– Das Jahr 2952 –
Selbstbestimmtheit, ein freies Leben und doch zu wissen, wo man hingehört – das ist etwas, das dem Menschen innewohnt. Brubacker ist zwischen diesen Polen hin- und hergerissen. Nach der Aufregung der vergangenen zwei Jahre will er den Dingen erst einmal ihren Lauf lassen – und wird doch gleich wieder in Neues hineingezogen: in die „Free Riders of Stanton“, eine Biker-Gemeinschaft, die sich auf die Fahne geschrieben hat, die Freiheit zu verteidigen, wo immer es Not tut. Gleichzeitig bekommt Brubacker ein verlockendes Angebot, das ihn an seine Grenzen bringt.
- Vom Recht auf Rausch
- Free Riders of Stanton
- Die Eingeweide von Lorville
- Privater Schnüffler
- Im Bauch des Verse
- Im Drogensumpf
- Die Crew
- Vergiftet und verdroschen
- Das Wrack
Vom Recht auf Rausch
…und seinen Konsequenzen. Warum Jumptown mehr ist als nur Ort. Er sagt uns, wer wir sein wollen.
Von John Brubacker
Drogen sind Selbstmord auf Raten. Wann hätte dieser Spruch je besser gepasst als auf Jumptown? Auf jene Orte im Stanton-System, die Verheißung und Verdammnis zugleich sind. Unscheinbare Outposts im Nirgendwo, schäbig und runtergerockt, scheinbar verlassen. Und doch: Jeder Schuss – er ist hier ein Treffer. Vielleicht nicht gleich in die eigenen Venen, aber doch ins Herz des Empires. Andererseits: Wer fliegt schon vorbei, wenn das schnelle Geld winkt bei kalkulierbarem Risiko? Ist es verwerflich oder nicht doch verständlich, wenn man auch mal etwas vom großen Kuchen abhaben will? Jumptown: Das sind die Orte, an dem man das Glück nur vom Boden aufheben muss – oder?
Ich liege versteckt auf dem Bauch hinter einem Felsen und beobachte aus sicherer Entfernung das Treiben auf Lyria, einem felsigen, teils vereisten Mond ArcCorps. Eine mächtige Hammerhead beharkt in einer Senke soeben kleinere Fighter vom Typ Sabre und Arrow. Seit die Hammerhead eingetroffen ist, hat sie die Lufthoheit. Zwei schwere Gunships vom Typ Redeemer sichern die Korvette nach den Seiten hin ab. Ab sofort, so die unmissverständliche Botschaft, werden aus Jumptown keine Drogen mehr herausgeschafft.
Vor ihrem Eintreffen jedoch waren, fleißigen Bienen gleich, immer wieder mit Widow voll beladene Schiffe vom Typ Cutlass gestartet. Widow, das ist eine Designer-Droge, die aktuell das System überschwemmt – wieder einmal. Das als schwarze, tintenähnliche Flüssigkeit injizierte Opiat färbt auf Dauer die Venen schwarz und es entstehen netzartige subkutane Muster quer durch den gesamten Körper. Entspannt die Droge zunächst, bringt einen richtig runter, so sehen die Menschen nach exzessiver Einnahme irgendwann aus wie Zombies.
Die „Helldiver“-Einheit, die das verhindern will, ist in Stanton bekannt für derlei Einsätze. Nachdem durchgesickert war, dass an diesem Abend auf Lyria eine größere Verladeaktion von Widow stattfinden soll, hatten die „Helldiver“ ihren Hut in den Ring geworfen. Die in Stanton stationierte UEE Navy hatte um Unterstützung von freien Söldner-Gruppen gebeten, weil sie der Lage allein nicht Herr wurde. Gab es einst nur ein einziges Drogenlabor auf Yela, einem unwirtlichen kalten Mond, der um den Gasriesen Crusader seine Kreise zieht, das aber vor gut einem Jahr durch Intervention von Crusader Industries geschlossen worden war, so existieren nun gleich drei an der Zahl – auf den Monden Lyria, Yela und Caliope. Keine Frage: Die Schattenwirtschaft findet immer neue Wege. Lockt der schnell verdiente Credit, wird der Markt immer und überall sehr schnell sehr kreativ.
Rauschmittel – sie ziehen Menschen seit Jahrtausenden magisch an. Der Gebrauch von psychoaktiven Substanzen hat sich bereits für die Jungsteinzeit der Menschheit auf der Erde nachweisen lassen. Schon damals wurden sie in schamanischen und religiösen Zusammenhängen genutzt. Im Kern geht es seither immer um eine wahrnehmungsverändernde Wirkung, die Abkopplung mentaler Prozesse vom Bewusstsein. Es scheint in der Natur des Menschen zu liegen, sich die verschiedensten Substanzen in die Venen zu spritzen, sie zu rauchen, zu schnüffeln. Heroin, Kokain, Speed, LSD, Crystal Meth, Crack vor bereits tausend Jahren, Maze, Widow oder Neon heutzutage – die Beweggründe, zu Drogen zu greifen, haben sich nicht geändert: Das Streben nach Glück und die damit einhergehende eigene innere Unzufriedenheit bedingen einander.
Es ist ein Teufelskreis, den man durchbrechen möchte – und der einen doch gefangen hält. Drogen versprechen den Ausweg. Sie sind Fluchthelfer, vermeintlicher Heilsbringer. Man verlässt die Enge der eigenen Unzulänglichkeit, findet für eine Zeit inneren Frieden. Die Kehrseite: Abhängigkeit, körperlicher Verfall – und Gewalt in all ihren Auswüchsen. Bei Maze etwa kommt es regelmäßig zu Todesfällen, man findet nicht mehr den Ausgang aus dem eigenen Trip. Schließlich zerfällt das Gehirn. All dies ist bekannt – allein: Dieser Umstand ist nicht Abschreckung genug. Auch Maze wird aktuell auf illegalen Wegen gehandelt, als handele es sich dabei um pures Gold.
Es war im Jahr 2949, als die Bürger Stantons ein lukratives Widow-Drogenlabor auf der Oberfläche des Crusader-Mondes Yela entdeckten. Bald schon strömten zehntausende bis dahin unbescholtene Bewohner des Systems zu dem Außenposten mit unterschiedlichen Motiven. Piraten und andere Gesetzlose sowie ganze Organisationen mit wenig Skrupeln schickten sich an, diese neu entdeckte illegale Fundgrube möglichst schnell auszubeuten oder unter die eigene Kontrolle zu bringen. Andere, gesetzestreue Truppen wiederum wollten die Station abriegeln, um kriminelle Aktivitäten zu verhindern. Freizeit- und Berufsschmuggler keilten sich um jedes Drogenpäcken wie Hunde um einen Knochen.
Nur wenige wussten zunächst über Jumptown Bescheid – und niemand ahnte, dass sich daraus schon bald ein ausgewachsener Drogenkrieg entwickeln würde. Doch schnell wuchsen die Kämpfe über Jumptown hinaus, entwickelten ein Eigenleben und griffen, einem Krebsgeschwür gleich, im ganzen System um sich. Wo zuvor noch ein einigermaßen friedliches Miteinander geherrscht hatte, regierten alsbald Gier, Chaos und Anarchie. Harmlose Handelsschiffe, die zuvor Güter des täglichen Bedarfs durchs Verse transportiert hatten, wurden über Nacht Drogenkuriere, die wiederum von anderen aufgebracht wurden. Streckenweise wurde das gesamte Drogenlabor besetzt, ja sogar Eintritt verlangt. Ruchlose Söldnertruppen beschützten Drogenschmuggler, bildeten regelrechte Kartelle. Jeglicher Anstand starb – und mit ihm tausende Bürger. Kurzum: Für den schnellen Profit brachten sich die Menschen gegenseitig um – mehr als in jedem anderen Konflikt, den es zuvor in Stanton gegeben hatte. Schließlich konnte man hier bei einem Run mehr verdienen als bei einem legalen Cargo-Run in einem ganzen Jahr.
Jumptown – diese Bezeichnung trägt seitdem die Ungewissheit daher schon im Namen. Man springt ins Unbekannte. Was werden die Drogen mit einem machen? Selbst wenn man sie nicht selbst konsumiert: Drogen verändern den Menschen. Immer. Sei es, weil man Drogen, die man in der Cargo-Bay des eigenen Schiffes hat, weiter unter die Citizens bringt. Sei es, weil man die UEE-Gesetze ehren und eben dies verhindern will. Kurzum: Illegale Stimulanzien erzeugen einen Kreislauf, aus dem es so schnell kein Entrinnen mehr gibt. In Jumptown fokussiert sich daher wie unter einem Brennglas, was gut und was schlecht läuft im Empire, ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel, das niemanden unberührt lässt.
So auch diesmal bei „Paradise Cove“, so der Name des Jumptown-Outposts auf Lyria. Verzweifelt versucht die Gegenfraktion zurückzuschlagen, kein Wunder: Mit jedem Päckchen lassen sich rund 15.000 Credits verdienen. Die Gier schaltet Verstand und Herz aus. Bald schon liegen mehrere brennende Wracks am Boden – Sinnbild auch dafür, was geschieht, wenn sich ein komplettes Sternensystem der UEE-Jurisdiktion entzieht. Mit dem Verkauf der einzelnen Planeten an private Unternehmen entstand ein rechtsfreier Raum, ein Vakuum, das Piraterie und Schmuggel aber auch schreckliche Misssverständnisse und Misstrauen geradezu förderte. So wird sich im Nachhinein herausstellen, dass mit der “Yellowhand Security“ ein zweite private Söldnertruppe versuchte, Schmuggel zu unterbinden. Wer aber glaubt dem anderen noch, ist das Grundvertrauen erst einmal nachhaltig erschüttert? Die aufgegebene einstige Bergbaustation Grimhex im Asteroidengürtel rund um Yela und ihre Besetzung durch die Piratengruppe der Nine Tails tat ein Übriges – für sie lag das erste Jumptown ja vor der Haustür. Wer eins und eins zusammenzählen konnte, wusste, was bald geschehen, wie jedes Vertrauen und jeder Gemeinsinn erodieren würde.
Was man bei Jumptown beobachten kann, ist daher das ewige Kräftemessen zwischen Gut und Böse – wo auch immer ein neues Drogenlabor entsteht. Jumptown zeigt das Ringen des Menschen mit sich selbst, ein Kampf mit den eigenen inneren Dämonen. Gibt es ein Recht auf Rausch, ein Recht auf Glück im Leben? Jumptown – das ist mehr als ein Ort. Es ist der Inbegriff für den schmalen Grat auf dem wir alle wandern. Jumptown – das ist der Ort, an dem sich immer wieder neu entscheidet, wer wir sind, wer wir sein wollen, was wir bereit sind, dafür zu tun. Es ist der Ort, der unsere Seele berührt. Letztlich stellt Jumptown uns die Frage, was echtes Glück im Leben bedeutet. Und die muss jeder für sich ganz allein beantworten.
Der Bericht basiert auf eigenen Gedanken, nutzt aber auch die Zusammenfassung „Jumptown Wars – Totalis Bellum“ von Paul Shelly, „Astro Pub“
Journal-Eintrag 17 / 01 / 2952
Ich stehe auf und schüttele mir den Staub Lyrias aus dem Undersuit. Vor mir die brennenden Wracks der Schmuggler im Dreck. Ich bin zurück aus der selbst verschriebenen Pause – und wie könnte es anders sein: Nichts hat sich geändert. Drogen. Kämpfe. Geheimnisse. Jumptown – das war bisher an mir vorbeigegangen. Vor einem Jahr hatten mich Chhris und Zero aus einem Outpost retten müssen. Wenigstens das war diesmal nicht nötig. Ich bin gespannt, was dieses Jahr bringt, vor allem was es mit „Project Enos“ auf sich hat. Und vielleicht schaffe ich es dieses Jahr ja endlich mal aus diesem System raus. Es wäre höchste Zeit, mal den Horizont zu erweitern. Ich fliege zurück in die Redaktion und schreibe obigen Bericht. Unterwegs kommt mir mein damals unfreiwilliger Maze-Trip in Erinnerung – und die Teufelsfratze, die ich zum Schluss gesehen hatte. Ich schüttele den Kopf, um die Erinnerungen daran zu verscheuchen. No drugs! Back to duty.
Free Riders of Stanton
Ich fresse den Staub der anderen. Sehen kann ich auch nicht viel. Kaum kommt ein Kaktus auf mich zu, ist er im nächsten Moment auch schon wieder vorbei. Die Landschaft verwischt zu einem undeutlichen Etwas. Sicher, auf dem Planeten Hurston gibt es auch sonst nicht sonderlich viel zu entdecken. Doch nun ist da nur noch eine teigfarbene, bräunliche Masse, in der alles untergeht.
Ich bin eingeladen worden zu einem Rennen rund um die Hauptstadt Lorville. Ich hatte zuvor extra geübt und dachte, ich hätte eine Chance – doch nun bin ich nur noch froh, nicht am nächsten Felsen zu zerschellen. Irgendwann nehme ich das Gas meiner Nox weg. Zu gewinnen ist das Rennen nicht mehr, und ich genieße die Einsamkeit der Landschaft um mich herum, versuche, sie in mich aufzunehmen, mich darauf einzulassen. Irgendwann tauchen in mir längst vergessene Bilder auf…
Einst war ich auf einem Motorrad auf der Erde einmal quer durch die Vereinigten Staaten von Amerika gereist – über 13.000 Kilometer, vom Atlantik bis zum Pazifik, eine ungeheure Strecke. Es war die größtmögliche Freiheit… ich lächle, doch dann fällt mein Blick auf das riesige Hauptquartier der Hurston-Familie – eine pure Machtdemonstration. In seiner martialischen Ästhetik brüllt es: Niemand kann uns etwas! Wir sind unangreifbar! Wir nehmen uns, was wir wollen. Die Architektur des riesigen, monolithischen Gebäudes ist wie ein brutaler Keil in den Boden getrieben worden.
Der Rest des Planeten: geschändet von so viel Größenwahn, kaputt. Von unzähligen Tests des Waffenherstellers für immer ruiniert. Niemanden scheint es zu kümmern. Die Freiheit des Menschen ist hier längst gestorben, wie das Gefühl der Fürsorge für den Planeten. In den Wohnsilos hausen die Bewohner der Stadt unter schrecklichen Umständen – so bezahlt, dass es gerade zum Überleben reicht, aber dass sie den Planeten nicht verlassen können. Hinter den gewaltigen Mauern der Stadt herrschen Hoffnungslosigkeit und Apathie.
Ich reite auf der Nox meine Runde zu Ende, komme wieder am Startpunkt an und stelle sie ab. Der abschätzige Blick des Wächters, der das Tor und den Zugang zur Stadt bewacht, lässt keinen Zweifel aufkommen, wer das Sagen hat. Selbst arme, geschundene Hunde, die tagein, tagaus die Tore kontrollieren müssen, sind auch sie Gefangene ihres eigenen Daseins. Längst hat man ihnen ausgetrieben zu träumen, den Blick zum Himmel zu heben. Längst haben sie sich angepasst in ihren Einheitsrüstungen, jeglicher Individualität beraubt.
Ich laufe an ihnen vorbei, als mir eine alte Ausgabe der „New United“ ins Auge fällt, eine der wenigen heutzutage unabhängigen Publikationen im Empire. Ich weiß nicht, wer sie hier liegen ließ oder wie sie hierher kam. Hurston Dynamics sieht zu, dass solche Medien hier nicht frei verkäuflich sind. Ich ziehe mich in eine dunkle Ecke zurück und blättere sie durch. Schnell fällt mein Blick auf einen Artikel:
Anführer der „Free Riders of Stanton”, Yao Kirov, im Teasa Spaceport unter fadenscheinigen Gründen von der Hurston Security festgenommen. Anklage auf Drogengeschäfte“.
Offenbar gab es zwischen den Bikern und der Hurston Securiy ein paar heftige Zusammenstöße. Ich sinniere – „Free Riders of Stanton“… nie gehört. Ich öffne mein Mobiglas, gehe ins Spectrum und recherchiere ein wenig: F.R.O.S. – eine Bikergruppe, bestehend aus ehemaligen Hinterhofschraubern. Freiheitsliebend. Nicht mit großer politischer Agenda, aber durchaus mit eigener Meinung. Sie prangerten etwa immer wieder die Vertreibung der ursprünglichen Siedler des Planetens durch die Hurston-Familie an.
Ich schließe das Mobiglas wieder. Was kann man gegen so viel Macht einer einzelnen Familie schon unternehmen? Natürlich, als Reporter bin ich der Aufklärung der Wahrheit verpflichtet – aber auch der Sache selbst?
„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“
Heißt es nicht so? Ist das nicht die Maxime eines guten Reporters?
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Nur ein paar Tage später rase ich erneut über Hurstons Einöde mit meiner Nox. Hinter mir fährt Valentin Benz, ein Kerl, der mir schon ein, zwei Mal über den Weg gelaufen war. Wir reiten mitten in der Nacht zu einem stillgelegten Bergbau, auf der Rückseite des gewaltigen Hurston-Gebäudes außerhalb der Stadt. Wenige Stunden zuvor hatte ich eine Nachricht von einem unbekannten Absender erhalten – die „Free Riders“ sollten mit der Verhaftung Kirovs nicht sterben, hatte es darin geheißen. Die Zerschlagung solle verhindert werden. Ich weiß nicht wieso, aber ich musste nicht lang überlegen. Hatte ich nicht schon genug Beweise gesehen, dass zu viel Machtfülle zur Katastrophe führt? War mir Freiheit der Gedanken, des Formulierens und Schreibens nicht schon seit jeher ein inneres Bedürfnis?
Ein Sandsturm kommt auf. Ich sehe kaum über den Scheinwerferkegel meiner Maschine hinaus, während ich zum Treffpunkt rase. Es scheint fast so, als wollte sich der Planet und was ihm angetan wurde, vor mir verstecken. Als würde er sich verschleiern. Je mehr ich mich nähere, umso mehr bin ich mir sicher, das Richtige zu tun.
Am Treffpunkt angekommen, der Sandsturm wütet nun auf voller Stärke, erkenne ich ein Gesicht, dass ich zuvor nur aus den Medien und aus dem Archiv des Spectrums kannte: Gabriel Winters, Enkel von Friedrich, Gewinner des Vorlaufs zum Murray Cup.
„Das ist ja ein Ding, Sie hier zu treffen“, brülle ich gegen den Sandsturm an. Ich zähle eins und eins zusammen: Friedrich muss meinen Kontakt an seinen Enkel weitergegeben haben.
„Gabriel“, stellt sich der junge Mann vor, „aber die meisten sagen Husky.“
„Brubacker – aber die meisten sagen Bru.“
„Von dir ist die Einladung?“
Husky nickt.
„Warum so geheimnisvoll?“ Noch während ich die Frage stelle, wird mir klar, wie dumm sie ist.
„…schon gut.“
Ich blicke mich um – neben Winters sind zwei weitere Personen zugegen: Ein gewisser Ray Keaton und Valentin Benz. Keaton kenne ich nicht, von Benz weiß ich nur, dass er auf Grimhex lebt, ein etwas undurchsichtiger Zeitgenosse.
„Und nun?“
Der Sturm legt sich so schnell, wie er gekommen war.
„Nun, vielleicht kläre ich euch auf….“
Husky berichtet im Folgenden von Kirovs Verhaftung, den brutalen Methoden der Hurston Security – und dass die „Free Riders“ nun an einem Scheideweg stünden: Untergang oder Neugründung, die Fahne hochhalten, ein Zeichen setzen. Schnell zeigt sich: Jeder von uns Vieren hat unterschiedliche Motive, hier zu sein: Keatons Eltern etwa lebten einst auf Hurston, wurden aber vertrieben, Benz ist sogar hier geboren. Schnell wird uns klar: Das unbändige Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung ist etwas, das uns eint. Alle stehen wir Megacorps mehr als kritisch gegenüber. Ich lächle still in mich hinein: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm – wie Friedrich gegen Großkonzerne und ihre Verkäufe von Militärschiffen auf dem zivilen Markt wettert, so sehr schlägt auch Husky in eine ähnliche Kerbe.
„Ich bin kein Attentäter und kein Verschwörer, ich bin Journalist“, sage ich schließlich.
Kleine Aktionen ja, Nadelstiche, Missionen für eine gute Sache – aber kein aktivistischer Untergrund. Ich komme mir fast feige vor, als ich das sage. Während ich darauf warte, was die anderen dazu sagen, frage ich mich, was ich dann überhaupt hier will. Zu meiner Überraschung sehen die anderen das aber ähnlich: Wachsamkeit ja, Freiheit verteidigen – keiner aber will etwa das Hurston-Gebäude noch in der gleichen Nacht in die Luft sprengen.
„Es wird sich entwickeln“, sagt Gabriel schließlich.
Und in der Tat: Ist nicht das Biken selbst schon ein Statement? Wann und wo, wenn nicht im Ledersitz einer Maschine, ist der Weg das Ziel?
Während wir reden und philosophieren, hören wir über Funk, dass Hurston an den Perimeter-Ausgängen die Ausgabe weiterer Bikes gesperrt hat. Als hätte es das gebraucht, um uns zu überzeugen. Wie aufs Stichwort landet schließlich direkt neben uns eine Avenger – ein Kerl namens Hermieoth mit ordentlich Bier im Gepäck. Ich erinnere mich: Mit ihm war ich unterwegs, als wir die Killersatelliten-Story aufklärten.
„Sieh an, immer wieder die gleichen Gesichter.“
„Bier gefällig?“
„Was für eine Frage, ich hab schon eine Staublunge.“
Später kommt ein weiterer Nachzügler hinzu, der mir bisher unbekannt ist, ein Mann mit Namen Leon Adama, ein ehemaliger UEE-Soldat. Ich staune nicht schlecht, als Winters schließlich eine vorbereitete „Proklamation zur Neugründung der Free Riders“ aus der Tasche zieht und vorliest. Respekt, klingt gut, denke ich. Kann ich unterschreiben, auch wenn es sicherlich noch manches Mal ordentlich rauchen wird in unserer kleinen Gemeinschaft. Schließlich stoßen wir mit Smolz an. Stilechter geht es kaum.
In der Ferne, hinter einem Staubschleier, thront wie ein Fremdkörper, der Parasit des Planeten bedrohlich und doch fern genug – das Hurston-Hauptquartier.
Wir sind die „Free Riders of Stanton”! Hell ya!
Journal-Eintrag 02 / 01 / 2952
Ich habe Nick Cartago durch Zufall auf ArcCorp getroffen. Er hat gerade einen kleinen Transportauftrag am Wickel – ich beschließe spontan, ihn zu begleiten. Wir fliegen mit einer Cutless Red, einem Rettungsschiff. Ich bin immer wieder darüber erstaunt, wie viele unterschiedliche Schiffe der Mann besitzt. Na, wahrscheinlich muss man als Frachterpilot so breit aufgestellt sein. Es geht nach Lyria und dort hinab zu einem Wrack, einer abgestürzten Caterpillar. In der Missionsbeschreibung heißt es, es sei gegebenenfalls mit Feindkontakt zu rechnen. Wir rüsten uns also entsprechend aus mit Rüstung, Waffen und Medipens. Der Anflug ist in seiner Einsamkeit spektakulär. Das Wrack liegt auf einem Hochplateau und ist in mehrere Teile zerbrochen. So lange kann der Absturz noch nicht her sein – es lodert sogar noch Feuer. Im Innern sind manche Stellen durch Laser geschützt – doch uns fehlt das Equipment, um die Laser, die bei Berührung wohl eine Explosion auslösen, zu deaktivieren. Egal, wir schnappen uns die Transportkisten und machen uns auf nach Wala, den anderen Mond ArcCorps. Dort müssen wir die Kisten auf einem Schrottplatz entsorgen. Ich bin immer wieder erstaunt – und entsetzt – darüber, wie rücksichtslos der Mensch seine Hinterlassenschaften überall entsorgt. Warum kümmert sich die UEE eigentlich nicht um so etwas? Wollen wir so dem Verse unsere Fußabdruck aufdrücken? Zu guter Letzt werden wir noch beschossen. Wer zum Henker beschießt ein Rettungsschiff? Wir können gerade so unsere Haut retten.
Bin von Zero angeschrieben worden. Hat wohl auch ziemich Stress mit Hurston Dynamics. Hat von F.R.O.S. gehört. Will sich mt Husky und mir treffen. Genau unsere Kragenweite, passt perfekt zu uns. Mal schauen, wo ihn der Schuh drückt…
Die Eingeweide von Lorville
„Hi Bru. Ich wurde von einer Wache in Lorville blöd angemacht. Die Wache fragte, ob ich ein Freiheitskämpfer von F.R.O.S. sei. Hast Du von F.R.O.S. schon gehört? Gibt es jemanden in Stanton, der für die Freiheit kämpft? Haben die was mit den freien Völkern zu tun? Ich hab von denen noch nie gehört. Gruß, Zero“
„Ja, habe ich – aber ich kann darüber nicht über die offenen Kanäle reden. Treffpunkt Sonntag, 2100 SHT (Standard Hurston Time). Dann alle weiteren Infos. Weg-Beschreibung ist angehängt. Bleib sauber. Bru-„
„Die Wegbeschreibung irritiert mich. Muss ich mit einem Bodenfahrzeug kommen? Raumschiff unerwünscht bei F.R.O.S.? Zero“
„Natürlich nicht. Du kannst gern mit der Rabbit kommen, dann können wir die Bikes einladen, um vielleicht irgendwo hinzufliegen, wo es ein wenig netter ist. Ein Bike sollte ein F.R.O.S.-Biker generell natürlich schon haben, wir sind ja nicht die FWOS – Free Walkers of Space. Bin fest davon ausgegangen, dass Du ohnehin eines im Stall hast. Bru-„
Ich muss an diese kleine Kommunikation mit Zero denken, während wir zu dritt über Hurston rasen. Wieder ist es Nacht, wieder einmal sehe ich kaum was. Hauptsache, wir werden nicht irgendwann noch Night-Rider. Ich grinse unter meinem Helm. Zero ist mit an Bord. Wusste ich gleich – die „Free Riders“ passen zu ihm wie die Faust aufs Auge.
Er ist wie ich jetzt zwar nicht der größte Held unter den Sternen, sein freier Geist und sein großes Herz für Unterdrückte und Schwache hatten ihn mir aber gleich von Beginn an sympathisch gemacht. Auch Husky, den ich nach unserem kleinen Austausch angeschrieben hatte, ist mit dabei. Beide scheinen auf einer Wellenlänge zu sein. Wir hatten uns am „Stim Theater“ getroffen, so haben wir unseren Treffpunkt hinter dem riesigen Hurston Dynamics-Gebäude mittlerweile getauft, weil in den Gruben ungezählte gerauchte Stims liegen, gequalmt in den kurzen Pausen, die den Bergarbeitern früher gegönnt wurden, bevor sie sich für Hurston Dynamics wieder in den Dreck werfen durften.
Mir geht allerlei durch den Kopf.
Die Wächter Lorvilles sind nach der Auflösung der F.R.O.S.-Gruppe unter Yao Kirov offenbar angehalten, jeden auf einem Bike näher unter die Lupe zu nehmen. Die Wege in die Stadt hinein werden jedenfalls deutlich strenger bewacht – in letzter Zeit ist Hurston vermehrt und härter gegen Schmuggler vorgegangen.
Selbst lebenswichtige Dinge, wie widerstandsfähige Kleidung gegen den scharfen Wind auf dem Planeten, gibt es in der Stadt aktuell nur gegen viel Geld oder unter der Hand. Das hatte Zero berichtet, nachdem wir uns getroffen hatten. Auch vor Mord schreckt man offenbar nicht zurück. So sei unlängst ein junger Mann umgebracht worden, nachdem ihm die Droge Widow untergeschoben worden war – Anlass genug, um die Tore und Zugänge in die Stadt noch stärker als bisher zu kontrollieren. Unklar ist indes, ob Hurston Dynamics bereits von unserer F.R.O.S.-Neugründung weiß. Sicher scheint nur, dass man Angst hat, dass sich subversive Propaganda in der Stadt ausbreitet. So etwas nennt man wohl Paranoia. Na ja, passt zu ihnen.
Schließlich halten wir an und stehen auf dem Gipfel eines kleinen Berges.
„Ich wusste gar nicht, dass es auf Hurston noch so schöne Ecken gibt. Ich dachte, der gesamte Planet sei mehr oder weniger kaputt“, staune ich.
„Nee, es gibt durchaus noch richtig schöne Fleckchen. Man muss sie nur finden“, erwidert Zero. „Dahin ziehe ich mich manchmal zurück.“
„Verstehe.“
Doch Zero ist gedanklich schon weiter.
„…wir brauchen neue Zugänge in die Stadt“, erklärt er. Auch ihm war in der Zwischenzeit auf unseren Bikes offenbar einiges durch den Kopf gegangen. Er erklärt, dass er vorhat, verstärkt ins Schmugglergeschäft einzusteigen.
„Findest du das nicht ein wenig lebensgefährlich – ausgerechnet jetzt? Und ausgerechnet gegen Hurston Dynamics?“, frage ich ihn.
„Nach unserer Killer-Satelliten-Nummer? Ich glaube nicht, dass wir da noch einen Ruf zu verlieren haben. Außerdem: Was sollte ich sonst bei F.R.O.S.?“
„Auch wieder wahr.“
„Was ist eigentlich mit den Killer-Satelliten?“
„Bisher nichts gehört – die Advocacy scheint aber dran zu sein. Wahrscheinlich brennt bei denen die Hütte.“
„…jedenfalls brauchen wir neue, geheime Wege in die Stadt.“
Ich nicke und bin ratlos.
„Ich habe da vielleicht eine Idee“, schaltet sich Husky ein.
„Ich bin früher öfter mal mit einer kleinen M50 direkt vor deren Nase, aber unter dem Radar, über die Containerdocks, Landebuchten und sogar bis zum Showroom gecruist. Auch unter die Stadt kann man, wenn man weiß, wie…“
Wir trauen unseren Ohren nicht.
„Echt? Ich dachte, die Anflugkontrolle schaltet sofort den Autopiloten auf, wenn man auch nur ein bisschen vom vorgegebenen Weg abweicht.“
„Tut sie auch. Aber nicht, wenn man sie ablenkt.“
„…ablenkt?“
„Man parkt ein Schiff in ein anderes, und während der große Pott brav dem Landepfad folgt, die Anflugkontrolle nichts ahnt und gelangweilt auf ihre Monitore starrt, stiehlt sich das kleine Schiff im Radar-Windschatten davon – und schon ist man mittendrin in den Eingeweiden der Stadt.“
„Und das funktioniert?“
„Yep, wenn man es zeitlich gut koordiniert.“
„Verrückt.“
„Ich habe aktuell eine riesige Hercules C2, da könnten wir eine kleine Aurora reinpacken.“
„Unauffälliger geht’s wohl nicht“, sage ich.
„Frech kommt weiter. Jedenfalls wirft die Hercules den größtmöglichen Radar-Schatten.“
„Worauf warten wir dann noch?“
Wir fliegen mit Zeros „White Rabbit“ hinauf zur Orbitalstation „Everus Harbor“, lassen uns dort die Aurora und die C2 in den Hangar stellen. Wenn wir von außerhalb kommen, sieht es aus, wie ein regulärer Frachtflug. Husky und ich steigen in die Aurora, sie passt geradeso in den Hangar. Husky mach das perfekt – geschultes Rennflieger-Auge eben. Zero fliegt den Riesenflieger hinab in die Atmosphäre.
„Wo haste den Vogel eigentlich wieder her?“, frage ich.
„Kontakte.“
Ich sollte mir dringend abgewöhnen, ihm solche Fragen zu stellen.
„Alles klar.“
Bald haben wir Landeerlaubnis – und während der Riesenvogel noch langsam absinkt, geht es auch schon los. Zero öffnet die Heckklappe und wir gleiten wie bei einer Elefanten-Geburt hinaus. Husky übernimmt sofort die Steuerung und bringt uns in Bodennähe, ich halte mich hinter ihm fest. Es scheint tatsächlich zu klappen. Zero landet seinen Flieger unterdessen in der zugewiesenen Parkbucht.
„Und? Cool, oder?“
Husky dreht ein paar Runden über den Docks, ich blicke fasziniert zum Seitenfenster der kleinen Aurora hinaus. Ich sehe nun aus unmittelbarer Nähe riesige Rohre, Kräne und Container bis zum Horizont. Ich versuche alles in mich aufzunehmen. Einmal mehr wird mir bewusst, dass Lorville eine reine Industriestadt ist, in der der Mensch nicht viel zählt. Der Planet ist nur Mittel zum Zweck, um die Familie Hurston unfassbar reich zu machen.
„Ich lande mal.“
„Was…?“
„Keine Bange.“
Husky geht tiefer runter, ich steige aus, dann sehe ich plötzlich hinauf zum Balkon der L19-Residence. Wie oft hatte ich von dort schon hinab geschaut, nun dreht sich die Perspektive um.
„Krass, oder?“
„Absolut. Und uns kann keiner sehen?“
„Nicht bei unserer Größe. Man müsste schon direkt nach uns suchen. Entspann dich.“
Ich weiß, dass wir Verbotenes tun und es kribbelt in mir. Allein dieser Blick in die Eingeweide des Molochs Lorville ist bereits ein ordentlicher Tritt in den Hintern von Hurston Dynamics.
„Lass uns noch ein wenig umher cruisen. Und das musst du unbedingt auch alles Zero zeigen.“
„Klar.“
Ich übernehme das Steuer und fliege wie es mir gefällt über die Landebuchten, vorbei am riesigen „Teasa Spaceport“, vorbei an unzähligen grauen Fenstern, blicke in Abgründe, die wie Narben den Boden aufgerissen haben.
„Komm ich, will dir noch etwas zeigen.“
Husky übernimmt wieder das Steuer und lenkt die kleine Aurora tief in die Fundamente der Stadt.
Wir steigen aus, ich blicke mich um.
„Das Herz der Finsternis. Perfekt zum Schmuggeln geeignet.“
„Unfassbar“, sage ich leise und höre doch, wie die Wände mein Echo zurückwerfen.
Draußen geht schließlich die Sonne unter. Wir drehen in der Illegalität noch ein paar beschwingte Runden, dann kehren wir zurück in den Orbit. Es gibt immer geheime Pfade. Man muss sie eben nur finden. Zwischen unzähligen Containern, Kränen und Rohrleitungen haben die F.R.O.S. eine neue Spielwiese gefunden. Das nächste Mal kommen wir mit den Bikes. Rock ’n’ Roll.
Journal-Eintrag 18 / 02 / 2952
Ich drehe den Zettel in der Hand hin und her. Keine Ahnung, wie er in die kleine Tasche meiner Jacke gekommen ist. Dubios. Hat es etwas mit den Killer-Satelliten zu tun?
Warum keine Nachricht übers Mobiglas? Zu unsicher?
Und überhaupt: Wer hat ihn geschrieben?
Wer ist „Ein Freund“?
Ich laufe den langen Andocktunnel zur „Nordlicht I“. Es ist der zweite „Scenic Cruise“ zu dem Friedrich Winters auf seine Origin 890 Jump eingeladen hat. Ich hatte die Tour bei der Premiere schon einmal mitgemacht, jetzt will sie Friedrich im System etablieren – ich möchte ihm gern dabei helfen.
Das Schiff ist bis auf die letzte Kabine komplett ausgebucht, die „Helldiver“, die im Stanton-System bekannte Söldner-Truppe, übernimmt wie bei der ersten Tour wieder den Schutz. Es scheint, dass Friedrich eine echte Marktlücke gefunden hat. Routiniert spult er an Bord sein Programm ab, Nick Cartago erzählt etwas über den Planeten Microtech und die Station Port Tressler. Mir geht unterdessen im Kopf herum, was mich bei unserem ersten Stopp, dem Calhoun Pass auf dem Planeten, erwarten wird. Ein Dutzend Personen sind an Bord, noch dazu schwer gepanzerte Söldner – eine sichere Umgebung, wie mir scheint, sollte es sich doch um eine Falle handeln. Mir ist meine Entführung unter gefälschter Einladung noch gut in Erinnerung. Ein harmloser Touristenausflug ist daher ein guter Ort für eine erste Kontaktaufnahme.
Am Shelter angekommen, an dem Winters die dramatische Überlebensgeschichte von Rick Targoli referieren wird, warten die „Helldiver“ schon – sie haben schweres Geschütz aufgefahren, sind gar mit einer Valkyrie vor Ort. Ich blicke mich um. Soll ich nach der Kontaktperson suchen, sucht sie mich? Der Ort scheint bis auf die Ausflügler und die Söldnertruppe verlassen. Im Shelter nimmt die Führung noch ihren normalen Verlauf, dann aber fallen Schüsse.
Plötzlich heißt es: Alle zurück aufs Schiff. Ich renne mit, von Panik ergriffen. Doch eine Falle? Gottlob ist die „Nordlicht I“ gut gepanzert – Winters spricht sich über einen gesonderten Funkkanal mit den „Helldivern“ ab – dann wird entschieden: Die Tour geht weiter. Sie haben die Situation unter Kontrolle. Wie beim ersten Mal besuchen wir die Höhle des Bergkönigs, dann geht es zurück nach New Babbage. Ich versuche zu verdrängen, was am Shelter passiert ist. Noch bin ich nicht bereit, mich wieder um das Thema zu kümmern. Klar ist mir natürlich die ganze Zeit gewesen, dass es noch nicht erledigt ist. Nur weil an einer Front mal Ruhe einkehrt, heißt das nicht, dass überall Frieden herrscht.
Nach der Landung an den so genannten Commens, dem inneren Zirkel von New Babbage, suche ich mir ein Zimmer. Am nächsten Morgen ploppt eine Nachricht auf meinem Mobiglas auf.
Ich lese sie zweimal, dreimal. Ghosting. Ich schlage es im Mobiglas nach: Der Begriff wird verwendet, wenn der IVS-Wert einer Person so niedrig ist, dass sie nicht mehr regeneriert werden kann. Der Begriff stammt aus dem Zusammenhang mit einer Prägung, die dauerhaft aus einer Ibrahim-Sphäre gelöscht wurde. Geächtete bezeichnen das „Auslöschen“ einer Person manchmal als Tötung auf eine Art und Weise, die sie daran hindert, sich zu regenerieren.
Mir läuft ein Schauer den Rücken hinunter. Der endgültige Tod. Habe ich mich zu weit vorgewagt?
Dann aber reisse ich mich zusammen, bedanke mich für die Sorge um mein Wohlergehen, frage nach, ob es sich um die „Killer-Satelliten“-Story dreht und antworte selbstbewusst, dass ich es gewohnt sei, unter Druck zu arbeiten und es mit mächtigen Gegnern zu tun zu haben. Ich trage vielleicht ein wenig zu dick auf, aber das ist mir egal – auch ein Journalist, der für eine gute Sache draufgeht, ist immer noch eines: ein toter Journalist. Und auf keinen Fall habe ich Lust „geghostet“, also dauerhaft getötet oder noch einmal fast gefoltert zu werden. Ich schlage Area 18 als Treffpunkt vor, das kommt mir am sichersten vor, und schalte das Mobiglas wieder ab. War ja irgendwie klar, dass die Sache noch nicht vorbei ist.
Dann schalte ich das Mobiglas wieder ein und schicke Zero, was ich habe. Er macht es echt besser als ich: Immer wieder mal in Deckung gehen. Kluger Junge.
Journal-Eintrag 24 / 02 / 2952
Kurz vor unserem Treffen vor der G-Loc-Bar erhalte ich noch eine kurze Nachricht: Der Unbekannte trägt ein weißes T-Shirt und wartet auf der Terrasse. Darauf soll ich achten. Ich entdecke die Person sofort. Sein helles Shirt leuchtet in der schummrigen Umgebung der kleinen Seitengasse, in der sich der Eingang zur G-Loc-Bar befindet, wie ein eine Reklame.
„Sind wir verabredet? Sind Sie der Unbekannte…?“
„Nein, aber ich bringe Sie zu ihm.“
„Und Sie sind…?“
„Mein Name ist Peter, aber das tut nichts zur Sache.“
Okay, sie kommen also zu zweit. Eventuell eine Sicherheitsmaßnahme. Aber wovor haben sie Angst? Etwa vor mir?
Wir machen ein bisschen Smalltalk, ich schaue mich um. Nichts deutet darauf hin, dass ich mich in unmittelbarer Gefahr befinde.
„Wollen wir?“
„Jederzeit.“
Wir laufen zur Brücke, die direkt zum Eingang der „Off the Record“-Redaktion führt. Am anderen Ende wartet eine weitere Person in einem weißen T-Shirt.
„…Sie sind…?“
„Ich bin derjenige, der Ihnen die Nachrichten geschrieben hat.“
„Haben Sie auch einen Namen?“
„Mr. Hide.“
Vielleicht ein Deckname.
„Hm. Also – worum geht es?“
„Nun, ich hatte den Auftrag, Sie zu töten. Zu ghosten. Stattdessen will ich Sie warnen.“
Ich halte erstmal meine Klappe und lasse ihn reden.
„Sie stehen auf bei den Großkonzernen auf der Abschussliste. Sagt Ihnen die Firma Skyways Solutions etwas?“
„Nein, was ist das?“
„Das ist ein illegaler Zahlungsdienstleister, über den solche Aufträge abgewickelt werden.“
„Hm. Und warum warnen Sie mich jetzt? Haben Sie als Auftragskiller Ihr Herz entdeckt?“
„Wissen Sie, ich mache oft illegale Geschäfte – aber Ghosting, das geht dann selbst mir zu weit.“
„Haben Sie eine Ahnung, wer dahinter steckt?“
„Nun, über Skyways werden auch dunkle Geschäfte von Hurston oder Shubin abgewickelt. Mehr kann ich leider nicht sagen.“
Das Gespräch plänkelt noch ein wenig hin und her, ich versuche Mr. Hide noch ein paar Informationen aus der Nase ziehen, aber offenbar scheint er wirklich nicht mehr zu wissen.
„Hatten Sie schon einmal Probleme mit Ihrem Imprint…?“, fragt er.
„Nun, ich…“
Mir kommt in den Kopf, dass es von mir nicht eine offizielle Information in der Ark gibt. Ich sinniere kurz, plötzlich schreit sein Kompagnon fast panisch auf: „Sie haben uns gefunden!“
Beide springen sofort über die Brüstung der Brücke auf das Dach einer Schwebebahn und sind von einem Moment auf den anderen davon.
Ich bleibe verwirrt und geschockt zurück.
Privater Schnüffler
Ich sitze in der Redaktion, als mein Mobiglas pingt.
Ich stöhne innerlich auf. Ein öder Versicherungsauftrag.
Ich schüttele den Kopf und denke an Zero Sense – das wäre eher etwas für ihn, die alte Spürnase. Nur ist er wieder einmal wie vom Erdboden verschluckt. Außerdem ist die Bezahlung mit gerade einmal 8000 Credits sehr niedrig.
Dann aber lese ich die Nachricht noch einmal: Spacehub Gundo. Die Station, auf der die ganze vermaledeite Killersatelliten-Story ihren Anfang genommen hatte – ein Zufall? Ohne weiter zu überlegen, schreibe ich Mrs. Ward zurück, dass ich den Auftrag übernehme, nur um es ein paar Minuten später zu bereuen. Will ich wirklich eine verlassene Geisterstation nach Hinweisen durchsuchen – ohne Absicherung? Mich für die paar Credits unnötig in Gefahr begeben? Vielleicht ist es auch eine Falle…mir kommt Mr. Hide in den Sinn…
Husky! Er könnte mir beistehen. Ich schreibe ihn an…nachdem wir letztens unsere kleine illegale Tour in den Eingeweiden von Lorville unternommen hatten, wäre er genau der Richtige für die Aktion. Es wäre auch eine gute Gelegenheit, uns noch besser kennen zu lernen. Zu meiner Überraschung sagt er zu.
Zwei Tage später treffen wir uns auf der „Dream“-Rest&Relax-Station, die um Crusader kreist. Wir fliegen beide weiter mit meiner Superhornet und erreichen nach wenigen Flugminuten Gundo.
Die Station über Daymar sieht immer noch genauso aus, wie bei meinem letzten Besuch – vielleicht wirkt sie noch ein wenig verlassener. Wir schweben hinein. Nun war ich schon mehrfach auf Gundo – doch noch nie waren mir die kleinen blinkenden Lichter aufgefallen, die anzeigen, dass auf manchen Monitoren noch Nachrichten auf ihren Abruf warten. Nun ja, wenn man nicht weiß, wonach man suchen soll, findet man natürlich auch nichts. Wir schweben von Terminal zu Terminal.
Die erste Nachricht ist von einer gewissen Racine Chodary. Sie hatte Ward angeschrieben, weil offenbar irgendeine Stromverteilung auf der Station nicht funktionierte.
Die zweite Nachricht ist eine Aufzeichnung, auf der mehrere Personen zu hören sind. Sie ist von einem Scott Hammell, der eine Flasche exquisiten Esquire von einer weiblichen Person mit Namen Mel Ososky erhalten hat. Die Flasche wird geöffnet und Darnell Ward ein Schluck angeboten, der ihn auch annimmt. Offenbar eine Geburtstagsfeier.
Wir schweben durch die Station, kommen vorbei an diversen Hubs, manche davon versiegelt, an einer Tür heißt es, dass dies ein Ort des Verbrechens sei. Es scheint, wir sind auf der richtigen Spur.
Ich bin froh, dass Husky mit dabei ist – nicht nur gibt er mir die gewünschte Rückendeckung, er ist mindestens eine ebenso gute Spürnase wie Zero, wie sich nun zeigt. Oft entdeckt er Terminals schneller als ich. Ich muss mich immer wieder neu orientieren – wo ist oben, wo unten? Große Covalex-Schriftzüge machen es ein wenig erträglicher durch die Station zu schweben, durch das ständige Drehen wird mir nach und nach aber auch immer schwindeliger.
Die nächste Info klärt schließlich auf, worum es geht: Schmuggel! Laut der Botschaft, die auf dem Datapad von Mel Ososky abgespeichert ist, nimmt dieser aktuell immer mehr zu und Covalex wird aufgefordert, durch verstärktes Scannen von Paketen mitzuhelfen, ihn zu unterbinden – auch auf Spacehub Gundo, die ein Umschlagplatz für Waren aus dem ganzen System ist.
Die nächste Nachricht betrifft Mel Ososky direkt: eine speziell umgebaute Freelancer sei bei Astro Armada abholbereit – womöglich ein speziell umgebautes Schmugglerschiff?
Während wir durch die Station schweben, setzen wir Puzzleteil für Puzzleteil zusammen – und auch das nächste passt dazu: Offenbar hat Ososky unautorisiert den Türcode zur ihrer Schlafkoje geändert. Auf dem nächsten PC ist eine Liste mit Türcodes gespeichert. Dann folgt eine Nachricht von Darnell selbst, der auf der Feier offenbar ein wenig mehr getrunken hatte, als es gut für ihn war – und der nun einen Stresstest der Station durchführen will, um so den Grund für den Energieverlust herauszufinden.
Das Server-Log hat aufgezeichnet, was dabei alles schief ging.
Die Folgen: Dekompression der gesamten Station sowie elektronische Systemüberlastung! Noch dazu hatte Darnell die Monitore abgeschaltet, um so herauszufinden, ob sie vielleicht der Grund für das Energieleck waren – so aber entging ihm aber die Überlastung.
Ich atme tief durch. Hatten wir nicht immer angenommen, die Explosion einer Caterpillar mit Microtechs Spezial-Chips in unmittelbarer Nähe habe die Station zerstört? Oder war dies ein zweites, davon unabhängiges Ereignis? Lauter Fragen – wir schweben weiter, dringen in die Frachtabteilung vor. Eine weitere wieder hergestellte Datei zeigt, dass sich Darnell an seine Frau wandte und sich wortreich für sein Versagen entschuldigte. Die Nachrichten bricht mitten im Satz ab.
Wir suchen weiter – und haben dann die zündende Idee: Mit den neu gefundenen Codes können wir Ososkys Hub öffnen und finden des Rätsels Lösung: Sie hatte erst mit dem Alkohol Darnell außer Gefecht gesetzt, dann die Überwachung der Stations-Energieversorgung manipuliert, um so die Schmuggelware an den Scannern vorbeischleusen zu können.
Darnell ist unschuldig!
Husky und ich lesen uns die gesammelten Informationen noch einmal komplett durch – es besteht kein Zweifel. Ich schicke die Daten an Elaine Ward, sie meldet sich prompt, bedankt sich überschwänglich und überweist das Geld.
Husky und ich fliegen unterdessen zurück zur Dream-Station. Wir gehen in die örtliche Bar und genehmigen uns ein Bier. Manchmal kann es so einfach sein, einen Menschen glücklich zu machen. Nur eine Frage treibt mich um: War das vielleicht der eigentliche Unfall, der Spacehub Gundo heimgesucht hat? Es scheint fast so. Was aber bedeutete dann das Märchen mit den verdammten Chips? Wie immer: Dieses Universum gibt seine Geheimnisse nur langsam und Schicht für Schicht preis.
Journal-Eintrag 08 / 03 / 2952
Es dämmert. Erst ist es noch nur eine Ahnung, dann wird es Gewissheit – und am Horizont schält sich die Sonne Stantons aus einem fernen Gebirge. Ein neuer Tag bricht an. Voller Hoffnung und Möglichkeiten. Wir sitzen zu fünft auf einem Hügel und blicken hinab auf die riesige Ebene unter uns. So viel Raum zur persönlichen Entfaltung für Lebensglück unter Sternen. Und doch: Nur ein Wunschtraum. Die „Ninetails“, gefürchtete Piraten des Systems, beheimatet auf der ehemaligen Bergbaustation Grimhex – sie waren einst die Bewohner des Planeten, bevor sie von der Familie Hurston vertrieben wurden. Nun fristen sie ihr Dasein zwischen Felsbrocken im All, sind gezwungen, sich auf illegale Weise ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Erst vor wenigen Tagen haben sie wieder Raumstationen blockiert. Die menschliche Zivilisation: Sie ist mit Unterbrechungen doch nur eine ständige Abfolge von Unterwerfung, Eroberung und Vertreibung. Will jemand etwas, auf dem du sitzt und er ist mächtiger – dann Gnade dir Gott.
Wir reden leise über dies und jenes, lassen die Szene auf uns wirken und wissen instinktiv: Nichts geht über Freiheit. Nichts geht über das Gefühl, unabhängig und selbstbestimmt zu sein. Mit steigender Sonne steigen auch wir schließlich wieder auf unsere Bikes und reiten über die große einsame Ebene zurück zu unseren Schiffen. Manchmal braucht es nur einen unverstellten Blick, um zu wissen, worum es geht im Leben.
Journal-Eintrag 15 / 03 / 2952
„Stella Fortuna – das ist ein kulturelles Fest des Menschen, das mit vielerlei Wünschen für Glück und Erfolg bei neuen Unternehmungen verbunden ist. Es stellt Glück, Kühnheit und neue Geschäfte in den Mittelpunkt. Das Fest wurde ursprünglich als Erinnerung an die erfolgreiche Kolonisation des Mars im Jahr 2200 ins Leben gerufen. Feuerwerke und Festivals sind Markenzeichen der Feierlichkeiten, ebenso wie die Farben Gold und Grün. Das Fest wird jedes Jahr am 15. März in der gesamten UEE gefeiert.“
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Ich muss an diese Kurzbeschreibung aus der Galacapedia denken, als ich hinaus in die Ferne schaue.
Glück und Erfolg bei neuen Unternehmungen….ich sinniere.
Nun, die vergangenen Jahre waren anstrengend – aber auch aufregend.
Ich habe viel geschafft – und doch liegt noch so viel mehr vor mir.
Eine Hand schlägt mir auf die Schulter.
„…und was hast du vor in diesem Jahr?“
„Nun, ich…. aktuell mache ich ein interessantes Interview mit einem Wissenschaftler. Derzeit bin ich insgesamt ziemlich bei „Off the Record“ und „Radio Infinity“ eingespannt. Den Gedanken an Enos und was es damit nun im Kern auf sich hat, schiebe ich ganz bewusst weit weg.
Ich drehe mich um.
„Redaktionsalltag eben. Neues lernen.“
Hermieoth nickt, geht weiter und fragt andere Gäste nach ihren Plänen.
Wir stehen gemeinsam auf der Hangarplatte der 890 Jump von Friedrich Winters. Hermieoth hat das Schiff anlässlich von „Stella Fortuna“ gechartert. Mit mir sind noch gut zehn andere Personen an Bord. Friedrich hatte sein Flaggschiff gekonnt pünktlich zum Sonnenaufgang auf Microtech gelandet. Hier oben, fast am Pol des Planeten, dauert dieser allerdings recht lang. So starren wir hinaus in die Kälte und frieren, während wir uns an unseren Biergläsern festhalten.
„Noch ein Bier?“
„Ja, bitte.“
Mr. Hide reicht mir eines.
Mittlerweile habe ich verdaut, dass ich ausgerechnet ihm an Bord des Schiffes wiederbegegnet bin – in der Uniform eines Kellners. Letztens erzählte er noch, dass er ein Auftragsmörder sei, der mich vor dem Ghosting bewahren will, nun bewirtet er Gäste auf einem Luxusdampfer. Aber, wie es scheint: Offenbar alles nur Tarnung. Wie hatte er gesagt? „Er schlüpft in verschiedene Rollen, um seine Gegner und Umgebungen auszukundschaften.“
Ich nehme das erst einmal so hin, wie auch die Geschichte seiner plötzlichen abenteuerlichen Flucht bei unserer ersten Begegnung vor meinem Redaktionsbüro auf ArcCorp. Offenbar waren er und sein Kollege von Hurston-Dynamics-Agenten verfolgt worden, erst in Pyro konnten sie sie abschütteln. Zu meiner Überraschung weiß Mr. Hide vom abgestürzten Killer-Satellliten auf Hurston. Was für eine vermaledeite Geschichte. Sie wird mich wohl noch eine Weile verfolgen…
Nachdem die Sonne aufgegangen ist, wir erneut abgehoben haben und auf dem Rückweg nach Port Tressler sind, werde ich schließlich noch ganz konspirativ in eine der Bordkabinen gebeten. Irgendeine Cecilie Abendroth sei von der so genannten „Blutroten Front“ entführt worden – der Name sagt mir sogar etwas…doch Herrgott, was habe ich damit zu tun? Ich werde gebeten, die Augen offen zu halten. Na klar, versichere ich, kein Problem – und denke mir meinen Teil. Ich habe schon genug Probleme am Hals. Wir werden sehen, was das Jahr weiterhin bringen wird.
Journal-Eintrag 24 / 03 / 2952
Herrgott, immer diese Heimlichtuerei! Von wem ist das nun wieder? Keine Ahnung, warum jeder im Stanton-System glaubt, sich hinter einer Fassade verstecken zu müssen. Gottlob bin ich schon auf Port Tressler. Ich schäle mich aus meinem Hub, ziehe mir nur Hose und Short rüber und bin auf dem Weg zur Bar. Dort treffe ich auf eine Person, die neben Vollmontur-Rüstung auch ihren Helm trägt. Darunter ist ihre Stimme kaum zu erkennen.
„Kommen Sie, wir gehen hinten in eine Ecke, wo uns niemand belauschen kann…“
„Okay.“
„Kaum sind wir ein paar Schritte gegangen, Geräusche von Spielautomaten übertönen nun unsere Stimmen, nimmt die Person ihren Helm ab.
Darunter: Friedrich Winters.
„Friedrich…was soll die Maskerade?“
„Zur Sicherheit. Auf den Stationen haben die Wände Ohren.“
Ich blicke ihn verständnislos an.
„Aha…nun, worum geht’s denn?“
Dann klärt er mich auf: Er werde von einem Unbekannten erpresst, soll mit seiner „Nordlicht Eins“ demnächst einen Drogenkurierauftrag übernehmen. Der geplante Anschlag während seines zweiten „Scenic Cruise“ in Stanton sei quasi eine Warnung gewesen und sollte an mir ein Exempel statuieren. Ich erinnere mich an die verschlüsselte Nachricht, die mir Friedrich unlängst geschrieben hatte: So war im Vorfeld des Cruise an Bord der „Nordlicht Eins“ ein Weapon-Rack gehackt worden. Dabei wurde ein zusätzlicher Account angelegt, über den der Waffenschrank geöffnet und während des Cruises von Personen mit diesen Zugangsdaten Waffen hätten entnommen werden können. Bis jetzt weiß Friedrich noch nicht genau, worum es tatsächlich geht.
Ich erzähle ihm meinerseits, dass auf der „Stella Fortuna“-Tour ebenjener Attentäter als Bedienung getarnt an Bord gewesen sei und mit mir mittlerweile Kontakt aufgenommen habe. Friedrich fällt daraufhin aus allen Wolken.
„Er war an Bord? Warum hast du mir nicht Bescheid gesagt?“
„Na, weil ich dachte, dass Ihr euch mittlerweile kennt…“
„Nein, wieso sollten wir? Ich weiß nur, dass er auf dem Scenic Cruise von den Helldivern erschossen worden ist.“
Ich berichte alles, was ich über Mr. Hide inzwischen weiß, dass wir ihm zunächst nicht über den Weg trauen und gemeinsam schauen, wie es sich weiterentwickelt. Dann sprechen wir noch ein wenig über seinen Enkelsohn Husky, dass ich von ihm beeindruckt bin und glaube, dass er sein Herz am rechten Fleck hat. Schließlich trennen wir uns wieder. Stanton ist eben ein heißes Pflaster. Jeder versucht hier, seinen Hintern an die Wand und etwas vom großen Kuchen abzubekommen.
Journal-Eintrag 09 / 04 / 2952
Friedrich etabliert sich langsam mit seinem Unternehmen Nordlicht Aviation. Mich freut das sehr, dass er so gut Fuß fasst. Diesmal wird die „Nordlicht Eins“ von „Gate Catering“ gebucht, offenbar eine noch junge Firma, die im Stanton-System Handel aller Art betreiben will. Für ein fliegendes „Come together“ lädt Gate nun zu einem exklusiven Sightseeing-Trip über die Monde von Crusader ein – und auch ich erhalte eine Einladung. Ich weiß nicht, wie man auf mich, beziehungsweise „Off the Record“ aufmerksam geworden ist, vielleicht hatte auch Friedrich seine Finger im Spiel – egal. Neue Kontakte sind immer gut. Nur wer sein Ohr am Zeitgeschehen hat, bleibt auf dem Laufenden.
Wir treffen uns auf der Piratenstation Grimhex. Nicht der schönste Ort, um eine Exklusiv-Rundreise zu beginnen. Vor Ort laufe ich Zero in die Arme – auch er hat eine Einladung erhalten. Wir freuen uns, dass wir uns nach einiger Zeit endlich wieder sehen. Im Gegensatz zur mir hat er aber die Hose voll. Ihm sitzt sein Erlebnis auf der „Renaissance“ noch in den Knochen. Ich erzähle ihm lieber nicht vom Beinahe-Anschlag auf der „Nordlicht Eins“ beim letzten Scenic Cruise.
„Wird schon gut gehen. Ein bisschen Abenteuer darf schon sein“, sage ich.
Ich checke ihn mit den Augen ab. Zero ist unter seiner Rüstung mit Waffe und Messer bis an die Zähne bewaffnet. Ich schüttele den Kopf – er ist ein smarter Junge, aber manchmal echt ein Angsthase. Erst nachdem wir mit Kjeld Stormarnson gesprochen haben, der mit seiner Tyr-Truppe die Sicherung der Tour übernimmt, wirkt Zero ruhiger. Später wird sich noch rausstellen, dass ihn sein Gefühl nicht trügen sollte.
Wir sollen mit kleinen Transportschiffen zur „Nordlicht Eins“ gebracht werden – warum auch immer der Veranstalter das für eine gute Idee hält. Noch dazu sind sie an der letzten Abbruchecke der alten Bergbaustation geparkt. Wir müssen dorthin schweben. Die Schiffe sind nicht nur extrem klein und ungemütlich, man kommt im freien Schwebeflug auch kaum in sie hinein. Ich breche mir jedenfalls fast das Genick dabei.
„Das ist kein Shuttle, das ist ein Gefangenentransport“, entfährt es Zero. Irgendwann bin ich endlich drin in der Sardinenbüchse. Der Pilot hebt ab und fliegt zur „Nordlicht eins“, die offenbar zwischen den Asteroiden geparkt hat. Wir wissen nicht, ob und was der Pilot genommen hat. Jedenfalls dauert es eine gefühlte Ewigkeit, bis er den riesigen Hangar der 890 Jump getroffen hat.
„Wenn das so weiter geht, wird es noch lustig“, sagt Zero.
Ich wage nicht zu widersprechen. Kaum an Bord, erfahren wir, dass der Veranstalter, Gate, gar nicht vor Ort ist. Zero blickt mich vielsagend an. Wir sollen uns umziehen – aber in den zur Verfügung gestellten Klamotten sehen wir so bescheuert aus, dass wir beschließen, lieber unsere Raumanzüge zu tragen. Wer weiß, wofür es noch gut sein wird.
„Irgendwas stinkt hier ganz gewaltig.“
Ich nicke. Dann laufen wir auf das große Panoramadeck. Mit uns sind lauter mir unbekannte Personen an Bord – dann aber entdecke ich eine Berühmtheit aus dem Spektrum: Oliver Zark, Journalist wie ich, Medienmacher mit eigener Show zu allen aktuellen Themen im Stanton-System, ein echter Star.
Während an dem Schiff große Asteroiden vorbeiziehen, fasse ich mir ein Herz und spreche ihn an. Ich erfahre, dass er immer gleich mehrere Reporter im Feld habe, dass sein Unternehmen auch noch im Aufbau sei, aber schon große Aufmerksamkeit genieße. Klar, News-Shows sind immer noch etwas anderes als Zeitungen. Mich freut, dass wir in einem entscheidenden Punkt übereinstimmen: Die Macht der großen News-Orgs ist viel zu groß. Sie berichten einfach nicht mehr unabhängig. Es brauche mehr kleine, freie Redaktionen wie uns. Ich erzähle von unserem Scoop über die „Killersatelliten“. Er will sich der Sache vielleicht auch annehmen – dann machen wir noch ein wenig Smalltalk. Ich bin froh, einem waschechten, anderen Journalisten über den Weg gelaufen zu sein.
Zero ist mittlerweile abgetaucht – im Wortsinn. Wie ich später erfahre, hat er sich aus der illustren Runde verkrümelt und in ein Spa im Bauch des Schiffes zurückgezogen. Er ist eben keiner für die erste Reihe. Kurzum: Alles scheint seinen geregelten Gang zu gehen, wenn auch mit kleinen Hindernissen, als es plötzlich Tumult gibt – einer der Gäste zieht seine Waffe und auch Zark ist plötzlich mittendrin. Aus dem Mündungslauf seiner Waffe steigt Rauch auf. Friedrich eilt herbei. Wie sich herausstellt, will sich Zark lediglich verteidigen. Dummerweise wird er von einer Security ausgeknockt. Der Angreifer wird unter Arrest gestellt. Mir kommt unterdessen eine alte Weisheit in den Sinn: „Niemals den Journalisten schlagen.“
Das gibt nur schlechte Presse.
Friedrich handelt die Situation jedoch souverän, klärt die Situation und stellt Zark gleichzeitig zur Rede, warum er überhaupt eine Waffe mit an Bord gebracht habe. Dann beruhigt sich jedoch alles wieder. Wir nehmen in der Bar ein paar Drinks, als die „Nordlicht Eins“ plötzlich von außen angegriffen wird – von einem schweren Eclipse-Trankappen-Bomber. Es ist offenbar der Kompagnon des unbekannten Angreifers. Die Tour muss abgebrochen werden, auch wenn niemand zu Schaden kommt. Ich versuche in Zarks Gesicht zu lesen, was er von alldem hält … auf den Bericht bin ich jedenfalls gespannt.
Es war jetzt das zweite Mal innerhalb kürzester Zeit, dass auf die „Nordlicht Eins“ ein Anschlag verübt wurde – einmal als ich an Bord war, einmal mit Zark an Bord. Sollen wir kleinen Medien etwa mundtot gemacht werden? Oder steckt noch mehr dahinter? Zero hat jedenfalls ziemlich die Nase voll – und sobald wir gelandet sind, machen wir uns vom Acker. Ich habe aber das dumpfe Gefühl, dass ich von diesem Gate noch öfter hören werde.
Journal-Eintrag 23 / 04 / 2952
Zero ist nun unter die Hehler gegangen…ich habe vor ein paar Tagen eine Einladung von ihm bekommen, ein paar exklusive Rüstungen von ihm kaufen zu können. Ich lach mich echt schlapp – eine Modenschau mit Helm. Gut, warum eigentlich nicht?
Also habe ich zugesagt und nachdem Zero uns am Spaceport von Lorville zunächst in eine bildhübsche Cutlass eingeladen und diese dann in einer versteckten Senke auf Hurston gelandet hat – seinem so genannten „Rabbit Hole“ – geht es auch schon los: Wer will eine Piratenrüstung der Ninetails? Eine Rüstung von Hurston Dynamics? Einen goldenen Helm mit Verzierungen? Mit mir sind noch ein paar andere potentielle Käufer mit dabei. Zero schwört, dass er für die Rüstungen niemanden umgebracht hat, sondern ihm alles zugeflogen sei, was immer das auch heißen mag. Bei der Hurston-Rüstung werde ich fast schwach, mit ihr könnte man sich vielleicht unerkannt Zugang in gesperrte Bereiche verschaffen – andererseits: Fliegt man damit auf, steht man endgültig auf einer schwarzen Liste bei Hurston-Dynamics.
Die anderen Mitbieter überbieten sich in ihren Geboten. Es geht teils bis auf 15.000 Credits hoch und Zero macht einen ordentlichen Reibach. Nun, gut für ihn – mir wird dieses Geschäftsgebaren immer ein wenig verschlossen bleiben. Auch habe ich keine Lust für eine Firma Werbung zu laufen. Oberstes Gebot für einen Reporter ist schließlich so viel Neutralität wie möglich. Irgendwann hat Zero schließlich seinen Bauchladen geleert und wir fliegen zurück. Ich nehme mir ein EZ Hub, haue mich eine Runde hin. Zero muss noch was erledigen. Er ist einfach ein extrem umtriebiger Kerl. Etwas geht bei ihm immer.
Journal-Eintrag 01 / 05 / 2952
Ich erinnere mich an die Meldung in „Radio Infinity“ während ich vor dem Fluss stehe:
Schmelzwasser, eine unbekannte Bodenquelle oder wochenlanger Regenfall: Wissenschaftler rätseln aktuell über einen neuen, reißenden Fluss, der sich auf dem Planeten Microtech gebildet hat. Er zieht sich durch die Tundra und wurde erst kürzlich entdeckt. Die Frage, die sich die Wissenschaftsgemeinde stellt, lautet nun: Nimmt das gescheiterte Terraforming-Experiment Microtechs doch noch ein glückliches Ende? Der Planet ist schließlich viel kälter und unwirtlicher geworden, als ursprünglich geplant. Ist dies daher vielleicht sogar der Anfang einer Gesamt-Transformation des Planeten? Oder doch eher eine Ausnahme? Fest steht, dass der Fluss mittlerweile zahlreiche Glücksritter anzieht – sie vermuten, dass das Gewässer Bodenschätze aus der Erde ausspült, zum Beispiel Gold. Branchenbeobachter glauben, dass sogar ein regelrechter Goldrausch auf Microtech bevorstehen könnte.
Wie grundsätzlich unterschiedlich die Planeten doch sind – vor wenigen Tagen erst habe ich Gabriel „Husky“ Winters aus der Luft ein wenig Geleitschutz über einem Bunker auf Hurston gegeben, um eine Mission für einen gewissen Clovus Darneely abzuschließen, der wohl in Lorville eine große Nummer ist. Eine Platine musste in dem Bunker gesichert werden. Um den Bunker herum: nur verbrannte Erde, ein paar Kakteen, die sich im Boden festkrallen. Jetzt das: eine Landschaft, wie sie ein Impressionist nicht schöner malen könnte, ein leise vor sich hinplätschernder Fluss, Friedfertigkeit wohin man schaut. Es ist immer wieder schwer diese beiden Antipoden unter einen Hut zu bekommen…
Und: „Radio Infinity“ ist heute ein Jahr alt geworden. Seit einem Jahr bin ich mit diesem Sender zugange – und habe allerhand gelernt. Radio, das ist etwas völlig anderes als Zeitung. Beides erfordert redaktionelles Denken und Können – aber Radio ist einfach immer am Puls der Zeit. Kurzum: stressiger, schneller, unmittelbarer. Es war interessant und aufregend zu sehen, wie der Sender entstanden ist, Teil davon zu sein, auch habe ich hierüber Nick Cartago kennengelernt. Ich bin gespannt wohin sich der Sender noch entwickelt…der Himmel weit, die Gedanken frei. Es steht uns ein ganzes Universum offen.
Wie schrieb Chefredakteur Paul Mason doch gleich in seiner kurzen Radioinfo?
„In eigener Sache. Radio Infinity wird am ersten Mai 2952 ein Jahr alt. Chefredakteur Paul Mason bedankt sich bei allen Zuhörern und freien Mitarbeitern die geholfen haben, den Sender aus der Taufe zu heben. Der Sender hat sich bereits im ersten Jahr seines Bestehens als eine der wichtigsten Informationsquellen im gesamten Empire etabliert. Rund 15.000 Hörerstunden sprechen eine eindeutige Sprache. Die gespielte Musik ist so abwechslungsreich wie das Verse und seine Bewohner. Ein breit aufgestelltes Showprogramm rundet das Senderangebot ab. Für das kommende Jahr sind viele neue Shows in der Pipeline und auch der Mitarbeiterstamm soll weiter aufgestockt werden. Radio Infinity hat seinen Sitz auf dem Planeten ArcCorp im Stanton-System. Er ist politisch unabhängig und neutral.“
Wohin wird uns unser Weg führen?
Im Bauch des Verse
In einer Raffinerie entsteht der Wohlstand von morgen – unter großer Hitze und entsetzlichem Lärm
Von John Brubacker
Im Bauch des Verse rumort es. Es brodelt und blubbert, es gurgelt und gluckst. Und es ist heiß. So heiß, dass man sich am liebsten alle Klamotten vom Leib reißen möchte. Der Schweiß fließt am Körper den Rücken hinunter, er tropft von der Stirn in die Augen, der Mund ist trocken und ausgedörrt. Es wirkt, als hätte sich das Innerste nach Außen verkehrt – Rohre, wohin man blickt. Sie verlaufen horizontal, vertikal, kreuzen sich, laufen zusammen und auseinander oder verlieren sich in der riesigen Halle im Hitzedunst in der Ferne. Außerdem ist es entsetzlich laut. Nein, dies kein Ort, an dem man länger als unbedingt nötig bleiben möchte.
Der Kontrast könnte nicht größer sein: Statt auf Hochglanz polierter Showrooms der großen Waffenhersteller des Stanton-Systems mit geschniegelten, wohlwollend lächelnden Herrn hinter ordentlich aufgeräumten Tresen, ist hier alles roh, brutal, gewalttätig. Eine Erz-Raffinerie ist alles andere als ein Ort für Feingeister. Das Leben selbst ist hier am Werk. Sicher: Vieles ist längst automatisiert. Die Zeiten, in denen Menschen wie auf der Erde selbst an Hochöfen stehen mussten, um aus geschmolzenem Metall Stahlträger zu ziehen, sind längst vorbei – und doch: Ohne auf Effizienz getrimmte Produktionslinien, ein choreographiertes Ballett aus riesigen Stahlkesseln, Verdampfern, Verdichtern, Schiebern, kleinen wie großen Tanks wäre das Verse, wie wir es heute kennen, nicht denkbar – anfangen vom Mobiglas bis hin zum Großkampfraumschiff.
Alles naselang stolpert man über Warnschilder, die auf dies und jenes hinweisen, während man seinen Weg durch das Labyrinth sucht, das die Raffinerie im Innersten aufspannt und es gleichzeitig zusammenhält. Es geht Leitern hinauf und hinab, vorbei an vermummten Mitarbeitern unter hitzebeständigen Schutzanzügen, dann schnurgerade lange Gänge entlang, bis man plötzlich vor einem der riesigen Kessel steht, in den wie aus heiterem Himmel plötzlich in einem Feuerstrahl geschmolzenes Erz spritzt. Es ist gleichzeitig ein letzter und erster Akt. Ein letzter Akt, weil nach all der Mühsal da draußen, einsam mit einer Prospector auf einem Mond beim Mining, hier das gewonnene Erz nun seiner Bestimmung zugeführt wird: etwas zu werden, sich zu transformieren und neue Gestalt anzunehmen. Ein erster Akt, weil sich das geschmolzene Rohmetall nun durch dicke wie dünne Rohre quetschen und winden muss, um zu Legierungen weiter veredelt zu werden. Auf gewisse Weise ist es auch ein Geburtsprozess.
Fünf solcher Raffinerien gibt es im Stanton-System – jede hat ihre Stärken und Schwächen. Manche raffinieren schneller, dafür aber mit geringem Output, andere setzen auf das gegenteilige Konzept. Allen gemeinsam ist jedoch das zugrunde liegende Verfahren – schmelzen, reinigen, veredeln. Kurzum: Mehrwert schaffen. Überall finden sich Schemata, wie der Prozess genau abläuft, gleichwohl ist dieser nur von Fachleuten der Raffinerie zu verstehen. Klar aber ist: Der Prozess ist aufwändig, langatmig – und energieintensiv. Und: An jedem Punkt der Wertschöpfungskette steht eines über allem: Gewinnmaximierung. Hier, in einer Raffinerie wird manifest wie nirgendwo sonst: Beim Empire des Jahres 2952 handelt es sich um ein ultra-kapitalistisches System.
Wie immer und überall im Verse gilt es, eine gescheite und wohl kalkulierte Kosten-Nutzen-Rechnung zu machen – auch in den hinteren Verkaufsräumen der Raffinerie, in denen man sich fürs Mining ausrüsten oder seine gewonnenen Erze und Mineralien zur Weiterverarbeitung ins System speisen kann. Wer sich durch die Terminals mit ihren Zahlenkolonnen und Berechnungsformeln ackert, merkt schnell: Es ist ein kompliziertes Geschäft. Man braucht viel Erfahrung, die sowohl diesseits als auch jenseits des an die Station angeflanschten Industrie-Komplexes sowie auch beim Prozessvorgang selbst erst nach und nach gewonnen werden muss – mit kleinen seismischen Bomben etwa, händisch platziert, die fast schon automatisch die Felsbrocken im All in die Luft jagen. Mit besonders starken Lasern, die sich innerhalb von Sekunden bis ins Herz eines Felsens fressen. Mit Handmining-Geräten, um auch noch das letzte bisschen Profit aus einem Stück Stein zu extrahieren.
So läuft man beeindruckt und bewusst der um einen wallenden Kräfte durch die riesigen Hallen, fast ehrfürchtig – und doch geerdet: Nichts im Verse fällt vom Himmel, alles ist menschengemacht, dem Verse oft unter widrigsten Bedingungen abgetrotzt: Kristalle, Mineralien, Erze. Dazu zählt etwa Quantanium, ein instabiles Mineral, das auf Asteroiden abgebaut und zu Quantentreibstoff veredelt werden kann. Einmal abgebaut, zerfällt Quantanium mit der Zeit. Mechanische Belastung, zum Beispiel durch heftige Stöße, beschleunigt den Abbau. Die Zerfallsprodukte können ab einer bestimmten Konzentration sogar Explosionen verursachen. Solche kritischen Material-Eigenschaften müssen bei der Weiterverarbeitung natürlich bedacht und beachtet werden – schon ein geringes Leck in einer Leitung, verursacht durch ein kleine, unbemerkte Verpuffung, kann katastrophale Folgen haben.
Andere Bodenschätze der verschiedenen Planeten und Monde sind hingegen handzahmer und ungefährlicher – wie Laranit, ein leicht radioaktives, kristallines Mineral. Wegen seiner schwarzen Färbung mit dunkelroten Schlieren findet es sogar Verwendung als Schmuckstück. In großen Mengen kann es jedoch wiederum auch zu Verstrahlung führen: „Vorsicht radioaktiv“-Warnzeichen deuten innerhalb der Raffinerie jedenfalls darauf hin. Gold indes hat im 30. Jahrhundert nichts von seiner Faszination eingebüßt, die es seit jeher schon auf den Menschen ausübt. Dennoch muss sich das Metall seinen begehrten Status mit dem Aufbruch des Menschen ins All mit anderen Bodenschätzen teilen.
Man könnte den Reigen der im Verse abbaubaren Stoffe samt ihrer Eigenschaften noch lang und breit erörtern. Ihre klangvollen Namen Dolivin, Agricium, Bexalit, Hephaestanite oder Korundium verraten aber selbst schon viel über die Vielfältigkeit und Vielschichtigkeit des Universums und seiner Schätze. Wichtiger ist indes: Letztlich kommen all diese Grundbaustoffe des Wohlstandes hier zusammen, feiern quasi ein kurzes Stelldichein, wo auch immer sie herstammen, gleichzeitig jedoch reduziert auf ihre molekularen wie spezifischen Eigenschaften und ein paar Zahlenwerte – nur um dann wieder auseinanderdividiert und auf jeweils eigenem Wege weiterverarbeitet zu werden. Die Raffinerie ist der Ort, an dem man gewahr wird: Ohne sie geht nichts im modernen Universum. Sie schaffen den Wohlstand von morgen. Mehr noch: Sie sind die Ursuppe, aus der das gesamte Leben gestrickt ist – eine Ursuppe, die gluckst und gluckert im Bauch des Verse. Der Rest da draußen ist Gestein, Helium, Wasserstoff, ein paar Edelgase und der Willen, sich das Universum untertan zu machen.
Journal-Eintrag 14 / 05 / 2952
Ich war von der Raffinerie eingeladen worden, sie mir auf eigene Faust einmal in Ruhe anzuschauen. War echt interessant muss man sagen – Mining, wird aber nie mein Ding werden. Viel zu kompliziert, dafür muss an echt geboren sein. Zero hat mich begleitet – er hat mir guten Input für die Geschichte gegeben, Naja, er ist auch ein versierter Steineklopfer. Habe übrigens neue Nachricht von Mr. Hide – Husky weiß wohl alles über die ominöse Ghosting-Drohung gegen meine Person. Werde ihn jetzt mal anhauen, was es damit auf sich hat. Zeit, hier mal ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
Journal-Eintrag 19 / 05 / 2952
Säuberung eines Drogenlabors auf Microtech. Friedrich Winters hat mich angepingt, ob ich da vielleicht dabei sein möchte. Warum nicht? Ein wenig Action geht immer. Wir treffen uns auf Port Tressler – gemeinsam mit lauter mit unbekannten Personen. Wir fliegen mit der „Frost“, einer Carrack und zweites Flaggschiff der „Nordlicht Aviation“. Wie immer bin ich viel zu schlecht ausgerüstet. Eine Person hilft mir aus – mit einem Anzug der so dick ist, dass ich mir darin gleich doppelt so breit vorkomme. Nach kurzem Briefing geht es hinab auf den Planeten. Die Geschütztürme werden besetzt, aus der Luft nach und nach die Flakgeschütze ausgeschaltet. Danach wird gelandet und ich will mit hinaus – doch mir fehlt ein Helm. Herrje, wenn man nicht an alles denkt! Also bleibe ich an Bord und höre über Funk mit, wie der Bunker von den Spießgesellen befreit wird. Irgendwie bin ich aber auch froh, dass ich nicht mit runter muss. Draußen herrschen Minus 70 Grad Celsius und es ist stockdunkel. Man kann es auch übertreiben mit der Einatzfreude. Ich belasse es diesmal dabei, genieße die wunderschöne Winterlandschaft. Die nächste Action kommt bestimmt.
Journal-Eintrag 22 / 05 / 2952
Es ist wieder Invictus Launch Week – Flottenwoche der Navy. Diesmal findet die Messe auf Orison über dem Gasriesen Crusader statt – eine gute Gelegenheit, dort man wieder vorbeizuschauen. Ich war jetzt schon lange nicht mehr auf der Wolkenstadt zu Besuch. Der Anflug ist einfach extrem langwierig. Mich würde mal interessieren, was die Navy Crusader Industries dafür gezahlt hat, damit sie ihre Rekrutierungsshow auf einer der schwebenden Plattformen abhalten kann.
Während de Anflugs denke ich an Friedrich Winters, der sich darüber sehr echauffieren kann, dass vermeintlich zivile Schiffshersteller wie Crusader Industries Orbitalbomber wie die C2 Hercules auf den Markt bringen und damit ein Heidengeld verdienen. Nun ja, Credits regieren eben die Welt, das war schon immer so. Und das wird wohl auch immer so bleiben, egal wie groß das Universum ist. Die Flottenwoche ist ein Beispiel dafür, schließlich geht es im Kern neben der Rekrutierung von jungen Soldaten auch hier darum, Kriegsanleihen zu finden.
Ich blicke während des Anflugs aus meiner „A.C. Clarke II“, die Wolkenstadt ist einfach beeindruckend, an mir ziehen die riesigen Plattformen vorbei – doch der Anflug hat es nach wie vor in sich. Es ist ein echtes Suchspiel den August-Dunlow-Spaceport zu finden. Schließlich, nach reichlich Geduldsspiel, finde ich ihn aber und sitze bald nach der Landung im Hovercraft, das mich zur Messe bringt. Diese liegt ziemlich ab vom Schuss und ich frage mich, ob sich die Navy damit einen Gefallen getan hat. Ich erinnere mich noch, wie ich im vergangenen Jahr die kleine Besichtigungstour auf der Javelin „Warhammer“ unternommen habe. Auch dieses Jahr lässt sich die Navy wieder hinter die Kulissen blicken. So patroulliert auch der Bengal Carrier, eines der größten Schiffe der Navy überhaupt, wieder im System. Beim letzten Mal habe ich das riesige Schiff verpasst, diesmal will ich es unbedingt einmal aus der Nähe sehen.
Ich bin froh, dass ich diesmal keinen Bericht schreiben muss, auch „Radio Infinity“ hat nicht angefragt. So lasse ich mich einfach treiben, tauche in der Masse unter. Viele Raumschiffe habe ich aber auch schon auf den zurückliegenden beiden Messen gesehen, so dass ich das Gelände bald wieder verlasse. Fast schon als Pflichtprogramm laufe ich noch einmal über die angedockte Javelin, dann schnappe ich mir eine Reliant Mako, die uns „Radio Infinity“-Chefredakteur Paul Mason zur Verfügung gestellt hat und cruise ein wenig über dem Messegelände. Schließlich verlasse ich Orison wieder und steuere Port Olisar über dem Gasplaneten an – und traue meinen Augen nicht. Dort kreist der der Bengal Carrier, majestätisch und durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Begleitet von zwei Corvetten der Idris-Klasse.
Ich fliege so nah es geht, an das Schiff heran – was für ein riesiges Ungetüm, ein echter Sternensystem-Dominator. Selbst aus gebührendem Abstand füllt seine Größe meine gesamte Cockpitschreibe aus. Ich drehe diverse Runden, dann fliege ich selig nach Port Olisar. Irgendwie hat der Anblick der idris in mir eine Saite zu klingen gebracht – aber ich weiß nicht wieso. Irgendetwas schlummert da… wenn ich nur wüsste…
Journal-Eintrag 27 / 05 / 2952
Nick Cartago und ich gemeinsam unterwegs in einer Reliant Mako von „Radio Infinity“ – wir besuchen gemeinsam noch einmal die Flotte der Invictus Launch Week, cruisen über Hurston, erfreuen uns an unserer guten Zusammenarbeit. Radio verbindet eben, nicht nur musikalisch. Wenige Tage noch, dann wird Nick zu einer großen Reise aufbrechen, irgendein geheimer Frachtauftrag, wie er andeutet. Er scheint aufgeregt und auch ein wenig nervös zu sein. Er wird mir schon noch erzählen worum es geht. Zunächst aber genießen wir den wunderschönen Sonnenaufgang über Hurston. Zeit, ein wenig abzuschalten.
Im Drogensumpf
Ich sitze ich meiner Redaktion und denke über dies und jenes nach – wie wird es mit Project Enos weitergehen? Wie sieht’s aus mit den Killer-Satelliten? Fiete ist schwer damit beschäftigt, sein Unternehmen „Nordlicht Aviation“ aufzubauen und sich gegen Widerstände zu behaupten. Zero ist wieder mal untergetaucht und hilft mit irgendwelchen Schmuggel-Aktionen auf Lorville. Und Nick Cartago ist seit gut zwei Wochen unterwegs auf einem „Spezialauftrag“, wie er mir sagte. Wollte mir nicht mehr erklären…wäre aber mal interessant zu wissen, was…
Mein Mobi summt – wenn man vom Teufel spricht.
„Nick, gut, dass du anrufst. Ich muss ein paar Sachen mit dir besprechen. Hast du ein paar Minuten?”
„Ich muss dich auch sprechen. Du bist schon in deiner Redaktion?“
„Ja, und du offensichtlich auf dem Weg hierher, wie ich sehe…“
„Ja, genau.“
„Dann bis gleich.“
Gut eine halbe Stunde ist er in der Redaktion – und tischt mir eine unglaubliche Story auf: Er hat illegal zwei Renn-Raumschiffe vom Stanton-System auf einen Urlaubsplaneten ins Tohil-System gebracht. Beim Weg durch das gesetzlose System Pyro wird seine Crusader Hercules C2 jedoch von Piraten aufgebracht und es zeigt sich, dass er Unmengen der Droge Maze in einer Transportkiste mit an Bord hat. Die Piraten lassen Nick und seinen Begleiter Gabriel aber überraschend laufen. Später stellt sich heraus, dass Nicks Auftraggeber Amado hinter dem Schmuggel steckt – wiederum im Auftrag der Advocacy, die offenbar einen schwunghaften Handel mit der Droge in dem System und darüber hinaus betreibt.
…eine knappe Stunde später habe ich mehrere Seiten in meinem altmodischen Block voll geschrieben und gehe meine Notizen einmal kurz durch.
„Du musst das sofort in einer Sonderausgabe von Off the Record veröffentlichen, sonst bin ich tot und Pyro implodiert.“
„Ich soll die Verschwörungstheorie eines Drogendealers veröffentlichen und mich ohne irgendeinen handfesten Beweis für seine Story mit der Advocacy anlegen? Ich glaube dir ja, und ich weiß genau, wie es ist, in der Schusslinie zu stehen. Und deine Story ist so unglaublich, so etwas denkt sich niemand aus. Aber ohne belastbares Material …”
Nick ringt mit den Händen.
„Warte … hier … das habe ich dir noch gar nicht gezeigt. Auf dieses Pad habe ich Daten von Amado aufgespielt. Er meinte, sie würden die Machenschaften beweisen. Ich habe da auch schnell was gefunden. Schau dir mal das da an, vielleicht erinnerst du dich noch? In einer Sendung Tracker im April 2945 beschuldigte Dr. Ramsey seine ehemalige Forschungspartnerin Dr. Eva Anwar der Kindesentführungen im Oya-System, offenbar, um das von ihr hergestellte synthetisierte Drift an ihnen zu testen.“
Ich nicke – ich weiß noch, wie empört und geschockt ich über den Vorfall war.
„Ja, davon hatte ich gelesen. Kurz danach wurden Interna der Advocacy geleaked. Coms, die ihre Verhaftung durch einen Special Agent belegten.”
„Genau, die Operation Forseti. Schau hier…“
Ich atme tief durch.
„Wenn ich das hier richtig verstehe, dann hat Special Agent Rebecca Trejo deinen Amado als Köder für Dr. Anwar eingesetzt. Das beweist aber noch nicht, dass Agents selbst in den Drogenhandel verwickelt sind.”
„Nur dass Amado damals noch Ricky Terrada hieß… Schau mal: Ich habe hier noch was, das wird dir gefallen.”
Nick greift in seine Tasche und fördert einen ziemlich mitgenommenen Ausdruck zu Tage.
„Hier, das ist ein Ausdruck aus dem Ark-Archiv mit handschriftlichen Notizen. Und hier ein großes R und T. Schöne Handschrift, ich würde sagen, die gehört einer Frau.”
Ich blicke recht fassungslos auf das Papier.
„Die größten Drogendealer in der Menschheitsgeschichte?“
Dann lese ich es halblaut:
Der „Herr des Himmels“
Er begann seine Karriere als Drogendealer eines kolumbianischen Kartells. Seinen Lohn wurde in Kokain ausgezahlt. Er verkaufte es über ein eigenes Netz von Vertriebspartnern weiter. Um 1980 führte er mehrere Kartelle zu einem Verband zusammen. Das machte ihn zum Herren über die Hälfte des gesamten Drogenhandels von Süd- und Nordamerika. Amando Carillo Fuentes begann aktiv, Flugzeuge zu nutzen, um Drogen zu transportieren. Seine Flotte umfasste auf dem Höhepunkt seiner Karriere rund 700 Flugzeuge. Es machte ihn zu einem der meistgesuchten Menschen der Erde. Amando Carillo Fuentes starb angeblich während einer erfolglosen plastischen OP.
„Hmmm…”
„Willst du meine Theorie hören?“, fragt Nick.
„Unbedingt!”
„Es ist im Grunde recht simpel: Special Agent Trejo hat einen Decknamen gesucht. In ihrer internen Mitteilung führt sie an, dass ihr Informant aus den Akten rund um die Operation Forseti gelöscht und sie dazu befugt wurde, ihn verdeckt weiter einzusetzen. Sie verpasst ihm einen unbefleckten Namen und hilft bei seinem Aufstieg zum Drogenbaron. Dieses Papier belegt, dass sie von Beginn an mehr mit Ricky Terrada im Sinn hatte. Sie erschafft 1000 Jahre nach Amando Carillo Fuentes unseren Amado Fountain. So eine Namensverwandtschaft klingt für mich eindeutig nach dem feuchten Traum eines Special Agent und weniger nach Zufall.“
Ich habe das Gefühl, in einem schlechten Kriminalroman gelandet zu sein. Gleichzeitig halte ich das Papier in den Händen und analysiere es eingehend.
„Hörst du mir noch zu?“
„Ja…hübsche Theorie, könnte einer Krimi-Kolumne entstammen. Ein wenig zu unterhaltsam für meinen Geschmack”, sage ich schließlich. Ich halte Blatt an meinen ausgestreckten Armen vor mich. Die Strahlen der untergehenden Sonne bringen das Wappen der Advocacy darauf zum Leuchten.
„An dir ist vielleicht doch ein guter Ermittler verloren gegangen, zu blöd nur, dass du dich hiermit nicht bewerben kannst.”
Ich drehe mich zu Nick um.
„Papier lügt nicht, deswegen liebe ich es. Dieser Ausdruck stammt definitiv von der Advocacy, das Papier mit deren Wasserzeichen wird ausschließlich auf deren Dokumentendruckern verwendet.”
„Na, da hast du’s. Da ist dein Beweis!”
“Ja, das ist echt gut, aber das langt nicht für eine aufrüttelnde Enthüllungsstory.”
„Verdammt nochmal Bru, meine Uhr tickt. Vielleicht hat die Chaoshan-Crew schon ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt. Mann, ich brauch’ deine Hilfe!”
„Schon gut, jetzt atme erstmal tief durch. Gehen wir lieber mal die Optionen durch. Auch eine journalistische Route will gut geplant sein. Ich hole eine Flasche Radegast aus meinem Schreibtisch, stelle sie auf den Tisch, es folgen zwei schicke Kristallgläser, die überhaupt nicht zum sonst eher schäbigen Interieur der Redaktion passen. Dann fällt mir Schuster ein – eine gute Gelegenheit, mich mit ihm gut zu stellen, nach der doch vielleicht etwas voreiligen Veröffentlichung der „Killer-Satelliten“-Story.
„Jetzt hab ich’s: Nick, ich weiß jetzt, wie ich dich da raushole. Vertraust du mir?”
„Na logisch. Säße ich sonst hier?“
„Wir machen es auf die gute alte Tour: Ein Deal. Nicht sehr kreativ, dafür aber safe!”
„Was meinst du?“
Ich habe einen Kontakt in der Advocacy, der uns weiterhelfen könnte. Ich lege ihm vor, was wir haben und werde ein wenig pokern und ihn glauben lassen mein Informant wisse noch mehr. Meiner Einschätzung nach, wird er dann intern ermitteln.”
„Aber das dauert. Bis der soweit ist, bin ich lange tot.“
„Keine Sorge, ich hatte schon einmal einen ähnlich gelagerten Fall. Du tauchst einfach ein paar Wochen unter, bis die Sache erledigt ist. Hau irgendwohin auf die andere Seite des Empires ab. Mach einen auf Pilgerer der Church of the Journey oder so.”
Nick sieht mich an, als habe er mit einem Verrückten zu tun.
„Pilgerer oder so? Sag mal geht’s noch? Ist das etwa alles, was der Werkzeugkasten eines renommierten Journalisten zu bieten hat?“
„Ja, wieso nicht? Funktioniert seit Jahr und Tag im Darwinimus. Du selbst hast eine Cargo-Hour zu dem Thema gemacht: Flüchten ist manchmal eine verdammt gute Verteidigung. Wenn’s zu gefährlich wird, sucht man besser das Weite. Zeugenschutzprogramme finden auch nicht in der Nachbarschaft statt, und es gibt sie, weil sie funktionieren.”
„Dann will ich da rein!“
Dann aber wird ihm schlagartig klar, was das bedeutet:
„…andererseits…dann ist alles futsch, Radio, Rusties, Freunde und Bekannte.”
Ich beobachte Nick. Er stürzt einen Radegast nach dem anderen hinunter. Auch ich genehmige mir einen weiteren Schluck und lehne mich weit in meinem Stuhl zurück und starre den altmodischen Deckenventilator an, der uns in gemächlichem Tempo ArcCrops abgestandene Luft zufächert.
„Nick, sag mal, warst du beim Abladen der Container auf Ruin Station eigentlich dabei?”
„Ich? Nein! Ich habe Kaffee gemacht, in der Bordküche…“
“Das heißt, du hast die Geschäftspartner von Amado auf Ruin Station gar nicht persönlich kennen gelernt?”
„Nein, ich habe mich direkt verdrückt, als die anmarschierten.“
„Immerhin…”
„…nix immerhin. So ranzig der Hangar auf Ruin Station war, würde mich wundern, wenn die da keine Kameras haben … und dann waren da noch diese zwei Arbeiter im Hangar, die uns die Filler organisiert haben.“
Ich atme erneut tief durch.
„Hast Du zur Abwechslung auch mal gute Neuigkeiten? Verflucht, das ist aber auch ne knifflige Kiste… Also noch einmal von vorn, zurück zur Bestandsaufnahme… Ja, der Werkzeugkasten des Journalisten ist groß… er lebt von Kontakten, Tarnung, Täuschung und mehr Mut als Verstand… hm…mehr Mut als Verstand und Kontakte… Nick, ich muss an die frische Luft. Diese Höhle hier engt mich gedanklich zu sehr ein. Lass mich was zu essen besorgen, sonst lallen wir gleich nur noch. Du bleibst erstmal hier, dauert nicht lange. Soll ich dir etwas mitbringen?”
„Ich hab zwar keinen Hunger, aber bring trotzdem irgendwas mit. Ich werd’s essen, einfach weil ich es noch kann. Eine Fizz Cola dazu wäre auch nicht schlecht.“
“Okay. Hier ein Handtuch. Nimm eine heiße Dusche. Du siehst ein wenig zerknittert aus nach der langen Reise. Da im Schrank sind Klamotten, nimm dir was du brauchst. Bis gleich!”
Ich laufe rüber zum nächsten Hot Dog-Stand, rufe dann aber Schuster an und erkläre ihm unsere Situation. Dann kehre ich zurück in meine Redaktion. Ich drücke die schwere Tür mit ein wenig zu viel Kraft auf. Nick hat sich mittlerweile frisch gemacht, trägt ein Big-Bennys-T-Shirt.
„Ich hab’s mir anders überlegt. Komm, ich lade dich auf einen Happen ins G-Loc ein.”
Nick fährt aus der Haut.
„John, geh’ bitte dein Hirn holen, wo auch immer es ist. Ich habe ein dickes leuchtendes Fadenkreuz auf meiner Stirn, meinem Hinterkopf und auf der Brust…“
„Nee, auf deiner Brust leuchtet ne Nudel-Bowl. Du siehst aus wie ein echter Touri.”
„Ist das dein Ernst? Wenn du dir einen Stim reinziehst, dann gib es wenigstens zu!“
„Herrje, ich verstehe ja, dass du unter Druck stehst…”
„Unter Druck? Ich stehe unter Druck? Ich stehe nicht unter Druck, ich stehe auf der Abschussliste der Advocacy und der Chaoshan-Crew. Hast du mir überhaupt richtig zugehört?“
„Ich hatte mittlerweile eine kurze Com mit Schuster, meinem Kontakt in der Advocacy…”
Nick lässt sich auf den alten Sessel fallen, der in der Redaktion steht, ein Überbleibsel meines Vormieters. Er hat die Augen geschlossen.
„Nick… komm schon Nick, ich bin hier. Geht’s wieder? Schau mich an, wenn Du mich hören kannst … Los komm schon, schau mich an!”
Dann öffnet er die Augen wieder.
„Ist alles ein bisschen viel, was? Trink erstmal was. Gut so…alles wieder frisch?”
Ich mache eine kurze Pause, dann setze ich Nick ins Bild.
„Pass auf, ich habe Schuster soweit alles erklärt. Du genießt natürlich Quellenschutz. Er hat aufmerksam zugehört und nur eine oder zwei Fragen gestellt. Für mich ein klares Signal, dass an der Sache etwas dran ist. Ich habe ihm gesagt, dass ich bereit bin, mit ihm zusammenzuarbeiten, wenn er meinen Informanten aus der Schusslinie bringt. Weiteres wollte er dann lieber persönlich besprechen, und hat ein sofortiges Treffen im G-Loc angeboten. Er arbeitet praktisch oben drüber in den Büros der Advocacy im IO-North Tower.”
Ich schaue Nick intensiv an.
„Na ja, zum Top-Ganoven reicht es ei dir eben nicht. Aber so etwas passiert eben unter dem Druck der Flucht. Und deswegen hörst du damit jetzt auch auf. Du hast den Scheiß nicht verbrochen. Du bist da unverschuldet reingeraten. Drück den Rücken durch. Wenn du kein Opfer sein willst, dann darfst du dich auch nicht wie eines verhalten. Sei ganz normal. Wenn du so weitermachst, bringst du dich bald um den Verstand. Steigere dich also bitte nicht in einen Verfolgungswahn.“
Nick hört mir aufmerksam zu.
„Deine beste Chance, um heil aus der Sache raus zu kommen, sitzt gerade da drüben im G-Loc und fragt sich in diesem Moment, ob ich noch auftauche. Es ist schon klar, dass das ein Risiko birgt. Ich bin nur ein Reporter, kein Wahrsager. Dafür habe ich Erfahrung in solchen Begegnungen. Es läuft so: Wir betreten die Bar unabhängig voneinander. Warte zwei Minuten, bis du das G-Loc betrittst, steuere zielsicher die Bar an und bestelle dir einen Drink, so wie jeder andere auch zum Feierabend. Ich sitze dann bei Schuster und checke die Lage. Warte, bis ich Blickkontakt zu dir aufnehme. Wenn ich verhaftet werde oder irgendwas nicht ganz sauber scheint, trink aus, verlasse die Bar unauffällig und tauche irgendwo unter, bis ich dich kontaktiere. Soweit alles klar?”
Nick nickt.
„Das Wichtigste: Egal, was der Abend bringt: Bleib souverän! Das Ding schaukeln wir nur mit Kaltschnäuzigkeit.“
„Danke, John.“
„Lobe die Nacht nicht vor dem Kater… also, dann los. Luft rein, Brust raus!”
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Im G-Loc herrscht typischer Feierabendbetrieb. Ein halbes Dutzend attraktiver junger Damen johlt gut hörbar zu einem aktuellen Empire-Hit. Die ganze Gruppe trägt enge T-Shirts mit dem Aufdruck „Next Stop Terra“.
Schuster wartet bereits auf mich. Er sieht tatsächlich interessiert aus. Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie Nick nach mir zur Tür hereinkommt und die Bar ansteuert. Er bestellt sich einen Drink.
Schuster und ich kommen sofort zur Sache. Die Killer-Satelliten spricht er nicht an. Ich auch nicht, eines nach dem anderen. Dann sagt er mir, dass er gern meinen Informanten kennen lernen möchte.
Ich schicke mit dem Mobiglas unter dem Tisch unser vereinbartes Zeichen: 00. Wie verabredet, geht Nick daraufhin zu den Toiletten, um dort Schuster zu treffen. Er wird Nick ein kleines Mikro geben, dass er sich ins Ohr klemmen soll. So kann er unser Gespräch verfolgen, ohne dabei zu sein. In kurzen Abständen kommen beide wieder heraus. Nick nimmt wieder seinen Platz an der Bar ein, Schuster kehrt zurück zu mir.
Er ergreift sofort das Wort. Ein Advocacy-Agent macht kein großes Federlesen. Nick kann nun alles mithören.
„Mr. Brubacker. Es tut mir leid, dass der Ihnen bekannten Person so böse mitgespielt wurde. Allerdings ist das für derartige Geschäftspartner nicht ungewöhnlich. Es fällt mir schwer zu glauben, dass Ihre Quelle keinerlei Anlass für Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Transports mit dem Ziel Tohil hatte. Jeder Trucker kennt den Ruf dieses Systems und dessen Attraktivität für Schmuggelware. Darüber hinaus war der Transport der Rennschiffe in das System ohnehin illegal. Andererseits scheint mir Ihre Schilderung der Geschehnisse rund um einen kapitalen Drogentransport in vielen Aspekten auch recht glaubwürdig. Dank Ihrer detaillierten Schilderung halte ich es für möglich, dass namentlich von Ihnen benannte Personen in Verbindung zu den dargestellten Vorgängen stehen. Sollten die mir vorgetragenen Vorgänge sich tatsächlich so ereignet haben, teile ich die Einschätzung, dass ein Kopfgeld auf Ihre Quelle ausgesetzt wird. Insbesondere der Umstand, dass dieses absehbare Risiko ihrer Quelle nicht bewusst war, belegt eine zwar überraschende, aber am Ende glaubhafte Naivität. Kurz gesagt: Ihre Quelle hatte höchstwahrscheinlich keinerlei Schimmer von den umtriebigen Praktiken seines Auftraggebers.“
Offenbar ein Advocacy-Agent, der sich gern reden hört. Ich hole tief Luft.
„Okay, Mr. Schuster. Ich denke, Sie haben klar zum Ausdruck gebracht, was Sie von der Wahl der Geschäftspartner meiner Quelle halten. Die Frage ist nun, ob sie den Pechvogel in seiner selbstverschuldeten Situation schützen werden.”
„Nun, den besten Schutz können wir natürlich nur gewähren, indem er sich stellt. Nur dann haben wir als Sicherheitsbehörde die Macht, umfänglich für die Sicherheit Ihrer Quelle zu sorgen. Dazu muss sich ihre Quelle einfach nur an mich wenden und sich zu erkennen geben. Warum nicht gleich jetzt und hier…“
Schuster greift sein Glas und nimmt zwei große Schlucke.
“Ja, natürlich, sehr fürsorglich… Danke für das Angebot. Gleichwohl fände ich es fair, vor dieser Entscheidung eine mögliche Alternative zu kennen – wenn Sie denn eine haben…”
„Man hat im Leben immer eine Wahl, nicht wahr Mr. Brubacker? Sie haben ja diesmal auch den Kontakt zu mir gesucht, anstatt sich gleich wieder an die Öffentlichkeit zu wenden. Wir beide verstehen sehr genau, warum wir hier sitzen. Die Öffentlichkeit bietet wenig mehr als kurzfristige Empörung oder Beifall. Wer den Dingen wirklich auf den Grund gehen will, der meidet die Öffentlichkeit lieber, um die Übeltäter in Sicherheit zu wiegen und so die Chancen auf eine Ergreifung zu maximieren.“
Ich nicke genervt.
„Ich möchte nicht unhöflich sein, aber mir sind die Strategien behördlicher Ermittlungen in ihren Grundzügen durchaus vertraut. Was ist ihre Alternative zur Kronzeugenregelung?”
„Entschuldigen Sie Mr. Brubacker, aber es ist mir ein Anliegen, die Vorteile der Kooperation mit uns klar und deutlich noch einmal in Erinnerung zu rufen. Wir sind nicht irgendwer. Ob eine Kronzeugenregelung in Betracht kommt, hängt am Ende von der Erhärtung des Erstverdachts durch die nachfolgenden Ermittlungen ab, was in Bezug auf das von Ihnen erwähnte Beweismaterial aber recht wahrscheinlich ist. Da Sie davon ausgehen, dass Agenten unserer Behörde in die jüngsten Geschehnisse verwickelt sind, befürchten Sie offenbar eine Manipulation ihrer Beweismittel. Ich teile diese Ängste zwar nicht direkt, aber ich kann sie durchaus nachvollziehen. Doch der Weg der Öffentlichkeit birgt meiner Meinung ein ebenso deutliches Risiko. Diese Erkenntnis hat sie letztlich zu mir geführt, Mr. Brubacker. Und Sie haben Glück. Mein Interesse liegt tatsächlich darin, die Strippenzieher zur Strecke zu bringen – und zwar alle. Und glauben Sie mir, Sie würden sich blass erstaunt sehen, wenn Sie wüssten, was ich weiß.“
„Das heißt, Sie ermitteln im Umfeld meiner Schilderung bereits?”
„Diese Frage darf ich nicht beantworten. Stattdessen möchte ich Sie bitten, Ihrer Quelle folgendes Alternativangebot zu unterbreiten: Erstens: Ich werde in die Lage versetzt, Ihre Quelle nach Bedarf direkt zu kontaktieren, um Informationen aus erster Hand zu gewinnen. Das setzt voraus, dass ihre Quelle eine erneute Kontaktaufnahme seiner jüngsten Bekanntschaften nicht verhindert. Zweitens: Sobald irgendjemand mit einem auch noch so losen Bezug zu den Vorgängen Kontakt mit Ihnen oder Ihrer Quelle aufnimmt, werde ich darüber sofort informiert. Es folgt kein einziger, sich daran anschließender Schritt ohne Absprache mit mir, kein Handeln, keine weitere Entscheidung, die nicht mit mir abgestimmt ist! Sonst verliere ich augenblicklich das Vertrauen, unsere Zusammenarbeit wäre damit beendet und ich habe keinen Grund eine Strafverfolgung gegen ihre Quelle weiter auszusetzen.“
“Moment, Sie erwägen ernsthaft meine Quelle strafrechtlich belangen?”
„Mr. Brubacker, ich habe einen Eid abgelegt. Ich begründe meine Befugnisse nicht auf meinem Ego, sondern allein auf der moralischen Verpflichtung, Gefahr und Schaden vom Empire und seinen Bürgern abzuwenden. Ich urteile hier nicht, das machen andere. Mein Job ist zunächst einmal, die Gefahrenabwehr. Ich halte die von Ihnen geschilderten Ereignisse in einigen Teilen tatsächlich für glaubwürdig. Das bedeutet aber auch, dass sich Ihre Quelle des Drogenschmuggels schuldig gemacht hat. Selbst wenn ich Ihrer Version Glauben schenke, heißt das nicht, dass ein Richter die Naivität Ihrer Quelle auch als solche bewertet. Das muss ich einem erfahrenen Journalisten wie Ihnen doch nicht wirklich erklären.“
„Da haben Sie verdammt recht, aber ich danke Ihnen trotzdem für diese juristische Anmerkung. Und ich muss Ihnen im Gegenzug doch auch nicht erklären, dass ein Agent von Ihrem Rang die Befugnis hat, eine Straffreiheit für vergleichsweise minderschwere Straftaten zu garantieren, um so an die Hintermänner zu gelangen und den Ausgangspunkt einer langen Liste von Gesetzeswidrigkeiten unschädlich zu machen.”
„Ganz recht. Ich sehe, wir kommen voran. Allerdings muss auch ich mich im Gegenzug für eine Amnestie absichern. Die kann ich nur zusichern, wenn mir die vorhandenen Beweise ausgehändigt werden.“
„Ausgeschlossen. Das ist die Lebensversicherung meiner Quelle.”
„Falsch, Mr. Brubacker, die bin ich. Oder können Sie den Sperreintrag in den UEE-Datenbanken für Ihre Quelle vornehmen, die jedem, der tiefer gehende Recherchen anstellt, unmissverständlich klar macht, dass sie tabu ist? Ich garantiere, dass niemand, der noch einigermaßen bei Trost ist, es wagen wird, Ihre Quelle anzufassen. Denn jeder, der in der Lage ist, so tief in die Datenbanken einzudringen, um Ihre Quelle ausfindig zu machen, hat ausreichend Verstand, um zu erkennen, dass er nicht folgenlos weiter gräbt, sobald er auf den Sperrvermerk stößt. Verstehen Sie? Niemand unter meiner Sicherheitsbefugnis wird den Aufenthaltsort Ihrer Quelle mehr herausfinden können. Jeder, der Zugriff hat, wird geloggt und ich erhalte umgehend Kenntnis über den Aufruf. Wenn es in der Advocacy Agents von der Verderbtheit geben sollte, die Sie beschreiben, dann bringe ich sie zur Strecke. Mein Wort darauf!
Schuster nimmt einen tiefen Schluck von seinem Drink.
„Lassen sie mich mein Angebot also noch einmal zusammenfassen: Ihre Quelle wird mein Informant, ich werde in jede noch so unverdächtig wirkende Entwicklung eingebunden und ich erhalte die Tasche von Amado Fountain im Zustand der Übergabe an ihre Quelle, inklusive sämtlicher Beweismittel. Nicht mehr, nicht weniger. Zeit für meinen Absacker. Ich nehme einen Whiskey, was ist mit ihnen?“
Schusters Blick wandert von mir hinüber zu Nick, der die ganze Zeit wie festgenagelt auf seinem Barhocker gesessen und offenbar gebannt zugehört hat. Komm schon Nick, Zeit sich zu entscheiden. Schließlich winkt er mit einer ausladenden Armbewegung den Barkeeper heran.
Ich lächle, während Schuster Gesicht ausdruckslos bleibt.
Wir sind im Geschäft.
Journal-Eintrag 10 / 09 / 2952
Ich traue meinen Augen nicht, nachdem ich den offiziellen Bríef von Anvil Aerospace geöffnet und gelesen habe. Ich muss keine Sekunde überlegen – das mache ich. Die Rückkehr der Carrack! Nicht zu fassen. Ich weiß auch schon, wenn ich für die Crew anfragen werde: Natürlich Nick Cartago, dann Friedrich Winters, selbstredend Zero Sense, den alten Schlingel. Mal schauen, wer mir dann noch über den Weg läuft. „Offen für Neues sein“ – na, da ist genau mein Ding. Gonsalez heißt der Marketing-Mann von Anvil Aerospace. Ich lese den Brief noch ein zweites Mal und tippe mit zitternden Fingern meine Zusage an Anvil in mein Mobiglas. Ein paar Dinge muss ich noch klären, aber in ein paar Wochen dürfte ich startklar sein….
Interessante News übrigens von dem Journalisten-Kollegen Parker Terell von „Nackte Wahrheit“: Hurston Dynamics hat offenbar noch viel mehr Dreck am Stecken – um Arbeiter, die vor einiger Zeit gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen aufbegehrten, mundtot zu machen, schreckten sie selbst vor Mord nicht zurück – und schoben es den Arbeitern in die Schuhe. Der ganze Laden ist ein einziger Sumpf. Wir haben mit der Gründung der „Free Riders of Stanton“ genau den richtigen Riecher gehabt!
Journal-Eintrag 06 / 10 / 2952
Gabriel „Husky“ Winters und ich rasen mit unseren Bikes über den zugefrorenen Ozean Microtechs. Immer höher drehe ich das Tempo. Der schneidige Wind pfeifft mir um die Ohren – doch spüren tue ich davon kaum etwas. Für den Ausflug habe ich mir extra einen dick gepolsterten Ganzkörper-Anzug gekauft, der mich vor den eisigen Temperaturen weit unter Null abschirmt. Mein Blick schweift entspannt in die Weite, am Horizont ziehen die hohen Gebäude von New Babbage vorbei, dann tauchen wir in unberührte Natur ein – unser Ziel: ein alter, verlassener Außenposten. Gabriel hat von seinem Großvater den Auftrag bekommen, ihn sich einmal anzusehen, als eventuell lohnendes Ausflugsziel für „Nordlicht Aviation“.
Die eisige Fahrt gibt mir ein wenig Zeit zum Nachdenken – über das Projekt „Die Crew“, ein wahrlich banaler Name, den sich die Marketing-Abteilung von „Radio Infinity“ da ausgedacht hat. Ist es richtig, so einen Unsinn mitzumachen? Mittlerweile haben mich manche Zweifel beschlichen. Andererseits: Es geht zurück auf eine Carrack! Wie werden wir starten? Wird alles klappen? Husky, den ich durch Zufall auf dem Spaceport von Microtech getroffen habe, hat bereits zugesagt. Friedrich Winters hat leider kein Interesse und keine Zeit. Er muss sich weiter um den Aufbau von „Nordlicht Aviation“ im Stanton-System kümmern. Im Grunde weiß ich über Husky nicht viel – er hat mal bei einem Vorentscheid zum „Murray Cup“ teilgenommen. Friedrich sagt über seinen Enkel, dass er der richtige Mann für brenzlige Situationen sei – aber sonst? Wir haben auf Hurston mal eine kleine Klettertour gemacht, auch ist er wie ich ein Gründungsmitglied der „Free Riders of Stanton“ – nun, wir werden sehen, wie es wird, wenn wir für längere Zeit gemeinsam an Bord der von Anvil gestellten Carrack sind. Mit Nick Cartago habe ich im G-Loc bereits über „Die Crew“ gesprochen, auch er ist mit dabei. Für ihn ist es eine gute Gelegenheit, von ArcCorp und aus dem Focus von Schuster und Amado zu kommen. Als Bedingung hat er nur genannt, dass er an Bord lediglich „Nick“ genannt werden will, um seine Anonymität zu wahren. Zero, den ich angeschrieben hatte, ist ebenfalls dabei. Ein Lächeln huscht mir über das Gesicht – ein guter Pilot mit jeder Menge Scharfsinn. Der bringt Würze in die ganze Chose.
Gleichwohl gibt es wegen ihm aktuell wohl irgendeinen Stress bei den „Free Riders“ – soweit ich das verstehe, wird ihm unterstellt, ein paar Bikes manipuliert zu haben. Ich kann mir das nicht vorstellen….nicht Zero. Entweder wird ihm da etwas untergeschoben oder in die „Free Riders“ soll so ein Keil getrieben werden – nur: von wem? Will man uns gleich im Keim ersticken? Hurston Dynamics hat jedenfalls Erfahrung mit solchen False-Flag-Aktionen, wie wir mittlerweile wissen. Oder haben wir unter uns einen Maulwurf? Mir läuft es trotz des dicken Anzugs eiskalt den Rücken hinunter.
Husky meldet sich über Funk, er hat den verlassenen Außenposten aus der Frühzeit der Besiedelung Microtechs gefunden – und nach einer schnellen Begehung kommen wir zu dem Schluss: Er ist kein lohnendes Ausflugsziel. Hier draußen, im schneeverwehten Nirgendwo ist es nur eines: deprimierend und einsam. Einst sollte hier offenbar ein zweiter, kleinerer Spaceport entstehen, wie Unterlagen aus Microtechs Archiv belegen. Offenbar wurde das Unterfangen jedoch aufgegeben. Zu allem Überfluss klemmt sich Husky unter einer Kiste einen Fuß ein und verletzt sich. Nachdem wir ihn mit vereinten Kräften befreit haben, klettern wir noch ein wenig umher, dann geht es zurück zum Spaceport von Microtech. Dennoch tut es manchmal gut, das Oberstübchen ein wenig Durchzulüften. Ich denke, ich bin bereit für alles, was da nun kommen mag.
Die Crew
Wir stehen wie bestellt und nicht abgeholt in Hangar 08 auf dem Riker Memorial Spaceport. Der Hangar ist leer. Keine Anvil Aerospace Carrack Expedition weit und breit. Zero macht sich lustig, haut einen dummen Spruch nach dem anderen raus. Etwa, dass man bei Anvil nicht ganz bei Trost sein könne, mir überhaupt eine Carrack anzubieten und anderes mehr. Der Rest der Truppe schaut konsterniert. Mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter. Das fängt ja gut an. Es fehlt, wie könnte es anders sein, irgendein Papierkram. Irgendwo muss ein Bürokrat gepennt haben. Ich schließe die Augen und wünsche mir, ganz weit weg zu sein.
„Mr. Brubacker…“
Aruhso. Der Hausmeister.
Mir kommt unser erstes Gespräch wieder in den Sinn. Arrogant, selbstsicher, abschätzig – hat gleich mal die Verhältnisse geklärt bei unserem ersten Gespräch. Ein Typ von der Sorte: „Putz dir die Stiefel ab, bevor du mein Raumschiff betrittst!“ Hausmeister – dass ich nicht lache. Die schicken doch bei so einer Kooperation von Anvil Aerospace mit einer offiziellen Redaktion niemanden mit, der eben noch den Hangar gefegt hat. Ich wette, da steckt mehr dahinter.
Ich verscheuche den Gedanken an Mr. Aruhso, reiße mich zusammen und klingele bei Anvil an. Flott werde ich zur Marketing-Abteilung durchgestellt. Während ich innerlich koche, bleibt man am anderen Ende gelassen. Man wolle sich sofort um alles kümmern, natürlich, ein Versehen…man könne sich gar nicht vorstellen, wie das passieren konnte…blablabla…ich würde gleich zurückgerufen werden.
Ich lege auf und drehe mich zu den anderen drei um – Zero, Gabriel Winters und einer jungen Frau namens Ella Clemens. Sie hatte sich auf die Anzeige gemeldet, die ich über Spectrum geschickt hatte. Zero, Gabriel und ich kennen uns ja von den „Free Riders“. Ein gewisser DCDoerek wollte auch noch kommen, war aber offenbar kurzfristig krank geworden. Wo Nick Cartago steckt, weiß der Himmel. Zum vereinbarten Zeitpunkt war er jedenfalls nicht im VIP-Bereich am Riker Memorial Spaceport. Kurzum: Das Projekt „Die Crew“ fängt richtig beschissen an. Ich schüttele den Kopf. Und überhaupt: „Die Crew“, ein Name, den sich der unbegabteste Praktikant bei „Radio Infinity“ überhaupt ausgedacht haben muss…
„Es tut mir furchtbar leid, Leute…ich…“
Das Mobiglas.
„Ja…“
Ich höre atemlos zu, dann lege ich wieder auf.
„Startverbot“, sage ich den anderen. „Immer noch. Eine Carrack ist für mich im Stanton-System immer noch rot geflaggt.“
Zero prustetet los. Er kann sich an die Geschichte nur zu gut erinnern. Den anderen erkläre ich mit ein paar dürren Worten, was damals vorgefallen war – Unfall auf Port Tressler, Startverbot, Verkauf meiner „Arthur C. Clarke“ weit unter Wert, Besäufnis mit anschließender Schändung diverser geschützter Pflanzen auf Microtech. Diese Geschichte wird mir wohl ewig anhängen.
„Und jetzt?“
Gabriel, der mit voller Montur zum Treffen gekommen ist und eine Kiste mit lauter Habseligkeiten mit sich schleppt, wirkt deutlich ermüdet.
„Ab in die nächste Bar“, antworte ich.
Während der Fahrt blicke ich die anderen an. War es eine bescheuerte Idee, sich auf solch ein Projekt einzulassen? Zumindest war es unklug, erst scheibchenweise mit der ganzen Wahrheit rauszurücken. Aber hätte ich gleich von Beginn an von einer „Weltraumsoap“ erzählt – ich wette, es hätte niemand zugesagt. Nick hatte ja auch schon seine Bedenken. Zu recht, wie ich zugeben muss. Was soll’s, jetzt ist die Katze aus dem Sack. Und wer weiß, welche Motivationen jeder in Wirklichkeit hat, hier mitzumachen und daher die Kröte schluckt, Teil einer „Radioshow“ zu sein…
Von Cartago weiß ich, dass er einfach nur runter will von ArcCorp – wegen Schuster und seiner kleinen Drogenstory. An Bord sollen ihn daher auch alle nur „Nick“ nennen. Wer weiß, was bei den anderen dahinter steckt. Nicht immer ist das Offensichtliche auch der Kern einer Sache. Ich versuche mich zu entspannen.
Im G-Loc angekommen, hat der Barkeeper offenbar gute Laune – und bedient uns relativ flott. Wir suchen uns einen leeren Tisch. Ella erzählt, dass sie Krankenschwester sei, aber auch einen flotten Abzugsfinger im Turret habe. Nun, gut zu wissen. Zero schüttelt diverse Whisky-Cola in sich rein, Gabriel weiß offenbar nicht so richtig, wohin mit sich und seiner Kiste. Wo zum Teufel steckt Nick? Wie lange war es her, dass wir erwartungsvoll und freudig über das Projekt genau hier im G-Loc gesprochen hatten? Zwei Wochen? Wir hatten uns noch lustig gemacht, nun ist die Stimmung erstmal im Keller. Mein Mobiglas summt.
Nick – na endlich.
Er sitzt draußen vor der Tür und wartet dort seit Ewigkeiten auf uns.
Herrgott.
Das wird ein langer Weg zu einer eingespielten Crew.
Es folgt ein weiteres allgemeines kurzes Get-together. Nick und Zero waren sich schon mal auf der Hammerhead begegnet, als wir die Geiseln befreit haben. Ella und Gabriel kennt er nicht. Dann erzählt er, dass er nicht von Microtech weggekommen sei – dort blockierten aktuell die „Stehhovas“ ganze Tore. Irgendeine Protestaktion. Yep, irgendwo wird eben immer gegen irgendwas oder irgendwen protestiert. Dummerweise weiß man bei den „Stehhovas“ nicht, worum es bei ihnen geht – sie haben zudem ein Schweigegelübde abgelegt. Ich habe mich an die seltsamen Vögel längst gewöhnt und blicke mich um. Auch um uns herum: Lauter Typen, die regungslos auf ihren Stühlen stehen.
„Furchtbar“, wirf Ella ein, „die verdrecken die ganze Tische und Stühle.“
Klar, dass das nicht mit ihrem Ethos einer klinischen Krankenschwester zusammengeht. Ich lächle in mich hinein – ein gemeinsamer Aufreger, das ist genau das, was wir jetzt brauchen. Irgendwann hat sich das Thema aber erschöpft, es folgt noch ein wenig Smalltalk und gegenseitiges Beschnuppern. Dann geht „Die Crew“ unverrichteter Dinge zunächst einmal auseinander.
„Das wird schon“, rufe ich noch. „Nächstes Mal steht da garantiert eine Carrack.“
Zero rollt nur mit den Augen.
Ich weiß, ich weiß.
Journal-Eintrag 28 / 10 / 2952
„Alles startklar?“
Allgemeines Nicken in der Runde.
Gabriel zieht die Carrack daraufhin aus Hangar sieben des Riker Memorial Spaceports langsam in den Himmel über ArcCorp.
„Der Himmel wird nie wieder derselbe sein.“
Ich sage die Worte laut in die Stille hinein und blicke dabei über die endlose Stadtwüste ArcCorps.
„Die Crew“ ist unterwegs – wir werden sehen, wohin uns der Weg führen wird, auch wenn wir das Stanton-System zunächst nicht verlassen sollen. Nun denn, wir werden auch so genügend Spaß haben. Da bin ich mir sicher…
Spaß hatten wir jedenfalls bereits, nachdem wir den Hangar betreten hatten. Die Carrack schwebte bei eingezogenem Landegestell mitten im Hangar, die Rampe heruntergelassen. Wir mussten Kisten stapeln, um hineinzugelangen – und fanden dort einen völlig verschlafenen, halb verkaterten Hausmeister im Crewquartier vor. Wir hätten uns angeblich im Tag geirrt…na klar.
Nachdem er sich widerwillig in sein Schicksal fügt, lässt uns Mr. Aruhso dann aber doch gewähren – falscher Tag hin oder her. Und so genießen wir ein paar Minuten später an Bord des Schiffes den Blick aus der Cockpitscheibe. Der Hausmeister hat jedoch weiterhin schlechte Laune. Ich stelle ihm ein paar harmlose Fragen, bis er mich anschnauzt, er sei nicht mein Vater, sondern nur der Hausmeister an Bord. Okay, kapiert.
Gabriel lenkt unser Schiff weg vom Planeten Richtung Bajini Point. Alles ist in diesem Moment weit weg – zum Beispiel, dass der Stress bei den „Free Riders of Stanton“ aktuell total eskaliert, was man so liest und hört. Das ist mir aber gerade egal. Neue Abenteuer sind immer auch neue Chancen…
„Alarm, Alarm!“
Gabriel hat versucht, nahe der Andockschleuse der Navy zu landen, damit uns Mr. Aruhso in Ruhe eine Führung über das Schiff geben könnte – eine sehr, sehr schlechte Idee, wie sich nun zeigt. Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie Gabriels Finger über die Konsolen fliegen und er Gegenmaßnahmen auswirft. Offenbar haben uns zwei Raketen im Visier.
Der Anpfiff folgt prompt von der Station Bajini Point: Wenn wir so dumm seien, in der Nähe einer militärisch gesperrten Zone landen zu wollen, seien wir selber Schuld. Es geht gerade noch einmal gut – und Aruhso verzieht keine Miene.
„Eine gute Mannschaft haben Sie da. Sie denkt mit.“
Keine Ahnung, wie das nun wieder gemeint sein soll.
Ich nicke matt.
„Wie wäre es jetzt mit unserem Rundgang?“
Alle sind dafür, auch um wieder ein wenig runterzukommen.
„Äh, Bru, hier blinkt alles rot in den Serverracks…“
Nick deutet auf Schalttafeln im Cockpit und Zero schaut mich auch ganz konsterniert an.
„Wo haste denn den her? Der bezeichnet mich die ganze Zeit als Cyborg, bloß weil ich an Bord meine Rüstung trage…“
„Keine Ahnung…den hat uns Anvil auf den Bauch gebunden.“
Wir folgen Mr. Aruhso durch das Schiff, sind positiv überrascht, weil er für einiges an Ausrüstung gesorgt hatte…bis Nick plötzlich wieder etwas zischt…
„…was denn nun schon wieder..?“
„Hier, in der Kiste sind im Stanton-System geflaggte Artefakte drin. Die sind meldepflichtig.“
Ich blicke ihn verstört an.
„Nick…“
„Warnleuchten im Cockpit, Beschuss, illegale Artefakte – kannst du bitte mal zwei und zwei zusammenzählen? Der Kahn ist alles andere als brandneu. Der hat ne Geschichte. Hier läuft ne ganz krumme Kiste.“
Mir schwant Böses.
„Mr. Aruhso…ich hätte da eine Frage….“
„Mr. Brubacker, wie gesagt, ich bin nur der Hausmeister. Sagen Sie gern der Advocacy Bescheid wenn Sie etwas gefunden haben, das nicht hierher gehört – und viel Glück mit der Bürokratie.“
„Natürlich.“
Schließlich steigt Zero kurz in seine „White Rabbit“ um, holt eine Kiste an Bord, in der für alle gekühlte Drinks sind. Das hebt die Stimmung deutlich. Gabriel landet das Schiff in einem Hangar auf Bajini Point. Zeit, durchzuschnaufen. Wir sind unterwegs. Es wird sich schon finden.
Journal-Eintrag 12 / 11 / 2952
Lyria, der Mond ArcCorps, ist das Ziel für einen kleinen Frachtauftrag, mit dem wir unsere ersten Fähigkeiten als kleine Crew testen wollen. Unsere Radioshow ist ganz gut angelaufen, wie erste Fanpost zeigt. Nun, wir wollen uns weiterhin von unserer besten Seite zeigen. Doch schon der Start geht wieder alles andere als glatt. Erneut ist unser Schiff nicht da – wir wollen von Bajini Point über ArcCorp starten. Ich morse Mr. Aruhso an.
„Haben Sie Sehnsucht nach mir?“
Ich stöhne innerlich. Eine typische Hausmeister-Antwort.
„Bin in 20 Minuten da.“
Gabriel, Ella und ich warten auf der Station, Nick kommt in aller Eile auf den letzten Drücker aus Microtech herübergejettet. War wohl auch noch irgendwie für „Radio Infinity“ im Einsatz. Zero hat sich ganz abgemeldet, DcDoerek ist nicht erschienen. Ich blicke aus dem Panoramafenster und sinniere – soll das „Crew“-Projekt ein Erfolg werden, braucht es eindeutig mehr Disziplin.
Schließlich kommt Mr. Aruhso um die Ecke gelaufen.
Im Hangar untersucht Gabriel beiläufig das Schiff, ob es Schäden vom Beschuss der Station davongetragen hat. Ich verfolge, wie er mit Ella ein Gespräch beginnt. Richtig, die Krankenschwester hat ja wohl auch einen schnellen Abzugsfinger. Am liebsten, so höre ich mit einem halben Ohr mit, sitzt sie im oberen Turret. Ich bin mir sicher, dass ihre Stunde an Bord des Schiffes noch kommen wird.
Minuten später sind wir startklar und auf dem Weg wieder hinunter nach ArcCorp, um noch ein paar Dinge einzuladen und Nick aufzugabeln. Gabriel fliegt wieder das Schiff, Mr. Aruhso kann sich den einen oder anderen dummen Spruch nicht verkneifen.
Der kurze Flug verläuft ohne Zwischenfälle. Gabriel testet den Quantumdrive, bald darauf sind wir unterwegs nach Lyria. Ella plaudert unterwegs ein wenig aus dem Nähkästchen, dass sie gern in der Musikbranche gearbeitet hätte, sie ihr Vater aber nicht ließ, dass sie durch Zufall ihr Talent als Gunnerin entdeckte und einiges andere mehr. Gabriel fliegt unterdessen stoisch das Schiff, während sich Nick, dem es offenbar nicht gut geht, in der Mannschaftsmesse ausruht. Kurzum, es sieht aus fast ein wenig nach Routine aus.
Gabriel landet das Schiff gekonnt auf der Nachtseite des Mondes. Nick kann es nicht erwarten, aus dem Schiff zu kommen und sich die Beine zu vertreten. Fast scheint eine Last von ihm abzufallen, dass er ArcCorp endlich hinter sich gelassen hat. Mr. Aruhso und Ella begleiten ihn, Gabriel kümmert sich um den Frachtauftrag, ich bleibe im Schiff. Über Intercom sind wir alle verbunden.
Als Gabriel zurück ist, checkt er an den Servern noch einmal irgendein technisches Problem, als es uns durch Mark und Bein geht – eine Logbuch-Aufzeichnung, zunächst verrauscht und verstümmelt, dann aber klar und deutlich ist über das Intercom zu hören: Ein gewisser Captain Denvers bericht von dem Artefakt an Bord des Schiffes und dass er sich auf einen „Deal“ niemals hätte einlassen dürfen. Wir trauen kaum unseren Ohren: Das hadesianische Artefakt, über das wir im Frachtrau gestolpert waren – es scheint ein Original zu sein, kein Replikat, wie es sie zu Millionen im Empire gibt. Offenbar, so mutmaßt Nick, nachdem der Logbucheintrag zu Ende ist, wurde Denvers verfolgt. Alle Welt, so Denvers, sei hinter dem Splitter her.
…und wir haben ihn an Bord!
Fassungslos blicken wir uns gegenseitig an.
„Ich muss das Stück noch mal sehen“, sagt Nick und stapft Richtung Heck des Schiffes. Wir folgen verstört. Kaum erreichen wir das Artefakt, zerfällt die Welt vor mir in Einzelteile – und ich erwache auf ArcCorp.
„Was zum..?“
Bin ich gestorben? Ich versuche mich zu konzentrieren – nein, ich höre die anderen.
„Ich bin auf Hurston“, höre ich Ella sagen.
„…und ich auf Microtech“, antwortet Gabriel.
Nur Nick ist still. Und von Mr. Aruhso fehlt jede Spur.
Irgendetwas stimmt hier ganz gewaltig nicht.
Journal-Eintrag 15 / 11 / 2952
Großer Kriegsrat auf der alten Bergbaustation Grimhex in der Old38-Bar: Sind die „Free Riders of Stanton“ noch zu retten oder lösen sie sich bereits wieder auf, bevor es überhaupt richtig losgegangen ist? Valentin Benz, Ray Keaton, Zero Sense, Gabriel Winters, ich – und ein paar andere sind zusammen gekommen, um genau darüber zu entscheiden. Tatsache ist: Die Stimmung ist aktuell im Keller. Ganz kann auch an diesem Abend nicht ausgeräumt werden, wer die Bikes manipuliert haben könnte. Ich lege für Zero jedenfalls meine Hand ins Feuer, Ray Keaton bleibt auf Krawall gebürstet. Offenbar mag er nicht von dem Gedanken lassen, dass ihm innerhalb der Gruppe jemand Böses will. Wie es scheint, hat er mit den Mitgliedern auch noch ein paar andere Hühnchen zu rupfen. Schließlich steht die These im Raum, dass es vielleicht Hurston Dynamics selbst sein könnte, das einen Keil in unsere kleine Gruppe treiben will – das hatte ich ja auch schon vermutet. Dazu passt, dass Zero plötzlich verschwunden ist. Wie sich später zeigen wird, liegt gegen ihn ein Haftbefehl vor. Hurston Dynamics hat die Samthandschuhe ausgezogen, so viel steht fest. Ein Grund mehr für die Free Riders sich auf ihr Gründungsmanifest zu besinnen und sich nicht spalten zu lassen.
Journal-Eintrag 19 / 11 / 2952
Messezeit ist Grübelzeit. Wieder ist ein Jahr rum. Wie schnell ist das gegangen. Ich stehe auf der Intergalactic Aerospace Expo in New Babbage vor der Drake Corsair und grübele. Ich grübele darüber, ob ich Credits für ein Schiff ausgeben soll, das eigentlich gar nicht zu mir passt, mir aber trotzdem gefällt. Das ein etwas düsteres Image hat, weil Hersteller Drake aus dem Magnus-System nun mal gern von Piraten geflogen wird und sie dieses Image auch noch kultivieren. Corsair – das ist schließlich ein anderer Begriff für Pirat. Und die ausklappbaren Flügel erinnern an Segel.
Mein Image ist auch nicht Beste. Zero, klar, der haut immer wieder mal dumme Sprüche raus – mittlerweile sind beim Crew-Projekt aber auch der Hausmeister Aruhso und sogar Gabriel Winters auf diesen Zug aufgesprungen. Der Hausmeister – okay, das ist eben ein einfacher Geist, der seinen gesellschaftlichen Status aufpumpen muss. Aber Gabriel? Wir kennen uns bisher noch kaum. Ja, ich habe mich auf New Babbage mal in ein paar Blumenkübel übergeben – na und? Wer war nicht schon mal betrunken? Ich hatte ja auch allen Grund dazu, nachdem sie mir Flugverbot für die „Clarke“ erteilt hatten. Völlig überzogen, wie ich mittlerweile weiß. Wer hat sein Schiff nicht schon mal irgendwo gegengesetzt? Herrgott, die anderen kochen auch nur mit dem dreckigen Wasser Hurstons. Ich laufe um die Drake Corsair einmal herum. Ich finde sie einfach cool und verwegen, so ganz anders, als die brave Crusader Mercury. Ein echter „bad boy“. Kurzum: Ich bestelle eine Drake Corsair, höchste Zeit, ein wenig an meinem Image zu arbeiten – sonst werde ich irgendwann noch zur kompletten Lachnummer.
Journal-Eintrag 20 / 11 / 2952
Die Constellation Phoenix nähert sich langsam dem Nordpol Hurstons, Friedrich Winters erzählt etwas über die Familie Hurston und im Hintergrund läuft im Bordradio „Radio Inifnity“. Ich blicke entspannt aus dem Fenster des Schiffes – es ist einfach wunderschön. Nach und nach schälen sich auf dem Planten die Konturen heraus – Berge und Hügelketten, die Küstenlinie des Nordpolarmeeres. Andere Schiffe begleiten uns.
Ich bin unterwegs zum so genannten „Frachterdankfest“, einem kleinen Event, das ein Bekannter Friedrichs namens „Gate“ organisiert hat. Seine Firma „Gate Catering“ hat auch schon auf einem Scenic Cruise gearbeitet. „Frachterdank“ – das geht auf das Erntedankfest auf der Erde zurück, eine Tradition, nach der Ernte im Herbst eines jeden Jahres Gott für die Gaben der Natur zu danken. Hier nun kommen aus allen Ecken des Empires Frachterpiloten zusammen, um sich für erträgliche Geschäfte zu bedanken – eine sympathische Idee. Eigentlich wollten wir auf Friedrichs „Nordlicht I“ fliegen, aber aus bisher ungeklärten Gründen hat Hurston das Flaggschiff von Nordlicht Aviation auf Lorville festgesetzt. Ein ausgiebiges Tauschen und Einlaufen von Gütern fällt damit zwar aus, dem gemeinsamen Erlebnis tut dies aber keinen Abbruch.
Nach der Landung vertreten wir uns die Füße – nicht zu glauben, was Hurston noch für schöne Ecken hat. Hurston Dynamics schmutzige Finger haben noch nicht den ganzen Planeten ruiniert. Es folgen eine kurze Ansprache von Gate, dann ein wenig Spiel und Spaß mit Rovern und ein kurzer Flug entlang der Küste. Schließlich geht es zurück nach Lorville. Im EzHUb geht mir schließlich die Corsair durch den Kopf. Wahr ist: Sie passt nicht zu mir. Ich finde sie verwegen, sie hat etwas – nur: Das bin nicht ich. Ich bin kein „Haudrauf“-Journalist, keiner der pausenlos mit dem Kopf durch die Wand geht. Ich bin ein Teamplayer, einer den man nicht unterschätzen sollte – aber keiner, vor dem man sich fürchten muss und der sofort jedes Wort auf die Goldwaage legt. Ich will auch nicht pausenlos mit Argwohn durchs Leben gehen. Eigentlich bin ich beim Kauf nur der Masse hinterher gerannt. Und was Image angeht: Wem will ich etwas vormachen? Mir selbst? Meinen Freunden? Ist doch albern.
Der Ausflug am nächsten Tag in der Corsair bestätigt all dies. Ich treffe Friedrich durch Zufall auf Lorville. Er ist mit einem Piloten in spe verabredet, ein gewisser Chris Kross. Friedrich fliegt bei mir mit, Kross übernimmt eine Origin 890 Jump. Gemeinsam cruisen wir über die verbrannte Umgebung Lorvilles. Kross erweist sich als gekonnter Pilot, dreht richtige Pirouetten um die Corsair. Friedrich freut sich über einen eventuellen Neuzugang zu seiner Standardcrew, dem er die „Nordlicht I“ anvertrauen würde. Zurück in Lorville schreibe ich den örtlichen Schiffsdealer an, er möge die Corsair zurücknehmen. Die Antwort folgt prompt: erledigt. Klar, das Drake-Schiff verkauft sich aktuell wie geschnitten Brot, da kommt es auf einen Käufer mehr oder weniger nicht an. Zurück zur Normalität.
Journal-Eintrag 26 / 11 / 2952
Nick schaut uns an, als hätten wir den Verstand verloren, als wir ihm sagen, was passiert ist.
Ich war eben auf ArcCorp. Gabriel auf Hurston, Ella ebenso.
„Nee, Ihr wart nirgendwo. Ihr habt vor mir gestanden wie Ölgötzen. Und Ihr wart nicht ansprechbar.“
Ich blicke ebenso verständnislos zurück.
„Nee, ich bin eben in einem Krankenhauskittel aufgewacht…wie bei einer Regeneration…“
„Erzähl keinen Quatsch! Du warst die ganze Zeit hier. Genauso wie die anderen…“
„Ist vielleicht etwas in der Luft? Sind wir vergiftet worden?“, fragt Gabriel.
Ella checkt uns mit ihrem medizinischen Multitool.
„Nee, alles in Ordnung.“
Visionen. Es müssen Visionen gewesen sein.
Das Artefakt.
„Lasst uns zurück zum Cockpit gehen, möglichst weit weg von dem Ding“, sage ich.
Die anderen stimmen zu.
Gabriel schwankt bedenklich, auch ich habe Kopfschmerzen.
„Was hat das Ding mit uns gemacht?“
„Wir sollten Eva mal nach den Hadesianern fragen“, antworte ich. „Vielleicht weiß sie mehr…“
Ich erteile ihr den Befehl, alles über die Hadesianer auszuspucken.
Wir erfahren:
Hadesianisches Artefakt – Das Mysterium um die Geschehnisse auf Hades ist eines der größten archäologischen Puzzles, seitdem das System im frühen 26. Jahrhundert entdeckt wurde. Indizien weisen darauf hin, dass die Hadesianer fast ihre gesamte Zivilisation in einem verheerenden Bürgerkrieg zerstört hätten, der den Planet in zwei Teile gespalten hat. Es bleiben aber noch so viele Fragen offen. Wer waren die Hadesianer? Wie hat der Krieg begonnen? Über die Jahrhunderte faszinierte das Mysterium um das System auch die breite Öffentlichkeit. Die Neugier stieg noch weiter, als Wissenschaftler jüngst ein einzelnes Hadesianisches Artefakt auf einem Schwarzmarkt gefunden haben. Kunststückhersteller sprangen schnell auf den Zug auf, um von dem Wahn der Leute zu profitieren, und begannen, exakte Kopien des Artefakts herzustellen – selbst die unidentifizierbaren Symbole entlang des Sockels.
„Macht uns auch nicht schlauer“, sagt Nick.
„Gibt es vielleicht noch weitere Logs des Captains an Bord?“, wirft Gabriel ein. Wir checken die Datenbänke und tatsächlich stoßen wir auf zwei weitere Logs. Im ersten beichtet der Captain, dass er das Schiff verlassen wird, ohne vom Artefakt zu berichten. Für ein Stück altes Metall wolle er nicht sein Leben riskieren. Das zweite Log ist nur schwer verständlich – wir hören es dreimal. Schließlich filtern wir folgende Worte heraus:
Schiff, Zone, Visionen, Artefakt, …tech. Re…mer…
Zero könnte das an Bord seiner „White Rabbit“ bestimmt knacken.
„Herrgott, wo steckt der, wenn man ihn mal braucht?“
Ich schicke ihm die Datei über einen verschlüsselten Kanal.
Nick schlägt vor, dass wir nach ArcCorp zurückkehren – und mal Brant Weiss, den Barkeeper des G-Loc befragen. Haben Barkeeper schließlich nicht immer die besten Hinweise? Hängen in Bars nicht immer die Schiffscaptains dieses Empires in ihrer Freizeit ab? Ich stimme zu und wir machen uns auf den Weg. Gabriel geht es immer noch nicht gut – Nick fliegt das Schiff. Ich grübele – das Ganze nimmt echt bedrohliche Ausmaße an. Während der Rest des Empire die „Intergalactic Aersopace Expo“ feiert, haben wir es mit so etwas zu tun…
Nach unserer Landung steuern wir gezielt das G-Loc an und haben Glück: Weiss hat Dienst und in der Tat sei hier vor wenigen Wochen ein Captain gewesen, der ziemlich wirres Zeug über ein Artefakt gefaselt und immer wieder den Planeten Microtech erwähnt habe. Ich setze die anderen ins Bild. Kurz darauf machen wir uns wieder der auf den Weg – und unterwegs meldet sich Zero zurück.
Herrje, wie immer hängt in diesem Universum alles mit allem zusammen. Keine Panik.
Vergiftet und verdroschen
Es ist mal etwas anderes – ich bin von der „Asada Mining & Trading Corporation“ für eine Reportage für „Off the Record“ auf eines ihrer Schiffe eingeladen worden. Ich warte daher geduldig auf dem Riker Memorial Spaceport auf Nathan K. Asada, den Sohn des Firmeninhabers. Er will mich auf eine kleine Spritztour durchs Verse mitnehmen; unterwegs könne ich ihm ein paar Fragen stellen. Die „Asada Mining & Trading Corporation“ ist eine Firma wie es tausende im Universum gibt. Seinen Hauptsitz hat das Unternehmen im Sol-System auf der Erde. Mit ein wenig Verspätung holt mich Asada im VIP-Bereich des Raumhafens ab. Es ist ein noch recht junger Mann, ein wenig steif vielleicht, aber selbstbewusst. Im Unternehmen sei er für die Sicherheit zuständig, erklärt er.
Wir fliegen mit einer Drake Caterpillar, einem der Arbeitstiere des Hauses. Der Frachtraum ist voll beladen, es geht hinüber nach Crusader. Nach dem Start beginnen wir unseren kleinen Rundgang. Ich stelle Asada ein paar Fragen zur Firmengeschichte und wo sich Handel und Mining im Stanton-System besonders lohne – kurz: Ich klappere meinen Standardfragenkatalog ab, während draußen die Lichter ArcCorps kleiner werden. Asada führt mich durch die Eingeweide des Schiffes. Man hat es für meinen Besuch nicht sonderlich herausgeputzt, rauer Schiffsalltag wohin man blickt, die Besatzung macht routiniert ihren Job.
Kaum haben wir das Planetensystem verlassen, stoppt das Schiff jedoch abrupt mitten im Nirgendwo. Es folgen wilde Wortwechsel zwischen Pilot und Mechaniker, irgendein Bauteil sei durchgebrannt. Ich beobachte gespannt, wie sich die Mannschaft bei diesem unerwarteten Problem schlägt. Es ist ein Geschenk für jeden Reporter, wenn die Fassade plötzlich abblättert. Schließlich zeigt sich: Schneller Ersatz für eine wohl entscheidende Sicherung ist nicht an Bord. Asada ist der Zwischenfall merklich unangenehm. Es gibt mehrere Startversuche des Schiffes, nachdem der Mechaniker im Maschinendeck eine Überbrückung eingebaut hat – doch es bringt alles nichts: Die Cat streikt.
Ich frage Asada, ob das auf Schiffen seines Unternehmens öfter vorkommt und lasse ihn wissen, dass das nicht den besten Eindruck auf einen Journalisten macht, will man ihn von der Professionalität des eigenen Unternehmens überzeugen. Wir gehen in die Messe des Schiffes, weil ich plötzlich ungeheueren Durst bekomme. Wir stoßen passend zum rohen Drake-Ambiete des Schiffes mit zwei Smolz an. Gestrandet im All lässt sich leicht Brüderschaft begießen. Unterdessen fordert der Captain externe Hilfe an – und zu meiner Überraschung taucht alsbald darauf Hermioth mit einer Drake Cutter auf, dem neuen Nesthäkchen-Schiff des umstrittenen Herstellers. Mir geht es unterdessen nicht wirklich besser – der Durst verschwindet nicht, eher wird er schlimmer. Innere Hitzwallungen kommen hinzu.
„Nathan, mir geht es nicht gut. Stimmt mit der Atemluft im Schiff etwas nicht?“
Asada blickt mich verwirrt an – auch ihm scheint es nicht sonderlich gut zu gehen.
„Eigentlich nicht. Die schiffseigenen Messinstrumente zeigen nichts an.“
Ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten, vor meinen Augen verschwimmt alles.
Hermieoth, der dem Mechaniker unterdessen das fehlende Bauteil übergeben hat, stößt zu uns.
„Bru, als ihr mich um Hilfe angefunkt habt, habe ich aus dem Datenstrom etwas Beunruhigendes extrahiert…“
„Bin ganz Ohr…“
Dann zeigt er mir die Übertragung.
Ich muss mehrfach mit den Augen kneifen – das kann nicht wahr sein.
Ich lese es zwei-, dreimal, bis ich es kapiere.
ICH BIN VERGIFTET WORDEN. EIN BEWUSSTER ANSCHLAG!
Es muss etwas im Bier gewesen sein.
Zur allgemeinen Übelkeit kommen jetzt auch noch Sehstörungen hinzu.
Hermieoth liest aus der verschlüsselten Botschaft noch etwas heraus: Als Waffe wurde offenbar der Zariska-Virus eingesetzt. Er schlägt es im Spectrum nach: Eine uralte Krankheit, eigentlich ausgerottet – endet tödlich mit einem anschwellenden Gehirn. Ein offizielles Gegenmittel gibt es nicht.
Mein Imprint liegt auf ArcCorp. Sterben – wieder aufwachen. Nicht schön, aber verschmerzbar. Dann wird es mir schlagartig klar: Was, wenn das Gehirn vorher geschädigt oder sogar zerstört wird? Dann war es das mit der Regeneration. Ich wache womöglich gehirntot wieder auf. Ich bekomme eine Heidenangst. Das hier ist nichts anderes als reinrassiges Ghosting, das Auslöschen einer Person als Ganzes oder dessen, was sie ausmacht. War ich nicht erst vor einigen Monaten genau davor gewarnt worden? Hatte ich es ernst genommen? Nein.
Mir wird angst und bange. Hatte ich mich zuvor innerlich noch über die ungemachten Betten im Schiff mokiert, so lasse ich mich nun erschöpft und geschockt genau in eines dieser Betten fallen. Tausend Gedanken rasen mir durch den Kopf. Vergiftet – von wem und warum? Wer hat so große Angst vor meinen Enthüllungen? Wem bin ich so auf die Füße getreten? Wem bin ich im Weg? Ich lehne mich zur Seite und übergebe mich auf den Boden.
Neben mir im Bett höre ich leise Nathan stöhnen.
Weit entfernt springen die Maschinen des Schiffes wieder an, wir scheinen weiterzufliegen.
Hermieoth gibt mir irgendeine Spritze. Mein Sehvermögen kommt langsam zurück.
„Hilft zwar nicht gegen das Virus, lindert aber die schlimmsten Symptome.“
„Okay.“
„Ruhig Bru, da gibt’s einen Typen auf Hurston, der hat wohl eine Art Gegenmittel. Da fliegen wir jetzt hin.“
„Okay.“
„Du….da ist noch etwas…“
„Ja..?“
„Eine Audiodatei, die ich in einem Schiffswrack auf Lyria gefunden habe.“
„Aha.“
Er spielt sie mir vor.
Es geht darin um das Heilmittel gegen den Zariska-Virus. Und um eine Biobot-Technologie. Irgendwer wird entführt, jemand anderes erschossen. Dann folgt das entscheidende Wort: ENOS. Verdammt. Den ganzen Scheiß hatte ich schon fast verdrängt. Aber ich wusste auch immer, dass er mich wieder einholen würde. Das Verse vergisst eben nichts.
Enos.
Xedan Thormento, der ermordete Professor Mobi, Renaissance, Eris, Daston Rim – mir schwirren sofort wieder tausend Begriffe durch den Kopf.
„…sind wir bald da?“
„Gleich Bru…“
Ich versuche aufzustehen, breche aber sofort zusammen. Auf dem Bauch liegend krauche ich durch das Schiff. Ich schleppe mich zur Kanzel in der das Beladen des Schiffes verfolgt werden kann und in der Nathan und ich noch vor einer halben Stunde unser formelles Gespräch geführt hatten. Ich hoffe, der Blick aus dem Schiff wird den Schwindel mindern. Das Schiff ist unterdessen im Anflug auf Ivory, so der Name der Schrotthalde, auf der sich der Mann mit dem Gegenmittel aufhalten soll. Ich ziehe mich am Fenster hoch und blicke hinab auf eine Einöde.
Ich übergebe mich erneut, während das Schiff landet.
Ich muss einen Asada-Firmen-Undersuit samt Helm anziehen. Erst will ich mich weigern – aber die Mannschaft hat natürlich recht: Nur so wird verhindert, dass ich das Zariska-Virus auf den Planeten einschleppe. Rund um den Schrottplatz sind lauter Schiffe gelandet. Hier macht offenbar einer das Geschäft seines Lebens.
Hermioth checkt die Lage. Wir warten und ich beobachte das Treiben. Nach und nach geht es mir besser – heißt es nicht so, dass man noch mal richtig aufblüht, bevor der Tod eintritt?
Komm schon, Hermioth – uns läuft die Zeit dvon.
Schließlich kehrt er zurück – der „Schrottbaron“ würde uns nun empfangen. Nathan und ich stolpern aus dem Schiff und über den Schrottplatz. Ich wechsle mehrfach die Funkfrequenz und habe überall nur Idioten auf dem Kanal. Ob jemand wisse, wo ich den „Schrottbaron“ finden würde, den Kerl mit dem Gegenmittel, will ich wissen – und ernte entweder höhnisches Gelächter, dämliche Antworten oder Desinteresse. Offenbar sammelt sich hier gerade der gesamte Abschaum des Verse.
Schließlich erbarmt sich doch einer und sagt uns, er würde uns nun empfangen. Wir stolpern ein paar Stufen einen provisorischen Metallverhau hinauf, dann stehen wir vor einem Hünen, der uns jovial und sich seiner Macht über Leben und Tod bewusst, anblickt.
„Zariska-Gegengift gefällig?“
Ich nicke matt.
„Die erste gibt’s umsonst, danach müsst ihr zahlen. Ihr braucht alle zwei Tage eine neue Dosis, sonst geht ihr doch noch drauf. Das Gift baut sich nur sehr langsam im Körper ab.“
Ich nicke erneut – Hauptsache, ich überlebe die nächste Stunde.
„Okay“, sage ich, nehme die Spritze und ramme sie mir in den Arm.
Nathan macht es ebenso.
Giftbaron – das träfe es wohl besser.
„Und jetzt?“
„…zurück zum Schiff. Weg von hier“, antworte ich.
Plötzlich läuft mir ein Bekannter über den Weg – Ray Keaton, Gründungsmitglied der „Free Riders“ und letztens auf Grimhex richtig auf Krawall gebürstet wegen angeblich manipulierter Bikes.
„Brubacker, komm mal hier kurz rüber.“
Ich ahne nichts Schlimmes.
„Wir wollten grad…“
„Nur einen Moment.“
Ich folge ihm in eine düstere Ecke, als er mir auch schon eine Waffe unter Nase hält.
„Keine Mätzchen. Du rufst jetzt sofort Zero Sense her.“
Ich glaube, mich verhört zu haben.
„Sag mal, spinnst du…auf keinen Fall!“
„Ruf ihn, sofort!“
„Nein!“
Keaton steckt seine Waffe weg und nutzt aus, dass ich immer noch schwach auf den Beinen bin. Das nächste, was ich spüre, ist ein voller Schlag ins Gesicht. Ich taumle, knalle lang hin.
„Rufe ihn an!“
„Du kannst mich mal.“
Nächster Schlag.
„Was war auf der Renaissance los? Du warst doch an Bord…“
„Ich…was…?“
„Warst du doch…“
„Ja, worum geht’s hier eigentlich? Bist du vollkommen bescheuert…?“
Der nächste Faustschlag.
„Eris…sagt dir das was…?“
Mir schießt ein Gedanke durch den Kopf. Vielleicht braucht das Gegenmittel, um zu wirken. Wenn ich jetzt durch diesen Schwachkopf draufgehe, war es das vielleicht doch noch. Ich muss so lange wie möglich am Leben bleiben. Ich denke fieberhaft nach.
„Eris…ja…ja…“
Er wurde auf der Renaissance entführt, soweit erinnere ich mich. Zero war offenbar dabei. Ich nicht – ich gab unterdessen „Mr. Trepmelk“ als Tarnung. Keaton offenbart mir, dass er Eris Leibwächter gewesen und ebenfalls außer Gefecht gesetzt und nach Grimhex entführt worden sei. Daher weht also der Wind.
„Ray, ich weiß nichts. Ehrlich…ich war an Bord ja, aber ich wusste nicht, was da geschah….“
„Gibt mir einen Namen! Irgendeinen.“
Meine Gedanken rasen.
Wen…ja…wen….
Kjeld Stormarnson oder Thane McMarshall. Nur diese beiden fallen mir ein.
Wenn ich nicht bald was sage, schlägt er mich vielleicht tot.
„Kjeld…Kjeld Stormarnson“, presse ich atemlos hervor. „Er hat irgendeine Sicherheitsfirma.“
Keaton lässt von mir ab.
„Hau ab!“
Ich krieche auf allen Vieren davon.
Verdammte Scheiße – ein Reporter, der unter Druck seine Quellen verrät, was ist das für ein Reporter…?
Andererseits wäre ich sonst vielleicht geghostet gewesen…
„Bru…hier rüber!“
Hermieoth, Gott sei Dank.
Erst jetzt merke ich, dass mittlerweile über uns der Himmel brennt. Jeder scheint in diesem Drecksloch mittlerweile auf jeden zu schießen. Egal, nur weg von hier.
„Bru…hier rein, in die Cutless.“
„Hermie, das Schiff – wem gehört es? Wieso…was läuft hier?“
Ich stammle die Worte mehr, als dass ich sie sage.
„Bru, halt die Klappe! Wir müssen hier weg. Sofort.“
Ich schleppe mich in das Schiff. Kaum bin ich drin, starten wir auch schon.
Es ist ein echter Notstart und Hermioth zieht das Schiff senkrecht nach oben.
„Ab in den Turm, halt Ausschau, ob wir verfolgt werden.“
Ich hangele mich zum Turm, blicke mich um. Alles frei.
Dann sind wir auch schon im Quantumsprung – und bald darauf landet Hermieoth auf Bajini Point.
Ich lege mich im Krankenhaus auf ein Regenerationsbett – ich bin ordentlich derangiert.
Vergiftet, verdroschen.
Giftbaron…was für ein Penner, Keaton…was für ein Arschloch. Und ein Schiff haben wir auch noch geklaut.
Die Apparatur stellt mich vollständig wieder her. Auch einen Virus erkennt das Gerät nicht. Alles nur Drohgequatsche des „Schrottbarons“?
Egal, zunächst sind wir in Sicherheit.
Dann treffen Nathan und seine Mannschaft ein. Herrje, Nathan – den hatte ich ganz vergessen. Aber auch sie haben es geschafft. Wir blicken uns ratlos an. Wer hat ihr Schiff manipuliert? Wieso bin ich vergiftet worden? Die Mechaniker beschließen, das Schiff auf Herz und Nieren checken zu lassen. Ich fliege runter nach ArcCorp. Wenigstens mal kurz durchschnaufen. Enos. Wir haben es also weiterhin mit einer ausgemachten, genverändernden Biowaffe zu tun. Nur ist alles noch viel schlimmer als gedacht. Doch eins nach dem anderen. Erst brauche ich wieder einen klaren Kopf – und wir haben da ja auch noch ein kleines Artefakt-Problemchen…
Journal-Eintrag 06 / 12 / 2952
Jeder gegen jeden – das ist der aktuelle Zustand im Stanton-System. Der Giftanschlag auf meine Person ist ein paar Tage her, mir geht es weiterhin gut. Ray Keatons Schläge habe ich körperlich ebenfalls verdaut, auch wenn sie mir moralisch immer noch zu schaffen machen. Habe mit Gabriel und Friedrich Winters darüber gesprochen. Gabriel ist so fassungslos wie ich. Friedrich hat so seine ganz eigenen Sorgen: Offenbar sind ihm am selben Abend, an dem ich um mein Leben bangte, auch Dinge widerfahren, die ihn ziemlich erschütterten. So wurden zwei Ärzte erschossen, die sich an Bord seiner „Nordlicht eins“ befanden, weil sie zwischen zwei Fronten gerieten. Die Imprint-Technologie – sie ist vor gut einem Jahr im Empire als neue segensreiche Technologie durchgedrückt worden. Nun zeigt sich immer mehr: Die Hemmschwelle, anderen Gewalt anzutun, ist dadurch im freien Fall – man kann sich ja regenerieren. Es wird schneller geschossen, weniger nachgedacht. Was zählt, ist das Hier und Jetzt, nicht die langfristige Konsequenz. Anders gesagt: Im Schlepptau bringt die Technologie als Kehrseite ein allgemeines Misstrauen allem und jedem gegenüber mit. Für eine aufgeklärte Zivilgesellschaft ist das pures Gift.
Das Wrack
Man merkt, dass Gabriel früher einmal semi-professioneller Rennpilot war.
„Herrje, Gabriel, geht’s auch ein wenig ruhiger? Mir wird hier hinten kotzübel.“
„Sorry, Macht der Gewohnheit.“
Wir brettern mit Vollgas über Microtech.
Aus der Seitentür des Ursa Rover erhasche ich einen letzten Blick auf unsere Carrack. Es war ein wunderschöner, ruhiger Anflug, nun dreht sich mir der Magen um – wie nah manchmal alles beieinander liegen kann.
Gabriel nimmt den nächsten Stein oder die nächste Wurzel mit.
„Gabriel…“
„Sorry!“
Ich stöhne innerlich und halte mich irgendwo fest. Hoffentlich ist das bald vorbei.
Unser Ziel: Ein altes abgestürztes Reclaimer-Bergungsschiff, versteckt zwischen Wäldern. Es hat eine Weile gedauert, bis wir es aus der Luft gefunden hatten. Nun legen wir aus Sicherheitsgründen die restliche Strecke mit dem Rover zurück.
„Wir sind da. Alles aussteigen.“
Gott sei Dank.
Wir stehen auf einem Hügel und blicken hinab. Hinter Baumwipfeln lugt ein rostiger Rumpf hervor. Unter uns: ein steiniger Abstieg. Zero checkt mit seinem Zielfernrohr die Lage, ob sich da unten etwas rührt.
„Dann wollen wir mal….“
Wir sind fast den Berg runter, als Gabriel und ich ausrutschen und uns fast den Hals brechen.
„Himmel…“
Ella eilt herbei. Dank ihrer Medigun sind wir schnell zumindest halbwegs wieder hergestellt. Anschließend geht es vorsichtig weiter und je mehr wir uns dem Wrack nähern, umso mächtiger wirkt es. Schließlich stehen wir direkt davor und mich erfasst Ehrfurcht: Es ist erstaunlich, wie sehr das Leben selbst das alte Wrack wieder neu erblühen lässt – Ranken schlängeln sich noch durch kleinste Ritzen, weiten Spalten, bemächtigen sich der turmhohen Wände – als hätte der Planet nur darauf gewartet, auf das riesige, alte Rostungetüm sein grünes Kleid zu werfen, um dem Schiff so ein zweites Leben zu schenken.
Bald bewegen wir uns mit gezogenen Waffen durch das Wrack, auf der Hut und jederzeit bereit, unsere Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Unser gebückter Gang, das Schleichen um Ecken, das vorsichtige, behutsame Vortasten – es passt nicht zur sonst friedlichen Szenerie in der Tundra Microtechs. Sicher, vor langer Zeit, war das mächtige Bergungsschiff hier gewaltsam und brutal aufgeschlagen, noch heute zeugt eine Schneise der Verwüstung davon, weil der Pilot offenbar bis zur letzten Sekunde versucht hat, das Unglück abzuwenden, doch das ist schon alles lange her. Nun hat hier wieder die Natur selbst das Sagen.
Piraten haben das in zwei Hälften zerrissene Schiff zu ihrer Heimstatt gemacht, überall prangt das Logo der Ninetails. Doch wir haben Glück. Die gefürchteten Outlaws des Stanton-Sytems sind ausgeflogen, das Wrack ist verlassen. Vielleicht sind sie irgendwo auf Beutezug.
Gut jedenfalls für uns. Zero steckt seine Waffe weg.
„Alles sauber.“
Er war bereits zuvor hier gewesen. Captain Denvers Botschaft, dass sich hier womöglich weitere Hinweise auf den Ursprung des hadesianischen Artefakts finden lassen, hatte nicht nur uns, sondern auch ihn überrascht. Wie uns Zero zuvor auf dem Herflug erzählt hatte, stammt das Schiff ursprünglich aus dem Nul-System, aus dem auch er selber kommt. Mehr noch: Der Captain des Schiffes, ein gewisser Captain Knox, sei früher ein Freund von ihm gewesen. Manchmal kann das Verse verdammt klein sein. Nun hat das Schiff auf Microtech sein Ende gefunden.
Nachdem wir uns in der Umgebung versichert haben, dass sich wirklich niemand in der Nähe aufhält, durchkämmen wir das Schiff Stück für Stück. Wir suchen im Wrack nach irgendetwas Brauchbarem – einer Audiodatei, einem Datenpad mit einer Aufzeichnung, einem File. Wir kraxeln, klettern, krauchen. Irgendwo knarzt es immer wieder mal, dann pfeifft der Wind durch ein paar lose klappernde Metallteile. Die Strahlen von Stantons Sonne greifen wie Finger in die zahllosen klaffenden Löcher im Rumpf. Kurz: Es wirkt, als würde das Schiff immer noch seinen letzten Odem aushauchen. Das Schiff, es ist im Wortsinne ein Geisterschiff – und wir fühlen uns alles andere als wohl darin.
Zumal jederzeit die Piraten zurückkehren können. Mein Bein schmerzt. Ich versuche den Schmerz zu ignorieren und denke nach. Waren an Bord vielleicht Schatzjäger? Welcher Deal ist hier gemacht worden? Der gleiche, den auch Denvers eingegangen war? Wurde der Captain wahnsinnig? Mir wird klar: Wir stochern nur im Nebel.
„Hier ist nichts. Vielleicht hat Denvers sich etwas zusammen gesponnen?“, sage ich.
Ich sinniere noch, als ich plötzlich höre, wie sich unbekannte Schiffe nähern. Mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter.
„Verdammt…“
Sind wie verfolgt worden? Kehren gar die Ninetails zurück?
Gleichzeitig ruft Zero, dass er ein aktives Übertragungsrelais gefunden hat.
„Komm rüber, Bru – bevor die hier landen.“
Ich laufe, so schnell ich kann. Die unbekannten Schiffe kreisen wie Adler über uns.
Tatsächlich – eine Konsole.
„Kopple sie mit der Carrack, spiele alle Dateien rüber.“
„Okay.“
Die Schiffe landen. Schwer gepanzerte Typen mit gezogenen Waffen kommen heraus.
Wir verschanzen uns in Containern, ebenfalls mit der Waffe im Anschlag – dann lässt einer der Besucher seine Waffe sinken. Wir machen es ebenso.
Alles bleibt friedlich – es geht auch mal anders.
Ich signalisiere den Unbekannten, dass wir hier fertig sind, anschließend steigen wir in die Carrack und sind so schnell wir können auf und davon. Während Gabriel das Schiff zurück nach Port Tressler bringt, schauen sich Zero und ich uns die heruntergeladenen Daten an.
„Eigentlich krass, dass die ungesichert waren…“, sagt Zero.
„Die werden nicht damit gerechnet haben, dass jemand danach sucht“, erwidere ich.
Gemeinsam schauen wir auf das Display. Nur kryptisches Zeug. Tabellen, etwas, das aussieht wie ein Genomstrang…dann…
„…das da…“, sagt Zero und zeigt auf einen Bildschirm, „…das sieht aus wie ein Gehirnwellenmuster…“
Ich nicke. So etwas habe ich im Krankenhaus schon einmal gesehen.
„Was…was, wenn das Artefakt eine Art Transmitter ist…“, sagt Zero plötzlich.
Ich blicke ihn verständnislos an.
„Um in fremde Gehirne einzubrechen…eine Art Alien-Telepathie. Man bleibt körperlich vor Ort, aber der Geist nicht…“
„Wie bitte..?“
Ella tritt zu uns, Gabriel ist übers Schiffs-Intercom zugeschaltet.
„…oder es ist einfach nur ein Alltagsgegenstand. Vielleicht war das ihre normale Art, miteinander zu kommunizieren. Man spricht miteinander, indem man den anderen einfach in seinem Kopf besucht…“
„Erspart das strapaziöse Reisen.“
„Genau.“
„Die Hadesianer haben ihren ganzen Planeten in die Luft gesprengt. Es gab einen großen Krieg. Vielleicht wollten sie sich so einen Vorteil über ihren Gegner verschaffen, wissen, was sie planen…und es ist doch eine Waffe…die mächtigste überhaupt…“, sage ich.
Tatsache ist: Wir sind so klug wie vorher. Wir blicken uns gegenseitig an.
Höchste Zeit, etwas trinken zu gehen.
Und Tatsache ist auch: Ein weiteres Jahr neigt sich dem Ende zu. Vor fünf Jahren war ich aus der Kryostase auf der „Rangin“ gerettet worden und auf Port Olisar aufgewacht. Bin ich mittlerweile große Schritte vorangekommen? Zumindest nicht, was meine eigene Vergangenheit angeht. Neue Freunde habe ich gefunden, viel erlebt, Schritte in ein unendlich viel größeres Universum getan. Mittlerweile ist mir klar: Nicht alles kann man mit seinem Verstand erfassen. Dazu ist das Verse zu groß, zu vielschichtig, zu komplex. Das kommende Jahr wird vieles aufklären – das habe ich im Gefühl. Ich hoffe es zumindest.
Journal-Eintrag 18 / 12 / 2952
Zero ist von Hurston Dynamics verhaftet worden! Nicht zu fassen – sie haben ihn echt erwischt. Ich hatte zuvor noch eine dubiose Nachricht von ihm bekommen, dass er sich mit einem gewissen Sam auf dem Mond Daymar treffen wollte. Offenbar ist dabei irgendwas schief gegangen. Habe versucht ihn anzupingen – Empfänger nicht erreichbar. Wenn das die „Free Riders“ nicht wieder zusammmenbringt, was dann? Zeit, ein paar Hebel in Bewegung zu setzen.
Journal-Eintrag 27 / 12 / 2953
Das „Pride of Arliss“ schwebt wie ein Grabmal in der Unendlichkeit. Wir ziehen mit der Clarke II ein paar langsame Runden um das riesige Schiff. Hin und wieder flackern ein paar Lichter auf, noch scheint ein wenig Leben in ihm zu sein. Vielleicht ist noch nicht alles verloren – ein Trugschluss, wie sich jedoch schon bald zeigen wird. Ich stoppe die Mercury, Husky Winters schwebt aus dem Heck und wartet kurz darauf in der Steuerbord-Luftschleuse auf mich. Je mehr auch ich mich nun dem Schiff nähere, umso mehr wächst es zu seiner wahren Größe heran. Das Schrott-Verwertungsschiff Reclaimer ist eine wahre Machtdemonstration.
Ich trage einen Zeus-Raumanzug, eine Erinnerung an längst vergangene Zeiten aus den frühen Tagen der Raumfahrt. Nach außen sieht man ungelenkt und aufgeplustert aus, innen ist der Anzug bequem und bietet ordentlich Bewegungsfreiheit. Ich schwebe zu Husky, der mich einweist. Unser Auftrag ist einfach: Wir sollen Informationen von einem Datapad extrahieren, das an Bord versteckt sein soll. Offenbar war das Schiff mitten in einer Bergungsaktion, als es überfallen wurde – die Crew hatte keine Chance, wie wir schon bald feststellen müssen: Alles muss rasend schnell gegangen sein. Der Schwerkraftgenerator wurde außer Kraft gesetzt, die Mannschaft getötet. Überall im Schiff schweben Leichen. Im Auftrag hatte gestanden, dass der Captain versuchte hatte, den Preis hochzutreiben – etwas, das er offenbar nicht zum ersten Mal versuchte hatte…
Husky und ich bewegen uns mit gezogenen Waffen und im Schneckentempo durch das Schiff. Blut an Wänden zeugt von der kurzen Heftigkeit des Überfalls, womöglich eine Racheaktion.
„Entsetzlich“, sage ich. „…und so sinnlos.“
„Für ein paar Credits mehr.“
Ich nicke.
Wir finden eine Konsole, mit der wir teils ausgesetzte Schwerkraft im ganzen Schiff abschalten können – im riesigen Heck des Schiffes ermöglicht uns dies, auch an unzugängliche Stellen zu kommen. Dort finden wir schließlich den toten Captain, festgekettet in einer Transportkiste – sowie das Datapad.
„Alles klar, raus hier“, sage ich. „Wir können hier nichts mehr tun.“
Husky nickt.
Auftrag erfüllt.
Ein gelungener Jahresabschluss sieht anders aus.
Journal-Eintrag 30 / 12 / 2952
Wo steckt Zero? Ich hoffe, es geht ihm einigermaßen gut. Wie geht es nächstes Jahr weiter? Wieso muss jeder immer gleich zur Waffe greifen oder ausrasten, wenn’s nicht mal ganz so rund läuft? Mir kommen die Toten an Bord der „Pride of Arliss“ in den Sinn. So sinnlos. Der Anschlag auf mein Leben! Ich reibe mir das Kinn. Keatons Faustschläge! Gabriel hatte sich mit ihm wohl unterhalten. Nun denn, offenbar hat auch Keaton seine Gründe. Husky hat sie mir lang und breit dargelegt. Soll ich mir mal seine Version anhören? In mir sträubt sich alles. Aber: Perspektivwechsel, ein offener Geist – sind das nicht die unabdingbaren Voraussetzungen für einen Journalisten?
Ich blicke aus dem Fenster der Constellation Phoenix. Ich bin von Gate Catering zu einem kleinen Rundflug eingeladen worden. Draußen zieht das Hochhäuer-Meer ArcCorps vorbei. Der Pilot hat offenbar eine Erlaubnis erhalten, möglichst tief durch die Gassen zu fliegen. Milliarden unbekannte Schicksale leben dort draußen, jedes wichtig und einzigartig. Jedes mit eigener Geschichte. Wer bin ich, dass ich darüber zu urteilen hätte? Ich erspähe den Tower, in dem „Radio Infinity“ seinen Sitz hat. Viel Arbeit, wenig Ruhm. Herrgott, warum muss immer alles so verdammt zäh und kompliziert sein? Und dann erst das Artefakt, das wir an der Backe haben…warum kann es zur Abwechslung nicht mal leicht und einfach sein? Und dann meine eigene Redaktion…ich nehme einen Schluck aus meinem stillen Wasser – Gesundheitsapostel Gate hat nicht einmal einen richtigen Whisky an Bord…Zeit, der Redaktion mal einen kräftigen Schubs zu geben. Da geht mehr, da bin ich mir sicher. 2953 wird alles besser. Muss. Ich lehne mich zurück und schließe die Augen.
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