Der erste Run

Der erste Auftrag einer „Faster than Light“-Kurierin gerät komplett ausser Kontrolle

Von Thomas K. Carpenter

(übersetzt von Moxie)


Kapitel 01

Nachdem ich die „Goldene Horde“, die Bar meines Vaters, verlassen hatte, geisterten seine letzten Worte noch lange in meinem Kopf herum, während ich mich auf dem olivgrauen Sitz niederließ und den Sicherheitsgurt über meine Brust zog:

“Niemand hat jemals im Weltraum sein Geld verdient, ohne es zu bereuen. Da oben gibt es nur Kriegstreiber und Diebe. Niemand, den man kennen sollte. Wenn du also genug von Abenteuern hast, dann komm nach Hause. Ich halte dir deinen Platz hinter der Bar warm, bis du endlich zur Vernunft kommst, Sorri.”

Selbst als ich versuchte, den Gurt so eng wie möglich zu ziehen – es passten tatsächlich zwei von meiner Statur hinein – hörte ich noch den Klang in der Stimme meines Vaters, als er das Wort Abenteuer sagte. Es klang, als hätte er gerade ein Stück Apfelkuchen gegessen und herausgefunden, dass es in Wirklichkeit Mist war. Während ich auf den letzten Fahrgast wartete, zitterte ich und rieb mir die Arme, um mich zu wärmen. Es war so kalt wie in einem Kühlschrank. Ich hatte meinen Lieblings-Pullover angezogen, den mir mein Onkel Cab geschenkt hatte, aber selbst der reichte nicht aus, um die Kälte aus meinen Knochen zu vertreiben.

Der Pullover hatte die Farbe von Sonnenuntergängen, etwas, von dem ich wusste, dass ich es vermissen würde, wenn ich als Kurrier für den FTL-Kurierdienst durch die Dunkelheit des Weltraums reisen würde. Hoffentlich war dieser letzte Passagier das Warten wert. Aber selbst Kälte, die Ermahnungen meines Vaters und das Warten auf den letzten Passagier konnten meine Begeisterung nicht trüben. Endlich war ich im Weltraum! Nach all den Streitereien mit meinem Vater, dem Zusammenkratzen meiner letzten Ersparnisse und Trinkgeldern, dem Eingangstest und dem Schlafen auf harten Betten während der Ausbildung bei FTL, hier auf Castra II. Ich hatte es endlich geschafft.

Ich strich mit den Fingerspitzen über den Riss, der zwei Platten in der glatten Wand trennte. Die „Solar Jammer“, eine modifizierte Caterpillar, die zu einem kommerziellen Transportmittel umfunktioniert worden war, war nicht gerade eine sexy-schlanke Idris, aber wie bei einem ersten Kuss ging es nicht um das Aussehen, sondern um die Erfahrung selbst. Ich begann, mich auf meinem Sitz einzusitzen, als mich ein Gedanke durchfuhr. Ich hatte vergessen, dass ich vor Antritt meiner ersten Reise alles aufzeichnen wollte, damit ich meinem Vater ein Video schicken konnte.

Er sollte erfahren, dass nicht jeder da draußen ein Dieb war und dass man nicht einfach so in eine Weltraumschlacht geriet, wie wenn man zum Einkaufen ging. Ich befestigte die Kamera am Riemen meines Rucksacks und überprüfte mein persönliches MobiGlas, um sicherzustellen, dass es alles aufzeichnete. Als ich fertig war, packte ich es wieder in den Rucksack. Der FTL-Kurierdienst wollte nicht, dass wir unsere persönlichen Geräte bei uns trugen, aber er wollte auch nicht, dass persönliche Software auf firmeneigener Hardware lief. Ich dachte, so sei das ein guter Kompromiss.

Ich überprüfte gerade mein Firmen-MobiGlas auf Nachrichten, als der letzte Passagier eintraf. Er duckte sich unter die Gepäckablage weg und schenkte mir ein breites Lächeln. Er sah gut aus, aber nicht so, wie man es auf den Holovideos sieht. Er hatte eine Narbe auf der Lippe, die sein Lächeln halb zu einem Schmunzeln, halb zu einem Grinsen werden ließ. Aufgrund seines Aussehens und seiner Kleidung vermutete ich, dass er ein Verkäufer war. Und ich hasste Verkäufer. Sie kamen immer mit einer Einstellung in die Bar, als ob ihnen der Laden gehören würde. Als wären sie etwas Besseres. Wahrscheinlich war er auch noch ein Bürger. Also gut, dachte ich – beim Kurierdienst war es verpönt, während der Arbeit ein Gespräch zu beginnen. Das sah für potenzielle Kunden nicht gut aus und stellte zudem ein Sicherheitsrisiko dar. Also kontrollierte ich wieder mein MobiGlas und bestätigte meinen Transport und die Verbindungen, sobald ich auf Oya angekommen wäre.

Ich hatte sieben Tage Zeit, um die Daten auf dem MobiGlas an die WillsOp Corporation zu übermitteln. Das war eine Menge Zeit. Ich dachte mir, wenn ich es in einem Drittel der Zeit erledigte, dann würde ich bei meinem Arbeitgeber einen guten Eindruck machen. Plötzlich brachte der Co-Pilot eine Tiertransportkiste zu dem Herrn mir gegenüber und schnallte sie auf dem Sitz fest. Große braune, goldumrandete Augen sahen ängstlich aus dem Käfig. Die Worte purzelten mir aus dem Mund, bevor ich mich noch daran erinnerte, dass ich eigentlich nichts hätte sagen sollen:

“Ist das ein Rotschwanzluchs?”

Der gutaussehende Passagier war gerade dabei, den Gurt an seinen Oberkörper anzupassen, als ich die Frage stellte. Er blickte auf und zog eine Augenbraue hoch. Tja, dachte ich bei mir, mein Vater hat immer gesagt, ich könne meinen Mund nicht halten.

“Ich hatte als Kind einen Luchs. Ich hätte niemals ein Foto gemacht, auf dem Sasha nicht mit drauf gewesen wäre”, sagte ich.

“Sasha?”, fragte er mit melodischer Stimme. “Ich nehme an, das ist der Name des Luchses?”

Ich zuckte mit den Achseln.

“Tierzüchter?”, fragte ich. Er schaute mir direkt in die Augen. Sie waren grau mit grünen Flecken. Augen, die schon viel gesehen hatten.

“Warum nehmen Sie nicht an, dass es mein Haustier ist?”, fragte er, wobei sich die Haut um seine Mundwinkel kräuselte.

“Meine Eltern besitzen eine Bar im Norden von Castra II. Ich habe alle möglichen Leute kennengelernt – und Sie kommen mir nicht wie ein Rotschwanzluchs-Besitzer vor. Die sind zu aktiv und brauchen Platz.”

Als ob er wüsste, dass über ihn gesprochen wurde, drückte der Luchs sein pelziges Gesicht gegen die Stangen des Käfigs. Ich wollte die Hand ausstrecken und die kleinen gräulichen Haarbüschel streicheln, die aus seinen Ohren ragten, als der Kapitän ankündigte, dass wir die Station in Richtung Sprungpunkt verlassen würden.

“Sie haben meine Frage nicht beantwortet”, sagte ich.

Der Mann lachte kurz und ungläubig.

“Sie sind ganz schön dreist. Wissen Sie, normalerweise stellen sich die Leute vor, bevor sie mit dem Verhör beginnen. Ich bin Dario Oberon.”

Die „Solar Jammer“ ruckelte ordentlich, als sie die Station verließ und ich spürte, wie sich die Schwerkraft auf das System des Schiffes verlagerte.

“Ich mochte Namen noch nie. Vielleicht habe ich zu viel Zeit als Bar-Tender verbracht. Die Hälfte der Kunden nannte nie ihren richtigen Namen und die andere Hälfte hatte Namen nicht verdient. Ich bin Sorri Lyrax, falls das eine Rolle spielt.”

Er hatte ein Lächeln, an das man sein Herz hängen konnte.

“Sorri? Vorname oder verdienter Name?”, fragte er mit einem Zwinkern in den Augen.

“Beides”, sagte ich.

“Und die Antwort?”

Die „Solar Jammer“ flog eine Kurve und dann geradewegs auf den Sprungpunkt zu, wobei sie mich in meinen Sitz und Dario gegen das Gurtzeug drückte.

“Ein Geschenk.”

Er blinzelte.

“Nicht für eine Freundin”, überlegte ich. “Ein Geschäftsvorhaben? Etwas, um die Räder zu schmieren, würde ich sagen.”

Dario beugte sich vor, legte die Stirn in Falten und spitze die Lippen.

“Und warum sagst du das, Sorri Lyrax?”

“Haustiere sind schreckliche Geschenke für eine Freundin und Sie scheinen zu klug für einen solchen Anfängerfehler zu sein. Was das Geschäft angeht, habe ich gesehen, wie Sie dem Copiloten die Hand geschüttelt haben, als er den Luchs brachte. Ich habe dieses Lächeln und den festen Händedruck schon eine Million Mal gesehen. Zuerst dachte ich an einen Verkäufer, aber Ihr Selbstvertrauen ist echt und nicht wie eine schlaffe zweite Haut.”

Er nickte schief.

“Und das alles in so kurzer Zeit?”

“So aufzuwachsen, wie ich es getan habe, war wie ein fortgeschrittener Abschluss in menschlichem Verhalten. Wenn man sich die Mühe macht, darauf zu achten”, sagte ich.

Ein Teil von mir schrie innerlich, dass ich endlich den Mund halten sollte, aber dem anderen Teil gefiel es, Dario zu beeindrucken. Mein Vater hatte mich immer dazu gebracht, mich im Hintergrund zu halten und die Kunden reden zu lassen. Es war schön, einmal geistig vor dem Tresen zu stehen.

“Und da Sie ohne Gepäck reisen, nehme ich an, dass Sie mit geistigem Eigentum handeln”, plapperte ich weiter. “Wahrscheinlich mit etwas Lukrativem wie Schiffsentwürfen oder so etwas.”

Als das Glitzern in seinen graugrünen Augen plötzlich so kalt und dunkel wie der Weltraum wurde, wusste ich, dass ich zu viel gesagt hatte, aber der Blick verschwand genauso schnell, wie er aufgetaucht war. Das schelmische Lächeln nahm seinen scheinbar vertrauten Platz auf seinen Lippen wieder ein. Dario zeigte mir seine Zähne.

“Jetzt, wo wir auf Reisegeschwindigkeit sind, möchtest du den Luchs streicheln? Sie ist ziemlich gutmütig.”

“Sehr gerne”, sagte ich und bemerkte, dass er das Thema gewechselt hatte, aber ich erinnerte mich schnell daran, dass ich geschäftlich unterwegs war und Intrigen das Letzte waren, womit ich mich beschäftigen sollte.

Dario übergab mir den Luchs, ohne ihn richtig loszulassen. Der Luchs schlang seinen roten Schwanz um Darios Arm und schmiegte sein Gesicht in meine Achselhöhle. Noch bevor wir ankamen, war mein Wollpulli voller Luchsfell, aber das war mir egal. Es dauerte nicht lang, bis ich, mit dem warmen Luchskörper auf dem Schoß und dem weichen Fell, das meine Fingerspitzen beim Streicheln des Rückens umschmeichelte, einschlief und die Aufregung über den Beginn der Reise verblasste.

Ich erwachte, als Dario den Luchs aus meinen Armen nahm. Außerhalb der „Solar Jammer“ kam der orange-blaue Planet Oya III in Sicht. Ein gewaltiger zyklonartiger Sturm war zu sehen, der über die große Ebene auf dem nördlichen Kontinent hinwegwirbelte. Es hieß, der Sturm habe in den letzten drei Jahrzehnten gewütet. Zum Glück würde ich auf dem grünen Fleck der südlichen Hemisphäre landen, in der Metropole New Alexandria. Dario war mit seinem MobiGlas beschäftigt, als wir ankamen, also störte ich ihn nicht. Ich musste meinen Flug zum Planeten Oya III bestätigen.

Ich hatte ein gutes Geschäft gemacht, als ich mich als so genannter Überlaufpassagier anmeldete, aber ich musste mich beeilen, wenn ich das Shuttle noch vor seinem Abflug erreichen wollte. In der Super-Economy gab es keine Garantie für einen Sitzplatz. Als ich aus der „Solar Jammer“ ausstief, war Dario schon weg, was mich ein wenig traurig machte, denn angesichts der Größe der UEE würde ich ihn wahrscheinlich nie wieder sehen.

Der antiseptische Geruch und die hellen, farblosen Fliesen des Zoll-Tores überreizten meine müden Sinne. Ich näherte mich dem grau-grün uniformierten Sicherheitspersonal und richtete die Gurte meines Rucksacks, während ich meine Papiere, einschließlich des FTL-Kurierausweises, herauszog und mich bereit machte sie auszuhändigen. Nachdem ich ein Scangerät durchlaufen hatte, das ein hochfrequentes Brummen von sich gab, hielt ich dem breitschultrigen Wachmann mit scheinbar gelangweilter Miene meinen Ausweis hin. Sein MobiGlas gab plötzlich einen hellen Piepton von sich und sein Gesichtsausdruck wechselte schlagartig von Langeweile über Verärgerung zu Aufregung.

Bevor ich etwas anderes tun konnte, griff er nach meinem Arm und drückte so fest zu, dass ich einen blauen Fleck bekam.

“Das ist ein Alarm für einen Sicherheitsverstoß”, sagte er, seinen Zorn fest auf mich gerichtet.

“Du kommst mit mir.”

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Kapitel 02

Das Schlimmste daran, in einer Arrestzelle zu sitzen, war nicht das Verhör, sondern das Warten. Nicht, dass ich ein hartgesottener Krimineller oder so etwas gewesen wäre, ich war nur ein wildes Kind, das vor ein paar Jahren für kurze Zeit mit den falschen Leuten zusammen war. Ich war durch den Basar gerast, hatte das Geländer im Kasino mit einem milden Kontakthalluzinogen gestrichen und ein Rudel spuckender Lamas in eine Advocacy-Tagung entlassen – so etwas in der Art. Meine Vergangenheit war wahrscheinlich einer der Gründe, warum mein Vater zugestimmt hatte, mich in den Kurierdienst gehen zu lassen. Er meinte, ich müsste einfach nur mal Dampf ablassen, oder vielleicht auch ein wenig Wut verarbeiten. Wut darüber, dass Mutter gestorben war. Er hatte in beiden Fällen Unrecht. Es war einfach nur Langeweile, mehr nicht.

Das und die Erkenntnis, dass die Arbeit in der Familienkneipe mit der Arbeit im Gefängnis fast identisch war, als ich eines Tages wegen eines unserer kleinen Streiche in einer Zelle wie dieser saß. In der Bar konnte ich mir allerdings die Zeit damit vertreiben, die Gäste zu beobachten. Die Arrestzelle war so leer wie der Weltraum, mit einem elendig harten Stuhl als einzigem Möbelstück. Sie wollten mich weichkochen, damit ich bereit war, ihnen meine Geheimnisse zu verraten. Die Tatsache, dass dies bei einigen Kriminellen tatsächlich funktionierte, machte mich sprachlos. Wie konnten sie nur so dumm sein?

Aber ich hatte nichts zu befürchten. Ich hatte nichts Falsches getan. Ich wünschte nur, es würde jemand reinkommen, damit ich ihm das sagen konnte. Nach etwa drei Stunden betrat eine Frau die Zelle. Sie war älter, hatte mokkafarbene Haut und starke Falten um Augen und Mund. Sie war einmal schön gewesen, aber jetzt war dieses Aussehen hinter der Pflicht und einer sauberen Sicherheitsuniform versteckt. Nicht einmal ein dunkles Haar ihres militärischen Schnitts lag am falschen Platz.

“Sorri Lyrax?”

Ich nickte dünnlippig.

“Ich bin Captain Hennessy und für diese Einrichtung verantwortlich. Tut mir leid, dass Sie warten mussten, aber ich war auf dem Planeten”, sagte sie.  Verärgerung stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. Man hatte sie in ihrer Freizeit gestört.

“Es tut mir leid, dass Sie gestört wurden”, sagte ich und meinte es ernst.

“Aber können Sie mir sagen, warum ich festgehalten werde? Niemand hat etwas gesagt und obwohl ich noch viel Zeit habe, meine Kurierlieferung zu erledigen, bekomme ich einen Bonus für Schnelligkeit. Wenn eine Nachricht zugestellt werden muss, ist nichts schneller als FTL!”

Den letzten Teil, das Firmenmotto, sagte ich mit einer kleinen Singstimme, die ein winziges Lächeln in Captain Hennessys Mundwinkel zauberte. Es verschwand jedoch so schnell wie es gekommen war.

“Ein Kurier, hm? Das hat mir niemand gesagt”, erwiderte sie und blickte mich finster an. Sie stand einen Moment lang mit verschränkten Armen da, biss sich auf die Unterlippe und dachte nach.

“Es geht doch nichts über die Bürokratie, um die Arbeit zu erschweren”, bot ich an.

Sie stemmte die Hände in die Hüften.

“Das ist meine Bürokratie, von der du da sprichst.”

Ich schluckte. Das war eine dumme Bemerkung.

“Hören Sie”, sagte Hennessy, “ich will zurück auf den Planeten, aber irgendetwas auf Ihrem MobiGlas hat unsere neuen Sensoren ausgelöst. Und wir mögen es auch nicht, wenn Leute unsere Sicherheitsbereiche aufzeichnen. Wir haben eine Kamerataste an Ihrem Rucksack gefunden.”

Ich stieß einen überraschten Schrei aus.

“Oh, das habe ich ganz vergessen. Es ist meine erste Reise für die Firma und meine erste Reise außerhalb meines Heimatplaneten. Ich dachte, ich würde alles aufnehmen. Sie wissen schon….”

Ich zuckte mit den Schultern. Captain Hennessy brummte etwas.

“Was die Datei angeht, so nehme ich an, dass das meine Sendung ist”, sagte ich. Hennessy holte ihr MobiGlas heraus und begann, einige Informationen durchzusehen. Die ganze Zeit über biss sie sich auf die Unterlippe und seufzte. Ich konnte förmlich spüren, wie sie in Gedanken zurückblickte, als ob sie sehen könnte, woher sie gerade geholt worden war. Als Hennessy wieder die Stirn runzelte, wusste ich, dass ich in Schwierigkeiten steckte. Vielleicht wollte sie zurück zu ihrer Freizeitbeschäftigung, aber ich konnte auch sehen, wie korrekt ihre Uniform war, obwohl sie kaum Zeit gehabt haben musste. Sie war eine Frau mit Pflichtbewusstsein und Verantwortung.

“Die Gesamtgröße der Dateien auf Ihrem Gerät übersteigt bei weitem das, was die FTL für Ihre Sicherheitsfreigabe genehmigt hat”, sagte sie und tippte erneut mit dem Finger auf den Bildschirm.

“Als frischgebackener Kurier sollten Sie nur Rezepte für Lammbraten und vielleicht eine Kopie mit sich führen können. Eine solche Dateigröße ist normalerweise nur bei großen Industrieprojekten oder komplexen Systemen üblich.”

Als ich den Mund aufmachte, wollte ich Captain Hennessy sagen, sie solle die FTL-Zentrale auf Castra II kontaktieren. Sie würden die Sache für mich aufklären. Aber ich zögerte. Aus zwei Gründen. Der erste war, dass es wahrscheinlich Tage dauern würde, bis sich die Firma bei Captain Hennessy melden würde. Nicht nur, dass ich dann die Zeit in einer Zelle wie dieser verbringen müsste, ich würde auch meinen Liefertermin verpassen. Das zweite war mehr eine Spekulation – während der wenigen Wochen der Ausbildung, die wir erhielten, hauptsächlich über die Feinheiten interstellarer Reisen und einen erbärmlich schwachen Selbstverteidigungskurs, wurde eine Anekdote über unsere bevorstehenden ersten Lieferungen erzählt. Es hieß, dass das Unternehmen neue Kuriere bei ihrem ersten Einsatz üblicherweise auf eine Scheinmission, im Firmenjargon “Lead Sled” genannt, schickte. Ein Weg, um Loyalität und Fähigkeiten zu bestätigen.

Einige Leute vermuteten sogar, dass sie mit Schauspielern und echten Beamten Hindernisse in den Weg legten, um zu sehen, wie der neue Kurier reagieren würde. Also hielt ich den Mund und überdachte meine Antwort, wobei ich mich zuerst räusperte, um meiner Verspätung Glaubwürdigkeit zu verleihen.

“Ich bin mir sicher, dass es sich um einen Fehler handelt”, sagte ich. “Vielleicht wollten sie es einem anderen Kurier geben, oder sie haben meinen Sicherheitsstatus nicht erkannt.”

Captain Hennessy verschränkte die Hände vor der Brust.

“…oder Sie dachten, Sie könnten diese illegalen Daten an meiner Station vorbeischleusen. Vielleicht arbeiten Sie für jemand anderen und sind nur in diesen Dienst eingetreten, um die Sicherheitsfreigabe zu nutzen. Wir haben diesen neuen Detektor gerade erst installiert, also konnte niemand davon wissen.”

Obwohl ich unschuldig war, fühlte ich mich schuldig. Vor allem, weil ich wusste, wie es aussah und es sah nicht gut aus. Ich war kurz davor, in den “Klein-Mädchen-Modus” zu wechseln, ein Trick, den ich auf Castra II mehr als einmal zu meinem Vorteil genutzt hatte. Ich wog nur fünfundvierzig Kilo – und das auch nur dann, wenn ich eine große Mahlzeit gegessen hatte. Ich hatte zierliche, elfenhafte Ohren. Mein Vater behauptete gern, dass meine Mutter Abigail in Wirklichkeit eine Feenkönigin war, die er den Feen gestohlen hatte und dass sie nicht wirklich gestorben war, sondern nur nach Hause zurückgekehrt sei. Es war eine schöne Lüge, die ich mir mehr als einmal eingeredet hatte.

Aber dann sah ich zu Captain Hennessy auf. Ich hatte ihren Typ in der Bar gesehen. Früher, als sie noch jünger war, hatte die Pflicht ihr einen festen Halt in einem zerbröckelnden Leben gegeben. Vielleicht hatte sie einen misshandelnden Vater oder eine schlechte Ehe gehabt, aber der Sicherheitsdienst hatte ihr eine Möglichkeit gegeben, einen Teil ihres Lebens zu kontrollieren. Ich wusste nicht, ob es klappen würde, aber ich musste es riskieren. Ich ließ die Schultern sinken und legte das Kinn auf meine Brust.

“Es spielt keine Rolle”, sagte ich. “Selbst wenn es ein Fehler ist, werde ich meinen Abgabetermin verpassen und sie werden mich feuern. Es ist genauso, wie mein Vater gesagt hat, dass ich es irgendwie vermasseln würde. Jetzt muss ich wieder nach Hause.”

Als ich einen kurzen Blick nach oben riskierte, sah ich, dass Captain Hennessy zusammenzuckte, wenn auch nur für einen Moment. Es half, dass das meiste von dem, was ich sagte, stimmte. Ich wollte nicht zurückgehen. Und mein Vater hatte gesagt, ich würde es vermasseln. Aber irgendetwas aus der Vergangenheit des Captains war durch mein Jammern ausgelöst worden. Ihre Augenbrauen waren wie versteinert, ihre Muskeln waren angespannt und ihre Augen lagen tief in den Schatten Ihrer Augenhöhlen. Sie presste ihre Lippen so fest zusammen, dass sie leichenblass wurden. Ich stützte meine Stirn auf meine Handflächen und wartete. Captain Hennessy klopfte energisch auf ihr MobiGlas und seufzte zwischen jedem fünften Klopfen. Sie murmelte etwas von einem Strand und dass sie nie frei hätte.

“Sorri”, sagte sie zu mir, mehr ein Befehl als eine Frage. Ich schaute sie mit aufgerissenen Augen an.

“Ja, Ma’am?”

“Die Menge an Papierkram, die ein Sicherheitsverstoß wie dieser verursacht, ist atemberaubend”, sagte sie, den Finger auf ihrem MobiGlas.

Mein Magen drehte sich um. Ich konnte schon hören, wie mein Vater mich über meine Dummheit belehrte, wenn ich nach Hause zurückkehrte.

“…aber das Wenige, was ich über Sie herausfinden kann, bestätigt …”, und sie schüttelte den Kopf, als könne sie nicht glauben, was sie da sagte, “… und ich habe fast ein Jahr auf diese Auszeit gewartet. Wenn ich mich mit Ihrer Angelegenheit auseinandersetzen muss, verpasse ich die ganze verdammte Sache.”

Ich hielt den Atem an, während sie blinzelte und einen kurzen inneren Monolog mit sich selbst führte. Ich wusste, dass ich noch nicht außer Gefahr war. Schließlich kam sie zu einem Schluss und ich konnte erkennen, dass dies das Puzzleteil war, das die Entscheidung in meine Richtung lenkte.

“Und ich weiß ein wenig darüber, dass ein junges Mädchen nicht nach Hause zurückkehren will. Also werde ich diesen Verstoß aus dem System entfernen und Sie auf den Planeten lassen.”

“Danke, Captain Hennessy”, sagte ich und die Erleichterung floss durch jede Faser meines Körpers.

“Jetzt muss ich gehen”, sagte sie, ein unerwartetes Lächeln auf den Lippen.

“Ich werde Sie doch nicht wiedersehen, oder?”

Ich nickte enthusiastisch. Nachdem Hennessy gegangen war, kam einer der Sicherheitsbeamten mit meinen Unterlagen herein. Er schüttelte die ganze Zeit den Kopf, als hätte er gerade Gespenster gesehen. Der Flug mit dem Shuttle auf den Planeten war kurz und beängstigend. Über New Alexandria hatte sich eine Wolkenschicht gebildet, so dass man kaum etwas sah. Als wir ankamen, schulterte ich meinen Rucksack, löste erneut die ferngesteuerte Kamera aus und machte mich auf den Weg zu den Ausgängen des Raumhafens. Ich wich Menschenmassen aus. Meine Beine waren noch immer zittrig vom Verhör und dem beschwerlichen Abstieg auf den Planeten. Immerhin hatte Oya III eine ähnliche Schwerkraft wie Castra II.

Ich war stark für meine Größe und als Mädchen hat mich der Aufenthalt in der Sicherheitskontrolle hungrig gemacht. Als Erstes wollte ich mir in den Basaren rund um New Alexandria einen Essensstand suchen. Als der Raumhafen gebaut worden war, waren die Arbeiter in Lagern untergebracht worden und mit der Zeit hatten sich diese Lager zu einem Ring aus Neubauten und Barackensiedlungen weiterentwickelt. Der wahre Reichtum der Stadt lebte weiter südlich, aber ich würde nach Norden zur Anlage der WillsOp Corp. fahren. New Alexandria war bekannt für seine gewürzten Lammspieße und ich schwöre, dass ich sie förmlich riechen konnte. Ich stand neben den Hover-Taxi-Schlange und versuchte, mich mit Hilfe der Kartenfunktion des von der Firma ausgegebenen MobiGlases zu orientieren. Ich schmeckte schon fast das scharfe, würzige Fleisch, wie es auf meiner Zunge explodierte.

Da hörte ich das leise Summen eines Elektrorads, das direkt neben mir hielt. Ich blickte auf und sah in das Gesicht eines riesigen Mannes. Sein Haar war tiefschwarz und sein grobes Kinn mit schwarzweißen Stoppeln passte zur Farbe seiner Haare. Sein Körpergeruch war penetrant. Ich dachte, er wolle nach dem Weg fragen. Dann aber sah ich die Kälte in seinen Augen und er streckte seine kräftige, fleischige Hand nach mir aus und riss mir das MobiGlas vom Arm.  Als er davonraste, warf er mir einen kurzen Blick zu, der sagte: Folge mir und du bist tot.

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Kapitel 03

Als mir die Tränen kamen, konnte ich sie nicht zurückhalten, was meine Gefühle nur noch schlimmer machte. Ich weinte nicht leicht und ich weinte schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Das einzige Mal, dass ich mich erinnern konnte, vor anderen Menschen geweint zu haben, war bei der Beerdigung meiner Mutter und da war es mir egal, was die Leute von mir dachten.

Die meisten der Reisenden, die in dem riesigen Raumhafen unterwegs waren, waren geschäftlich unterwegs und stiegen in die Hover-Taxis, die sie zu ihren Terminen brachten. Als ich anfing zu schluchzen, war es, als hätte mich eine infektiöse Krankheit erwischt und plötzlich war eine Blase aus Raum um mich herum. Ich vergrub mein Gesicht in meinem Ellbogen. Als die Tränen endlich versiegten, holte ich tief Luft.

Der Täter, der mein MobiGlas entwendet hatte, war kein Schauspieler gewesen. So viel wusste ich. Ich hatte schon öfter solche Kerle in die „Goldene Horde“ kommen sehen und mein Vater war immer schnell dabei, sie zu erkennen und mich zum Schutz nach hinten zu schicken. Sie hatten etwas Unheimliches an sich, als wären sie wilde Tiere, die auf eine Schafherde losgelassen wurden. Ich war bereit gewesen, mir auf der Station etwas vorzumachen, indem ich dachte, dass der Captain vielleicht eine Schauspielerin gewesen sein könnte, Teil der Versuchsmission, auf die ich geschickt worden war. Aber diese Illusion war nun zerstört. Außerdem wurde mir klar, dass die Firma mich vielleicht mit den falschen Daten losgeschickt hatte. Vielleicht waren es beabsichtigt falsche Daten und sie hatten geplant, sie durch die Sicherheit der Station zu schmuggeln. Und dieser Dieb, eindeutig ein Krimineller, hatte das erfahren. Umso wichtiger war es, die Daten wiederzubekommen.

Ich kniff mir in den Arm und war wütend auf mich selbst, weil ich so sorglos mit dem MobiGlas umgegangen war. Wenn ich es nicht zurückbekäme, würde man mich sicher aus dem FTL entlassen, vielleicht müsste ich sogar eine Geldstrafe bezahlen und dann stünde ich nicht nur als Versagerin da, sondern müsste verschuldet zu meinem Vater zurückkehren. Aber wie sollte ich das MobiGlas zurückbekommen? Wie Captain Hennessy gesagt hatte, war ich ein Neuling, der noch keine Erfahrung hatte. Ich wusste nicht, wer dieser Mann war oder wohin er wollte. Und jetzt hatte er einen Vorsprung von gut zehn Minuten auf einem Elektrorad, während ich zu Fuß unterwegs war.

In diesem Moment knurrte mein Magen und erinnerte mich an ein anderes Problem. Ich war am Verhungern. Schwach vor Hunger, um genau zu sein. Mein Vater pflegte stets zu sagen, dass ich wie ein Vogel aß. Ich dachte immer, dass ich den Stoffwechsel eines Kolibris hatte, aber das bedeutete, dass ich immer essen musste. Es war ja nicht so, dass ich eine Idee gehabt hätte, diesen Kerl zu finden. Ich beschloss daher zuerst einen Verkäufer von gewürztem Lamm-Kebab zu finden, während ich meine Optionen durhging. Als ich nach den Riemen meines Rucksacks griff, berührte meine Hand den Kameraknopf und mein Gesicht errötete vor Aufregung. Schnell nahm ich den Rucksack runter und kramte darin herum, bis ich mein persönliches MobiGlas fand. Ich hatte vergessen, dass ich es hatte, mit hoffentlich)laufender Kamera…

“Bitte nimm noch auf, bitte nimm noch auf”, murmelte ich, als ich die Kameradateien aufrief. Erleichtert entwich ein Pfiff meinen Lippen, als ich sah, dass sie immer noch aufnahm. Ich ließ die Szene von vor zehn Minuten noch einmal ablaufen. Die Kamera war etwas weiter unten angebracht, so dass ich den Kerl in einem Aufwärtswinkel sah und zwar direkt auf seine Brust und sein Kinn. Dann wackelte die Aufnahme, als er mir das MobiGlas entriss und davon raste. Ich wiederholte die Szene dreimal, bis ich sah, was ich brauchte. Zuerst einmal war da das Nummernschild des Elektrorads, einschließlich des Aufklebers der Verleihfirma. Wenn er den ganzen Diebstahl nicht schon vor Wochen geplant hatte, konnte ich seine Identität vielleicht über den Vermieter herausfinden.

Der zweite Hinweis, der besorgniserregendere, war, dass er unter seiner Lederjacke einen Deep-Space-Overall trug. Ich hatte zwar nur sein Gesicht gesehen, als er das MobiGlas stahl, aber die Kamera zeichnete seine Brust auf. Es schien wahrscheinlich zu sein, dass er irgendwo ein Schiff versteckt hatte, entweder auf dem Planeten oder in einer nahen Umlaufbahn. Das bedeutete aber auch, dass er das Elektrorad nicht zurückgeben würde. Aber wenn ich herausfinden könnte, wo er es gemietet hatte, würde mir das vielleicht sagen, wo er sein Schiff gelandet hatte. Es war auf jeden Fall eine Chance, aber nur, wenn ich seine Spur sofort verfolgte. Was bedeutete, dass ich nicht zum Essen kommen würde. Ich seufzte. Dann hielt ich ein Taxi an, nur einen Landcruiser, denn ein Schwebefahrzeugs konnte ich mir nicht leisten. Als der Fahrer mich fragte, in welche Richtung ich wolle, hielt ich inne. Ich wusste nicht, wohin er unterwegs war, also musste ich eine Vermutung anstellen.

Der Süden war die wohlhabendere Region, also war es unwahrscheinlich, dass das sein Ziel war. Der Norden war eher industriell geprägt, also gab es dort viele Überwachungskameras. Blieb noch West oder Ost. Ein kurzer Blick auf die Karte meines MobiGlas zeigte mir, dass die Westseite von New Alexandria weniger besiedelt war. Ich fand ein Dorf entlang der Hauptstraßen und sagte dem Fahrer, er solle dorthin fahren. Der Westen machte auch deshalb Sinn, weil er mit einem Elektrorad unterwegs war. Er brauchte daher Straßen, die von der Landbevölkerung genutzt wurden. Während das Taxi fuhr, rief ich bei den örtlichen Verleihern an und fragte, ob ein Mann meiner Beschreibung kürzlich ein Elektrorad gemietet hatte.

Niemand wollte mir etwas sagen. Ich erfand eine Notlüge und erzählte, dass es sich um meinen Mann handelte, der mich und mein Baby verlassen wolle und Zweitens, dass er nicht vorhätte das Rad zurückzugeben. Beim dritten Versuch fand ich die richtige Firma. Es war draußen im Westen, etwa hundert Kilometer von der Stadt entfernt. Ich rechnete mir aus, dass ich kaum genug Geld für das Taxi haben würde. Wenn ich noch weiter nach Westen fahren müsste, wäre ich pleite. Irgendwie bereute ich mein Vorhaben bereits. Es wäre sicherer, umzukehren, meine Mittel zu schonen und die Zeit damit zu verbringen, mir zu überlegen, wie ich das Geld für die Rückzahlung an FTL verdienen könnte.

Die andere Möglichkeit wäre gewesen, das einfach zu ignorieren und auf dem Planeten zu bleiben, mir einen Job zu suchen, der meinen Fähigkeiten entsprach. Was auch immer das sein mochte. Aber ein kleiner Funken in mir wollte diese Gelegenheit einfach nicht verstreichen lassen. Ich hatte jahrelang geplant und gespart, um so weit zu gelangen. Ich konnte nicht zulassen, dass mich nun ein bisschen Pech aufhielt. Außerdem wollte ich nicht mit leeren Händen und verschuldet zu meinem Vater zurückkehren.

Ich schlug mit der Hand auf den Sitz und erntete einen vorwurfsvollen Blick des Fahrers. Dann knurrte mein Magen wieder. Gerade als ein leichter Schauer gegen die Taxifenster zu prasseln begann, fuhren wir an einer mindestens einen Kilometer langen Reihe von Imbissbuden vorbei. Sofort hörte ich die Verkäufer, die in ihrem typischen Dialekt ihre Waren anpriesen: gebratene Käseknödel, Tunnelvogel-Eintopf, Apfelpops, Schnellbier und vieles mehr. Wegen des Verkehrs kamen wir nur langsam an den Ständen vorbei. Wäre ich nicht so hungrig gewesen und hätte ich nicht sehnsüchtig auf jeden vorbeifahrenden Stand gestarrt, hätte ich vielleicht den Dieb übersehen, der unter einem der Vordächer kauerte.

“Anhalten”, rief ich und wir hielten sofort hinter einem riesigen transkontinentalen Truck an. Der Kerl war gerade dabei, ein paar Spieße zu essen, gewürztes Lamm, wie ich aufgrund seines zufriedenen Gesichtsausdrucks vermutete. Das passte. Er lutschte gerade das Fleisch vom Spieß, also beschloss ich zu einem der Stände zu rennen. Ich brauchte etwas in meinem Bauch, mir war regelrecht schwindelig. Der Regen hatte zugenommen und ich schlängelte mich durch die Menge zu einem der Essensstände mit der kürzesten Schlange und wischte mir das Wasser aus dem Gesicht. Gebratene Käseknödel. Ich war kein Fan davon, aber ich wollte auch nicht wählerisch sein. Obwohl die Schlange so kurz war, ging es nur langsam voran. Ich ballte die Fäuste, wollte, dass es schneller ging, aber das Gegenteil war der Fall. Mein Magenknurren vermischte sich mit meinen gemurmelten Flüchen. Und gerade als ich endlich an die Reihe kam und der Verkäufer, ein braungebrannter Mann mit tätowierten Zahlen im Nacken, fragte, was ich wolle, sah ich, wie mein Ziel zu seinem in der Nähe geparkten Elektrorad ging.

Er stieg auf und fuhr davon. Ich fluchte ich und rannte zurück zum Taxi.

Ich folgte dem Kerl noch weitere dreißig Kilometer und dachte die ganze Zeit nur mein verpasstes Essen. Dann bog der Dieb von der zweispurigen Hauptstraße ab und fuhr auf einen Schotterweg ein, der zwischen ein paar Bauernhöfen verlief. Es wurde schon fast dunkel und die Wolken trübten das Licht. Hinter den Farmen ging die Landschaft in Wald über, doch die Bäume waren kurz und gedrungen und hatten gelbgrüne Blätter, die durch mein offenes Fenster nach Eukalyptus rochen. Als ich den Gleiter durch eine Lücke in den Bäumen sah, ließ ich mich vom Fahrer absetzen. Er fragte, ob er warten solle, aber ich hatte kein Geld für die Rückfahrt, also sagte ich ihm, er brauche nicht zu warten. Er nahm meine Zahlung über das MobiGlas entgegen, was mein Konto bis auf den letzten Cent leerte. Ich schlich den Weg hinunter und achtete auf die Reifenspuren im nassen Gras.

Als ich an den Rand der Lichtung ankam, kauerte ich mich hin und sah mich um. Abgesehen von dem stahlgrauen Schiff, dessen Bug von zahlreichen Wiedereintritten regelrecht verbrannt war, war die Lichtung leer. Auf den Fersen hockend, traf mich ein Moment der Vernunft. Was bei allen Tiefen des Weltraums hatte ich hier zu suchen? Dieser Mann war wahrscheinlich ein Mörder, zumindest aber ein Krimineller. Ich schloss die Augen und lauschte dem Zirpen der Insekten in den Bäumen. Genau in dem Moment, als ich beschloss, meine törichte Suche nach dem MobiGlas der Firma aufzugeben, hörte ich irgendwo hinter mir einen Zweig knacken.

“Hartnäckiges kleines Gestrüpp”, sagte eine Stimme, die ungefähr von der Stelle des abgebrochenen Astes kam.

“Es scheint, Dario hat einen Verbündeten gefunden.”

Die Diktion des Sprechers verwirrte mich. Es war der geschmeidige Dialekt eines Aristokraten, nicht der eines Schlägers. Aber ich hatte keine Gelegenheit, den Sprecher zu sehen, bevor mich etwas in den Rücken stach und ich bewusstlos wurde.

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Kapitel 04

Das Vibrieren meiner Wange weckte mich, es war der Quantenantentrieb eines Schiffes. Auf der Seite liegend, presste ich meine Handflächen gegen meine Augen und rieb sie, bis ich wieder sehen konnte. Was immer mich betäubt hatte, machte mich ziemlich groggy – so, als müsste jeder Gedanke durch einen Eimer Schlamm kriechen. Als ich mich aufsetzte, klapperten die Fesseln an der Türverkleidung. Um meine Handgelenke waren Drahtschlaufen gelegt worden. Die anderen Enden waren mit dem Boden verschraubt. Ich hatte genug Spiel, um mein Gesicht zu erreichen, aber mehr auch nicht.

Der Pilotensitz drehte sich um und enthüllte den Rohling, der mein MobiGlas gestohlen hatte. Er trug einen marineblauen Druckanzug, ohne Handschuhe und Helm. Er stemmte die Fingerspitzen ineinander und schaute mich streng an. Ich fühlte mich wie ein Huhn im Stall, das zur Schlachtung auserkoren war.

“Sie wollen mich nicht umbringen”, platzte ich heraus.

Seinen Augenbrauen hob sich.

“Will ich nicht? Klär mich auf, kleines Mädchen.”

Ich konnte nicht anders, als den Kopf zu schütteln. Diese klug klingende Stimme, die aus diesem brutalen Körper kam, war ein Widerspruch. Außerdem wurde mir klar, dass es ein Fehler von mir war, zu sprechen, bevor ich den Stand der Dinge kannte. Hinter dem brutalen Körper war auf dem Bildschirm die schwarze Leere des Weltraums zu sehen, mit Ausnahme eines kleinen rötlichen Punktes, der sich genau in der Mitte des Bildschirms befand. Der dünne Schleier um ihn herum sah wie ein Planet aus. Wahrscheinlich ein Gasriese.

“Wie ist Ihr Name?”, fragte ich.

Er leckte sich über die Lippen.

“Burnett.”

“Nun, Burnett”, erwiderte ich und blickte mich im Cockpit um, “ich bin Sorri, aber nicht sorry.”

Bei meinem Scherz kräuselte sich seine Oberlippe und zeigte seine Zähne.

“Ich weiß, wer du bist.”

Ich wusste nicht, wer dieser Burnett war, nur dass er mein MobiGlas gestohlen und mich entführt hatte. Ich reckte den Hals, um mehr vom Cockpit des Schiffes zu sehen. Burnett schien mich zu beobachten wie eine Katze, die eine gefangene Maus nicht aus den Augen ließ. Ich suchte in meinem Gedächtnis nach etwas, das mir helfen könnte. Das  letzte, an das ich mich  erinnerte, war, was Burnett zu mir gesagt hatte: „Es scheint, als hätte Dario einen Verbündeten gefunden.“ Was bedeutete das? Meine Augen weiteten sich, als ich die Punkte miteinander verband – Dario, der Typ auf der „Solar Jammer“, hatte etwas auf mein MobiGlas gespeichert. Das hatte der Sicherheitsdienst gesehen. Sie hätten mich nie gehen lassen dürfen.

Es war halb Erkenntnis, halb Bedauern. Burnetts Augenwinkel zogen sich zusammen. Ich war zwei Schritte von diesem Biest von einem Mann entfernt und er hatte ein Messer an seiner Hüfte. Als ich auf den harten Metallboden blickte, lachte er.

“Keine Sorge. Ich werde dir nicht die Kehle durchschneiden. Dein Blut würde unter den Platten versickern und meine Elektronik stören. Wenn es an der Zeit ist, dich loszuwerden, werfe ich dich einfach aus der Luftschleuse.”

“Worauf wartest du dann noch?”, fragte ich mit erhobenem Kinn und sah ihm direkt in die grünbraunen Augen.

Ich biss mir auf die Unterlippe, damit sie nicht zitterte.

“Nun, ich hoffe, du packst aus, was du und Dario, für einen Plan hattet.”

“Aber ich kenne ihn nicht. Ich bin nur ein Kurier für FTL. Wenn man eine Nachricht überbringen muss, geht nichts schneller als das Licht.”

Die Worte überschlugen sich, als sie mir über die Lippen sprudelten. Ich konnte spüren, wie die Uhr meines Lebens in den letzten Sekunden tickte. Er blinzelte und rutschte in seinem Sitz nach vorn.

“Ich habe das Gefühl, dass du die Wahrheit sagst. Aber vielleicht muss ich dir das Messer an der Kehle ansetzen, um ganz sicherzugehen, dass du nicht nur eine gute Lügnerin bist.”

“Was willst du wissen? Ich habe doch nichts zu verlieren, oder?”

Burnett schien mein Angebot zu überdenken.

“Du kennst Dario nicht persönlich?”, fragte er nach einer Weile.

“Nein”, sagte ich.

“Ich habe auf der Hinfahrt mit ihm gesprochen, nur kurz zu Beginn des Fluges. Er muss sich in mein MobiGlas gehackt haben, als ich schlief. Er hat diese Datei darauf gespeichert. Ich schätze, was immer es ist, es ist wichtig?”

“Zerbrech dir darüber mal nicht deinen kleinen Kopf.”

“Er ist dein Rivale, nicht wahr? Du hast herausgefunden, was er vorhatte – mich zu benutzen, um die Daten an den örtlichen Sicherheitskräften vorbeizubringen. Also hast du einfach auf dem Planeten gewartet und sie dir dann geschnappt.”

Burnett nickte zustimmend.

“Es kann nicht schaden, dich das wissen zu lassen: Neue Kuriere erhalten nie wichtige Daten, sondern meist nur gefälschte, um sie zu testen. Du hattest also nicht die hochklassige Sicherheit, die diese Art von Daten benötigt. Als ich Dario dabei erwischte, wie er in deinem MobiGlas schnüffelte, ging ich das Risiko ein, dass er diesen Trick noch einmal maccht.”

Dann stand er auf, der Stuhl ächzte unter seiner Last. Er musste den Kopf gesenkt halten, um nicht gegen die Decke zu stoßen. Als er die Lippen zusammenpresste und seufzend aus der Nase blies, verdrehte sich mein Magen zu einem Knoten.

“Und jetzt ist es Zeit, sich zu verabschieden. Es tut mir wirklich leid, dass Dario dich benutzt hat, aber du hättest mir nicht folgen sollen”, sagte er und schnappte sich einen Schraubenzieher vom Nebensitz.

Als er auf mich zukam, dachte ich daran, ihn wie eine wild gewordene Katze zu kratzen, aber das hätte ihn nur wütend gemacht. Ich musste mich zusammenreißen. Er beugte sich hinunter und begann, das Kabel vom Boden abzuschrauben, ohne sich auch nur im Geringsten um mich zu kümmern. Neben ihm kam ich mir vor wie ein Kind. Das Messer an seinem Gürtel war nur eine Armlänge entfernt, aber ich wusste, dass er schneller sein würde als ich. Ich schaute aus der Cockpitscheibe. Der rötliche Gasriese war jetzt ein Objekt von ansehnlicher Größe.

“Du willst die Daten an ein paar Piraten verkaufen, hm?”

Ich nickte mit dem Kopf in Richtung Cockpit, aber ich fürchtete, dass es amateurhaft wirkte. Sein rechtes Auge zuckte.

“So ungefähr”, sagte er, trat auf das erste Kabel, damit ich meinen Arm nicht bewegen konnte und begann mit dem zweiten.

“Ich wette, Du wirst nicht erfreut sein, wenn die UEE auftaucht”, sagte ich. Er verengte seinen Blick, als er das zweite Kabel lockerte, aber er arbeitete weiter. Er packte die Enden und zog mich hoch. Er zog mich hinter sich her in die Hauptkabine hinter dem Cockpit. Auf einem Tisch lag der Inhalt meines Rucksacks, einschließlich des anderen MobiGlases und meiner persönlichen Sachen. Im hinteren Teil des Raumes befand sich die Luftschleuse. Burnett führte mich zur Tür und begann, seine Druckhandschuhe anzuziehen und sie zu verschließen. Mit jedem Schnappen des Handschuhs, vergrößerte sich meine Angst. Dann zog er seinen Schraubenzieher heraus und begann, die Klammern um meine Handgelenke zu lösen. Seine fleischige Hand war, selbst mit dem Druckhandschuh wie ein Schraubstock um meine Arme. Ich hätte mich über blaue Flecken beschwert, aber das würde nicht mehr lange stören.

“Du weißt, dass das nicht funktionieren wird”, sagte ich, aber Burnett machte weiter.

“Ich wäre nicht auf dich losgegangen, wenn ich nicht eine Absicherung hätte.”

Er zuckte mit den Schultern und riss die Schraube aus der ersten Klemme. Das Metall fiel klappernd neben meinem Fuß auf den Boden.

“Ich bin nicht dumm”, sagte ich. “Ich habe ziemlich schnell herausgefunden, wo dein Gleiter war, oder?”

Er hielt inne, als die Schraube schon halb aus der zweiten Klemme heraus war. Die schwarzweißen Stoppeln auf seinem Kinn kräuselten sich, als er die Stirn runzelte.

“Rede weiter”, sagte er.

“FTL. Der Kurierdienst. Sie haben zwei Ausfallsicherungen. Eine in dem von der Firma ausgegebenen MobiGlas -“

Ich ertappte ihn dabei, wie er auf seine Brusttasche schaute,

“… die andere Ausfallsicherung injizieren sie uns irgendwo. Es sendet ein Signal aus, wenn wir sterben, wenn das MobiGlas zerstört wird oder aus einem anderen Grund. Vielleicht sendet es sogar gerade jetzt.”

Burnett knurrte und tippte mit seinen Fingern auf sein MobiGlas. Als er ein zufriedenes Grunzen von sich gab, wusste ich, dass er nach Kommunikation gesucht hatte, aber ohne Ergebnis. Burnett blickte finster in meine Richtung und entfernte die letzte Schraube. Als sie auf dem Boden aufschlug, zuckte ich zusammen. Er ließ meine Handgelenke los, so dass ich mich zurücklehnen konnte, um mein Gefühl in sie zurückzumassieren. Die ganze Zeit über beobachtete mich Burnett, eine Hand hielt schlaff den Schraubenzieher, die andere den Griff des Messers. Ich hatte das ungute Gefühl, dass er daran dachte, mich aufzuschneiden, um nach dem nicht vorhandenen Peilsender zu suchen. Das Schiff schickte eine Durchsage über die Lautsprecher:

“Wir nähern uns dem Ziel. Ankunft in fünf Minuten.”

Der Gasriese vor dem Schiff verschwamm auf dem Bildschirm, aber in der Mitte schwebte ein grauer Eismond. Unser Ziel, nahm ich an. Burnett griff nach mir und ich dachte, er würde mich gegen die Luftschleuse schleudern. Stattdessen gab er mir einen Stoß vor die Brust und knurrte.

“Na schön. Ich werfe dich nicht aus der Luftschleuse. Aber du wirst dir wünschen, ich hätte es getan.”

Ich wollte schlucken, aber ich bekam die Spucke nicht runter.

“Warum das?”

“Hast du jemals von den Stardevils gehört?”, fragte er.

Ich schüttelte den Kopf.

“WiDoW-Junkies. Anstatt dich zu töten, werde ich dich einfach an diese Leute verkaufen. Wir machen ein bisschen Profit und wenn sie dich versehentlich bei ihren speziellen Schmerzorgien töten, wird dein kleines Signal, wenn es denn da ist, die UEE auf ihren madenverseuchten Schädel bringen. Aber das wird mir egal sein, denn ich werde schon lange weg sein.”

Meine Beine wurden schwach und ich sackte gegen die Tür, wobei ich mich halb gegen die Luftschleuse stemmte. Meine Schwäche war hauptsächlich der Hunger – ich hatte seit Tagen nichts mehr gegessen. Aber diese neue Vision von dem, was nun aus mir werden sollte, machte mich noch schwindliger vor Sorge. Burnetts Lippen spitzten sich nach hinten und enthüllten seine Zähne.

“Bist du sicher, dass du jetzt nicht doch lieber durch die Luftschleuse willst?”

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Kapitel 05

Die „Night Stalker“, Burnetts Schiff, raste geradezu in die Andockstation und das Geräusch von kreischendem Metall war überall zu hören. Beim Blick aus dem Backbordfenster  spiegelte sich der von Meteoriten zernarbte Hafen der Stardevils im rötlichen Licht des Gasriesen. Die Basis sah aus, als hätte man zwei oder drei alte Starfarer zusammengeschweißt.

“Home Sweet Home”, sagte Burnett hinter mir. Er zeigte mir seine Zähne und ich starrte wieder auf die Basis des Stardevil.

“Warum tust du das?”, fragte ich.

“Warum tue ich was?”

Ein Schraubenschlüssel oder ein anderes schweres Gerät schlug gegen die Luftschleuse.

Man erlaubte uns einzutreten. Burnett bewegte sich auf die Tür zu, also trat ich vor.

“Warum stiehlst du? Sag mir wenigstens das, bevor du mich verkaufst. So viel bist du mir schuldig.”

“Nein, das bin ich nicht”, erwiderte er und sah mich mit halbgeschlossenen Augen an.

“Nun, es wird Dich auch nichts kosten.”

Burnett gab ein knurrendes Geräusch von sich.

“Na schön. Es ist ja nicht so, dass es lange etwas ausmachen würde. Die UEE stinkt nach Korruption, jeder verdammte Konzern betrügt und wenn man versucht, das Richtige zu tun, wird man aufs Kreuz gelegt. Irgendwann hat man es einfach satt und nimmt sich, was einem zusteht.”

Er legte seine Stirn in Falten, als wollte eine Erinnerung in ihn eindringen. Als er mich wieder anblickte, versuchte ich, nicht zurückzuweichen.

“Solange wir hier sind, erwarte ich von dir nichts als Schweigen. Wenn du brav bist, sage ich ihnen, dass du einige Fähigkeiten hast, die sie gebrauchen können. Wenn du mir aber auf die Nerven gehst, sage ich ihnen, dass du nur für eine Sache gut bist und ich denke, du kannst dir denken, was das ist. Hast du das verstanden?”

Ich nickte.

“Gut”, sagte er und tippte den Code ein, der die Luftschleuse öffnete. Musik strömte in die „Night Stalker“, sofern man die Definition von Musik großzügig handhabte.

Ein dröhnender Bass klang wie eine einzige Note, die auf Wiederholung gestellt und auf hirnschmelzende Lautstärke aufgedreht war. Darüber lagen andere kreischende Instrumente, aber es war schwer, sie voneinander zu unterscheiden, Das ganze Durcheinander hätte auch Stimmungsmusik für eine Roboter-Unterwelt sein können. Burnett schob mich durch die Luke, während ich mir die Ohren zuhielt. Die künstliche Schwerkraft war sehr hoch eingestellt und meine Beine gaben bei jedem Schritt nach. Burnett schien es hingegen zu genießen.

Das Innere der Basis ließ das chaotische Äußere fast wie geplant aussehen. An die Wände waren Rohre und andere willkürliche Formen aus Metall geschweißt worden. Ich sah das Stardevil-Begrüßungskomitee nicht, bis ein Mann aus dem Schatten trat. Er hatte Haare wie Gummischläuche, ein abnorm langes Gesicht und tiefschwarze Streifen an Armen und Hals. Das waren Zeichen eines intensiven WIDoW-Nutzers.

“Hast a Schwesta mitbracht, Bruda”, sagte der Stardevil mit den Gummischlauchhaaren, bevor er mich am Arm packte und den Gang hinunterzerrte. Ich wehrte mich gegen ihn, aber er war an die höhere Schwerkraft gewöhnt und meine Stiefel rutschten über das Metallgitter. Burnett trat vor und stieß den Stardevil in den Rücken, so dass er meinen Arm losließ.

“Nimm deine verdammten Hände weg”, sagte Burnett.

Ich rieb mir den Arm.

“Danke.”

“Sie haben noch nicht für dich bezahlt”, sagte er und sah weg.

Eine Frauenstimme ertönte über die Musik hinweg.

“Nun, Burnett, hast du uns diesmal mehr als nur ein kleines Entschlüsselungsgeschäft mitgebracht?”

Die Frau war lang und geschmeidig, wie eine Tänzerin, mit schwarz-weißen Rastalocken und trug einen schwarzen Lederoverall. Sie war nicht sonderlich hübsch, aber sie hatte das Selbstbewusstsein eines Models.

“Frischfleisch, Synthia, wenn du es willst”, sagte er achselzuckend.

“Aber wenn nicht, kann ich es auch woanders verkaufen. Ich muss nur diese Daten öffnen. Das Mädchen ist ein Bonus.”

Synthia warf mir einen prüfenden Blick zu.

“Folge mir.”

Die folgende Passage glich dem  Traum eines verrückten Künstlers. Wenigstens war die Musik im nächsten Teil des Schiffes nicht so ohrenbetäubend. Synthia brachte uns zu einer Art Bar, wenn man gerne auf spitzen Gegenständen saß. Ich warf einen Blick auf den Hocker aus verbogenen Gewehren und blieb stehen. Burnett lehnte sich klugerweise an die Bar, während Synthia auf einem klobigen, geformten Stuhl Platz nahm, dessen Rückenlehne aus scharfen Nägeln bestand.

“Zeig es uns”, sagte Synthia und zupfte an einem ihrer Fingernägel. Burnett zog das gestohlene MobiGlas mit zwei Fingern aus seiner Brusttasche und warf es Synthia lässig zu. Ich musste ein Geräusch in meiner Kehle gemacht haben, denn Burnett warf mir einen strengen Blick zu, der mich daran erinnerte, meine Klappe zu halten. Synthia leckte sich die Lippen und tippte eine Minute lang gekonnt auf dem Gerät herum, bevor sie aufblickte.

“Und?”, fragte er.

“Es ist möglich”, sagte sie und ihre Lippen kräuselten sich, “für den doppelten Preis.”

Die Ader in Burnetts Nacken pulsierte auf Hochtouren. Aber er schluckte es hinunter und antwortete, nachdem er seinen Hals gestreckt hatte.

“Eins-Fünfzig und du bekommst das Mädchen dazu.”

Er nickte in meine Richtung. Synthias Mund verengte sich.

“Die? Du verarschst mich, oder? Sie sollte besser in der Lage sein, eine Avenger mit verbundenen Augen kurzzuschließen, um das wert zu sein.”

Ein tiefes Grummeln begann in Burnetts Brust. Als seine Stirn in sich zusammensackte, wusste ich, dass er nachgeben würde. Wenn du mich später fragen würdest, warum ich mich in diesem Moment zu Wort meldete, würde ich sagen, dass es eine unbewusste, schnelle Entscheidung war, aber das wäre gelogen. In Wirklichkeit war es Stolz und ich wusste nicht einmal, über wie viele Credits sie sprachen.

“Ich bin doppelt so viel wert”, sagte ich, als Burnett gerade etwas sagen wollte.

Synthias Gesichtsausdruck schien erstaunt und das war wahrscheinlich das Einzige, was sie davon abhielt, zu bemerken, dass Burnett im Begriff war, nach mir zu greifen und mich zu erwürgen.

“Ich bin ausgebildeter Chemiker”, platzte ich heraus.

“Ich kann die Effizienz eurer WIDoW-Herstellung verdoppeln. Und zwar nicht mit Schrott. Nur hohe Qualität. Weniger Nebenwirkungen und bessere Verkaufszahlen.”

“Burnett?”, fragte Synthia. „Verarsche mich nicht. Wenn sie lügt und meine Zeit verschwendet, dann sind es Zwei-Fünfzig.”

Wenn in diesem Moment die Ader an Burnetts Hals geplatzt wäre, hätte es mich nicht gewundert. Ich spuckte die Worte aus, bevor er sie ruinieren konnte:

“Meinem Vater gehört eine Kneipe und wir haben unser eigenes Bier gebraut und als die Zeiten hart wurden, hat er auch andere Sachen gebraut.”

“Du könntest lügen, Mädchen”, sagte Synthia und tippte mit ihrem schwarzen Fingernagel auf ihre Unterlippe.

“Es ist auf meinem MobiGlas, hinten auf dem Schiff. Brauereibescheinigungen, Chemietexte, das ganze Zeug. Sie werden es sehen. Ich hole es, dann zeige ich es Ihnen.”

Als ich mich zur Tür bewegte, ergriff Burnett meinen Arm. Seine Finger gruben sich in den Muskel und ich musste einen Schmerzensschrei unterdrücken.

“Ich werde es holen.”

Er sprach jedes Wort so bedrohlich aus, dass ich schon spürte, wie meine Knochen knackten.

Er würde mich jetzt nicht einfach aus der Luftschleuse werfen – er würde mich stückchenweise rauswerfen.

“Du bleibst”, sagte er und deutete mit seinem fleischigen Finger auf den passenden Hocker gegenüber  Synthias. Nachdem Burnett gegangen war, verschränkte Synthia ihre Arme, legte den Kopf schief und leckte sich über die Lippen.

“Du lügst, nicht wahr?”

Ich hatte das Spiel eines Raumfahrers gespielt, ohne einen Plan in Sicht zu haben, aber die Art, wie sie mich ansah, wie ihre Augen in den Winkeln schelmisch funkelten, machte mir klar, dass ich mir schnell etwas einfallen lassen musste. Ich rieb mir die Schläfen. Was auch immer es war, es musste schnell gehen. Burnett würde bald mit meinem MobiGlas zurück sein und dann wäre ich tot.

“Er hat mich gekidnappt”, sagte ich. “Ich bin ein Kurier. Der Kurier, der das MobiGlas transportierte. Er wollte mich aus der Luftschleuse werfen, aber ich erzählte ihm von den Peilsendern, die die Firma zur Sicherheit an uns anbringt. Also beschloss er, mich zu Ihnen zu bringen, um seine Spuren zu verwischen, was auf dem anderen MobiGlas ist.”

“Und warum sollte ich dir glauben?”, fragte Synthia.

“Sie brauchen mir nicht zu glauben. Glauben Sie ihm. Ich habe alles aufgezeichnet, was er gesagt hat.”

Zumindest hoffte ich das.

“Es ist auf dem MobiGlas. Ich spiele es für Sie ab, wenn er zurückkommt.”

Synthia reckte ihren Nacken und ließ ihre Rasterlocken über die Schulter hängen. Dann murmelte sie einige Befehle, vermutlich um Verstärkung zu holen und warf mir einen abschätzigen Blick zu. Als Burnett zurückkam, warf er mir das MobiGlas zu. Seine Lippen waren zusammengepresst und seine Nasenlöcher zuckten.

“Zeig ihr die Daten.”

Ich klopfte auf das Glas, jubelte im Stillen, als ich feststellte, dass es immer noch aufzeichnete und reichte das MobiGlas an Synthia weiter. Sie legte das andere auf den Tisch und begann, die Aufzeichnung zu beobachten. Als ein halbes Dutzend weiterer Mitglieder der Stardevils mit Bleirohren und Brechstangen hereinspazierte und jeder von ihnen noch verdrehter aussah als Synthia, lehnte sich Burnett mit dem Rücken gegen die Bar und fletschte die Zähne. Seine Augen huschten durch den Raum. Er wusste, dass gleich etwas passieren würde.

“…uns der UEE überlassen?”, fragte Synthia mit gespielter Enttäuschung.

“Das ist aber nicht sehr nett, was man einem Geschäftspartner antut. Wenn ich diese Daten los bin, schieben wir dir vielleicht dieses MobiGlas in den Arsch und werfen dich aus der Luftschleuse.”

Ich wich von Burnett zurück, als die anderen auf ihn zukamen. Er knackte mit den Fingerknöcheln und sah aus, als wäre er bereit für einen Kampf. Obwohl sie in der Überzahl waren, wirkte er nicht eingeschüchtert. Tatsächlich sah er geradezu bereit aus, seine Fäuste zu schleudern.

“Ich wollte dir den Arsch aufreißen”, sagte Synthia, “aber ich habe beschlossen, dass ich der Bande zuerst ein bisschen Spaß gönne. Sie haben nicht so oft die Gelegenheit dazu.”

Als Burnett einen verzweifelten Ausfallschritt Richtung Synthia machte, griffen die anderen an. Der Kampf verlagerte sich schnell auf stumpfe Waffen und Fäuste und Burnett, der unbewaffnet war, hielt sich erstaunlicherweise gut. Ich nutzte die Ablenkung, um mir das MobiGlas zu schnappen und aus dem Raum zu flüchten, mein persönliches Glas ließ ich zurück. Ich war mir nicht sicher, ob sie mich gesehen hatten, aber ich rannte so schnell weiter, als ob sie es getan hätten. Zum Glück war jeder Korridor so einzigartig, dass ich den Weg zurück zur „Night Stalker“ leicht fand. Kaum war die Luftschleuse geschlossen, da rannte ich zum Cockpit und begann, wild auf die Knöpfe zu hämmern, in der Hoffnung, dass Burnett sein System nicht gesperrt hatte. Als ich die richtige Sequenz traf und die „Night Stalker“ sich von der Stardevil-Basis löste, stellte ich das Schiff so ein, dass es so schnell wie möglich nach Oya III flog. Ich schnallte mich an und bereitete mich auf die Beschleunigung vor, als eine Explosion das Schiff erschütterte.

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Kapitel 06

Nichts erschüttert einen Menschen so sehr wie der bevorstehende Tod. Ich war völlig erschöpft. Der Run durch die Piratenbasis hatte meinem zittrigen und erschöpften Körper einiges abverlangt. Ich hatte seit Tagen nichts mehr gegessen. Seit ich aus der „Solar Jammer“ über Oya III ausgestiegen war, war ich von einer heiklen Situation in die nächste geraten. Aber als die „Night Stalker“ zur Seite taumelte, fand ich den richtigen Knopf. Ich scannte die Anzeigen und suchte nach den Informationen, die ich brauchte.

“Verdammtes Schiff, wo ist dein Schadensbericht!”

Als ich endlich den richtigen Bildschirm fand und verstand, was er mir mitteilte, wurde mir wieder flau in der Magengegend. Eine tonlose Computer-Stimme informierte: “Manövriertriebwerke sechs und acht funktionieren nicht mehr. Kleines Leck im Frachtraum, Türdichtung hält. Ansonsten sind Sie aufgeschmissen.”

“Wem sagst du das”, erwiderte ich.

Die Menge der Informationen, die mir angezeigt wurde, war überwältigend. Überall auf der Tafel flackerten Lichter, Diagramme schwankten, Zahlen hüpften unruhig hin und her. Das Ganze war ein unruhiges Durcheinander. Meine Hände schwebten über der Tafel, ich wollte etwas tun, etwas Richtiges. Mich auf den Kampf vorbereiten oder einfach nur schneller werden. Wir hatten damals nur eine rudimentäre Pilotenausbildung erhalten, die ausreichte, um einen echten Piloten zu unterstützen, wenn wir als Besatzung und nicht als Kunde mitflogen, aber nicht, um das Schiff selbst zu kommandieren. Hauptsächlich hatte man uns beigebracht, Problemen aus dem Weg zu gehen. Ich warf meine Hände in die Luft.

“Schiff! Was soll ich tun?”

Die Antwort war ein blinkendes rotes Licht, das mich glauben ließ, dass gleich etwas Schlimmes passieren würde.

“Was bist du?”, fragte ich das rote Licht, aber es antwortete nicht. Warum sie diesen Schiffen keine Sprachsteuerung gaben, wusste ich nicht.

“Bist du eine Waffensperre? Ist es das, was du mir sagen willst?”

Meine Finger suchten nach der Anzeige der Schilde. Ich fand ein Schiffssymbol und tippte darauf, bis sich der Halbkreis um das hintere Ende füllte.

“Sind das die Schilde? Zum Teufel, ich hoffe, du hast Schilde –

Das Schiff schüttelte sich erneut, diesmal aber nicht ganz so heftig.

Ich biss auf meine Unterlippe.

“Wie finde ich jetzt heraus, ob wir schnell genug sind?”

Knurrend blickte ich nach vorne. Der Bildschirm war wieder größtenteils schwarz, bis auf die orangefarbene Sonne in der Mitte. Backbord war eine winzige blaue und braune Murmel, Oya III, wie ich vermutete. Nachdem ich die entsprechende Steuerung gefunden hatte, gab ich dem Schiff mehr Energie, aber dafür wurden die Schilde schwächer.

“Na toll. Entweder das eine oder das andere. Burnett muss in die nächstbeste Dschunke gesprungen sein, Warum konnte nicht ein fähiger Dieb mein MobiGlas stehlen. Ich wette, Dario hat ein viel besseres Schiff. Eine Freelancer oder so.”

Aber all mein Gejammer half mir in meiner Situation nicht weiter. Ich brauchte mehr Geschwindigkeit, aber das würden meine Schilde nicht mitmachen. Ich reduzierte die Schilde, damit ich die Geschwindigkeit erhöhen konnte. Die Leuchtkraft des Halbkreises schrumpfte, gerade als eine weitere Explosion das Schiff erschütterte. Die Lichter wurden schwächer und das Brummen des Antriebs für einen Moment leiser.

“Was ist das nur für ein Chaos?”

Ich hielt mir die Hände vors Gesicht und rieb mir mit den Fingerspitzen die Augen. Ich hatte alles falsch gemacht, was man nur falsch machen konnte.

“Verdammt, Schiff. Du musst mir sagen, wenn ich dumme Entscheidungen treffe.”

Nach einer Weile der Bestürzung stellte ich die Schilde so ein, dass das Leuchten hell genug war. Als wüsste ich, was das bedeutete. Dann überprüfte ich die Systeme auf Schäden. Ich murmelte vor mich hin, als ich den nächsten Bericht las: “Manövriertriebwerk Nummer drei funktioniert nicht mehr. Quantenantrieb nicht mehr funktionsfähig. Frachtraum und Sektion Nummer fünf haben einen großen Riss.“

Großartig, ich hoffe, ich brauche nichts von dort.

Ich schlug mit dem Hinterkopf mehrmals gegen die Stuhllehne. Es war schon schlimm genug, dass der Quantenantrieb ausgefallen war und ich wahrscheinlich sterben würde. Das Schlimmste aber war, dass ich mir diesen Schlamassel selbst eingebrockt hatte, indem ich diesen dummen Burnett verarscht hatte.

“Okay. Keine Panik”, sagte ich mir, aber ich spürte, das das nicht wirklich half.

“Sind wir schneller als die verfolgenden Schiffe? Das ist es, was ich jetzt herausfinden muss.”

Ich begann, die Anzeigen zu überprüfen, indem ich auf irgendwelche Knöpfe drückte, bis ich etwas fand, das einem Scanner ähnelte. Es sah so aus, als ob die ersten drei Verfolgerschiffe zurückfielen, aber zwei andere Schiffe, die nach den ersten drei gestartet waren, würden sie bald einholen. Und nach dieser Gruppe verließen fünf weitere Schiffe soeben die Piratenbasis.

“Und wie lange dauert es, bis wir Oya III erreichen?”, fragte ich, griff mir in die Haare und zog daran. Ich kannte die genaue Antwort nicht, aber bei der Manövriergeschwindigkeit würde ich es nicht in einer Stunde schaffen, wie es mit dem Quantenantrieb der Fall gewesen wäre. Wahrscheinlich brauchte ich Tage, schätzte ich. Ich sackte in den Stuhl.

“Ich brauche mehr Geschwindigkeit.”

Ein rotes Licht auf dem Bedienfeld blinkte. Ich starrte es eine Weile an. Dann hielt ich den Finger auf die Bestätigungstaste.

“Nein”, sagte ich und schüttelte den Kopf.

“Ich weiß, was sie wollen. Und ich weiß, was er will.”

Ich hielt inne.

“Sind andere Schiffe in der Nähe? Kann ich ein Notsignal aussenden?”

Ein Blick auf die Scanner-Anzeige verriet mir, dass keine anderen Schiffe in der Nähe waren.

Ich war ganz allein. Niemand würde mir zu Hilfe kommen. Ich starrte auf den Bildschirm, fuhr mir wieder mit den Händen durch die Haare und fragte mich, warum die verfolgenden Schiffe ihren Quantenantrieb nicht aktivierten und mich einfach einholten. Aber dann erinnerte ich mich an etwas aus unserer Ausbildung in der Kurierschule. Mit einem Quantenantentrieb konnte man sich zwar schnell von einem entfernten Punkt zum anderen bewegen, aber für Kurzstrecken war er ungeeignet. Also waren sie auch mit Manövrierantrieben ausgestattet. Ich starrte auf das blinkende Licht.

“Nun, wenn sie mit mir reden wollen…das ist ein gutes Zeichen. Besser als noch mehr Raketen.”

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und dachte an meinen Vater, der oft mit aufdringlichen Verkäufern verhandelte. Man musste sie einfach warten lassen. Sie dazu bringen, dass sie mit dir Geschäfte machen wollten. Wenn du verzweifelt bist, riechen sie das.

“Nein. Noch nicht. Es ist noch ein Chip auf dem Tisch. Ich will noch nicht aufgeben.”

Was ich wollte, war essen und da ich jetzt außerhalb der Reichweite ihrer Waffen war, hatte ich noch etwas Zeit. Als ich aufstand, musste ich mich am Stuhl festhalten, um nicht zusammenzubrechen. Ich war am Verhungern. Mein Magen machte sich nicht einmal mehr die Mühe, zu knurren. Es war ein ständiger Schmerz, als wäre er auf die Größe einer Erdnuss geschrumpft und mein Mund war so trocken, dass meine Zunge immer wieder am Gaumen kleben blieb. Mit wackeligen Beinen bewegte ich mich in den Raum hinter dem Cockpit und als ich meinen Rucksack mit dem Kamerastift sah, beklagte ich mein verlorenes MobiGlas. Aber das war ein dummer Gedanke. Ich sollte froh sein, dass ich noch am Leben war – und es hatte mich durch zwei schwierige Situationen gebracht.

Das Licht an der Tür zum nächsten Abschnitt des Schiffes war hellrot. Der grüne Bereich war abgedunkelt. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass das rote Licht bedeutete, dass die Hülle in diesem Bereich geborsten war. Dann bemerkte ich die Schild “Sektion Fünf” auf der cremefarbenen Tür.

“Nicht die Küche …”

Ich sackte zu Boden und lag eine Weile auf der Seite, stumm starrte ich auf den Mittelpfosten des Tisches. Eigentlich starrte ich gar nicht. Selbst wenn ich die Stardevils überleben würde, würde ich wahrscheinlich an Dehydrierung sterben, bevor ich Oya III erreichte. Ich hatte bereits zwei Tage ohne Essen und Wasser verbracht. Kopfschmerzen hämmerten durch meinen Schädel und meine Seiten krampften sich zusammen. Nur das Adrenalin hatte mir bisher geholfen, die schlimmen Momente zu überstehen, aber jetzt, wo das vorbei war, fühlte ich mich wie ein feuchter Lappen. Ich schloss die Augen und stieß einen Atemzug aus.

“Nicht aufgeben. Nicht aufgeben. Nicht aufgeben.”

Ich wiederholte das Mantra eine Zeit lang, aber es half nicht. Ich konnte mich kaum noch bewegen. Ja, ich hatte nicht aufgegeben. Aber was zum Teufel bedeutete das? Die Stardevils würden mich in ein paar Stunden abfangen, aber bis dahin würde ich wahrscheinlich genau da, wo ich lag, im Koma liegen.

Mir kam der Gedanke, meine letzten Worte zu formulieren und sie zusammen mit einem Notsignal zurück nach Oya III zu schicken. Aber ich konnte den Willen dazu noch nicht aufbringen. Das hieße aufgeben.

“Nicht aufgeben. Nicht aufgeben”, murmelte ich noch ein paar Mal.

Ich setzte mich aus meiner Position auf:

“Hier muss es doch Essen oder Wasser geben, oder? Notrationen oder so etwas?”

Vom Sitzen wurde mir schwindlig, aber das war mir egal. Dann entdeckte ich die roten Markierungen auf der Tafel an der Seite. Das kleine Bild von einem Tablett mit Essen kam mir vor wie Karneval an meinem Geburtstag. Ich würde bald essen.

“Schiff, ich liebe dich!”

Als ich das Paneel fand, dachte ich zuerst, dass es mir an Werkzeug mangeln würde, um es zu öffnen, aber dann fand ich den Verschluss auf der Unterseite. Ich kann mich kaum daran erinnern, dass ich den Deckel des silbernen Wasserbeutels aufgerissen habe und es war wahrscheinlich abgestanden und lauwarm, aber es schmeckte besser als der 50 Jahre alte Portwein, den ich einst erbeutet hatte. Ich versuchte, es nicht zu schlucken, weil ich wusste, dass das nur zu Krämpfen führen würde, aber es war schwer. Die Essensriegel waren auch ziemlich geschmacklos, aber das machte mir nichts aus. Mein Magen gab ein paar siegreiche Gluckser von sich, während ich aß. Als ich zurück in die Pilotenbucht ging, bemerkte ich ein neues Licht blinken.

“Ich spreche weder mit Burnett noch mit den Stardevils”, murmelte ich mit vollem Mund.

Doch dann wurde mir klar, dass es sich nicht um eine Kommunikationsanfrage, sondern um eine Nachricht handelte. Es konnte doch nicht schaden, zuzuhören, oder? Als Darios Stimme über die Lautsprecher ertönte, fiel ich fast in Ohnmacht. Und dann erinnerte ich mich daran, dass er derjenige gewesen war, der mich überhaupt in diesen Schlamassel gebracht hatte, indem er die gestohlenen Dateien auf meinem MobiGlas versteckt hatte – etwas, das ich in meinem Delirium ganz vergessen hatte. Dennoch zauberte seine Stimme den Hauch eines Lächelns auf meine Lippen.

“Hallo, Sorri. Hier ist Dario. Es tut mir leid, dass ich dich in diese Situation gebracht habe. Es ist meine Schuld. Ich hätte von den neuen Sensoren in der Oya-Station wissen müssen. Ich war nachlässig und jetzt bist du dran. Ich habe die Situation mit Burnett und den Stardevils beobachtet. Das mit ihm tut mir auch leid. Das hätte ich kommen sehen müssen. Er hatte es schon eine Weile auf mich abgesehen.”

Er klang zwar zerknirscht, aber ich erinnerte mich daran, dass er ein Dieb und Schurke war und ich nur wegen ihm in diesem Schlamassel steckte. Aber wenigstens hatte er den Anstand, sich zu entschuldigen.

“Ich habe die Berechnungen gemacht. Du wirst es auf deinem bisherigen Kurs nicht bis zur Oya-Station schaffen, bevor sie dich abfangen. Aber es gibt einen anderen Weg.”

Eine gewisse Gefahr lag in seiner Stimme, als ob er es bedauerte, die Alternative vorschlagen zu müssen.

“Du musst den Antrieb rekonfigurieren. Ich schicke Dir die Spezifikationen und Anweisungen auf Dein MobiGlas. Setze die Sicherheitsvorkehrungen außer Kraft  Oh – und fahr die Schilde auf Null herunter. Du brauchst sie nicht mehr. Oder zumindest, wenn alles gut geht…“

Ein Ping kam vom MobiGlas in meiner Tasche.

“Und zu guter Letzt: Selbst wenn du mehr Energie herausholst, wirst du die Oya-Station nicht erreichen, bevor sie dich erwischen. Du musst zum Sprungpunkt, der ist näher.”

Er hielt inne.

“…und so sehr du das auch willst, sende keine Notsignale aus. Mit den Peilsendern auf Burnetts Schiff wird dich die UEE aufspüren, bevor Du die Chance hast, sie zu rufen. Viel Glück, und es tut mir leid, Sorri.”

Die Dateien, von denen er gesprochen hatte, wurden auf das MobiGlas übertragen, aber ich rührte sie nicht an. Ich starrte das Gerät nur an, als hätte es die Pest. Wollte er mir, wie versprochen, einen Ausweg zeigen, oder wollte er mich nur zu seinem Standort locken und mich mit deaktivierten Schilden dann in die Luft jagen? Wie auch immer ich mich entschied, es musste bald sein.

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Kapitel 07

Mein Vater war ein stereotyper Barbesitzer. Schroff, aber liebenswert. Einfach, aber intelligent. Er hatte ein Auge dafür, seinen Profit zu erhöhen, aber nicht so, dass seine Kunden bei dem Geschäft verloren. Als sich einmal ein reicher Geschäftsmann verirrt hatte und in der „Goldenen Horde“ gelandet war, fing mein Vater ein Gespräch mit ihm an. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er an der Theke lehnt und mit einem Lappen Gläser putzt, mit einem Funkeln in den Augen. Jedes Mal, wenn der reiche Kunde, ein Mann aus Terra mit hochgezogenen Augen, einen Schluck von seinem zentaurischen Wodka nahm, füllte mein Vater den Rest des Glases mit großer Zeremonie nach und fügte das Getränk nicht ein einziges Mal den Kosten des Mannes hinzu.

Mein Vater lachte über die Witze des Geschäftsmannes, rieb sich das Kinn, während der Mann endlos über so genannte Zubereitungen plapperte, ein Thema, über das mein Vater nichts wusste. Als ich meinen Vater später fragte, warum er sich um diesen Gast so intensiv gekümmert und ihm nur ein Viertel der Getränke berechnet hatte, obwohl die Flasche Wodka das Zwanzigfache einer normalen Flasche wert war, schenkte er mir sein patentiertes abwartendes Lächeln und wischte die Bar. Zwei Monate später tauchten andere, ähnlich gekleidete Geschäftsleute auf und gaben ein kleines Vermögen aus. Als er die Einnahmen des Abends zusammenzählte, zwinkerte er mir zu und fragte, ob ich etwas gelernt hätte.

“Jeder will etwas, auch wenn es so aussieht, als ob er nichts will.”

Ich war jung und die Mechanismen des Geschäftslebens hatten mir damals noch nichts bedeutet – dass im Grunde alles im Leben eine Transaktion war und alles seinen Preis hatte. Ich dachte genau über diese Lektion nach, als ich den Antrieb anhand der Anweisungen von Dario modifizierte.

Selbst wenn ich den Sprungpunkt nicht benutze, war die zusätzliche Geschwindigkeit wertvoll und eröffnete mir mehr Möglichkeiten. Der Knackpunkt meiner Entscheidung war folgender: Entweder war die ganze Sache mit den Dateien auf dem MobiGlas aus dem Ruder gelaufen und Dario versuchte, die Ursache des Problems zu beseitigen, oder er versuchte, sie zurückzubekommen und mir dabei vielleicht gleichzeitig irgendwie zu helfen. Ich machte mir keine Illusionen darüber, dass er reine Interesse an meinem Wohlergehen hatte. Sonst hätte er mich nie als Kurier benutzt, um die Daten durch die Sicherheit der Oya-Station zu schmuggeln.

Im Pilotensessel sitzend, die Füße auf das Bedienfeld gestützt, an einem Wasserbeutel nuckelnd und einen geschmacklosen Essensriegel kauend, beobachtete ich, wie die kleine blau-braune Murmel immer größer wurde, während die roten Punkte auf dem Sensorbildschirm immer näher blinkten. Schließlich beschloss ich, wie von Dario angewiesen, den Sprungpunkt anzufliegen. Allerdings würde ich einige Änderungen an seinem Plan vornehmen. Der Sprungpunkt ging nach Gurzil. Das normale Protokoll sah vor, den Sprungpunkt mit angemessener Geschwindigkeit anzufliegen, um Kollisionen mit dem ankommenden Verkehr oder nahe gelegenen Kontrollstationen zu vermeiden.

Stattdessen wollte ich mit nahezu maximaler Geschwindigkeit und vollen Schilden hindurchfliegen, falls Dario es sich anders überlegen hatte. Ich wusste, dass mein Plan auf keinerlei technischem Wissen über Schiffe beruhte, aber ich hasste es, mich dem Schicksal zu fügen und nichts zu tun. Als sich die „Night Stalker“ schließlich dem Sprungpunkt näherte, hatte ich alle Lebensmittel und das Wasser aus dem Notfallset aufgebraucht, mich gut ausgeschlafen und saß angeschnallt im Pilotensessel, den Rucksack zu meinen Füßen. Auf dem Weg zum Sprungpunkt versuchte der Computer dreimal, mich dazu zu bringen, die Geschwindigkeit zu verringern, aber ich ignorierte ihn jedes Mal. Nach einer beängstigenden Reise durch den Zwischenraum kam ich auf der anderen Seite des Sprungpunkts heraus und sofort absorbierten meine Schilde schwere Treffer von einem Trio  Avengers, die ihre Distortion-

kanonen auf mich richteten … es war eine gute Entscheidung gewesen, die Schilde zu maximieren.

Ich flog mit der „Night Stalker“ Ausweichmanöver, was bedeutete, dass ich die Steuerknüppel wieder und wieder auf die eine und die andere Seite knallte und dann auf das Beste hoffte. Alle Alarme auf der Kontrolltafel gingen auf einmal los, da die physikalischen Verrenkungen die beschädigten Teile des Schiffes noch mehr belasteten. Irgendwie drang schließlich Darios Stimme durch meine Schiffslautsprecher:

“Zurück, zurück!”, brüllte er.

“Wovon in aller Welt redest du, ich werde hier gleich in die Luft gejagt!”, schrie ich zurück.

“Sie haben sich zurückgezogen, sie haben sich zurückgezogen!”, antwortete er ruihiger.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich brauchte einen Moment, um das richtige Bedienfeld zu finden, aber ich konnte sehen, dass die Avengers nicht mehr hinter mir her waren. Das war zwar gut, aber die „Night Stalker“ hatte zusätzlichen Schaden genommen und der Manövrierantrieb funktionierte nur noch zu fünfzehn Prozent.

“Ich komme dich holen, Sorri”, sagte Darios Stimme, “hol deine Sachen und bremse ab, damit ich mich auf das Andocken mit dir konzentrieren kann.”

Beim Blick aus dem Cockpitfenster konnte ich etwas sehen, von dem ich annahm, dass es Darios „Fardancer“ war. Sie sah aus wie eine stark modifizierte Freelancer oder ein anderes Modell, das ich nicht kannte. Die beiden Schiffe dockten an und ich machte mich auf den Weg durch die Luftschleusen in Darios Schiff. Er begrüßte mich in seinem Wohnbereich und trug ein hellgraues Hemd mit offenem Kragen. Er schenkte mir ein gewinnendes Lächeln und seine graugrünen Augen funkelten mich an.

“Tut mir leid, Sorri.”

Ich bemerkte eine Bewegung in einem Käfig neben dem Tisch.

“Hey, der Luchs!”

“Ja.”

Ich verschränkte die Arme.

“Ich schätze, du willst das MobiGlas.”

“Es würde helfen.”

Ich warf es ihm zu und er fing es sich aus der Luft.

“Danke, das macht die Sache viel einfacher. Ich kann dich später wieder nach Hause bringen, aber jetzt muss ich erst einmal ein Geschäft abschließen.”

Ich begab mich zu Dario ins Cockpit und obwohl es sich technisch nicht wesentlich von Burnetts Cockpit unterschied, gab es überall kleine Abweichungen, die Darios Persönlichkeit verdeutlichten. An Schnüren, die von der Decke hingen, waren kleine Schmuckstücke befestigt: eine primitive Knochenschnitzerei, eine alte Banu-Kreismünze und ein Vanduul-Jagdpfeil. Die Pilotensitze waren mit handgenähten Polstern statt mit harten Metallrücken ausgestattet.

“Also Juliet”, fragte Dario sein Schiff, “wie ist der Status?”

Als er die Scanner-Berichte auf der Anzeigetafel aufrief, stellte ich mir die Antwort des Schiffes als eine raue Frauenstimme vor.

„Die Silent Sons haben sich zum Angriff formiert. Sie werden nicht mehr lange warten, Darling.“

“Diese Räuber, das sind die Silent Sons?”, fragte ich.

Dario nickte geistesabwesend.

“Öffne die Kommunikationskanäle mit Puschkin, nur über die Stimme.”

Ein wieselgesichtiger Mann mit schwarzem, fettigem Haar und fledermausartigen Ohren erschien auf dem Bildschirm.

“Dario, kein Sichtkontakt? Das sieht dir gar nicht ähnlich.”

Dario zwinkerte mir zu.

“Ich sehe heute nicht so gut aus, ich möchte dich nicht solchen Grausamkeiten aussetzen. Sollen wir gleich zum Geschäftlichen übergehen? Das hat eh alles schon viel zu lange gedauert.” “

„Hast du jetzt die Waffenentwürfe?”, fragte Puschkin mit nachdenklich verkniffenem Gesicht.

Dario hielt das MobiGlas hoch, auch wenn es keine Bilder gab.

“Genau hier.”

“Dann bin ich bereit, dir ein Drittel des ursprünglich vereinbarten Preises anzubieten”, antwortete Puschkin. Dario stellte beide Füße ab und setzte sich auf.

“Ein Drittel? Bist Du verrückt? Komplikationen und Verzögerungen, ja, aber nichts, was einen so großen Preisnachlass rechtfertigen würde.”

Puschkin lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.

“Wir könnten einfach Dein Schiff außer Gefecht setzen, entern und die Pläne mitnehmen. Ein Drittel ist ein gutes Angebot.”

“Ich dachte, wir hätten eine Abmachung.”

Puschkin zeigte die Zähne.

“Du hast die Abmachung verpasst. Die Planänderung hat die Silent Sons in Gefahr gebracht. Mach das nächste Mal deine Hausaufgaben.”

Dario rieb sich mit den Fingerspitzen die Schläfen, schloss die Augen und nickte. Es sah so aus, als würde er den neuen Bedingungen zustimmen. Ich wollte nur in Sicherheit kommen. Und je schneller wir die Daten aushändigten, desto schneller konnten wir gehen. Dario zuckte halbherzig mit den Schultern und öffnete den Mund, als eine Reihe von weiteren Annäherungsalarmen ausgelöst wurde.

Puschkin blinzelte auf dem Bildschirm. Plötzlich war das Gebiet um den Sprungpunkt mit Schiffen gefüllt. Es waren Stardevil-Schiffe. Und das Schlimmste war, dass die „Fardancer“ genau in der Mitte stand – zwischen den Silent Sons und den Stardevils. Mein Puls begann sofort wieder zu rasen, aber so richtig in Panik geriet ich erst, als Dario anfing, sich hektisch im Pilotensessel anzuschnallen, wobei ihm sein normalerweise zurückgekämmtes Haar ins Gesicht fiel, während er murmelte:

“Nicht gut, gar nicht gut, GAR nicht gut.”

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Kapitel 08

“Warum bewegst du dich nicht?”, murmelte ich leise vor mich hin, als würde das kleinste Geräusch das Feuerwerk zwischen den beiden Piratenrudeln auslösen.

Dario tippte rasend schnell auf die Steuerelemente, und  Anzeigen glühten auf und verblassten auf der Konsole wieder. Es dauerte einen Moment, bis er sie richtig aufgenommen hatte, während er gleichzeitig mit dem Finger über einen leuchtenden Halbkreis fuhr, von dem ich annahm, dass es sich um unsere Schildenergie handelte. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, als er mich ansah.

“Hast Du schon einmal einen tollwütigen Hund auf der Straße gesehen? Nun, wir befinden uns genau zwischen zwei der bösartigsten und eine einzige Bewegung könnte sie aus der Fassung bringen.”

Ich öffnete den Mund, aber Puschkins Stimme kam über die Lautsprecher und ich konnte den wütenden Hund an seinem Tonfall erkennen.

“Willst du uns alle verjagen? Hast Du etwa die Stardevils eingeladen?“

„Ich weiß, dass ich ein heißes Geschäft betreibe, aber die Stardevils mit einzubeziehen wäre wohl ein dummer Zug.“, dachte Dario.”

Er  blickte sich im Cockpit um, bevor er antwortete.

“Nein, ich habe sie nicht eingeladen, Puschkin.”

“Was machen die dann hier?”

Dario leckte sich über die Lippen.

“Ich kümmere mich darum.”

“Das solltest du auch.”

Dario hatte nicht gesagt, dass die Stardevils mir auf den Fersen waren. Das erklärte, warum er einen schnellen Deal machen wollte, aber eine Sache verwirrte mich.

“So dicht waren sie mir nicht auf den Fersen, oder?”

Dario bewegte seinen Kopf hin und her.

“Vielleicht haben sie den Quantenantrieb benutzt, als sie merkten, dass du auf den Sprungpunkt zusteuerst. Wie auch immer, sie sind hier und wir müssen nun mit ihnen fertig werden.”

Ein rotes Blinklicht leuchtete auf seinen Kontrollen auf. Dario runzelte die Stirn. Die Stardevils. Er tippte auf die Schalttafel. Synthias Stimme kam über das System:

“Dario Oberon?”

“Das bin ich”, sagte Dario und zuckte leicht mit den Schultern.

“Du hast etwas, das mir gehört”, sagte sie.

„Das hier ist ein privates Treffen.”

Synthia machte ein Geräusch, als ob sie ausspucken würde.

“Deine kleine Hexe hat etwas von mir gestohlen.”

“In der Liebe und in der Piraterie ist alles erlaubt. Ich denke, wir  haben es einfach zurückgestohlen. Ich nehme an, die alten Gauner lauern da hinten irgendwo.”

Die Bemerkung schien Synthia zu verwirren, was wohl Darios Absicht war.

“Thunder Thighs?”

“Mein alter Freund, Burnett. Oder hast du ihn aus der Luftschleuse geworfen, wie es jeder vernünftige Mensch tun würde?”

“Er ist hier”, knurrte Synthia.

“Und wir wollen die Daten und das Mädchen zurück.”

Dario hob abschätzend eine Augenbraue und hielt einen Daumen hoch. Mein früherer Schrecken, ausgelöscht zu werden, war zwar nicht verschwunden, aber ich konnte wieder aufatmen.

“Und warum sollte ich das tun?”, fragte Dario.

“Weil wir sonst das Feuer auf die Silent Sons eröffnen und dann bist du innerhalb von Sekunden Weltraumstaub.”

Das Lächeln verschwand von Darios Lippen.

“Und Du wirst Deinen Deal verlieren.”

“Mal gewinnt man, mal verliert man. Wie du schon sagtest, in der Liebe und in der Piraterie ist alles erlaubt. Es ist besser, wenn die Leute wissen, dass man sich nicht mit uns anlegen kann, als einen Deal für etwas anzunehmen, von dem wir nichts wissen. Außerdem sagt Burnett, dass er es besser kann, dass dies eine einmalige Sache war und dass er ein Waffensystem im Kopf hat, das mich begeistern würde.”

Ich richtete mich in meinem Sitz auf und Dario tippte mit der Hand auf den Bildschirm.

“Er lügt”, sagte, nachdem die Kommunikation abgeschaltet  war.

“Woher willst du das wissen?”, fragte Dario.

“Ich weiß es einfach. Ich spüre es”, sagte ich, aber in Wahrheit war es nur eine Vermutung.

Das Panel piept er erneut. Diesmal war es Puschkin von den Silent Sons.

“Warum dauert das so lang? Warum hauen sie nicht ab? Ich will nicht, dass jemand auf den Abzug drückt. Lass uns einfach den Deal machen und es hinter uns bringen. Ich fühle mich großzügig bei achtunddreißig Prozent des ursprünglichen Deals.”

Dario rieb sich den Nacken. Ich wusste, was er dachte, denn ich dachte es auch. Wenn jemand versuchte zu verschwinden, würden Synthia und die Stardevils das Feuer eröffnen. Ansonsten würde er sich wahrscheinlich auf den Deal einlassen, nur um der Gefahr zu entgehen.

“Sie sind fast weg, Puschkin. Lass mich nur noch ausreden”, antwortete Dario und das rote Kommunikationslicht blinkte wieder auf.

“Ich bin sicher, wir können einen Deal aushandeln.”

“Wehe, du betrügst mich -“

Dario tippte auf den Bildschirm.

“Er lügt”, flüsterte ich noch einmal, bevor Dario den Stardevils antwortete.

“Wie wäre es”, begann Dario in einer ganz seltsamen Art und Weise, „ich verkaufe euch eine Kopie der Waffenpläne für die Hälfte dessen, für das ich es den Silent Sons verkaufen wollte.”

Ich schluckte. Ich konnte nicht glauben, dass er zu einem solchen Zeitpunkt verhandeln würde. Und wenn sie annahmen, würde er mehr verdienen als das, was die Silent Sons derzeit boten. In diesem Moment begann Synthia zu schimpfen und sprudelte die Schimpfwörter schneller heraus als ein rotierender Neutronenstern. Dario beendete die Kommunikation und drehte sich zu mir um.

“Warum denkst du, dass er lügt? Sag es mir. Nenne mir einen Grund und ich werde dir glauben.”

Ich schluckte ein zweites Mal.

“Ich … äh … ich weiß es einfach.”

Er beugte den Hals vor und schüttelte langsam den Kopf.

“Ich brauche etwas mehr als das.”

Ich presste meine Finger gegen die Schläfen und kniff die Augen zusammen, um mein Gehirn dazu zu bringen, eine Antwort auszuspucken.

“Er lügt, weil …”, schoss mir die Antwort durch den Kopf, “er hat nichts anderes am Laufen. Das hat er gesagt. Und sein Schiff, das war neu, nicht umgebaut. Er nannte es immer noch ‘Schiff’ und er hatte sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, eine Sprachsteuerung einzubauen. Selbst als er sich auf Oya III mein MobiGlas schnappte, fuhr er ein Elektrorad, das ihm drei Nummern zu klein war. Es ist, als hätte er erst in letzter Sekunde mitbekommen, was Du vorhast und alles andere fallen gelassen. Das würdest du doch nicht tun, wenn du ein gutes Geschäft haben würdest, oder?”

Darios Lippen spitzten sich, er streckte die Hand aus und tätschelte mein Bein.

“Das ist alles, was ich wissen wollte. Ich danke Dir.”

Er drückte auf die Kommunikationstaste.

“Bist du jetzt fertig? Hör mal, ich habe es mir anders überlegt. Ich verkaufe es Dir zu siebzig Prozent, aber zuerst musst Du Dich zurückziehen. Bring etwas Abstand zwischen Dich und die Silent Sons.”

“Siebzig? Bist Du verrückt? Ich nehme nur den Deal mit Burnett an”, sagte Synthia.

“Ich kann nicht sagen, ob du oder er lügt, aber er hat keinen Deal. Sonst hätte sich mein alter Freund nicht die Mühe gemacht, sich mit mir anzulegen. Er hat kein Geld mehr und ist verzweifelt. Ist das wirklich der, dem du deinen Transport anvertrauen willst?”

“Nun, dann werden wir einfach das Feuer eröffnen und sehen, wie dir das gefällt”, konterte Synthia.

Sein Lächeln wich nicht, als er erwiderte:

“Das wirst Du auch nicht tun. Ja, wir könnten zu Weltraumstaub werden, aber ihr würdet Verluste hinnehmen und Verluste sind kein gutes Geschäft. Du bist eine kluge Frau, Synthia, nicht wie Puschkin und die Silent Sons. Du spielst mit leeren Händen – zwar gut, aber Du hast nichts in der Hand. Nimm das Geschäft an. Fünfundsiebzig Prozent.”

“Fünfundsiebzig? Ich gebe dir sechzig.”

“Fünfundsechzig?”

“Gut”, fauchte Synthia.

“Abgemacht. Ich schicke Dir das Geld, sobald wir die Übertragung haben.”

“Gut Aber fürs Erste, damit wir hier keinen Minikrieg anfangen, bitte die Schubumkehr.”

“Einverstanden.”

Dann rief Dario die Silent Sons an, gerade als die Stardevils begannen, sich zurückzuziehen.

“Ich bitte um Entschuldigung, Puschkin”, sagte Dario.

“Die Stardevils sind nicht die klügsten Piraten der Galaxis. Sie haben nicht verstanden, wie leicht du sie zerstören würdest, bis ich es ihnen erklärt habe.”

“Das haben sie, was?”, sagte Puschkin.

“Sollen wir also das Geschäft machen? Fünfundfünfzig Prozent?”

Ich konnte Puschkin fast nicken hören.

“Nur, weil ich hier weg will. Hier stinkt’s wie bei den Stardevils. Fünfundvierzig und wir sind im Geschäft.”

“Du verhandelst hart”, erwiderte Dario, während er mir zuzwinkerte. Als die Kommunikation unterbrochen war und sich die roten Punkte auf dem Bildschirm entfernten, stützte sich Dario auf die Schalttafel und nahm die Hände hinter den Kopf.

“Zu nah, Mann. Zu nah.”

Mir klappte die Kinnlade herunter.

“Du hast deinen ursprünglichen Deal bekommen und noch mehr.”

Er wollte mir gerade eine witzige Antwort geben, als der Annäherungsalarm erneut ertönte.

“Na toll. Was haben wir denn hier, noch ein Piratenpack?”

Dario schaltete in dem Moment, als die neuen Schiffe durch den Sprungpunkt glitten, auf den Sichtschirm um. Er war sofort zur Stelle, noch bevor ich die Silhouette einer vermutlich militärischen Hornet erkennen konnte. Sein starrer Blick verriet mir alles, was ich darüber wissen musste, wie schlimm es gerade geworden war. Und dann stürmte auch noch eine bullige Idris-Fregatte durch das Tor und eröffnete das Feuer.

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Kapitel 09

Die beiden Parteien inszenierten sich in komplexen Manövern, drehten und schlängelten sich in einem Tanz, der immer wieder von Explosionenn und aufflackernden Antrieben unterbrochen wurde. Die Helden und die Bösewichte verhöhnten sich gegenseitig im kalten Vakuum des Weltraums, als würden sie sich an einer Bar Theke unterhalten und ein paar Bier trinken. Hätte man mich in einen überdimensionalen Trockner gesteckt, ihn mit migräneauslösenden blinkenden Lichtern gefüllt, ihn auf Hyperspin gestellt und das Ganze dann von einem Berghang geworfen, hätte man vielleicht ein Zehntel des Gefühls bekommen, das ich hatte.

In der einen Sekunde steuerten wir genau auf die Seite der Idris zu, in der nächsten blendete uns ein weißer Phosphorblitz und Teile des explodierten Schiffes prallten von unseren Schilden ab und schleuderten uns in eine völlig andere Richtung. Dario tanzte mit uns durch die Raumschlacht, immer auf der Suche nach einem Ausweg, aber jedes Mal tanzte der Kampf um uns herum und versperrte uns die Flucht.

Zweimal dachte ich, unsere Antriebe seien ausgeschaltet worden, aber es war entweder mein Herz, das stehenblieb, oder weil mein Gehör, durch die Schläge des Kampfes ausgetrickst wurde. Keine Ahnung, wer jemals gesagt hat, dass Weltraumschlachten ein stilles Ballett des Todes seien. Sirenen ertönten, Alarme läuteten, Annäherungswarnungen überboten sich gegenseitig. Schließlich schleuderte uns Dario durch ein Duell zwischen einer Avenge der Silent Sons und zwei UEE-Hornets hindurch und wir landeten in einem leeren Raum, wo wir gemeinsam eine Sekunde aufatmen konnten.

“Geht es dir gut, Sorri?”, fragte mich Dario, während er die Instrumentenkonsolen und Schadensberichte überprüfte.

“Ich glaube ja”, sagte ich mit unerwartet heiserer Stimme, ich hatte wohl die ganze Zeit geschrien. Trotz der kühlen Luft stand Dario Schweiß auf der Stirn. Er wischte sich über das Gesicht und tippte auf den Bildschirm vor mir, auf dem die Backbord- und Steuerbordansichten der „Fardancer“ angezeigt wurden.

“Wir sind noch nicht über den Berg. Wir müssen zurück zum Sprungpunkt und zurück nach Oya fliehen. Sonst werden uns diese UEE-Schiffe nach der Schlacht jagen. Sag mir, wenn Du jemanden siehst, der auf uns zielt und pass die Schilde an, um es auszugleichen. Du musst nur auf diese Tafel tippen, um die Energie auf die eine oder andere Seite zu leiten.”

Unter uns konnte ich einen wachsenden Ball aus Explosionen und Trümmern sehen. “

„Da willst Du uns durchfliegen?” fragte ich atemlos.

Sein normalerweise messerscharfes Lächeln war durch die Ereignisse aus seinem Gesicht verschwunden.

“Besser als ein Leben in einem UEE-Gefängnis zu sitzen.”

Ich legte meine Handflächen aneinander und presste sie an meine Lippen.

“Okay, ich schaffe das.”

Und dann zu Dario: “In Ordnung, los gehts.”

Ich beugte mich vor und legte meine Hände auf die Schildanzeige, während ich die beiden Bildschirme genau beobachtete. Dario ließ uns wieder in den Strudel der Schiffe eintauchen und mir wurde kurz schwindelig, als das Heck einer zerstörten Freelancer vorbeischwebte und die „Fardancer“ nur knapp verfehlte. Unser Wiedereintritt in den Kampf brachte eine unmittelbare Reaktion mit sich: Zwei UEE-Schiffe griffen uns sofort an. Ich passte die Energie auf der Backbordseite an, als kleine Feuerfunken über unsere Schilde züngelten. Dario flog wild richtungsändernde Spiralmanöver, mein Kopf wirbelte umher. Um den Bildschirm im Auge zu behalten tanzten meine Finger zwischen Back- und Steuerbord hin und her. Als wir wieder heraus waren, musste ich fast die gesamte Energie auf Backbord verlagern, da wir von einem Stardevil-Schiff angegriffen wurden.

Ich schluckte meine Angst hinunter und meine Hoffnung auf eine Flucht ging gegen Null, als ich die Idris-Fregatte auf uns zukommen sah. Sogar ich wusste, dass unsere Schilde der Art von Schaden, den eine Idris anrichten konnte, nicht gewachsen waren. Gerade in dem Moment, als die „Fardancer ihren Alarm auslöste, um uns vor der Bedrohung zu warnen, glitten wir in den Zwischenraum. Erleichtert über unser knappes Entkommen ließ ich mich in den Stuhl zurücksinken, während Dario seinem Schiff Anweisungen gab. Als er fertig war, schwiegen wir beide und starrten auf den leeren Bildschirm, bis wir den Zwischenraum wieder verlassen hatten. Zurück im Oya-System programmierte Dario unsere Flugbahn so, dass wir in eine Umlaufbahn um Oya III eintauchten.

Sein Gesichtsausdruck war schwer und seine graugrünen Augen glitzerten. Er konnte mich kaum ansehen. Ich legte mich tiefer in meinem Stuhl, da ich befürchtete etwas hören zu müssen, was ich nicht wollte.

“Es tut mir leid, Sorri.”

Genau das war es, was ich nicht hören wollte.

“Es tut dir … leid?”

Er entließ einen tiefen Seufzer.

“Ich hätte dich retten können, bevor du den Sprungpunkt erreicht hattest und dich zurück nach Oya III bringen können, aber ich wollte meine Chance bei den Silent Sons nicht verpassen.”

“Jetzt ist dein Deal geplatzt, was?”

Ich konnte es ihm ansehen.

“Es gibt andere Rudel und andere Geschäfte. Nicht so lukrativ, aber zur Not reichen sie.”

“Warum erzählst du mir das?” fragte ich.

“Du bist ein kluges Mädchen. Sag du es mir.”

Ich spitzte die Lippen und die Antwort kam sofort mit der Stimme meines Vaters: Jeder will etwas, auch wenn es so aussieht, als ob er nichts will.

“Du willst, dass ich meinen Mund zu alldem halte”, sagte ich.

“Ich wusste, dass du schlau bist, weiter.”

Ich seufzte.

“Es wird nicht einfach werden. Die UEE könnte kommen und nach mir suchen. “

“Und sie könnten wollen, dass ich darüber rede, was passiert ist. “

“Und die UEE kann ziemlich überzeugend sein, wenn sie das will”, fügte er hinzu und lehnte sich zurück. “Aber ich habe noch eine andere Möglichkeit für Dich. Kennst Du das Sprichwort ‘zwei Köpfe sind besser als einer’? Nun, der Weltraum wird ziemlich langweilig, wenn man allein unterwegs ist und ich könnte einen schnell denkenden Partner gebrauchen.”

“Partner?”

Er grinste.

“Na ja, Juniorpartner, aber gut entlohnt. Du würdest viel mehr verdienen als ein Kurier und gleichzeitig das Empire sehen.”

Die Worte blieben mir in der Kehle stecken. Vom Kurier zum Kriminellen in nur einer Woche? Es schien lächerlich, wenn es nicht wahr wäre. Oder zumindest eine Möglichkeit. Dario legte mir die Hand auf die Schulter.

“Ich will dich nicht anlügen, es ist kein einfaches Leben. Aber ich könnte mir nicht vorstellen, etwas anderes zu tun. Ich habe das Gefühl, dass du ähnliche Gefühle hast, auch wenn es im Moment etwas verwirrend sein könnte, nach dem letzten kleinen Streit.”

“Verwirrend? Ich wurde benutzt, ausgeraubt, entführt und gefoltert, ganz zu schweigen davon, dass ich fast verhungert und verdurstet wäre. Dieses Erlebnis hinterlässt Alpträume und ein Magengeschwür.”

Sein Lächeln wurde schwächer, als sich seine Hand von meiner Schulter nahm. Mit geballten Fäusten rieb ich meine Augen, damit er meine Tränen nicht sah. Mein Herz flatterte mir in der Brust und wären wir auf dem Planeten gewesen, wäre ich nach draußen gelaufen, um Luft zu holen.

“Aber um ehrlich zu sein, irgendwo da drin hat es mir auch Spaß gemacht”, fügte ich zu Darios Erstaunen hinzu.

“Du würdest es also in Betracht ziehen?”

Ich überlegte.

“Ich weiß nicht, ob ich mich geehrt oder entsetzt fühle, dass du mich gebeten hast, mich dir anzuschließen. Ein großer Teil von mir möchte sich deiner Crew an Bord der Fardancer anschließen.”

Sein Blick verengte sich und er nickte leicht, als ob er bereits wüsste, was ich sagen wollte.

“Aber”, begann ich, “ich habe mich als Kurier verpflichtet und das will ich auch bleiben, zumindest eine Zeit lang. In ein paar Jahren, wenn ich dann immer noch Lust habe, könnte ich vielleicht bei Dir einsteigen, falls Du dann noch Interesse hast.”

“Ein paar Jahre sind eine lange Zeit in meinem Leben. Ich kann nichts versprechen.”

Ich zuckte mit den Schultern.

“Das dachte ich mir schon. Also lautet meine Antwort wohl nein. Aber mach dir keine Sorgen, ich schweige. Ich werde nichts sagen.”

Dario tippte auf die Schalttafel.

“Ich werde mein Bestes tun, um Dich ungesehen auf den Planeten zu bringen.”

Danach haben wir nicht mehr viel gesprochen. Es war, als ob wir beide wüssten, dass es so am besten war. Ich wollte mich nicht zu sehr binden, für den Fall, dass ich von der UEE gestellt werden würde. Ich weiß nicht, was Dario dachte, aber er konzentrierte sich darauf, mich zurück nach New Alexandria zu bringen. Ich erwartete einen tränenreichen Abschied, aber Dario hob sofort wieder ab, sobald ich ausgestiegen war. Wenigstens ein paar Credits hatte er mir für die Rückreise in die Stadt mitgegeben. Eine halbe Stunde, nachdem er mich abgesetzt hatte, kam ein UEE-Hovercraft an. Ich dachte, es wäre ein freundlicher Offizier, der nach einem verirrten Touristen sehen wollte, bis sich die Tür öffnete und ich Captain Hennessy sah, die mich aus dunklen Augenringen anstarrte. Sie trat heraus und legte mir Handschellen an, bevor ich auch nur “Hallo” sagen konnte.

“Als Agentin der UEE nehme ich Sie wegen Verbrechen gegen das Empire fest.”

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Kapitel 10

Ich würde nicht sagen, dass ich es bereute, das Angebot von Dario Oberon nicht angenommen zu haben, aber als ich in meiner kleinen Metallzelle saß, mit nichts als einer schmutzigen Toilette als Gesellschaft, ging mir das sicherlich auch durch den Kopf. Verwegenes gutes Aussehen. Abgehakt. Schelmisches Lächeln. Abgehakt. Irrsinnig schnelle Reflexe. Abgehakt. Ganz zu schweigen von seinem eigenen Schiff und genug Geld, um seinen kriminellen Vagabunden-Lebensstil aufrechtzuerhalten. Aus dem Bauch heraus wusste ich, dass das nichts für mich war, zumindest nicht in diesem Stadium meines Lebens, aber es war eine bessere Alternative als hier zu sitzen.

Das Bedauern war aber nicht der schlimmste Teil. Das Schlimmste war, es meinem Vater sagen zu müssen. Ich rieb meine Arme, trotz meines Pullovers, der mir während meines Abenteuers gute Dienste geleistet hatte und versuchte mich zu wärmen, obwohl mir nicht wirklich kalt war. Selbst wenn ich hierj e wieder rauskäme, würde mein Vater mir nie verzeihen. Ich war seine letzte Verbindung zu Mom. Ich weiß, er würde denken, dass ich ihr Andenken irgendwie beschmutzt hatte. Als die Wache mich wieder in den Verhörraum brachte, setzte ich mich auf den Stuhl, und faltete die Hände, als würde ich beten. Kurze Zeit später trat Captain Hennessy ein und setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber.

Captain Hennessy blickte auf ihre gefalteten Hände und seufzte.

“Wir haben keine Aufzeichnungen über diesen Burnett bei der Schlacht oder auf dem Planeten. Oder sonst etwas. Im Moment sind wir davon überzeugt, dass Sie ihn erfunden haben, um den wahren Täter zu verbergen, der Ihnen Zahlungen für Ihr Schweigen versprochen hat. Sagen Sie uns, wer es war, der Sie unter großem Risiko auf den Planeten zurückgebracht hat und wir werden vielleicht Nachsicht walten lassen. Etwas.”

Ich klopfte mit den Händen auf den Tisch.

“Aber ich kannte ihn nicht und er hat seinen Namen nicht genannt. Ich habe bereits seine Beschreibung gegeben. Er könnte einer der Piraten gewesen sein, soweit ich weiß. Er war zufällig derjenige, der mich von der Night Stalker abgeholt hat, nachdem ich durch den Sprungpunkt gekommen war.”

Captain Hennessy straffte ihren Kiefer und faltete ihre Hände fester.

“Alle Erklärungen und Ausreden der Welt werden Ihnen nicht helfen. Ich brauche Informationen. Verlässliche Informationen, oder Sie werden dafür den Kopf hinhalten müssen. Es tut mir leid, aber so ist es nun einmal.”

Sie verließ mich und die Wachen führten mich zurück in meine Zelle. Ich ließ mich mit dem Rücken gegen die Wand sinken, bis ich auf dem Boden saß. Eine Taubheit breitete sich von meinem Gesicht über meine Brust aus und überfiel meinen ganzen Körper. Man hätte mich ohrfeigen können und ich hätte nichts gespürt. Ich war mir nicht sicher, warum es so schwer war. Ich musste Dario ausliefern und dann würde ich einfach frei sein. Er war derjenige, der mich in diese Situation gebracht hatte. Warum schützte ich ihn? Mein Vater würde es auf meine Hormone schieben. Ohne Mom, die ihn korrigierte, schob er alles, was ich tat, auf meine Hormone, wofür ich wohl dankbar sein sollte.

Er hatte mich nie geschlagen, aber er konnte einen Priester mit seinem finsteren Blick dazu bringen, sich schuldig zu fühlen. Ich drückte meine Knie an meine Brust und vergrub mein Gesicht zwischen ihnen. Ich war mir nicht sicher, warum ich es hinauszögerte. Irgendwann würde ich Dario ausliefern müssen. Es war besser, es jetzt zu tun, solange sie mir noch einen Deal anboten. Wahrscheinlich würde ich meinen Job und das Vertrauen meines Vaters verlieren, aber zumindest wäre ich nicht vorbestraft und würde nicht ins Gefängnis gehen. Schweren Herzens schlug ich mit der Faust gegen die Tür und forderte den Wachmann auf, Captain Hennessy zu holen. Kurze Zeit später saß ich wieder in der gleichen Verhörzelle. Hennessy kam etwa zehn Minuten später. Sie setzte sich hin, schlug die Hände vor sich zusammen und wartete. Ich biss mir auf die Unterlippe.

“Haben Sie jemals die Piratenbasis der Stardevils überprüft? Vielleicht ist dort jemand?”

Ein knappes Kopfschütteln war die einzige Antwort, die ich bekam. Ich konnte es in ihren Augen sehen, wenn ich ihr Dario nicht sofort ausliefere, würde sie aufstehen, die Wachen rufen und mir würde nichts anderes als das Gefängnis bevorstehen.

“Okay, gut”, sagte ich. “Ich gebe Ihnen, wen Sie wollen. Der Kerl muss etwas davon gewusst haben, dass ich mit dem FTL-Kurierdienst unterwegs war. Daher wusste er …”

Jetzt gingen mir die Augen auf. Ich kam mir dumm vor, weil ich es nicht vorher gesehen hatte.

…er hatte gewusst, welche Art von Sicherheit für die Waffendateien erforderlich war! Das machte mir klar, dass er wahrscheinlich eine Verbindung zu einem anderen Datensatz hatte. Captain Hennessy klopfte mit dem Fingernagel auf den harten Stahltisch. Sie sah aus, als wollte sie gehen.

“Ich weiß, wo Sie Burnett finden können”, platzte ich heraus.

“So etwas machen wir nicht noch einmal”, sagte Captain Hennessy und erhob sich aus ihrem Stuhl.

“Nein, warten Sie! Ich weiß, woher er von den Daten wusste. Er arbeitet für die FTL. Daher wusste er, dass ich die Oya-Station durchqueren würde und dort war, um das MobiGlas zu holen! Bitte, sehen Sie nach. Und das Elektrorad! Vielleicht haben sie Unterlagen, die auf die Beschreibung des Mannes passen. Oder die Aufzeichnungen der FTL-Angestellten. Ich wette, er hat die Daten direkt von FTL, die er an die Piraten verkaufen wollte.”

Die Worte sprudelten so schnell aus mir heraus, dass ich mir die Spucke von den Lippen wischen musste, als ich fertig war. Captain Hennessy blickte mich an. Irgendetwas in dem, was ich gesagt hatte, traf ins Schwarze und ihre Augenbrauen verengten sich von Sekunde zu Sekunde. Schließlich richtete sie sich auf.

“Sie bleiben hier”, sagte sie und ging. Diesmal schien das Warten endlos zu sein. Um mich davon abzuhalten, die Wände hochzuklettern, wippte ich mit den Knien und klopfte auf den Tisch. Vielleicht eine Stunde später, kam Captain Hennessy zurück. Sie hielt ihr MobiGlas in der Hand und wirkte überrascht von den Informationen, die es enthielt.

“Der Tipp stimmt”, sagte sie. “Nachdem die Firma Ihre Beschreibung identifiziert und nachgeforscht hatte, stießen sie auf Unregelmäßigkeiten bei seinem Zugang. Er ist Mitglied ihrer Sicherheitsabteilung, was erklärt, wie er Zugang zu Waffendateien bekommen hat. Wir wissen nicht genau, welche Datei er verkauft hat, aber er muss sie über direkt über FTL erhalten haben.”

“Heißt das, ich kann gehen?”, fragte ich. Die Art und Weise, wie sich ihre Mundwinkel in Richtung Boden bewegten, versetzte mir einen Stich ins Herz.

“Nicht ganz. Wir müssen noch ein paar Dinge mit diesem Burnett klären, bevor wir Sie entlassen können. Aber während Sie warten, müssen Sie noch eine Sache erledigen, bevor ich Sie gehen lasse.”

Mein Herz rutschte mir in die Hosen, als Captain Hennessy ging, ohne es mir zu sagen. Was im Universum konnte das sein?

.

Kapitel 11

Als sich die Tür öffnete war das Gespräch eines vorbeilaufenden Offizierspaares zu hören. Ich erwartete, Captain Hennessy. Hätte ich raten sollen, ich wäre nie draufgekommen, wer mit dabei war. In den zwanzig Jahren, die ich im Empire gelebt habe, hatte mein Vater die „Goldene Horde“ nie verlassen. Bis jetzt. Als ich ihn sah, konnte ich nicht glauben, wie grau er geworden war. Die kleinen Haarbüschel in seinen Ohren, die Mama ihm immer zu stutzen pflegte, waren außer Kontrolle geraten. Aber sein Gesicht überraschte mich am meisten. Ich hatte Wut oder einen seiner berüchtigten Blicke erwartet, aber er war nicht so. Seine Augen waren wie, an Moms Beerdigung: glasig und distanziert, Er blieb stehen und stützte sich mit der Hand auf den Stuhl. Ich hatte ihn selten ohne einen Lappen oder Becher in der Hand gesehen. Es war fast so, als wüsste er nicht, was er mit seiner Hand anfangen sollte, wenn er nicht hinter seiner Theke stand.

“Sorri”, sagte er.

“Es tut mir leid …”

“Ist es nicht genug, dass ich deine Mutter verlieren musste? Captain Hennessy sagte mir, dass du diesen Dieb beschützt hast, wer auch immer es war, der dich in diesen Schlamassel gebracht hat.”

Ich breitete meine Hände auf dem Tisch aus, um Halt zu finden.

“Ich schwöre, das habe ich nicht. Ich wusste die meiste Zeit nicht, was vor sich ging.”

Sein Blick ging durch mich hindurch. Er war schon immer ein Meister darin gewesen, meine Lügen zu erkennen.

“Sorri Abigail Lyrax. Ich habe noch nie erlebt, dass du nicht wusstest, was vor sich ging. Du hast die gleichen Ausreden benutzt, als du mit der Band unterwegs warst. Du bist ein kluges Mädchen, selbst klüger als deine Mutter und sie hätte …”

Sein Gesicht wurde traurig, als er seine Gefühle hinunterschluckte, “… sie hätte alles tun können, was sie wollte, genau wie du.”

Mein Herz fühlte sich zum Zerreisen an. Aber während ich so dasaß und die emotionale Gegenreaktion verarbeitete, ballten sich meine Hände langsam zu Fäusten. Ich drückte sie zusammen, bis die Knöchel weiß anliefen und mein Gesicht rot war.

“Sie ist tot, Dad. Tot und fort. Ich muss jetzt mein eigenes Leben leben. Meine eigenen Fehler machen. Sie war nicht so perfekt, wie du sie darstellst. Sie war genauso verkorkst wie wir beide. Sie hat es nur besser aussehen lassen.”

Ich wischte mir die Nase mit meinem langärmeligen Wollpulli und schniefte.

“Ja, dieser ganze Einsatz war eine Katastrophe. Eine schlimme Sache führte zur nächsten, bis ich durch den Raum schwebte und hoffte, nicht in Stücke zerrissen zu werden. Aber es waren alles meine Entscheidungen und ich habe sie getroffen. Ich denke, ich habe mich in Anbetracht der Umstände verdammt gut geschlagen. Du hättest mich sehen sollen, Dad, du hättest mich sehen sollen.”

Er presste die Lippen zusammen. Sein Blick war auf den Edelstahltisch gerichtet. Er konnte mich nicht ansehen. Als er schließlich aufschaute, starrten wir uns eine ganze Weile an. Dann marschierte aus dem Raum. Ich wünschte, ich hätte sagen können, dass wir in diesem Moment eine stille Übereinkunft getroffen hatten; dass wir unsere Differenzen ohne Worte zwischen Vater und Tochter beigelegt haben. Aber wie alles andere auch, war es nicht so einfach.

Ich wusste, dass er lange brauchen würde, um mir zu verzeihen. Vielleicht würde er mir nie verzeihen. Aber das war in Ordnung. Ich hatte mir selbst verziehen. Zu Beginn der Reise hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, was er über meine Entscheidungen denken würde und die Ereignisse aufgezeichnet, um ihm zu zeigen, dass es keine große Sache war. Aber – das war nicht für ihn. Es war für mich gewesen. Indem ich es ihm beweisen wollte, bewies ich es mir selbst. Captain Hennessy kam durch die Tür und sah mich fragend an. Ihre Gesichtszüge waren weicher geworden.

“Wie ist es gelaufen?”

Ihre Besorgnis überraschte mich, bis ich mich an unser Gespräch erinnerte, als wir uns das erste Mal getroffen hatten, als ich in der Oya-Station aufgehalten worden war. Ich hatte kurz die Schwierigkeiten mit meinem Vater angedeutet und vermutet, dass sie ihre eigenen Probleme hatte. Sie muss diejenige gewesen sein, die ihn kontaktiert hat.

“Er hat es nicht verstanden”, sagte ich und schüttelte den Kopf. Captain Hennessy seufzte leise.

“Aber vielleicht ergibt es jetzt ein bisschen mehr Sinn für mich.”

Captain Hennessy nickte mir verständnisvoll zu.

“Nun, Sie werden morgen auf Kaution freigelassen, während wir den Rest dieses Falles klären.”

Sie schenkte mir ein zögerliches Lächeln.

“Nur eine Formalität, hoffe ich.”

“Wer hat die Kaution bezahlt?”

“FTL.”

Captain Hennessy kramte in ihrer Tasche und holte einen Brief hervor.

“Hier, Sie können die Nachricht lesen, die sie geschickt haben.”

Ich ergriff das Blatt mit beiden Händen und las die Nachricht. Ich musste sie dreimal lesen, nur um sicher zu sein. Mir schwirrte der Kopf, als ich sie endlich verstand.

“Glückwunsch”, sagte sie.

“Ich habe es gelesen, als es ankam. Vollbeschäftigung nach Ihrem Ersten Einsatz. Das ist eine tolle Leistung.”

“Aber ich habe nicht einmal geliefert.”

Sie zuckte mit den Schultern.

“Wie sie sagten, haben Sie unter Einsatz Ihres Lebens versucht, das MobiGlas zurückzuerobern und Sie haben keine Unternehmensinformationen preisgegeben und ihnen schließlich geholfen, ein Leck in ihrem Sicherheitssystem zu finden.”

“Ich weiß nicht, was ich sagen soll.”

“Nun, Sie werden auf der Reise zurück nach Castra Zeit haben, um das herauszufinden.”

Am nächsten Tag führte mich Captain Hennessy aus der Station und überreichte mir den FTL-Gutschein für meine Rückreise.

“Das mit Ihrem Vater tut mir leid”, sagte sie, bevor ich ging.

“Es tut mir leid wegen Ihres Urlaubs”, antwortete ich. Sie zuckte mit den Schultern.

“Nichts funktioniert jemals so, wie man es erwartet.”

Unsere Wege trennten sich und ich nahm ein Schwebetaxi zum Hafen von New Alexandria. Der Shuttle auf das Schiff, das mich nach Castra bringen würde, schien nicht so lange zu dauern wie beim ersten Mal. Schon bald saß ich wieder in der „Solar Jammer“ und schnallte mich an. Meine Vorfreude auf den Weltraum war durch die Ereignisse der letzten Woche etwas gedämpft worden, was mir nur recht war. Ich freute mich auf eine ereignislose Zeit der Ruhe. Ich würde gerne glauben, dass ich sie mir verdient hatte. Ich ließ mich gerade auf meinem Sitz nieder und zog die Ärmel meines Wollpullovers über meine Hände, um mich warm zu halten, als der Steward mit einem vertrauten Koffer in die Kabine kam. Schnell setzte ich mich auf und sah mich um, um Dario zu finden. Doch dann blieb der Steward in meiner Reihe stehen und stellte die Tiertransporttasche auf den leeren Sitz neben mir.

“Ihr Haustier, Ma’am, entschuldigen Sie die Verspätung”, sagte er, bevor er wieder verschwand. Große, goldene Augen sahen aus dem Käfig, also öffnete ich die Vorderseite und ließ das Rotschwanzluchsmädchen auf meinen Schoß klettern. Ihre winzigen Pfoten vergruben sich in meinem Wollpullover und als sie ihr pelziges Gesicht an mein Kinn drückte, fiel mein Blick auf eine Schachtel im Inneren der Kiste. Ich zog sie heraus. Auf einem Zettel stand:

“Für Sorri.“

Ich öffnete die Schachtel und fand ein brandneues MobiGlas. Ich überprüfte es auf irgendwelche versteckten Dateien, bevor ich es in meine Tasche steckte. Dann öffnete ich den Zettel, der an der Schachtel befestigt war. Auf dem Zettel stand:

“Danke für das Abenteuer. Ich hoffe, wir können es irgendwann wiederholen. Du weißt, wie du mich erreichen kannst, wenn du etwas brauchst. Dein Freund. – D.”

Ein kurzer Blick auf das MobiGlas offenbarte ein kleines Programm mit einem großen roten Knopf, darauf stand:

“Für ein Abenteuer.”

Ich lächelte und vergrub das Programm ganz unten in den Listen. Ich wollte es nicht versehentlich auslösen. Jedenfalls für den Moment. Als sich die „Solar Jammer“ von der Oya-Station entfernte, kuschelte sich mein Rotschwanzluchsmädchen tiefer in meinen Wollpullover und schlang ihren Schwanz um meinen Arm. Ich lehnte meinen Kopf gegen den gepolsterten Sitz und seufzte, während die Erschöpfung der letzten Woche mein Bewusstsein eroberte. Als mir die Augenlider zufielen, kam mir ein letzter Gedanke:

“Ich glaube, ich werde sie Abby nennen, nach meiner Mutter.”

– Ende –

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