Project Enos

– Das Jahr 2954 –

Die Hintergründe zu Projekt „Enos“ klären sich auf – die größte Bedrohung des Universums und seiner Bewohner seit Gründung der UEE. Brubackers schlimmster Albtraum ist ein alter Bekannter – und auch sonst offenbart das Verse auf vielfältige Weise neue Abgründe: Erneut entscheidet sich, auf wen Brubacker wirklich zählen kann. Seine Überzeugungen und Ideale als Journalist werden einmal mehr auf die Probe gestellt.


Journal-Eintrag 04 / 01 / 2954

„Zero, bist du das?“

Über mir steht auf der Treppe einer Origin 400i ein junger, geschniegelter Mann mit Krawatte, Brille, Anzug.

„Jup.“

„Was ist das denn für eine Maskerade? Biste wieder inkognito?“

„Nee, ich arbeite jetzt für Crusader Industries. Mache für die Frachtflüge.“

Ich stutze – Zero ist eben immer für eine Überraschung gut.

„Und wem gehört das Schiff?“

„Wurde mir von Crusader gestellt.“

Neues Jahr, neue Abenteuer.

Im Innern des Schiffes steht eine versiegelte Kiste, in der weiß Gott was drin ist.

„Und du bist sicher, dass das alles mit rechten Dingen zugeht und nicht irgendeine Falle ist?“

„Nee, hat schon alles seine Richtigkeit.“

„Na dann.“

Wir sind in der Hundekälte von Microtech auf dem Deltana Oupost gelandet – der erste Leg des Jahres 2954 auf unserer Microtech-Umrundung steht an.

Zero wechselt seinen Business-Anzug gegen einen Novikov und quetscht sich damit auf eine Origin X1 – heute wird er sich seine ersten Biker-Sporen verdienen.

„Los geht’s.“

Schnell übernimmt Zero die Führung, Hermie ist wegen Krankheit verhindert – dafür rast uns nun Zero davon.

„Sieh an, ein Naturtalent.“

Ella und ich haben Mühe, mit ihm Schritt zu halten, sogar Husky, der die FROST steuert, muss aufs Gaspedal treten, will er Zero nicht im Schneegestöber verlieren. Flotter als gedacht geht es über zwei große Seen. Unterwegs wechseln wir einmal durch, dann stehen bald 480 Kilometer auf der Uhr – nicht schlecht für den ersten Austritt im neuen Jahr. Ein paar Mal noch durch Schnee und Eis – dann sollten wir endlich das gelobte „Riverland“ erreichen.

Nach getaner Arbeit nehmen wir noch einen schnellen Absacker auf Zeros Schiff, der sofort wieder in seine Crusader-Klamotten schlüpft, inklusive Crusader-Spange am Revers.

Für Credits macht Zero aber auch echt alles.

*****

Journal-Eintrag 06 / 01 / 2954

Es stinkt mich an, bei jeder unserer Touren nach einem Anzug betteln zu müssen – da kommt das Angebot Hermies, ihn auf einer Versorgungstour für unseren Bikertrip zu begleiten, gerade recht.

Er holt mich in New Babbage ab, mit einem Schleppschiff.

Als ich ein paar abfällige Bemerkungen über das kleine Arbeitstier mache, verzieht er das Gesicht.

„Bru….“

„Himmel, ist doch nur ein wenig Spaß“, gebe ich zurück.

Manche nehmen einfach alles sofort persönlich.  Hermie ist ein netter, hilfsbereiter Kerl, aber er müsste sich dringend mal entspannen.

Egal – wir brechen gemeinsam nach ArcCorp auf, wo er mir mal eine Komplettmontur auf den Leib schneidern will. Ich bin tatsächlich dankbar  für jede Unterstützung, denn nach wie vor wird Einkaufen nie mein Ding werden. Des Bettelns bin ich aber auch überdrüssig.

Hermie hat das Argo-Schiff hochgerüstet, sodass wir den langen Quantumjump flott hinter uns bringen. Area 18 liegt unter einem Regenschleier.  Er landet gekonnt, dann stehen wir in der Abfertigungshalle plötzlich seinem Zwillingsbruder gegenüber – einem Mann namens Carl Cooper. Er sucht einen gewisser „Baker“. Er hat irgendein technisches Problem mit seiner Vulture.

Er folgt uns, nachdem ihm Hermie zugesagt hat, einmal drüber zu schauen. Zunächst geht es aber zum Einkauf.  Der ganze Planet ist in trübes Licht getaucht, die Menschen hetzen mit eingezogenen Köpfen durch die Stadt. Unser Ziel lautet „Cubby Blast“, ein Waffenladen bei dem wir wohl alles bekommen.

Ich entscheide mich für eine so genannte TrueDef-Rüstung in schwarz-silber. Nicht zu klobig, aber mit guten Schutzwerten. Zwei Waffen gibt es obendrauf – Biken im hässlichen Strampler adieu. So ausgerüstet geht es zurück in den Hangar zur reparaturbedürftigen Vulture. Hermie weiß genau, was er tut. Nachdem er irgendwas neu gebootet hat, springt das Schiff wieder an – und ein glücklicher Salvager verlässt den Hangar. So einfach kann es manchmal sein.

Wir besorgen noch einen Helm für mich, dann geht es zurück nach Port Tressler. Unterwegs erzähle ich Hermie auf Nachfrage meine wirre und unglaubliche Herkunftsgeschichte, doch anders als Zero schluckt er sie ungerührt.

„Ich glaube dir“, sagt er einfach nur. Damit ist der Fall für ihn erledigt.

Gemeinsam stehen wir am großen Panoramafenster und blicken hinab auf Microtech.

Journal-Eintrag  11 / 01 / 2954

Biken, biken, biken – und kein Ende in Sicht. Der verdammte Planet ist einfach viel größer als gedacht. Oder waren wir einfach nur naiv und haben uns allzu blind auf das Abenteuer eingelassen?

Ich steige wortkarg  auf meine Nox und zische in die Dunkelheit davon. Ein weiterer See liegt vor uns. Hermie und Ella sind hinter mir, Husky scoutet aus der Luft. Mein Blick geht stur geradeaus, den Frontscheinwerfer habe ich ausgeschaltet, weil die Reflektionen des Schnees sonst alles überblenden,  als es auch schon passiert – Hermie rast mit seiner X1 in mich hinein.

„Bru…Herrgott!“

„Was?!“, fauche ich zurück. „Ich bin hier einfach nur geradeaus gefahren….Du bist in mich reingeknallt, nicht umgekehrt!“

„Ja, schon gut.“

Ich koche vor Wut. Hermie lässt einfach keine Gelegenheit aus, mich zu maßregeln.

Tatsache ist: Wir sind mit den Nerven runter. Die Tour zieht sich nun schon einfach eine ganze Weile hin. Wir haben gut zwei Drittel geschafft, der Planet offenbart sich uns, zeigt seine ganze Vielseitigkeit, kehrt sein Innerstes nach außen. Aber es ist eben auch verdammt anstrengend – und wir sind entsprechend groggy. Gerade in letzter Zeit haben wir hunderte Kilometer abgerissen. Es liegt unausgesprochen in der Luft: Wir sind froh, wenn es irgendwann vorbei ist.

Ich atme tief durch und drehe das Tempo hoch.

Go, go, go.

Und als hätte uns der Planet erhört, bietet Microtech plötzlich wieder Balsam für die Seele: Die Landschaft wechselt von Schnee und Eis zu grünen Weideflächen, die an Schottland auf der Erde erinnern – sanfte Berge und weite Täler, die fließend ineinander übergehen, wechseln einander ab. Schlagartig ist das Schroffe, das Abweisende verschwunden.

Sofort hellt sich die Stimmung auf.

Erstaunlich, wie sehr die eigene Gemütslage auch von der Umgebung abhängt.

Bald tauchen wir ganz in die Highlands ein, drosseln die Geschwindigkeit, als Husky aus der Luft plötzlich einen interessanten Fund meldet.

„Da ist ein Wrack!“

Minuten später haben wir den Ort erreicht – es ist eine Freelancer, die schon eine Weile hier liegen muss. Von der einstigen Besatzung fehlt jede Spur.

Wir nähern uns dennoch vorsichtig – doch alles ist tot.

Viel gibt es nicht zu entdecken und wir wollen den heutigen Streckenabschnitt schon beenden, als Husky doch noch über etwas Interessantes stolpert:  ein Audiolog. Dieses berichtet davon, dass die zweiköpfige Besatzung – offenbar eine Frau und Mann – in Planetennähe in schweres Wetter geriet und ihr Schiff dann abgestürzt ist. Leider ist die Aufnahme nur schwer zu verstehen. Doch Husky vermutet, dass noch mehr dahinter stecken könnte. An Bord der FROST will er das Log daher noch einmal mit besseren Methoden analysieren.

Wir lassen  es zunächst dabei bewenden und kehren zurück nach Port Tressler.

.

Das Experiment

Ich wache nach unserer letzten Tour genervt und übermüdet durch das Piepen meines Mobiglases auf Port Tressler auf – eine Nachricht.

Uff.

Wann wird dieser Scheiß endlich vorbei sein?

Dann piept es noch einmal.

Ich will mich schon umdrehen, als mich doch mein journalistisches Ethos packt.

Ich melde mich bei Hermie.

„Worum geht’s?“

„Mehr weiß ich auch nicht.“

„Alles klar, bin unterwegs, wir treffen uns am großen Panaroma-Fenster.“

Ist vielleicht nicht schlecht, vor dem großen Experiment auf Harper’s Point zu sein. Ich ziehe mich mehr oder weniger unwillig an, dann mache ich mich auf den Weg. Kurz darauf sitze ich auch schon in Hermies Scoutingschiff, einer Terrapin,  mit Ziel Harper’s Point. Wir stechen durch die Wolken, dann eröffnet sich ein wunderschönes Panorama und wir landen an einem idyllischen See. Die Sonne geht soeben unter. Hermie hat jede Menge Bier dabei – ein Frachtauftrag.

„Immer alles mitnehmen, was geht und nebenbei Geld verdienen“, sagt er.

Ich nicke, während ich mir die Beine vertrete.

Es ist frisch, aber angenehm kühl – ein wunderschönes Fleckchen Erde. Hier also soll endlich Licht ins Dunkel kommen. Wir werden sehen.

Ich blicke mich um. Nicht zu fassen: Da kämpfen wir uns monatelang durch die schlimmsten Widrigkeiten des Planeten und dann liegen nur ein paar Flugminuten entfernt Orte, die zum Verweilen einladen. Wir drehen eine Runde durch die aus alten Wellblechplatten zusammengedengelte Siedlung. Alles ist friedlich, niemand will uns ans Leder.

„Schön hier“, sage ich, „wo ist dein Kontakt?“

„Wir sollen uns unten am Ufer auf der kleinen Brücke treffen.“

„Okay.“

Wir schleppen je eine Bierkiste einen kleinen Hang hinab – doch weder Medusa noch Hermies Bierkäufer sind zu sehen.

„Hermie…?“

„Verstehe ich auch nicht.“

Wir fragen ein paar Bewohner, auch die wissen nichts. Schließlich geben wir es auf.

„Und jetzt?“

Wir setzen uns auf einen kleinen Steg und blicken über den See.

„…dann nehmen wir uns eben erstmal selber ein Bier.“

Gesagt, getan – doch bei einem Bier bleibt es nicht.

Nach und nach werden wir immer lockerer.

Schließlich wirft Hermie eine leere Bierflasche soweit es geht in den See. Ich mache es ihm nach. Das Gespräch kommt auf Cäcelia, dann auf unsere Tour.

Irgendwann sage ich besoffen: „Weißt du, was du bist, Hermie? Eine Super-Nanny. Und das geht mir manchmal unfassbar auf den Sack.“

„Gleichfalls“, lallt er zurück.

Er zückt seine Waffe und schießt damit ein paar Mal in den Himmel.

„Alter, steck‘ die Kanone weg! Und, hör mal…eigentlich bist du schon okay…aber…“

„Bru, Klappe jetzt…haste die scharfe Braut vorhin gesehen, die da bei den Typen stand?“

„Häh? Ja…äh…klar.“

Ich drehe mich abrupt um, stolpere über die Bierkiste und knalle rückwärts ins Wasser. Sofort ist um mich herum alles pechschwarz. Wasser läuft in meinen Anzug. Nur mit Mühe krabbele ich wieder an Land.

„Bru…lass den Scheiß!“

„Was denn…hab‘ doch nur eine kleine Abkühlung genommen. Wo waren wir…ah, beim Flaschenschmeißen?“

Ich nehme eine Flasche und renke mir beim Wurf fast den Arm aus.

„Yeaaah, haste das geseh‘n?“

„…nee wir warn‘ bei der Braut.“

„Richtig. Ich dachte, Alter, ich dachte, du bist so eine Anstandsdame…is‘ noch ein Bier da?“

„Bru, Mann…“

Ich bücke mich, verliere das Gleichgewicht und fliege gleich wieder ins Wasser.

Verdammt noch mal.

Filmriss.

.

Das Verhör

Ich sitze auf einem Stuhl und bin gefesselt. Ich trage fremde Klamotten, keine Schuhe. Vor mir stehen drei vermummte Gorillas.Der Kater lässt gleich meinen Schädel explodieren.

„Wer sind Sie?“

„Was…ich…“

„Was wollen Sie hier?“

„Ich war eben noch mit meinem Freund Hermie unterwegs…wir haben getrunken….“

„Wer zum Henker sind Sie?“

„Wo bin ich? Wo ist meine Kleidung, meine Rüstung? Wo ist mein Freund?“

„Wir stellen hier die Fragen!“

„Machen Sie mich sofort los! Sonst sage ich gar nichts.“

„Mr. Brubacker…“

„Sie wissen also, wer ich bin…“

Der Ermittler blickt mich mit einem stechenden Blick an, so als würde er mich geradewegs durchdringen wollen.

„Was wissen Sie über Enos?“

„Ich…ich sage gar nichts, solange Sie mich nicht losmachen.“

„Doch, Sie werden sprechen!“

„Nein. Sie spinnen wohl! Das ist Freiheitsberaubung.“

Mein Kater raubt mir den Verstand.

„…haben Sie Sabotageakte geplant?“

Ich glaube, mich verhört zu haben.

„Machen Sie mich sofort los!“

„Erst wenn Sie den Mund aufmachen.“

„Vergessen Sie‘s. Ich verrate weder Quellen noch Recherchen.“

Es geht noch ein wenig hin und her, schnell geraten wir an einen toten Punkt. Der Chef-Gorilla hält mehrfach Rücksprache mit einer unbekannten Person, dann werde ich losgebunden, offenbar als kleines Zugeständnis. Gehen darf ich jedoch nicht.

„Wir haben auch noch andere Methoden auf Lager… schon mal was von Wasser-Folter gehört?“

Fast meine ich, unter seinem Helm ein schelmisches Grinsen erkennen zu können. Mir wird heiß und kalt, doch nach außen versuche ich den abgebrühten Journalisten zu geben.

„Mit solchen Drohungen können Sie vielleicht andere erschrecken. Ich war schon oft in ausweglosen Situationen.“

Dann verlässt der Oberindianer den Raum und einer der Söldner, der offenbar sein Stellvertreter ist, macht plötzlich einen auf Kumpel.

„Lohnt sich das, für die Wahrheit zu sterben?“, fragt er schmeichelnd. „Ist es das wert? Ich würde dich ja sofort gehen lassen, aber mein Chef…“

„Was wird das?“, frage ich kaltschnäuzig zurück, „eine Art Good Cop, Bad Cop-Spiel? Für wie blöd haltet ihr mich eigentlich?“

Plötzlich heißt es, das Schiff wird angegriffen. Ich höre Schüsse und dann hebt die Carrack auch schon ab. Ich weiß nicht, wohin es geht, als wir nach kurzem Flug wieder landen. Ich werde hochgescheucht und stolpere nur Momente später mit nackten Füßen über die kalten, immergrünen Pflanzen von Microtech – zu einer weiteren Carrack.

„Festsetzen, verhören, entführen – das kommt euch teuer  zu stehen“, sage ich.

„Halt‘ die Klappe!“

Auf der zweiten Carrack werde ich in die Messe gebracht – es sind eine Menge mir unbekannter Personen auf dem Schiff.

„Sie bleiben erstmal hier…zu Ihrer Sicherheit.“

„Zu meiner…?“

Ich muss fast laut auflachen.

Ich massiere mir die Füße warm und sinniere…die Einladung von Familie Abendroth nach Harpers Point war offiziell, deshalb…ich blicke über den Gang auf die andere Seite des Schiffes. Dort wird in den Mannschaftsräumen heftig diskutiert und gestikuliert. Keine Ahnung, worum es dabei geht.

…plötzlich öffnet sich die Tür.

„Cäcelia…“

„Mr. Brubacker….“

„Was zum Teufel ist hier los?“

„Sie sind zu Ihrer eigenen Sicherheit hier.“

„Ich will sofort gehen!“

„Tut mir leid, aber das ist im Moment nicht möglich.“

Ich schaue mir Cäcelia genauer an – sie ist echt ein hübsches Mädel. Ich will nicht glauben, dass sie so abgebrüht, so rücksichtlos ist. Ich beschließe mitzuspielen.

„Wollen wir uns nicht doch einfach duzen? Himmel, jetzt wo wir hier schon gemeinsam…“

„Okay“, unterbricht sie mich zu meiner Überraschung.

Im Hintergrund taucht plötzlich Ray Keaton auf.

„Oh, nee. Gerade fing es an, Spaß zu machen.“

Er steckt in einer kompletten Waffenmontur mit einer riesigen Waffe in der Hand, so als wolle er irgendwo einen Krieg ganz allein gewinnen. Auch Valentin stolpert durchs Bild – aber ich bin so verkatert, dass mir nicht in den Sinn kommt, ihn zu fragen, was er hier zu suchen hat.

„Alles frisch, Ray? Siehst heute so entspannt aus.“

„Bru…“

Ich wende mich wieder Cäcelia zu.

„Jetzt mal raus mit der Sprache…Wie wäre es, wenn wir einen kleinen Kreis des Vertrauens machen, in dem wir uns die Wahrheit sagen? Ich fange an.“

„In Ordnung.“

Ich blicke ihr tief in die Augen, mache ein Kompliment über ihre Haare…dann lege ich los.

„Falls es um Enos geht: Ich weiß nicht, worum es sich dabei handelt. Ich weiß nur, dass es unter Umständen saugefährlich ist und uns alle betrifft. Und da kann man nicht den Mund halten, wenn hier eine Biobot-Bombe explodiert, verstehst du? Man kann da auch auf Einzelne oder Privatunternehmen keine Rücksicht nehmen.“

Ich warte auf ihre Reaktion, doch da kommt nichts. Das sagt mehr als tausend Worte. Cäcalia verlässt den Raum, ich bin kurzzeitig allein und schleiche mich ebenfalls hinaus. Nur um sofort wieder vom nächsten Aufpasser eingefangen zu werden.

„Ist schon in Ordnung, Cäcelia…Mrs. Abendroth…hat es frei gegeben…“

Ich laufe zur Brücke, aber dort ist nichts zu sehen, ich schleiche die Gänge entlang, plötzlich steht Cäcelia wieder vor mir.

„Bru, ich sagte doch…“

„Erklär mir jetzt einfach, was hier los ist!“

Sie druckst ein wenig herum, dann kommt das Gespräch auf ihre Familie, ihre Schwester und dass –während wir hier sprechen und auf dem Fenster schauen – offenbar das angesetzte Experiment hinten in der Medbay stattfindet. Draußen wird derweil gekämpft, ich blicke halb interessiert, halb desinteressiert zu. Menschen rennen durch die Gegend. Irgendwo wird immer geschossen und um etwas gekämpft. Um Drogen, Gebiete, was weiß ich. Ich habe nur Augen für Cäcelia.

„Bin ich froh, dass wir hier drinnen sind.“

Ich starte eine Charmeoffensive und bin im Flirt-Modus.

Meine Avancen verfangen – schließlich haben wir sogar ein Date.

Dann öffnet sich die Tür und ihr Vater taucht auf, im Schlepptau ein Arzt.

„Es ist alles gut gelaufen. Der Virus ist weg. Ein großer Erfolg. Mariette geht es bald wieder besser.“

Ich sehe wie aus Cäcelias Gesicht das Blut entweicht.

„Mariette? Meine Schwester?“

„Das steht auf dem Patientenschein“, sagt der Arzt.

Ich bin mittlerweile maximal verwirrt.

Egal. Ich greife mir den Vater.

„Sie haben mich festsetzen, entführen und mir Folter androhen lassen.“

„Mr. Brubacker, nicht jetzt….“

„Doch jetzt…was fällt Ihnen ein?!“

Er atmet kurz durch, dann blickt er mich an.

„Sie sind von uns als Sicherheitsrisiko eingestuft worden. Sie haben Verschwörungstheorien verbreitet“, erklärt er unverblümt, als sei es das Normalste der Welt und in seinem Konzern eine gängige Geschäftspraktik.

„Mr. Abenroth, lassen Sie mich sofort von Ihrem Schiff!“

„Später, Mr. Brubacker. Jetzt müssen wir erstmal hier weg. Und ich lasse Sie gern raus, wo sie wollen. Alles Weitere können wir dann gern über unsere Anwälte klären.“

„Ich bin mir sicher, dass Sie sich die besten leisten können“, erwidere ich sarkastisch.

Draußen wird unterdessen wild geballert.

„Halt jetzt einfach die Fresse!“, fährt Valentin Benz dazwischen, der wie aus heiterem Himmel plötzlich wieder auftaucht und völlig frei dreht.

„Val…“

„Nein, Fresse, Bru!“

Cäcelia steigt mit ein.

„Bru, sein einfach still. Siehst du nicht, was hier los ist?“

„Nein. Wie auch, wenn ich die ganze Zeit irgendwo eingesperrt oder ausgesperrt bin?“, fahre ich sie an und bereue es sofort.

Wir sind zurück in unseren Schützengräben.

Ich atme tief durch und blicke schließlich still aus dem  Cockpit in die Unendlichkeit. Es geht offenbar nach Grimhex. Ich bin überfordert von so viel Aggression, Dummheit, Ignoranz und Arroganz.  Aber eines weiß ich: Enos und die dahinter steckende Biobot-Technologie wird jeden betreffen und uns um die Ohren fliegen – egal, ob als vorgebliches Heilmittel  oder als Waffe zur Züchtung von Super-Soldaten. Die einen wollen aufklären, die anderen ums Verrecken alles verschleiern. Wer ist Freund, wer Feind? Wir sind im Nebel verschluckt.

Kaum ist das Abendroth-Schiff gelandet, lasse ich die anderen stehen, nehme die Beine in die Hand, hole tief Luft und renne, wie ich bin, von der Rampe durch den luftleeren Raum auf das nächste Schott der Station zu. Kurz bevor ich es erreiche, wird alles schwarz.

Journal-Eintrag 16 / 01 / 2954

Ich sitze in der Redaktion, Killer lümmelt sich hinter mir auf einem uralten Sofa, das noch vom Vormieter stammt. Es hat lauter Löcher und Brandflecken von ungezählten Stims.

„Kann ich dir irgendwie helfen?“

„Nur wenn du weißt, wer  oder was hinter dem verdammten Enos steckt.“

„Enos…?“ – er macht die Backen dick, weil er sich gerade einen Burrito reindrückt – „was ist das? Etwas zum Essen?“

„Nicht direkt.“

„Schicke Bude hast du übrigens. Kann ich hier bleiben?“

„Klar.“

„Musst wieder viel nachdenken und schreiben und so, oder?“

„Yep.“

„Macht dir das Spaß?“

„Na ja, eigentlich schon….manchmal aber auch nicht.“

„Ändert doch eh nichts. Jeder macht sein eigenes Ding.“

Killer verschränkt die Arme hinter dem Kopf und blickt zur Zimmerdecke.

„Leben ist kurz, weißte? Bringt gar nichts, wenn man sich für andere Kopf zerbricht.“

„Killer…“

„…zum Schluss biste nur der Doofe, auf dem alle rumtrampeln.“

Ich drehe mich um und blicke ihn stumm an.

Ich weiß sofort, dass er Recht hat.

„Ich…äh…ich muss weitermachen.“

„Warum? Wir könnten doch wieder zum Gasplaneten fliegen. Da soll es sogar Wale geben.“

„Weil es wichtig ist. Weil…es jemand machen muss. Weil…“

Killer springt auf und rennt zur Tür.

„Sehe dich später. Ich check‘ mal die Gegend ab.“

„Nicht klauen!“

Er streckt kurz den Daumen nach oben, grinst schief und ist fort.

Da sitze ich. Allein.

Weil, ja, weil…

…  Enos uns vielleicht alle betrifft, egal wie weit man wegläuft oder wer man ist
…  Zivilcourage das Einzige ist, was noch bleibt, wenn die Institutionen versagen
…  man die ganzen Arschlöcher so einfach nicht davonkommen lassen darf
…  ich Reporter bin, verdammt noch mal!

Ich blättere meine Notizen durch. Drei Tage ist es nun her, dass uns der ganze Wahnsinn eingeholt hat.

  • Die Einladung zum Experiment auf Harpers Point war offenbar eine Finte. Uns wurde was ins Bier gemischt, um meiner habhaft zu werden. Hatte mich schon gewundert. Drei, vier Bier hauen mich sonst nicht um.
  • Hermie, Ella und Husky – an- bzw. erschossen von den Gorillas. Husky liegt im Koma, von Friedrich Winters auf seiner FROST in der Medbay gefunden. Hermie floh in Panik in die Wildnis, später ebenfalls gerettet von Winters. Offenbar wollten sie mich befreien. Für Abendroth waren sie nicht viel mehr als Kollateralschäden.
  • Zero – außer Gefecht auf Orison aufgewacht. Quasselt die ganze Zeit von irgendeiner Black Data, die entscheidend für des Rätsels große Lösung ist und die nur er entschlüsseln kann mit einer speziellen Xian-Methode. Diese Black Data hat sich wohl Cäcelia geschnappt. 
  • Valentin Benz – soll die Black Data offenbar an die Nine Tails aushändigen. Steht laut Zero entweder extrem unter Druck oder spielt ein falsches Spiel. Auf jeden Fall ein Bollerkopp, der sich nicht im Griff hat. Hat Zero mit einer Waffe bedroht.
  • Mr. Abendroth – ein Konzerner, wie er im Buche steht. Cäcelias Vater. Hält die Festsetzung und Entführung von Journalisten offenbar für eine normale Geschäftspraktik. Auf jeden Fall zwielichtig, vielleicht Schlimmeres. Ist vielleicht eine Schlüsselfigur, wie Zero mutmaßt.
  • Cäcelia – entweder eigene Agenda oder einfach nur überfordert. Hat sich schützend vor ihren Vater geworfen. Wie sagte sie doch? „Familie geht über alles“.  Klar, Blut ist dicker als Wasser. Wird sich trotzdem irgendwann entscheiden müssen, wo sie steht. Sucht anscheinend ihre totgeglaubte Schwester und will sie vom Zariska-Virus heilen. Memo an mich selbst: Liebe macht blind, Idiot.
  • Friedrich – hat sich eingeschaltet. Er will dem alten Abendroth auf den Zahn fühlen. Macht aktuell das halbe System wild, um herauszufinden, was hier läuft. Ist ganz in seinem Element, wenn er sich erstmal an was festgebissen hat.

Sind wir schlauer? Nein. Wir tappen im Dunkeln wie am ersten Tag. Klar scheint mir nur, wir sind alle Marionetten, die von bösen Mächten aufeinandergehetzt werden. Seit Jahren geht das nun schon so. Es ist zum Verrücktwerden.

Ich lege mich auf das alte Sofa, das längst auf den Müll gehört. Dann bekomme ich noch eine Nachricht von Thane McMarshall. Offenbar war die Behandlung mit dem Zariska-Virus nur Schein, um die Öffentlichkeit in die Irre zu führen. Nun denkt alle Welt, dass Enos ein Heilmittel ist. Offenbar ist aber das Gegenteil der Fall…ich hasse es, wenn ich Recht behalte.

Mir fallen die Augen zu und ich träume wild.

Nachtrag:
Husky ist aufgewacht. Es geht ihm einigermaßen.  Er hat eine Odyssee hinter sich – er wurde von den Gorillas angegriffen, versuchte sie zu verfolgen und explodierte dann auf einem Bike irgendwo in der Wildnis (gut, das ist jetzt keine Überraschung). Weiß davon, dass Val Zero ne Waffe an den Kopf gehalten hat und zweifelt nun an den Free Riders. Habe versucht, ihm gut zuzureden. Draußen, weit weg von dem ganzen Chaos, sieht die Welt wieder anders aus. Hat auch irgendein grundsätzliches Problem mit seinem Großvater, der wohl  früher nicht so da war, wie es nötig gewesen wäre. Jeder schleppt sein Päckchen mit sich herum.

Journal-Eintrag 20 / 01 / 2954

Ich schaue mir den Stream einer Überwachungskamera an und bin fassungslos. Eher gefriert die Hölle, bevor die einen Fehler zugeben oder sich entschuldigen. Schuld sind immer andere, kurz: Sie blocken alles ab. Dabei macht es Friedrich wirklich gut – er ist freundlich, aber bestimmt, lässt sie nicht aus  der Gesamtverantwortung. Aber Mr. Abendroth ist so selbstsicher wie eh und je, seine Tochter kann schließlich nicht mehr an sich halten und beschimpft mich – ich hätte mich unmöglich verhalten. Und einem Säufer könne man ja ohnehin nicht trauen. Ja, so einfach kann alles sein, wenn man stinkreich ist und glaubt, über allen anderen zu stehen. Letztlich sagen sie, dass ihnen die Edfjall-Universität die Gorillas aufgezwungen habe, sie daher nichts für den Verlauf der Ereignisse könnten.

Mehr noch: Zur Arroganz kommt die Lamoryanz hinzu – Freiheitsberaubung, Mord, Entführung – alles mit einem gönnerhaften und gleichzeitig wehleidigen Lächeln und Tränchen vom Tisch gewischt. Kurzum: Sie selbst sind Opfer der Umstände. Nun, so wissen wir wenigstens, woran wir sind. Irgendwann gibt es Friedrich auf. Ich mache auch einen Haken dran. Im besten Fall gilt: Enos ist tatsächlich nur ein Heilmittel, wir alle irren, alle bisherigen Hinweise sind Versuche, den Erfolg  zu verhindern.  Wenn es gut ausgeht – nun, dann werden ein paar ohnehin reiche Leute eben noch reicher. Oder Enos bereitet uns die Hölle auf Erden. In jedem Falle werden sich die Abendroths dann auch aus der Affäre ziehen und die Hände in Unschuld waschen.

.

Selbstzweifel

Zurück aufs Bike – wir starten mitten im Grünen. Hermie und Husky haben allein rund 400 Kilometer abgerissen und uns ein gutes Stück vorangebracht. Die Landschaft wird nun immer freundlicher. Ich sitze auf meiner Nox, wir reiten durch dichte Wälder, über weite Steppen. In der Ferne sind schneebedeckte Berge zu sehen, davor tiefe Täler. Ich versuche für den Moment die Ereignisse der vergangenen Tage einfach zu vergessen. Es tut verflucht gut, aus dem Hinterhofloch, das ich meine „Redaktion“ nenne, herauszukommen. Hinter mir reitet Ella, vor mir Hermie, als Sozius Chris Kross hinten drauf. Husky scoutet aus der Luft.

Plötzlich sehen wir in der Ferne ein rotes Licht über dem Horizont.

„Ey, da ist irgendwas“, sage ich.

„Jep, lass uns das mal ansteuern.“

Wie von einem magischen Auge werden wir über die nächsten Kilometer von dem roten Licht angezogen – das sich schließlich als eine Ansammlung von Wellblechhütten und Gewächshäusern entpuppt und sich „Astor‘s Clearing“ schimpft.

Husky, landet das Schiff mitten in der Siedlung – sofort dominiert es alles wie ein riesiger Fremdkörper. Wir stellen unsere Bikes in der Nähe ab, dann erkunden wir das Dorf. Es ist ärmlich, keine Frage, aber mit Überlebenswillen und Kreativität haben die Bewohner dieses Fleckchen Microtechs zu ihrer Heimat gemacht.

An diesem Abend scheint irgendetwas Besonderes auf dem Mobiglas zu sehen sein. Überall stehen die Bewohner zusammen, starren auf ihre Geräte.

„Vielleicht die Ergebnisse des letzten Sataball-Spiels“, sage ich und versuche ein Gespräch in Gang zu bringen.

Keine Antwort.

„Na, ihr Eingeborenen?“

Sofort fange ich mir einen Rüffel ein.

„Bru, wie kannst so etwas sagen?“

„Was denn?“, sage ich, „viele von denen sind doch wahrscheinlich von hier?“

Wir laufen durch den Ort, eine Bar ist voller Bier und Spirituosen, aber das Verkaufsterminal klemmt und wir wollen nicht einfach was klauen…ich erklimme frustriert einen hohen Mast und sehe, dass sich das Dorf in einem Tal befindet, vielleicht haben die Bewohner  deshalb so wenig Empfang und funktionierende Elektronik.

„Ey, habt Ihr hier schon Kabel? Vielleicht liegt es daran?“

„Bru, echt, du bist total unangenehm…“

Mir drückt die Blase. Ich klettere vom Turm und pinkele auf dem Rückweg in einen Busch.

„Du kannst doch hier nicht hinpinkeln!“

„Was? Wieso denn nicht, ist doch keiner da…“

Hermie zerrt mich aus dem Gebüsch.

„Mach das gefälligst auf dem Schiff!“

Ich will schon zu einer Antwort ansetzen, doch mittlerweile bin ich nur noch sauer und starre ihn stumm an.

Was haben die Leute im 30. Jahrhundert für ein verdammtes Problem?

Während des Rückfluges nach Port Tressler ist die Stimmung im Keller.

Ein paar Tage später.

Mich beschleichen Selbstzweifel.

Wie nur konnte es soweit kommen, dass mein Image so im Eimer ist? Was habe ich verbrochen? Wieso glauben alle, mich ständig maßregeln zu müssen? Ich trinke ab und zu wenig etwas – manchmal auch ein Bier zu viel  – aber macht mich das zu einem schlechteren Menschen?

Ich stürze manchmal irgendwo runter, gehe mal unnützes Risiko ein. Weil ich Dinge interessant finde, was ausprobieren will – bin ich deshalb der Depp vom Dienst, dem man jeden Schritt vorexerzieren muss?

Und ja, manchmal mache ich einen lockeren Spruch, um ein wenig die Stimmung zu heben. Und manchmal bin ich vielleicht nicht immer hyper-moralisch-korrekt. Ich übergebe mich in Blumen und pinkele in Büsche – na und? Das sind alles keine Staatsverbrechen. Wenn sich Menschen in den vergangenen 700 Jahren eines jedenfalls nicht abgewöhnt haben, dann andere in Schubladen zu stecken.

Ich kritzele auf ein Blatt:

No-go‘s:
Kurzzeitiges Baden in einem Seerosenteich.
Abhotten auf einer Tanzfläche in Badehose.
Kumpelhafte Begrüßung der Bewohner eines Outposts.
Pinkeln in einen Busch.
Flirten.

Statthaft und üblich:
Verschleppung, Mord, Erpressung.
Das Ausplündern von Leuten, die sich nicht wehren können.
Überfälle auf Raumschiffe, die nur ihres Weges fliegen.

Ich lasse den Stift sinken, zerknülle das Papier und feuere es in eine Ecke. Irgendwie, so scheint es, ist den Menschen im 30. Jahrhundert der moralische Kompass verrutscht. Dann wird mir klar: Fast 250 Jahre – bis zum Ende des 28. Jahrhunderts – hatte das Messer-Regime  geherrscht. Eine Zeit, in der Brutalität Staatsräson war. Und dieses Gift ist bis ins Mark der Gesellschaft eingedrungen. Ein etwas lockerer Umgang miteinander, das Leben genießen und auch mal Fünf gerade sein lassen – alles in der Diktatur ausgetrieben. Jahrhundertelang galt nur das Recht des Stärkeren. Ella, Hermie, Husky – sie alle sind Opfer dieser Zeit, wenn auch als Spätgeborene. Es dauert Generationen, bis sich das ausschleicht. Ich habe unterdessen 700 Jahre lang einen seligen Kälteschlaf geträumt.

Ich stehe vom Schreibtisch auf und lege mich auf das alte, abgeranzte Sofa in meiner Redaktion. Killer ist irgendwo unterwegs. Jungs wie er sind die größten Opfer von allen, während Menschen wie die Abendroths…stopp! Doch meine Selbstzweifel lassen sich nicht so leicht vom Tisch wischen.

Vielleicht bin ich auch einfach nur ein Idiot.

Journal-Eintrag 30 / 01 / 2954

„…mach dein Licht an! Ich hab dich nicht gesehen. Jetzt bin ich in dich reingefahren.“
„..sag Bescheid, bevor du abbremst! Jetzt bin ich auf dich aufgefahren.“
„…du bist in mich reingeknallt!“

Junge, Junge – eher gefriert die Hölle, bevor Hermie mal einen Fehler zugibt. Selbst wenn ich nicht der beste Biker bin, zu einem Unfall gehören immer zwei, oder?  Wir haben „Astor‘s Clearing“ verlassen, ich kann nur schwer an mich halten, schlucke meinen Ärger aber hinunter.

Einmal Depp vom Dienst, immer Depp vom Dienst.

Ich erwache auf der Medbay und blicke hinaus in die Nacht. Momente zuvor waren seine Dragonfly und meine Nox ineinander geknallt, ich bin explodiert. Husky scoutet das Schiff, es geht nordwärts. Unter uns ziehen endlose Wälder vorbei und Husky fliegt mit dem Schiff Schlangenlinien.

„Bru, alles okay?“

„Hm.“

Menschen sind, wie Menschen sind. Der eine kann keine Fehler zugeben, der andere quasselt viel, der dritte poltert ständig, der vierte zickt rum. Wenn uns irgendwas definiert, dann dass wir uns ständig aneinander reiben.

Mein Mobiglas piept.

Ich lese die Nachricht ein zweites Mal.

Sharan Doniz? Gespräch auf Bajini Pint? Nie gehört.

Dann weiß ich, wo ich das „J.P. was here“ schon mal gelesen hatte – an einer Wand in „Astor’s Clearing“.

Ich lese Husky die Nachricht vor – doch auch er kann sich keinen Reim darauf machen.

…Sharan Doniz…Sharan Doniz…

Oder ich habe mittlerweile Gedächtnisschwund. Davon abgesehen bin ich kein Sozialarbeiter – jeder hat sein Päckchen zu tragen, oder? Für eine große Story reicht es jedenfalls nicht. Außerdem habe ich momentan ein paar andere Dinge im Kopf.

Ablage P.

Ich schreibe in klassisch-journalistischer Manier zurück.

Warum kann es nicht immer so einfach sein?

Draußen geht derweil die Sonne auf.

.

Die Schrottsiedlung

„Sorry, Leute, ich muss mich aus der Crew verabschieden. Ich muss dringend ein paar Familienangelegenheiten in Terra klären.“

Dann ist sie aus dem Funk auch schon wieder weg.

Kurz angebunden, nüchtern,  geschäftsmäßig.

In der Runde herrscht Schweigen, geradezu eine Schockstarre.

Ella Clemens ist raus, hat uns verlassen.

Wir haben viel gemeinsam erlebt – vor allem auf der „Pal  o1“. Klar, sie war jetzt nie ein Crewmitglied an vorderster Front, eher im Hintergrund, aber immer da, wenn man sie brauchte. Mehr noch: Sie war der Kit, der uns wieder zusammenbrachte, wenn es mal krachte. Etwa zwischen Husky und mir oder beim Streit mit Mr. Aruhso. So eine verdammte Scheiße.

Aber so spielt das Leben. Wir werden sie auf jeden Fall in guter Erinnerung behalten.

Ich sitze auf meiner Nox, versuche den Frust abzuschütteln; es geht weiter nordwärts.

Da knistert es im Funk – und ich traue meinen Ohren kaum.

Valentin Benz, gefallener Bruder unserer kleinen Biker-Gemeinschaft. Er will mit uns reden.

Ich erwarte wieder irgendeine Pöbelei, doch Valentin ist für seine Verhältnisse die Sanftmut selbst.

Dass er Zero während des verdammten Enos-Treffens eine Knarre an den Kopf gehalten habe, sei den Umständen geschuldet gewesen. Er erklärt es ausführlich, ich verstehe zwar nicht so recht die Hintergründe, aber spüre, dass er es aufrecht und ehrlich meint. Okay, er ist ein Bollerkopp, aber anscheinend hat er nicht nur Kreide gefressen.

Plötzlich sehen wir in der Ferne wieder ein rotes Licht – eine weitere Siedlung?

Als wir näher kommen, Zero und Hermie reiten voraus, ich mit ein paar Kilometern Abstand hinterher, sehen wir, dass es sich in der Tat um eine weitere Kolonie handelt – wie „Astor‘s Clearing“ aus Schrottteilen zusammengezimmert, Vorderteil und Heck einer alten Reclaimer dienen als Fixpunkte, um die sich die Siedlung erstreckt. Erneut bin ich erstaunt über so viel Willen, der kargen Natur Microtechs ein Fleckchen Heimat abzutrotzen.

Valentin, der die Siedlung in einer Hornet angesteuert hatte, landet und wir alle treffen uns im Innern der Siedlung, die aber nur von wenigen Menschen bewohnt wird. Zero kriegt sofort große Augen bei all den Dingen, die nicht niet- und nagelfest sind und ist rasch in seinem Element. Zuvor gibt es mit Valentin jedoch eine intensive  F.R.O.S.-Aussprache, die relativ schnell abgehandelt wird – er bleibt Mitglied der „Free Riders of Stanton“, wenn auch unter Beobachtung.

Anschließend streifen wir gemeinsam durch die riesige Siedlung – es gibt kleinere Behausungen, die offenbar so etwas wie Büros darstellen sollen, Lagerräume, Garagen, eine kleine Plantage – und natürlich die obligatorische Bar. Hermie entdeckt  schließlich etwas ganz Besonderes – eine Gatac Syulen. Er klettert hinein. Sie ist flugbereit, denn kurz darauf hebt er mit ihr ab.

„Leute, ich habe mit dem Schiff eben gesprochen. Dann sind auch schon die Triebwerke angesprungen.“

„Wie meinen?“

„…na, ich weiß auch nicht. Eine Art Gedankenübertragung. Ich dachte, dass ich gern mit ihr fliegen wollen würde und dann ging es auch schon los.“

Davon hatte ich schon einmal gelesen – Alientechnologie, die  nonverbal kommuniziert…Schiffe, die sich ihre Besitzer suchen…

„Komm mal raus, lass mich mal“, sage ich.

Hermie landet wieder, nachdem er eine Runde gedreht hat.

Ich klettere in das fremdartige Schiff, das ich bisher nur einmal auf der Intergalactic Aerospace Expo gesehen hatte. Dann sage ich laut im Geiste:

„Starte die Triebwerke.“
„Ab nach oben.“
„Los geht’s.“
„Abflug.“

Nichts.

Das Schiff bleibt stumm.

„…vielleicht kann es dich nicht leiden?“

„Sehr witzig.“

Ich klettere wieder hinaus, Hermie wieder hinein. Erneut startet er ohne Probleme.

„Tja, dann haben sich wohl zwei gesucht und gefunden.“

Ich lasse die beiden allein und steuere die hohen Türme der Siedlung an. Es sind Beobachtungsposten, die einen weiten Blick ins Land erlauben, dann klettere ich hinauf. Ich weiß nicht, warum mich das immer magisch anzieht – das muss irgendein Ding aus meiner Kindheit sein. Hermie, Zero und Husky tun es mir gleich. Gemeinsam genießen wir schließlich die Aussicht.

„Schon krass, was die Menschen auf die Beine stellen. Alles aus Schrott gebaut“, sagt Hermie, der wieder zu uns stößt.

„Genial“, erwidere ich.

Ich atme tief durch. Wie jede Reise hat auch diese ihre unvergesslichen Momente, aber auch ihre Schattenseiten. Man bekommt eben immer nur beide Seiten einer Medaille. Als wenn es eines Beweises bedurft hätte, passiert es beim Abstieg dann auch schon – eine der Leitersprossen bricht, ich stürze hinab und rutsche auf einer rostigen Schräge hinab. Ich spüre, wie mir der Undersuit aufreißt. Der Rost hat das einst blanke Metall in grobes Schleifpapier verwandelt. Schließlich rutsche ich auf dem nackten Hintern hinab.

„Himmel…“

Am Ende der Schräge angekommen, falle ich zwischen zwei  Metallplatten und bleibe gerade so mit dem Oberkörper hängen.

Zero und Husky eilen mir zur Hilfe.

„Dich kann man keine Sekunde allein lassen!“

„Ich hasse es hier!“, rufe ich laut und muss sofort an Ella denken. Hat sie vielleicht auch meine direkte, unverblümte Art aus der Gruppe getrieben? Ist sie  deshalb so kurz angebunden gewesen? Herrgott, man darf doch nicht immer alles auf die Goldwaage legen. Sonst wird man ja seines Lebens nicht mehr  froh.

Zero und Hermie ruckeln an mir rum, bekommen mich allerdings nicht heraus.

„Zero, was zum Henker treibst du da?“

Er drückt mich nach unten.

„Geht weiter abwärts, Bru. Ist die einzige Möglichkeit.“

Nur einen Moment später, falle ich noch ein paar Meter. Dann bin ich wieder auf dem Erdboden.

„Bin unten.“

„Wir kommen auf dem normalen Weg.“

„Alles klar.“

Ich reibe mir das Hinterteil. Selbst durch den Handschuh spüre ich, wie rau es ist. Das gibt garantiert eine Infektion. Wir wandern noch ein wenig durch die Siedlung, die Sonne geht langsam unter. Dann hallt ein weiterer Schrei durch die Siedlung – auch Husky hat sich irgendwo an den scharfen Bruchkanten oder messescharfen Graten verletzt. Was sind wir doch für Stadteier, völlig unfähig länger als fünf Minuten in der Natur zu überleben…

Wir steuern den Hilfeschrei an, Husky reibt sich das Bein.

„…hab mir beim Runterklettern das Bein verdreht.“

„Herrje.“

Zeit, zurück zur Carrack zu gehen, die direkt vor der Schrottsiedlung steht.

Ich werfe einen letzten Blick zurück, dann sehe ich es wieder.

„J.P. was here.“

Journal-Eintrag  03 / 02 / 2954

Tatsächlich – ich habe mir eine ordentliche Wundinfektion eingefangen. Es brennt und juckt wie verrückt. Seit zwei Tagen rutsche ich im Schlaf hin und her, als hätte ich Hummeln im Hintern. Auch kann ich mich kaum noch bücken. Die kleinste Bewegung nach vorn zieht bereits, als hätte ich einen Stock verschluckt. Kurzum: Hilfe muss her.

Aber nicht von den üblichen Quacksalbern.  Erstens kann ich heute in einer ihrer Kliniken ihre herablassenden Blicke nicht ertragen, zweitens darf man da wegen solcher „Kleinigkeiten“ warten, bis man schwarz wird.

Ich suche in meinem Mobiglas nach einer Alternative – da! Dr. Dull, das klingt nicht schlecht. Macht wohl alles, nutzt auch unkonventionelle Methoden. Na fein, wenn jetzt was hilft, dann ein ärztlicher ordentlicher Schlag ins Kreuz und eine Spritze mit einem Antibiotikum. Ich schreibe ihn an. Er sitzt auf Grimhex. Gut, das ist nicht wirklich der Ort, an dem man zum Arzt gehen möchte – aber das ist mir im Moment egal. Ich schreibe ihn an. Kurz darauf erhalte ich eine automatische Nachricht, wann er geöffnet hat.

Ich raffe mich auf, schleppe mich mehr schlecht als recht zu meiner Starrunner – kann man das Ding eigentlich auch in Bauchlage fliegen? Ich grinse bei dem Gedanken und spüre sofort ein Stechen. Na toll, auch Lachen tut weh.

Nach einem qualvoll langen Quantumflug lande ich auf Grimhex.

Er erwartet mich schon.

Es ist ein konventioneller Typ – höchstes das „Gutter Wash“-Shirt unter seiner Lederjacke deutet  vielleicht ein wenig auf eine etwas laxe Einstellung hin.

„Mr Brubacker…“

„…Dr. Dull.“

Ich folge ihm unter Schmerzen durch die Klinik auf Grimhex – sofern man sie als solche bezeichnen will. Es ist unfassbar dreckig, Unrat türmt sich in den Ecken, es stinkt.

„Arbeiten Sie hier gern?“

„Ich habe nur eine Teil-Praxis für meine Sprechstunde angemietet, bin sonst als freiberuflicher Arzt in den Weiten des  Verse unterwegs.“

„Verstehe.“

Es geht mit einem Fahrstuhl hinauf oder hinab – ganz genau lässt sich das nicht feststellen – dann sind wir auch schon in einem Raum,  der so etwas wie ein Behandlungszimmer darstellen soll.

„Das ist ja grauenhaft, wie können Sie hier nur arbeiten?“

„Man gewöhnt sich an alles. Hierher kommt man, wenn man eine Schussverletzung hat und man keine dumme Fragen beantworten möchte.“

„Alles klar.“

„…wenn Sie sich nun bitte freimachen. Ich habe hier einen Kittel für Sie. Dann kann ich Sie besser untersuchen.“

Ich streife unter Verrenkungen die Rüstung und den kaputten Undersuit ab,  werfe mir den Kittel über. Danach untersucht mich Dr. Dull.

„Sie haben einen ungewöhnlichen Namen.“

„In der Tat, meine Eltern hatten viel Humor. Dr Van Dull.”

Erst jetzt fällt es mir auf.

Vandul.

„Sie sind bestimmt viel gehänselt worden…“

„Kann man so sagen. Ich musste mir tausend dumme Witze anhören.“

„Kann ich mir vorstellen.“

Während wir smalltalken, beendet Dr. Dull seine Untersuchung.

„Die Abschürfung an Ihrem Gesäß hat es in sich. Sie haben eine handfeste Infektion. Ich gebe Ihnen zum einen Mittel, zum anderen wird unser Autodoc Ihnen einen Cocktail und eine Spritze verabreichen. Aber…“

„…aber…“

„..aber Sie haben da ein zweites Loch in Ihrem Po.“

„Wie bitte?“

„Nicht was Sie jetzt denken. Hat man Ihnen mal in den Hintern geschossen?“

Ich denke nach.

„Nicht dass ich wüsste.“

„Seltsam, unser Autodoc wird auch das in Ordnung bringen.“

Er jetzt sehe ich im Dämmerlicht, wie schmutzig es in der Kabine wirklich ist.

„Doc, was ist das vor der Liege? Gallenflüssigkeit?“

„Möglich, aber lassen Sich davon nicht stören.“

Ich glaube, mir wird gleich schlecht, mit einem großen Schritt überbrücke ich den silbrig glänzenden Fleck. Nachdem ich auf dem Autodoc bin, fährt der Monitor herunter.

„Bitte wählen Sie nun folgende Medikamente aus – Sterogon, Adrenalin und…Moment.“

„..wieso muss ich das selber machen, ich denke Sie sind der Arzt?“

„Tut mir leid, aber dafür übernehme ich keine Verantwortung.“

Ich schüttle genervt den Kopf – vielleicht wäre es doch besser gewesen, in eine der großen Kliniken zu gehen.

„Und jetzt einfach okay drücken…“

Ich spüre nichts, dann ist es auch schon vorbei.

„Das war‘s. Ihr Rückenleiden sollte damit auch bald vorbei sein. Jetzt gebe ich Ihnen noch ein paar Tabletten und Sie sind entlassen.“

Als ich aufstehe, fällt mein Blick auf einen blutverschmierten Vorhang.

„Himmel…was ist denn hier passiert?“

„Nun, da ist jemandem….der Hintern explodiert.“

„Äh…“

„Das kann geschehen, wenn man eine Infektion wie die Ihre nicht behandelt. Aber Sie waren ja nun bei mir, also keine Sorge.“

Ich habe keine Ahnung, ob Dr. Dull das ernst meint oder nicht, aber eines weiß ich – dass ich nur noch so schnell wie möglich hier raus will. Es geht zurück durch menschliche Hinterlassenschaften, hinaus aus Frankensteins Höhle.

Journal-Eintrag 07 / 02 / 2954

Weiter geht es auf unserer Tour – ich sehne mittlerweile das Ende herbei, auch wenn die Gegend, durch die wir nun cruisen, wirklich wunderschön ist. Wenigstens schmerzt mein Rücken nicht mehr und auch die Infektion klingt ab. Der Besuch bei  Dr. Dull – so seltsam er auch war – hat sich gelohnt.

Das Ziel unserer kleinen Zwischenetappe heißt „Harpers Point“, der Ort, an dem  ich von den Gorillas entführt wurde. Der Ort, an dem die Wahrheit rund um Enos auf dem Altar der Eitelkeiten geopfert wurde.

Ich wische den Gedanken beiseite, reite stoisch dem Ziel entgegen. Hermie fährt vornweg, Husky scoutet. Plötzlich muss Hermie zu einem Termin aufbrechen, Husky und ich bewältigen den Rest der Strecke allein. Irgendwann tauschen wir, ich übernehme die FROST, Husky steigt auf sein Bike.

Es sind rund 140 Kilometer, die wir zurücklegen müssen – irgendwann kommt der Outpost in Sicht und mich beschleicht ein mulmiges Gefühl. Am liebsten würde ich daran vorbeifliegen.

Ich lande, die Sonne geht soeben unter – es ist malerisch und wunderschön.

„Weiter oben am Fluss liegt ein Wrack einer Starrunner. Hast du das schon gesehen?“

„Nope.“

Gemeinsam laufen wir ein wenig den Strom hinauf und stoßen schon bald auf die Überreste des Schiffes. Es muss schon länger hier liegen – Bäume wachsen aus den gesprengten Luken, Efeu überwuchert die Innenräume. Man sieht, dass es mit Vollkaracho in den Boden gerammt ist, das Cockpit ist komplett zerstört.

Wie immer, wenn ich solche Wracks sehe, bin ich erschüttert – wie ist es dazu gekommen? Was geschah mit der Mannschaft? Gab es Überlebende?

Wir klettern hinein, Siedler haben ein Feuer davor angezündet, das die Szene gespenstisch beleuchtet. Im Innern ist kein Durchkommen mehr.

Wir stehen unschlüssig im Hangar, dann verlassen wir das Schiff wieder.

„Willst du noch in die Siedlung oder wollen wir wieder abhauen?“, fragt Husky.

„Können ja mal einen Blick riskieren.“

Wir schlendern hinunter, die Siedlung wirkt wie eh und je. Nichts mehr ist davon zu spüren, dass ein Großkonzern hier vor nicht allzu langer Zeit, eingefallen ist und Menschen in Angst und Schrecken versetzt hat. Wir laufen vorbei an provisorischen Schlafräumen, dann entdeckt Husky plötzlich lauter Drogen – Etam und anderes mehr. Päckchen- und Stapelweise.

„Das gibt’s doch nicht…“

Nach außen stets den unbescholtenen Bürger geben, der nur versucht, seinen Weg zu gehen, aber in Wirklichkeit Drogengeschäfte abwickeln. Ja, bei der Moral darf man eben nie zu genau hinsehen.

„Ich könnte kotzen“, entfährt mir.

Dann brechen wir zur Seraphim-Station auf. Heute soll die verdammte „Black Data“ entschlüsselt werden. Cäcelia und Zero treffen sich, ich spiele Mäuschen in einem Funkkanal. Danach ist die Katze hoffentlich aus dem Sack.

Ein paar Stunden später.

Ich bin fassungslos und sinke auf der Sitzbank auf der Seraphin-Station in mich zusammen.

Dafür der ganze Aufwand? Für einen weiteren Brotkrumen?

Die geheimnisvolle, große „Black Data“ – sie entpuppt sich als Luftnummer und nur als weiterer Hinweis, wo wir nach irgendetwas suchen sollen.

Einen stichhaltigen Beweis, der die Köpfe hinter Enos wirklich überführt und keine Zweifel mehr zulässt, gibt es nicht. Reicht das alles für einen Artikel von „Off the Record“? Im besten Fall würde es nur nach einem Verschwörungsartikel klingen und ich damit meine Reputation verlieren. Im schlechtesten Fall gäbe es unseren unsichtbaren Gegnern Munition in die Hand und würde uns weiter in deren Schusslinie bringen.

Verdammt noch eins – seit Monaten ist um diese „Black Data“ ein Tanz wie ums goldene Kalb gemacht worden – und nun: Irgendwo in Pyro gibt’s weitere Hinweise. Hinter jeder Fassade steckt nur eine neue. Wenn die Verschwörer hinter Enos eines meisterlich verstanden haben, dann ein unglaubliches Labyrinth angelegt zu haben, in dem wir uns alle längst verirrt haben.

Einzig brauchbare Informationen: Die ganze Zariska-Geschichte war nur Fake, um die vermeintlich heilende Technologie in der Öffentlichkeit zu promoten. Und der Konzern Microtech steckt tiefer drin als gedacht. Gut, das ist jetzt auch nicht wirklich eine Neuigkeit – aber Thane McMarshall hat jetzt wirklich alle Gründe, seine gesamte Macht als Sicherheitschef einzusetzen.

.

Endgame

Wir haben einen internen, geheimen ENOS-Funkkanal eingerichtet – und ich verfolge nun teils gespannt, teils entgeistert, wie sich das hier alles weiterentwickelt. Längst machen in Stanton und darüber hinaus Gerüchte die Runde. Das ganze Ding hat komplett ein Eigenleben entwickelt. Es ist höchste Zeit, dem Spuk ein Ende zu bereiten.

Ich schreibe Thane McMarshall an, der sich aber komischerweise sehr bedeckt hält. Dafür ist Friedrich offenbar voll in seinem Element. Ich verstehe sein Engagement, weil er nach wie vor wissen will, wer und warum auf seinen Enkel geschossen hat. Aber muss er sich derart weit aus dem Fenster lehnen? Ich befürchte, dass seine Recherchen ihm und dem Aufbau von „Nordlicht Aviation“ in Stanton gar nicht gut bekommen werden.  Gemeinsam mit Hermie untersuchen sie sogar noch den geheimen Bunker, an dem das gefakte Enos-Zariska-Experiment stattgefunden hat. Offenbar sind sie auf ein verschlüsseltes Terminal gestoßen.

Doch: Wonach suchen wir da eigentlich? Wenn sie bei MACH nicht völlig verblödet sind, haben sie längst alles gelöscht, oder? Andererseits: Wenn der verdammte Bunker so streng bewacht wird, ist es vielleicht einer ihrer Knotenpunkte … oder es handelt sich um einen Hinterhalt, um uns Schwachköpfe, die wir da reinmarschieren, auf einen Streich zu beseitigen? Sobald Zero Hand anlegt, schnappt die Falle zu. In jedem Fall bleibt Vorsicht die Mutter in der “Black Data”-Kiste. Sollten wir uns entscheiden, da doch noch mal nachzusehen und das Terminal hacken zu wollen, sollten wir das echt geheim und schnell machen – rein und wieder raus.

Ich atme tief durch und lasse mir das Ganze noch einmal durch den Kopf gehen.

Letztlich ist das alles nicht kriegsentscheidend – wenn wir nicht herausfinden, wer hinter MACH steckt und deren Verschwörung beenden. Alle anderen involvierten Gruppen sind entweder nur Handlanger, Nutznießer oder wurden auf übelste Weise ausgenutzt. Natürlich, wenn es hilft, MACH selbst das Handwerk zu legen, so vervollständigt jedes Puzzleteilchen, das wir an die richtige Stelle legen, das Gesamtbild. Aber einmal mehr zeigt sich, dass MACH es geschafft hat, ein fast undurchdringliches Netz aus Lügen, Intrigen, Verdächtigungen, Halbwahrheiten, vor allem aber aus falschen Fährten zu legen. Es ist nur in ihrem Sinne, wenn wir uns weiter in diesem Dickicht verlieren. Mehr noch: Je mehr wir uns dem innersten Zirkel nähern, umso mehr zieht sich auch das Netz um uns zusammen. Kurzum: Jeder weitere Schritt  ist brandgefährlich.

Trotzdem dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, worum es hier geht: Wollen wir der Medusa den Kopf abschlagen, so dürfen wir uns nicht ständig von den Schlangen auf ihrem Kopf verwirren lassen. Die Zerschlagung von MACH ist das Ziel, dann fällt das ganze Konstrukt in sich zusammen, davon bin ich fest überzeugt. Sonst stehen wir ohnehin auf verlorenem Posten.

Und: Enos selbst werden wir nicht mehr aus der Welt schaffen, so viel steht ebenfalls fest. Denn wie heißt es so schön? „Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist“. So war es beim Faustkeil, bei der Dampfmaschine, bei der Atombombe, bei der Künstlichen Intelligenz, beim Quantumdrive, bei der Imprint-Technologie – und so ist es nun auch bei der Biobot-Technologie. Anders gesagt: Das ganze Ding zu stoppen – dafür ist es nun zu spät. Nun gilt es nur noch, Schlimmeres zu verhindern. Ich ahne, dass das hier nun bald richtig eskalieren wird. Niemand von uns wird dann noch sicher sein. Herrgott, ich muss dringend mit Friedrich sprechen…

Einen Tag später.

Friedrich zieht seine Origin 600i an den Himmel über New Babbage. Seine Idee:  Wenn die Spur nach Pyro führt, so nutzen die MACH-Hintermänner vielleicht den Sprungpunkt als Ort, um die Daten sicher in das Nachbarsystem zu transferieren. Sein Enkel hat ihn über die neuesten Entwicklungen ins Bild gesetzt.

Ich spreche Friedrich aktiv darauf an, warum er sich hier so reinhängt. Natürlich will er herausfinden, wer seinem Enkel so zugesetzt hat, darüber hinaus aber auch die Bedrohung selbst bannen.

„Niemand kann mehr ruhig schlafen, wenn die Hintermänner nicht gefasst werden“, sagt er seelenruhig.

Ich stimme wortlos  und mit leichtem Kopfnicken zu.

Stumm blicke ich aus dem Cockpitfenster, dann nähert sich die „Silver Arrow“ dem Nebel, der den Sprungpunkt umgibt. Aktuell ist das Tor offline – jeder Sprung muss angemeldet werden. Gut, das gibt uns die nötige Ruhe, um uns ein wenig umzusehen. Friedrich fliegt in einen Tunnel, um seine Origin 600i so gut es geht zu verstecken. Plötzlich schaltet sich Hermie über Funk hinzu. Auch er steuert den Sprungpunkt an. Gemeinsam machen wir uns auf die Suche.

„Ich würde sagen, dass es sich um einen kleinen Satelliten handeln muss“, sagt Friedrich. Einer, der Informationen aus dem Bunker auffängt und weiterleitet.

„Okay, machen wir uns auf die Suche.“

Vorsichtig bewegen wir uns zwischen den riesigen Konstruktionen.

„Das ist wie die Nadel im Heuhaufen…“, sage ich.

Gleichwohl – wie heißt es so schön? Das Glück ist mit den Tüchtigen.

„Probieren wir es einfach mal im Container-Terminal“, schlägt Friedrich vor.

Da diese Idee so gut ist, wie jede andere, schweben wir zwischen die zahllosen riesigen Frachtcontainer. Bald haben sie uns verschluckt. Es ist gut, dass Hermie noch dazugestoßen ist, denn sonst würden wir uns wohl totsuchen. Sofern es sich tatsächlich um einen kleinen Satelliten handelt, kann er in jeder dunklen Ecke stecken. Wir schweben kreuz und quer – schon  wollen wir es aufgeben, als wir ihn tatsächlich finden.

„Das ist er“, ruft Hermie.

Wir nähern uns vorsichtig, falls er eine Selbstzerstörungssequenz besitzt.

Er ist auf „Standby“ und bereit, jederzeit Daten zu empfangen. Nicht zu fassen – Friedrich hatte die richtige Eingebung.

„Bringen wir ihn aufs Schiff, um ihn zu analysieren. Vielleicht stecken auch noch Daten drin.“

Minuten später ist die kleine Empfangsstation auf der 600i.

„Wer kann die Daten sicher extrahieren?“

„Zero“, sagt Hermie.

„Gut“, antworte ich. Wir sehen uns nachher ohnehin beim Crew-Treffen.

Dann wissen wir hoffentlich wieder ein wenig mehr.

Journal-Eintrag 14 / 02 / 2954

Ich hasse es, aber auf den letzten Metern unserer Tour muss uns der ganze Mist nun endgültig einholen. Man kann eben so weit fahren, wie man möchte – seinem Schicksal kann man nicht entfliehen. Erst recht nicht, wenn man es mit so mächtigen Gegnern zu tun hat.

Enos, immer wieder dieses verdammte Enos.

Irgendwann schalte ich den Funk ab und orientiere mich nur noch an den Bikes vor mir.

Mehrfach halten wir an, weil es Motorschäden gibt oder jemand sein Bike wechselt.

Hermie scoutet uns auf der „Frost“, Husky sitzt auf einer Origin X1, Chris auf einer Dragonfly und ich auf meiner Nox.

So langsam geht die Tour in die Endphase. Es geht noch ein wenig nordwärts, dann wieder nach Westen – Richtung Ghost Hollow.

Das Artefakt, Schuppke, die explodierte Pal-01.

Nein, man kann seinem Schicksal wirklich nicht entfliehen.

Alles holt einen irgendwann wieder ein.

Ich denke an die Entschlüsselung, die Zero kurz zuvor auf der „Frost“ vorgenommen hatte – der Satellit war in der Tat ein Relay, um Infos aus dem Enos-Bunker nach Pyro zu schleusen. Mehrfach wurden Daten übertragen. Wir sind wieder einen Schritt weiter, wenn auch nicht wirklich schlauer.  Dennoch verdichtet sich nun alles immer mehr.

Plötzlich werden die anderen erneut langsamer.

Ich schalte meinen Funk wieder ein.

„Ich sehe da vorn Positionslichter, vielleicht weitere Siedlungen“, sagt Zero, der mit an Bord der „Frost“ ist.

Wochenlang gar nichts, nun geht es Schlag auf Schlag. Wir drosseln das Tempo, dann sehen wir es: Es handelt sich um zwei Outposts. Wie die bisherigen sind auch sie aus Schrott zusammengebaut. Beim  ersten handelt es sich um eine Plantage.

„Ein wundervolles Fleckchen“, sagt Hermie, nachdem er die „Frost“ gelandet hat.

„Ich glaube, hier lasse ich mich nieder“, ergänzt Zero.

Er strahlt über das ganze Gesicht – etwas Wildes wird immer in ihm sein.

Wir schauen uns um, dann findet Zero einen Brief.

„Hm, okay. Es wird sich um die Siedlung auf dem Berg da oben handeln. Klingt doch interessant. Abstecher gefällig?“, frage ich in die Runde.

Nach allgemeinem Kopfnicken sitze ich auch schon wieder auf meiner Maschine und reite den Berg hinauf, die anderen nehmen das Schiff. Zunächst geht es steil nach oben, doch ist der Weg leichter als gedacht. Geschickt weiche ich Felsen und Abgründen aus. Klar ist: Durch die Biker-Tour sind wir alle wesentlich bessere Fahrer geworden. Sicher – nicht alles ist perfekt gelaufen. Ella hat uns verlassen. Manchmal war die Stimmung im Keller und es wurde zeitweilig echt anstrengend, auch hat sich – so viel kann man wohl schon sagen – nicht wirklich eine feste Biker-Truppe formiert, die nun wie Pech und Schwefel zusammenhält. Dennoch:  Wir alle haben davon profitiert. Aber das werden wir erst mit Abstand verstehen.

Ich erreiche das Plateau. Schnell zeigt sich: Die Siedlung ist verlassen.

„Vielleicht sind sie irgendwo auf Beutezug?“, vermute ich.

„…oder einfach auch nur weitergezogen“, sagt Zero.

Wir schauen uns in Ruhe um – der Outpost ist wie eine Festung ausgebaut und besitzt einen hohen Aussichtsturm, so als müsste er sich vor anstürmenden Feinden schützen.

„Ein guter Ort, um sich zu verteidigen“, sage ich.

Man hat in der Tat einen guten Rundum-Blick und das Ganze erinnert ein wenig an eine Burg im Mittelalter auf der Erde.

Wir streunen durch die Siedlung, Zero ist wie immer in Plünderlaune, ich lasse mich anstecken.

Ich erklimme den hohen Turm, schaue mich um, dann sehe ich unter mir eine aufgespannte Plane.

„Achtung…Basejump!“

„Bru…nein!“

Doch ich falle bereits – und verfehle die Plane um einen knappen Meter.

Ich schlage hart auf, doch wie durch ein Wunder breche ich mir nichts.

Ich stehe auf, schüttele mir den Staub aus den Knochen.

„…bisschen weiteren Spaß gefällig?“

Im Lager brennen mehrere Feuer.

Ich renne auf das größte zu und springe mitten durch.

„Na  los, macht mit…“

„Bru…“

„Kleine Challenge, wer kokelt sich am wenigsten an…“

Husky macht mit, doch verbrennt er sich dabei sofort die Füße.

Ich springe erneut hindurch. Undersuit und Armor schützen besser als gedacht.

„…und jetzt mal ohne Klamotten.“

Ich ziehe mich bis auf die Shorts aus und nehme ordentlich Anlauf.

Ich springe so knapp es geht vor dem Feuer ab und lande sicher auf der anderen Seite.

„Los, macht mit. Ist doch keiner hier…“

Was gibt es Geileres, als unter sternenklarem Himmel nackt ein wenig ums Feuer zu tanzen – gerade jetzt zum Ende der Tour. Fehlen eigentlich nur noch ein paar Bier.

„Kommt schon, vergesst den ganzen Enos-Scheiß mal für eine Sekunde…jetzt kommt  Laufen über glühende Kohlen.“

Doch zuvor will ich noch mal drüber springen.

Ich nehme erneut Anlauf, übersehe aber eine Wurzel und knalle voll ins Feuer.

Als ich wieder aufwache, bin ich an Bord der „Frost.“

„Ach, Bru…“

.

Total Eclipse

…na, das ist doch mal was anderes nach dem ganzen Mist, der in letzter Zeit passiert ist.

Neue Perspektiven.

Eine Eclipse – das ist, wenn die Scheibe eines Planeten oder Mondes die Sonne fast vollständig verdeckt und nur noch ihre Corona zu erkennen ist. Es ist ein Naturschauspiel, wie man es höchst selten und nur an bestimmten Punkten in einem Sternensystem zu sehen bekommt.

Wir fliegen auf einer Origin 890 Jump – doch bereits vor dem Einsteigen in New Babbage kann ich kaum an mich halten. Mit uns fliegt der leibhaftige Elvis. Haartolle, coole Brille, Glitzer-Jacket – und der Kragen seiner Jacke ist so steif, dass ich vermute, er hat ihn mit Haarspray eingesprüht.

„Hermie, wenn wir auf das Schiff jetzt noch schnell eine Tabledance-Stange dübeln, tanzt der glatt dran wie einst der King im Jailhouse-Rock.“

Hermie schaut mich verständnislos an.

„Ach, vergiss es.“

„Der Nächste, bitte!“

Der Sicherheitsmann blickt mich streng an, fragt mich, ob ich eine Waffe bei mir trage.

„Meine Waffe ist mein Verstand“, antworte ich und lächle.

Keine Reaktion.

„Der Nächste.“

Die Reise ist absolut durchorganisiert – es gibt Sicherheitskontrollen und an Bord manch geplante Abwechslung, denn die Reise zum Eclipse-Punkt Yelas wird rund zweieinhalb Stunden dauern. Das Problem: So modern die Quantumtechnologie auch ist, freie Punkte mitten im Weltraum lassen sich damit nicht anspringen, es braucht stets einen festen Eintritts- und Austrittspunkt. Mehr noch: Es benötigt eine hochpräzise Navigation, um den Ort genau zu treffen.

An Bord ist die Stimmung gelöst. Ich schnappe mir aus Interesse unseren Pseudo-Elvis und quatsche ihn einfach an. Wie sich herausstellt, macht er in Import-Export mit Oliven.

„Ich bin Journalist“, sage ich schließlich.

„Aha, die Nase in Dinge stecken, die einen eigentlich nichts angehen.“

Sieh an, Elvis, der sich schließlich als Michael Corleone vorstellt, hat Haare auf den Zähnen.

„Ich hole mir eben noch ein Bier.“

Ich ernte nur ein obercooles, leicht angedeutetes Kopfnicken.

Unterwegs schlage ich schnell in der Galactapedia nach…Michael Corleone…Michael Corleone…da…der Name eines berühmten fiktiven Mafiapaten aus dem 20. Jahrhundert. Zufall? Wohl eher ein Deckname. Und der macht in Oliven? Wohl eher in Blei.

Ich kehre zu ihm zurück.

„Ruiniert man beim Oliven-Anbau nicht eigentlich mit den ganzen Hainen die Böden?“

„Wir arbeiten mit ganz konservativen Methoden.“

“Klar.”

Unterdessen passiert das Schiff den Mond Yela, wir schweben an den riesigen Ringen vorbei hinaus in die Unendlichkeit des Raums.

Ich blicke aus den seitlichen Panoramafenstern, als alle Besucher plötzlich ins Foyer gerufen werden. Es gibt ein paar Daten zu Yela, der Eclipse und unserer Reisezeit, dann geht es plötzlich um Enos. Mir fällt fast mein Bier aus der Hand, als ein Mitglied der Wissenschaftsunion Enos als Heilmittel anpreist, das sich bereits bewiesen habe. Einmal mehr zeigt sich: Die Enos-Hintergrundmänner haben mit ihren knochigen Todesfingern das ganze System fest im Griff.

„…auf welcher Liste stehen Sie und warum bringen Sie das hier, an Bord einer wissenschaftlichen Expedition, auf die Tagesordnung?“, frage ich schließlich laut und ungehalten. Beide Fragen werden jedoch abgebügelt. Als Wissenschaftler sei man verpflichtet, neuen Entwicklungen gegenüber offen zu sein, heißt es. Voreingenommenheit sei fehl am Platze. Auch Corleone stößt in das gleiche Horn.

Hermie und ich sind fassungslos. Auch Kjeld Stormarnson von der Tyr-Söldner-Gruppe ist mit dabei. Wir ziehen uns kurz zurück und beratschlagen, aber ohne Ergebnis. Ich beschließe, mir das Naturschauspiel der Ecplise davon nicht versauen zu lassen und halte schließlich meinen Mund. Nicht jeder Kampf ist zu gewinnen.

Dann geht es in den Hangar des Schiffes. Ich traue meinen Augen nicht. Dort sind Transportkisten zu einem Labyrinth aufgebaut, durch das wir klettern sollen, um irgendeinen bescheuerten weißen Rucksack zu finden. Wer ihn brav apportiert, bekommt 100.000 Credits. Eben noch Enos, nun Kindergarten.

Weil man sich ohne Klamotten freier bewegen kann, ziehe ich sie aus und versuche, auf die Kisten zu springen. Mehrfach schlage ich mir die Knie an, irgendwann tun mir nur noch die Knochen weh. Schließlich gebe ich es genervt auf. Wie könnte es anders sein – Hermie gewinnt den Quatsch. Er ist und bleibt eben ein Streber. Irgendwann ziehe ich mich zurück und gehe ins Spa des Schiffes eine Runde relaxen.

Unterdessen nähern wir uns immer schneller dem Eclipse-Punkt und plötzlich heißt es: Wir sind da.

Wir kehren auf das Aussichtsdeck zurück und der Anblick lässt uns sofort den Atem stocken. Es ist faszinierend und erschreckend zugleich: Als wäre Yela von einem Ring aus Feuer umschlossen, strahlt und funkelt er in der Ferne. Crusader ruht stoisch daneben. Keiner von uns sagt ein Wort, jeder hängt seinen Gedanken nach – es gibt Momente, da konzentriert sich das ganze galaktische Schauspiel in einem Punkt.

Alles dreht sich umeinander, alles ist immer in Bewegung. Und doch gibt es Augenblicke, da kommt einfach alles scheinbar zum Stillstand, ruht in sich selbst. Eine Eclipse ist mehr als nur ein Himmelskörper, der sich vor die Sonne geschoben hat. Es ist die Kunst, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein, um es zu beobachten.

Wir blicken hinaus, dann ziehen wir uns Raumanzüge an und schweben hinaus. Die nächsten Planeten oder Monde – sie sind Millionen Kilometer entfernt. Wir sind – im Wortsinne nach – wirklich im tiefen Raum, vor uns der Mond Yela, wie auf ein glühendes Feuerrad gespannt.

Wir schießen unzählige Bilder, schlagen Kapriolen im All, albern herum.

Ehrfurcht vor der Präzision des galaktischen Räderwerks kombiniert mit Losgelöstheit von allen irdischen Problemen.

Es ist der perfekte Moment.

.

Tour-Finale

Knapp 60 Kilometer noch – dann ist es vollbracht.

Dann haben wir den Planeten Microtech auf Bikes umrundet.

Kaum zu glauben – was für ein Abenteuer!

Ich sitze zum vorerst letzten Mal auf meiner Nox und wische mir zum gefühlt tausendsten Mal  den Schnee vom Visier. Wir reiten nachts, es geht noch einmal durch wildes  Gelände. Vor mir biken Zero, Gabriel und Chris Kross – das Schlusslicht hinter mir bilden Hermie und Ellas Schwester Moxie, die an ihrer statt die Tour abschließt und mit auf Hermies Bike sitzt. Ich kenne sie nicht weiter, aber okay – warum nicht?

Insgesamt 34 Etappen sind es geworden, knapp 7500 Kilometer, fünf Monate hat es gedauert.Ohne Huskys großartige Scouting-Fähigkeiten wären wir nie angekommen. Ohne Hermies Einsatz, hunderte Kilometer im Dienste der Gruppe abzureißen, auch nicht. Er hat extremes Sitzfleisch bewiesen – das muss man ihm echt lassen.

Ansonsten war es aber doch ein recht lockeres Kommen und Gehen. Der harte Kern waren Husky, Hermie und ich. Egal, es war als Gruppenleistung ausgeschrieben – und das ist es letztlich auch geworden, insgesamt eine runde Sache.

„Bru, stehst du?“

„Fahre langsam, mache ein paar Bilder.“

Wie eine minütliche Wasserstandsmeldung lässt Hermie alle wissen, wie schnell ich fahre oder auch nicht. Irgendwie hat er bis zum Schluss einen Narren an mir gefressen.

Ich atme tief durch.

Plötzlich geht es immer weiter hinauf – kurz vor New Babbage wirft uns der Planet noch einmal ein Gebirge in die Route.

Wir kämpfen uns langsam voran, jetzt auf den letzten Metern, beim Zieleinlauf noch zu explodieren –das will niemand. Aber wie heißt es so schön: Das Beste kommt zum Schluss.

Die Lichtkegel der Vorderen dienen als Orientierungspunkte.

Dann geht es mit einem Mal steil abwärts und ich denke bereits, das war’s – doch Glück gehabt.

Die Nox ist gnädig mit mir, ein weiterer Berg folgt, dann sehen wir in der Ferne die Lichter von New  Babbage.

Wir halten an, sinnieren – fast geschafft.

„Auf geht’s, Endspurt“, sagt Husky.

Die letzten Kilometer vergehen wie im Flug, dann passieren wir auch schon den mächtigen Spaceport und reiten über das blanke Eis. Sofort dreht Husky das Tempo hoch.

Wir haben es geschafft!

Ich schüttele unter meinem Helm ungläubig  den Kopf.

Wir steuern einen großen Eisblock an, parken davor unsere Bikes, klettern hinauf. Hermie hat in seinem Rucksack ein paar Bier.

Wir stoßen an. Was gibt es Besseres unter sternenklarem Himmel?

Verdammt, wir haben Microtech bezwungen!

Journal-Eintrag 03 / 03 / 2954

Zurück zur Normalität, zurück ins Chaos.

Ich sitze auf meinem Bett und über einen geheimen Funkkanal höre ich mit, wie sich Hermie, Zero und Friedrich an jenem Bunker zu schaffen machen, von dem offenbar die Enos-Informationen ins Pyro-System geschickt wurden. Große Gegenwehr gibt es nicht. Die bösen Jungs sind längst ausgeflogen. Hermie und Zero stoßen auf ein paar zurückgelassene Satelliten, dann hackt Zero ein Terminal und kann tatsächlich noch ein paar Informationen extrahieren. Eines muss man ihm echt lassen – er ist echt saugut darin, anderer Leute Dinge zu stehlen.

„Wir sollten uns darüber noch mal in Ruhe unterhalten. Wir treffen uns auf der Raffinerie im Microtech-System. Dort kann man uns nicht abhören“, schlägt Kjeld Stormarnson von, der die Infiltration offenbar überwacht.

„Bru, kommst du auch?“

„Okay.“

Große Lust habe ich nicht, mir liegt meine Konversation mit Hermie noch im Magen. Stets muss man sich bei ihm rechtfertigen. An einem Tag will er nie wieder zur Waffe greifen, zerfließt fast vor Selbstmitleid, am nächsten juckt ihm wieder der Abzugsfinger. Keine Ahnung, wie man diese Unbeständigkeit deuten soll – Zerrissenheit, Launenhaftigkeit, Überzeugung nach Gemütslage? Kjeld kenne ich kaum. Zero hängt sich wie immer voll rein. Und dann wäre da noch Friedrich – ich habe mittlerweile verstanden, dass er herausfinden will, wer auf seinen Enkel geschossen hat…aber erklärt das sein fast übereifriges Handeln?

Alles Grübeln hilft nichts. Ich wuchte mich hoch, ziehe mich an und mache mich auf den Weg zum Spaceport. Es ist ein gutes Gefühl, Microtech einmal zu verlassen, ohne zu wissen, dass man bald wieder zurück in die Kälte muss. Irgendwie tut es mir aber auch leid, dass unsere Tour nun zu Ende ist. So anstrengend sie war, so schön war sie auch als Abwechslung. Herrgott, ich muss auch zurück nach ArcCorp – Killer hat mich angeschrieben, wo ich bliebe.

Okay – aber erst der Zwischenstopp auf der Raffinerie.

Zero hat die gewonnenen Daten zusammengesetzt und spielt sie mir auf mein Mobiglas. Aufmerksam lese ich sie durch.

Neue Namen, neue Verstrickungen. Klar scheint nun aber: Das MBOC zählt zu den Bösen, es gibt zahlreiche verschleierte Geldströme rund um Enos. Die legale Forschung an dem vermeintlichen Heilmittel in Stanton ist ein hübscher Anstrich, um an Fördermittel zu kommen, gleichzeitig Enos in einem guten Licht darzustellen und dadurch von der illegalen Forschung in Pyro abzulenken.

Ich schließe die von Zero geteilten Informationen wieder. Journalismus hin oder her – ich bin es leid, mich ständig durch einen Wust an neuen, geheimen Informationen zu wühlen. Enos ist eher eine Aufgabe für ein ganzes Rechercheteam und große Redaktionen der NewsOrgs. Wir können damit nur überfordert sein.

Frustriert mache ich mich auf den Weg nach ArcCorp.

Journal-Eintrag 07 / 03 / 2954

„Und wie war eure Tour jetzt so? War es eine coole Sache?“

Killer lümmelt wie immer auf dem alten Sofa in meiner Redaktion herum.

„Schon. War mal was anderes. Ich bin aber auch froh, dass es vorbei ist. War auch ganz schön anstrengend.“

 „Is‘ so was ja immer. Haste neue Freunde gefunden? Dafür ist so eine Tour doch da!“

Ich blicke Killer einen Moment stumm an.

„Na ja…eigentlich…“

„…ich mein’ so Freunde, auf die man sich immer verlassen kann…“

„Ich…“

Ich gehe im Geiste alle durch, die dabei waren, doch mir fällt keine passende Antwort ein. Dann gestehe ich es mir selbst ein: Es hat sich trotz einer ganzen Planetenumrundung keine eingeschworene Gemeinschaft entwickelt. Trotz unserer gemeinsamen Abenteuer auf der „Pal 01“.  Jeder dreht sich weiter um sich selbst und seine Probleme. Wir sind zu Beginn des „Crew“-Projektes ein Haufen Individualisten gewesen – und sind es geblieben.

Ich spüre, wie Enttäuschung in mir aufsteigt.

Killer springt auf.

„Mach dir nichts draus. Die meisten kommen und gehen. Wird immer so sein.“

„Hattest du denn schon einmal einen echten Freund, einen, mit dem du durch dick und dünn gegangen bist?“

Für einen Moment werden Killers Augen undurchdringlich.

„Ja…vor ein paar Jahren…wurde dann in ein anderes Heim verlegt. Hat keinen interessiert.“

„Wie hieß er?“

„Boomer.“

„Boomer und Killer, eh?“

Ich lächle ihn an.

„…eigentlich eher Killer und Boomer.“

Killer flüstert die Worte fast.

„Jetzt haben wir schon zwei Dinge, die wir für dich wiederfinden müssen.“

Killer grinst von einem Ohr zum anderen.

Ich denke noch einen Moment über das „Crew“-Projekt nach. Es gibt keine „Crew“, die den Namen wirklich verdient hätte. Nach außen sieht das immer alles toll aus und wir hatten ja auch unsere Momente…dann spüre ich tief in mir einen Splitter und ich habe nicht den blassesten Schimmer, warum ich in diesem Moment an Husky denke.

.

Die Erpressung

Ich träume wild.

Es geht alles bunt durcheinander – die Crew, Enos, Free Riders…

Geheimnisse und Offenbarungen.

Mein Mobiglas piept – und ich schrecke hoch.

Das ist bestimmt eine von den großen Newsorgs, die auf den ENOS-Zug aufspringen will.

Es war klar, dass das irgendwann nicht mehr unter der Decke bleibt.

Ich räuspere mich, setze mich gerade hin. Dann nehme ich den Call entgegen.

„John Brubacker, der berühmte Reporter..?“

„Ja, wer ist dort?“

Ich kann mein Gegenüber nicht sehen. Das Licht ist gedimmt und offenbar nutzt er einen Stimmenverzerrer.

„…der Mann, der den Killersatelliten-Skandal aufgedeckt hat und der an Enos dran ist?“

„Hören Sie: Wenn Sie nicht gleich sagen, wer Sie sind, lege ich auf.“

„Sie fühlen sich wohl wie der ganz große Zampano, was? Ein Spitzenreporter?“

„Wie bitte? Ich leg’ auf.“

„Warten Sie, sonst verpassen Sie das Beste…“

Der Unbekannte dreht das Licht langsam hoch, dann schaltet er den Stimmenverzerrer ab.

Ich traue meinen Augen nicht.

Mr. Aruhso.

„Mr…“

„Mr. Brubacker…“

„Ähm…ja, schön Sie wiederzusehen.“

„Und wie!“

Er lehnt sich nach vorn.

„Ich habe da was für Sie…“

Dann läuft plötzlich ein Video und ich sehe mich, wie ich wie der letzte Depp im leeren Hangar stehe, wie ich die Crew anschnauze, krampfhaft versuche, ein Schiff zu landen, dann spreche ich mit den Pflanzen…“

Das Video blendet aus.

„Bei den Pflanzen habe ich ja erst gedacht, Sie sind mir auf die Schliche gekommen waren…aber dann…“

Er macht eine weit ausladende, theatralische Armbewegung…

„…ich liiiiiiiiiiiebe dich….da habe ich fast in die Tischkante gebissen. Was gäbe ich dafür, wenn Sie jetzt Ihr Gesicht sehen könnten.“

„Sie waren das? Aber wieso?“

„Wieso? Na, weil es Spaß gemacht hat…“

Aruhso rutscht noch ein kleines Stück nach vorn.

„…oder steckt vielleicht doch noch mehr dahinter?“

„Und das Schiff von Anvil?“

Er lächelt beinahe schon teuflisch.

„Hab’ ich irgendeinem Trottel abgenommen. Herrgott, Mr. Brubacker. Anvil verkauft Millionen Carracks. Glauben Sie im Ernst, die geben irgendeinem No-Name-Reporter einfach so ein riesiges Schiff, nur weil er mal einen Unfall gebaut hat?“

Ich spüre, wie ich immer wütender werde.

„Und Schuppke?“

„Himmel, ein paar Credits an einen unterbezahlten Redakteur und schon geht alles. Und die senden bei so einem jungen Radiosender einfach jeden Mist, um ihre Stunden vollzubekommen.“

Ich blicke ihn fassungslos an.

Ich kann kaum glauben, was ich zu hören bekomme.

„Und warum erzählen mir das Sie das nun alles?“

„Nun, jetzt, da Sie Ihr Crew-Projekt beendet haben…schöne Tour übrigens…“

„…woher wissen Sie das schon wieder?“

„…da habe ich einen Deal für Sie…also, das Video geht viral ins Spectrum. Dann sehen wir den echten, den wahrhaftigen Brubacker. Es  sei denn, Sie lassen sich darauf ein…“

„Aruhso, Sie haben sie doch nicht alle!“

„Ich schon, aber ich glaube Sie nicht. Und schönen Gruß an den Cyborg. Noch so ein Schwachmat.“

Dann legt er auf.

Das Mobiglas piept erneut – es ist eine kurze Nachricht…der Deal.

Ich lese fassungslos, was Aruhso von mir will.

Das kann nicht sein Ernst sein.

Voller Wut nehme ich meinen Stuhl und schleudere ihn durch die ganze Redaktion. Er trifft eine halb vertrocknete Pflanze, reißt die Kaffeemaschine mit sich und prallt mit einem lauten Knall gegen ein Regal.

Dann brülle ich mir den Frust von der Seele.

Es kann nicht wahr sein – der verdammte Hausmeister…

Jetzt darf ich als Nächstes über die ganzen Outposts von Hurston toben.

Ich brauche dringend Husky, Zero und Hermie.

Journal-Eintrag 12 / 03 / 2954

Husky ist genauso geschockt wie ich, nachdem ich ihm erzählt habe, was Aruhso von mir will – eher: von uns will, der einstigen „Crew“, der Pal-01. Husky hat sich auf Microtech in ein Tal zurückgezogen, zählt irgendwelche Fruchtbäume für eine Organisation. Gut, das kann ja auch mal ganz gut fürs eigene Seelenheil sein, um den Kopf frei bekommen unter klarem Himmel.

Umso mehr tut mir nun leid, dass ich ihm die Stimmung wieder versauen muss – aber Aruhsos Erpressung – anders kann man es nicht nennen – duldet keinen großen Aufschub.

„Bin dabei“, sagt Husky schließlich, nachdem ich alles offenbart und ihm Aruhsos Erpressung gezeigt habe.

Mir fällt ein Stein vom Herzen, allein würde mich Aruhso durch die Mangel drehen.

„Hast du eigentlich den Fake-Artikel in dem Käseblatt „Frosty Gazette“ gesehen?“

„Nein, worum geht‘s?“

Husky spiegelt sich die Online-Version auf sein Mobiglas, liest ihn mir vor.

Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll – der Yeti hat meine Freunde also bei Harpers Point angegriffen.

„Nicht zu fassen. Entweder ist das gekauft oder dort sitzen die dümmsten Journalisten des Universums.“

Oder es steckt einfach die perfide Strategie von MACH dahinter – eine kleine Fake-News hier, eine kleine da, irgendwann ist sie fertig, die schöne neue Welt, an die jeder glaubt und aus der es kein Entrinnen mehr gibt.

Plötzlich knistert es im Funk – Hermie ist im Anflug.

„Ihm sagen wir von der Aruhso-Geschichte erstmal noch nichts. Er kannte Aruhso ja nicht. Ein Schritt nach dem anderen.“

„Alles klar.“

Hermie landet mit einem Schiff, das ihm offenbar nicht selbst gehört – eine Leihgabe von Crusader Indusries, wie wir erfahren. Nach der Aktion, bei der wir Zeros „White Rabbit“ zurückgestohlen hatten, hatte der Hehlerring offenbar Rache geübt und nun Hermies SRV und Terrapin konfiszieren lassen, verschachert und ihn ins Klescher-Gefängnis geworfen. Kurzum: Mit ihm das Gleiche gemacht wie mit Zero. Auch Verbrechen hat Methode.

Hermie ist mehr als geknickt. Es scheint: Unsere Umrundung war nur mehr eine Atempause. Jetzt holt jeden von uns wieder der brutale Alltag im Verse ein. Gut, Hermie hat per se etwas Selbstmitleidiges – aber das ist schon echt hart. Zumal ich weiß, dass er sich für sein Geld stets auf die Schienen legt, immer auch die Spendierhosen anhat, ganz im Gegenteil zu einem journalistischen Taugenichts wie mir.

Ich will ihm gut zureden, dass wir für ihn da sind, dann aber sagt er einen Satz, der mich sofort explodieren lässt:

„Die Abendrohts haben mir einen Job angeboten. Vielleicht mach‘ ich das.“

„Wie bitte…was!?“, fahre ich ihn an. „Eben noch haben wir gemeinsam einen Planeten umrundet, im nächsten Moment willst du vielleicht bei Leuten anheuern, die deinen Biker-Kumpel entführen und ihm Folter androhen ließen? Wenn du dich da auf die Lohnliste setzen lässt, sind wir geschiedene Leute!“

Hermie zuckt sofort zurück.

„Okay, okay…ich dachte ja nur….“

„Da gibt’s nichts nachzudenken,  Hermie. Manchmal muss man einfach wissen, wo man steht – egal wie dreckig es einem gerade geht.“

Hermie jammert, wie schwer ihn das Schicksal insgesamt getroffen habe, doch ich kann das nicht mehr ertragen. Ich stampfe wütend zurück in meinem Schiff und verlasse Microtech. Verflucht noch eins…es gibt so viele Spaltpilze auf der Welt – und wir lassen uns leichter knacken als verdammte Medmons.

Ich hoffe nur, dass Friedrich nun nicht die nächste böse Überraschung parat hält. Er hatte mich angeschrieben, will sich mit mir treffen. Sonst lege ich mich bald nur noch in meiner Redaktion auf die Couch und ziehe mir die Decke über Kopf.

Der nächste Morgen.

Menschen sind oft nicht, was sie scheinen.

Friedrich hat sich den perfekten Ort gewählt für seine Beichte – hier am Obsidian-Feld, das sich bis zum Horizont erstreckt, hier am Nordpol Microtechs.

Wir wandern ein wenig umher, bis wir durchgefroren sind, vertreten uns die Füße, dann geht es zurück in seine „Silver Arrow“.

Friedrich redet und redet.  Ab und zu frage ich etwas.

Dann brauche ich zwei Bier, um die News herunterzuspülen.

Manchmal steckt hinter einer Fassade noch etwas anderes – etwas, das man nie vermutet hätte.

Nachdem unser Gespräch geendet ist, kehren wir zurück nach New Babbage.

Wird diese Offenbarung etwas an unserer Freundschaft ändern? Ich hoffe nicht.

Wird es unser Vertrauensverhältnis stärken? Ich hoffe es.

Ich mache ein paar Notizen zu den neuen Informationen über seine Person und zu seiner Geschichte, dann speichere ich sie unter einem Codewort ab. Vielleicht sollte man die Vergangenheit manchmal auch einfach ruhen lassen. Andererseits erklärt es auch vieles.

Friedrich wird  immer mein Mentor bleiben.

Vielleicht jetzt mehr denn je.

Journal-Eintrag 16 / 03 / 2954

Jetzt, da ich Friedrichs Vergangenheit kenne, kommt es nicht mehr komisch vor, wie er sich verhält. Beinahe schon konspirativ und doch mitten in der Öffentlichkeit sitzen wir in der Skybridge in New Babbage, die zu Wallys Bar führt. Unauffälliger geht es kaum.

Umso brisanter sind die Informationen, die er mir nun zusteckt. Friedrich hatte sich mit McMarshall getroffen und ich bin froh, dass er den gleichen Eindruck hat wie ich – nämlich, dass Thane wie wir an der Aufklärung von Enos nicht nur ein privates sondern auch ein übergeordnetes Interesse hat. Zumindest an dieser Stelle werden wie nicht auseinanderdividiert. Neueste Erkenntnisse: Ein Typ mit Decknamen Aetherius scheint der Kopf von MACH zu sein, noch dazu Bruder von Ignotus, unserem heimlichen Tippgeber. Nun soll offenbar ein DNA-Abgleich mit den Herrn Gilbert und Mobi zeigen, ob einer von ihnen mit Ignotus verwandt war. Thane und Kjeld Stormarnson wollen sich darum kümmern. Kommen wir damit dem innersten Zirkel näher? Ich habe da so meine Zweifel, eine Chance ist es aber – und wir sollten keine verstreichen lassen. Sollte keine Bewegung in die Sache kommen, will  Friedrich die Advocacy einschalten. Ist vielleicht unsere beste Option. Dann wären wir aus der ganzen Sache raus.

Zero kämpft hingegen einen einsamen Kampf an zweiter Front und versucht den so genannten Forgotten 15 auf Microtech auf die Spur zu kommen. Auch er hat irgendwelche Hühner aufgescheucht, aber ich blicke da nicht mehr durch. Interessanterweise bekam McMarshall seinen Job als zweiter Sicherheitschef bei Microtech nur, weil er den Kopf des Dogenkartells  getötet hatte.  Ich befürchte ja, dass Zero auf einem toten Gleis unterwegs ist und dass das alles Schnee von gestern ist, aber einmal in Fahrt, lässt sich Zero eben auch nur noch schwer aufhalten. Die nächsten Wochen werden alles weitere offenbaren.

.

Die Jagd

Wie hatte Aruhso gesagt?

Die Uhr tickt.

Außerdem will ich wissen, ob an der Sache überhaupt was dran ist – und er uns nicht wieder nur verhöhnt und foppt. Also mache ich mich mit der „Clarke II“ auf nach Hurston – und befinde mich bald auf dem Weg nach Weeping Cove, einer kleinen Siedlung in einer malerischen Bucht am Meer.

Während ich im Anflug bin, denke ich über die vergangenen Wochen nach. Und fühle mich plötzlich  sehr einsam. So sehr die Gesellschaft anderer manchmal auch nervt – ganz allein unterwegs zu sein, ist nicht wirklich besser. Es ist langweilig und öde. Husky zählt irgendwelche Blumen, Zero sucht nach den Forgotten  15, Hermie kämpft gegen Xeno-Threat.

Ich durchbreche mit dem Schiff die dichten Wolken und rase im Tiefflug über das Meer, dann kommt auch schon die Insel in Sicht, auf der die Siedlung liegen soll. Kurz darauf lande ich direkt neben ihr. Sie ist kleiner als gedacht  und beinahe verlassen.

Der Wind pfeift durch die rostige Konstruktion, nur wenige Meter entfernt  ist das Meeresrauschen zu hören. Was soll ich alles besorgen?

Waffen, Rüstung, Geld, Drogen, Alkohol.

Schnell zeigt sich, dass hier nichts davon zu finden ist. Die Bewohner haben selbst nur das Allernötigste, um zu überleben. Ich klettere unentschlossen umher, schaue in alle möglichen Ritzen, dann sehe ich es:

Ein rotes „P“.

Der erste Hinweis. Das muss es sein.

Aruhso hat nicht gelogen.

Ich laufe zu einer Gruppe Siedler.

„Hey, ist euch hier unlängst mal was aufgefallen? Ein Typ, der…“

„…was willst du?“

„…ich wollte nur wissen, ob…“

„Hau ab!“

Ich ziehe mich zurück, nehme mir ein Bier aus der Bar und laufe zum Strand – beziehungsweise zu dem, was man dafür halten könnte. Das Meer auf Hurston hat einfach eine ungesunde Farbe. Es ist zu bitter  – ein komplett zerstörter Planet und die Menschen sich selbst überlassen. Dabei könnte alles so idyllisch sein. „Weeping Cove“, die weinende Bucht.

Es ist die Kehrseite der maßlosen Gier einer Familie.

Ich mache mir eine Notiz, dann hebe ich wieder ab. Ich bin blind vor Wut – so sehr, dass ich übersehe, dass sich nur eine Bucht weiter schon der nächste abzuklappernde Punkt befindet: Cutter’s Rig.

Journal-Eintrag 24 / 03 / 2954

Mein Mobiglas piept, ein Videocall.

Noch bevor ich rangehe, weiß ich, wer es ist.

Der Bildschirm justiert noch seine Helligkeit, als ich schon spreche.

„Mr. Aruhso…oder wie auch immer Ihr Name ist…“

„Mr. Brubacker…Sie wissen doch, Namen sind Schall und Rauch…“

„Ja, ja…was wollen Sie?“

„Haben Sie sich schon auf die Socken gemacht und schon etwas von dem, was ich will…? Sie sollten wissen…“

„Nein…wissen Sie was? Sie können mich mal… Ich mache für Sie nicht weiter den Botenjungen! Schon gar nicht beklaue ich andere Leute…“

„Ach, Mr. Brubacker, das ist doch unter Ihrem Niveau…und erst Ihr guter Ruf…“

„Ich pfeife auf meinen Ruf.“

Aruhso zieht die Augenbrauen hoch.

„Bitte, wie Sie meinen…aber eines müssen Sie natürlich wissen…“

„Was muss ich wissen?“

„…nun, dass die Advocacy immer daran interessiert ist, wenn jemand ein echtes Stück Historie in den Händen hält, das meldepflichtig ist und trotzdem damit stiften gehen will…“

„Wie bitte…was?“

„Himmel, Sie haben monatelang über nichts anderes gesprochen, als mit dem Artefakt nach Hades zu wollen. Es ging ja um überhaupt nichts anderes…“

„,…ja, aber Sie haben doch immer versucht, uns davon abzuhalten…“

„…und hat das nicht prächtig funktioniert? Ich, der gute Geist an Bord, der stets Schlimmeres verhindern wollte…Sie und Ihr Freund Husky hingegen…“

Er lächelt fast wölfisch, dann macht er eine kurze Pause.

„Tick, tick, tick – Ihre Uhr tickt schneller, Mr.  Brubacker. Sie wissen, was ich will.“

Dann blendet der Bildschirm aus.

Ich hätte mich niemals darauf einlassen dürfen.

.

Treue Gefährten

 Jetzt, da ich weiß, woran ich bei Aruhso bin, fällt es mir wie Schuppen von den Augen – seine abschätzige, arrogante Art. Sein unverblümter Ton. Kurzum: Er hat sich nicht groß verstellt.  Was ich für Hausmeister-Jargon gehalten habe, war in Wirklichkeit die selbstgefällige, selbstsichere Art  eines Piraten. Mann, waren wir naiv!

Herrgott, ich muss alle ins Boot holen – Zero, Hermie und Husky, den Kern der „Crew“, den Kern von F.R.O.S. Wir müssen uns gemeinsam am eigenen Schopf aus diesem Sumpf ziehen. Ich richte einen internen Funkkanal ein und schildere in knappen Worten, wo wir da reingeraten sind. Ich versuche es, ein wenig runterzukochen, sage, dass wir zum Schein mitspielen – auch wenn alles in mir schreit,  dass uns Aruhso längst an der Angel hat. Jede Wette, dass da noch mehr dahinter steckt…die Schnitzeljagd dient nur dazu, herauszufinden, wie weit er seine Spielchen treiben kann.

Als erstes meldet sich Hermie – ja, in der Not beweisen sich die Freunde. Er ist stets zur Stelle, wenn es brennt, so viel steht mal fest. Sogar ein Schiff, mit dem wir unerkannt die verschiedenen Orte abklappern können, kann er organisieren – offenbar hat er unterdessen  diverse Missionen für die Civilian Defense Force abgeschlossen. Unter seinen besiegten Gegnern sind Mörder, Schmuggler und Dealer.

Nachdem sie allesamt nach Klescher gewandert sind, haben wir nun offenbar legal Zugriff auf ihre Schiffe – von der Anvil Pisces bis zur Crusader C1 ist alles darunter. Ich entscheide mich für eine  mittelgroße MISC Hull A, die vorher einem gewissen  Raijin Xom gehört hat, der nun wegen Diebstahl und Bestechung einsitzt. Sein Schiff konnte er zuvor beim Hickes Research Outpost auf dem Mond Cellin notlanden. Nach einem totalen Systemausfall  ist nun zwar ein kompletter Tausch der Schiffskomponenten nötig, aber: Umso besser, so vermisst das Schiff wenigstens niemand.

Ich schwinge mich in meine Mercury und mache mich auf zur Seprahim-Station, um dort Hermie zu treffen – gemeinsam wollen wir uns das gecrashte Schiff auf dem Mond ansehen. Unterwegs diskutieren wir einmal  mehr, ob es klug ist, aktuell aus der Deckung zu kommen – oder MACH den nächsten Zug machen zu lassen. Enos hat uns weiterhin im Griff. Klar, einerseits locken wir sie so aus der Reserve, dann machen sie vielleicht auch mal einen entscheidenden Fehler, andererseits: Ein Schritt zu viel und sie sind über alle Berge.

Zero meldet sich als Nächstes und ist genauso fassungslos wie ich es war – auch er lässt mich nicht hängen, was Aruhso angeht. Aber wie immer gilt: Eins nach dem anderen – und eine Hand wäscht die andere.

Ich stöhne innerlich auf – haben wir nicht gerade genug Sorgen? Ich verstehe sein Engagement für die freien Völker, aber das grenzt ja schon an Besessenheit…die Station kommt in Sicht. Ich lande und wenige Minuten später stehe ich Hermie gegenüber.

„Hermie, schön Dich zu sehen, Mann, auf Dich ist echt Verlass…danke dafür.“

„Kein Problem, Bru. Ich helfe gern.“

„Na dann, lass uns los.“

Unterwegs meldet sich schließlich Husky:

Ich schreibe ihm zurück, dass er völlig Recht hat mit seinem Gedanken. In der Tat: Das Letzte , was wir nun gebrauchen können, ist, wenn uns die Advocacy auch noch am Hintern klebt. Mehr noch: Wir wären diskreditiert, würde uns Arusho wegen der Artefakt-Geschichte  melden – wer würde uns dann schon noch glauben? Vor allem wären wir dann leicht gefundenes Fressen für MACH.

Minuten später schweben wir mit der „Clarke II“ unter dem Mond Cellin entlang. Er wirkt genauso düster wie unsere Stimmung. Ich gehe tiefer, drehe das Schiff, dann kommt auch schon der Outpost in Sicht. Die Hull steht tatsächlich auf einem Landepad. Wir machen uns auf den Weg und schnell müssen wir feststellen, dass das Schiff nicht mal eben so repariert werden kann, auch wenn Hermie schon alle benötigten Komponenten besorgt hatte.

Ich laufe ein wenig über das Pad und genieße die eigentümliche Stimmung des Mondes. Dann geht wie ein Fanal am Horizont Crusader auf. Minutenlang blicke ich auf den Gasriesen, der behäbig das Firmament hinauf klettert. Hermie ist unterdessen am Schiff zugange.

„Ist zwar fast alles an Elektronik hinüber, kriege ich aber hin.“

„Hermie, ich hab‘ nichts anderes erwartet.“

Wir fliegen zurück zur Seraphim-Station, Hermie will sich melden, wenn die Kiste flugfertig ist.

*****

Hermie hat angeboten, das Schiff umzulackieren – gesagt, getan. Je unauffälliger wir sind, desto besser. Auch sonst hat er alles repariert. Er ist echt ein Mechaniker-Ass. Wir treffen uns mit Zero auf Port Tressler, er will mit uns zur Jericho-Station. Nach den üblichen Witzeleien, diesmal über meine Schuhe, steigen wir auf Zeros Schiff um, stolz präsentiert er uns dann erstmal lauter weitere Artefakte, die er gefunden hat.

Ich kann kaum an mich halten.

„Sehr schön, Zero“, sage ich sarkastisch. „Lass uns endlich losfliegen.“

Nachdem wir auf Jericho gelandet sind, spricht Zero mit einem der Soldaten und erfährt, dass Goldstein wohl verhinderter Agent war und zuletzt auf dem Covalex Hub Gundo gearbeitet hat. Nicht zu fassen, wir müssen einmal durch das ganze System.

Ich bin drauf und dran Zero zu fragen, ob das nicht alles verdammt noch mal warten kann, halte mich aber im letzten Moment zurück. Jeder hat Dinge, die besonders wichtig sind. Zeros Leidenschaft gilt eben den freien Völkern. Also dann, ab nach Covalex Hub Gundo, dem Ort, an dem die ganze verfluchte Geschichte mit den Killersatelliten begann. Hermie und ich schweben hinein, wir suchen nach einer Kiste, in der offenbar ein Tagebuch versteckt sein soll – dann finden wir tatsächlich eine verschlüsselte Datei. Multitalent Hermie gelingt es, das Codewort zu knacken, dann lesen wir das Tagebuch aufmerksam.

Schließlich sehe ich es: Goldstein  spricht von Cutters Rig, wo er offenbar einen Waffendeal mit den Dusters durchgezogen hat.

Was für ein seltsamer Zufall.

„Zero, sieht so aus, als hätten wir ab sofort den gleichen Weg.“

Jetzt muss sich nur noch Husky melden.

„Fast“, erwidert Zero, „ich muss auf Daymar erst noch schnell ein paar Drogen verticken.“

Uff.

.

Party!

 Sich mal komplett wegschieβen, die Kante geben.

Das ist es, was ich jetzt brauche.

Aruhso, MACH und andere Arschgeigen – adieu.

Wenigstens für einen Abend.

Ich sitze auf dem Co-Piloten-Sitz der Crusader M2, eines riesigen Frachters, den Hermie weiß Gott woher schon wieder organisiert hat. Im Frachtraum stehen ein paar Bikes, wir sind als Free Riders eingeladen worden und wollen standesgemäß einreiten.

Die Fete findet auf einer Starfarer statt, einem Tanker. Gut, das ist mal was anderes als eine gelackte 890 Jump. Wie heißt es auf dem Flyer? Die räudigste Party Stantons. Nun denn. Wir hatten uns zu dritt mit Zero auf Bajini Point getroffen, nun geht es zum Stelldichein mitten im All.

„Äh…Hermie, wie sollen wir da eigentlich einreiten, wenn wir mitten im All sind?“

„Bru, die Bikes schweben – auch im Weltraum.“

„…ach so.“

Wie auch immer – Hermie hat wie stets alles organisiert und steuert nun den riesigen Kahn zum Treffpunkt. Unterwegs kommt das Gespräch ein wenig auf unsere Tour und Killer. Die anderen sind offenbar überrascht davon, dass sich mein Herz für einen kleinen Straßenjungen erwärmt.

Menschen wollen eben nur sehen, was sie sehen wollen. Für die meisten bin ich wahrscheinlich nicht viel mehr als ein journalistischer Volltrottel, um es noch nett zu formulieren.

„Wir sind da, Bru. Steig‘ aufs Bike, dann reiten wir da rüber.“

„Okay, wie du meinst.“

 Ich blicke hinüber zur geöffneten Frachtluke der Starfarer, mache aber einen Schritt zu viel, verliere den Halt – und bin wieder einmal Ziel des Spotts, während ich schwerelos eine Pirouette nach der anderen drehe.

 „Bru, wird’s denn gehen?“

„Klar, ist nur die Schwerkraft, die mir ein bisschen zu schaffen macht.“

Irgendwann kriege ich wieder Halt auf der Crusader und steige benommen auf Hermies geliebtes Hoverbike. Es dauert nur ein paar Minuten dann sind Hermie und ich auf dem Tanker.

Auf dem Schiff sind mehrere Leute, die ich nicht kenne. Aber wofür sind Partys da, wenn nicht dazu, neue Bekanntschaften zu machen? Ich entdecke Bollerkopp Valentin Benz. Mr. Hide sagt mir  auch noch irgendwas. Dann ist da ein gewisser Blaze, der wohl für die Sicherheit der Party zuständig ist und ein paar andere. Plötzlich schwebt eine pinke Mietzekatze durch die Frachtluke und als die unverkennbar weibliche Person ihren Katzenhelm abnimmt, traue ich meinen Augen nicht: Cäcelia.

Ich nicke ihr so desinteressiert wie möglich zu.

Zu meiner freudigen Überraschung, bin ich nicht der Einzige, der mit ihr offenbar  ein Problem hat – ich höre wie sie sich lautstark mit Valentin Benz streitet.

Sieh an, sieh an.

Ich lächle still in mich hinein und laufe zu der riesigen Transportkiste.

Hermie hat Unmengen Bier eingekauft.

„Himmel, damit können wir uns alle ins Koma saufen.“

„Ich denke, das ist heute der Sinn der Sache…“

„Richtig.“

Wie jede Party ist auch diese zu Beginn ein wenig steif.

Ich nehme mir ein Bier nach dem anderen.

Ich höre, wie Hermie davon schwärmt, dass er eine gewisse „Indira“ klar gemacht habe.

Ich grübele, während ich das Bier in mich hineinschütte – Indira, Indira…

Dann dämmert es mir – das ist die Hull, die wir für unseren Hurston-Ritt nutzen wollen.

Ich blicke Hermie aus dem Augenwinkel an.

Irgendwie hat auch er etwas Seltsames.

Ein zuverlässiger Typ, keine Frage. Auch ein Freund mittlerweile.

Aber eben auch irgendwie seltsam – oder macht man Schiffe „klar“, in diesem Tonfall?

Während ich ein Bier nach dem anderen zische, redet Hermie auf eine Weise über Schiffskomponenten, die nur einen Schluss zulässt: Er steht auf Objekte.

„Hermie, worauf fährst du eigentlich am meisten ab?“, unterbreche ich ihn.

„Auf Schilde. Schön groß und rund müssen sie sein.“

Da haben wir’s.

Ich bin sicher, dass er mich auf den Arm nimmt…anderereits…gibt‘s das nichtganz offiziell? Menschen, die sexuell von unbelebten Gegenständen angezogen werden? Ich schaue auf die Schnelle im Spectrum nach. Dort steht: Bei der Objektophilie dient  das  Objekt nicht nur als Stimulanz, sondern wird als eigenständiges, quasi-personelles Gegenüber wahrgenommen. Abgefahren… Tatsache ist jedenfalls, dass Hermie immer wieder von irgendwelchen Gegenständen schwärmt.

Ein bisschen seltsam ist er auf jeden Fall – gut, wer ist das nicht?

Ich nehme mir ein weiteres Bier.

„Leute, ich schaue mir jetzt mal das Schiff an.“

„Ich führe euch.“

Hermie, natürlich.

Er geht voraus durch das Labyrinth des Inneren, das ein Schiffsdesigner im Fiebertraum erdacht haben muss. Es geht nach links und rechts, irgendwelche Treppen und Leitern rauf und an anderer Stelle wieder hinunter. Zu allem weiß Hermie etwas zu berichten, zu jeder  Funktion und zu jeder verbauten Komponente. So deutlich war mir das noch nie aufgefallen und ich bin mir sicher, dass an meiner Theorie was dran ist.

Das Schiff selbst ist in einem heruntergekommenen Zustand und hat wohl schon etliche Jahre auf dem Buckel. Sämtliche Innenräume könnten einen neuen Anstrich vertragen, die Küche taugt nicht einmal, um Fertigessen aufzutauen, von der Sauberkeit der Waschräume ganz zu schweigen. Ich kriege mehrfach fast einen Herzinfarkt, als mir im Dunkeln plötzlich einer aus unserer Gruppe gegenübersteht, irgendwie hat das Schiff etwas von einem Ghost-Ship. Schließlich kehren wir zurück in den Frachtraum.

Irgendjemand hat die Musik hochgedreht und das Bier fließt in Strömen. Blaze, der Typ, der eigentlich auf uns aufpassen soll, krabbelt mittlerweile sturzbetrunken auf dem Boden umher. Ich werfe mich neben ihn und krabble mit – das ist genau meine Kragenweite.

„Alter, Du hast das Prinzip einer Party verstanden…“

Wir krabbeln ein wenig um die Wette, aus dem Off höre ich hinter mir die üblichen Kommentare.

„Blaze, scheiβegal, was die anderen sagen. Lass uns noch was trinken…“

Keine Ahnung, wer dann plötzlich den ersten Schlag führt, aber mit einem Mal finden wir uns beide in einer handfesten Keilerei wieder.

Ein ums andere Mal gehe ich zu Boden.

Immer wieder wird mir schwarz vor Augen.

Ein ums andere Mal stehe ich wieder auf.

Nur um erneut aufs Maul zu bekommen.

„Du…du…bist genau mein Stil“, lalle ich.

Ich falle gefühlte 20 Mal hin, bevor ich begriffen  habe, dass das eine ziemlich einseitige Geschichte ist.

Müde winke ich schließlich ab.

„Lass gut sein für heute.“

Blaze wankt in eine andere Richtung.

Mit letzter Kraft schnappe ich mir meinen Helm und schwebe hinüber zu einer kleinen Medi-Pisces, die irgendjemand in weiser Voraussicht direkt hinter dem Schiff geparkt hat.

Ich lege mich auf das Medbed und lasse mich verarzten.

Für heute habe ich genug, dann bringt mich ein unbekannter Typ in seiner Rambler auf eine Raumstation irgendwo im Orbit von ArcCorp.

„Hey, Brubacker“, spricht mich die Person vom Pilotensitz an.

„…erinnerst du dich noch an mich? Ihr habt letztens mein Schiff repariert. Ich heiße Carl Cooper – wir hatten heute ja noch keine Gelegenheit groß zu quatschen…“

Mein Schädel fühlt sich an, als würde er gleich zerspringen.

„Ja…äh…ja…später.“

Ich muss schwer an mich halten, sonst kotze ich ihm direkt hinter seinen Pilotensitz.

Und ich brauche dringend eine Sonnenbrille.

Journal-Eintrag 11 / 04 / 2954

Husky ist kaum ein Wort zu entlocken – bockig sitzt er auf dem Boden in der „Indira“, unserer kleinen Hull, von Hermie wieder flott gemacht.

Ihm  ist deutlich anzusehen, dass er überhaupt keine  Lust hat, für Aruhso die ganzen Outposts abzuklappern.  Klar, er hatte mir vor ein paar Wochen seine Hilfe zugesagt, nun da ihm wohl bewusst wird, wie tief er selbst mit drin hängt, ist seine Laune aber im Keller.

„Husky…“

„Hm.“

„Wir bringen das so schnell hinter uns, wie wir können.“

„Hm.“

Hermie sitzt vorn im Cockpit und bringt uns derweil hinunter nach Hurston, unser Ziel: die Plattform Cutter‘s Rig.

Ich grübele und massiere mir das Gesicht. Noch immer tut es höllisch weh von Blaze’ Schlägen – wie dumm kann man sein? Aruhso…ja…er hat uns wegen MACH mehr an der Angel als er selbst wohl ahnt. Keinesfalls wollen wir jedenfalls die von ihm geforderten Sachen besorgen. Im Gegenteil: Wir haben beschlossen, ihn aus dem Spiel zu nehmen – Hermie spricht sogar von Ghosting. Da war sie wieder, die andere Seite des netten, hilfsbereiten Kerls, der angeblich keiner Fliege was zu Leide tun kann.

Ghosting – nein, das kommt nicht in Frage. Aber Aruhso selbst so zu drohen, dass er sich künftig alle Erpressungsversuche verkneift, das wäre schon mal was. Nur müssen wir ihn dazu erstmal ausfindig machen. Und dafür müssen wir wohl oder übel weiter die Outposts abklappern.

„Wir sind da, macht euch bereit!“

Zero, Husky und ich halten uns fest, während Hermie auf der rostigen Plattform aufsetzt. Buchstaben finden, ein wenig umsehen und dann wieder weg – das ist die Devise. Schnell wird klar: Cutter‘s Rig ist ein schwimmender Schrotthaufen; wie die meisten anderen Siedlungen aus Stahlplatten, Gestänge und Wellblech zusammengehauen.

Erfindungsreichtum hin oder her, mir scheint: Viele Menschen begnügen sich mit dem Allernötigsten – oder müssen es. Während wir suchen, verliert Hermie in einer schnellen Poker-Runde gegen einen Bewohner der Plattform 1000 Credits. Wir klettern umher, aus einem alten Kranausleger wird Gas abgefackelt. Hier ist nichts idyllisch und anheimelnd. Dann entdecke ich es:  ein „O“, geschmiert auf einen kaputten Monitor.

Ein „P“, ein „O“ – ich habe eine dunkle Ahnung.

„Lasst uns hier bald wieder abhauen“, sage ich.

Doch dann entdecke ich etwas – eine Gatling. Ich klemme mich dahinter und ballere ein wenig,  einfach nur zum Spaß, vielleicht auch, um ein wenig Frust abzubauen.

„Hey, cool …das solltet ihr auch mal prob…“

„Bru lass das! Die Bewohner gucken schon total sauer.“

Hermie steht ein paar Meter hinter mir.

„Ja gleich, nur noch ein paar Schuss. Ist doch nichts dabei.“

„Bru…“

Ich gebe noch eine kurze Salve ab und drehe mich um.

Hermie liegt ohnmächtig auf dem Boden, angeschossen – später werde ich erfahren: Ein Bewohner  hatte eigentlich auf mich gezielt und Hermie war ihm in die Schusslinie gelaufen.

„Hermie…?“

Keine Redaktion.

Die anderen eilen herbei.

Der Bewohner der Plattform sieht uns stocksauer an, dann dreht er sich um und geht davon.

Ich gebe Hermie eine Ohrfeige, damit er wieder zu sich kommt.

„Irgendwann boxe ich dich auch mal richtig.“

„Ah, da bist du ja wieder.“

„Ich hab’ gesagt, du sollst das lassen, aber du kannst einfach nicht hören.“

„Mann, das war doch nur…“

„Nein, ich will nichts hören!“

„Hermie…“

„Nein, Bru.“

Er ist echt stocksauer.

Schweigend laufen wir zum Schiff zurück.

Ich habe echt ein Talent, es mir mit allen zu verscherzen.

„Hermie, tut mir Leid, ehrlich.“

Keine Reaktion.

Scheiße, verdammt.

Zero setzt sich ins Cockpit, er will noch kurz nach Weeping Cove, weil dort offenbar Goldsteins Spur hingeführt hatte. Aus der Luft entdeckt er plötzlich einen großen Aussichtsturm auf einem Berg.

„Soll ich da noch kurz runter?“

„Klar, warum nicht, bisschen Sightseeing.“

Hermie ist immer noch wortkarg.

„Ich kletter‘ da mal rauf. Man hat bestimmt eine schöne Aussicht.“

Ich versuche ein wenig auf gute Stimmung zu machen, doch Fehlanzeige.

Oben blicke ich mich um.

Es ist ein idyllisches Eiland, auf dem wir uns befinden, es könnte ein richtiges Paradies sein.

Ich atme tief durch und will wieder hinabklettern, als es auch schon passiert: Ich rutsche ab und stürze in die Tiefe. Sofort nach dem Aufschlag wird mir schwarz vor Augen.

„Bru, manchmal nervst du echt.“

Hermie verarztet mich mit seiner Medipistole.

Zwar kann ich danach wieder stehen und sogar laufen, aber irgendwas stimmt mit meinen Beinen nicht.

„Äh…Leute…“

„Wahrscheinlich unfassbar gestaucht bei dem Fall aus der Höhe oder sogar angebrochen.“

Die Schmerzen ziehen sich durch den ganzen Körper.

Ich beiße die Zähne zusammen.

Ich weiß, dass ich das verdient habe, aber die Genugtuung will ich ihnen nicht geben.

„Ich laufe runter nach Weeping Cove.“

„Sicher?“

„Klar, kein Ding.“

Ich ignoriere die Schmerzen so gut es geht, klettere vorbei an riesigen Felsen, zwischen denen der Wind nur so pfeift, ja fast eigenartig singt. Unterdessen geht Stanton unter und das Licht der untergehenden Sonne taucht die Szene in ein malerisches, fast romantisches Licht.

Husky stößt zu mir.

„Wunderschön, nicht wahr?“

Ich nicke still.

Wir stehen ein paar Minuten wortlos nebeneinander, dann machen wir uns weiter auf den Weg in die Bucht – bald sehen wir gar nichts mehr. Meine Beine senden bei jedem Schritt einen stechenden Schmerz an mein Gehirn und schreien: Stopp! Sollte ich jetzt in eine Felsspalte stürzen, wäre es vorbei. Ich gehe in Trippelschritten hinter Husky hinterher. Verdammt nochmal.

Irgendwann erreichen wir den Outpost – und anders als bei meinem ersten Besuch sind die Bewohner viel freundlicher. In der Bar ist eine Party im Gange. Wir gesellen uns dazu und bald haben wir ordentlich einen zu sitzen. Husky und ich üben Flaschen-Zielwurf, Zero schießt sich komplett ab. Irgendwann liegt er regungslos in der schmutzigsten Ecke, die die Spelunke zu bieten hat.

Meine Beine versagen endgültig den Dienst und ich krauche wie ein Baby zu ihm.

„Zero? Zero?“

Er schnarcht tief und fest.

Ich lege meinen Kopf auf seinen und schließe die Augen.

Hermie ist unterdessen zur „Indira“ zurück und will irgendeinem Raumfahrer aus irgendeiner Klemme helfen. Ich höre, wie das Schiff startet und abhebt. Ich glaube, Hermie ist echt ein guter Typ. Was will er auch mit Schwachköpfen wie uns?

Dann reiße ich mich hoch und wanke hinaus in die aufgehende Sonne.

Husky tanzt selbstvergessen auf einem Felsen.

.

Pyro

Die Krankenschwester an der Rezeption blickt mich mitleidig an.

„Sie müssen nichts weiter sagen, checken Sie ein.“

Ich nicke müde und schleppe mich weiter in das Behandlungszimmer der Klinik.

Dort lege ich mich auf das Medibett und der Scan beginnt.

Gequetschte Adern, gestauchte Knöchel, ein Haarriss in den Schienenbeinen.

Ich lasse den Kopf sinken und das Medibett seine Arbeit machen. Nur Minuten später fühle ich mich wieder wie neu – dem Wunder der Technik sei Dank. Was würden wir nur machen ohne diese ständig verfügbare Verjüngung und Wiederherstellung? Wahrscheinlich ein viel langweiligeres Leben führen.

Ich stehe aus dem Bett auf – in Kürze bin ich mit Husky und Hermie verabredet. Wir wollen die nächsten Outposts unter der Lupe nehmen. Hermie hat die „Indira“ bereits startklar gemacht und wenige Minuten später sind wir unterwegs. Unser nächstes Ziel auf Aruhsos Wunschliste heißt „Pickers Field“.

Ab Bord sprechen wir darüber, wie es überhaupt so weit kommen konnte. Je mehr wir es hin- und herwenden, umso klarer wird: Der vermeintliche Hausmeister hatte es durch und durch geplant – was gibt’s schließlich Besseres als Opfer als einen Reporter mit bereits ramponiertem Ruf? Die anderen waren nur Beifang. Ich schüttele wütend auf mich selbst den Kopf – an den meisten Problemen, die man sich einhandelt, ist man selber schuld.

„Wir sind da, aber wir haben Gesellschaft.“

Hermie landet das Schiff etwas abseits der Siedlung, die sich schnell als vergiftete Müllhalde entpuppt. Draußen ist es stockdunkel.

Wir stolpern durch hohes Gestrüpp, vorbei an verrosteten Containern, in der Ferne glimmt Licht. Mit dem Näherkommen entdecken wir eine unglaubliche Umweltsauerei – einen Tümpel, in den alles Mögliche geschmissen wurde. Wie es scheint, hat sich eine säurehaltige Senkgrube gebildet. Im Licht der Siedlungsscheinwerfer leuchtet der Pfuhl giftgrün.

„Nicht zu fassen“, sagt Husky.

„Was für ein Drecksloch.“

Wir umrunden den kleinen Teich, aus dem ätzende Dämpfe aufsteigen. Überall lodern Feuer.

„Lasst uns hier wieder so schnell wie möglich abhauen.“

Wir laufen kreuz und quer durch die Siedlung, dann entdecke ich an einem Kanister den nächsten Buchstaben – ein „Y“.

„Ich hab‘s. Weg von hier!“

Wir laufen zurück zur „Indira”, vorbei an einer offenbar flugunfähigen Cutless. Als nächstes steht ein Ort mit dem zauberhaften Namen „Ludlow“ auf dem Programm. Interessanterweise ist er nicht direkt anfliegbar. Husky, unser geborener Scout, übernimmt das Steuer – und wie immer enttäuscht er uns nicht. Über Hurston geht derweil die Sonne auf.

Es ist eine weitere Siedlung, gebaut an einen hohen Hang und zusammengezimmert aus mehreren ausgeschlachteten Raumschiffen. Die Sonne klettert über den Horizont und es wird schnell wärmer. In der angrenzenden Wüste flimmert bereits die Luft. Ich wette mit mir selbst, welches der nächste Buchstabe ist und soll Recht behalten: ein „R“.

P-Y-R-O.

Wir müssen nach Pyro, in das benachbarte Piratensystem.

„Vielleicht heißt es auch Oryp“, sagt Husky.

„…oder Rypo“, ergänzt Hermie.

Galgenhumor.

Irgendwann vergeht uns das Lachen.

Mir wird kotzübel bei dem Gedanken, in das System zu müssen. Ich habe gehört, dort soll es sogar spuken – durch den so genannten „Propheten von Pyro.“

Ich wische den Gedanken beiseite.

„…so können wir da jedenfalls nicht hin. Da sind wir nur Kanonenfutter.“

Außerdem: Das Pyro-System ist groß, verdammt groß.

Wie sollen wir Aruhso da finden? Ein paar Siedlungen für weitere Hinweise haben wir ja noch.

„Lasst uns mal ein paar Schießübungen machen“, schlägt Hermie vor.

Wir laufen ein wenig aus der Siedlung raus und suchen uns zwischen seltsamen Felsformationen ein wenig Platz. Dann geht die Ballerei los. Ich versuche mit Hermies Pistole ein paar Mal eine Frucht zu treffen, die er in einiger Entfernung platziert hat. Nach dem dritten Schuss wird mir klar: Ich brauche dringend ein Schießtraining. Andererseits: Wofür hat man einen Ex-Söldner an seiner Seite?

Nach den Übungen genießen wir die Stille – im Grunde ist es hier draußen wunderschön. Eigentlich echt komisch, dass Aruhso die Orte alle selber abgeklappert haben muss, nur um uns diese seltsame Aufgabe zu stellen…was für ein Aufwand.

Ein Pirat mit zu viel Zeit, dafür mit Sinn für Romantik.

„Ich würde gern mal da oben rauf“, sagt Husky und deutet auf den Bergkamm.

„Ich komme mit.“

Hermie läuft unterdessen zurück zum Schiff.

Schnell wird der Anstieg steiler, der Weg mühsamer, bald müssen wir klettern.

Ich blicke mich um und sehe am Fuß des Berges etwas seltsam grün schimmern.

„Was ist denn das?“

„Würde sagen Schwefel-Quellen“, antwortet Hermie über Funk.

Ich kneife die Augen zusammen und verliere in diesem Moment den Halt. Es geht über Geröll abwärts und ich fluche vor mich hin. Eben erst habe ich meine Beine wieder heilen lassen. Verletzt bleibe ich am Fuß des Abhangs liegen. Ich schwitze wie ein Teufel und reiße mir das Shirt vom Leib.

Dann laufe ich langsam zu der Quelle.

„Nicht drin baden, das ist hochgiftig.“

„Hermie, ich bin nicht blöd.“

In einem Naturreservat würde man dafür glatt Eintritt zahlen.

Schnell merken wir, wie die giftigen Dämpfe das Gehirn benebeln.

„Lasst uns weiter, die Sonne geht bald unter.“

Statt zu Fuß geht es mit der „Indira“ den Berg hinauf – in Erwartung an einen fantastischen Sonnenuntergang in dieser majestätischen Stille.

„Hurston hat auch etwas. Wie wäre es mit einer zweiten Planetenumrundung?“, fragt Hermie.

Eher trinke ich aus der Schwefelquelle.

Dann geht die Sonne unter, leider verdeckt durch eine Wolkenwand, als wollte mir dies etwas sagen.

Bald lassen wir diesen seltsamen Ort hinter uns.

Journal-Eintrag  15 / 04 / 2954

Kaum habe ich auf Everus Harbor die Tür zu meinem Hub geschlossen, piept auch schon mein Mobiglas.

Aruhso, natürlich.

Er lächelt verschmitzt, als wüsste er, was wir mittlerweile rausgefunden haben.

„…nach Pyro, also?“

„Ganz recht.“

„…und wo da genau? Pyro ist groß.“

„Mr. Brubacker, ich will Ihnen doch den Spaß nicht nehmen…haben Sie schon etwas von dem, was ich möchte?“

„Ich…“

„Tauchen Sie hier bloß nicht ohne auf.“

„Schon klar.“

„Ich meine es ernst.“

Dann hält er ein Schriftstück in die Kamera, das offiziell und nach Advocacy aussieht.

„Was ist das?“

„Das…Mr. Brubacker…ist die Fahndung nach unserer gemeinsamen Carrack.“

Ich werde bleich.

„Es sieht ganz so aus, als hätten Sie das Schiff gestohlen.“

„…Mr. Aruhso…“

„…wie mir zu Ohren gekommen ist, haben sie letztens auch eine RSI Scorpius geklaut, um damit zu einer Geburtstagsfeier zu fliegen. Man fand darauf Ihre Fingerabdrücke.“

„…Mr…“

„…es sieht also ganz so aus, als hätten wir es hier mit einem professionellen Schiffsdieb und einem Hehler geschützter Artefakte zu tun.“

Dann unterbricht Aruhso die Verbindung.

Journal-Eintrag 19 / 04 / 2953

„Killer?“

Die Redaktion ist verlassen.

Offenbar ist er irgendwo unterwegs.

Erschossen lasse ich mich auf das alte Sofa fallen.

Aruhso…was für ein absolutes Oberar…

Ich schließe die Augen, da sehe ich aus dem Augenwinkel einen Zettel auf dem kleinen Tisch, der neben der abgeranzten Couch steht.

„Ich bin weg.“

Die Handschrift ist klein, fast unleserlich, die eines kleinen Kindes.

Sofort bin ich hellwach.

Hektisch blicke ich mich um. Killers Rucksack, den er sonst immer irgendwo in die Ecke feuert – verschwunden.

Himmel!

Ich springe auf und nach nur drei Atemzügen bin ich zur Tür raus.

Killer ist nirgendwo zu sehen.

Aussichtslos, ihn hier auf ArcCorp zu finden.

Wie lange ist er schon fort? Wohin? Hatte er irgendwas gesagt? Ich denke fieberhaft nach. Wahrscheinlich ist er zum Raumhafen. Dann fällt es mir siedend heiß ein – bestimmt will er nach Orison, zu den fliegenden Walen…

Ich quetsche mich durch die Menschenmassen, fange mir manche unflätige Bemerkung ein, während meine Augen in der Menge nach seiner wilden Mähne suchen.

Nichts.

*****

Meine Finger fliegen über die Konsolen der „Clarke II“.

„Auch wenn Sie es offenbar sehr eilig haben, bitte halten Sie sich dennoch an die Standardprozeduren“, sagt der Controller der Hangar-Abfertigung.

„Kommt heute auf jeden Sekunde an“, gebe ich knapp zurück.

„Starterlaubnis erteilt.“

Mit Vollgas verlasse ich den Spaceport und die Atmosphäre ArcCorps  und drehe das Schiff auf Quantummarker nach Crusader, spoole den Antrieb hoch und springe.

Die Chancen, Killer wiederzufinden, sind fast Null.

Am Riker Spaceport hatte ich ihn jedenfalls nicht gesehen, er kann sonst wo sein. Verzweifelt schlage ich auf das Steuer. Klar, man nimmt mal eben ein kleinen Straßenjungen in seine Obhut, weil es ja so ein super Gefühl ist – und dann? Denkt man, dass es schon von alleine wird.

Ich bin der allerletzte Idiot.

Ich schicke ein Stoßgebet zum Himmel.

Nachdem ich aus dem Quantum gefallen bin, prügele ich die „Clarke II“ durch die Wolken, finde auf Anhieb den Spaceport und nehme die Bahn zu dem riesigen Bronzewal auf Orisons Hauptplattform. Was Besseres fällt mir nicht ein. Ist er hier nicht, kann ich es aufgeben.

Ich renne fast über die Plaza und will schon alle Hoffnung fahren lassen, als ich jemanden allein auf einer Bank direkt unter dem Wal sitzen sehe.

Mein Herz setzt einen Schlag aus.

„Killer…bist weggelaufen.“

„Ja.“

„Wieso – hat‘s dir bei mir nicht gefallen?“

„Doch, schon.“

„Aber?“

Er zuckt mit den Achseln.

„Bist ja eh nie da. Hast keine Zeit für mich und hast immer so viel zu tun.“

Er zieht die Nase hoch.

„..halte dich nur auf.“

„Killer…das ist nicht wahr.“

„Doch, ist es.“

Ich schäme mich abgrundtief.

Alles andere war wichtiger.

Partys. Aruhso. Enos.

Herrgott, die Umrundung eines ganzen Planeten – und wofür?

Für ein bisschen Spaß und Ego.

Alles war wichtiger als ein Junge, für den sich sonst niemand interessiert.

„Ich, ich verspreche, es wird besser…bitte bleib da…“

„Warum?“

Ich suche die richtigen Worte, aber sie wollen mir nicht einfallen.

„Killer, weil…weil es verkehrt ist, ständig wegzulaufen…weil…man sich seinen Sachen manchmal einfach stellen muss. Jeder von uns. Weil es uns zu Menschen macht, füreinander da zu sein. Ach, vielleicht einfach, weil ich genauso einsam bin wie du…und wir müssen doch Boomer suchen und rausfinden, woher du stammst.“

Killer blickt in die Sonne.

„Ist nicht schön, einsam zu sein.“

„Nein, ist es nicht.“

Er blickt zum großen Bronzewal.

„Würde den gern mal in echt sehen.“

„Ich auch…machen wir zusammen, wie wär‘ das?“

„Wann?“

„Sobald die hier wieder die Discovery-Touren öffnen. Ich kaufe gleich die ersten Tickets.“

Killer lächelt.

„Okay, cool.“

„Heißt das, dass du bei mir bleibst?“

Er nickt.

Dann sitzen wir ein paar Minuten schweigend nebeneinander.

„Ist echt schön hier auf Orison, oder?“

„Ja, voll schön.“

„Wie bist du eigentlich hergekommen?“

Er zieht die Augenbrauen hoch und grinst.

„Berufsgeheimnis.”

– Fortsetzung folgt –

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