Eine gute Tat

Wie ein Mechaniker in den Tiefen des Raums gleich zwei Leben auf einmal rettet.

(übersetzt von Brubacker)


Kapitel 01

“In Ordnung, Jess. Ich bin jetzt auf dem Weg dorthin.”

Mit einem Schnipsen schloss Umar den Kommunikationskanal. Die Pause war vorbei. Er schwang seine Füße aus der Koje und Sandwichkrümel rieselten von seiner Brust auf das Bett. Er sollte wirklich mehr am Tisch essen. Wenigstens machte seine schlechte Angewohnheit, seine Stiefel im Bett zu tragen, Sinn. Nachdem er sechs Jahren für die “In-A-Fix“- Assistance gearbeitet hatte, hatte er gelernt, dass Hilferufe immer etwa fünf Minuten nach einem Nickerchen eintrafen.

Beim Verlassen des Mannschaftsquartiers führte Umar eine kurze Sichtprüfung der drei Drohnen durch, die in den Andocköffnungen in der Mitte des Schiffes untergebracht waren. Waren sie aufgeladen? Umar prüfte es. Er übersprang den leeren vierten Anschluss und gab seiner Lieblingsdrohne, „Spear“, einen traditionellen Klaps als Glücksbringer, bevor er auf die Brücke ging. Er setzte sich mit einem Seufzer auf den Pilotensitz und leitete die Energie, die er für den Mittagsschlaf zu den Schilden geleitet hatte, zurück zu den Triebwerken. Leise knurrend schalteten sich die Triebwerke wieder ein.

Er gab die Koordinaten, die Jess geschickt hatte, in sein Navigationsgerät ein, schwenkte die Nase der Vulcan herum und leitete die Quantum-Annäherung an den Asteroidengürtel von Cano ein. Weniger als zwei Minuten später zogen die Lichtschlieren des Quantenfeldes vorbei. Eine nicht allzu schlechte Reaktionszeit. Man konnte sich zwar immer darauf verlassen, dass das Schicksal einem Kunden zuführte, aber ein guter Service war der Schlüssel, um aus einem zufälligen Tankvorgang einen potenziellen Stammkunden zu machen.

Besonders draußen in Cano, wo der Verkehr recht spärlich war. Das Schiff verlangsamte aus dem Quantumtunnel heraus und Umar passte seine Flugbahn in Richtung des Ursprungs des Beacon-Leuchtfeuers am Rande des Gürtels an. Nachdem er einige Augenblicke durch das Feld navigiert war, entdeckte er die Reliant des Kunden, die sich an der Unterseite eines Asteroiden festkrallte. Ohne die Bakenfrequenz hätte er ihn vielleicht völlig übersehen. Die Signatur war so schwach, dass sich das kleine Schiff fast nahtlos in die umgebende Strahlung einfügte. Der Pilot musste alles abgeschaltet haben, um Energie zu sparen, als ihm der Treibstoff ausging.

Bevor Umar die Kommunikation öffnete, befolgte er sein eigenes Protokoll und führte einen vollständigen Scan der Umgebung durch. Es hatte keinen Sinn, zu einer Rettung zu fliegen, wenn man direkt in eine Bedrohung hineinflog und am Ende selbst gerettet werden musste. Nachdem sein MFD Entwarnung gegeben hatte, rief er den Kunden.

“Hallo. Ich bin Umar Deluca von In-A-Fix. Sie haben um eine Betankung gebeten?”

“Ja,danke, dass Sie gekommen sind”, antwortete der Pilot mit einem freundlichen, wettergegerbten Lächeln auf seinem Bildschirm.

“Natürlich, deshalb sind wir ja hier. Lassen Sie mich in Position gehen, und dann können Sie im Handumdrehen wieder fliegen.”

Als Umar sein Schiff über und hinter das andere Schiff rollte, sah er, dass der Rumpf der Reliant schwer beschädigt worden war. Am hinteren Rumpf waren überall Brandspuren zu erkennen, und die Tragfläche war von mehreren Einschusslöchern durchlöchert. Umar konnte sich gut vorstellen, was den Piloten dazu gebracht hatte, keinen Treibstoff mehr zu haben.

“Ich weiß nicht, ob Sie das wissen, aber Ihre Backbord-Rückseite ist ziemlich ramponiert. Wenn Sie wollen, kann ich sie flicken. Es würde nicht lange dauern und es wäre verdammt viel sicherer zu fliegen.”

“Vielen Dank für das Angebot, aber das Geld ist knapp. Nur den Treibstoff für den Moment.”

“Klar. Kein Problem. Halten Sie sich bereit, ich bringe die Drohne gleich zu Ihnen rüber.”

Umar verließ den Pilotensitz und ging zur Kontrollstation an der Rückseite der Brücke. Er blätterte durch seine Optionen – „Spear“ zum Aufrüsten, „Shake“ für Reparaturen und „Liam“ zum Auftanken. Als er „Liam“ auswählte, führte er einen letzten Check durch, und als er alles im grünen Bereich sah, startete er die mit Treibstoff beladene Drohne. Mit geübter Leichtigkeit manövrierte er „Liam“ in Richtung des Treibstoffanschlusses des anderen Schiffes.

“Transfer im Gange”, informierte Umar den Piloten. “Hören Sie, ich frage nur ungern, aber es gibt da noch eine Sache, die Sie für mich tun könnten”, sagte der Pilot und rieb sich den Hinterkopf.

“…hätten Sie vielleicht einen Drink oder etwas Wasser übrig? Treibstoff war nicht das einzige, was ich vergessen habe, und ich fühle mich langsam ziemlich dehydriert.”

Umar zögerte mit der Antwort. Nicht das Teilen war das Problem, sondern die Zeit. Er hatte gehofft, heute mindestens zwei weitere Aufträge zu bekommen, und er wusste aus Erfahrung, wie schwierig es manchmal sein konnte, einen Gast dazu zu bringen, das eigene Schiff wieder zu verlassen.

“Hören Sie, wenn es ein Problem ist, kann ich einfach auch warten, bis ich selbst zu einer Station oder so fliegen kann.”

Umar fühlte einen Stich ins Herz. Was hatte er hier draußen zu suchen, wenn er den Menschen nicht helfen wollte?

“Das ist kein Problem”, sagte Umar mit so viel Gastfreundschaft, wie er aufbringen konnte.

“Wenn ich schon Ihr Schiff volltanke, können Sie auch etwas nachfüllen. Kommen Sie rüber…”

Umar ließ „Liam“ seine Arbeit machen, öffnete die Heckluke seines Schiffes und wartete im Mannschaftsraum. Es dauerte nicht lange, bis er hörte, wie sich der Druck zu erhöhen begann. Er öffnete den Kühlschrank, nahm zwei Sprudelkannen heraus und drehte sich um, als sich die Atmosphäre im Lift ausglich. Umar war etwas erstaunt, als der Pilot sich leicht bückte, um sich nicht den Kopf zu stoßen, als er ausstieg.

Der Mann war sehr groß, und dass er einen Helm trug, machte ihn nur noch imposanter. Plötzlich fühlten sich die Mannschaftsräume viel beengter an.

“Ich hoffe, Sie mögen den Geschmack von Etrog”, sagte Umar und bot die Dose Sprudel an.

“Sonst müssen Sie sich leider mit Wasser begnügen.”

Der Pilot nahm das Getränk nicht an. Er nahm nicht einmal seinen Helm ab.

“Ist der Rest Ihrer Crew noch im Cockpit?”

“Nein, ich bin allein.”

Umar bedauerte die Worte, sobald sie aus seinem Mund gekommen waren. Mit einer geschmeidigen Bewegung zog der Fremde eine Pistole heraus, die er in seinem EVA-Rucksack versteckt hatte.

“Tut mir leid, aber ich brauche Ihr Schiff.”

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Umars Handgelenke schmerzten, weil er gegen das Klebeband ankämpfte, das ihn an den Stuhl des Kontrollterminals fesselte. Es war für die Versiegelung von Schiffsrümpfen ausgelegt, also war es keine große Überraschung, dass er es nicht lösen konnte, aber er musste es trotzdem versuchen.

Im vorderen Teil der Brücke steuerte der Pilot die Vulcan aus dem Asteroidenfeld heraus. Das Kontrollterminal zeigte eine Warnung an, dass sich „Liam“ mittlerweile außerhalb der Reichweite befand.

“Komm schon”, flehte Umar. “Du hättest mich wenigstens meine Drohne holen lassen können.”

“Hören Sie, ich würde es vorziehen, Sie nicht knebeln zu müssen”, sagte der Entführer. “Ich weiß, wie unangenehm das sein kann.”

“Du kannst mich mal. Tu nicht so, als wärst Du ein anständiger Kerl, nur weil Du Manieren hast. Du hast nicht nur mein Schiff überfallen, sondern auch so getan, als wärst du in Schwierigkeiten, um das zu tun. Ich habe versucht, dir zu helfen, und so dankst du es mir?”

Der Entführer sagte nichts, sondern richtete seine Aufmerksamkeit auf die Navigationskarte.

“Weißt du, jedes Mal, wenn ein Arschloch wie du so eine Nummer abzieht, wird es für Leute in echten Schwierigkeiten noch schwieriger, die Hilfe zu bekommen, die sie brauchen. Wer hält schon an und hilft, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass er dafür eine Kugel abbekommt? Also ja, fick dich doppelt.”

Genau wie bei seinem Kampf gegen das Klebeband hatte Umar nicht wirklich erwartet, dass seine Schimpftirade die Situation verbessern würde, aber er fühlte sich definitiv besser.

Überraschenderweise antwortete der Entführer jedoch.

“Ich werde dein Schiff nicht stehlen. Sobald ich dort bin, wo ich hin will, kannst du es zurückhaben.”

“Oh, wenn das so ist, dann lass uns ein bisschen Musik aufdrehen und die Fahrt genießen”, sagte Umar spöttisch, als ihm plötzlich ein Gedanke kam.

“Warte. Was zum Teufel war mit deinem Schiff los?”

“Sie kannten meine Kennung.”

“Wer sind die?”

Keine Antwort. Stattdessen beendete der Entführer die Kursberechnung auf dem Nav und startete den Quantenantrieb. Bunte Lichter zogen vorbei, als die Vulcan schlagartig vorwärts drängte. In der Ferne konnte Umar Pox sehen, den letzten Planeten des Systems, der immer größer wurde. Umar hatte gehofft, dass sie in Richtung Carteyna fliegen würden, wo die Chance, auf Behörden zu treffen, größer gewesen wäre. Hier draußen in der Ferne war die Chance, auf ein anderes Schiff zu treffen, viel geringer.

“Du weißt, dass du einfach um eine Mitfahrgelegenheit hättest bitten können”, sagte Umar und brach das vorübergehende Schweigen.

“Aber das ist das Problem mit Leuten wie dir, nicht wahr? Ihr nehmt euch einfach, was ihr wollt, anstatt es euch zu verdienen. Willst du wissen, warum ich diese Plattform fliege? Damit ich den Schaden, den Leute wie du anrichten, ein wenig rückgängig machen kann. Das Universum ist schon dunkel genug, ohne dass wir uns gegenseitig verletzen müssen.”

Die Quantenlichter erloschen, der Entführer schob seinen Stuhl zurück und stand auf. Er ging an seinem Gefangenen vorbei in den hinteren Teil des Schiffes.

“Wohin gehst du?”, fragte Umar.

“Einen Knebel holen.”

Bevor Umar antworten konnte, ertönte ein schriller Alarm.

“Was zum Teufel ist das?”, fragte der Pilot und sprang die Treppe wieder hinauf.

“Ein ECN-Alarm.”

Umar blickte auf die Pop-up-Benachrichtigung auf seinem Terminal.

“Ein benachbartes Schiff hat ein Leck in seinem Maschinenraum. Sie werden nicht mehr lange haben.”

Der Pilot tippte auf die Steuerung und brachte die Meldung zum Schweigen.

“Die armen Kerle. Das ist ein harter Schlag.”

“Wir müssen ihnen helfen.”

“Ich glaube langsam, du verstehst diese ganze Entführungsgeschichte nicht.”

“Wenn wir ihnen jetzt nicht helfen, werden sie sterben.”

“Und das ist schrecklich, aber nicht mein Problem.”

“Natürlich ist es dein verdammtes Problem. Wir haben die Warnung gehört. Ihr Kraftwerk ist überlastet, und wenn die Strahlung sie nicht brät, dann tut es die Explosion. Wenn wir es ignorieren, bringen wir sie um. So einfach ist das.”

“Und wenn es in der Gegend Sicherheitsleute gibt und die auftauchen, um zu helfen, dann bin ich auch so gut wie tot.”

“Weißt du, wo wir sind? Es ist ein Wunder, dass wir den Alarm überhaupt gehört haben. Wir sind ihre einzige Hoffnung. Verstehst du das nicht?”

Tränen stiegen in Umars Augen.

Der Pilot starrte seinen Gefangenen einen langen Moment lang an.

“Wenn du auch nur ein Wort über mich sagst oder versuchst, ihnen in irgendeiner Weise ein Zeichen zu geben, fliegst du aus der Luftschleuse. Keine zweite Chance. Verstanden?”

Da er sich nicht traute, etwas zu sagen und zu riskieren, dass der Entführer seine Meinung änderte, nickte Umar schnell und nachdrücklich.

“Ich kann nicht glauben, dass ich das tue.”

Der Entführer setzte sich wieder hin und richtete den Kurs der Vulcan auf das Signal der Bake aus. Als er den Quantenantrieb wieder aktivierte, schüttelte er ungläubig den Kopf:

“Ich meine, sieh nur, wie gut es für dich gelaufen ist, anzuhalten, um jemandem zu helfen.”

.Kapitel 02

Umar merkte schnell, wie schwierig es war, sich auf Reparaturen zu konzentrieren, wenn eine Waffe auf seinen Kopf gerichtet war. Natürlich hätte ihm klar sein müssen, dass eine Geiselnahme stressig sein würde, aber es war eine dieser Wahrheiten, die man erst dann richtig begreift, wenn man sie am eigenen Leib erlebt. So wie die Warnschilder “Glitschig bei Nässe” überflüssig erscheinen, bis man in einem Regensturm ins Schleudern gerät.

“…und schön langsam , wies Umars Entführer in einem gleichmäßigen, ruhigen Tonfall an.

“Das ist nur eine normale Notfallreparatur, richtig?”

“Richtig.”

Eine ganz normale, alltägliche Notfallreparatur, bei der jemand dein Schiff gekapert hat und direkt hinter deinem Terminal lauert, falls er dir doch einen Plasmabolzen durch das Gehirn jagen muss. Alles völlig normal. Umar atmete tief durch und schob das alles beiseite. Er musste sich konzentrieren.

Sein Leben war nicht nun nicht mehr das Einzige, das auf dem Spiel stand. Mit ein paar geübten Kniffen an der Konsole startete Umar die Reparaturdrohne „Shake“ in Richtung der Quelle des Notrufsignals – eine Terrapin, die im Weltall trieb und eine beunruhigend hohe IR-Signatur abgab. Als die Drohne auf dem Weg war, rief Umar die Terrapin mit seiner professionellen, beruhigenden Stimme.

“Dr. Hostan? Hier ist Umar von In-A-Fix.”

Die Antwort kam sofort.

“Unser Triebwerk hat eine kritische Kaskade und meine Kühler geben gleich nach”, berichtete Dr. Hostan schwer atmend.

Die Temperatur im Inneren des Raumschiffs musste hoch unerträglich sein. Obwohl sie einen Schutzanzug und einen Helm trug, klebten ihre Haare schweißnass an ihrem Kopf.

“Der Geiger tickt schnell und laut. Ich glaube nicht, dass wir noch viel Zeit haben.”

Umar nahm es den Leuten nicht übel, wenn sie in einer Notsituation in Panik gerieten, aber es half, wenn sie einen klaren Kopf behielten. So hatte er ein zusätzliches Werkzeug, mit dem er arbeiten konnte, statt ein zusätzliches Problem lösen zu müssen.

“Die Drohne ist fast fertig. Sobald der vollständige Diagnosescan abgeschlossen ist, werden wir wissen, was die Kaskade verursacht. In der Zwischenzeit werde ich eine komplette Spülung der Kühler durchführen. Das bringt zwar nicht viel, aber es verschafft uns etwas Zeit.”

“Sagen Sie mir einfach, was ich tun soll.”

Umar begann, ihr zu erklären, wie man die Sicherheitsprotokolle der Kühler umging. Die Ärztin begriff schnell, und es dauerte nicht lang, bis sie die knifflige manuelle Überbrückung geschafft hatte. Dieses Manöver hatte ihm sein Chef Jess beigebracht, als er seine ersten Schritte machte. Ein gutes Beispiel für die Philosophie: “Manchmal muss man ein Schiff noch mehr kaputt machen, wenn man es reparieren will.”

Wenn sie die Terrapin wieder zum Laufen brachten, würden die Kühler im Vergleich zu ihren normalen Betriebsparametern zwar nur noch sehr eingeschränkt funktionieren. Aber das war ein Problem für später. Die erste Priorität war, nicht zu explodieren.

“Die Temperatur sinkt ein wenig”, sagte Dr. Hostan sichtlich erleichtert.

“Sie sind ein Wundertäter.”

“Nee, Doc. Sie haben die ganze schwere Arbeit geleistet”, antwortete Umar. Ein Pop-up auf dem Terminal zeigte an, dass ein neues Datenpaket eingetroffen war.

“Sieht so aus, als wäre der Diag-Scan gerade gekommen, also werde ich Sie schnell ein Hydro-Gel trinken lassen, während ich die Daten durchsehe. Ich will nicht, dass Sie mir ohnmächtig werden.”

Als Dr. Hostan sich umdrehte, um ein Gelpack zu finden, schaltete Umar sein Audio- und Videogerät aus, während er weiterhin den Kanal abhörte.

“Das war ein netter kleiner Trick”, sagte der Schiffsentführer, nachdem die Kommunikation stumm geschaltet worden war.

“Ja”, sagte Umar, während er abgelenkt den Bericht studierte, den Shakes Scanner zurückgeschickt hatten.

“Ich meine, du hast ihr wahrscheinlich gerade das Leben gerettet – und was? Bekommst du dafür deinen Standard-Reparatursatz?”

“Macht es dir was aus, nicht zu reden? Ich versuche herauszufinden, wie -“

Umar ließ den Satz stehen, während er krampfhaft die Zahlen überprüfte, die er von der Drohne erhalten hatte.

“Was ist los?”, fragte der Entführer und beugte sich über das Terminal.

“Nimm das Datenpad”, sagte Umar und deutete auf ein klobiges, drei Generationen altes Modell, das an der Wand befestigt war.

“Öffne das Handbuch für das DayBreak-Kraftwerk. Sollte gleich dort im Ordner sein.”

Der Entführer zögerte. Um das Datenpad zu benutzen, musste er seine Waffe in den Halfter stecken. Mit einem wachsamen Auge auf Umar, um sicherzugehen, dass es sich nicht um einen Trick handelte, verstaute der Mann schließlich seine Pistole und holte das Datenpad heraus. Nachdem es hochgefahren war, fand er das Handbuch und schlug es auf.

“Okay, was jetzt?”

“Hier”, sagte Umar und nahm das Pad in die Hand. Er scrollte und fand den Abschnitt, den er suchte, und las ihn schnell. Dann fluchte er leise vor sich hin und las ihn noch einmal.

“Genug”, sagte der Entführer, “sag’ mir jetzt sofort, was hier los ist.” Umar warf das Datapad auf die Konsole.

“Kennst du dich mit Reaktoren aus?”

“Gerade genug, um keinen zu berühren.”

“Die Kurzversion ist, dass der gute Doktor dank der Genies von Sakura Sun ziemlich gut und richtig am Arsch ist. Sieh…”, sagte Umar, während er die auf dem Terminal angezeigten Scans der Terrapin drehte.

“Die DayBreak wurde mit diesen so genannten Leistungsverbesserungen konstruiert, die höchstwahrscheinlich zu einer schnelleren Überlastung des Kraftwerks führen werden, wenn ich versuche, das Problem zu beheben. Und nichts zu tun ist keine Option, da das ganze Ding sowieso in ein paar Minuten explodieren wird. Also, ja, Wir sind am Arsch.”

“Verdammt”, antwortete der Entführer und  beugte sich vor, um genauer hinzusehen. Er deutete auf die axiale Leitung.

“Und wenn du versuchst, sie zu umgehen, werden diese Sicherungen einfach ausgelöst.”

Umar hob eine Augenbraue, etwas überrascht über die schnelle Auffassungsgabe seines Entführers.

“Ja, das ist richtig. In neunundneunzig von hundert Fällen wäre der Aufbau ideal, aber verdammt, wenn diese eine Ausnahme nicht ein Knaller ist.”

Der Mann richtete sich zu seiner vollen Größe auf und stützte eine Hand auf seine Hüfte neben der Waffe.

“Also, was wirst Du tun?”

“Das, was du tun wirst”, sagte Umar, wobei sein Blick auf das Holster des Räubers fiel. “Du bist derjenige, der damit droht, Leute zu erschießen.”

Die Antwort kam mit einem schweren Seufzer.

“Du willst, dass sie hierherkommt, bevor du mit der Reparatur beginnst.”

“Es ist zu gefährlich, wenn sie noch auf dem Schiff ist, aber mit ihr an Bord könnten wir an den Rand des Explosionsradius fliegen und immer noch in der Lage sein, die Drohnen zu kontrollieren. Vielleicht kann ich es so rechtzeitig reparieren. Vielleicht bin ich nicht schnell genug und das Ding fliegt in die Luft. Aber so oder so, der Doc wird leben.”

“Gut. Tu es.”

“Meinst Du das ernst?”, fragte Umar, der schon halb dabei war, das mentale Argument vorzubereiten, das er glaubte vorbringen zu müssen.

“Ja. Ich weiß nicht, wie viel sicherer sie sein wird, wenn ich in der Nähe bin, aber es wäre dumm, sie jetzt sterben zu lassen, nur weil ich sie vielleicht später umbringen lasse.”

Und während er es dabei beließ, ging der Entführer zum Pilotensessel, um die Luke der zu öffnen, damit die Ärztin einen direkten EVA machen konnte. Umar öffnete das Funkgerät.

“Doc, hören Sie mich?”

“Ja”, antwortete Dr. Hostan. “Was haben die Scans ergeben?”

“Sie müssen zu mir kommen.”

“Werde ich das Schiff verlieren?”

“Das kann ich noch nicht mit Sicherheit sagen, aber ich möchte kein Risiko eingehen.”

“Habe ich wenigstens genug Zeit, um meine Forschungsantriebe zu starten?”,

“Ja, aber schnell, Doc”, sagte Umar wider besseres Wissen.

“Nehmen Sie sich eine Minute Zeit, um zu holen, was Sie müssen. aber danach müssen Sie gehen.”

Die Ärztin machte sich nicht einmal die Mühe, etwas zu erwidern, sondern beeilte sich, die Daten zu sammeln, die sie mit den Sensoren der Terrapin erfasst hatte.

“Sagen Sie ihr, sie soll es vergessen”, warf der Entführer ein, während er die Vulcan von der Terrapin wegschwenkte. Bevor Umar fragen konnte, was zum Teufel los war, bebte das ganze Schiff und die Schilde flackerten auf von einem direkten Lasertreffer.

Umar rief verzweifelt den Doktor an.

“Planänderung, Doc. Sie müssen an Ort und Stelle bleiben. Wir haben Gesellschaft.”

“Wie haben mich diese Bastarde gefunden?”, fragte der Entführer, als er der nächsten Salve auswich.

Umar überprüfte das Radar und sah, dass sich zwei Schiffe schnell ihrer Position näherten.

“Wer sind die?”

“Ein paar billige Schläger.”

“Und Sie dachten, Sie könnten sie mit meinem Schiff abhängen?”

“Das war der Plan.”

“Hätte viel besser geklappt, wenn du meine Drohne nicht zurückgelassen hättest.”

” Das verdammte Ding war mit einem Sender versehen?”

“Warte, wo willst Du hin?”, fragte Umar aufgebracht, als eine Warnung für „Shake“ auftauchte, dass er außer Reichweite geriet.

“Ich bringe uns hier weg.”

Weiteres Lasersperrfeuer verfehlte den Bug der Vulcan nur knapp.

“Nein. Wir bleiben hier und reparieren das Schiff.” “

Ich sterbe nicht für sie.”

“Ich auch nicht, also halte die Schiffe von ihr und von uns fern.”

Nachdem er eine Reihe von Flüchen ausgestoßen hatte, zog der Entführer den Steuerknüppel zurück und steuerte wieder auf die Terrapin zu.

“Ihr habt verdammtes Glück, dass ich ein fantastischer Pilot bin.”

Umar drückte die Taste für die Kommunikation.

“Doc, da Herkommen nicht mehr wirklich eine Option ist, beginne ich mit den Notreparaturen.”

Der Doktor nahm die Nachricht gelassen auf.

“Viel Glück.”

“Ihnen auch, Doc. Wenn Sie irgendwelche Nachrichten zu übermitteln haben, können Sie sie gern rüberschicken.”

“Das werde ich tun. Ich danke Ihnen.”

Und damit beendete Dr. Hostan die Verbindung.

Schnell öffnete Umar den Schacht, damit er seine letzte Drohne starten konnte. Sie war nicht wirklich für diese Art von heikler Arbeit ausgelegt, aber Umar konnte alle zusätzlichen Hände gebrauchen, die er bekommen konnte.

“Die Drohne startet. Kannst du ihr Deckung geben?”

“Bin dabei”, antwortete der Entführer und rollte das Schiff hart auf die Seite. Er positionierte die Vulcan zwischen den beiden Angreifern und dem Doktor. Er schaltete die Steuerung um und setzte die ferngesteuerten Geschütztürme ein, um die Schiffe zu zwingen, ihren Kurs zu ändern. Einer der Attentäter sah dies als Chance und zog sein Schiff nach oben – aber der Entführer war darauf vorbereitet und feuerte mit den Hauptkanonen des Schiffes, die den Backbordflügel des Angreifers durchschlugen. Der Schaden reichte zwar nicht aus, um ihn sofort aus dem Kampf zu nehmen, aber er gab dem Piloten etwas zum Nachdenken.

In der Zwischenzeit gelang es Umar, das Zugangspaneel in der dicken Panzerung der Terrapin aufzuschneiden und das Innenleben zu erreichen. Er steuerte beide Drohnen parallel und begann mit dem schwierigen Prozess, die überschüssige Energie abzuleiten. Genau zum richtigen Zeitpunkt schaltete sich die axiale Leitung ein, und wie vorhergesagt, reagierte das Kraftwerk mit einer Erhöhung der Lastproduktion. Umar fluchte. Der Entführer konzentrierte seine Energie auf das beschädigte Schiff und ging in die Offensive. Das hätte gut funktioniert, wenn die beiden Piloten ein Team gewesen wären, denn wenn man den einen bedrängt, wird der andere hoffentlich reagieren, aber das war hier nicht der Fall. Der weiter entfernte Angreifer ignorierte die Notlage des anderen völlig und nutzte den Vorstoß der Vulcan zu einem Volltreffer. Rauch begann die Hauptkammer des Schiffes zu füllen. Fantastischer Pilot hin oder her, die Fakten sprachen gegen sie.

“Wie sieht’s da hinten aus?”

“Fast fertig.”

Umar hatte etwa halb so viel Zeit, wie er brauchte, bevor das ganze Ding in die Luft flog und die Terrapin und den Doc mit sich riss. Was er brauchte, war eine Möglichkeit, die Energiezufuhr schnell zu unterbrechen, ohne die Explosion selbst auszulösen. Er ging die wenigen Möglichkeiten durch, die er noch hatte, und verwarf sie so schnell, wie sie ihm einfielen.

Vielleicht hätte er etwas tun können, wenn er ein komplettes Drohnenaufgebot gehabt hätte, aber da „Liam“ mit der Reliant des Entführers zurückgeblieben war und seine eigene Sturheit daran schuld war, dass er „Will“ nach einem Unfall nicht ersetzt hatte, kam ihm plötzlich etwas in den Sinn. Wil. Vor ein paar Jahren war die Drohne zusammen mit einer vierköpfigen Besatzung verloren gegangen, als etwas, was eine einfache Reparatur hätte sein sollen, katastrophal schief ging.

Beim Flicken von Rohrleitungen zu einem der Manövriertriebwerke hatte eine unerwartete statische Entladung einen Rückkopplungsstoß in den Plasmaleitungen verursacht. In diesem Fall war der Stromstoß tödlich gewesen, aber da das Kraftwerk des Docs bereits einen kritischen Ausfall erlitten hatte, bestand eine kleine Chance, dass er die Kaskade unterbrechen konnte, bevor sie kritisch wurde, wenn er sie quasi künstlich auslöste und eine seiner Drohnen als Hilfsunterbrecher einsetzte.

„Nun Spear, dann wollen wir mal sehen, wie viel Glück du hast“, dachte Umar.

Der Entführer hatte soeben die letzte Verteidigungsmaßnahme der Vulcan abgeschossen und konnte gerade noch einer Rakete ausweichen, die in der Nähe detonierte. Ein ungewolltes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Nach dem Leben, das er geführt hatte, fiel es ihm schwer zu glauben, dass er bei einer so dummen Heldentat sterben könnte. Plötzlich gab es in der Nähe eine zweite Explosion. Irgendetwas war in den Rumpf der Terrapin geplatzt. Er kniff die Augen zusammen, um sich auf das gleißende Licht vorzubereiten, das der Explosion des ganzen Schiffes folgen würde, aber es passierte nichts weiter.

“Es hat geklappt! Ich kann nicht glauben, dass es funktioniert hat!”

Umar hatte zwar seine Drohne verloren, aber er hatte das Schiff gerettet.

“Ich will euch nicht die Freude verderben, aber ich könnte jetzt wirklich Hilfe gebrauchen.”

Umars Aufmerksamkeit wurde wieder auf den laufenden Nahkampf gelenkt. Wann hatte sich das Schiff mit so viel Rauch gefüllt?

“Gib mir mal die Geschütztürme.”

“Kannst du das?”, fragte der Entführer.

“Finden wir es heraus.”

Mit einem eigenen Mann an den Geschützen kamen die wahren Kampffähigkeiten der Vulcan zum Vorschein. Der Entführer verfolgte ein Schiff mit den Hauptgeschützen und brachte es in Position, damit Umar mit den Kanonen auf dem ferngesteuerten Geschützturm loslegen konnte. Gemeinsam schafften sie es, den zweiten Flügel des Schiffes zu entfernen, das schon zuvor angeschossen worden war. Ohne eine Waffe und kaum manövrierfähig, floh das Schiff. Der verbleibende Attentäter, der seinen Vorteil verloren hatte, traf die einzig vernünftige Entscheidung und folgte ihm.

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Umar stellte zwei Dosen Sprudelwasser mit Geschmack auf den Tisch. Es hatte noch etwa eine Stunde Arbeit gekostet, bis das Schiff des Doktors wieder flugbereit war, und die Anstrengung hatte ihn ausgedörrt. Der Entführer, der auf der anderen Seite saß, öffnete sein Glas und trank einen tiefen Schluck. Als er endlich wieder zu Atem kam, lächelte er.

“Ich schätze, ich mag den Geschmack von Etrog.”

“Na gut, spuck’s aus. Warum war einen Preis auf deinen Kopf ausgesetzt?”

Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Entführers.

“Es ist vielleicht besser, wenn du es nicht weißt.”

“Ja, aber dafür ist es wohl etwas zu spät.”

Die beiden saßen eine Weile schweigend da, während Umar geduldig sein Wasser trank. Der Entführer spielte mit der Lasche der Dose.

“Ich habe für die Familie Dranton gearbeitet und von Carteyna aus geschmuggelt, als ich von den Behörden in Cano erwischt wurde. Ich warf die Ladung ab und  haute ab. Es stellte sich heraus, dass es genug Beweise gab, um die meisten Drantons für immer hinter Gitter zu bringen. Darauf hin ließ Luke Dranton ein Kopfgeld auf mich aussetzen. Das war vor etwa einem Monat, seitdem bin ich auf der Flucht.”

“Wir sollten also mit mehr Gesellschaft rechnen?”

“Die gierigen Bastarde werden die Neuigkeiten wahrscheinlich für sich behalten, bis sie wieder hinter uns her sein können – aber ja, sie werden wiederkommen.”

“Richtig.”

 Umar lehnte sich zurück und trank den letzten Schluck seines Getränks aus.

“Dann fliegen wir jetzt besser.”

“Danke. Wenn Du mich bei Pox absetzt, kann ich mich von dort aus auf den Weg machen.”

“Ich dachte eigentlich, wir könnten zuerst einen Zwischenstopp einlegen. Ich bin nämlich kurz bevor ich dich aufgegabelt habe, auf ein Wrack gestoßen. Da wir auch Bergungsarbeiten durchführen, ist es gut möglich, dass niemand außer mir weiß, dass es dort ist. Wenn wir rechtzeitig dort sind, sollten wir es schaffen, dass im Register steht, dass du leider bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen bist.”

“Ernsthaft? Das würdest du für mich tun?”

Umar zuckte mit den Schultern.

“Was soll ich sagen, ich repariere gerne Sachen.”

– Ende –

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