensgefährlichen Steinschlag auf einem fernen Mond oder Schlimmerem und machte schon wieder Witze.

“Was war das Letzte, woran du dich erinnerst?”

“…äh… ein Club auf Prime. Ich habe mit diesem unglaublichen Prachtexemplar geredet. Mann, sie hatte -“

“Bleib beim Thema”, platzte Klay heraus.

“Wir haben getanzt und plötzlich fing sie an, davon zu reden, dass sie etwas Neon wollte. Hatte ich welches? Kannte ich jemanden, der welches hatte? Ihr wisst schon, das übliche Gelaber.”

Er sah uns an, fand nicht die Bestätigung, die er suchte und fuhr fort.

“Also ging ich zu diesem Kerl, Kendrick, von dem ich in der Vergangenheit öfter mal etwas  gekauft hatte. Er sagte, er habe nichts, aber er wüsste vielleicht einen Typen.”

Klays Fuß tippte auf den Boden. Er verlor mit jeder Sekunde mehr Geduld. Ich aber wollte den Jungen in Ruhe ausreden lassen. Manchmal findet man die besten Details in scheinbar nebensächlichen Dingen. Aber Klay hatte Recht, die Dinge konnten sofort aus dem Ruder laufen, sollte die falsche Person durch diese Tür kommen.

“Also gingen wir zum Landeplatz. Dort…”

“…wo genau?”

Ich wollte, dass er Einzelheiten nannte.

“Auf der Ostseite, glaube ich. In der Nähe einer Brücke.”

Ich glaubte, ich wusste, welche er meinte.

“…wir kommen also dort an und das Mädchen beginnt … Moment, ist sie hier? Hast du sie auch aufgeweckt?”

Der Junge stand auf, um im Frachtraum nachzusehen.

„Ich habe keine menschliche Frau auf der Liste gefunden. Sie müssen sie an jemand anders verkauft haben“, sagte ich. Ich gab ihm ein Zeichen weiterzumachen. Langsam setzte er sich wieder hin.

“Ja”, begann er, „und dann wurde es unheimlich, weil da ungefähr sechs Typen warteten. Einer von ihnen grabschte sofort nach ihr. Ich fing an, mich zu bewegen und dann… dann wurde alles schwarz. Das Nächste, was ich weiß, ist, dass ich hier bin.”

“War da irgendetwas besonderes an den Typen, die sich auf dich gestürzt haben, irgendetwas bestimmtes?”

“Ich weiß es nicht.”

Er fing an, nervös zu werden. Sein Körper begann erneut zu zittern, er kämpfte immer noch gegen die Wirkung der Drogen an, unter die sie ihn gesetzt hatten. Ich gab ihm einen Moment Zeit. Klay kam zu mir.

“Was wirst du mit ihm machen?”, flüsterte er.

“Mit ihm? Ich habe noch weitere vierzehn da drin.”

Ich dachte ein paar Sekunden lang nach. Wenn er sich an nichts erinnerte, hatte ich Nichts. Dann zog etwas meine Aufmerksamkeit auf sich.

“Hey Klay.”

“Ja?”

“Ihr wollt doch nicht etwa jemanden einstellen, oder?”

Klay starrte mich an.

Die übrigen Sklaven erwachten nach und nach aus ihrem Kryoschlaf. Verwirrt und verängstigt sprach Klay mit dem Vorarbeiter und schließlich fanden sie eine Möglichkeit, wie die Sklaven ihren Heimweg abarbeiten konnten. Ich traute dem Vorarbeiter nicht über den Weg, aber ich war mir ziemlich sicher, dass Klay die Sache im Griff hatte. Ich kletterte zurück in den Pilotensitz, bereit, die ganze Sache als Reinfall zu deklarieren, als der Junge auftauchte, mit einer Schüssel Suppe in der Hand.

“Hey, Mister. Ich wollte Ihnenr danken für das, was Sie getan haben.”

“Gerne, Kleiner.”

“Es tut mir leid, dass ich die Fassung verloren habe, aber ich glaube, da war noch etwas anderes. Bevor ich verschwand, erschien jemand anderes. Jemand, den alle Typen zu kennen schienen.”

“Ach ja? Haben sie einen Namen genannt?”

“Ja. Sie nannten ihn Kid Crimson.”

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Kapitel 05

 Ich hielt mich nicht für einen eitlen Menschen, hatte aber einen gewissen Ruf und war darauf recht stolz. Also war die Vorstellung, dass irgendein Abschaum da draußen meinen Namen benutzte, schon schlimm genug – aber Kinder zu entführen, um sie als Sklaven zu verkaufen? Das weckte meinen Wunsch Blut zu vergießen.

Meine Uhren wurden neu kalibriert, als ich das Terra-System erreichte. Bei meinem aktuellen Tempo sollte ich Terra um Mitternacht erreichen. Beste Clubzeit. Während des Landeanflugs buhlten gleich sechs Landeplätze um meine Gunst, wobei sie mir bessere Tarife, schnellere Zollgenehmigungen und anderes mehr anboten. Einer schlug mir sogar vor, einen Blick auf seine gestohlenen Waren werfen zu dürfen. Ich nutzte eine meiner schäbigsten ID-Tags. Den Typen war das völlig egal. Auf einem Planeten mit 23 Milliarden Einwohnern nahmen sie, was sie kriegen konnten.

“In Ordnung, Mr. Dulli. Landeerlaubnis erteilt. Danke, dass Sie Fisk Landezone gewählt haben.”

Ich schaltete den Funk ab. Zehn Minuten später war ich bereits auf der Straße. Es regnete in Strömen, aber das hielt die Leute nicht davon ab rauszugehen. Irgendein Festival oder eine Art Kundgebung im Stadtzentrum lockte sie scharenweise nach draußen. Ich schlängelte mich durch den Strom glitschiger Regenmäntel zu einem der Clubs, von denen mir der Sklavenjunge erzählt hatte. Dort angekommen ging ich am Türsteher vorbei und tauchte in eine Wand aus Lärm.

Mir war unklar, wie diese Kids das schafften. Man sagt, die Jugend sei ein starkes Schutzmittel fürs eigene Leben. Ich wusste nur, dass es so etwas wie Jugend nicht gibt, wenn man mit zwölf Jahren verkauft wird, um auf irgendeiner felsigen Welt zu schuften.

Die ersten beiden Clubs sahen innen fast identisch aus und hörten sich auch so an. Nur die Farben der Lampen waren unterschiedlich. Ansonsten war es diesselbe Mischung aus Verzweiflung und Flucht. Der Alkohol ließ sie das Leben vergessen, das bei Tageslicht auf sie wartete. Sie tanzten, konsumierten und fummelten, als könnten sie alles damit verscheuchen. Diejenigen, die das Pech hatten, den Sklavenhändlern aufzufallen, die die Menge scannten, hatten wohl nicht ganz Unrecht.

Ich streckte meine Fühler aus, um herauszufinden wer etwas dabei hatte und wer nicht. Der Junge hatte gesagt, dass sein Dealer Neon vertickte und wenn man einen im Club traf, dann war derjenige entweder selbst drauf oder suchte danach. Leider hatte er mir nur eine einfache Beschreibung des Dealers namens Kendrick gegeben. Darum dauerte es eine ganze Weile. Nach ein paar Stunden bemerkte ich, dass  ich so nicht raus bekam. Vielleicht dachten die Leute ich sei ein Bulle, oder mein finsterer Gesichtsausdruck verriet ihnen, dass ich nicht darauf aus war mich zu amüsieren.

Wie auch immer, ich musste meinen Plan ändern und fing ich an, Leute komkreter zu verfolgen, potentielle Ziele. Es gab da ein paar Dinge, die sie ausmachten: Tattoos aus dem Knast oder der Jugendanstalt, schäbige Klamotten, zwischen denen teure und wahrscheinlich gestohlene Accessoires aufblitzten, also alles, was signalisierte, dass die Gesellschaft wahrscheinlich gut ohne sie auskommen würde. Draußen folgte ich einem Paar, das definitiv auf der Jagd war. Sie trafen sich soeben mit einem Typen, auf den die sehr grobe Beschreibung des Jungen für Kendrick passte. Das Mädchen war sichtlich nervös.

“Komm, Kendrick, treff mich jetzt…”, sagte der Typ.

“Glaubst du ich bin hier, um dir den Abend zu versüßen? Ist es das?”, erwiderte Kendrick und entließ das Paar mit einem desinteressierten Winken. Aber als er einen intensiveren Blick auf das Mädchen warf, grinste er.

“Ja, weißt du, vielleicht können wir ja doch etwas aushandeln…”

Ich ging auf die Gruppe zu. Sie waren so aufgekratzt, dass sie mich nicht mal wahrnahmen, bis ich direkt vor ihnen stand.

“Los, Kinder, lasst die Erwachsenen reden”, murmelte ich, den Blick auf Kendrick gerichtet. Der Typ drehte sich um und machte einen Schritt auf mich zu.

“Wer zum Teufel bist du?”

“Wenn du nicht willst, dass sich der Rest dieser Nacht für dich auf einer Kranken-Station abspielt, würde ich abhauen. Jetzt.”

Das Mädchen versuchte ihn zur Vernunft zu bringen und zog ihn weg. Kendrick starrte mich an.

“Willst du was kaufen?”

“Nein. Aber ich habe gehört du kennst Kid Crimson.”

Kendrick verschränkte die Arme.

“Ich bin von Zeit zu Zeit mit dem Mann rumgezogen. Was ist mit ihm?”

“Ich habe Arbeit für ihn.”

“Also weißt du, ich habe eine übliche Vermittlungsgebühr von zehn Prozent …”

Die Worte rutschten mit einem weiteren Grinsen aus seinem betrunkenen Mund.

“Ich sag dir was. Du stellst uns einander vor – und ich gebe dir zwanzig.”

Zwei Stunden später waren wir an einem Landeplatz in der Nähe einer Brücke. Es war wahrscheinlich derselbe Ort, an dem der Junge entführt worden war. Kendrick war auf einem Stapel alter Kisten eingeschlafen. Ich hörte Schritte. Er war vielleicht achtzehn oder neunzehn. Und er ging, als wollte er der Schwerkraft etwas entgegensetzen. Selbst in diesem schwachen Licht konnte ich Spuren von Schwarz in seinen Adern erkennen. Er war Widow-Süchtiger, zündete sich eine Kippe an und nahm einen Zug.

“Ich habe gehört, dass du nach Kid Crimson suchst.”

Er blies eine Rauchwolke in den Himmel.

“Ja.”

Ich hörte die Schritte zweier Leute hinter mir. Eine Pistole wurde geladen.

Ich drehte mich um. Zwei Schwachköpfe kamen auf mich zu. Der eine Schwachkopf vor mir grinste.

“Tja, das ist nicht dein Tag, denn Kid Crimson gibt sich nicht mit Verlierern ab.”

“Komisch, ich wollte gerade genau das Gleiche sagen.”

Ich warf meinen Ellbogen zurück, erwischte den Revolverhelden an der Kehle. Dann schnappte ich sein Handgelenk und verdrehte es, bis es knackte. Gleichzeitig zog ich meine Pistole und jagte dem anderen eine Kugel in die Brust.

Ich trat dem verhinderten Revolverhelden gegen sein Knie und erschoss ihn. Dann nahm ich ihm die Waffe ab. Ich schoss auf Kendrick. Er war wie erstarrt. Sein Kinn war heruntergefallen.

“Wer bist du?”, stotterte er.

“Einmal darfst du raten.”

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Kapitel 06

Ich starrte den Jungen, der unter meinem Namen handelte, an. Der Junge zitterte und jammerte, rührte sich aber sonst nicht. Bei der Durchsuchung fand ich eine billige Pistole, die wahrscheinlich eher explodieren würde, als richtig zu schießen – und einen ausziehbaren Schlagstock in seinem Stiefel. Ich schmiss alles in den Fluss.

“Bitte, Mann, ich habe nicht -“

Seine Stimme war schwach, zitterte. Ich schlug ihm in den Nacken. Er fiel um und rollte sich zu einem Ball zusammen. Jetzt begann das eigentliche Gejammer. Er dachte, er wüsste, worauf er sich eingelassen hatte, aber da waren größere Dinge im Spiel. Das musste ich mir auch selbst sagen um ihn nicht sofort umzubringen.

“Ob du es glaubst oder nicht, heute ist dein Glückstag.”

Ich hielt ihm die Waffe unter die Nase:

“Schau, normalerweise mache ich mit feigen Händlern, wie du einer bist, kurzen Prozess.”

Ich ging nicht ins Detail, beschrieb ihm nur, dass es sich um eine sehr langwierige Sache handelte, die sich tagelang hinziehen konnte. Er fing an Unsinn zu plappern, sein Verstand arbeitete zu schnell, um Worte bilden zu können. Ich zog meine Klinge. Er verstummte.

“Und außerdem hast du meinen Namen benutzt, also sagen wir einfach, ‘Kurzer Prozess’ wäre mein Einstieg in tiefe, dunkle Orte, vor denen sogar ich Angst habe.”

Er schloss die Augen und seine Fantasie schlug Purzelbäume. Ich ließ ihm einen Moment.

“Aber ich will eigentlich den Verantwortlichen. Also sieh es mal so: Je mehr Infos du ausspuckst, desto weniger Schmerzen wirst du haben.”

Ich richtete die Waffe auf seine Hand und schoss ihm einen Finger ab.

“Das ist unsere Ausgangsbasis.”

Er schrie auf und umklammerte seine Hand.

“Und jetzt rede.”

Es sprudelte alles geradezu aus ihm heraus. Er hatte alles und jeden verraten. Ich bekam die Namen der Späher, die ausgesandt wurden, um potenzielle Opfer zu jagen, die Namen der korrupten Polizisten und Spediteure, die dafür bezahlt wurden, wegzuschauen. Ich speicherte alles. Das war zwar gut zu wissen, aber es waren dennoch nur die kleinen Fische.

Ich wollte den Kopf der Bande. Zwischen Schluchzen und Plappern gab mir der Junge schließlich einen Namen. Vielleicht den größten, überhaupt: Caro.

Er flüsterte ihn so leise, als ob er durch Aussprechen dieses Namens den Teufel selbst heraufbeschwören würde. Mein Magen drehte sich um. Caro war ein Geist, eine dieser schattenhaften Gestalten da draußen, für den niemand wirklich arbeitete, aber den doch jeder kannte. Caro war unantastbar, gefährlich und der größte Schmuggler weit und breit. Ich half ihm auf die Beine und drückte ihm den Lauf ins Gesicht.

“Hast du ihn gesehen?”, zischte ich.

Er nickte langsam, als ein schneller Schusswechsel den heftigen Regen durchdrang. Vier Kugeln durchbohrten den Rücken des Jungen, bevor ihn ein Kopfschuss endgültig töte.

Ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf den Schützen. Groß, militärischer Haarschnitt, breite Narbe von der Wange bis zum Ohr. Er zielte erneut. Ich riss meine Waffe herum und feuerte zuerst. Er verschwand, als plötzlich drei seiner Kameraden aus der Deckung auftauchten und ihre modifizierten Waffen  in meine Richtung richteten. Ich hörte Schritte zu meiner Linken.

Ich rannte los, bevor der erste Schuss fiel. Die erste Regel, wenn man in einen Hinterhalt gerät, lautet, dem Hinterhalt zu entkommen. Das klingt selbstverständlich, aber viele Leute verschanzen sich und versuchen, sich zu wehren. Ich rannte durch die engen Gänge zwischen den geparkten Schiffen hindurch. Ich hörte Schritte um mich herum, aber keine Stimmen. Wahrscheinlich hätte ich die ganzen Waffen des Jungen und seiner Schläger nicht wegwerfen sollen.

Kugeln flogen an mir vorbei. Ich schaute zurück. Einer der Killer legte soeben neu an. Ich antwortete mit ein paar Schüssen. Er verschwand hinter die Deckung. Militärische Kriegsführung. Ruhig am Abzug. Das waren hochkarätige Profis. Gar nicht gut. Ich schoss eine weitere Salve auf seine Deckung ab, bevor ich weiterrannte. Plötzlich hatte ich ein Gewehr direkt vor meinem Gesicht. Ein weiterer Schütze war auf der anderen Seite des Visiers. Ich schnappte mir den Lauf und drehte mich, bevor er den Abzug bedienen konnte. Die Schüsse gingen direkt in den Boden, überall dorthin wohin meine Hand den Lauf führte. Die Haut an meiner Hand begann zu brennen. Ich nahm meine Pistole hoch und versuchte dem Attentäter ins Gesicht zu schießen. Er ließ sein Gewehr los, um meinen Schüssen auszuweichen. Er packte mein Handgelenk, schlug mir auf die Hand und entriss mir die Waffe aus dem gelockerten Griff.

Dann zog er ein Messer. Wir lieferten uns ein kurzes Handgemenge, ohne dass einer von uns eine ernsthafte Schnittwunde erlitt. Mir war klar, dass er gut war, möglicherweise besser als ich. Er bewegte sich mit Geschwindigkeit, Präzision und Erfahrung. Leider hatte ich keine Zeit, mich mit dem Kerl tiefer zu messen. Er wollte mich nur aufhalten und seinem Team die Zeit zu verschaffen, um näher zu kommen.

Ich holte weit aus. Er sprang zurück, aber ich zielte nicht auf ihn. Ich schlitzte statfdessen ein paar Rohre eines geparkten Schiffes zu meiner Linken auf. Hydraulikflüssigkeit lief aus. Es zischte. Mein Gegner sprang zur Seite, rutschte aber dabei aus, als ich ihm ein Bein stellte. Ich sprang über den nächsten Zaun und rannte davon. Zwei Blocks weiter herrschte reger Fußgängerverkehr. Ich mischte mich sofort unter die Leute und bewegte mich für die nächste Stunde, unter einsetzen aller Tricks, die ich kannte, um so meinen Verfolgern zu entkommen.

Als ich mich in Sicherheit glaubte, schlüpfte ich in ein kleines Restaurant. Der alte Mann und die Frau, die den Laden führten, zankten und schrien sich soeben an. Ich versuchte, meine Gedanken zu sammeln. Die Situation wurde von Sekunde zu Sekunde interessanter und unheimlicher. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass der Sender SSN stumm geschaltet war und live von der Veranstaltung zum Bürgertag in der Innenstadt berichtete. Senator Hannigan hielt soeben eine Rede, in der er die Tugenden der Zivilisation anpries und dass jeder Bürger seinen Teil dazu beitragen sollte oder so ähnlich. Dann verließ er die Bühne. Seine Gefolgsleute scharten sich um ihn.

In dem Moment sah ich es. Ich sprang fast über den Tresen, um mir die Fernbedienung zu greifen. Das alte Paar hörte auf sich zu zanken, um danach mich gemeinsam anzuschreien. Ich spulte die Sendung zurück und hielt an.  Eine Zehntelsekunde bevor Hannigan aus dem Blickfeld verschwand, flüsterte ihm ein Mann etwas zu. Es war der Attentäter, dem ich eben entkommen war.

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Kapitel 07

 Senator Hannigan war Caro.

In dem Moment, als ich diese Verbindung herstellte, ergab alles einen Sinn: Die Schiffe des Senats unterlagen nicht der Zoll-Kontrolle. Seine hohe Position erlaubte es ihm, die Ermittlungen der Advocacy zu überwachen und zu verschleiern. Der Bastard war sogar im Unterausschuss für Entwicklung und Expansion, was ihm vollen Zugang zu all den neuen Welten verschaffte, die auf ihre Entdeckung warteten.  Je öfter mir dieser Gedanke durch meinen Kopf ging, desto offensichtlicher wurde alles. Und auch die Lösung fing an Konturen anzunehmen.

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Die Klaus Werner LR-620 Präzisions Railgun konnte auf dreitausend Meter ein Geschoss durch 36 Millimeter dickes Titan schießen. Das Ganze war teuer, aber wenn man eine hundertprozentige Tötungsgarantie brauchte, war es das Geld wert.

Oben in Dovkins Penthouse glich das Gewehr eher einem überteuerten Kunstwerk an der Wand. Das saubere Design. Die tadellose Platzierung aller Elemente. Es war wunderschön. Wer weiß, vielleicht wird es sogar eines Tages heiliggesprochen, nachdem es dem schlimmsten Menschenhändler der UEE den Schädel weggepustet hatte…

Dovkin brachte mir einen Drink, ich nippte daran. Er servierte das „gute“ Zeug, denn er erwartete ein Geschäft. Dovkin glättete seine Anzugsjacke, während er lässig an der Wand lehnte und mich beobachtete. Er war ein kleiner Mann mit einem rauen Gesicht. Raj hatte uns vor ein paar Jahren zusammengebracht. Obwohl wir schon mehrere Geschäfte miteinander gemacht hatten, waren wir bei weitem keine Freunde. Dovkin machte keine Geschäfte mit Freunden. Er war ein Mittelsmann.

“Die Reg ist sauber. Ist in keinem System registriert, garantiert”, sagte er.

“Ersparen Sie mir den Vortrag, Dovkin.”

Ich hob das Gewehr hoch, stellte das Visier ein und testete das Gewicht. Es fühlte sich verdammt gut an, ausgewogen.

“Ich weiß, dass Sie mit sauberer Ware handeln”, erwiderte ich.

“Denken Sie daran, wenn ich Ihnen den Preis nenne.”

Sein Mund verzog sich zu einem ironischen Lächeln.

“Das ist es wert”, erklärte ich und Dovkins Augen glänzten.

“Muss jemand Wichtiges sein”, gluckste er. “Ich würde zu gern wissen, um wen es sich handelt!”

Ich beobachtete in der Ferne ein Taxi.

“Nein, wollen Sie nicht”, antwortete ich trocken.

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Ich hatte das richtige Instrument und konzentrierte mich auf das Ziel, besonders auf Hannigans Atmung. Einen UEE-Senator auszuschalten, war nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Es war zwar einfach, jemanden umzulegen – abgesehen von moralischen und ethischen Gründen – aber damit durchzukommen war das eigentliche Kunststück.

Die Feierlichkeiten zum Bürgertag auf Terra dauerten das ganze Wochenende und Senator Hannigan war der Ehrengast. Ich prüfte die lokalen Nachrichtendienste. Sie halfen mir, einen groben Zeitplan für die Auftritte des Senators zu erstellen.

Ab sofort musste ich ein Geist sein. Der Attentäter, ich nannte ihn fortan Laser-Burn,  wusste, dass ich noch hier draußen war. Er könnte auf die Idee kommen, dass der Junge Hannigans echte Identität preisgegeben hatte, Andererseits: Der flüchtige Blick zwischen ihm und Hannigan auf der Bühne des Nachrichtenkanals war reiner Zufall gewesen. Laser-Burn konnte nicht wissen, dass ich das gesehen hatte.

Trotzdem, ich hätte mein Schiff darauf verwettet, dass Laser-Burn der vorsichtige Typ war, also sollte ich mich auf verstärkte Sicherheitsvorkehrungen und Scharfschützen einstellen, vielleicht sogar auf zufällige Durchsuchungen in der Menge.

Auf dem Bildschirm zeigte der Nachrichtensender Ausschnitte von Hannigan bei der Eröffnung eines neuen Gebäudes. Blitzlichter hielten jede seiner Bewegungen fest. Er lächelte sich durch die Menge, wie ein Mann mit reinem Gewissen, der glaubte, die Vielzahl seiner elenden Sünden könnten ihn nie wieder einholen.

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“Hey!”

Der spindeldürre, Stim-rauchende Ladenbesitzer stand direkt vor mir. Ich schaute auf den Bildschirm über ihm. Die Nachrichten wechselten von Hannigan und berichteten über irgendeinen lokalen Idioten-Promi-Quatsch.

Ich tippte mit meiner Karte auf den verbeulten Sensor, um meinen Tee zu bezahlen und ging. Zurück auf der Straße, konzentrierte ich mich wieder auf die anstehende Mission. Es gab zwei vielversprechende Veranstaltungen.

Hannigan sollte in acht Stunden die Eröffnungsrede an der Universität halten. Mit den Studenten und ihren Familien wurden tausende Besucher erwartet, also würde es sicherlich Schwachstellen geben. Der Nachteil war, dass die Ansprache in einem Hörsaal gehalten werden sollte. Dort hineinzukommen war schwierig, herauszukommen aus dem abgesperrten Arial, sobald der Schuss gefallen war, ungleich schwieriger.

Für den nächsten Tag war der Gouverneursball für die Abschlussfeierlichkeiten geplant. Die Sicherheitsvorkehrungen dafür waren fast unmöglich zu umgehen, aber er sollte dafür auf einer Open-Air-Plattform, direkt an der Bucht stattfinden und dort gibt eine Menge hoher Gebäude. Das war Plan B. Während ich im Gebäude generell meinen Schuss platzieren konnte wo ich wollte, würde es im Freien, aufgrund von Entfernung und Seitenwind, ein meisterhaftes Zielen erfordern.

Ich entschied mich zuerst für die Universität und beobachtete ein bis zwei Stunden lang, wo die Vorhut-Teams kontrollierten und wo die Spürhunde nach Sprengstoff suchten. Keine Spur von Laser-Burn oder anderen bekannten Gesichtern von der gestrigen „Party“ auf dem Landeplatz. Eine Gruppe Studenten lungerte an einer Seitentür herum und rauchte Kette, natürlich Stims. Es dauerte etwa zwanzig Minuten, bis ich ihr neuer bester Freund wurde. Sie waren die Bühnentechniker und mehr als nur ein wenig sauer darüber, dass sie zum persönlichen Beleuchtungsteam des Senators verdonnert worden waren. Ich hörte ihnen eine Weile zu und nach weiteren fünfzehn Minuten hatte ich einen Plan.

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Noch zwei Stunden. Die LR-620 lag quer über meinem Bett. Ich setzte die letzten Teile meines Gewehrs zusammen und checkte den Nachrichtenkanal auf alles, was meine Pläne vereiteln könnte. Ich tat mein Bestes, um konzentriert zu bleiben. Ich dachte an mögliche Schwachpunkte und arbeitete Eventualitäten aus. Es war ein Geduldsspiel.

Vielleicht war ich zu konzentriert. Ich hörte kaum den Piepston, bevor die Tür explodierte. Die Wucht schleuderte mich gegen das Fenster. Die Welt verschwamm. Als sich der Rauch verzog, hatte ich eine Waffe vor meinen Augen …, auf dem Abzug lag der Finger eines Agenten der Advocacy.

“Hab dich…”

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Kapitel 08

Mein Kopf schlug wiederholt gegen ein Fenster. Die Realität kam zurück. Regentropfen auf dem Plastik verwandelten die Lichter der großen Gebäude in Lichterschlangen, die draußen langsam vorbeizogen. Ich brauchte eine Sekunde, aber dann kam alles zurück: Hannigan, der Plan, der Advocacy Agent.

Ich testete die Fesseln an meinen Händen und Füßen, in der Hoffnung auf genügend Spielraum, um sie lösen zu können. Keine Chance – alles war extrem fest zugezogen. Der Advocacy-Agent saß vorne am Steuer und beobachtete mich im Rückspiegel.

“Einen Moment lang hatte ich wirklich Angst, dich verloren zu haben”, sagte sie.

An ihrer sachlichen Art erkannte ich, dass sie jedes Wort ernst meinte. Das war der erste direkte Blick, den ich seit dem Covalex Versand Zentrum auf sie werfen konnte. Ihre makellose Kleidung und ihr ruhiges Auftreten zeugten von professioneller Vorbereitung.

Ich setzte mich auf, mein Kopf hasste mich dafür.

“Also, der berüchtigte Kid Crimson …”

“Nie von ihm gehört.”

Sie sah mich ungläubig im Spiegel an.

“Wirklich? Und damit willst Du durchkommen? Ich habe das Gefühl, die meisten von euch können es kaum erwarten, erwischt zu werden. Nur damit ihr euch damit rühmen könnt, wie berüchtigt ihr seid. Hurricane Wilcox war genauso … Naja, bis ich ihn erschossen habe.”

Meine Gedanken überschlugen sich. Ich hatte von ihr gehört. Ihr Name war Raina Quell. Sie hatte den Ruf einer kompromisslosen Agentin, die schon ein paar ernstzunehmende Gegner ausgeschaltet hatte. Sie ließ, nachdem sie Hurricane in die Enge getrieben hatte, einige seiner Jungs versuchen, ihn zu befreien. Sie tötete alle und war die einzige Überlebende. Sie nahm mein Schweigen zur Kenntnis.

“Also ich denke, ich muss mich nicht vorstellen”, sagte sie.

“Du bist schon seit Covalex an mir dran?”

“Ja.”

“Wie?”

“Was meinst du?”

Sie sah mich fragend an.

“Warst du dort, um mich zu suchen?”

“Ich bin einem Tipp bezüglich einer Ladung Sklaven gefolgt. Das hat mich zu dir geführt. Du bist abgehauen. Ich habe dich gejagt.”

Sie wusste also nichts von dem Betrunkenen, der ursprünglich die Sklaven transportiert hatte. Der Tipp kam offenbar, nachdem ich die Ladung geklaut hatte. Der getarnte Attentäter hatte mich an sie ausgeliefert. Aber warum? Um mich zu einer verräterischen Flucht zu zwingen?

“Ich nehme nicht an, dass ich Dich davon überzeugen kann, dass ich reingelegt wurde.”

“Das würde ich, aber ich bin schon zu oft darauf reingefallen.”

Sie beobachtete mich einige Augenblicke lang. Ich lehnte mich im Sitz zurück und sah die Stadt vorbeifliegen.

“Ich habe Dein Schiff überprüft. Wo hast Du die Sklaven abgeliefert?”

“Ich habe sie freigelassen.”

“Natürlich.”

“Sie sind in Magnus. Auf der Arshop-Bergbauanlage. Sieh selbst nach.”

Ich sah sie direkt an. Sie hatte nichts gegen mich in der Hand. Vielleicht Flucht vor einem Agenten. Aber die meisten meiner alten Sünden waren geklärt.

“Du wusstest, dass ich dir auf den Fersen war und wusstest, dass es zu heiß sein würde, mit Sklaven zu reisen, also hast du die Beweise entsorgt.”

“Ich handele nicht mit Sklaven. Ich bin wegen dem hier, der so etwas macht.”

“War das der Grund für die LR-620?”

Ich hasste überflüssige Antworten, also schwieg ich. Sie wartete.

“Wer?”

Ich sah den Campus in der Ferne. Die Zeremonie war bereits im Gange. Das war’s mit meinem Plan.

“Hast Du je von einem Mann namens Caro gehört?”

Das erregte ihre Aufmerksamkeit.

“Machst Du Witze?”

“Die Information war von einem der Sklaven, ich verfolgte sie bis hierher. Heraus kam der Name an der Spitze.”

“Caro ist hier?”

Sie sagte es zurückhaltend. Ich wog ab, ihr alles zu erklären. Im besten Fall würde sie mir vielleicht glauben. Höchstwahrscheinlich würde ich damit aber nur den Mordversuch an einem UEE-Senator gestehen. Ich entschied mich, auf Nummer sicher zu gehen und den Mund zu halten.

Aber sie drängte weiter.

“Wer ist es?”

Wir erreichten den offiziellen Landeplatz der UEE. Vermutlich war dort ihr Schiff. Ich sah sie an.

“Moment, wo bringst Du mich hin?”

“Zur örtlichen Polizei zur Bearbeitung und dann zurück zu einer Advocacy-Station.”

“Du kannst mich nicht zur örtlichen Polizei bringen”, erwiderte ich mit eindringlichem Ton.

Das war schlecht. Wirklich schlecht.

“Das ist Vorschrift. Finde Dich damit ab.”

Quell dachte offenbar, ich sei verunsichert wegen der Aussicht auf Gefängnis.

“Sobald ich im System auftauche, schickt Caro ein Killerkommando, um mich zu töten.“

“Du redest von sicheren Advocacy-Kanälen. Caro hat Verbindungen, aber er ist nicht allmächtig.”

“Denk doch mal nach. Wie konnte er sich sonst die ganze Zeit der Festnahme und Identifizierung entziehen?”

“Sag du es mir”, antwortete sie.

Ich hatte keine Wahl.

“Senator Hannigan ist Caro.“

“Okay”, sagte Quell und drehte sich um.

“Ich meine es ernst.”

“Da bin ich mir sicher.”

“Hör zu, bring mich überall hin. Ins Hauptquartier der Advocacy, auf Dein Schiff, in die septischen Gruben, das ist mir egal. Ich werde Dir alles sagen, was ich weiß. Aber wenn die wissen, dass Du mich hast, bin ich ein toter Mann.”

Sie sah mich eine Sekunde lang an, dann stufte sie mich offenbar als einen weiteren Kriminellen ein, der versucht, seine Haut zu retten.

“Ich verständigte das Revier sofort, nachdem ich dich gefesselt hatte.”

Zwanzig Minuten später bog Quell in die örtliche Polizeistation ein und zerrte mich aus dem Wagen. Mit den gefesselten Händen und Füßen war ich so gut wie tot. Ich suchte nach allem Verdächtigen, bis sie mich in die kleine Wache schob. Drinnen waren drei Polizisten im Dienst. Sie sahen gelangweilt aus, als hätten sie in den letzten Jahren niemanden mehr gejagt. Quell stellte mich am Schalter ab. Der Sergeant ignorierte mich und starrte sie an.

“Kann ich Ihnen helfen, Schätzchen?”

Quell starrte ihn an. Es dauerte etwa dreißig Sekunden, bis der Polizist einknickte.

“Was kann ich für Sie tun, Agent?”

“Ich brauche die Daten von ihm und eine Kommunikationsstation.”

“Ja, Ma’am.”

Der Wachtmeister eilte herum, um mich zu packen.

Eine Tür öffnete sich. Ein großer, grimmig aussehender Hüne in einem durchnässten langen Mantel trat ein. Abgesehen vom gelegentlichen Quietschen seines Schuhs gab er keinen Laut von sich. Das roch nach Schwierigkeiten.

“Special Agent Quell”, sagte der Riese.

“Ja?”

Raina musterte ihn misstrauisch. Offenbar schossen ihr die gleichen Gedanken durch den Kopf wie mir. Der Riese starrte mich an.

“Ich habe den Befehl, Ihren Gefangenen zu übernehmen.”

Er zückte einen Advocacy-Ausweis.

“Auf wessen Befehl?”, erwiderte sie.

“Ich fürchte, das ist geheim”, antwortete er und ließ mich nicht aus den Augen, bis sich Quell in den Weg stellte.

“Wer ist Ihr Vorgesetzter?”, fragte Quell und wich nicht zurück.

Der Hüne ignorierte sie. Seine Hand begann sich zu bewegen, aber Quell war ihm einen Schritt voraus.  Ihre Pistole war blitzschnell in ihrer Hand. Das musste man ihr lassen, die Frau war wirklich schnell.

“Ganz ruhig, Sportsfreund, wenn Ihre Hände aus meinem Blickfeld verschwinden, töte ich Sie. Verstanden?”

Ihre Stimme war fest, bestimmt. Der Hulk grinste und hob seine Hände hoch.

“Sergeant, würden Sie bitte den Ausweis unseres Freundes für mich aus seiner Jacke herausholen?”

Der Schreibtischbeamte zögerte, offensichtlich verärgert darüber, dass er in die Sache hineingezogen wurde. Er bewegte sich langsam auf den Riesen zu und griff in seinen Mantel. Der Hüne grinste einfach weiter, seine Augen waren jetzt auf Quell gerichtet. Ich warf einen Blick aus dem vorderen Fenster. Durch die Regenwolken sah ich zwei Gestalten auf mich zukommen. Sie zielten.

Ich stieß Quell zu Boden, eine halbe Sekunde bevor ein paar Dutzend Kugeln die Fenster zerfetzten. Die beiden anderen Polizisten tanzten während der Kugelhagel ihre Körper durchlöcherte. Der Riese zuckte nicht mal mit der Wimper. Er schnappte sich den Schreibtischpolizisten und brach ihm das Genick. Quell stieß mir den Ellbogen in den Hals, wahrscheinlich dachte sie, ich wollte fliehen.

Der Hüne zog eine Schrotflinte aus einer Falte seines Mantels und entsicherte sie. Quell war jedoch schneller am Abzug und pumpte vier Kugeln in seine Brust. Aber er ging nicht zu Boden, stattdessen hob er sein Gewehr. Sie zielte zweimal auf seinen Kopf. Das wars, er starb.

“Nimm mir die Fesseln ab. Ich kann helfen.”

“Du bist wohl verrückt geworden.”

Sie lud nach. Draußen schossen die Killer weiter auf das Gebäude. Dem Geräusch nach zu urteilen, klang es wie MaxOx P4s, schnell feuernde, energiebasierte Waffen. Und es bedeutete, dass ihnen die Munition nicht so bald ausgehen würde.

Quell kroch zu dem toten Polizisten hinüber und schnappte sich den Ausweis des Hünen. Sie zerrte mich nach hinten. Überall um uns herum wirbelten Schüsse Papiere auf, durchschlugen Bildschirme und zertrümmerten eine Lampe.

Wir duckten uns und krochen in die hinteren Teil des Gebäudes, wo es ein paar leere Arrestzellen gab. Quell bewegte sich immer weiter. Jemand fing an, durch die Hintertür zu schießen. Wir drückten uns  eine Wand. Ein weiterer Schütze mit einer P4 trat die Tür auf. Er schien sehr überrascht, als er in den Lauf von Quells Waffe schaute. Sie brachte ihn zu Fall und schnappte sich seine Waffe im Vorbeigehen.

Wir hielten uns geduckt und bewegten uns zwischen den Schiffen, Hoverbikes und Wagen im hinteren Teil des Abstellplatzes langsam vor. Die Killer vor der Tür hörten unterdessen auf, den Platz zu beschießen. Wir hörten, wie sie stattdessen die Station betraten. In einem kurzen Moment der Stille schlichen wir uns davon.

“Glaubst du mir jetzt?”, flüsterte Ich.

Sie schaute mich an. Ich hätte schwören können, dass sie verärgert war.

“Nennen wir es ein vorläufiges Ja.”

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Kapitel 09

Einige Blocks von der Polizeistation entfernt wartete Quell geduldig, während ich ein Hoverbike knackte.

“Ich hoffe, das kommt nicht auf die Liste der Anklagen”, sagte ich und öffnete das Schloss.

“Ich habe mich noch nicht entschieden”, antwortete sie und hielt dabei  Ausschau nach unseren Verfolgern.

“Weißt du, ohne die Fesseln ginge es vielleicht ein bisschen schneller.”

“Tja, das Leben ist ungerecht.”

Zwei Minuten später sprang der Motor an.

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Quell hatte das billigste Zimmer in der billigsten Absteige genommen. Auf dem Kopfteil des Bettes waren Flecken von getrocknetem Blut. Die Rollläden am Fenster waren verrostet. Es stank nach feuchtem, verrottetem Stoff.

“Konntest du dir kein besseres Zimmer leisten?”

Ich warf einen Blick in das Badezimmer, mehr aus morbider Neugierde als alles andere. Meine Erwartung wurde nicht enttäuscht.

“Es ist unauffällig.”

“So wie jede andere Wohnung mit Sanitäranlagen. Und dvon gibt es hier eine Menge.”

Quell schaltete den Bildschirm an der Wand ein und scrollte, bis sie die Nachrichten fand. Es lief gerade ein Beitrag über die kommende Sataball-Saison, danach ging sie zum Schreibtisch. Ich fegte etwas Müll von einem Stuhl und schob ihn zu ihr hinüber. Sie schaltete das Licht an und untersuchte den Ausweis, den sie dem Hünen abgenommen hatte. Er sah ziemlich offiziell aus, aber ich hatte ihn mir nicht aus der Nähe angesehen.

“Siehst du? Er hat Leute in deinem eigenen Büro.”

“Es ist eine Fälschung”, sagte sie ohne zu zögern. Sie betrachtete die kodierten Chips, die in den Ausweis eingearbeitet waren, um den Agenten zu berechtigen, die Sicherheitsprotokolle zu umgehen. Es waren Aufkleber.

“Und noch dazu eine der schlechtesten Fälschungen, die ich je gesehen habe. Jemand hat das in aller Eile gemacht.”

“Gut, dann waren es halt keine korrupten Advocacy Agenten. Hannigan wusste eben genau, dass du mich zu diesem Bahnhof bringen würdest und hat einfach ein paar Schläger engagiert.”

“Es hätte aber auch ein anderer Krimineller sein können, dem Du in der Vergangenheit begegnet bist. Vielleicht jemand, der einen guten Fahnder auf seiner Gehaltsliste hat, der Zugang zu Polizeibändern hat.”

Sie lehnte sich zurück und beäugte mich misstrauisch.

“Überleg doch mal. Hannigan ist im Unterausschuss für Entwicklung und Wachstum, das bedeutet, dass er Zugang zu Planeten voller undokumentierter Arbeitskräfte hat. Er hat die Macht, um Untersuchungen zu manipulieren und zu überwachen. Das erklärt, warum Caro so schwer zu fassen ist.”

“Ich weiß nicht. Die Sache mit dem Politiker, der im Scheinwerferlicht steht und der gleichzeitig das kriminelle Superhirn ist, scheint mir zu weit hergeholt.”

“Ist das nicht ein und dasselbe?”

Raina Quell lachte. Sie überprüfte erneut  das Foto des Hünen auf dem Ausweis. Er hatte ein umfangreiches Vorstrafenregister. Piraterie, Körperverletzung, Auftragsmord – er hatte viele Gesichter, aber nichts, was ihn mit Hannigan in Verbindung brachte. Es war an der Zeit, die großen Geschütze aufzufahren.

“Hat dieser Bildschirm einen Sender-Rücklauf?”, fragte ich und deutete auf den Wandbildschirm.

“Keine Ahnung – wahrscheinlich.”

“In einem schöneren Zimmer – sicher.”

Ich drängte mich an ihr vorbei, um zum Bildschirm zu gelangen.

“Lass das.”

Sie funkelte mich an.

Ich klickte zum SSN Nachrichten-Archiv, rief die Berichterstattung über Hannigans Rede auf und spulte Bild für Bild vor, bis ich Laser-Burn sah.

“Das ist der Typ. Er hat den Dealer am Landeplatz ausgeschaltet, der sagte, er könne Caro belasten.”

Quell trat an den Bildschirm heran, um ihn besser sehen zu können. Sie beugte sich etwas vor, um das Pixelgewirr zu betrachten.

“Die Bildkompression ist zu schwach, um eine Identifizierung zu ermöglichen.”

Sie wog meine Geschichte ab. Ich konnte nicht sagen, wie sie sich verhalten würde.

“Ich wette um meine Freiheit, dass ich recht habe.”

Quell sah mich amüsiert an.

“Im Ernst! Wenn ich mich irre, darfst du mich hochnehmen.”

Das war schon das zweite Mal, dass ich sie zum Lachen brachte.

“Darf ich das? Ich habe dich schon verhaftet.”

Ich ließ die Handschellen fallen. Den Schlüssel hatte ich ihr abgenommen, als sie an mir vorbeiging.

“Eigentlich wollte ich mir das für später aufheben”, sagte ich, “vielleicht, wenn du mich wieder im Auto sitzen lässt.”

Ich schloss die Fußfesseln auf, legte sie auf den Schreibtisch und lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand. Quell hatte bereits ihre Pistole auf mich gerichtet.

“Für dich ist es eine Win-Win-Situation. Wenn ich recht habe, schaltest du den berüchtigtsten Schmuggler im ganzen System aus. Wenn ich falsch liege, kriegst du mich. Was sagst du dazu?”

Quell war fünf Minuten lang still und stellte dann zwei Regeln auf:

Erstens:  Ich durfte keine Waffe tragen. Zweitens: Wenn sie mich aus den Augen verlöre, würde sie das als Fluchtversuch einstufen, mich finden und erschießen.

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Wir flogen auf dem gestohlenen Hoverbike zum SSN-Nachrichten Archiv, um uns das unbehandelte Filmmaterial von Hannigan anzusehen und zu versuchen, Laser-Burn zu identifizieren.

Zuerst aber hatte ich selbst eine Bitte: Wir sollten noch einmak zurück zur Polizeistation. Auf die meisten Dinge konnte ich verzichten, aber etwas im Kofferraum ihres Fahrzeugs konnte ich nicht dort lassen. Das Revier kam in Sichtweite und Quell verlangsamte den Schwebeflug. Überall standen Polizisten und untersuchten die Schäden. Zum Glück hatte sie ein Stück weiter den Block hinunter geparkt. Wir gingen wir zu Fuß. Ein paar Polizisten beäugten uns im Vorbeigehen.

“Würdest du mir bitte sagen, was so wichtig ist?”, zischte sie mich an.

“Du wirst schon sehen.”

Wir kamen zu ihrem Schiff. Sie ging zum kleinen Cargorraum und öffnete ihn. Darin befanden sich die LR-620 und eine meiner Taschen. Ich öffnete die Tasche und holte eine Vanduul-Klinge heraus. Das weckte ihre Neugierde.

“Ist es das, wofür ich es halte?”

“Jep.” Ich hielt mich an Ihre Regel Nr. 1 und überreichte es ihr.

“Lass sie nicht fallen.”

“Ich dachte, nur Vanduul dürfen so etwas besitzen. Jede andere Spezies im Besitz würde gejagt und getötet werden.”

Sie starrte fasziniert auf die exquisite Handwerkskunst der Metallverarbeitung. Sie war raffiniert, kompliziert und elegant in ihrer Schlichtheit.

“Eine besondere Ehre.”

Ich warf einen Blick zurück zum Bahnhof. Ein Polizist beobachtete uns.

“Ich möchte die Geschichte der Klinge unbedingt hören.”

“Später. Wir sollten fahren.”

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Es ist schon erstaunlich, was einem Amtsmacht alles ermöglichen kann. Im SSN TV-Nachrichten-Archiv wurde uns, sobald Quell ihren Ausweis gezeigt hatte, jede Art von Gefälligkeit und Entgegenkommen zuteil. Ich hatte eine fantastische Tasse Tee, während sie den originalen Speicherchip aus der Kamera holte.

“Das ist unglaublich. Ich hätte Polizist werden sollen”, sagte ich und trank die Tasse aus.

“…also bitte! – Du hättest es doch niemals die harte Ausbildung geschafft.”

Quell grinste.

“Ich habe Staatsrecht studiert. Und ich kann auch joggen.”

Ich winkte der Praktikantin für eine weitere Tasse Tee heran. Ein verkniffener Archivar eilte herbei und  entschuldigte sich für die Verzögerung. Nachdem wir das stundenlange Filmmaterial durchgesehen hatten, kam endlich der Moment der Wahrheit. Dank der unbearbeiteten Auflösung konnten wir sogar den leichten Schweiß auf Hannigans Stirn sehen. Er war soeben fertig und ging von der Bühne.

Wir sahen uns beide an. Quell spulte zurück und spielte es noch einmal Bild für Bild ab. Es war genau das gleiche Ergebnis. Laser-Burn war nicht da.

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Wir eilten zurück ins Hotel.

“Jemand hat ihn in den Datenstrom eingespeist. Hast du eine Ahnung, wie schwierig das ist?”

Meine Gedanken rasten.

“Wer auch immer auf den SSN-Nachrichten-Datenstrom zugegriffen hat, muss Spuren hinterlassen haben. Das heißt, wir können den Täter aufspüren oder zumindest ansatzweise herausfinden, wer hier die Fäden in der Hand hat.”

Quell dachte nach.

“Wie steht es um Deine Hacker-Kenntnisse?”

“Nicht auf dem Niveau, das wir brauchen, aber ich habe jemanden, den ich kontaktieren kann.”

“Können wir ihm trauen?”

“Nun, er ist ein Krimineller, also technisch gesehen nicht. Wir wissen, dass die Kanäle der Advocacy angezapft wurden, also haben wir nicht gerade viele Möglichkeiten.”

Zurück in meinem Zimmer kontaktierte ich Raj Benny. Er war einer der Besten im Knacken von solchen Systemen. Wie es der Zufall wollte, war er gerade mit einer Schutzgelderpressung um die Ecke  zu Gange und konnte am nächsten Morgen hier sein.

“Sieh dir das an.”

Quell warf den Hulk auf den Wandbildschirm. Ich scrollte durch die Daten. Es sah alles ziemlich unauffällig aus, mehr oder weniger. Eine Tatsache war hinzugekommen, versteckt in der Chronologie der Verbrechen. In der Akte stand nun, dass er beim Militär in einer verdeckten Einheit gedient hatte und unehrenhaft entlassen worden war.

“Hm. Das ist seltsam.”

“Eigentlich nicht”, sagte Quell mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen. Sie rief einen weiteren Bildschirm auf, lehnte sich zurück und wartete darauf, dass ich beeindruckt war. Die Einheit, in der er angeblich gedient hatte, war eine der Wachmannschaften, die einem Entwicklungssystem zugeordnet war. Das wiederum brachte ihn mit dem Unterausschuss für Entwicklung und Wachstum in Verbindung und so auch mit Hannigan. Quell sprang energisch auf und ging zum Bildschirm.

“Das sind die Puzzlestücke, die beweisen sollen, dass Hannigan tatsächlich Caro ist. Es ist undurchsichtig genug angelegt, dass kein Ermittler den Hauch eines Verdachts hegt.”

“Oder ein potenzieller Mörder, auf Sklavenhändler angesetzt.”

“Ganz genau.”

Quell drehte sich um und sah mich an.

“Sie wollten, dass du anfängst zu graben und haben für dich eine Geschichte konstruiert, der du folgen solltest.”

“Und wer steckt am Ende dahinter? Wer will Hannigans Tod?”

“Nun, jetzt wissen wir, wo wir anfangen müssen zu suchen. Ich meine, wer hegt einen Groll gegen Hannigan?”

Sie überlegte.

Ich schüttelte den Kopf. Das war doch nicht zu fassen. Sie sah mich grinsend an.

“Sieht so aus, als würdest du die Wette verlieren.”

“Sieht so aus.”

Wir verbrachten die Nacht damit, uns zu unterhalten und tief in Hannigans Leben einzutauchen. Wir checkten seine politischen Konkurrenten, seine Kontakte in der Geschäftswelt, Entwickler, die vielleicht seinen Weg gekreuzt hatten. Sogar seine Ex-Frau. Am Ende war die Liste der möglichen Verdächtigen lang. Die Sonne lugte durch die rostigen Rollläden, als es an der Tür klopfte.

Quell stellte sich in Sichtweite, die Hand an ihrer Waffe. Ich öffnete die Tür. Raj schlurfte herein. Er sah aus, als hätte er nicht mehr geschlafen, seit ich ihn im Covalex Shipping Zentrum getroffen hatte. Als er Quell sah, griff er sofort nach seiner Waffe. Ich stellte mich zwischen die beiden.

“Ruhig, Raj. Sie ist sauber.”

Ich nahm die Hände hoch. Quell tat das Gleiche.

“Was zum Teufel, Ethan?”

Er sah sich misstrauisch um.

“Du bist jetzt mit dem Gesetz unterwegs?”

“Vertrau mir. Hör dir das an …”,sagte ich.

Der Tevarin entspannte sich langsam. Wir erklärten es ihm – den  getarnten Attentäter, die Spur zu dem Jungen, der unter meinem Namen handelte, Laser-Burn und Hannigan, Caro, die Täuschung – einfach alles. Raj hörte zu und schüttelte am Anfang ein paar Mal ungläubig den Kopf. Gegen Ende hörte er damit auf.

“Wir brauchen dich, um herauszufinden, wer auf den Nachrichten-Datenstrom zugegriffen hat. Verfolge es zurück zu einem Terminal oder noch besser zu einer IP-Adresse, einem Namen”, sagte ich.

“Kannst du das machen?”, fragte Quell.

“Vielleicht.”

Raj dachte darüber nach. “Ich bin vielleicht ein bisschen eingerostet.”

Raj machte sich an die Arbeit. Wir setzten uns auf das Bett und warteten. Etwa eine Stunde verging.

“Der Bericht über diesen Fall wird ein Alptraum”, sagte sie schließlich mit einem Seufzer.

“Vielleicht solltest du zu «Life Of A Crime» wechseln? Sehr wenig Papierkram.”

“Ich werde darüber nachdenken.” Sie lächelte.

Es vergingen noch ein paar Augenblicke, dann stand sie auf und ging ins Bad.

“Hey Ethan”, murmelte Raj, “sieh dir das an.”

Er machte mir Platz, damit ich mich neben ihn setzen konnte. Ich schaute auf den Bildschirm. Er hatte alle Dateien in einem einzigen Verzeichnis zusammengefasst.

Und dann löschte er sie.

Ich spürte kaum, wie die Nadel in meine Haut stach. Ein kühles, taubes Gefühl breitete sich schnell in meinem Körper aus. Ich sackte zusammen, bevor ich reagieren konnte. Raj fing mich auf und legte mich auf den Boden.

“Du konntest nicht einfach mitspielen, wie der berechenbare kleine Klugscheisser, der du bist – oder?”,  flüsterte er.

Ich hörte die Toilettenspülung.

Nein.

Raj lächelte mich an und zog eine Pistole.

Es war meine Pistole.

Ich versuchte, mich zu bewegen. Zu schreien. Irgendetwas zu tun. Raj ging seelenruhig an der Badezimmertür vorbei. Quell war schnell. Viel schneller als Raj. Sie konnte ihn erwischen. Ich brauchte sie nur irgendwie zu warnen.

Die Tür öffnete sich.

Raina Quell kam heraus und trocknete sich die Hände.

Nein.

Raj schoss ihr in den Hinterkopf. Sie hat es nicht kommen sehen.

Ihr Körper stand eine Sekunde lang da. Geschockt.

Sie schlug auf dem schmutzigen Teppich auf und sah mir direkt in die Augen. Ich sah, wie das Leben aus ihr wich.

Raj öffnete die Tür. Laser-Burn und ein paar andere Schläger traten ein.

“Stell sicher, dass sie gefunden wird”, sagte Raj und gab meine Pistole an die Schläger weiter und sah auf mich herab.

“Sieht so aus, als hättest du gerade einen hochdekorierten Agenten des Geheimdienstes hingerichtet, Ethan.”

.

Kapitel 10

Rajs Schläger hoben Quells Leiche auf wie ein unhandliches Stück Fleisch. Es blieb nur ein weiterer Blutfleck auf dem billigen Teppich, über den sich der nächste Bewohner dieses Raumes lustig machen würde. Ich konnte nichts fühlen, mich nicht bewegen. Ich wollte schreien, aber meine Glieder gehorchten mir nicht während mir blanker, reiner Hass durch meinem regungslosen Körper floss.

Plötzlich stand die Welt auf dem Kopf. Jemand zog mich hoch und lehnte mich an die Wand. Ein schwaches Gefühl der Körperspannung kroch durch den lähmenden Nebel zu mir zurück. Ich sah Raj Benny an, den hoffentlich bald vor Höllenqualen aufschreienden Raj Benny.

“Hey Kumpel”, sagte er mit seinem grässlichen Tevarin-Lächeln. Mein Gefühl kehrte langsam zurück. Etwas zog sich hinter mir um meine Handgelenke zusammen. Die Schläger leerten meine Taschen und durchsuchten mich nach Waffen. Laser-Burn trat hinter mir hervor und ging dann zur Tür hinaus.

“Komm schon, Ethan, die Betäubung sollte jetzt nachlassen. Du weißt, wie sehr ich einseitige Unterhaltungen hasse”, spottete Raj und blickte mir forschend ins Gesicht.

“Bist du wieder da?”

Er schnippte mit den Fingern.

“Komm ein bisschen näher und finde es heraus.”

Ich lallte. Mein Mund bewegte sich, als würde ich zum allerersten Mal sprechen.

“Na also.”

Raj lehnte sich zurück und streckte sich.

Das Taubheitsgefühl verschwand in den nächsten Sekunden, aber es hinterließ einen stechenden Schmerz in meiner Wirbelsäule. Ich versuchte, mich zu bewegen. Es fühlte sich an, als hätten sie einen Kabelbinder als Fessel benutzt und mich an ein Rohr an der Wand gefesselt.

“Der berüchtigte Kid Crimson, der mit dem Agenten unterwegs ist. Wer hätte das gedacht…”

Raj schüttelte erstaunt und zugleich enttäuscht den Kopf.

“Weißt du, nach allem, was wir durchgemacht haben, hatte ich wirklich damit gerechnet, dass du das hier gut überstehen würdest. Ich habe fest daran geglaubt, dass du es schaffen würdest, Hannigan zu erledigen und damit durchzukommen.”

“Mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe”, sagte ich und die Worte formten sich jetzt wieder leichter.

Raj lehnte sich zurück, ein selbstgefälliges Grinsen im Gesicht, das ich am liebsten zu Brei geschlagen hätte. Ich versuchte mich zu konzentrieren.

“Du hast das alles eingefädelt: die Sklavenladung, den Idioten, der meinen Namen benutzt hat, die vermeintlichen Beweise, die Hannigan als Caro ausgeben sollten – nur um mich dazu zu bringen, ihn zu ermorden?”

“Beeindruckt?”

“Weißt Du, man muss nicht so viel Geld und Ressourcen verschwenden, um einen Senator zu töten. Man kann Leute dafür bezahlen. Oder hast du das nicht im Grundkurs für kriminelle Machenschaften gelernt?”

Raj grinste noch breiter und nickte abschätzig.

“Oh, Du denkst, es geht nur um Hannigan…”

“Um wen dann?”

Ich weiß, dieser arrogante Scheisskerl wollte mir mehr als alles andere zeigen, wie sehr er mir überlegen war, aber er stockte, also machte ich es ihm schmackhaft, mir mehr zu erzählen.

“Ich nehme an, Du wirst Hannigan sowieso töten und mir die Tat in die Schuhe schieben. Du wirst mich danach  entweder töten oder verschwinden lassen. Also, was ist denn da schon dabei?”

Aber Raj biss nicht an. Die Tür ging auf. Laser-Burn kam mit einigen Tüten und einem Becher HydroFroz herein. Er gab Raj das Getränk und leerte die Tüten auf das Bett. Es ware die LR-620, meine Vanduul-Klinge und alles andere aus Quells Hoverbike. Raj nahm einen Schluck vom HydroFroz und hob das Gewehr auf.

“Hat Dovkin dir einen guten Preis dafür gemacht?”

Ich ignorierte seine Frage und starrte Laser-Burn an und überlegte, wie ich ihn am besten weh tun konnte. Das Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit. Er schien mich mit seinen Augen ermorden zu wollen.

“Wir sollten ihn jetzt töten”, sagte er. Raj blickte vom Zielfernrohr auf.

“Das geht nicht. Wir haben noch ein paar Stunden Zeit, bevor Hannigan stirbt und die Werte der Zeitlinie müssen in der Forensik übereinstimmen.”

Raj lächelte.

“Ich werde dich vermissen, Ethan.”

_____________________________

Eineinhalb Stunden vergingen. Ich musste meine Wut zähmen, damit ich zusehen und zuhören konnte. Es würde einen Weg hier raus geben. Ich musste nur aufpassen und bereit sein.

Raj arbeitete an einer Konsole und schaute gelegentlich auf den Wandbildschirm. Laser-Burn stand am Fenster und hinaus  auf die Stadt. Die beiden Schläger kamen zurück, nachdem sie Quells Leiche beseitigt hatten. Einer flüsterte Raj etwas zu, der zustimmend nickte. Der andere zog einen Stuhl heran, um mich zu bewachen. Er begann, meine Sachen zu durchwühlen. Er fand Quells Handschellen und Fesseln.

“Hey Gaz, sieh dir das an“, sagte der Gangster. Laser-Burn drehte sich um.

“Warum benutzen wir die nicht?”

“Geh nicht in seine Nähe”, sagte Raj streng.

“Ich versuche nur zu helfen.”

Er warf die Handschellen zur Seite. Etwas fiel Raj auf dem Wandbildschirm auf.

“Oh, Ethan…”, sagte Raj. Er drehte die Lautstärke auf.

 “…identifiziert als Agent Raina Quell. Die Advocacy hat noch keine offizielle Erklärung abgegeben, aber inoffiziellen Quellen zufolge haben Ermittler bereits  die mögliche Tatwaffe gefunden und werden nun in aller Schnelligkeit alle benötigten Tests durchführen.”

“Das sieht nicht gut aus”, sagte Raj mit gespielter Besorgnis. Ich schaute nach vorn, um ihm nicht die Genugtuung einer Reaktion zu geben. Raj stand auf und begann, die LR-620 in eine Tasche zu legen.

“Nun, ich würde diese spannende Unterhaltung gerne fortsetzen, aber leider musst Du einen Senator ermorden.”

Raj ging auf die Tür zu.

“Versuche, ihn nicht gleich zu töten.”

Er richtete seine Worte an Laser-Burn.

“Was ist, wenn er versucht zu fliehen?”, erwiderte Laser-Burn.

Raj schaute mich an und zuckte mit den Schultern.

“Dann töte ihn zweimal.”

Raj ging hinaus. Einer der Komplizen ging mit ihm. Der andere blieb bei Laser-Burn. Er grinste, als er vor mich trat. Er zog seine Waffe. Etwa zehn Sekunden vergingen. Ich lehnte mich zurück und sah zu ihm auf.

“Erschieß mich oder lass es bleiben.”

“Ich wollte dir nur etwas zeigen.”

Laser-Burn holte eine Patrone aus der Kammer und hielt sie mir vor die Augen.

“Die wird dir den Schädel durchlöchern. Abgefahren, nicht wahr? Nicht viele Menschen bekommen die Kugel zu sehen, die sie später töten wird.”

“Wow. Das ist tiefgründig.”

Laser-Burn lächelte und setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber. So blieben wir eine halbe Stunde lang sitzen. Er warf die Kugel immer wieder in die Luft. Der andere Verbrecher streckte sich auf dem Bett aus und schaltete durch die Kanäle, während er meine Vanduul-Klinge schwang. Ich versuchte, Rajs Plan zu durchschauen. Hannigan würde in einer Stunde auf dem Ball des Gouverneurs erscheinen. Ich musste von hier verschwinden. Zum Teil, weil Hannigan unschuldig war, aber vor allem, weil ich wollte, dass Raj scheiterte.

“Hey”, sagte der Typ auf dem Bett. Es war ein weiteres Nachrichten-Update über Quell. Sie lösten soeben meinen Ausweis von meiner Waffe. Mein Gesicht und mein Name wurden von nun von der Advocacy an die Polizei und die gesamte UEE weitergeleitet. Sie fingen beide an zu lachen.

“Du solltest uns dafür danken, dass wir dich töten. Denn du bist ohnehin erledigt, mein Freund”, sagte Laser-Burn.

Er hatte nicht Unrecht. Wenn ich das das hier durchstand, hatte ich große Probleme. Nach den Nachrichten wurde wieder live vom Ball des Gouverneurs berichtet. Hannigan war noch nicht aufgetaucht.

“Können wir das endlich hinter uns bringen?”, sagte ich. “Euch zwei Idioten quatschen zu hören, ist schmerzhafter, als eine Kugel im Gesicht.”

Zur Hölle mit ihm. Es musste etwas passieren. Entweder das funktionierte oder eben nicht. Ich schob  mich an der Stange hoch und stand auf.

“Setz dich wieder hin.”

“Nein. Meine Beine sind müde und da es nicht so aussieht, als würde ich jetzt auschecken, möchte ich sie gerne strecken.”

“Ist es das, was du wirklich willst?”

Laser-Burn stand auf, seine Miene war jetzt todernst. Ich hatte ihn genervt. Das war gut.

“Mehr als alles andere”, sagte ich und sah ihm direkt in die Augen. “Ich bedaure allerdings, dass ich dich nicht auf dem Landeplatz aufgeschlitzt habe.”

Laser-Burn lud meine Kugel in seine Waffe. Dem Schläger wurde es unbehaglich.

“Raj hat gesagt…”

“Scheiß auf ihn. Er ist nicht hier.”

“…Raj hat gesagt, wir sollen warten. Ich brauche das Geld zu dringend…du kannst ihn gern töten, wenn du willst. Ich werde nur nicht daran beteiligt sein.”

Der Schläger ging hinaus. Meine Aussichten wurden sofort viel besser. Ich schaute Laser-Burn direkt in die Augen. Wenn er die Waffe hob, hatte ich zwei Tricks parat. Laser-Burn tat es aber nicht. Er dachte nach.

Verdammt!

Er war nicht zurückgewichen, was gut war, aber die schwerfälligen Zahnräder in seinem riesigen leeren Schädel drehten sich weiter. Er steckte seine Waffe wieder ein.

Doppelt verdammt.

“Weißt du, ich glaube, eine Kugel ist viel zu schade für dich.”

“Wirklich? Was ist mit der ganzen Zeit, die wir miteinander verbracht haben?”

Er zog sein Messer und stürzte sich auf mich. Ich musste nicht viel tun, nur ausweichen – und das tat ich so schnell ich konnte. Ich wich aus, kurz bevor er zustach. Zuerst spürte ich nur den Einschlag der Klinge. Dann kam der Schmerz. Mein Ausweichmanöver in letzter Sekunde hatte mich zwar vor einem tödlichen Stich bewahrt, aber es sollte bald noch sehr viel schmerzhafter werden.

“Glaub nicht, dass es das war. Wir fangen gerade erst an”, knirschte er zwischen seinen Zähnen hervor.

Ich rammte meine Stirn so hart ich konnte auf seine Nase und spürte, wie der Knorpel seiner Nase knackte. Er taumelte benommen zurück und umklammerte die Blutlache, die sein Gesicht hinabfloss. Ich sprang auf, wand meine Beine um seinen Hals und drehte ihn zu Boden. Instinktiv ließ er das Messer fallen, während seine Hände krampfhaft versuchten, sich aus der Umklammerung meiner Beine zu befreien. Der Schmerz in meiner Brust war unerträglich. Meine Arme fühlten sich an, als würden ich sie mir gleich ausrenken, aber ich wollte ums Verrecken nicht loslassen. Ich drückte fester zu.

Laser-Burn schnappte nach Luft. Er begann auf meine Beine einzuschlagen, in der Hoffnung, er würde so freikommen. Doch dann wurden seine Schläge immer schwächer und hörten schließlich ganz auf. Ich hielt noch eine Minute durch, nur um sicherzugehen. Laser-Burn war am Boden, hoffentlich tot, aber definitiv bewusstlos. Ich kickte das Messer über den Teppich zu meinen Händen und sägte an dem Kabelbinder. Es klopfte an der Tür.

“Bist du fertig?”, fragte sein Komplize.

Der Kabelbinder fiel hinunter. Die Tür öffnete sich. Ich stürzte mich auf Laser-Burn und riss ihm die Pistole aus dem Halfter. Der Schläger hatte keine Zeit zu reagieren, bevor ich ihm drei Kugeln in die Brust schoss. Er stolperte zurück in den Flur und rutschte die Wand hinunter.

Ich ließ die Waffe sinken und untersuchte meine Wunde. Es lagen genügend Handtücher herum, um die Wunde notdürftig zu verbinden, aber ich brauchte dringend eine Krankenstation, sonst würde ich verbluten. Ich packte meine Sachen zusammen und nahm Laser Burns  Pistole, sein MobiGlas und die MaxOx P4 des Schlägers an mich, bevor ich zur Tür hinausging. Auf halbem Weg durch den Flur merkte ich, dass ich etwas vergessen hatte. Ich drehte um und schoss Laser-Burn zweimal in den Kopf.

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Ich ging auf die Straße. Der Regen hatte aufgehört. Innerhalb von zehn Minuten raste ich in einem weiteren gestohlenen Hoverbike durch den Verkehr in Richtung Gouverneursball. Als ich die Nachrichten hörte, war Hannigan immer noch nicht aufgetaucht. Das war gut, aber ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte, denn Raj konnte sich in jedem beliebigen Gebäude verstecken. Ich musste ihn aufstöbern und ihn dazu bringen, seinen Plan zu ändern. Also rief ich die Polizei.

“Notfalldienst”, meldete sich die Polizeistation.

“Jemand will ein Attentat auf Senator Hannigan verüben”, sagte ich. Es entstand eine Pause.

“Wie bitte?”, fragte der Disponent.

“Der Ball des Gouverneurs. Da ist ein Scharfschütze.”

“Ich stelle durch.”

Der Vermittler verband.

Ich schlängelte mich an einem Bus vorbei und beschleunigte mein Fahrzeug. Endlich meldete sich eine neue Stimme in der Leitung.

“Wer ist da?”

“Ich habe Informationen, dass auf den Senator ein Attentat verübt werden soll. Lassen Sie ihn nicht zum Gouverneursball gehen.”

“Wer ist da?”

“Das spielt keine Rolle.”

Die Stimme hielt inne.

“Danke für Ihre Besorgnis. Wir werden der Sache nachgehen.”

“Ich sage Ihnen, wenn Sie ihn vor die Scheinwerfer führen, wird sein Kopf eine Sekunde später zu Staub.”

“Und woher haben Sie diese Information?”

Ich erkannte an seiner Stimme, dass er mir nicht glaubte. Er wollte mich nur hinhalten, um den Anruf zurück zu verfolgen. Ich legte auf. Zeit für einen neuen Plan. Ich bog auf den Highway ein, der am Fluss entlangführte. Ich überprüfte meine Wunde. Ich hatte viel Blut verloren und es würde nicht mehr lange dauern, bis das zu einem echten Problem werden würde.

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Der Ball des Gouverneurs fand vor der Küste statt. Die schwimmende Plattform bewegte sich langsam und parallel zum Highway. Ich wusste, dass es einen Schutzschild gab, den die meisten Waffen nicht durchdringen konnten. Das Projektil der LR-620 würde aber kaum gebremst werden. Das war einer der Gründe, warum ich die Waffe gewählt hatte. In den Nachrichten wurde angekündigt, dass Hannigan angekommen war und gleich seine Rede halten würde. Ich bog vom Highway ab und steuerte direkt auf die Plattform zu. Ich lud den P4-Karabiner auf und kurbelte das Fenster hinunter.

Hannigan traf ein und trat unter tosendem Beifall auf den Plattfom hinaus. Ich schob die P4 aus dem Fenster, drückte den Abzug und feuerte Laserstrahlen auf den Ball des Gouverneurs ab. Die Projektilabschirmung flammte auf, um die Schüsse zu absorbieren. Sofort hatte ich ihre Aufmerksamkeit. Die Gäste schrien auf und rannten davon. Hannigans Sicherheitsleute brachten ihn schlagartig in Sicherheit.

Der Nachrichtenkommentator berichtete fieberhaft, dass der Ball angegriffen wurde. Ich raste mit dem Hoverbike zurück in die Stadt, bevor sich die Polizei überhaupt sortieren konnte. Ich wünschte, es wäre so einfach, aber Raj hatte bestimmt nicht vor, Hannigan aufzugeben. Ich bin sicher, dass er einen Plan B hatte, aber jetzt musste er ihn auch umsetzen, was bedeutete, dass er sich bewegen musste. Ich lenkte das Bike zurück in den dichten Verkehr des Straßennetzes und flog an den fünf oder sechs Gebäuden vorbei, die hoch genug waren und die einen guten Blickwinkel boten, um Hannigan zu töten. Plötzlich begann Laser-Burns MobiGlas zu summen. Ich ging ran, sagte aber nichts.

“Gaz, wir haben ein Problem. Du hast ihn besser noch nicht getötet.”

Es war Raj. Er klang atemlos. Ich lauschte angestrengt auf den Hintergrund, um etwas Ungewöhnliches zu hören. Dann hörte ich das hohe Heulen der Hupe eines Müllkippers. Es war direkt hinter mir. Ich schaute mich um. Dann entdeckte ich Raj, er warf seine Tasche soeben auf sein Hoverbike.

“Gaz!, rief Raj und hielt dann inne.

“…Ethan?”

Ich legte auf und drehte mit einer scharfen Kante um, um ihnen zu folgen. Raj und sein Komplize verließen die Hauptstraße und flohen durch die Seitenstraßen. Frei von Passanten stellte ich meinen Schwebeflug ein und raste direkt neben ihnen her. Raj schaute nach rechts, als ich die P4 aus dem Fenster hielt und abdrückte. Laserschüsse schlugen in die Seite seines  Fahrzeugs ein. Raj schlug einen Haken und stürzte ab.

Ich jagte ihm hinterher, wich Gängen und Feuerleitern aus. Der Schläger flog gut, kontrolliert. Plötzlich explodierte das hintere Fenster von Rajs Schwebeflugzeug. Eine Granate aus der LR-620 durchschlug meine Windschutzscheibe und zerfetzte den Beifahrersitz. Er setzte zu einem weiteren Schuss an. Ich wich aus und feuerte selbst. Ich hoffte und betete. Das gesamte Fahrgestell des Bikes wurde durchsiebt. Flüssigkeit begann auszulaufen. Es gab einen Knall und Rauch strömte aus. Ich feuerte weiter. Der Schläger versuchte zu wenden, aber ich hatte offenbar die Hydraulik getroffen.

Nur Momente später krachte das Schweberfahrzeug in die Ecke eines Hauses und stürzte auf die darunter liegende Straße. Ich schwang mich herum und setzte mein Bike ab. Ein Passant kam herüber, um zu helfen. Er sah, wie ich mich mit gezogener Pistole näherte und beschloss, sich aus der Sache herauszuhalten. Die Beifahrertür öffnete sich und Raj sprang heraus. Blut sickerte aus Dutzenden von Schnitten und Wunden. Er begann wegzukriechen. Sein linkes Bein war knapp unterhalb des Knies gequetscht und hinterließ eine Spur aus zähflüssigem Blut auf dem Bürgersteig. Ich packte ihn an seinem verstümmelten Bein und drehte ihn um. Gleichzeitig warf ich einen Blick auf seinen Komplizen. Er war regelrecht um die Konsole des Fahrzeuges gewickelt, ein Chaos aus Blut und Knochen. Ich konzentrierte mich auf Raj, der nach Luft rang.

“Schätze, du hast mich erwischt, Ethan”, sagte er.

“Du hast gesagt, es geht nicht darum, Hannigan zu töten. Erklär es mir.”

Raj hustete etwas Blut aus.

“Hannigan ist ein Niemand. Er hat zufällig auf das gepasst, was er gesucht hat.”

“Wer?”

“Caro.”

Raj spuckte aus.

“Er ist zu populär. Jeder kennt den Namen, also hat er beschlossen, dass es Zeit für einen neuen Namen ist.”

“Caro will also neu anfangen”, sagte ich, als ich das Puzzle zusammensetzte.

“Also findet er ein Ziel, das für ihn den Kopf hinhalten kann. Er fängt an, Beweise zu platzieren, die die Lüge untermauern, um jede weitere Untersuchung abzuwürgen.”

“Er wird er von einem Kriminellen ermordet, der für das Töten von Sklavenhändlern bekannt ist.”

Raj grinste ein blutiges Lächeln, fast schadenfroh.

“Der echte Caro erfindet einen neuen Namen, baut eine neue Organisation auf, und keiner merkt was.”

“Bist du jetzt beeindruckt?”

“Vielleicht.”

Es war in der Tat ziemlich raffiniert.

“Wirst du mir jetzt helfen? Ich werde dir Caro geben.”

Ich steckte meine Pistole weg und packte ihn an der Kehle.

“Ethan, hörst du mich? Ich kann dir Caro geben.”

“Ich weiß.”

“Ethan, was machst du da?”

“Du wolltest doch, dass ich der Killer bin.”

“Ethan, bitte…”

Ich schlug ihn. Trotz meiner Wunde kehrte meine Kraft dafür zurück. Ich schlug ihn wieder und wieder. Ich dachte, ich hätte ihn sagen hören, dass er mich von der Mordanklage der Quell befreien könnte, aber ich hörte nicht zu. Ich konnte mich nicht zurückhalten. Meine Wut wollte mich verzehren und ich ließ es zu. Schließlich hörte ich auf. Eine Menschenmenge bildete sich um uns. Sie schauten entgeistert zu. Ich rappelte mich auf die Füße und begann zu laufen. Die Menge ging mir aus dem Weg.

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Zwei Wochen später war ich wieder im Weltraum.

Auf dem Weg zu einem Arzt wäre ich fast gestorben. Als ich wieder mobil war, wurde mir klar, dass ich ein Transportproblem hatte. Die Advocacy beobachtete zweifellos mein Schiff, also brauchte ich etwas Neues. Am Ende nahm ich das von Raj. Ich rief mir seine letzten schreienden Worte immer wieder ins Gedächtnis. Wenn ich ihn verschont hätte, hätte Raj mich vielleicht wirklich von dem Mord an Quell freisprechen können. Aber ich bezweifelte es. Wahrscheinlich wären es wieder nur Lügen gewesen. Kid Crimson war nun also ein Mörder, ein Advocacy-Profikiller. Dem konnte ich jetzt nicht mehr entkommen. Das, was ich nicht getan habe, wird mich für immer verfolgen. So funktioniert das Universum nun mal, denke ich.

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Der Himmel färbte sich violett, als sich die Sonne für die Nacht zurückzog. Die Lichter begannen in den massiven Wolkenkratzern von New York zu flackern. Im Penthouse waren die Lichter bereits erloschen. Vorbeiziehende Hoverbikes spiegelten sich auf dem polierten Holzboden. Ein paar Wandbildschirme leuchteten auf dem Marmortisch. Die Schlagzeile des heutigen Abends: Ein Bewaffneter eröffnete das Feuer auf einem Bürgertagsball auf Terra. Glücklicherweise gab es keine Verletzten. Senaton Hannigan gab folgende Erklärung ab…

Der Wandbildschirm schaltete sich ab. Der andere Bildschirm griff auf die Advocacy-Datenbank zu.

Die Akte von Ethan Salassi, alias Kid Crimson, war zu lesen. Es schien, als hätte Raj diesen Fall unterschätzt.

Caro würde nicht den gleichen Fehler machen.

– Ende –

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