Drifters

Verfeindete Piratengruppen sind hinter einem extrem wertvollen Mineral her – bis zum großen Showdown.

Von Dave Haddock

 (übersetzt von Moxie)


Kapitel 01

Ein verdammt guter Zeitpunkt, um die Klimaanlage auszuschalten, dachte Reynolds, als er durch die zerkratzte Cockpitscheibe starrte und gleichzeitig das Funkgerät einschaltete.

“Sie müssen sich einen Moment Zeit nehmen und gründlich darüber nachdenken, was Sie hier tun.”

Seine Finger trommelten nervös auf dem Steuerknüppel und er spürte, wie er in seinem Anzug zu schwitzen begann.  Vor etwa fünf Minuten hatte ein EMP seine Retaliator aus dem Quantumtravel geholt. Fünf Schiffe – eine Freelancer und ein Haufen Jäger, zusammengeflickt mit Klebeband und jeder Menge schlechter Absichten, hatten ihm in einer typischen Angriffsformation aufgelauert.

Der Hinterhalt hatte ihn überrascht. Er und seine Crew hatten diese Route wochenlang ausgekundschaftet, um genau diese Situation zu vermeiden. Was die Angreifer wiederum überrascht hatte, war die Tatsache, dass die „Echo“ immer noch über Waffen und Schutzschilde verfügte. Nickels hatte sich endlich dazu durchgerungen das Notstromaggregat zu installieren und obwohl die Triebwerke der „Echo“ von dem EMP betroffen waren, waren sie nun mehr als gerüstet, um damit fertig zu werden. Dieser kleine Umstand ließ die Angreifer innehalten.

“Captain! Zwei weitere Kontakte auf achtern, driften dreißig Grad nach unten”, rief Nickels über die Com.

“Schalten Sie Ihre Waffen aus, werfen Sie Ihre Ladung ab und lassen Sie sich treiben”, sagte einer der Angreifer über Funk.

Dem Aussehen des Cockpits nach zu urteilen, schien er die abgewrackte Freelancer zu fliegen. Es war  wahrscheinlich der Anführer … oder derjenige, der für diesen Überfall verantwortlich war. Reynolds kannte ihn nicht, aber wer auch immer das war, er kannte alle Fakten der „Echo“, insbesondere ihre Fracht.

“Hören Sie zu”, Reynolds lehnte sich vor und blickte in seine Kamera, “angenommen, Sie übernehmen uns in kurzer Hand, Sie wissen nicht, wen Sie beklauen. Diese Art von Ärger, wollen Sie nicht. Der verschwindet nicht einfach wieder.”

Der Sprecher zögerte. Es dauerte nur kurz – und Reynolds entging es nicht.

“Lösen Sie Ihre Ladung und hauen Sie ab.”

Er hatte seine Fassung wieder voll im Griff.

“Nein”, entgegnete Raynolds kalt.

Er kontrollierte seine Bildschirme. Vielleicht dauerte es noch eine Minute bis die Triebwerke wieder online waren. Er schaltete auf die interne Kommunikation der „Echo“ um.

“Wie sieht’s aus, Leute?”

Im obersten Geschützturm starrte O’Neil auf die um sie kreisenden Schiffe. Er brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass Reynolds’ Frage ihn einschloss.

“Oberer Geschützturm kampfbereit”, antwortete er schließlich. Schweiß stand ihm auf der Stirn und rann ihm in die Augen. Instinktiv versuchte er, ihn wegzuwischen, aber seine Hand schlug immer wieder gegen das Visier seines Helmes. Er blinzelte noch einmal, während er der Diskussion Reynolds und demjenigen folgte, der auf der anderen Seite seinen Geschützturm auf ihn richtete.

“Seien Sie nicht dumm, Mann. Sie wollen hier heute nicht sterben”, sagte der Captain der Freelancer.

“Was haben Sie zu bieten?”, bellte Reynolds zurück.

“Flieg weg. Flieg einfach weg …”, dachte O’Neil bei sich. Seine Hände begannen zu zittern.

“Der untere Geschützturm ist bereit, Cap, wann immer Sie diese Mistkerle abschießen wollen”, meldete Frears über das Funkgerät, während er ruhig die Schiffe in seinem Schussfeld durchging.

“Ich biete Fünf zu Eins. Rechnen Sie selbst”, antwortete der Freelancer-Captain.

Dieser Kerl wollte nicht aufgeben.

“Unsinn, was Sie haben, ist ein aufgeblasener Schlepper und ein beschissener Haufen Jäger.”

Frears grinste. Wer auch immer diese Schwachköpfe waren, sie waren an Drückeberger gewöhnt, die ihre Fracht beim ersten Anzeichen von Ärger fallen ließen. Diesmal hatten sie sich die falsche Crew ausgesucht.

In diesem Moment bemerkte er einen Schmierfleck auf der Rückseite seines Helms, den er neben seinen Füßen verstaut hatte. Er wandte seinen Blick von den Idioten draußen ab, um genauer hinzusehen. Es war ein Schmierfleck Motoröl. Verdammter Mist, dachte er. Nickels musste ihn anprobiert haben. Seit er seine Credits für einen neuen CDS-Anzug ausgegeben hatte, war die Crew wie die Geier hinter diesem Helm her.

Reynolds ging die Berichte der anderen Stationen durch. Die Triebwerke liefen und sollten in dreißig Minuten wieder einsatzbereit sein. Der Freelancer-Captain war offensichtlich nicht um jeden Preis auf einen Kampf aus, sonst hätte er schon längst das Feuer eröffnet. Reynolds brauchte nur genug Zeit, um wieder mobil zu werden. Wenn sie erst einmal in Bewegung waren, konnten sie alles überstehen, was ihnen entgegengeschleudert wurde und zwar lange genug, um davonzukommen.

“Das ist das letzte Mal, dass ich frage. Sie wissen, was wir wollen.”

Der Freelancer-Kapitän sprach mit so viel Bedrohung, wie er konnte.

“Sie wiederholen sich”, antwortete Reynolds. Seine Augen waren auf die Anzeige gerichtet, Er beobachtete, wie die Energieanzeige der Aggregate anstieg und wartete darauf bis er gerade genug Energie hatte, um sich in Bewegung zu setzen.

“Sie schalten die Raketen auf”, rief Nickels.

Einer der alten, ramponierten 300er Jäger hatte sie als Ziel erfasst. Wir haben keine Zeit mehr, dachte Reynolds. O’Neils Geschützturm schwenkte und schaltete ebenfalls ein Ziel auf.

“Warten Sie…”, schrie der Captain der Freelancer.

Doch es war bereits zu spät. Der Raum erhellte sich durch den Austausch von Laser- und Raketenfeuer. Der erste Schusswechsel war verheerend. Die „Echo“ wurde durch den Sturm eindringenden Feuers stark beschädigt, aber ihre Schilde und die dicke Panzerung wehrten die fatalen Treffer des ersten Angriffs ab. Als die Retaliator das Feuer erwiderte, war die alte 300er das erste Schiff, das es erwischte. Es wurde von O’Neils Geschützturmfeuer geradezu zerfetzt.

Die Freelancer feuerte ihrerseits eine Ladung Raketen ab. Die Triebwerke der „Echo“ fuhren hoch und der massive Bomber tauchte ab und leitete Gegenmaßnahmen ein. Die Geschütztürme konzentrierten ihr Feuer nun auf die Freelancer, zermürbten die Schilde und durchschlugen das Cockpit mit einer Salve von Schüssen, bevor diese reagieren konnte.

Die „Echo“ taumelte, umschwärmt von Jägern, die sich durch den Verlust ihres furchtlosen Anführers jedoch nicht beirren ließen. Laserfeuer sprühte aus den Geschütztürmen und drehte Pirouetten durch den Raum, bis eine Rakete schließlich voll das Cockpit der „Echo“ traf. Das Ausweichmanöver der Retaliator verwandelte sich in eine Todesspirale und die Jäger stürzten sich auf sie. Der letzte verbliebene Geschützturm killte den letzten Jäger, kurz bevor eine heftige Explosion die „Echo“ in zwei Teile zerriss.

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Kapitel 02

Massive Fragmente des Raumschiffs schwebten ruhig im Raum. Gelegentlich explodierten kleinere Schiffsbereiche, die noch unter Druck standen, stießen die letzten Mengen an Sauerstoff und Flammen aus. Dann war der Raum wieder still.

Ein Lichtpunkt, der zunächst nicht von einem Stern zu unterscheiden war, wuchs langsam heran und kam schließlich nahe genug, um sich als Schiff zu erkennen zu geben. Kritiker bezeichneten die Constellation des Jahres 2918 als “die einzige Fehlkonstruktion” in der stolzen Geschichte von RSI und es fiel vielen schwer, dem zu widersprechen. Die Rumpfbeplankung der Gondeln war falsch bemessen, so dass seltsame Lücken entstanden, aus denen sogar Glut des Antriebs nach außen drang. Trotzdem flog diese 2918 Connie irgendwie immer noch.

Das Schiff driftete langsam auf das sich ausbreitende Schlachtfeld zu. Ihre Retro-Triebwerke pulsierten sanft, um es zum Stillstand zu bringen. Magdalena “Mags” McCann verließ die Navigationsstation auf dem Deck und trat an die Front des Beobachtungsfensters. Sie war nur mit einem Schlafanzug bekleidet, darüber trug sie einen Bademantel und Weltraumstiefel. Sie rührte mit ihrem Löffel in einer Schüssel und fischte nach den Rumble Pops, die sich in den trüben Tiefen der zuckerhaltigen Milch versteckten. Aus den blechernen Lautsprechern der Brücke dröhnte der Song “Where We Go” von Kennelworth. Mags blickte über die riesige Zerstörung, zerknusperte den letzten Rumble Pop in ihrem Mund und grinste.

“Süß.”

Im Inneren der „Harlekin“ war Kennelworths einzigartiger Musikgeschmack nicht nur auf die Brücke beschränkt, sondern spielte im ganzen Schiff – zum Wohle aller. Während das Äußere der ramponierten Connie schon extrem heruntergekommen aussah, war es im Inneren noch schlimmer. Wahllos baumelten ausgefranste Drähte aus freiliegenden Verkleidungen, die provisorisch mit Klebeband zusammentackert waren. Ein besonders großes klaffendes Loch in der Wand war von einem Kreis umgeben, auf dem in hilfreicher Weise “Nicht berühren” zu lesen war. Im Inneren des Lochs funkte es sporadisch. Die Musik aus den Lautsprechern unterbrach abrupt. Mags räusperte sich.

“Hey, Leute. Tut mir leid, wenn ich euch störe . . .”

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In einer der Schlafkojen durchwühlte Honan Yao einen Beutel mit weggeworfenen Glasfläschchen und suchte eines, das noch ein wenig Inhalt enthielt. Er steckte sie alle in sein Hypo, um den Füllstand zu überprüfen – aber nichts.

“Ich weiß, dass die Dinge ein wenig schwierig waren, seit ich das Kommando übernommen habe…”

Mags’ Stimme hallte aus dem winzigen Lautsprecher an der Wand wider.

Yao war zu sehr mit seiner Suche beschäftigt, um genau zuzuhören. Er dachte über alternative Injektionsmethoden nach. Keine der Lösungen war ideal, aber in schwierigen Zeiten…schließlich warf er den Beutel zur Seite. Er überlegte, ob er in den Maschinenraum gehen sollte, aber dazu musste er erst einmal  aufstehen. Dann fiel es ihm wieder ein … er lief in ein anderes Abteil und holte seine alte medizinische Feldausrüstung hervor. Zumindest reichte es so für einen Schuss. Sein Adrenalinspiegel schnellte in die Höhe, als er das kleine Fläschchen mit der tintenschwarzen Flüssigkeit in seine Spritze leerte.

“In den letzten Wochen haben wir …”, schalte es unterdessen aus dem Lautsprecher.

Yao schaltete den Lautsprecher aus und lehnte sich zurück. Als die Droge seinen Körper vereinnahmte war es ihm, als würde er in einen Abgrund aus warmen Kissen fallen. Jetzt war er glücklich, weil er endlich alles vergessen konnte.

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Wie der Rest des Schiffes hatte auch der Frachtraum schon bessere Tage gesehen. Nur in einem einzigen Container befand sich etwas Bergungsgut, aber selbst das war nur Schrott.

Kel stöberte trotzdem darin herum. Methodisch untersuchte er jedes Teil, jeden Millimeter auf mögliche Ersatzteile und deren elementare Zusammensetzung. Der Banu war in einer der besten Bergbau-Soulis im Protektorat ausgebildet worden. Der Essosouli, sozusagen sein ehemaliger Chef, hatte sogar Kels scharfsinnige Beobachtungsgabe gelobt und behauptet, Kel habe das Potenzial, innerhalb der Gilde zum Meister aufzusteigen. Als der frühere Kapitän der „Harlekin“ ihn von den Souli gekauft hatte, war Kel zwar etwas enttäuscht, dass er seine fortgeschrittenen Studien unterbrechen musste, aber andererseits wollte er nicht darauf verzichten, mit echten Menschen zu reisen. Er fand eine kaputte Lampe unter dem Schrott. Aus dem Behälter hingen ausgefranste Drähte heraus.

“…wie auch immer, ich habe da etwas, das alles besser machen könnte. Kommen Sie zu mir auf die Brücke”, forderte Mags ihre Crew auf.

Kels Augen leuchteten. Er legte die Lampe behutsam ab  und hüpfte zur Brücke hinauf.

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Kapitel 03

Eine Batterie klackte in eine kleine Pistole. Im Griff summte es kurz, als die Batterie auf Energie umschaltete und der Munitionszähler anstieg. Trin Liska, alias “Dropshot”, steckte die Pistole in ihren Hosenbund und ging zu ihrem Spind hinüber. Sie war eine kleine, stämmige Frau, Anfang dreißig und alle Momente der Kämpfe ihres Lebens waren in jeder finsteren Mimik und jeder Tätowierung auf ihrem Körper wiederzufinden. Es war schon auf den ersten Blick offensichtlich, dass sie einiges durchgemacht hatte. Sie holte die schwere ballistische Kanone aus dem obersten Regal. In den Lauf war das Wort “Diplomatie” eingekratzt worden. Sie wühlte in den Magazinen auf dem Regal bis sie ein vollgeladenes Magazin fand, das sie in den Kanone schob und einen Sicherheitsschuss abfeuerte.

Ihr Bruder Ozzy stand an der Reling und beobachtete sie von seinem Platz aus im Maschinenraum. Sein Bein wippte, das einzige äußere Anzeichen einer Emotion. Er war ebenso wütend wie seine Schwester und hatte die gleiche Vielzahl von Narben und Tätowierungen. Beide trugen die Tattoos der Souther Titans, einer Bande, die angeblich als Ableger der Tooth & Nails of Spider entstanden war. Aber für viele klang das wie Quatsch. Ozzy hatte drei blutende Narben-Tattoos, die für drei Jahre “Robbin’ and Ramblin'” standen. Trin hatte acht davon. Zu seinem Pech hatte er allerdings auf QuarterDeck gefertigte Tattoos, die seine Schwester nicht besaß.

Mags Stimme übertönte kaum das laute Heulen der gewaltigen Schiffsmotoren.

“Ja, das sind aufregende Zeiten..ich sehe euch dann hier oben.”

Trin sah ihren Bruder an. Er sprang von der Reling, als sie ihm eine weitere Pistole zuwarf und sie machten sich auf den Weg ins Cockpit.

Mags studierte soeben die Anzeige auf einem Terminal, wobei sie die Trümmerteile sorgfältig markierte und nach Priorität ordnete. Kel stand am vorderen Fenster und rief aufgeregt aus, was er entdeckte. Die Tür zur Brücke öffnete sich mit einem lauten Zischen.

Mit einem kurzen Blick zurück sah Mags Trin an der Wand hocken.

“Hey Trin, ist der Doc auch auf dem Weg auch nach oben?”, fragte sie.

“Da! Da!”, rief Kel unterdessen und deutete auf einige Trümmer vor dem Schiff.

“Energiezellen. Sehr geringe Abnutzung. Frisch. Ganz frisch.”

Trin warf einen Blick auf das vordere Fenster. Das Wrack der 300er schwebte gerade vorbei.

“Was ist hier los?”, fragte sie schließlich.

“Wir haben Zahltag.”

Mags konnte ihre Aufregung kaum zügeln, während sie weitere Fragmente in ihr Terminal eintippte.

Trin starrte auf ihren Hinterkopf. Ozzy bewegte sich auf die andere Seite der Brücke, die Pistole locker an seiner Seite.

“Ja? Irgendetwas wie beim letzten Mal?”, polterte Trin.

“Hör zu, ich habe mich dafür entschuldigt, okay?”

“Entschuldigungen polstern mein Konto nicht auf.”

Mags drehte ihren Captainssessel so, dass sie sie ansehen konnte, während sie sprach. Ihre Rede geriet jedoch ins Stocken, als sie sah, dass sowohl Trin als auch Ozzy auf den anderen beiden Stühlen saßen. Sie blickte zwischen den beiden hin und her. Ozzy hielt die Pistole außer Sichtweite, aber er versteckte seine Hand. Das war offensichtlich.

“Was ist hier los, Trin?”

“Wonach sieht es denn aus?”, schoss Trin zurück.

“Es sieht so aus, als stündest du an der gleichen Stelle, an der du gestanden hast, bevor wir Malcolm aus der Luftschleuse geworfen haben.”

“Tolles Gedächtnis”, sagte Trin und kicherte. Sie kratzte sich am Kinn.

“Leute, im Ernst. Ich habe erst seit zwei Monaten das Kommando!”

Mags lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und blickte beiläufig auf einen Bildschirm. Innerlich suchte sie nach einem Ausweg. Das Letzte, was sie wollte, war, die Situation unnötig eskalieren zu lassen. Sie hatte gesehen, wie „Dropshot“ eine Menge Leute beseitigt hatte. Leider war Kel zu sehr damit beschäftigt aus dem Fenster zu starren, statt ihr eine große Hilfe zu sein.

“Du musst mir eine Chance geben.”

“Bevor wir Malcolm entsorgt haben, hast du gesagt, alles würde sich ändern.”

Trin trat einen Schritt vor, während sie das sagte.

“Du hast auch gesagt: Weniger ist mehr.”

“Sei still und clever Schwesterherz”, fuhr Ozzy dazwischen.

“Danke, Oz. Du weißt, wie mein Gedächtnis leidet, wenn ich mich aufrege.”

Sie wandte sich wieder an Mags.

“Der Punkt ist, der Scheiß hat sich nicht geändert.”

Es herrschte eine unangenehme, angespannte Stille … bis auf …

“XT-20 Rumpf. Nein. Schlechter Zustand. Sieh dir die Brandspuren an. Unbrauchbar!”

Man hörte Kel im Hintergrund, bevor er sich schließlich umdrehte.

“Ich würde das nicht …”

In diesem Moment wurde ihm klar, was los war. Ozzy holte die Pistole hervor, damit der Banu nicht auf dumme Gedanken kam. Trin räusperte sich.

“Wie dem auch sei, hier sind wir und schuften uns immer noch ab, ohne etwas vorzuweisen zu können.”

“Doc kann nicht einmal ein anständiges Level halten”, murmelte Ozzy.

Trin schüttelte enttäuscht ihren Kopf.

“Okay. Na gut.”

Mags erhob sich langsam und hob die Hände.

“Wir können an den Problemen arbeiten und nach vorne schauen.”

Trin lächelte.

“Ja …”

Sie trat vor und zog ihre Waffe.

“Warte!”, rief Kel. Er stolperte vorwärts und fuchtelte mit seinen Händen. Trin hielt inne.

Mags öffnete langsam die Augen und sah sich um, angenehm davonüberrascht, dass die beiden dem Banu offenbar tatsächlich zugehört hatten. Kel wartete ein paar Augenblicke und überlegte sich genau was er als nächstes sagen wollte.

“Ich weiß, ich bin nur der Schiffssklave -“

Mags stutzte.

“Du bist nicht unser Sklave, Kel”, sagte sie seufzend.

“Ja, ja”, winkte Kel ab und fuhr fort: “Kapitän Mag ist ein viel besserer Kapitän als der alte Kapitän war. Sie will Geld verdienen wie wir.”

“Hm?”, murmelte Ozzy, als er Trin ansah.

“Aber Capitän Mags hört auf uns. Der alte Kapitän sprach nie normal mit uns. Er brüllte nur.”

Kel ging nach vorn, während er weiter sprach.

“Capitän Mags hilft Trin Liska. Der alte Captain ist nicht in die Höllenwelt gegangen, um Ozzy Liska zu holen. Kapitän Mags hat es getan.”

Mags nickte leicht zustimmend. Sie verpasste fast Kels kleine Rede, weil sie überlegte, ob sie noch eine Pistole auf der Brücke versteckt hatte. Als noch Malcolm das Sagen hatte, fühlte sie sich nie sicher, wenn sie mehr als drei Schritte von einer Waffe entfernt war.

“Wir müssen dem Captain vertrauen”, schloss Kel schließlich. Er ging zu Mags hinüber. “Wenn wir ihr vertrauen, wird alles gut werden.”

Dann klopfte er ihr auf die Stirn. Mags schlängelte sich aus dem Weg. Vor gut drei Wochen, als sie an einer Station angedockt hatten, hatte Kel gesehen, wie ein Vater seiner Tochter einen sanften Klaps auf den Kopf gab, bevor er sie zum Spielen losließ. Seitdem machte er das immer wieder. Es war süß … aber andererseits auch irgendwie nervig.

Das Wichtigste war, dass es bei Trin zu funktionieren schien. Sie hatte Mags bisher nicht erschossen, also war das schon ein Sieg. Ozzy schaute Trin an, um grünes Licht für die Schießerei zu bekommen. Trin blickte aus dem vorderen Fenster auf die zerbrochenen 300er.

“Das ist also die große Neuigkeit? Ein Kampfschiff?”

Mags machte eine große Show daraus, Ozzys Hände im Blick zu behalten, während sie zum Steuerknüppel hinübergriff. Sie neigte das Schiff sanft nach unten und gab den Blick auf das Wrackmeer frei: die Retaliator, die Freelancer den Rest der Jäger. Dieser Anblick ließ Trin und Ozzy innehalten, als sie das riesige Trümmerfeld bestaunten, starrten sie einige Augenblicke lang schweigend darauf, senkten aber nicht ihre Waffen.

“Also …”, sagte Mags schließlich, “können wir uns endlich an die Arbeit machen?”

.Kapitel 04

Im Laderaum der „Harlekin“ herrschte rege Betriebsamkeit. Der Boden klappte auf und gab den Blick auf das Cockpit der darunter liegenden Merlin frei. Trin führte einige letzte Systemchecks durch und füllte Treibstoff nach. Ozzy kam herein und zog die letzten Teile seines Fluganzugs an, als er sich dem offenen Cockpit näherte. Er setzte seinen Helm auf und schlüpfte ins Cockpit.

“Auf geht’s. Wir müssen anfangen es auszuschlachten, bevor noch jemand anders darüber stolpert”, ertönte Mags’ Stimme über die blecherne Sprechanlage. Ozzy klopfte zweimal auf das Cockpitlaminat, um zu signalisieren, dass er bereit war. Die Bodenplatten schlossen sich kreischend, bis die Merlin außer Sichtweite war. Trin gab das Kommando:

“Der Vogel fliegt.”

Sie machte sich auf den Weg zum Lagerraum mit den EVA-Anzügen. Kel war bereits angezogen und überprüfte sorgfältig seine Werkzeuge. Trin zog ihren Anzug aus dem Fach und knallte ihn auf den Boden. Sie untersuchte ihn kurz auf Risse oder Löcher, bevor sie ihn anzog.

“Wie siehst du aus, Kel?”

“Bestens vorbereitet, Trin Liska.”

Sorgfältig und fachmännisch legte Kel jedes Werkzeug in die Feldausrüstung zurück.

“Die Werkzeuge sind bereit.”

Trin versiegelte ihren Anzug und legte eine Schrotflinte um.

“Meine auch.”

Auf der Brücke saß Mags immer noch auf dem Captainsstuhl. Seit der unterbrochenen Meuterei war sie ständig damit beschäftigt, die „Harlekin“ so zu positionieren, dass sie leichter die Bergungsarbeiten durchführen konnten. Sie beobachtete, wie Ozzys Schiff lautlos an den Rand des Trümmerfeldes flog und einen weiten Bogen machte. Ohne Vorwarnung drehte sich ihr der Magen um. Einen Moment hielt sie inne beim Anblick der nahen Merlin. Das reichte aus, um den Ernst der Lage, zu erkennen, knapp einer Kollision entgangen zu sein. Sie wand sich auf ihrem Stuhl und versuchte ruhig zu atmen. Es war bei weitem nicht das erste Mal, dass ihr eine Waffe ins Gesicht gehalten wurde, aber dieses Mal hatte es etwas Endgültiges an sich gehabt, als wäre ihr Glück endlich aufgebraucht, das sie erschaudern ließ.

Vielleicht konnte sie weglaufen. Warten, bis Trin ausgestiegen war und dann einfach Vollschub geben. Ozzy war ein großartiger Pilot, aber er könnte es wahrscheinlich nicht mit der „Harlekin“ aufnehmen. Schlimmstenfalls könnte sie ihn genug ramponieren, um zu entkommen. Das würde bedeuten, Kel wahrscheinlich zurücklassen zu müssen, was ihr nicht fair erschien. Sie war sich nicht sicher, wie er reagieren würde . . .

“Hey”, sagte eine verschlafene Stimme und unterbrach sie in ihren Gedanken.

Mags riss sich zusammen und wandte sich wieder ihrer Schalttafel zu, als Yao auf die Brücke schlurfte und sich in einen der Sitze fallen ließ.

“Doc …”

Sie rief ein weiteres Scan-Fenster auf ihrem Terminal auf und versuchte, beschäftigt auszusehen.

“Sie haben eine interessante Diskussion verpasst”, fuhr Mags fort.

“Wann war das?” fragte Yao gelangweilt.

“Vor ein paar Stunden.”

Mags sah ihn an, unsicher, ob er sie verarschen wollte. Er sah aufrichtig unwissend aus.

“Ich habe Sie angerufen, ich habe alle angerufen.”

“Richtig …”. Er schnippte mit den Fingern und nickte. “Das war heute?”

“Ja …”

“Das ist cool.”

Yao tippte mit den Fingern auf sein Terminalfenster, um es wieder zu aktivieren.

Seine Finger tanzten geschickt über den Bildschirm und wählten eine Reihe von Ordnern und Programmen aus. Eine Folge von „Lost Squad“ begann zu laufen.

“Worüber habt ihr gesprochen?”

“Mich zu erschießen oder mich aus einer Luftschleuse zu werfen. Vielleicht auch beides, ich weiß es nicht mehr genau.”

“Oh ja. Trin war ziemlich sauer.”

“Sie wussten davon?”

“Sicher.”

“Danke für die Vorwarnung, Doc.”

“Komm schon, Mags. Trin kann ihre Gefühle nicht so gut verbergen.”

Er lehnte sich in seinem Sitz zurück, vollkommen zufrieden, dass das Problem gelöst war.

“Ich habe auch einen Job für uns gefunden”, sagte sie.

“Cool. Aber wo?”, erwiderte er träge.

Er war zu sehr auf die Show fixiert.

“Hier. . .”, sie sah Yao an.

Er wandte seinen Blick nicht von der Show ab.

“Wir sind gerade dabei.”

Yao nickte und zeigte mit demn Daumen nach oben.

Das Funkgerät aus der Luftschleuse zirpte.

“Verlasse jetzt die Luftschleuse”, meldete Trin.

Mags konnte Kel im Hintergrund aufgeregt reden hören.

“Verstanden.”

Mags schaltete das Funkgerät ab. Trin klang wieder normal, als hätte es den Vorfall von vorhin nie gegeben. Mags wusste, dass sich dieser Job auszahlen würde und dass sie sich danach schnell um etwas Neues kümmern mussten. Andernfalls würden sie wieder in die gleiche Situation geraten. In der Zwischenzeit sollte sie wohl wieder anfangen, Waffen auf dem Schiff zu verstecken. Yao begann leise zu schnarchen.

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Kapitel 05

Trin und Kel traten ins All hinaus. Manche Leute fanden den Moment, in dem die Schwerelosigkeit einsetzte, unheimlich. Für sie bedeutete die Schwerkraft Sicherheit. Ein Halteseil, das einen an seinem Platz hielt. Trin hatte diesbezüglich kein Problem. Es amüsierte sie immer, wenn sie die Leute darüber jammern hörte. Es war ein Gespräch, das sie oft führte, wenn sie sich auf den Planeten aufhielten.

Trin verstand das nicht. Sie hatte diese Art von Angst nicht. Das lag nicht an einer angeborenen Härte, sondern an dem Bewusstsein, dass der Weltraum ständig versuchte, einen zu töten. Das war etwas, das man entweder akzeptierte oder nicht. Trin hatte zu viel Zeit ihres Lebens damit verbracht, herauszufinden, wer versuchte, sie zu töten. Selbst in ihren besten Zeiten musste sie sich mit Kopfgeldjägern und der Advocacy herumschlagen, ganz zu schweigen von ihrer eigenen Crew, um sich überhaupt Gedanken über die Gefährlichkeit des Weltraums zu machen.

Der massive Rumpf der Retaliator war trudelte. Das Schiff zu entern, geschweige denn zu bergen, würde nahezu unmöglich sein, es sei denn, sie bremsten das Schiff ab. Trin passte ihre Geschwindigkeit mit Hilfe ihres Antriebs-Rucksackes an die Rotationsgeschwindigkeit des Wracks an. Mit ihren EVA-Schubdüsen schob sie sich immer näher heran, bis sie das Wrack schließlich zu fassen kriegte. Trin zog sich auf den Rumpf und aktivierte ihre Magnetstiefel für einen festen Stand. Sie holte eine ihrer tragbaren Fernsteuerungsdüsen aus dem Koffer und aktivierte die magnetische Versiegelung, um es an dem zertrümmerten Metall zu befestigen. Kel arbeitete gleichzeitig am anderen Ende der Trümmer daran, das Gleiche zu tun. Als er fertig war, winkte er Trin zu und zeigte begeistert den Daumen nach oben.

“Du kannst einfach den Funk benutzen, Kel.”

“Entschuldige, Trin Liska”, erwiderte er schnell und gab einen weiteren begeisterten Daumen nach oben.

Trin aktivierte ihr MobiGlas und verband sich mit dem Interface, das die ferngesteuerten Schubdüsen steuerte. Sie hatte sie in ihrer Zeit als Sprengmeisterin gebaut und obwohl sie nur über eine begrenzte Menge Treibstoff verfügten, hatten sie eine gewisse Kraft. Und sie hatten die starke Tendenz zu explodieren. Trin hielt die Triebwerke gegen die Rotation und schließlich wurde das Wrack der Tali langsamer. Als das Schiff schließlich zum Stillstand kam, holte Kel sein Bergungsset heraus und öffnete es.

“Alles in Ordnung hier, Kel?”

“Ja.”

“Ich überprüfe den Laderaum”, sagte sie, während sie ihre Schrotflinte entsicherte.

“Okay.”

Trin zog ihre Schrotflinte, lud sie und verschwand dann durch ein klaffendes Loch in der Seite. Kel sah zu, wie ein Teil eines Geschützturms langsam vorbeischwebte. Kel starrte es einen Moment lang neugierig an, dann schaltete er den Schneidbrenner an und machte sich an seine Arbeit.

Die Innenräume der Retaliator entpuppten sich als ein zertrümmertes Labyrinth aus verbogenem Metall. Trin schwebte langsam durch die Gänge und schwenkte die Schrotflinte hin und her. Der Zerstörung nach zu urteilen, konnte hier nichts und niemand überlebt haben, aber sie wollte kein Risiko eingehen. Sie bewegte sich Meter für Meter vorwärts, überprüfte die Ecken und war auf alles gefasst. Sie erinnerte sich an ihre Zeit bei den Titanen. Sie trieben zwar allerlei Unfug, aber ihr Hauptaugenmerk lag auf dem Zerstören von Schiffen. Als wichtigster Saboteur im Rudel war es ihre Aufgabe, kampfunfähige Schiffe zu entern, alle Überlebenden zu töten und die Schiffe dann so weit zu reparieren, dass sie wieder fliegen konnten. Dieses hier würde definitiv nie wieder irgendwo hinfliegen. Sie kam an einigen Spinden der Besatzung vorbei und öffnete jeden einzelnen. Nichts als Ersatzoveralls.

Vor ihr machte der Gang einen Knick nach backbord. Dort sollten sich ein Schott und dann eine Tür zum Frachtraum befinden. Trin hoffte, dass das, was auch immer diesen Kampf ausgelöst hatte, es wert war. Als sie sich der Biegung näherte, konnte sie mit ihrer Taschenlampe eine Gestalt in der nächsten Abteilung des Schiffes ausmachen. Sie richtete ihre Waffe darauf und nahm hinter dem Türrahmen eine Schussposition ein. Bei näherer Betrachtung war es höchstwahrscheinlich ein Mensch. Der EVA-Anzug, den er trug, war makellos, wie einer dieser neuen CDS-Anzüge. Sie aktivierte die Funkverbindung an ihrem Anzug.

“Allgemeiner Funkspruch: Gibt es Überlebende in der Retaliator? Identifizieren Sie sich.”

Die Gestalt schwebte einfach ziellos umher. Keine Bewegung. Trin schnappte sich ein schwebendes Metallstück und schleuderte es dem Körper entgegen. Es traf auf das Bein. Nichts. Sie verpasste ihm einen Schuss in den Rücken. Der Einschlag wirbelte die Leiche herum und enthüllte ein bleiches, eingefrorenes Gesicht. Offenbar hatte er es nicht geschafft, seinen Helm aufzusetzen, bevor ihn Vakuum erwischte.

“Hast Du jemanden gefunden?”, zwitscherte Mags über den Funk.

“Nein”, antwortete Trin, während sie eine weitere Patrone in ihre Schrotflinte steckte und weiter nach vorne stieß. Sie schubste die Leiche zur Seite und legte eine kleine Eingangstür frei, die zum Frachtraum führte. Interessanterweise war das Paneel mit einer Art Notstromversorgung verkabelt.

“Oh, Hallo.”

Trin warf die Schrotflinte weg und kramte in einer Tasche nach einem Schnittstellenkabel. Sobald ihr MobiGlas mit der Tür verbunden war, startete sie das Knock-Programm, um ein voreingestelltes Hacking-Protokoll auszuführen. Nach einigen Sekunden leuchtete die Anzeige grün auf. Die Tür stieß etwas eingeschlossene Luft aus, als sie sich langsam öffnete.

Trin hatte ihre Schrotflinte wieder in der Hand, bevor sich die Tür ganz öffnete. Sie stieß sich vom Boden ab und schwebte in den Frachtraum der Tali. Ein Streifzug mit der Taschenlampe genügte, um eine sehr unangenehme Erkenntnis zu machen. Er war leer.

Trin sicherte ihre Schrotflinte und warf sie sich auf den Rücken, bevor sie ihr Funkgerät betätigte.

“Die Tali ist sauber.”

Trin wandte sich bereits zum Gehen, als sie einen Blick auf etwas erhaschte, das in der Dunkelheit taumelte. Sie zückte eine Taschenlampe, um einen Blick darauf zu werfen. Es war ein Schließfach, wie eines dieser militärischen Schließfächer, die sie in diesen Spezialsendungen gesehen hatte. Sie nahm es in die Hand und überprüfte die Schlösser, konnte sie aber nicht öffnen. Eine kleine Zugangsklappe offenbarte eine weitere digitale Schnittstelle mit einem Tastenfeld. Trin schloss ihr MobiGlas wieder an und startete einen weiteren Hack. Während sie wartete, untersuchte sie das Schließfach etwas genauer.

Das Ding sah solide aus, als könnte es einen explosiven Gegenstand aufnehmen. Alles sehr gute Anzeichen dafür, dass sich darin etwas Lohnendes befinden könnte. Sie blickte auf ihr MobiGlas hinunter. Das Hackingprogramm versuchte immer noch, das Passwort zu knacken. Plötzlich war ihr MobiGlas tot.

“Verdammte Scheiße.”

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Zurück an Bord der „Harlekin“ versammelten sich alle um die geheimnisvolle Kiste. Der Laderaum war bereits voll mit ausgesuchten Teilen der verschiedenen Schiffe, die von Kel fachmännisch zerlegt und angeordnet worden waren. Trin ordnete ihre Werkzeuge, um die Kiste gründlich zu untersuchen, während Mags im Hintergrund auf und ab ging. Dem entschlossenen Gesichtsausdruck von Trin nach zu urteilen, hatte sie die Herausforderung der Kiste angenommen.

“Es muss etwas Wertvolles sein”, sagte Mags nervös, während sie weiterging.

“Sehr aufregend, Captain Mags”, sagte Kel, während er beobachtete, wie Trin ein Terminal an das Bedienfeld des Schließfaches anschloss.

“Aber um das klarzustellen, du hast keine Hinweise darauf gesehen, was sich darin befindet?”

Mags’ Nerven begannen zu flattern.

“Ich meine, wir glauben doch nicht, dass es sich um chemische Waffen handelt, oder so? Oder um ein Virus?”

“Das Titanium-Gewebegehäuse ist sehr gut zum Schutz, aber nicht für biologische Eindämmung geeignet. Wenn es ein tödlicher Virus wäre, wären hier alle schon längst tot”, antwortete Kel gelassen.

“Könntet ihr beide mal die Klappe halten?”, schnauzte Trin, während sie den ungefilterten Code auf ihrem Bildschirm durchsuchte.

“Klar, entschuldige”, sagte Mags und zwang sich, sich zu setzen.

“Ja, entschuldigt euch.”

Kel trat an Trin heran und klopfte ihr auf die Stirn. Trin machte sich nicht die Mühe, seine Hand wegzuschlagen.

Zwanzig weitere Minuten vergingen. Trin versuchte jeden Trick aus ihrem umfangreichen und bewährten Buch. Doch das Schließfach rührte sich nicht.

“Vergiss es. Kel, nimm deinen Bohrer.”

Der Banu rannte aufgeregt davon. Stunden später lag die Schließkassette auf dem Tisch im Gemeinschaftsraum. Verschiedene Werkzeuge waren benutzt und verworfen worden. Die Oberfläche des Gehäuses war, wie in einer Art mechanischer Autopsie, aufgeschnitten worden, um das Schloss zu umgehen und ohne das Innere zu beschädigen. Yao hatte sich in seine Koje zurückgezogen und beobachtete das Schauspiel gelegentlich. Mags betrat den Frachtraum in einem EVA-Anzug. Als sie drinnen war, nahm sie den Helm ab und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Ozzy, ebenfalls in seinem EVA-Anzug, war immer noch im Frachtraum und ordnete die Kisten.

“Ich habe eine weitere Ladung Schrott drin”, sagte er zwischen zwei Schlucken Wasser. Er warf einen Blick auf Yao.

“Irgendetwas?”

“Nein”, murmelte er und nippte an seinem Tee.

Mags ging zum Frachtraum und begann ihren EVA-Anzug auszuziehen.

“In Ordnung, Kel”, murmelte Trin, während sie die Programmierung des Sicherheitspanels noch einmal durchging.

“Versuch, die Energiezelle wieder anzuschließen.”

Kel zog eine festverdrahtete Batterie mit ein paar freiliegenden Kabeln hervor und platzierte sie präzise neben dem bestehenden Energiesystem. Das Schloss klickte. Trin und Kel sahen sich an. Ein Grinsen breitete sich auf Trins Gesicht aus.

“War es das, was ich dachte, dass es war?”, rief Mags aus dem anderen Raum.

Schwere Stiefelschritte stapften näher, bevor sie plötzlich in der Tür erschien.  Kel begann, seine Werkzeuge zu säubern und sie in seine Kisten zurückzulegen. Trin schloss den Koffer auf. Sie warf einen Blick auf die Gesichter im Raum, dann klappte sie den Deckel auf… es war ein Stein. Ungefähr so groß wie ein Menschenkopf. Ein paar schillernde violette Flecken waren darauf zu sehen, aber es war eben nur ein Stein. Ozzy schlich sich leise in den Raum, um zu sehen, was der Grund für die Aufregung war.

“Was ist das?”, murmelte Yao, als er versuchte, von seinem Bett aus etwas zu erspähen.

“Sieht für mich wie ein Stein aus”, antwortete Ozzy und ging zu seiner Koje.

“Das habe ich mir auch gedacht.”

Yao pustete in sein Kissen und lehnte sich zurück.

Trin sagte nichts, stand einfach auf und ging aus dem Zimmer.

“Nein, nein, nein!”

Mags stürmte vor und ließ sich neben dem Koffer nieder. “Man macht sich doch nicht so viel Mühe wegen eines gewöhnlichen Steins.”

Mags hob ihn vorsichtig hoch und betrachtete ihn genauer. Im Licht tanzten die violetten Flecken noch ein bisschen heller.

“Kel, hast du deinen Scanner?”

Der Banu reichte ihr einen Handscanner aus seiner Ausrüstung. Sie schaltete das Terminal ein und begann den Stein zu scannen. Nach einem Moment keuchte sie auf. Ozzy sah hinüber.

“Was …”

Mags brach halb in ein Lächeln, halb in ein Weinen aus, als könne sie sich nicht entscheiden, was sie sagen sollte, und drehte den Scanner zu Kel. Der fing sofort an zu klatschen.

“Sprich!”, brüllte Ozzy. “Was zum Teufel ist das?”

Mags legte den Stein zurück in die Kiste und ging zu ihrem MobiGlas. Ein Eintrag in der Galactapedia erschien an jedermanns Handgelenk.

“Man nennt es Eriesium. In seinem veredelten Zustand soll es als Energiequelle dienen, aber die Menschen haben es noch nicht wirklich erforscht.”

“Was ist es wert?”

Trin stand im Türrahmen.

“Sehr selten”, mischte sich Kel ein.

“Beantworte die Frage.”

Trin ließ ihren Blick nicht von Mags ab.

“Das Letzte, was ich gehört habe, waren etwa 80.000.”

Mags konnte es kaum in Worte fassen.

“Nicht wirklich beeindruckt.”

“Pro Unze.”

Mags fuhr mit den Fingern über die Konturen des Steins.

“Achtzig Riesen pro Unze.”

Das erregte die Aufmerksamkeit aller. Sie sahen sich schweigend an, bis Trin schließlich aussprach, was allen auf der Seele brannte.

“Wir sind reich!”

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Wardlow Reclamation war ein Schrottplatz in einer Sackgasse am Ende von Nirgendwo. Der schäbige Teppich im Wartezimmer war von dem Ungeziefer zerfressen, das den Ort befallen hatte und an der Wand hing kein einziges Bild aus diesem Jahrhundert. Interessanterweise hatte der Laden im Jahr 2921 einen Preis für Kundenservice von einer Publikation gewonnen, die es wahrscheinlich schon lange nicht mehr gab. Die Auszeichnung war ausgedruckt und in einem selbstgebastelten Rahmen in der Nähe des Ladentischs ausgestellt.

Mags starrte ihn schon seit zehn Minuten an, als ihr eine Idee kam. Trin saß ihr gegenüber.

Sie waren vor ein paar Stunden mit der „Harlekin“ gelandet, um den Schrott von den Schiffen abzuladen. Der Besitzer und seine Crew waren dabei, alles zu sichten und eine Bewertung vorzunehmen. Das Eriesium war in das Standard-Schließfach gebracht worden, das Trin als Fußbank benutzte.

“Ich muss zugeben, Mags…”, sagte Trin und streckte sich.

“…das war genau der Ruck, den wir brauchten, für eine große Wende. Verkaufen wir das Eriesium für ein paar schnelle Credits und machen uns wieder auf den Weg.”

Der Plan war gewesen, das Eriesium bis zum Abschluss des Gutachtens aufzubewahren, um den Kostenvoranschlag nicht zu verfälschen.

Doch Mags zog nun eine andere Option in Betracht.

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Kapitel 06

„Und wenn wir das nicht tun?”, gab Mags geheimnisvoll von sich.

Trin schloss ihre Augen und stieß einen tiefen Seufzer aus.

„Also, was ich meine ist, warten wir doch lieber ab und suchen einen passenderen Käufer. Schau dich doch um wo wir sind.”

Mags deutete auf die Kunden-Service-Preise.

„Glaubst du nicht auch, dass wir hier nur einen Bruchteil dessen bekommen, was unser Schatz wert ist? Sie können sich das hier nicht leisten und wir betrügen uns selbst, wenn wir das Eriesium an den Erstbesten verscherbeln.”

“Tu das nicht… tu das bitte nicht.”

Trin rieb sich die Schläfen, um die plötzlich aufkommende Migräne zu lindern.

„Nur einen einzigen Tag lang hatte ich vergessen, dich aus einer Luftschleuse zu werfen.”

“Schon, aber stell dir vor, du könntest mich aus der Luftschleuse deines eigenen Schiffes werfen”, erwiderte Mags grinsend.

“Das ist eine Menge Kohle von der wir hier reden.”

Die Tür hinter dem Tresen öffnete sich und der untersetzte, verschwitzte Schrottplatzbesitzer stapfte herein. Er schlug nach einer Schmeißfliege, die um seinen Kopf schwirrte, während er das Terminal am Tresen einschaltete. Das System begann, sich mit seinem MobiGlas zu synchronisieren. Der Besitzer blätterte eine Liste durch, als ihn ein schlimmer Husten überfiel. Er fummelte nach seinem Inhalator in seiner Tasche und nahm einen tiefen Zug. Der Husten wollte nicht aufhören. Er schüttelte den Inhalator und versuchte es erneut. Ohne Erfolg.

“Bevin”, schrie er zwischen zwei Hustenanfällen durch die offene Tür. “Bevin! Schick jemanden nach Kel-To. Ich brauche mehr Medizin.”

Schlussendlich hörte der Husten auf und er spuckte etwas Schleimiges auf den Boden. Dann sah er Mags und Trin an.

“So, okay. Ich habe euren Schrott begutachtet. Habt ihr sonst noch was?”

Mags sah Trin an, die ihren Blick böse erwiderte. Trin gab schließlich nach. Mags sprang auf und ging zum Tresen.

“Überprüfen Sie die Liste, die Auszahlung finden Sie ganz unten.”

Der Schrottplatzbesitzer drehte das Terminal zu ihr hin.

“Drücken Sie auf Annehmen, um zu akzeptieren.”

“Sieht gut aus”, sagte Mags.

Der Besitzer sah sie an. “Dann drücken Sie Akzeptieren.”

“Richtig, tut mir leid.”

Sie drückte den Knopf.

Der Schrottplatzbesitzer schniefte und druckte einen Überweisungsbeleg aus.

Trin schnappte sich die Kiste unter ihren Füßen und machte sich auf den Weg zur Tür. Da bemerkte der Schrottplatzbesitzer die Box zum ersten Mal.

“Und was ist da drin?” fragte er neugierig.

“Vier abgebrochene Zähne”, antwortete Trin, ohne einen Moment zu zögern.

Mags und Trin gingen nach draußen in die gleißende Sonne. Der Geruch von Öl und verbranntem Metall erfüllte die Luft. Die „Harlekin“ wartete auf einem der nahe gelegenen Stellplätze. Alle Kisten mit Schrott waren ausgeladen und ordentlich für die Verarbeitung gestapelt worden. Als er Mags und Trin aus dem Büro kommen sah, winkte Kel der Landeplatz-Crew zum Abschied zu, die ein wenig verwirrt aussah.

“Ich hasse es, wie glücklich du aussiehst, wenn du dich von Geld verabschiedest”, murmelte Trin.

“Falsch, Trin. Ich bin glücklich, weil wir uns dem echten Geldverdienen nähern.”

“Weißt du überhaupt, wie man das verkauft?”

“Nein, aber das kriegen wir schon hin.”

Mags nahm Trin die Kiste ab und trug sie den Rest des Weges zum Schiff. Gerade als sie die Rampe erreichten …

“Hey!”

Mags und Trin drehten sich um und sahen die Gruppe, von der Kel gerade kam.

“Was soll der Scheiß, du besitzt jetzt einen Sklaven?”

Mags und Trin tauschten einen müden Blick aus.

“Ich bin kein Sklave”, war alles, was Kel zustande brachte. Die Landecrew begann, vorzurücken.

“Verdammt …”

Mags bediente den Rampenknopf. Doch es bewegte sich nichts. Die Landecrew begann zu sprinten, als sie erkannte, was Mags vorhatte. Sie drückte fester auf den Knopf und die Rampe begann plötzlich, in das Schiff hineinzufahren. Die ersten Landungstrupps kamen eine Nanosekunde zu spät. Aus dem Frachtraum drangen dumpfe Geräusche von Steinen, die auf den Rumpf geschleudert wurden.

Kels Kopf tauchte in der Türöffnung auf.

“Gut verkauft?”

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Kapitel 07

Der Schrottplatzbesitzer beendete den Abgleich der Zahlen für die Tagesgeschäfte. Die Sonne war im Begriff unterzugehen. So furchtbar der Tag für seine Krankheit war, die Kälte der Nacht war noch schlimmer. Er spürte das leichte Kitzeln in seinem Hals, das einen weiteren Hustenanfall auslösen würde.

“Bevin! Hat jemand meine verdammte Medizin geholt?”, schrie er in die Gegensprechanlage. Es kam keine Antwort. Der Besitzer stieß sich von seinem Sitz ab und schlurfte nach draußen. Er schirmte seine Augen vor der untergehenden Sonne ab.

“Bevin, glaubst du, dass es tatsächlich möglich ist, dass jemand das tut, was ich sage?”

Als der Besitzer die Hand senkte, erstarrte er. Seine gesamte Belegschaft, vierzehn Leute, waren tot, mit absoluter Präzision auf dem Schrottplatz hingerichtet. Er sah Bevin unter ihnen. Der Schrottplatzbesitzer stolperte rückwärts, rannte in sein Büro und schlug die Tür hinter sich zu. Er lehnte sich schwer dagegen. Sein Herz pochte und seine Atemlosigkeit löste einen weiteren Hustenanfall aus. Er bemerkte nicht einmal die beiden Personen, die sich bereits in seinem Büro befanden. Es waren ein Mann und eine Frau, in makellosen, neutralen Kampfanzügen und Waffen mit Schalldämpfern.

“Hallo”, sagte der Mann bedacht.

Der Schrottplatzbesitzer erschrak zu Tode. Zaghaft hob er die Hände und begann zu jammern.

“Sie haben vor kurzem eine Retaliator erworben.”

Der Mann stellte keine Frage, er stellte es fest.

Der Schrottplatzbesitzer brabbelte vor sich hin, niemand verstand was er sagte. So fing er sich eine Kugel ein. Der Mann schoss ihm in den Oberschenkel. Der Schrottplatzbesitzer knickte ein und fiel zu Boden.

“Ja! Ja! Das stimmt.”

Der Schrottplatzbesitzer erlangte endlich wieder seine Fähigkeit zu sprechen.

“Wer hat sie Ihnen verkauft?”, fragte der Mann, während er den Raum durchquerte und den noch heißen Lauf der Pistole an die Schläfe des Schrottplatzbesitzers hielt.

“Und überlegen Sie genau.”

“Kam heute Morgen rein. Ein alter Kahn von einem Schiff. Zwei Frauen. Menschlich. Habe sie vorher noch nie gesehen.”

Der Schrottplatzbesitzer tippte etwas in sein MobiGlas. Die Frau ihrerseits studierte ihre eingehenden Daten, während der Mann seinen Blick auf den Schrottplatzbesitzer richtete.

“Die beiden hatten nicht zufällig ein Schließfach dabei, oder?”

“Ja, ich meine, ja. Hatten sie”, sagte der Schrottplatzbesitzer zwischen mehreren Hustenattacken.

“Sie wollten es aber nicht verkaufen.”

“Nannten diese Frauen einen Namen?”

“Nur die Registrierung ihres Schiffs.”

“Ja, die ist gefälscht”, sagte die Frau, ohne von ihrem MobiGlas aufzusehen. Der Mann sah den Schrottplatzbesitzer an und seufzte.

“Warten Sie -” jammerte der Schrottplatzbesitzer.

Ein dumpfer Knall.

Der Mann stand auf und wischte die Blutspritzer weg.

“Haben wir etwas Handfestes?”, fragte er die Frau.

“Nur das hier.”

Sie hielt ihm ihr Handgelenk hin.

Es gab eine Überwachungskamera, die Mags und Trin im Warteraum zeigte. Der Mann sah sich die Aufnahme genau an. Er tippte auf eines von Trins Souther-Titan-Tattoos.

“Lass uns gehen.”

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Vielleicht eine Starliner …

Mags rollte sich auf die Seite und entwarf ein Szenario: Eine neue Starliner kaufen, richtig schön ausstaffieren und Passagierfahrten von Hotspot zu Hotspot anbieten, aber – und das war das Wichtigste – nicht für jeden Trottel, der das Ticket bezahlen konnte. Es sollte etwas Exklusives sein, nur für ausgewähltes Klientel, stilvoll – das Party-Erlebnis des Universums.

Obwohl… – je mehr sie darüber nachdachte, jeden Tag Party zu machen, klang das, als würde es nach ein paar Monaten ziemlich anstrengend werden. Sie war jetzt schon seit Stunden damit beschäftigt. Seit sie das Eriesium aus dem Schließfach identifiziert hatten, wurde die mögliche Auszahlung immer mehr zum Thema in ihren Gesprächen. Alles war jetzt ein Witz: die schrecklichen Essenspakete, der beschissene Zustand der „Harlekin“, einfach alles. Jetzt sahen sie einen Ausweg. Kaum vorstellbar, dass sie sich noch vor ein paar Stunden darüber gestritten hatten, ob sie sich Mags nicht doch lieber entledigen sollen. Und sie hatten Recht. Es war schwer, nicht aufgeregt zu sein. Das seltsame, seltene Element war nicht einfach nur eine nette Ausbeute. Es war lebensverändernd.

Sie konnte es selbst noch nicht fassen. Seit ihrer Jugend, verbrachte sie ihren Lebensunterhalt damit, auf namenlosen Stationen die Taschen von Touristen zu plündern und in Frachttransporter einzubrechen, um zwischen Paletten und Kisten zu schlafen. Das änderte sich auch nicht im erwachsenen Alter – immer von einem Geschäft zum nächsten und von einer Notlage in die andere. All das sollte nun ein Ende haben. Sie konnte endlich aufatmen und sich entspannen.

Aber jetzt noch nicht. Zuerst musste sie noch einen Käufer finden. Jemanden, der ihr das zahlen konnte, was dieser schöne Klumpen Erz wert war. Ein Betrag, der sie für all den Verrat, die Morde und Verzweiflung, durch die ihre Crew gewatet war, entschädigte.

Mags entsicherte ihre Pistole mit dem Daumen, während sie mit der anderen Hand das Messer ergriff, dann öffnete sie vorsichtig die Luke ihrer Schlafkoje. Die Tür zischte leise. Mags schaute hinaus. Der Flur war leer. Sie wartete noch einen Moment, um sicherzugehen. Sie hörte das anhaltende Brummen der Maschinen, aber sonst war es still. Keine Trin, die mit einer Schrotflinte wartete. Also steckte Mags das Messer zurück in das Halfter und zog langsam ihre Stiefel an. Immer noch kein Hinterhalt. Mags entspannte sich schließlich in der Gewissheit, dass Trin nichts geplant hatte. Sie sicherte die Pistole, steckte sie in ihren Hosenbund und zog sich einen schweren Pullover über, um die Waffe vor den Blicken der anderen zu verstecken.

Auf der Brücke der „Harlekin“ war es still. Ozzy war allein dort oben und steuerte das riesige Schiff lässig durch die scheinbar endlose Leere. Er blickte auf, als Mags die Brücke betrat. Sie konnte diesen Blick nicht deuten. Sie hatte diesen Kerl noch nie richtig einschätzen können. Abgesehen von seiner offensichtlichen Loyalität zu seiner Schwester Trin, schien er nur das Nötigste zu sagen. Selbst als sie ihn vom Quarterdeck abholten, sagte er nichts. Fünf Jahre hatte er in diesem Höllenloch verbracht.

“Irgendetwas Aufregendes?”, fragte sie.

“Nein”, antwortete er und öffnete eine Dose Smoltz.

“Willst du eine Pause machen?”

“Nö.”

Ozzy nahm einen großen Schluck von seinem Bier und lehnte sich zurück. Ein paar Momente der Stille vergingen.

“In Ordnung. Sag einfach Bescheid, wenn Du eine Pause brauchst.”

Mags ging zu einem der seitlichen Terminals hinüber und ließ sich in den Sitz fallen. Es war Zeit, mit der Arbeit zu beginnen.

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“Welche Art von Arbeit machst du?”, fragte die schroffe, aber freundliche Stimme über die Sprechanlage.

“Hauptsächlich kommerzielle Transporte”, antwortete Trevor.

Als Kapitän der „Veronicas Dream“ hatte er den Notruf eines abgestürzten Frachters etwa eine halbe Stunde nach dem Ablegen von Port Red Oak oberhalb von Angeli im Croshaw-System empfangen. Und er hatte verdammtes Glück, denn er war kurz davor seinen Quantum hochzufahren, als der Funkspruch eintraf. Seitdem sprachen sie miteinander.

“Oh, cool. Arbeitest du für eine dieser großen Firmen? Covalex oder so?”

“Früher schon, aber ich bin ausgestiegen, sobald ich das Geld für eine eigene Firma hatte”, antwortete Trevor und sah ein schwaches Signal auf seinen Scans erscheinen.

“Ich hatte es einfach satt, für andere Leute zu arbeiten.”

“Das höre ich”, antwortete die Stimme. Sie hatte etwas Kratziges an sich und erinnerte Trevor an die Art, wie sein Großvater nach einem Tag in den Minen sprach. Es erinnerte ihn an zu Hause.

“Ich war noch nie der Typ, der gern Befehle annimmt.”

“Habe endlich dein Signal aufgefangen. Ich passe jetzt den Kurs an. Wir sollten bald da sein. Wie kommst du sonst zurecht?”

“Oh, mir geht es gut. Ich habe jede Menge Luft und Songs an Bord. Alles was ich brauche.”

“Das habe ich gehört, Bruder.”

Trevor suchte weiter mit seinen Scannern.

Wie sich herausstellte, war der Transporter, den er suchte, in einem kleinen Asteroidenhaufen hineingeraten.

“Du hast dich in eine ziemliche Zwickmühle gebracht.”

“Ja, wie meine Mutter sagte immer, ich hätte nichts, aber ein Händchen dafür, Ärger zu finden.”

“Das hat mein Onkel auch immer gesagt.”

Trevor fuhr mit seinem Schiff herum, um einen ersten Blick auf den beschädigten Schlepper zu werfen.

“Das glaube ich sofort”, erwiderte  die alte Stimme über den Kommunikator.

Trevor überflog den letzten Asteroiden, der ihm die Sicht versperrte, dann konnte er endlich einen Blick auf …

Aber Nichts.

Eine Lücke zwischen mehreren lautlos taumelnden Felsen. Dort draußen schwebte etwas Kleines, das blinkte, aber das etwas anderes. Kein Schiff.

Nichts.

Sein Terminal piepte und teilte ihm mit, dass sich die hintere Luftschleuse geöffnet hatte. Trevor griff hinüber, um zu sehen, ob es sich um einen Fehler handelte. Er sah daher nicht die ankommende Rakete, die von einem der Asteroidencluster vor ihm gestartet wurde, bevor sie die Kabinenhaube von „Veronicas Dream“ durchschlug. Die Explosion verbrannte schlagartig das gesamte Cockpit.

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Blind Jack kratzte sich mit seiner defekten kybernetischen Hand das Kinn, fuhr sich durch seinen zerzausten Bart, während er beobachtete, wie der beschädigte Schlepper langsam verbrannte.

“In Ordnung, Southers. Macht euch an die Arbeit.”

Die restlichen Souther-Titanen traten einer nach dem anderen aus ihren Verstecken hervor. Leuchtend bunte Schrägstreifen liefen kreuz und quer über ihre Hüllen wie rituelle Zeichen. Der Anführer bewegte sich ins Innere des Wracks, während zwei weitere aus den Luftschleusen auf das beschädigte Schiff sprangen, um es wieder flugfähig zu machen.

Blind Jack lehnte sich zurück und riss eine Packung Mas-Chicken-Patty auf, während sich seine Crew an die Arbeit machte.

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Kapitel 08

Dr. Honan Yao wachte mit dem Gesicht nach unten auf einem Gitter auf. Er hatte sich längst daran gewöhnt, an fremden Orten aufzuwachen, aber dennoch gab es immer diesen ersten Schock. Es fühlte sich an wie der Moment, wenn man zu fallen beginnt und ein Ruck durch den Körper fährt. Dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig: Die Realität setzte ein, es folgte ein dumpfer Schmerz in den Adern – nach einem langen Rausch.

Seine Professoren-Kollegen an der medizinischen Fakultät sagten stets, es sei das WiDoW, das die Venenwände verbrennt und so kommt es zu den schwarzen Flecken auf dem Körper. Er blickte nach unten. Die tintenschwarzen Linien waren mittlerweile bis zu seinem Handgelenk gewandert.

Yao rollte sich auf den Rücken und sah sich um. Als sich seine Augen scharf stellten und sein Kopf zur Ruhe kam, sah er, dass er sich im Maschinenraum der „Harlekin“ befand. Es hätte also viel schlimmer kommen können. Da war das eine Mal, als er in der Luftschleuse aufgewacht war…

Ein Schraubenschlüssel klapperte auf dem Boden. Er schaute hinüber. Trin arbeitete am Rohrleitungssystem. Ihr MobiGlas pulsierte zur Melodie des Liedes, das sie in ihre Kopfhörer pumpte.

Yao zwang sich auf die Beine. Sein Kopf schwirrte ein wenig, während er sich an den Höhenunterschied gewöhnte – aber er hielt das Gleichgewicht. Nichts von alledem überraschte ihn. Obwohl dieser Morgen ein wenig schlimmer war, sein Kopf ein wenig schwerer, der Nebel in seinem Gehirn ein wenig dichter … im Laufe des letzten Jahres war dies mehr oder weniger zu seinem Standardritual des Aufwachens geworden. Langsam schlurfte er durch das Schiff. Kel war im Frachtraum und untersuchte etwas, das wie ein Stein aussah…

Das rief eine Erinnerung in ihm wach. Yao wurde langsamer, als er versuchte, die Spinnweben seiner Erinnerungen zu durchforsten. Ja… irgendetwas war vorhin passiert. Etwas Großes…das würde erklären, warum er ein wenig schwerfälliger als sonst war. Sie hatten etwas gefeiert.

“Hallo, Doktor!”, sagte Kel fröhlich.

“Unglaublich, nicht wahr? Sehr aufregend.”

Yao nickte und machte sich auf den Weg zur Brücke. Auf dem Weg ging er zu seiner Schlafkoje, um schnell zu duschen und sich umzuziehen. Dann kamen ihm die Erinnerungen an das Eriesium und die anschließende Party wieder in den Sinn. Ungefähr nach der Hälfte der Dusche erinnerte sich Yao daran, was beinahe passiert wäre, bevor sie das Wrack fanden. Er fand Mags auf der Brücke, die sich mit einem Haufen Handelsseiten vor ihrem Terminal verschanzt hatte, während Ozzy schlief.

“Hey Mags.”

“Doc …”, sagte sie, ohne aufzublicken und klickte sich durch eine weitere Seite.

“Hatten Sie Glück bei der Suche nach einem Käufer?”

“Ich finde so gut wie gar nichts.”

Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück und rieb sich die Augen.

“Keiner scheint etwas zu wissen. Jede Bergbaufirma, die ich gefunden habe, listet es nicht einmal als etwas auf, das sie kaufen würden. TDD hat es nicht einmal auf ihrer Rohstoffliste. Es ist, als gäbe es das Zeug gar nicht.”

Yao nickte und schaute aus dem Fenster ins All, während er nach den Worten suchte.

“Es tut mir leid.”

“Was denn?”

“Die ganze Trin-Sache. Ich hätte da sein sollen.”

“Nun, wenn Sie jemanden kennen, mit dem ich über Eriesium reden könnte, würde ich Ihnen vielleicht verzeihen.”

Mags machte sich wieder daran, das Spektrum zu durchforsten. Yao hielt einen Moment inne.

“Das könnte ich vielleicht.”

“Wirklich?”

“Ozzy!”, rief Yao und rüttelte Ozzy aus seinem Schläfchen.

“Kannst du uns nach Kallis bringen?”

_____________________________

Die Willoughby-Wohnungsbörse war bei den Bergleuten, die den Daedulus-Cluster in Croshaw knackten, einst sehr beliebt. Das war jetzt über hundertfünfzig Jahre her. Seit der Schließung der HEX im Jahr 2863 verfiel die Station nun nach und nach. Die Langzeitbewohner, die nicht in der Lage oder nicht gewillt waren, die Station zu verlassen, starben schließlich aus und in der Station wurde es still. Nun war es nur noch ein weiterer schwarzer Koloss, der im All vor sich hindümpelte.

Das war so, bis die Souther Titans einzogen. Blind Jack konnte sein Glück kaum fassen, denn er fand eine völlig intakte Station vor, die nur mit einigen neuen Teilen wieder in Betrieb genommen werden konnte. Es war ein guter Ort, um seine Meute dort unterzubringen. Sie hatten die Station schnell repariert. Versteckte Schalter knipsten automatisch Energie, Schwerkraft und Schilde aus, sollte Fremde versuchen, einzudringen. Nach Jahren des Umherziehens musste Blind Jack zugeben, dass es schön war, einen Ort gefunden zu haben, den er sein Zuhause nennen konnte.

Blind Jack Sticha und der Rest der Souther Titans setzten auf den verschiedenen Landeplätzen auf und brachten ihre Schiffe schnell in die Hangars. Es war das Beste, den Anschein zu wahren, als ob der Ort verlassen war. Sie schoben das Wrack des Schleppers auf eine der größeren Plattformen. Skivner und Leedy konnten zwar nicht das Frachtverzeichnis bergen, aber sie sahen sich den Laderaum kurz an. Das Ding war vollgestopft bis unter die Decke. Das war das Tolle an den Indie-Betreibern: Sie mussten jede Fahrt für sich nutzen. Sicherlich hätten sie sich sicherlich noch mehr wehren können, aber Jack hatte nichts dagegen, für seine Belohnung ein wenig zu kämpfen.

Das war auch nur die Hälfte der Beute. Sobald sie die Ware abgeladen hatten, würden sie auch das Schiff auseinandernehmen. Blind Jack würde die Teile aussuchen, einen Teil für die Instandhaltung der eigenen Flotte behalten und den Rest verkaufen. Alles in allem ein guter Schnitt. Blind Jack schaltete die Lampe seines Anzugs an, als er zur Luftschleuse der HEX stapfte. Er musste die Station wieder hochfahren. Ungefähr auf halbem Weg durch die Startroutine…

“Blind Jack Sticha” kam über den allgemeinen Funk.

Jack hielt kurz inne und fuhr dann mit der Startprozedur fort. Die Lichter in der Luftschleuse pulsierten und die Systeme fuhren hoch.  Als die Luftschleuse wieder funktionierte, zog er seine Pistole, eine Coda-Sonderanfertigung und entsicherte sie. Wer ihn auch immer gerufen hatte, musste in der Nähe sein.

Leedy joggte hoch, die Waffe bereit. Die anderen Southers hatten es ebenfalls gehört.

„Das ist nicht nötig”, sagte die Stimme.

„Wir sind hier, um zu reden.”

Jack blickte zu den Sicherheitskameras in der Luftschleuse hinauf. Sie mussten im System sein. Jack steckte die Pistole in das Halfter und gab Leedy ein Zeichen, das Gewehr zu schultern.

Die Luftschleuse öffnete sich zischend. Musik schallte durch die Gänge. Blind Jack nahm seinen Helm ab und warf ihn auf den Boden.

“Augen auf, Junge”, murmelte er zu sich selbst.

Er riss seine Handschuhe von seinen Händen und warf sie neben den Helm.

Sie gingen in den Wohnbereich, wo ihre beiden unbekannten Gäste warteten. Es waren Menschen. Ein Mann und eine Frau. Sehr trugen schöne Fluganzüge. Der Mann war sichtlich bewaffnet. Die Frau war nicht bewaffnet, sah aber definitiv nicht ängstlich aus. Blind Jack ging lässig zu einem ihrer Frachtcontainer hinüber, der zu einer Kühlbox umfunktioniert worden war und zog eine Dose Smoltz heraus. Er bot sie dem Duo an.

“Drink?”

Die Frau rührte sich nicht. Der Mann lächelte und schüttelte den Kopf. Blind Jack zuckte mit den Schultern, öffnete die Dose und leerte sie in einem langen Schluck. Er zerknüllte die Dose und warf sie in die Dunkelheit.

“Wer zum Teufel seid ihr?”

“Wir sind Zuhörer. Unser Arbeitgeber schickt uns, um Fragen zu stellen und zuzuhören. Dann werden wir beauftragt, entsprechend zu handeln.”

“Aha”, sagte Blind Jack mit einem Blick zu Leedy.

“Wir sind keine Kopfgeldjäger oder von der Advocacy, falls Ihr Euch darüber Sorgen macht. Betrachtet  uns eher als Berufskollegen.”

“Was wollt ihr also?”

“Nicht viel. Wir haben zwei Fragen. Die zweite ist wesentlich schwieriger als die erste, aber beide müssen zu unserer Zufriedenheit beantwortet werden oder …”, der Mann zuckte mit den Schultern. “…wir werden entsprechend handeln.”

Blind Jack brach in Gelächter aus. Sein Lachen hallte in der verlassenen Station wider. Der Mann lächelte. Die Frau stand unbeweglich neben ihm. Schließlich verstummte das Lachen.

“Du kommst in unsere Höhle und drohst mir?”

Blind Jack griff nach einer weiteren Dose Bier.

“Das ist ein schneller Weg zu einem kurzen Leben, mein Freund.”

“Ich tue das nicht für mich”, erwiderte der Mann und ging zu Leedy hinüber. Der dürre, tätowierte Pirat  begegnete dem Blick des Mannes, ohne mit der Wimper zu zucken.

“Wie ich schon sagte, sind wir Vertreter. Alles, was Ihr wissen müsset ist, dass Damien Martel von den Four Points im Grunde genommen die Fragen stellt.”

Blind Jack Sticha hustete. Leedy sah zu seinem Chef hinüber, dessen Verhalten sich von einem Moment auf den nächste völlig verändert. Die „Four Points“ waren eines jener Syndikate, die nie zu sterben schienen. Sie beherrschten nie die kriminelle Hierarchie, aber irgendwie hielten sie sich jahrzehntelang und hatten einen ebenso berechnenden wie rücksichtslosen Ruf. Die Anführer vertraten jeweils einen Teil des Territoriums und bildeten einen Rat der Vier, der den Piraten da draußen Befehle erteilte. Damien Martel war ein Mitglied des Rates.

“Ich sehe, ich brauche keine weitere Erklärung”, sagte der Mann nach einem Blick auf Blind Jacks Gesicht.

“Gut.”

Der Mann ging zu Jack hinüber und musterte ihn einen Moment lang.

“Warst du für den Angriff auf Mr. Martels Schiff verantwortlich?”

“Hm?”

“Willst Du, dass ich die Frage wiederhole?”

“Was? Nein.”

Blind Jack blickte die Frau an. Sie hatte sich in Leedys toten Winkel begeben.

“Ich habe nichts von einem Angriff gehört.”

“Lügst du mich an?”, sagte der Mann, ohne seinen Blick abzuwenden.

Seine Stimme war gleichmäßig, ohne jeden Tonfall.

“Auf keinen Fall”, erwiderte Blind Jack und er hielt dem Blick stand. “Meine Leute sind alle hier. Niemand würde so etwas tun, ohne dass ich davon wüsste.”

Der Mann beobachtete Jack einige Augenblicke lang.

“…ihr Titanen habt interessante Tätowierungen”, sagte der Mann, während er sein MobiGlas hochfuhr und begann, durch die Menüs zu blättern.

“Ich selbst habe den Reiz nie ganz verstanden…”

Der Mann fand ein Bild und hielt es Jack vor die Nase. Es war ein Überwachungsfoto.

“Zweite Frage.”

Er deutete auf das Überwachungsfoto. Irgendein Schrottplatz, auf dem Blind Jack in der Vergangenheit Schrott abgeladen hatte. Wardlow Red oder so ähnlich. Der Mann zeigte auf eine Frau im Bild. Es sah aus, als trüge sie ein Titan-Tattoo.

“Weißt du, wer das ist?”

Blind Jack brauchte eine Sekunde, um sie zu erkennen.

“Ich will verdammt sein”, sagte er mit einem liebevollen Lächeln.

“Ihr Name ist Trin Liska. Es ist schon eine Weile her, dass wir mit ihr zusammen waren. Was hat sie getan?”

“Etwas von Wert gestohlen.”

Blind Jack nickte. Er nahm einen weiteren Schluck aus seiner Dose.

“Das letzte, was ich gehört habe, war, dass sie sich mit Reza Malcolms Schiff zusammengetan hat. Ein furchtbares Stück Scheiße namens Harlekin.”

“Ich will dieses Schiff.”

Blind Jack ließ sich Zeit, darüber nachzudenken. Er ging an dem Mann vorbei und setzte sich in seinen kaputten Ledersessel.

“Sicher, ich kann helfen”, sagte er mit einem zufriedenen Grinsen.

Dreißig Minuten später verließen die beiden Killer des Syndikats die Station ohne weitere Zwischenfälle und voll informiert mit allem, was die Southers über Trin wussten.

Blind Jack saß still da und summte vor sich hin. Die anderen Titanen sahen ihrem Chef perplex zu. Schließlich ergriff Leedy das Wort.

“…was zum Teufel, Jack?”

“Sprich aus, was du denkst, Leedy.”

“Trin war eine von uns.”

“WAR -, Junge.”

Blind Jack lehnte sich in seinem Sitz zurück und kippte noch eine Dose Bier hinunter.

“Sie ist abgehauen. Ich habe dir schon mal gesagt, dass wir keine Loyalität für Drückeberger haben und außerdem übersiehst du das große Ganze.”

“Und das wäre?”

“Wenn die Four Points auf sie aufmerksam geworden sind”, ein Grinsen breitete sich hinter Blind Jacks Bart aus, “dann geht es um viel Geld.”

Die Titanen sahen sich an. Die Aussicht auf eine Auszahlung entfachte das vertraute Feuer in ihren Augen.

“Leert eure Schiffe. Wir reisen mit leichtem Gepäck”, sagte Blind Jack und kippte noch ein Bier.

“Lasst uns das Geld holen.”

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Kapitel 09

Die „Harlekin“ verließ den Sprungpunkt Bremen-Kallis in der Nähe einer Gruppe von Frachtschiffen, die soeben auf dem Weg aus dem System waren. Erst kürzlich installiert, schwebten neue Comm-Relais in der Nähe des Sprungpunktes und der Navy-Station, die mit dem Schutz dieses sich entwickelnden Systems beauftragt war.

Die gesamte Besatzung hatte sich auf der Brücke des Schiffes versammelt. Mags und Trin konzentrierten sich ganz auf die Navy-Station und hielten Ausschau nach Anzeichen dafür, dass das Militär ihnen plötzlich die gleiche Aufmerksamkeit schenkte. Ozzy flog mit seiner üblichen mürrischen Gleichgültigkeit. Yaos Hand zitterte, während er an einem Nagel kaute. Für die anderen schien es die übliche Begleiterscheinung zu sein, wenn man so lange ohne körperliches chemisches Gleichgewicht auskommen musste. Sie wussten nicht, dass es diesmal etwas anderes war…

Kel war der Einzige, der auf die Aussicht achtete. Draußen vor dem Schiff bot sich ein atemberaubend schönes Schauspiel von Zerstörung und Schöpfung. Kallis war die Definition eines sich entwickelnden Systems. Es war entdeckt worden, als die Planeten noch im Entstehen begriffen waren und hatte sich zu einem Anziehungspunkt für Astronomen und Wissenschaftler entwickelt, die begierig auf die einmalige Gelegenheit waren, ein Sonnensystem in seinen Anfängen zu beobachten. Das System hatte sogar eine ganze Reihe von Philosophen und Spiritualisten angezogen, die hierher kamen, um über alle möglichen Fragen der eigenen Existenz nachzudenken.

“Ziemlich …”, war alles, was Kel zustande brachte.

“…sind Sie sich da wirklich sicher, Doc?”, unterbrach Mags, deren Augen immer noch auf die vorbeiziehende Militärstation gerichtet waren.

“Ja … Ich denke schon”, antwortete Yao. Er merkte, dass er auf seinen Nägeln kaute und hielt inne.

“Nein, es sollte alles gut gehen.”

“Dieser Typ ist also ein Arzt?”, fragte Trin, während sie auf einem Stück Dörrfleisch herumkaute.

“Ein Kumpel von mir, aus dem Medizinstudium bis er abgebrochen hat und zu Physik und Geologie gewechselt ist. Aber er ist cool.”

“Aha”, erwiderte Trin und nahm einen weiteren Bissen.

Yao machte sich auf den Weg zu einem der Stühle und schaltete den Commlink ein. Er isolierte die Gryphon- Station und sendete eine Nachricht. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis ein verschlafener Administrator antwortete.

“Administration.”

“Ja, hallo, Lev Dennis, bitte-“

Der Administrator leitete das Gespräch weiter. Nach ein paar Sekunden des Wartens, in denen ihn der Rest der „Harlekin“-Crew  anstarrte, meldete sich jemand Neues. Lev meldete sich, ohne aufzusehen. Dem schnellen Tastengeräusch nach zu urteilen, war er deutlich mehr daran interessiert, etwas zu tippen.

“Ja?”

“Was gibt’s, Mann? Ich bin’s, Honan.”

Lev hörte auf zu tippen und drehte sich um, um auf das Funkgerät zu schauen. Sein Gesicht hellte sich auf.

“Heilige Scheiße.”

Er rieb sich die Augen und sah genauer hin.

“Was zum Teufel machst du hier?”

“Ich bräuchte eigentlich ein wenig von deinem Fachwissen.”

“Ja, klar.”

Yao zuckte mit den Schultern und nickte.

“Wirklich?”

Lev klang aufrichtig schockiert.

“Oh, verdammt, ja, okay. Komm doch vorbei. Ich arrangiere einen Platz.”

Zwanzig Minuten später setzte die „Harlekin“ auf der Beobachtungsstation auf. Die Tür der Landebucht öffnete sich, als Lev Dennis in die Hangar-Bucht stürmte.

“Yaooooo-“

Beim Anblick der restlichen „Harlekin“-Besatzung hielt er kurz inne. Lev war etwa so alt wie Yao, aber das Leben in der Isolation fernab der Zivilisation hatte offensichtlich nicht viel für seine Körperhygiene übrig. Er ging rückwärts zur Tür.

“Was ist los, Mann?”

Yao trat schnell vor und schüttelte ihm die Hand. Lev erstarrte mitten im Griff. Yao blickte nach unten und sah die WiDoW-Spuren, die unter seinem Ärmel hervorlugten.

“Was machst du da, Mann?”, fragte Lev im Flüsterton. “Das sieht wirklich schlimm aus.”

“Nein, ist schon okay, Mann”, beschwichtigte ihn Yao.

“Der Scheiß sieht gar nicht gut aus.”

“Mach dir nichts draus”, sagte Yao und rang sich ein Lächeln ab, so gut er konnte, aber er merkte, wie sehr er sich wahrscheinlich verändert hatte, seit er seinen Freund das letzte Mal gesehen hatte. Es war so viel passiert … aber darüber wollte er jetzt nicht nachdenken.

“Komm, ich stelle dir meine Crew vor.”

Lev zwang sich zu einem Lächeln und schaute an Yao vorbei. Obwohl Trin und Ozzy offenbar nicht bewaffnet waren, wirkten sie sehr einschüchternd auf den Wissenschaftler. Kel näherte sich schnell.

“Hallo, Lev Dennis. Freut mich, dich kennenzulernen. Ich bin Kel.”

Er klopfte Lev auf die Schulter und umarmte ihn kurz.

“Schöne Station hier. Solide Konstruktion.”

“Hey …”, erwiderte Lev verlegen.

Yao merkte, dass Lev unruhig wurde, also hielt er den Ball am Laufen.

“Können wir irgendwo unter vier Augen reden?”

Er zog Lev in Richtung der Flure. Lev schien sich zu beruhigen, je weiter sie kamen und begann bald, die verschiedenen Forschungsunternehmen und gemeinnützigen Organisationen zu erklären, die er im Laufe der Jahre kennengelernt hatte. Die, die gekommen und gegangen waren, um verschiedene Facetten des Sternensystems zu untersuchen. Als sie in seinem Labor ankamen, schien er sich zu entspannen und beantwortete sogar einige Fragen von Trin zu den Sicherheitsprotokollen der Station. Im Inneren des Labors befanden sich mehrere Scan-Arrays, die um ein riesiges, raumhohes Fenster herum positioniert waren, von dem aus man draußen den Strudel aus Flammen und Trümmern überblicken konnte.

“Also, weswegen wolltet ihr mich sehen?”, fragte Lev schließlich.

Yao nickte zu Mags hinüber, die ihr Schließfach trug. Sie stellte es auf einen Tisch und öffnete es, so dass der riesige Brocken Eriesium zum Vorschein kam. Lev warf einen Blick auf Yao, bevor er in die Kiste schaute. Zuerst fiel ihm nichts Besonderes auf. Erst als er versuchte, näher heranzugehen und das Licht, das violette Schimmern direkt unter der Oberfläche des Erzes einfing, hielt er inne und schaute ungläubig in die Gesichter um ihn herum.

“Ist das …”

Yao grinste. Lev machte einen Schritt auf das Eriesium zu.

“Darf ich?”

“Deshalb sind wir ja hier, Mann.”

Lev schnappte sich aufgeregt ein paar Handschuhe und hob das Erz auf. Er schob es zwischen den Händen hin und her, um sein Gewicht zu testen und sah es sich noch genauer an.

“Wo hast du das gefunden?”, fragte er, ohne den Blick von dem wertvollen Mineral zu nehmen.

“Das ist eine lange Geschichte”, antwortete Mags, während sie ihm beim Studieren zusah.

“Aber es ist Eriesium, richtig?

“Ja, ich glaube schon.”

Lev hielt das Erz unter eine Tischlampe, um es ganz genau zu untersuchen.

“Du musst bedenken, dass man in der gesamte UEE nur vier oder fünf Mal Eriesium gefunden hat. Und ich glaube nicht, dass irgendeines davon so groß war wie dieses. Es ist also nicht so, dass es eine Fülle von Wissen über das Zeug gibt.”

“Kennst du jemanden, der es kaufen würde?”

Trin meldete sich von hinten, offensichtlich gelangweilt. Yao warf ihr einen Blick zu. Sie zuckte mit den Schultern und holte eine kleine Statue aus einem Regal. Lev ließ sich auf einen Hocker in der Nähe nieder.

“Viele, aber sie werden es nicht anfassen. Die Regierung hat jede Art von offenem Markt unterdrückt. Bis sie mehr darüber wissen, müssen alle Funde und Verkäufe gemeldet werden. Man muss angeben, wo man es gefunden hat, wie es abgebaut wurde und welche Grabungsgenehmigungen vorlegen. Es ist also nicht so einfach, in ein TDD zu gehen und etwas Erz abzuladen.”

“Warte mal.”

Trin stellte die Statue zurück ins Regal und begann den Raum in Richtung Lev zu durchqueren.

“Du willst mir sagen, wir haben das wertvollste Mineral des Universums und können es nicht verkaufen?”

“Ähm … ja”, antwortete Lev, während er vor Trin zurückwich. Sie blieb direkt vor ihm stehen und starrte ihn an, bevor sie Mags einen ihrer Blicke zuwarf und wegging.

“Ich meine, du könntest es vielleicht an ein paar Xi’an verkaufen. Sie würden es wahrscheinlich kaufen, aber das wäre Verrat …”

“Was hast du gesagt?”

Mags wurde hellhörig.

“Das wäre Verrat.”, wiederholte Lev.

“Nein, das davor,” blaffte ihn Mags an.

“Anscheinend ist Eriesium im Xi’an-Imperium etwas weiterverbreiteter. Sie haben damit etwas mehr gearbeitet”, erklärte Lev.

Mags wandte sich an die Gruppe.

“Ich glaube, ich kenne einen Käufer.”

.

Kapitel 10

Die Fahndung nach der „Harlekin“ verlief ergebnislos. Seit Tagen schickte Arno Maas seinen ganzen Spitzeln, korrupten Zollbeamten, örtlichen Schlägertrupps und anderem allgemeinem Abschaum  Erkennungsmerkmale des Schiffes, aber bis jetzt war nichts Brauchbares dabei. Blind Jack erzählte zwar offen und umfassend, was er über Trin Liska wusste, aber Arno hielt es für möglich, dass Blind Jack einige wichtige Fakten zurückhielt. Arno schaltete sein Terminal aus und machte sich auf den Weg zum Cockpit, Osane flog das Schiff.

“Hattest Du Glück?”, fragte Osane, als sich Arno näherte.

“Ich warte auf Nachricht von Masterson. Er durchsucht derzeit die Archive der Advocacy nach bekannten Partnern von diesem Malcolm.”

Arno saß einige Augenblicke lang still da.

“Ich frage mich, ob wir nicht einen oder zwei Titanen hätten töten sollen. Du weißt schon, um unseren Standpunkt zu unterstreichen.”

“Blind Jack ist von der alten Schule.”

Osane schaltete das Schiff auf Autopilot und sah Arno an.

“Es hätte uns erbärmlich aussehen lassen, ihn einzuschüchtern.”

Ein Funkspruch, der auf beiden Terminals gleichzeitig einging, unterbrach das Gespräch. Arno aktivierte sofort die Verschlüsselungsprotokolle und antwortete.

“Mr. Martel.”

Es dauerte einen Moment, bis das Bild erschien. Ein Mann in den späten Fünfzigern mit kräftigen, kantigen Gesichtszügen tauchte auf. Die Verschlüsselung der Kommunikation verursachte einige Synchronisationsprobleme, so dass sein Gesicht manchmal ein wenig sprang, um mit seinen Worten Schritt zu halten. Damien Martesl Blick war völlig emotionslos.

“Status”, sagt er nur.

“Wir haben alle Spuren auf dem Schrottplatz beseitigt und es so aussehen lassen, als wären es die Sklavenhändler gewesen. Also ist das erledigt. Wir haben jetzt nur noch einen Namen und ein Schiff, aber wir glauben, dass die Titanen ihre Information verändert haben.”

Arno überprüfte sein MobiGlas, um zu sehen, ob er irgendwelche Nachrichten erhalten hatte.

“Wir haben die Nachricht rausgeschickt und warten auf eine Antwort.”

Martel starrte sie schweigend an, sein Blick war nicht zu entschlüsseln.

“Es steht ein Vermögen an Four-Points-Immobilien auf dem Spiel und ihr wartet darauf, dass man euch zurückruft?”, donnerte Martel schließlich in sein Funkgerät.

Arno warf einen Blick auf Osane.

“Ich weiß nicht, was-“, aber sie wurde jäh unterbrochen.

“Tretet jede Tür ein, die Ihr eintreten müsst. Macht Städte dem Erdboden gleich. Es ist mir egal. Findet die Harlekin oder wir sind alle tot.”

Martel schaltete ab.

Arno und Osane schauten sich an. Osane drehte sich wieder um und schaltete den Autopiloten aus.

“Wir hätten doch ein paar Titanen töten sollen.”

Auf Arnos MobiGlas erschien eine Nachricht. Er warf einen Blick darauf und fauchte.

“Na, das macht mir Spaß . . .”

_____________________________

Der Zugriff auf den Sprungpunkt Bremen-Nyx dauerte ewig. Die Bremer Militanten war an gewöhnlichen Tagen sowie so schon paranoid genug, heute aber hatten sie wohl die doppelte Dosis ihrer Pillen eingeworfen. Mags schickte eine alte Reg-Tag, die sie schon lange nicht mehr benutzt hatte und der für “saubere Reisen” reserviert war.

Die Anfeindungen der Militanten machten den angespannten Flug durch den gesetzlosen Raum beinahe interessant. Mags steuerte die „Harlekin“. Ozzy übernahm die Eskorte in der P52. Sie flogen am Wrack einer Hull vorbei. Mags konnte nicht sagen, um welches Modell es sich handelte, denn das Ding war in tausende von Teilen zersprengt worden. Eine Gruppe von Gesetzlosen, vermutlich diejenigen, die die Sprengung durchgeführt hatten, stöberte in den Trümmern umher. Einer schwer bewaffneter Kampfjet bewachte sie dabei.

Mags war sich ziemlich sicher, dass die Crew jetzt spekulierte, ob sie an diesem Tag genug Fracht gestohlen hatten oder ob es lohnen würde, die „Harlekin“ anzugreifen. Mags flog mit gleichmäßiger Geschwindigkeit vorbei und hielt weiter Kurs auf den Glaciem-Ring und ihr Ziel: Levski. Mags hatte während ihrer Kinderjahre einige Zeit dort verbracht. Sie hatte sich damals der Bande von Frank McGarr angeschlossen: Spekulationsbetrug, kleine Gaunereien und gelegentliche Raubüberfälle. Die Bande hatte sich außerhalb des “Burnout-Kollektivs”, wie Frank die Bewohner von Levski stets zu nennen pflegte, niedergelassen, unter dem Vorwand, die Privatsphäre der Leute zu respektieren. So wurden auch sie in Ruhe gelassen. Für eine Bande von Lügnern und Dieben war das geradezu perfekt.

Der Rest des Fluges nach Levski verlief ohne Zwischenfälle. Ozzy dockte an die „Harlekin“ an, bevor sie ihren letzten Leg antraten. Als sie aufsetzten, hatte sich der Rest der Mannschaft bereits im Frachtlift versammelt.

Trin wartete mit ihrem Fuß auf dem Schließfach mit dem Eriesium.

Yao lehnte an der Wand und kaute geistesabwesend auf seinem Nagel.

Kel trug seine gesamte ‘Menschenkleidung’: Eine uneinheitliche Collage aus Sataball-Teamsachen, einem UEE-Schal und einem Sweatshirt mit dem beliebten Gag-Slogan (“I’m with Mom”) aus einer zehn Jahre alten Spectrums-Serie.

Mags zog ihren Mantel an und hüpfte zu ihnen hinunter.

“Ich denke, wir sollten uns trennen, mein Freund könnte ein bisschen nervös sein.”

Mags griff nach dem Schließfach, aber Trin rührte sich nicht.

“Es bleibt bei mir”, bestimmte Trin.

“Ja, okay”, erwiderte  Mags und drückte den Liftknopf. Die Plattform begann zu sinken. Mags drehte sich zu Kel um.

“Denk daran, worüber wir gesprochen haben.”

“Ich bin ein Freund. Nicht Sklave”, antwortete er in einer sorgfältig geübten Tonart.

Der Aufzug kam auf dem Boden an. Die Gruppe ging auf die Luftschleuse zu, während sich die massiven Hangar-Tore quietschend schlossen. Die Luft hatte einen säuerlichen Geruch, wahrscheinlich war es Jahre her, dass die Filter in den Hangars gereinigt worden waren. Sie kamen an einem Plakat vorbei, auf dem die “Regeln der „Peoples Alliance“ ” aufgeführt waren. In jedem Hangar hing solch ein Plakat, aber dieses hier war mehrfach geflickt worden. Vermutlich war das Transparent mehrfach mit Steinen oder Flaschen beworfen worden.

Sobald sie drinnen waren, machte sich Yao sofort aus dem Staub und ging in die Tunnel. Kel beeilte sich, einen Blick auf die grobe Karte der verlassenen Bergbaustation zu werfen und begann sofort einen Monolog mit einem Einheimischen, der zufällig in der Nähe stand. Mags, Trin und Ozzy fuhren mit dem Aufzug hinunter ins Erdgeschoss. Auf dem Grand Barter herrschte wie immer reges Treiben. Fahrende Händler priesen schreiend jedem ihre Waren an. Bei der kleinsten Reaktion fielen die Händler über einen her. Die drei drängten sich an den Ständen vorbei und fanden sich inmitten eines riesigen Warenangebots aus allen Ecken der UEE und darüber hinaus wieder. In jedem Satz der Händler wurden Qualität und Seltenheit zugesichert.

Schließlich kamen die drei auf der anderen Seite an. Ozzy schob einen besonders hartnäckigen Händler beiseite und sie gingen alle zur Bar. Das Café Musain war voll. Ein Transportteam feierte lautstark in einem der Nebenräume und ließ, offensichtlich nach einem großen Auftrag, Dampf ab. Der Rest des Lokals war gefüllt mit Bergleuten, Einheimischen in selbstgenähter Kleidung und Durchreisenden, die sich hier ausruhten, um einen Drink zu nehmen. Die Barkeeper hatten alle Hände voll zu tun, die Gläser nachzufüllen.

Mags suchte die Stände ab, die den Markt besiedelten. Sie schubste Trin zu einer abgelegenen Ecke, in der ein Xi’an ruhig saß.

“Ozzy, meinst du, du könntest dich zurückhalten?”, fragte Mags ein wenig zögernd.

Ozzy warf einen Blick auf Trin, die wiederum nickte. Er verließ die beiden und ging in Richtung Bar.

Mags bahnte sich einen Weg durch die Menge und peilte den Xi’an an, Trin folgte ihr.

“Nyasēng’s.uo Soham”, sagte Mags, als sie sich ihm näherte.

Der Xi’an blickte auf.

“Xē’sueren, Diebin Magdalena.”

.

Kapitel 11

Soham lehnte sich zurück und nahm sich einen Moment Zeit, um Trin und das Schließfach zu begutachten.

“.axyoa? Ich hoffe, es geht dir gut”, spöttelte Soham.

“Du weißt schon, Höhen und Tiefen.”

“Ich glaube, ich kenne den Ausdruck.”

Soham hielt seinen Blick auf Trin gerichtet.

“Was kann ich für dich tun?”

“Ich bin froh, dass du fragst.”

Mags und Soham setzten sich.

Soweit Ozzy erkennen konnte, waren zwar etwa ein Dutzend bewaffneter Leute in dem Lokal, aber vielleicht drei von ihnen sahen wirklich bedrohlich aus. Zwei saßen an der Bar, aber so wie sie den Raum abtasteten, wirkten sie eher wie Aasgeier. Der letzte hockte in der Nähe eines Hinterzimmers und versuchte, nicht so auszusehen, als würde er es bewachen.

Das war eine Angewohnheit, die er sich auf dem Quarterdeck angeeignet hatte. Eine Angewohnheit, die sich jeder von ihnen angewöhnt hatte. Man musste jeden Raum, jeden Moment einschätzen, um zu wissen, wer eine Bedrohung darstellte und wer nicht. Vielleicht war es ein wertvolles Training. Auf jeden Fall war es das nicht wert, nur deswegen dorthin geschickt zu werden, um das zu lernen. Er leerte sein Glas und winkte dem Barkeeper, ihm ein neues zu bringen.

“Ozzy Liska”, sagte eine Stimme hinter ihm. Sie kam ihm irgendwie bekannt vor. Ozzy blickte zurück, als Blind Jack Sticha auf den nächsten Hocker kletterte.

“Hey, Jack, wie geht’s dir?”

“Ich bin zu alt, um mich zu ändern, das weißt du doch.”

“Ja.”

“Hab gehört, du bist rausgekommen”, sagte Blind Jack, während er die beiden Drinks bezahlte.

“Jep.”

“Und wieder mit Trin unterwegs.”

“Auch das.”

“Ich habe auch gehört, ihr zwei habt einen anständigen Coup gelandet.”

Ozzy drehte sich zu Jack um und bereitete sich im Geiste darauf vor, Jack notfalls seine noch versteckte Klinge in den Hals zu rammen.

“Wo hast du das gehört?”

“Geflüster, Junge.”

Blind Jack grinste und nahm einen Schluck.

“Geflüster findet immer seinen Weg zu mir.”

“Dann kennst du die Antwort doch schon.”

“Ich kann helfen.”

Blind Jack leerte den Rest seines Glases.

“Ich kann dir helfen, es zu los zu werden.”

“Ich glaube, wir haben es im Griff.”

Ozzy blickte sich um, um zu sehen, ob sich Jack noch weitere Hilfe mitgebracht hatte. Da! Ein großer, schlaksiger Bastard, war in der Nähe der Front postiert.

“In Ordnung.”

Blind Jack bestellte zwei weitere Gläser. Er stellte beide vor Ozzy ab.

“Erstaunlich, dass du so eifrig bist, wieder mit Trin zusammenzuarbeiten, nachdem du rausgekommen bist.”

“Was soll das denn heißen?”, fragte Ozzy.

Blind Jack stieß sich von seinem Stuhl ab, wobei er darauf achtete, dass seine Hände nicht zu sehen waren und lächelte.

“Na ja, sie war diejenige, die dich in den Knast verfrachtet hat.”

“Aha”, brachte Ozzy zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Seine Wut wurde immer größer.

“Sie hat also das Sagen bei den Titanen? Ich dachte, es wäre deine Mannschaft, Jack.”

“Das war nicht mein bester Moment, Ozzy, aber du weißt ja, wie sie sein kann”, sagte Blind Jack achselzuckend.

“Sie hat dieses Temperament, das sie sehr überzeugend macht. Das Angebot steht immer noch, zurückzukommen, wenn du es willst. Familie ist eine Sache, aber ein Rudel ist eine andere. Denk darüber nach.”

Blind Jack winkte den schlaksigen Handlanger in der Ecke zu sich herüber und sie gingen.

Ozzy sah zu dem Stand in der Ecke. Trin nahm das Schließfach in die Hand. Sie schaute sich in der Bar um, bevor sie es öffnete. Ihr Blick traf den von Ozzy. Sie grinste und sah dann wieder zum Xi’an. Mags hatte Soham noch nie so beeindruckt gesehen. Als ehemaliger Polizist im Xi’an-Imperium arbeitete er jetzt als Sicherheitsberater für jeden, der sein Honorar bezahlte. Besonders stolz war er auf seine Gelassenheit.

“Du hast dich selbst übertroffen, Magdalena”, war alles, was er immer wieder sagte, während er das Eriesium untersuchte.

“Komisch …”, sagte eine Stimme hinter ihnen.

Mags, Trin und Soham drehten sich um und sahen Arno und Osane an den Tisch treten.

“Wir haben dasselbe gedacht.”

“Tut mir leid, dieser Tisch ist besetzt”, sagte Mags zu den beiden, die über ihnen standen. Irgendetwas an den beiden wirkte sofort abstoßend. Sie waren viel zu ruhig, zu selbstsicher, um irgendjemand zu sein. Ihre andere Hand wanderte langsam unter den Tisch und sie schloss das Schließfach mit dem Eriesium.

“Hey, seid ihr zwei taub oder einfach nur dumm? Verschwindet. Es sei denn, ihr wollt herausfinden, wie es sich anfühlt, wenn man von vorn einen Schlag auf den Rücken bekommt.”

Trin verschwendete keine Zeit.

Der Mann seufzte, während die Frau Trin wie ein Falke beobachtete. Trin starrte nur zurück.

“Das gehört uns”, nickte er und deutete auf das Schließfach.

“Von wegen”, schnauzte Trin zurück.

Mags’ Gedanken rasten. Sie sah zwar keine sichtbaren Waffen an den beiden, aber ihre dicken Kleidungsschichten waren perfekt, um Waffen zu verstecken.

“Ich verstehe, dass Sie verwirrt sind”, sagte der Mann.

Seine Stimme war angenehm und beruhigend.

Mags hatte den deutlichen Eindruck, dass er der Redner von den beiden war.

“Sie haben diesen … Gegenstand … aus dem Wrack der Echo Calling gezogen, die für unseren Auftraggeber gearbeitet hat. Soweit wir wissen, waren Sie nicht die Aggressoren im Kampf, der die Zerstörung verursacht hat, also sind Sie in diesen Schlamassel hineingeraten, weshalb wir Ihnen die Chance geben, unser Eigentum zurückzugeben und zu verschwinden. Tun Sie das, – dann sind wir quitt. Wenn Sie es nicht tun? Dann wird es Probleme geben.”

“Ich weiß nicht. Wir sind Leute, die sowieso immer Probleme haben.”

Mags schaute an den beiden vorbei zu der Stelle, wo Ozzy sich an der Bar postiert hatte. Er war verschwunden.

“Four Points”, sagte Arno.

Das ließ alle am Tisch erstarren. Jeder von ihnen hatte in irgendeiner Form schon einmal von dem Four-Points-Syndikat gehört. Mags kannte drei Leute, die nach einem verpfuschten Raubüberfall in Prime verschwunden waren. Sogar Trin schien allein durch die Erwähnung verblüfft zu sein.

“Diebin Magdalena”, meldete sich schließlich Soham zu Wort. Der ehemalige Polizist stand vom Tisch auf. Die Frau unterbrach ihren Blick auf Trin, um Soham im Auge zu behalten. Der Xi’an blickte einfach wieder zu Mags.

“Ich überlasse Sie jetzt Ihren Geschäften.”

“Wie wäre es damit…”

Trin schlug mit der Hand auf den Tisch und zog damit die Aufmerksamkeit aller auf sich. Nur Soham ging weiter. Sie hatte die momentane Ablenkung genutzt, um eine Granate zu ziehen.

“…wie wär’s wenn ich diese Granate zünde und uns alle umlege?”

“Äh… Trin?”

Mags wich langsam von der Granate zurück. Niemand sonst im Café Musain schien ihnen Aufmerksamkeit zu schenken. Sie registrierte etwa acht sichtbare Waffen bei den Gästen.

“Nun gut”, sagte der Mann und klang zum ersten Mal wirklich engagiert. Er trat näher an Trin heran.

“Das ist interessant. Bist du wirklich bereit, uns alle in die Luft zu jagen?”

“Klar, stell dir vor, dann bekommt niemand das Eriesium. Ich denke, ich kann glücklich sterben, wenn ich das weiß.”

Der Mann schien das Schauspiel zu genießen.

“Osane hier …  ist schnell. Sehr schnell. Sie könnte dir wahrscheinlich einige Kugeln verpassen, bevor du die Granate aktiviert hast.”

“Ja, da könnten Sie recht haben”, sagte Trin und blickte an dem Mann vorbei zu Osane.

Trin drehte ihre Hand, um mehr von der Granate zu zeigen. Diese piepste bereits.

“Aber nur, wenn ich damit gewartet hätte, sie scharf zu machen.”

Mags zog eine Pistole aus ihrer Tasche und gab zwei Schüsse in Osanes Brust ab. Die Frau fiel schwer auf den Boden. Der Mann rannte los, um sich die Granate in Trins Hand zu schnappen. Plötzlich drehten sich alle in der Bar um. Mags schnappte sich das Schließfach mit dem Eriesium und ebenfalls sprang los. Ihre Füße setzten auf dem Boden auf und schon bahnte sie sich einen Weg durch die verwirrten Schaulustigen. Ein Energiegeschoss zischte von hinten an ihr vorbei und traf einen Mann direkt vor ihr im Gesicht. Sein Kopf knackte mit einem Zischen. Mags riskierte einen Blick zurück. Osane stieß sich auf die Beine und wollte soeben einen weiteren Schuss abgeben. Rauch stieg aus den beiden Löchern in ihrer Kleidung auf und legten die Panzerweste darunter frei. Mags rannte so schnell, wie sie konnte. Sie donnerte die Treppe hinauf und stürmte nach draußen, während hinter ihr weitere Schüsse fielen.

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Kapitel 12

“Sehr schön. Und das hier..?”

Kel deutete auf eine kleine Kinder-Actionfigur am Boden der Schachtel. Er hatte die letzte Stunde damit verbracht, akribisch nach jedem Gegenstand zu fragen, den er nicht kannte. Der Besitzer des Standes, ein schmutziger junger Mann Anfang zwanzig, hatte die Füße auf den Tresen gelegt. Er hatte offensichtlich schon vor geraumer Zeit die Geduld mit dem Banu verloren.

“Es ist eine Captain Levo-Actionfigur”, sagte der Standbesitzer, ohne von seinem MobiGlas aufzusehen.

“Oooh. Captain Levo.”

Kel betrachtete die Figur genau, drehte die verschiedenen Gelenke und studierte die abgeplatzte Farbe.

“Erklären Sie das.”

“Ich weiß es nicht, Mann”, sagte der Standbesitzer mit einem geplagten Seufzer.

“Er war eine beliebte Zeichentrickfigur von vor etwa fünf Jahren. Er hat Leute gerettet, hat Abenteuer erlebt und so.”

“Ich verstehe. Aha, verstehe. Ein Held.”

“Ja, ich denke schon.”

Kel nickte und studierte die Figur noch einen Moment lang.

“Ich kaufe sie.”

Der Standbesitzer zog seine Füße von der Theke und rief das Verkaufsprogramm auf. Kel zahlte drei Credits. Plötzlich schrillten die Alarmglocken. Kel schaute sich um und war sich kurzzeitig sicher, dass dies die Art und Weise war, wie an diesem Stand der Verkauf gefeiert wurde. Er lächelte.

Dann aber sah er die Leute aus einer Tür mit der Aufschrift “Café Musain” fliehen. Heraus waren die unverkennbaren Geräusche von Schüssen zu hören. Er sah Mags unter ihnen, alle rannten. Sie trug das Eriesium.

“Commander Mag!”

Kel winkte ihr zu, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Er deutete auf die Figur von Captain Levo, in der Hoffnung, sie würde hinsehen. Leider tauchten einige Menschen in Uniform um sie herum auf und richteten eine Waffe auf sie. Mags blieb abrupt stehen. Sie schaute sich einen Moment lang um und sah Kel in die Augen. Er zeigte wieder auf Captain Levo. Sie lächelte und blinzelte, dann ließ sie das Schließfach fallen und hob ihre Hände. Kel beobachtete, wie die uniformierten Menschen sie in Gewahrsam nahmen. Er musste herausfinden, wohin sie sie bringen würden…

Dann sah er einen anderen Stand, umgeben von schmutzigen Menschenkindern, die irgendeine Art von gefrorenem Essen aßen. Kel ging hin, um es zu erforschen. Das Café Musain war jetzt ein Kriegsgebiet. Einige der Einheimischen lieferten sich einen Schusswechsel mit Osane, die sich hinter einem umgedrehten Tisch verschanzt hatte. Trin wurde soeben gegen eine Wand geschleudert. Arno festigte seinen Griff um ihre Hand und um die Granate, die sie in der Hand hielt während sie sich stritten. Sie konnte sehen, dass er trainiert war, dass er mehr als nur einen fairen Anteil an Schlägereien hinter sich hatte, aber er war dennoch zu technisch, zu unflexibel.

“Dein Freund hat dich hier zum Sterben zurückgelassen”, zischte er, während er sie dicht an sich heranzog. Trin lachte ihm ins Gesicht. Er verpasste ihr einen Kopfstoß. Sie sah schwarz. Blut strömte aus ihrer Nase. Da haben wir’s, dachte sie. Sie spuckte ihm das Blut in die Augen und schlug ihm mit der freien Hand in die Achselhöhle. Sein Griff schwächte sich, zumindest so weit, dass sie sich befreien konnte. Trin wirbelte hinter ihm herum und rammte ihm ihren Ellbogen ins Genick.

Arno sank auf seine Knie. Sie schlug noch einmal auf ihn ein, um sicherzugehen. Sie sah, wie Osane zurückblickte, ihr Gewehr hob und ein paar Schüsse abfeuerte. Trin zog Arno als Schutzschild hoch. Die Schüsse trafen ihn direkt in die Brust. Er stöhnte durch die Einschläge, aber er starb nicht. Er war nicht einmal verwundet. Auch er trug eine Panzerung. Sie stopfte die scharfe Granate in Arnos Weste und stieß ihn in Richtung Osane. Dann rannte sie zur Tür, wobei sie sich einen Moment Zeit nahm, um sich die genaue Lage des Ortes und seiner derzeitigen Besucher einzuprägen. Arno kramte schnell in seiner Rüstung, um die Granate herauszufischen. Mit jeder Sekunde wurde das Heulen der Granate lauter. Er wollte sie gerade werfen, als sie explodierte.

Alle Lichter und elektronischen Geräte fielen aus. Trin schätzte, dass sie vielleicht zwanzig Sekunden Zeit hatte, bevor die Notstromaggregate wieder ansprangen. Während sie durch die Dunkelheit rannte, folgte sie im Geiste dem Grundriss von Musain. Sie erreichte die Treppe etwas schneller als erwartet, hielt sich am Geländer fest und zog sich hoch. Ihre Füße polterten die Stufen hinauf. Noch eine Drehung und sie konnte hören, wie sich die Akustik veränderte. Sie war wieder auf dem Hauptbasar, als die Hintergrundbeleuchtung wieder aufflammte. Trin tat ihr Bestes, um in der Menge unterzutauchen. Eine alte Frau trat auf sie zu, schockiert über das Blut, das über Trins Gesicht floss.

“Oh mein Gott”, keuchte sie voller Sorge. “Sie brauchen einen Arzt -“

Trin schob sich an ihr vorbei. Sie musste sich nur unauffällig verhalten, bis sie wieder auf der „Harlekin“ war. Eine Hand griff nach ihrem Handgelenk. Sie wirbelte zurück, die Faust bereit.

Es war Ozzy.

“Komm schon. Wir sind nicht sicher.”

_____________________________

Dr. Honan Yao versteckte sich in den Tunneln von Levski, als die Lichter ausgingen. Er saß einige Augenblicke in der Dunkelheit. Obwohl seine Nerven nach einer Spritze und nach kühler Ruhe verlangten, war noch bei Sinnen. Der Moment der Erkenntnis, als das Licht ausging und er eher beiläufig akzeptierte, dass es wahrscheinlich nur eine weitere Nebenwirkung seiner neuen Normalität war, ließ ihn einen Blick auf sich selbst werfen. Diesmal war ihm wichtig, was er sah. Er war nervös, seit sie Kallis verlassen hatten. Er dachte, es seien nur die Schmerzen, die mit dem Bedürfnis nach einem weiteren Joint einhergingen, aber seinen alten Freund Lev nach all dieser Zeit zu sehen … das hatte ihn härter getroffen, als er gedacht hatte. Vverdammt, die Universität im Allgemeinen fühlte sich an, als wäre es eine Ewigkeit her. Sicherlich bevor…

Das war’s. Es war immer nur eine Frage der Zeit, bis seine Gedanken dorthin abschweiften. Nach all dieser Zeit … er schlug seinen Kopf frustriert gegen die Wand und versuchte, die Erinnerungen zu unterdrücken. Doch sie fluteten immer wieder zurück. Bilder, die zuvor durch Alkohol und Drogen abgestumpft waren, tauchten nunmehr kristallklar auf. All diese gebrochenen Gesichter . . . Nein. Er konnte nicht. Nicht jetzt. Yao setzte die geladene Spritze an seine Vene. Sein Daumen schwebte über dem Knopf. Er zögerte. Dann sah er eine wunderschöne Sonne. Es waren die Ringe von Vega II, kaum sichtbar am Morgenhimmel. Und dann das Feld der Körper. Zerfetzt. Fetzen von Menschen, die im Gras lagen. So viele Teile, dass man nicht sagen konnte, was zu wem gehörte. Ein Kind schrie. Sein Daumen drückte auf den Knopf. Die Erinnerung verschwand.

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Kapitel 13

Es war zwei Stunden her, dass man Mags in der Zelle abgeladen hatte. Zumindest dachte sie, dass es eine Arrestzelle war. Als sie das letzte Mal in Levski war, war dieser Bereich eine Art Sortieranlage oder so etwas gewesen. Jetzt war es wohl eine Polizeistation. Die Wachleute von Levski hatten es weit gebracht. Sie konnte immer noch Alarme hören, die durch die verstärkte Metalltür widerhallten. Als der EMP losging, hatte sie versucht, sich das Schließfach zu schnappen und sich aus dem Staub zu machen, aber der Wachmann hatte sie erstaunlich fest im Griff gehabt. Glücklicherweise lag es nun auf dem Tisch vor ihr, so dass es nicht ganz verloren war. Wie lange waren sie ihnen schon auf der Spur? Vielleicht war es dumm gewesen, zu glauben, dass niemand nach etwas so Wertvollem, wie dem Eriesium, suchen würde.

Die Tür wurde entriegelt. Ein Mann betrat den Raum. Älter. Menschlich. Kurzes Salz- und Pfefferfarbenes Haar, das auf unpassende Längen getrimmt war, was darauf schließen ließ, dass er sich die Haare entweder selbst schnitt oder einen zweitklassigen Friseur hatte. Er rug eine dicke Jacke und einen Pullover. Mags konnte sehen, wie der obere Teil eines Imperators-T-Shirts unter dem Kragen des Pullovers hervorlugte. Ein Wachmann folgte ihm, hielt aber inne, nachdem ihm der Mann ein paar Worte zugeflüstert hatte. Der Wachmann warf einen Blick auf Mags und trat dann wieder hinaus. Sie winkte.

“Ich bin Exekutivbeamter Devin”, sagte er, während er das Schließfach aufklappte und den Stein darin enthüllte. Nachdem er sich kurz umgesehen hatte, setzte er sich auf den Sitz ihr gegenüber und sah sie an. Er neigte den Kopf zur Seite.

“Kenne ich Dich?”

“Ich glaube nicht.”

Mags zermarterte sich das Hirn. Sie hatte vor ein paar Jahren definitiv einige Zeit in Levski verbracht und sich mit ein paar üblen Typen eingelassen wie –

“Du warst mit Frank McGarr zusammen.”

Scheisse.

“Vielleicht.”

Sie zog das Wort in die Länge, als würde sie verzweifelt versuchen, eine Verbindung herzustellen. Die Wahrheit war, dass sie mit Frank unterwegs war. Ihre Crew klaute Frachtschiffe, die an Transitstationen geparkt waren. Levski war damals ein guter Ort, um unterzutauchen.

“Ich meine, ich war in den letzten Jahren nur ein paar Mal hier, aber ich habe hier ein paar interessante Leute kennen gelernt. Deshalb komme ich wohl immer wieder zurück. Kanntest du Frank?”

“Ja, ich habe ihn ins Exil geschickt. Er hatte im UEE-Raum Verbrechen begangen und uns als Tarnung benutzt.”

“Ah. Das wusste ich nicht. Wir waren vor allem über den gleichen Musikgeschmack verbunden. Er war kein Fan der Los Imperators. Ich musste ihn erst bekehren.”

Sie versuchte, ein Lächeln zustande zu bringen.

Devin antwortete nicht, sondern beobachtete sie nur. Sie beschloss, es zu riskieren und weiterzumachen.

“Ich habe ihn lange nicht mehr gesehen. Ich bin viel gereist. Du weißt schon, auf der Suche nach Arbeit. Ich habe mich im UEE-Raum nie wirklich wohl gefühlt. Man hat immer das Gefühl, dass sie einen beobachten.”

“Nun, das tun sie wahrscheinlich auch”, erwiderte Devin achselzuckend. Sein MobiGlas pingte. Er überprüfte es kurz und sah sie wieder an.

“Ich habe Deinen Namen nicht verstanden.”

“Kristin Breen”, antwortete sie ohne zu zögern. Kristin war eine Zivilistin, die sie einmal bei einem Sataball-Spiel getroffen hatte. Ein Typ, der hinter ihnen saß, sagte, sie sähen aus wie Schwestern. Eine gewisse Ähnlichkeit war definitiv vorhanden, und so wurde sie zu Mags’ “sauberem Ausweis”, wenn sie wieder mal in der Klemme steckte.

“Also, im Café Musain …”

“Verrückt, oder..?”

Sie schüttelte den Kopf.

“Meine Mutter hat immer gesagt, dass man nicht in der Nähe bleiben soll, wenn sich Leute an einem öffentlichen Ort streiten.”

“Hast du gesehen, wer angefangen hat?”

Mags dachte eine Sekunde lang nach, um überzeugend zu wirken.

“Um ehrlich zu sein, habe ich meine Sachen gepackt und bin sofort abgehauen, als ich den ersten Schuss hörte.”

“Ziemlich gute Reflexe,”

“Wie bitte?”

“…um so schnell zu reagieren”, antwortete Devin, während er die Arme verschränkte und sich im Stuhl zurücklehnte, “…nun, nach den anderen Aussagen zu urteilen, die ich erhalten habe. Es gab keine große Vorbereitung darauf.”

“Nein, Ich schätze nicht.”

“Ein Zeuge hat gesagt, dass einer der Schützen auf Dich geschossen hat.”

“Ja, ziemlich verrückt. Ich muss sie wohl irgendwie verärgert haben. Wie ich schon sagte, ich bin nicht geblieben, um es herauszufinden.”

Mags sah ihm zu, wie er einige Notizen auf seinem MobiGlas machte.

“Besteht die Chance, dass ich hier bald rauskomme? Ich hatte einen Hinweis auf einen möglichen Gig, den ich nicht verpassen möchte.”

“Wir haben alles abgeriegelt. Die Peoples  Alliance musste sich stärker dafür einsetzen, die schädlichen Einflüsse in unserer Gemeinschaft zu beseitigen, also wird niemand abhauen, bis wir dieses Chaos beseitigt haben.”

Devin stand auf.

“Du solltest es dir vielleicht bequem machen.”

“Toll”, versuchte Mags, das so enthusiastisch wie möglich klingen zu lassen.

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“Wo zum Teufel warst du?”

Ozzy antwortete nicht, sondern bahnte sich einen Weg durch die sich lichtenden Menschenmassen in Richtung der alten Minenstollen. Je weiter sie sich vom zentralen Basar entfernten, desto mehr ersetzte das schwere Brummen der Bergbaumaschinen die Rufe und das Durcheinander. Immer noch versuchten sie, gewinnbringendes Erz aus dem Asteroiden zu hacken. Auch die Temperatur sank. In schmutzige Decken gehüllte Hausbesetzer drängten sich um die wenigen Lüftungsöffnungen in den Tunneln, die Wärme abgaben.

Trin wischte sich das Blut mit dem Ärmel aus dem Gesicht und vergewisserte sich, dass sie nicht verfolgt wurden. Schwere Schritte hallten den Flur hinunter.

“Wir werden Gesellschaft bekommen”, sagte sie.

Ozzy duckte sich an einer Tür, riss sie auf und winkte sie hinein.

“Komm schon.”

Trin glitt hinein. Es war ein kleiner Lagerraum. Alle Geräteschränke waren ausgeräumt worden. Auf dem Boden stand ein umgestürzter, verrosteter Stuhl. Sie zog ihn heran, ließ sich hineinfallen und untersuchte ihre Nase. Sie fühlte sich nicht gebrochen an.

“Hast du noch jemanden gesehen?”

Sie blickte zu ihm auf.

“Nein.”

Ozzy knallte einen weiteren Riegel zu, drehte sich um und starrte sie an.

“Und?”

“Was?”

“Wo bist du hin?”

“Ich bin Blind Jack Sticha begegnet”, antwortete er.

Trin verkrampfte sich. Ihre Hände ballten sich wie selbstverständlich zu Fäusten.

“Er ist hier?”

“Ja.”

Ozzy bewegte sich nicht. Er sah ihr nur ein paar Augenblicke lang zu, wie sie vor Wut kochte.

“Weißt du noch, als ich erwischt wurde?”

Trin sah ihn an.

“Was?”

“Als ich von der Polizei geschnappt wurde. Erinnerst du dich daran?”

“Ja.”

“Erzähl es mir.”

Ozzy verschränkte die Arme.

“Ist das dein Ernst?”

Trin zwang sich zu einem Lachen und lehnte sich in ihrem Sitz zurück.

“Erklär es mir”, sagte er nachdrücklicher.

Draußen dröhnten schwere Schritte vor der Tür. Jemand drückte von außen dagegen, aber die Tür rührte sich nicht. Man hörte ein dumpfes Gespräch. Jemand versuchte es erneut.

“Wir haben ein Frachtschiff überfallen. Du hast ihren Quantum gekappt, bevor sie ihn hochfahren konnten. Ich ging hinüber, durchbrach die Luftschleuse, nahm die Besatzung mit und versuchte, die Triebwerke wieder in Gang zu bringen, als plötzlich ein Trupp der örtlichen Advocacy auftauchte. Du wolltest, dass ich das Schiff verlasse, aber ich blieb an Bord und brachte es schließlich zum Laufen. Wir haben uns aus dem Staub gemacht. Du wurdest geschnappt.”

“Wie?”, fragte Ozzy.

“Wie was?”, antwortete Trin.

“Wie wurde ich geschnappt?,” fragte Ozzy.

Die Stimmen draußen entfernten sich. Das schwere Stiefelstapfen verschwand langsam. Ozzy beobachtete Trin die ganze Zeit über, erwartungsvoll abwartend.

“Ich weiß es nicht.”

“Ich wurde von eurem Schiff gestreift. Ich war so nah dran. Stattdessen hast du die Triebwerke hochgefahren, diesen Scheißfrachter gewendet, mich getroffen und bist abgehauen. So bist du entkommen. Ich habe Jahre gesessen.”

Trin antwortete nicht.

“Warum bist du abgehauen?”

Ozzy trat einen Schritt vor. Seine Stimme wurde tiefer, leiser, was sie noch bedrohlicher machte.

“Machst du Witze? Du weißt doch noch, wie viel Feuerkraft wir abbekommen haben.”

“So viel Schiss hattest du noch nie.”

“Das war nicht ängstlich. Das war einfach nur schlau.”

“Hast du mich einfach zurückgelassen?”

“Was? Nein.”

“Hast du mich einfach zurückgelassen?”, fragte Ozzy nochmals.

“Blind Jack hat sich in deinen Kopf geschlichen, Bruder.”

Sie versuchte, es wegzulachen.

Er bewegte sich weiter vorwärts.

“Sag mir die Wahrheit.”

Ozzy blieb hartnäckig. Er stand direkt über ihr. “Hast du mich zurückgelassen?”

“Ich weiß es nicht mehr.”

“Schwachsinn. Du hast den Kerl mir vorgezogen.”

“Ich weiß es nicht. Alles klar?”

Trin stieß sich vom Stuhl ab, um von ihm wegzukommen.

“Die Scheiße war so schnell passiert, Mann. Wir mussten da raus. Ich merkte nicht einmal, dass du nicht mehr hinter mir warst, bis sie dich erwischt hatten.”

Ozzy sah zu, wie sich seine Schwester zur Tür schlängelte und lauschte, verzweifelt, weil er nichts anderes tun wollte als dieses Gespräch zu führen.

“Wir müssen von hier verschwinden.”

Sie prüfte erneut ihre Nase und zuckte zusammen.

“Ja”, sagte Ozzy schließlich. Er ging hinüber und lauschte an der Tür. Es schien alles ruhig zu sein. Er entsperrte den Riegel und öffnete die Tür. Trins MobiGlas surrte. Sie warf einen schnellen Blick darauf.

“Komm schon”, sagte sie und eilte auf den Flur hinaus. Ozzy folgte ihr.

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Kapitel 14

Die beiden machten sich auf den Weg zurück durch die Tunnel. Sie traten auf eine Plattform mit Blick auf den großen Basar. Der Eingang des Café Musain war von Schaulustigen und der „Peoples Alliance“  umgeben.

Kel wartete, hielt sich an seiner Captain-Levo-Figur fest und leckte an etwas, das wie Eiscreme aussah.

“Sehr schlecht. Sie haben Mag.”

“Hat sie das Eriesium?“

Ozzy warf seiner Schwester einen Blick zu. Es war offensichtlich, dass das wertvolle Mineral ihr wichtigstes Anliegen war.

“Ja”, nickte Kel.

“Dann müssen wir sie wohl rausholen”, grinste Trin Ozzy an.

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Arno schob die Leiche in den Lüftungsschacht und richtete sein neues, gestohlenes Outfit. Er hatte es geschafft, den Vorbesitzer zu töten, ohne einen Tropfen Blut auf die Kleidung zu kleckern. Es gab Momente, in denen er  von sich selbst beeindruckt war. Er zog seine Waffen aus der ausrangierten Kleidung, dann warf er die Kleidung zusammen mit der Leiche in den Lüftungsschacht. Er trat aus dem Nebenraum heraus und machte sich auf den Weg zurück in die Öffentlichkeit. Dank seiner neuen Kleidung erregte er keine Aufmerksamkeit. Er stank zwar immer noch nach Ozon von der Granate, aber bei all den anderen Gerüchen, die diesen Ort beherrschten, glaubte er nicht, dass es jemandem auffallen würde. Arno hielt an, um sich einen Drink zu holen und die Menge zu beobachten. Er entdeckte Osane an einer der Aussichtsplattformen, die dasselbe tat. Auch sie trug andere Kleidung.  Er bezahlte und machte sich auf den Weg zu ihr.

“Irgendetwas?”, fragte er, als er sich ihr näherte.

“Nein”, sagte sie, während sie alle Gesichter musterte. “Das hat sich in eine ziemliche Schlammschlacht verwandelt.”

“Ja”, stimmte er ihr zu. Er leerte die Flasche und warf sie in eine Ecke. “Wir haben doch nicht etwa die Startfreigabe verpasst, oder?”

“Nein, die Harlekin ist noch angedockt. Ich habe es selbst gesehen.”

“Ich spiele nur ungern den Pessimisten, aber wir sollten einen Peilsender anbringen.”

“Schon geschehen.”

“Siehst du? Die Synchronizität.”

Arno schaute auf sein MobiGlas.

“Deshalb sind wir so effektiv in dem, was wir tun.”

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Mags rieb sich ihre kalten Schultern. Sie hasste es, wie kalt Levski sein konnte. Na ja, eigentlich alle Stationen. Sicher, sie konnten die Temperatur hochdrehen, aber es war immer nur künstliche Wärme. Richtig warm wurde es nie. Deshalb hatte sie immer gesagt, sie würde sich irgendwo in den Tropen zur Ruhe setzen. An einen Ort, an dem sie mit einer dünnen Decke auskommen würde und selbst das wäre nur für den schlimmsten Fall. Ein Ort, an dem sie nie die Fenster schließen müsste.

Vor der Tür hörte sie gedämpfte, aufgeregte Stimmen, die näher kamen. Plötzlich öffnete sich die Tür. Mags griff nach dem Schließfach und wich zurück. Kel kam in den Raum, völlig anders gekleidet als sie ihn zuletzt gesehen hatte. Er hatte seine Menschenkleidung gegen die traditionelle Banu-Kleidung getauscht, die er nur trug, wenn sie in das Protektorat eintraten. Devin folgte kurz darauf zusammen mit einigen verwirrten Wachen der „Peoples Alliance“ .

Kel warf einen Blick auf Mags und drehte sich dann zu Devin um.

“Inakzeptabel. Ja. Schau. Schau!”

Er winkte mit der Hand in Richtung Mags.

“Sie ist in einem völlig inakzeptablen Zustand. Ich bin schockiert, dass mein Eigentum so behandelt wird.”

“Sie ist ein Mensch. Sie ist kein Eigentum”, versuchte Devin einzugreifen, aber Kels Augen weiteten sich vor Schreck und Entsetzen.

“Kein Eigentum?! Ich kaufte sie direkt von Essosouli Prit”, entgegnete Kel immer aufgeregter. “Sie war drei Jobs davon entfernt, ihre Schulden zu bezahlen, als ihr mein Eigentum an euch nahmt.”

Er deutete auf das Schließfach.

“Du wagst es zu behaupten, sie gehöre mir nicht! Das widerspricht allen Traditionen der Banu. Eine Schande!”

“Hör zu”, wich Devin zurück. “Ich versuche nicht, eure Kultur zu verunglimpfen.”

“Doch! Doch, das tust du!”

“Ich bin nicht -“, stotterte Devin.

“Dann gib sie mir. Und zwar sofort. Jetzt, sage ich.”

Völlig verwirrt wies Devin schließlich eine der Wachen an, Mags die Handschellen abzunehmen, die ebenso verwirrt war wie die anderen. Kel sah sie verächtlich an.

“Warte draußen. Wir werden darüber sprechen, was das kostet.”

Mags blickte zu Boden, spielte mit… was auch immer für eine Rolle Kel zu spielen versuchte… und ging mit ihm aus der Zelle. Im Vorbeigehen drehte sich Kel noch einmal zu Devin um und klopfte ihm auf die Stirn. Mags folgte ihm, als er nach draußen ging. Sie war sich nicht sicher, wie die Sklavendynamik in der Banu-Kultur funktionierte, aber sie ging davon aus, dass es eine sichere Sache war. Kel ignorierte alle, während sie gingen und spielte seine Rolle perfekt. Als sie die behelfsmäßige Polizeistation verlassen hatten, drehte sich Kel um, um sich zu vergewissern, dass sie allein waren und sah dann Mags an. Er griff in die Falten seiner Kleidung. Er holte die Capitain Levo-Figur heraus, um sie ihr zu zeigen.

“Mags, schau, was ich gefunden habe”, sagte er mit ungebremster Begeisterung.

“Kel, das war unglaublich”, umarmte Mags ihn.

“Oh, nein. Mags, du musstest frei sein.”

Er blickte auf die Figur hinunter und spielte ein wenig mit ihr.

“Heilige Scheiße”, sagte eine Stimme um die Ecke. Sie schauten hinüber und sahen Trin und Ozzy heraustreten. Trin lachte.

“Ich kann nicht glauben, dass er es geschafft hat. Und du hast die Kiste?”

“Schön, dass ihr es da raus geschafft habt”, nickte Mags Trin und Ozzy zu. “Ist Levski immer noch abgeriegelt?”

“Ja, soweit wir wissen.”

Trin nahm die Kiste von Mags.

“Meinst du, du kannst noch einen Deal mit diesem Xi’an machen?”

“Vielleicht, ich weiß es nicht. Vielleicht ist er schon lange weg.

“Sie warf einen Blick auf die Gestalten in der Menge.

“Irgendein Zeichen von diesen Syndikatskämpfern?”

“Nein, nichts.”

Trin machte sich auf den Weg zurück zu den Hangar-Aufzügen.

“Wir sollten zurück zur Harlekin gehen und von hier verschwinden, sobald sie uns lassen.”

Mags sah sich um.

“Hat jemand den Doktor gesehen?”, fragte Mags und blickte zu Ozzy und Kel. Sie schüttelten die Köpfe.

“Nein, aber er kennt unseren Hangar”, sagte Trin, während sie einem Einheimischen in die Augen sah, der einen Blick auf das Schließfach geworfen hatte. Er wandte schnell den Blick ab und duckte sich weg.

“Wir können nicht losfliegen, bevor wir ihn gefunden haben”, sagte Mags, während sie Trin schnell einholte.

“Wenn er nicht da ist, wenn wir starten, ist das seine Sache. Ich werde diesen Auftrag nicht für seinen Junkie-Arsch riskieren.”

Mags prüfte ihr MobiGlas und tippte schnell eine Nachricht ein. Kel folgte ihr. Ozzy blieb stehen, starrte Trin hinterher und tippte ebenfalls eine Nachricht in sein MobiGlas. Die „Harlekin“ wartete auf dem weitläufigen Landeplatz. Ein paar einheimische Mechaniker saßen am anderen Ende der Landefläche, ketterauchend und Musik spielend. Ein kleines Labyrinth aus neuen und alten Kisten umgab den Landeplatz. In der Nähe der Felswand waren hohe Plattformen aufgestellt. An der Wand hing ein Banner der „Peoples Alliance“  und an der Luftschleuse waren die “Regeln” angebracht, eine Liste von Mantras, nach denen die Bewohner leben sollten. Ein Warnlicht über der Schleusentür begann zu blinken, woraufhin sich die Schleusentüren zischend öffneten. Mags, Kel, Trin und Ozzy traten hinaus und begannen zur Landeplattform zu gehen. Mags schien mit ihrem MobiGlas beschäftigt zu sein.

“Immer noch kein Wort vom Doc.”

“Ach, was soll’s, Mags. Er stolpert wahrscheinlich irgendwo über das fantastische Leben. Lass ihn in Ruhe”, antwortete Trin, während sie das Schließfach in ihrer Hand zurechtrückte.

“Wir haben Wichtigeres zu tun.”

“Kann man wohl sagen.”

Eine Stimme ertönte vor ihnen. Die Gruppe kam langsam zum Stehen.

Blind Jack Sticha, der Anführer der Souther Titans, trat hinter einer der Kisten hervor und zündete sich eine Stim an. Ringsherum kamen die übrigen Souther Titans aus ihren Verstecken hervor und richteten ihre Waffen auf die Gruppe.

“Hey Jack”, sagte Trin mit zusammengebissenen Zähnen. “Ist schon eine Weile her.”

“Hey Trin.”

Jack lächelte ein warmes, großväterliches Lächeln, das den diebischen Mörder in seinem Inneren geschickt verbarg.

“Warum tust du uns nicht einen Gefallen und lässt die Kiste fallen?”

“Warum leckst du mich nicht am Arsch?”

Jack lachte schallend – so sehr, dass dieses Gelächter von den höhlenartigen Wänden widerhallte. Trin wollte mit der anderen Hand nach ihrer Waffe greifen, als sie etwas hart am Hinterkopf traf. Sie fiel auf den Boden. Das Schließfach klapperte auf den Boden. Ozzy trat um ihren Körper herum und richtete seine Pistole auf ihren Kopf. Mags und Kel starrten ihn schockiert an.

Er starrte direkt zurück und schüttelte den Kopf.

“Nein, nicht”.

Ozzy drehte sich wieder zu Trin um und trat ihr in die Seite. Der Aufprall ließ sie über den Boden rollen, während ihr der Atem aus dem Körper entwich.

“Ich wusste, dass du mich absichtlich zurückgelassen hattest”, sagte er ruhig, während er nach dem Schließfach griff. “Es war schon immer Dein Spiel, Schwesterherz. Ich hatte immer so ein Gefühl, aber jetzt weiß ich es genau.”

“Du gottverdammter Verräter”, zischte sie, während sie nach Luft schnappte.

Ozzy verpasste ihr einen Tritt gegen den Kopf und drehte sich dann zu Blind Jack und den anderen Titanen um.

“Du….du denkst, du, kommst einfach so davon?”, keuchte Trin.

Ozzy blieb stehen. Trin stemmte sich langsam auf die Beine. In ihrem Kopf drehte sich alles und sie versuchte das Gleichgewicht zu halten.

“Ich werde euch finden”, stammelte sie, während ihr das Blut aus der Kopfwunde triefte und sich in einer Lache auf dem Boden sammelte. “Ich werde euch alle finden.”

“Nein, Schwesterchen”, sagte Ozzy leise. “Diesmal nicht.”

Ozzy riss seine Pistole hoch und verpasste ihr fünf Schüsse in die Brust. Ihr Körper zuckte bei jedem Schuss und knallte zurück auf den Boden. Danach bewegte sie sich nicht mehr.

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Kapitel 15

Noch immer hallten die Schüsse in der riesigen Landebucht wider. Das schrille Stöhnen klang in Mags’ Ohren, aber sie fixierte sich auf Trin und sah wie das Blut aus ihrem Körper durch das dreckige Gitter sickerte. Sie spürte wie sich Kel neben ihr bewegte. Er hielt seine Hände so hoch wie er nur konnte.

Mags sah zu Ozzy hoch. Er hatte die Pistole immer noch im Anschlag. Sein Gesicht war verzerrt, voller Wut. Kurz bevor er Trin erschoss, hatte er sie beschuldigt, ihn zurückgelassen zu haben. Vor Jahren, als die beiden für die Souther Titans arbeiteten, ging ein Job schief und Ozzy wurde geschnappt. Er verlor fünf Jahre seines Lebens in der Strafkolonie von Quarterdeck, sie kam davon. Mags konnte nicht einmal sagen, dass dies eine völlige Überraschung für sie war. Trin hatte ihr mehr als einmal gedroht, sie zu erschießen und aus einer Luftschleuse zu werfen.

“Was willst du mit denen machen?”, fragte der Typ, der wie ein Opa aus einer Spektakel-Show aussah.

Ozzy löste sich endlich von Trin und sah Mags und Kel an. Die Wut verflog, als er seine Pistole in das Halfter steckte.

“Lass sie gehen, Jack.”

Der alte Mann lachte tief aus dem Bauch heraus.

“Du bist schon zu lange aus der Truppe raus, Kleiner. Die Titanen lassen keine Zeugen laufen.”

“Jack.”

Ozzy starrte ihn an.

“Lass sie in Ruhe.”

Mags sah, wie Jack außer Sichtweite von Ozzy eine Pistol, zog.

“Wenn du Leute, die einen Groll gegen dich hegen, laufen lässt, erntest du damit nur Kopfschmerzen”, erklärte Jack, als würde er einem Kind die Tatsachen des Lebens erklären.

Sein Daumen drückte schwach auf den Bolzen. Mags wusste, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb.

“Ich kann dich hier rausholen”, platzte sie heraus.

Blind Jack zögerte. Sie machte weiter, bevor er es sich anders überlegen konnte.

“Levski ist abgeriegelt. Kannst du uns etwa rausbringen?”, fragte sie Jack.

Blind Jack sagte nichts.

Ozzy schüttelte kurz mit dem Kopf.

“Ich weiß, wie wir dich rausholen können”, fuhr Mags fort. Ihre Gedanken rasten. Früher, als sie noch mit Frank McGarr zusammengearbeitet hatte, mussten sie immer wieder mal die eine oder andere Sperre umgehen. Die Hölle wusste, ob dieselben Tricks immer noch funktionierten. Andererseits – wenn sie in der Nähe des Eriesiums bleiben konnte, würde sich vielleicht eine Möglichkeit ergeben, es zurück zu stehlen.

“Mir scheint, Du willst Dir einen Vorsprung vor den Four-Point-Kämpfern verschaffen.”

Sie wusste, dass Blind Jack eine Idee davon hatte, was sie für einen Plan verfolgte. Vielleicht war er auch derjenige gewesen, der die Attentäter in ihre Richtung gelenkt hatte.

“Ihr lasst Kel laufen”, sagte sie und machte einen Schritt auf Blind Jack und Ozzy zu, “und ich bringe euch hier raus.”

Blind Jack sah Kel an, der sich nicht bewegt hatte. Seine Hände waren immer noch Himmelwärts gestreckt.

“Es ist dein Glückstag, Banu”, sagte Jack und gab den anderen Titanen ein Zeichen. Sie ließen ihre Waffen sinken und machten sich auf den Weg. Ozzy warf Trin einen letzten Blick zu, dann griff er nach der Kiste mit dem Eriesium.

“Nach dir”, winkte Blind Jack Mags. Sie blickte zu Kel.

“Captain Mags…”, stammelte er, als er seine Hände senkte.

“Wir sehen uns wieder.”

Sie drückte seinen Arm und ging zu den Titanen in die Luftschleuse. Sie schenkte ihm ein letztes, beruhigendes Lächeln, während sich die Luftschleuse hinter ihr schloss.

Kel stand einige Augenblicke lang da und wusste nicht, was er tun sollte. Er schaute sich um. Die Mechaniker, die bis vorhin hier rumgehangen hatten, mussten weggelaufen sein, als die Schießerei begonnen hatte. Sie hatten ihre Musik laufen lassen. Seltsames menschliches Wimmern mischte sich unter den bizarren Soundtrack. Schließlich ging er zu Trins Leiche. Es war extrem viel Blut. Er wusste nicht einmal, wo er anfangen sollte, also drückte er einfach auf die Wunden.

“Heilige Scheiße.”

Kel zuckte zusammen als er die Stimme erkannte. Er schaute zur Luftschleuse hinüber und sah Honan Yao, der eine Tüte mit Essen in der Hand hielt. Vielleicht war er immer noch high – die schwarzen Drogenflecken in seinem Arm zogen sich inzwischen bis hinunter zu seiner Hand – aber er wirkte nüchtern.

“Es hat sie schwer erwischt”, sagte Kel hilflos.

“Was soll ich tun?”

Yao eilte zu Trin hinüber und begann, sie zu untersuchen, ihren Puls und ihre Pupillen zu prüfen.

“Sie lebt och“, sagte er schließlich mit einer Selbstverständlichkeit, wie Kel sie noch nie von ihm gehört hatte.

“Wir müssen sie aber aufs Schiff bringen. Sofort.”

Kel packte Trins Beine und sie brachten sie schnell in die „Harlekin“. Drinnen säuberten sie den Tisch im Gemeinschaftsraum und legten sie darauf. Yao machte sich auf den Weg zu seiner Koje.

“Drück auf die Wunden”, rief er, während er in seiner Schlafkoje herumwühlte und Tüten, leere Bierdosen und Essensverpackungen auf den Boden warf. Wenige Augenblicke später tauchte er mit einem seiner Seesäcke wieder auf. Er warf ihn auf eine Bank und wühlte sich durch die Kleidung, bis er ein Erste-Hilfe-Set fand, das ganz unten vergraben war. Er öffnete den Reißverschluss und entdeckte eine einfache Sanitäter-Ausrüstung. Zuerst schloss er ein tragbares Biometer an, das leise Trins kaum noch spürbaren Herzschlag anzeigte.

Kel wich zurück, während Yao sich an die Arbeit machte. Der Banu wusch sich das Blut von den Händen. Yao schloss Trin an die Sauerstoffmaschine an und führte eine Reihe von schnellen Injektionen durch. Trins Vitalwerte schwankten. Yao legte sich einige chirurgische Geräte zurecht.

Kel näherte sich vorsichtig und fummelte an seiner Kapitän-Levo-Figur herum. Yao bewegte sich präzise und gekonnt. Kel war beeindruckt. Yao wirkte nicht mehr wie der Mensch, den er zu kennen glaubte. Yao entfernte vorsichtig drei Kugeln und machte sich daran Trins inneren Wunden zu versorgen.

Kel blieb so lange, bis ihm klar wurde, dass er hier nicht mehr gebraucht wurde. Er ging in den Nebenraum und begann Informationen über Captain Levo nachzuschlagen. Er wollte sich von der Tatsache ablenken, dass Trins Leben auf dem Spiel stand. Gleichzeitig machte er sich Sorgen um Mags und ihr mutiges Opfer, um ihn zu retten. Stunden vergingen. Kel hatte alles gelesen, was er in die Finger bekommen konnte. Schließlich schlurfte Yao in den Raum und ließ sich auf die Bank neben Kel fallen. Er schleppte eine Dose Bier mit sich, öffnete sie und nahm einen kräftigen Schluck.

“Ist sie okay?”

Kel brachte endlich den Mut auf um zu fragen.

Yao nahm noch einen Schluck und lehnte sich langsam vor.

“Ja, alles in Ordnung”, antwortete er langsam.

Kel nickte und klopfte Yao auf die Stirn, ein menschliches Zeichen der Zuneigung, das er vor ein paar Monaten gelernt hatte.

“Danke, Kumpel.”

Yao trank das Bier aus.

“Ich werde sie im Auge behalten, aber ihre Vitalwerte sind in Ordnung und sie spricht gut auf die Medikamente an. Sie kann wahrscheinlich bald wieder aufstehen.”

“Das ist schön zu hören”, sagte eine andere Stimme aus der seitlichen Luftschleuse.

Kel und Yao sahen hinüber. Arno und Osane, die Attentäter des Four Points-Verbrechersyndikats, traten hervor. Ihre Waffen waren auf die beiden gerichtet. Kel nahm wieder seine Hände hoch. Das wurde langsam zur Gewohnheit.

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Kapitel 16

Der leitende Beamte Devin schritt vorsichtig durch den Tatort. Er konnte Spuren von Ozon in der Luft riechen, die von der EMP-Granate stammten. Nachdem, was er sich zusammenreimen konnte, waren es drei bis fünf Kämpfer gewesem, aber das war alles, was er herausfinden konnte. Doch es waren nur vage Vermutungen. All dieses Chaos, weil ein Geschäft schief ging. Sechs Tote. Acht Verwundete.

Er schüttelte den Kopf und sah sich noch einmal um. Das war die Art von Aggressivität, die ihn vor all den Jahren aus dem “zivilisierten” Raum vertrieben hatte. Einer seiner örtlichen Advovacy-Beamten namens Riegert betrat die Bar. Devin winkte ihn heran. Der junge Beamte ging leise die Treppe hinunter, wobei er sich vorsichtig um die Leichen und Blutlachen herumschlängelte und sich Devin schließlich näherte.

“Chef”, sagte er mit einem ehrerbietenden Nicken. Er fühlte sich in der Nähe der Leichen sichtlich unwohl. Devin wünschte sich, er könnte die Zeit zurückdrehen.

“Was gibt es, Riegert?”

“Wir haben Berichte über Schüsse auf einer der Landeplattformen”, murmelte Devin.

“Irgendwelche Zeugen?”

“Nein, Sir.”

“Natürlich nicht”, erwiderte er und schüttelte erneut den Kopf.

“Ist das alles?”

Riegert zögerte.

“Was!?”, hakte Devin ungeduldig nach.

“Einige Wartungstechniker untersuchten einen verstopften Lüftungsschacht in Sektor zwei”, sagte Riegert unbehaglich.

“Sie haben dot Phillip Desmond gefunden. Tot.”

Devin zog den nächsten Barhocker zu sich heran und setzte sich. Er nippte an einem Getränk, das offenbar niemanden gehörte, während er nachdachte. Phil war ein langjähriger Stammgast gewesen. Er trank nicht einmal, also konnte er nicht hier gewesen sein, als der Kampf ausbrach. Das geriet außer Kontrolle. Er stieß sich vom Hocker ab und ging zum Ausgang. Riegert folgte ihm.

“Ich möchte, dass Sie die Wohnheime abriegeln. Suchen Sie Freiwillige, um den Frieden zu wahren.”

“Ja, Sir.”

Riegert beeilte sich, mit ihm Schritt zu halten, ohne dabei in Blutlachen zu treten.

Devin blieb stehen, als ihm ein Gedanke kam:

“Alle Hangars werden über das Notfallsystem geregelt, richtig?”

“Ich glaube schon.”

“Schalten Sie die Notstromgeneratoren ab. Nur für den Fall.”

Devin ging weiter.

“Okay”, erwiderte Riegert.

Sie verließen das Café Musain und gingen zum Geländer mit Blick auf den Großen Basar auf dem schon fast wieder der übliche Trubel herrschte. Devin musterte die Gesichter.

“Trommeln Sie alle Beamten zusammen, die wir noch hier haben. Wer immer das getan hat, ist noch hier. So lange sie unsere Sperre nicht umgehen können, kontrollieren wir die Tunnel, um sicherzustellen, dass sie keinen anderen Weg nach draußen finden.”

“Verstanden.”

“Und holt die Waffen raus”, fügte Devin leise hinzu. “Ich habe das Gefühl, dass wir sie brauchen werden.”

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Die Souther Titans hatten den großen Hangar komplett übernommen. Mags zählte etwa zehn weitere Titanen. Sie alle lungerten außerhalb ihrer Schiffe herum, als Blind Jack mit der Beute zurückkehrte. Er hatte Mags’ MobiGlas und ihre Waffe an sich genommen. Ozzy hatte auf dem ganzen Rückweg kein Wort zu Mags gesagt, sondern nur die Kiste mit dem unbezahlbaren Eriesium getragen. Mags sah, dass er den Titanen auch nicht ganz traute. Drinnen angekommen, wandte sich Blind Jack wieder an Mags.

“Na, wie sieht’s aus, kleine Lady?”, sagte er mit seinem typischen Grinsen. “Das ist jetzt deine Show.”

“Mit meinem MobiGlas wäre es einfacher”, antwortete sie schlicht und hielt ihm ihre Hand hin.

“Nein, ich glaube, das behalte ich lieber.”

Mags warf Ozzy einen Blick zu und sah dann wieder zu Jack. Ein paar der anderen Titanen standen auf, als sie begann, den Hangar zu überqueren. Auf der anderen Seite befand sich ein altes Büro, das ursprünglich für den Flugbetrieb dieses Platzes genutzt wurde. Das Büro war völlig entkernt worden, Kabel baumelten wie verrostete Eingeweide aus den offenen Paneelen. In den Anfängen von Levski verfügte jeder Landeplatz über ein eigenes Flugkontrollsystem. Sie gewährleisteten einen steten Strom von Frachtschiffen, die die Mineralien abtransportierten, die aus dem Asteroiden gewonnen wurden. Als die „Peoples Alliance“ die Station übernahm, wurden alle separaten Flugkontrollsysteme in einem einzigen Terminal zusammengefasst.

Mags stapfte durch den verstreuten Müll, der überall herumlag, stieg über die kaputten Maschinen und die leeren Flaschen in Richtung der klaffenden Lücke, wo sich einst das Kontrollzentrum befunden hatte. Ein paar Titanen hatten sich am Fenster postiert, um sie im Auge zu behalten. Für den Fall, dass die Dinge aus dem Ruder liefen, steckte sie ein paar Behelfswaffen ein und grub sich dann durch die Drähte in der Wand.

Das war ein alter Trick aus der Zeit mit Frank, als sie von hier aus ihre Betrügereien durchführte. In ihrer Anfangszeit hier hatte die „Peoples Alliance“ erkannt, dass jeder Kriminelle, der nur halbwegs bei Verstand war, ihre Gastfreundschaft ausnutzen und Levski als perfektes Versteck nutzen konnte. Wenn sie Wind davon bekamen, dass jemand etwas Böses im Schilde führte, versuchten sie mit dem gleichen Trick, den Kriminellen zu identifizieren, um ihn wieder hinauszuwerfen. Frank hatte einen Weg gefunden, die Sperre zu umgehen.

Obwohl sie alle Steuerungen der verschiedenen Landeplätze in ein einziges, zentrales Terminal umgeleitet hatten, war ihnen nicht bewusst, dass ein Teil dieser Kabel mit Notstromgeneratoren verbunden waren. Im Falle eines katastrophalen Stromausfalls ließen sie sich daher automatisch öffnen oder schließen. Man brauchte die Steuerungen nur anzuzapfen und schon konnte man die Sperre umgehen.

Mags suchte in einem der alten Verstecke nach einem tragbaren Computer, den sie zur Kontrolle benutzen konnte. Zu ihrer Überraschung war er noch an seinem Platz und hatte sogar noch halbvolle Batterien. Es musste noch einige Einheimische geben, die diesen Trick auch heute noch anwandten. Sie legte das Terminal beiseite und begann die Drähte nach denen zur Flugkontrolle zu durchsuchen. Ozzy betrat den Raum. Er warf einen Blick auf die Titanen, die Wache hielten, dann stellte er die Eriesium-Kassette neben Mags ab und setzte sich darauf.

“Was zum Teufel macht ihr da?”

“Ich bringe deine neuen Freunde von hier weg”, antwortete sie ohne sich umzudrehen.

“Ist es nicht das, was du willst, Ozzy?”

“Du solltest nicht hier sein”, erwiderte Ozzy zu Mags. “Und ich habe dir einen Gefallen getan”.

“Sie war deine Schwester”, entgegnete Mags, als sie ihn wieder ansah.

Ozzy schwieg ein paar Augenblicke, als ob er versuchte, die richtigen Worte zu finden. Mags wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.

“Als ich auf dem Quarterdeck war …”, er schweifte gedankenverloren ab, „wir beide, Trin und ich, waren in allen Jugendstrafanstalten des UEE. Die Schlimmsten der Schlimmen. Wir landeten in einem, fingen an es aufzumischen und man brachte uns in ein anderes. Ich war also mein ganzes Leben lang in Gefängnissen. Aber nach einem Monat auf dem Quarterdeck …….. nach nur einem Monat . . .- . . . habe ich das gemacht:”

Er zeigte Mags seine Unterarme. Zwei lange, gezackte Narben waren unter dem Gewirr von Tätowierungen versteckt.

“So etwas musste ich tun, um da unten zu überleben . . . Ich kann ihr das nie vergessen.”

Ozzy stand auf und lief um das Schließfach herum.

“Trin hat mich dorthin gebracht. Sie hat mich diesen Agenten ausgeliefert und hatte nicht einmal den Mumm, es zuzugeben. Siehst du, Trin ist eine Überlebenskünstlerin, das war sie schon immer. Sie würde immer tun, was sie tun muss, um zu überleben. Andere Menschen sind für sie nützlich, so lange sie eben nützlich sind. Wenn nicht, sind sie wertlos. Und ich weiß, dass du diese Seite von ihr gesehen hast.”

Mags war still. Das hatte sie wirklich. Das erste Mal war es, als sie Trin davon überzeugt hatte, dass die „Harlekin“ ohne den früheren Kapitän besser dran war. Das zweite Mal war, als Trin sie fast aus der Luftschleuse werfen wollte.

“Sie hätte sich irgendwann gegen dich gewandt, Mags. Und wenn du glaubst, dass sie dir auch nur einen einzigen Cent von diesem Eriesium überlassen hätte … dann bist du noch durchgeknallter als sie.”

So viel hatte Ozzy noch nie am Stück geredet.

Mags überlegte kurz und wandte sich dann wieder dem Kabelsalat zu. Im nächsten Bündel fand sie die richtigen Drähte. Sie trennte die Hangar-Kontrolldrähte vom Rest und schloss sie ans Handterminal an.

“Nun…”, sagte sie, während sie das Terminal einschaltete. Es durchlief seine Startsequenz, während es mit dem Datenfluss des Hangars kommunizierte.

“…ich schätze, das spielt jetzt alles keine Rolle mehr.”

“Wieso?”

“Weil wir gleich frei sein werden”, sagte sie und gab den Befehl zum Öffnen des Hangars.

Aber nichts geschah.

“Tja, Scheiße.”

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Geräuschfetzen durchdrangen die Dunkelheit. Sonst schien es nichts zu geben. Kein Gefühl. Langsam kristallisierte sich das Geräusch heraus und bald konnte Trin einzelne Worte unterscheiden. Ihre Augen fühlten sich schwer an, so, als würde sie langsam aus einem tiefen Schlaf erwachen, aber ihr Körper war noch nicht bereit, aufzustehen. Schließlich öffnete sie ihre Augen. Das Licht strömte hinein und überwältigte zunächst ihre Sinne, während sie darum kämpfte, sich zu konzentrieren. Dann setzte der Schmerz ein – ein stechender Schmerz in ihrer Brust. Ihr ganzer Körper tat ihr weh. Ihre Glieder fühlten sich an, als wären sie größtenteils gelähmt. Dann sah sie eine Gestalt. Es war Arno, der Syndikatskiller.

“Hey, Sonnenschein”, sagte er mit einem Grinsen.

Trin sah sich um. Sie befand sich auf der „Harlekin“. Kel und Yao saßen ganz nah bei ihr. Osane, der andere Killer, bewachte sie. Kel winkte.

“Was zum Teufel ist hier los?”

Trin versuchte, sich aufzusetzen.

“Das würde ich nicht tun.“

Yao wollte sich nach vorn beugen, aber Osane hielt ihm ihre Pistole an den Kopf.

Der Schmerz explodierte in Trins Körper, aber sie wollte sich vor diesen Four Points-Arschlöchern keine Blöße geben, also ertrug sie es. Ihre Kehle war trocken. Der Rest kam ihr wieder in den Sinn, als sie nach einer nahe gelegenen Dose Bier griff: Ozzy, Blind Jack and the Titans, das Eriesium …

Trin blickte schließlich an sich herunter. Fünf Schüsse, gesäubert und genäht, punktierten ihre Brust. Ihre Kleidung war mit Blut getränkt.

“Verdammt, Doc”, sagte sie und stocherte an den Wunden herum. Sie fühlte sich bemerkenswert gut.

“Schätze, Sie sind doch nicht so nutzlos. Ich spüre kaum noch etwas.”

“Das sind nur die Drogen”, antwortete Yao. “Wenn sie nachlassen, wird es eine Tortur sein.”

“Wie auch immer”, antwortete Trin, trank das Bier aus und sah Arno an.

“Du weißt, dass wir das Eriesium nicht mehr haben, oder?”

“Das wissen wir”, sagte Arno und schritt umher.

“Wir wollen wissen, wo sie sie hingebracht hat.”

“Wer?”

“Kapitän Mags ist mit ihnen gegangen”, mischte sich Kel ein, während er nervös hin und her tänzelte.

“Sie hat uns beschützt…”, fügte er hinzu.

Trin nickte, setzte sich auf und ließ ihre Beine vom Tisch baumeln, wobei einige verbrauchte blutige Verbände auf den Boden fielen. Sie testete ihre Füße. Sie fühlten sich an wie Gelee. Als sie sich stabil genug fühlte, schlurfte sie hinüber zu ihrer Koje und begann, sich zu bewaffnen.

“Was glaubst du, wo du hingehst?”

Arno stützte seine Hand auf seine Waffe.

“Ich bringe sie alle um.”

Trin überprüfte die Anzahl der Patronen ihrer Schrotflinte.

“Du kannst mir gerne helfen.”

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“Ich sage dir, es hätte funktionieren müssen”, sagte Mags.

“Wenn du uns nicht hier rausbringen kannst, haben wir nicht viel Verwendung für dich”, sagte Blind Jack, während er mit ihr Schritt hielt.

“Gib mir eine Sekunde”, sagte Mags und überlegte, welche Möglichkeiten es noch gab, um hier herauszukommen. Das Problem war nur, dass alle anderen Tricks viel mehr technisches Wissen erforderten. Damit konnte sie nicht dienen. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Blind Jack seine Pistole zog.

“Okay”, sagte sie schließlich.

“Okay, was?”, antwortete Jack und fummelte mit der Waffe herum.

“Ich glaube, ich habe etwas”, sagte sie, immer noch in Gedanken versunken. In Wahrheit hatte sie nichts, aber jede Sekunde, die sie noch lebte, war eine weitere Gelegenheit, sich aus dieser Situation herauszuwinden, also musste sie ihn hinhalten.

“Ich werde mehr als das brauchen”, sagte Blind Jack. “Und wähle deine Worte sorgfältig.”

“Habt ihr irgendwelche Schiffe, die nicht gelandet sind?”

Blind Jack blickte Ozzy nachdenklich an.

“Klar, wir haben ein paar.”

“In den Tunneln gibt es alte Lagerschächte. Sie wurden einst benutzt, um das geförderte Erz von den Nutzfahrzeugen abzuladen. Sie befinden sich auf einer völlig anderen Strecke als die Hangarschächte. Wenn wir da runterkommen, ist es leicht, die Drähte zu lösen und die Türen zu öffnen. Wir brauchen nur Anzüge, dann könnt ihr rausschweben, euch abholen lassen und verschwinden. Der Rest von euch kann gehen, wenn die Sperre aufgehoben ist.”

Und wieder hatte sie sich das alles ausgedacht. Aber es klang logisch. Unten in den alten Tunneln gab es in der Tat eine Reihe großer versiegelter Türen. Sie dachte dabei an eine ganz bestimmte. Sie war noch nie hindurchgegangen, aber sie würde die Lüge sicher gut verkaufen. Es gab nur eine Sache, die sie tun musste.

“Wir müssen uns aber trennen. Es wäre zu offensichtlich, wenn wir uns in einer großen Gruppe bewegen.”

Mags ging zurück zum Handterminal, mit dem sie versucht hatte, die Tür zu hacken. Sie änderte die Daten der Verbindungsdrähte in ein lokales Kommunikationsnetz.

“Ich überprüfe noch einmal, ob der Bereich noch mit Strom versorgt wird.”

Auf dem Bildschirm des Terminals rief sie das lokale Netzwerk auf und fand den Namen, den sie brauchte, um ihren Plan zu vollenden. Sie tippte hastig eine Nachricht ein. Sie betete, dass es funktionierte…

Dann drückte sie auf Senden.

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Trin wusste, dass Blind Jack immer mehrere Möglichkeiten haben wollte, wenn es um Fluchtwege ging. Das war einer der Grundsätze, die er seiner ‘Familie’ eingebläut hatte. Der Plan war, zuerst die anderen Landeplätze zu durchsuchen und dann zurück in den Großen Basar zu gehen. Sie stürzte sich in die Menge.

Sowohl Arno als auch Osane bewegten sich leise. So leise, dass Trin gelegentlich vergaß, dass sie da waren. Wer auch immer die beiden waren, sie waren gut ausgebildet. Das wusste sie von ihrem Kampf im Café Musain. Sie konnte kein Risiko eingehen, wenn es darum ging, sie zu töten. Leider wusste sie, dass die Titanen in großer Zahl angereist waren, also brauchte sie die beiden für den Moment.

Trin bahnte sich ihren Weg durch die Menge und studierte die Gesichter. Überall hatten sich Gruppen von Piloten, die sich über die Blockade ärgerten, in den Gängen versammelt. Vor ihr ging jemand einen Gang hinunter. Etwas an ihm stach Trin ins Auge. Sie eilte nach vorn und spähte um die Ecke. Er trug einen schäbigen, alten, geflickten Fliegeranzug und fummelte an seinem Helm herum. Er blickte sich um, bevor er den Helm aufsetzte, aber das war alles, was Trin brauchte. Er hatte Souther-Titan-Tätowierungen. Sie warf einen Blick auf Arno, der sie genau beobachtet hatte.

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Mags versuchte, ihren Weg zu den Lagertüren so gut wie möglich zu skizzieren, ohne den geringsten Zweifel aufkommen zu lassen, dass sie keinerlei Planen hatte, ob es funktionieren würde. Während die meisten Titanen sich getrennt hatten, um nicht aufzufallen, blieb Mags mit Blind Jack, Ozzy und einem weiteren Piraten zurück. Sie kamen an Überresten von Bergbauanlagen vorbei, von denen einige noch aus der Zeit der ursprünglichen Besitzer der Basis stammten. Nach dreißig Minuten des Abstiegs durch die gewundenen Tunnel merkte sie, dass Blind Jack ungeduldig wurde und so machte sie sich auf den Weg zum Treffpunkt.

Der Gang machte eine Biegung und mündete dann in einen großen Raum. An einer der Wände befanden sich zwei massive Doppeltüren. Sie waren zum Glück noch geschlossen. Im ganzen Raum waren leere Kisten gestapelt. Der Boden war mit Steinen und Kieselsteinen von abgebauten Mineralien übersät. Es gab einen erhöhten, versiegelten Laufsteg, der den Raum umgab. Dieser letzte Punkt war der Grund, warum Mags diesen Raum gewählt hatte.

Die meisten anderen Titanen waren schon da, vermutlich hatten sie einen direkteren Weg genommen. Mags warf einen Blick auf den Laufsteg, als sie sich auf den Weg zu der Schalttafel neben der Tür machte. Sie öffnete das Pult und fand das Terminal herausgerissen. Sie trat zurück, als ob sie den Schaden begutachten wollte. In Wirklichkeit hatte sie keine Ahnung, wie man eine Tür kurzschließt, schon gar nicht diese.

Zum Glück brauchte sie nicht lange zu warten.

“Also gut, Leute!”, dröhnte eine Stimme vom Laufsteg. “Lasst uns die Hände sehen.”

Die Souther-Titanen drehten sich alle um und sahen, wie der Exekutivbeamte Devin und eine kleine Armee von „Peaples Alliance“-Beamten vom Laufsteg aus die Waffen ausrichteten.

Mags versuchte, genauso überrascht auszusehen wie alle anderen. Innerlich war sie jedoch froh, dass ihre Nachricht angekommen war. Sie war sich nicht ganz sicher, wie sie sich wieder aus Devins Gewahrsam befreien sollte, aber eins nach dem anderen. Zumal keiner der Titanen Anstalten machte, seine Waffen fallen zu lassen. Blind Jack Sticha trat in die Mitte des Raumes und blickte stumm in die Gesichter der Beamten.

“Um ehrlich zu sein…”, er zog langsam seine Pistole und hielt sie in Richtung Boden.

“…ich sehe keinen Mörder unter Ihnen. Aber wir …”, er wies auf seine Leute, die langsam Mut fassten. “Töten ist unser tägliches Geschäft.”

Das ist nicht gut, dachte Mags. Eine elektrisierende Stille lag in der Luft. Die Visiere der Waffen suchten nach Zielen. Jede Bewegung fühlte sich an, als könnte sie der Funke sein. Mags bemerkte, wie sich einer der Titanen langsam auf Ozzy zubewegte. Sie trug einen schlechtsitzenden, geflickten Raumanzug und ihr Gang hatte etwas Seltsames an sich. Als sie an Mags vorbeikam, bemerkte Mags frisches Blut am Kragen des Anzugs und, was noch viel wichtiger war, sie erkannte das Gesicht.

“Trin?!”, rief sie spontan, ohne zu überlegen.

Trin riss ihre Schrotflinte hoch und richtete sie auf Ozzy. Mags’ Schrei gab ihm genug Zeit, um den Eriesium-Kasten hochzureissen. Der Schuss erwischte das Schließfach und brachte Ozzy aus dem Gleichgewicht. Ab diesem Moment ging alles drunter und drüber. Ballistisches- und Laser-Feuer brach sich aus allen Richtungen Bahn. Die Titanen rannten in Deckung, als sie auf die „Peoples Aliance“ losgingen. Mags versteckte sich hinter der nächsten Kiste. Sie konnte sehen, dass die Kiste mit dem Eriesium zwischen Ozzy und Trin gelandet war, die ihn wiederum mit mehreren Schrotflintenschüssen niederstreckte.

Die Titanen und die „Peoples Alliance“ hatten bald gleich viele Opfer zu beklagen. Gewehrfeuer sprengte jegliche die Deckung auseinander. Mags versuchte, sich auf das Eriesium zu stürzen. In dem Moment, als sie sich in Bewegung setzte, wurden beide Gruppen von Schnellfeuer-Energiewaffen beschossen, die sowohl die Titanen als auch die Kräfte der „Peoples Alliance“ ausschalteten. Mags hechtete zurück in ihre Deckung und versuchte herauszufinden, woher die Schüsse kamen. Arno und Osane hatten sich ebenfalls ins Getümmel gestürzt. Sie waren mit Tarnwesten, Körperpanzern und Granaten ausgerüstet und feuerten mit Sturmgewehren auf ihre Ziele. Osane stieß schnell durch die Titanen vor und feuerte so lange aus ihrem Sturmgewehr, bis die Munition alle war. Ohne einen Schritt auszulassen, warf sie das Gewehr weg und zog ein Messer. Der Titan, auf den sie zustürzte, entlud einen verzweifelten Schusswechsel. Sie wich den Schüssen aus, während sie sich immer weiter näherteund stürzte schließlich an ihm vorbei. Dabei schlitzte sie ihm die Kehle auf. Osane fand Deckung, nicht weit vom Eriesium entfernt.

“Nur zu, ich halte dir den Rücken frei”, brüllte Trin.

Mags konnte es nicht fassen. Sie hatte sich mit den Four Points zusammengetan? Osane sprintete ebenfalls auf das Eriesium zu, während Trin ihre Schrotflinte auf Ozzy richtete. In letzter Sekunde richtete sie den Lauf auf Osane und feuerte. Die Schrotflinte traf sie genau in der Mitte. Blut spritzte aus ihrem Rücken und ihr Körper schlug schwer auf dem Boden auf. Trin grinste und stieß eine weitere Ladung in die Kammer.

Blind Jack stürmte auf Devins Position zu, mit zwei Granaten in den Händen. Jack kicherte, während er schnaufend sprintete, um in Wurfweite zu kommen. Er schleuderte eine Granate. Devin erwischte ihn an der Schulter. Die zweite Granate landete mit einem dumpfen Aufprall neben Jacks Füßen. Dann explodierte die erste Granate. Die zweite Detonation bedeutete das Ende von Blind Jack Sticha.

“Osane?”, rief Arno aus seiner Deckung.

“Osane! Sprich mit mir!”

Er hat nicht gesehen, was passiert ist, dachte Mags und blickte zurück zum Schließfach. Sie saß einfach da, mitten in einem Kriegsgebiet und sie hatte keine Waffe. Sie konnte Ozzy kaum sehen, aber es sah so aus, als wäre ihm die Munition ausgegangen. Trin spürte das auch und begann auf seine Position vorzurücken. Die meisten anderen Feuergefechte hatten nachgelassen. Das Stöhnen der Verwundeten begann den Raum zu füllen. Mags nutzte ihre Chance. Sie stürmte aus ihrem Versteck und schob sich zu dem Schließfach neben Osanes Leiche. Trin bemerkte es zu spät. Sie richtete ihre Schrotflinte auf Mags. Es dauerte einen Moment, bis Trin sie erkannte, aber das änderte nichts. Sie hatte denselben Blick in den Augen, den sie hatte, als sie Mags fast aus der Luftschleuse geworfen hätte. Sie hob die Schrotflinte.

Ozzy griff Trin genau in dem Moment an, als die Schrotflinte losging. Mags konnte spüren, wie das Knistern der Energie ihren Kopf versengte, als die Munition vorbeiflog. Trin und Ozzy wälzten sich auf dem Boden. Er kämpfte, um ihr die Schrotflinte zu entreißen. Sie ging zum Angriff über und schlug ihm einmal in die Niere. Zweimal. Dreimal. Sie rollte sich auf ihn und rammte ihre Stirn in seine Nase. Sie brach mit einem lauten Knacken. Sein Griff um die Schrotflinte wurde schwächer, was sie ausnutzte. Sie   entriss ihm die Waffe und stand auf.

“Du konntest mich nicht einmal töten, stimmt’s?”, sagte sie, während sie um ihn herumging und eine weitere Ladung abfeuerte.

“Was zum Teufel ist mit dir passiert? Wir waren doch mal ein Team. Weißt du nicht mehr? Was ist mit dem Kerl passiert? Der Typ, der so hart war wie ein Fels. Der mich gedrängt hat, härter zu werden? Nein, mein Bruder ist auf Quarterdeck gestorben.”

Sie spuckte etwas Blut aus und hob die Schrotflinte, um ihn zu erschießen.

“Warte!”, schrie Mags.

Trin blieb stehen und sah hinüber. Mags stand da und hielt ihr das Schließfach hin.

“Du willst das Eriesium? Nimm es.”

Mags warf ihr das Schließfach vor die Füße.

“Was?”,  rief Trin überrascht.

“Du hast mich schon verstanden.”

Mags trat einen Schritt zurück.

“Was ist das?”, fragte Trin, während sie sich misstrauisch umsah.

“Du würdest es nie einfach hergeben …”

“Sicher”, sagte Mags achselzuckend.

“Ich glaube sowieso nicht, dass ich mit dem Ding hier rauskomme.”

Trin musterte Mags eine Sekunde lang und suchte ihr Gesicht nach Zeichen einer Täuschung ab. Sie drehte die Schrotflinte von Ozzy zu Mags, während sie zum Schließfach hinüberging.

“Also, habe ich nachgedacht”, sagte Mags und trat weiter zurück, die Hände immer noch erhoben. Trin griff nach unten, die Waffe immer noch auf Mags gerichtet und klappte die Kiste auf.

“Wie du vorhin gesagt hast, ich kann damit leben, dass niemand es hat.”

Trin schaute in das Schließfach. Eine von Osanes Granaten lag neben dem Eriesium. Der Stift war herausgezogen und die Granate heulte bereits laut. Trin schleuderte das Schließfach in letzter Sekunde weg. Die thermische Explosion verwandelte das Eriesium, das Schließfach und sogar einen Teil des Bodens schlagartig in geschmolzene Schlacke.

Trins Schock verwandelte sich schnell in weißglühende Mordlust. Während sie zu Mags herumwirbelte hob sie die Schrotflinte. Dann schlug eine Kugel seitlich in ihren Kopf ein. Ein feiner Nebel quoll auf der anderen Seite hervor. Trin stand noch eine Sekunde lang da und fiel dann, als hätte man ihr plötzlich den Stecker gezogen.

Devin, verkohlt und schwelend von Blind Jacks Granatenangriff, ließ sein Gewehr sinken.

Stille erfüllte den Raum. Einige wenige Titanen, die noch konnten, flüchteten in die Tunnel, während die übrigen Mitglieder der „Peoples Alliance“ die Gefangenen sicherten und die Verwundeten behandelten. Mags half Ozzy auf die Beine. Er hielt seine Nase und versuchte, die Blutung zu stoppen.

“Geht es dir gut?”, fragte sie, während sie den immer noch anhaltenden Blutfluss betrachtete.

“Nein, aber das wird schon wieder.”

Keiner der Beamten schien sich für die beiden zu interessieren, also machte sich Mags auf den Weg den Raum zu verlassen. Dann sah sie sich Devin gegenüber.

“Hey, danke für die Rettung”, lächelte sie ihn an.

“Klar. Danke für den Tipp, Kristin”, antwortete er.

“Oh, warte, du heißt doch eigentlich Magdalene, oder?”

“Ähm … ja.”

Sie sah sich einen Moment lang um.

“Also …”

“Raus hier”, sagte er und ging an ihr vorbei zu seinem Team zurück.

“Tu mir einen Gefallen und komm nicht wieder?”

“Geht klar.”

Mags gab Ozzy ein Zeichen, ihr zu folgen und die beiden gingen hinaus.

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Arno eilte durch die Tunnel von Levski zum Landedeck, wo sein Schiff wartete. Er brach in dem Moment zusammen, als er das Eriesium hochgehen sah. Das war nicht gut. Das war das Eigentum von Four Points gewesen und er wusste, dass sein Boss eine beschissene Wendung der Ereignisse’ nicht als Entschuldigung für den Verlust eines Vermögens akzeptieren würde. Also musste er verschwinden. Und zwar sofort. Er arbeitete eine Route aus, um zu einem seiner Verstecke zu gelangen.  Er hatte ein halbes Dutzend solcher Verstecke im ganzen Universum verteilt, jedes mit Credits, einem sauberen Schiff und einer neuen Identität ausgestattet.

Arno kletterte in sein Schiff, verstaute seine Ausrüstung und setzte sich in den Pilotensitz, um sein Schiff zu starten. Die Sperre sollte jeden Moment aufgehoben sein und er wollte der Erste sein, der losflog. In diesem Moment piepte sein MobiGlas mit einer eingehenden Nachricht. Arno ignorierte es, aber vor seinem Schiff fiel ihm etwas auf.

Ein Xi’an stand direkt vor der Luftschleuse zum Landeplatz. Es war derselbe wie im Café Musain… Er konnte sehen, wie der Außerirdische einen Befehl in sein MobiGlas eintippte.

Arnos Schiff explodierte direkt auf dem Landeplatz.

Soahm beobachtete das Wrack einige Augenblicke lang, wie es brannte. Die automatischen Feuerlöschsysteme aktivierten sich. Er drehte sich um und ging zurück zur Luftschleuse, während er bereits nachdachte, was er in seinen Bericht an seine Vorgesetzten schreiben würde.

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Zurück an Bord der „Harlekin“ heulten die Triebwerke in der Sekunde auf, in der die Sperre aufgehoben wurde. Mags konnte es kaum erwarten, von diesem Felsen wegzukommen. Kel saß im hinteren Teil des Schiffes. Er war ganz ruhig, nachdem Mags ihm erklärt hatte, dass Ozzy wieder auf ihrer Seite war. Kel hielt Yao ständig auf dem Laufenden. Mags hatte den Doc schon eine Weile nicht mehr dabei beobachtet, wie er sich einen Schuss setzte. Irgendetwas an ihm schien anders zu sein. Sie würde schon herausfinden, was es war.

Als der Staub und die Felsen über Levski der gähnenden Schwärze des Weltraums wichen, begannen all der Wahnsinn, der Stress und der Druck der letzten Tage zu verblassen und Mags hatte nur noch einen einzigen Gedanken:

„Heilige Scheiße, das hat Spaß gemacht.“

Es stimmte zwar, dass es ihnen finanziell kaum besser ging als zu Beginn ihrer Reise und langfristig wünschte sie sich durchaus finanzielle Sicherheit. Aber ehrlich gesagt, das hatte Zeit. Sie hatte eine Gruppe von Leuten gefunden, denen sie vertraute. Die ihr den Rücken freihielten und umgekehrt. Sie waren jung und sie würden noch viele Gelegenheiten haben, den großen Coup zu landen. Irgendwann würden sie es schaffen. Und zum ersten Mal war sie tatsächlich rundum zufrieden.

– Ende –

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