Auf einem Schrottplatz kommt es zu einem tödlichen Duell mit überraschender Wendung.
Von Jeremy Melloul
Es ist ein schneller Abstieg in ein frühes Grab. Und das an einem allzu passenden Ort – einem riesigen Schrottplatz voller ausgedienter Schiffe und Industrieanlagen, die schon vor langer Zeit ausgemustert worden waren. Von den Trümmerbergen, die dort in den Himmel wachsen, lässt man besser die Finger. Verwaiste Schrottfriedhöfe wie dieser hier sind extrem instabil und extrem gefährlich. Im nächsten Augenblick würde ein weiteres Schiff hier seine letzte Ruhe finden …
Krenns Talon glüht und funkelt, während Wolken an seinem Blickfeld vorbeiziehen. Allerlei Alarme schrillen, als ob er sich der Gefahr nicht bewusst wäre, in der er schwebt. Der Tevarin-Pirat versucht mit aller Kraft, sein Schiff unter Kontrolle zu bringen, aber da ist einfach nichts, was seinen Sturz bremsen könnte.
Aus Mangel an Alternativen – und weil er seine Fracht keinesfalls aufgeben möchte – fasst er den Entschluss, das Schiff zu verlassen. Als er den Befehl zur Trennung der Kommandokapsel eingibt, leuchten weitere Warnsignale auf seiner Konsole auf. Das Cockpit der Talon sollte sich normalerweise augenblicklich vom Rest des Schiffes trennen, aber irgendwie hat der Beschuss die Verriegelungen erwischt. Sie halten das Cockpit fest, das sich ordnungsgemäß vom Rest des Schiffs trennen will. In der nächsten hundertstel Sekunde reißt die Wucht des Abstoßversuches die Verriegelungen schließlich aus ihren Verankerungen und das Cockpit entfernt sich wild trudelnd.
Krenn wirbelt herum und kann nicht sehen, wie der Rest seines Schiffes etwas weiter entfernt in die Schrottberge kracht, während sein Cockpit unsanft die Gipfel tonnenschwerer Metallgipfel streift, schließlich heftig auf dem Boden aufschlägt und eine Schneise in den losen, scharfkantigen Schrott zieht. Fest in seinen Sitz gepresst kommt das Cockpit endlich kopfüber zum Stehen. Krenn ringt nach Luft, reißt seinen Helm herunter und lässt ihn fallen. Scheppernd schlägt er auf die innere Cockpitoberseite, also dem was davon noch übrig ist. Sein Schädel brennt, als die frische Luft auf die blutende Kopfwunde trifft.
Das Cockpit des Piraten ist nur noch ein Klumpen Altmetall, die Kabinenhaube geborsten, die dünnen Wände vielfach von losem Schrott durchbohrt. Viel schlimmer aber ist, dass ein großes Stück Schrapnell aus Krenns linkem Oberschenkel ragt und der einsetzende Schmerz ihn krampfen lässt. In einem Kraftakt greift Krenn nach dem großen Metallsplitter, bekommt ihn zu fassen und reißt ihn mit einem Ruck heraus. Sofort quillt reichlich Blut heraus und tropft als Rinnsal hinab. Noch immer ist Krenn kopfüber in seinem Sitz gefesselt. Zornig wirft er den Metallsplitter beiseite und versucht die Sitzgurte zu lösen. Aber die von seinem Körpergewicht erzeugte Spannung verhindert es. Frustriert greift er hinter seinen Sitz und löst seinen Bakor aus seiner Verankerung.
Es hat in etwa die Größe eines Beils, aber anstelle eines einzelnen Axtkopfes hat die traditionelle Waffe der Tevarin mehrere Schneiden – den normalen Axtkopf mit der Hauptklinge und eine kleine, gegenüberliegende Schneide, dazwischen einen kurzen, geschärften Dorn. Es ist das Lieblingswerkzeug der Piraten.
Krenn durchtrennt mit dem Bakor kurzerhand die Sitzgurte und fällt hinunter. Als er mit seinem verletzten Bein aufschlägt, krampft er erneut heftig vor Schmerz. Es braucht eine Weile, bis er die Kontrolle zurückerlangt und wieder einen Blick auf seine Wunde werfen kann, aus der weiter sein Blut pulsiert. Mit weiteren Schnitten trennt er die Gurte vom Sitz und nutzt sie als improvisierte Aderpresse. So schnell er kann, bindet er sie um sein Bein, um die Blutung zu stoppen. So kann er den Tod vorübergehend in Schach halten. Dann zieht er sich aus den zerschmetterten Überresten seines Cockpits, hinaus auf die Müllhalde So viele Kämpfe er bereits hinter sich hat, so schlecht stand es noch nie um ihn. Er richtet sich auf und steckt sein Bakor in das Holster an seiner Taille. Das Geräusch näher kommender Schiffsmotoren lässt Krenns Adrenalinspiegel in die Höhe schießen. Er geht in Deckung – der Kopfgeldjäger ist im Anmarsch.
Der Antrieb des Jägers lässt die Luft erzittern und dirigiert dabei einen Chor ächzenden Metalls, unterstützt von schwankenden Schrottteilen und Schiffsgerippen. Die Avenger zieht über Krenn hinweg, geradewegs auf eine Rauchfahne zu, die im Hintergrund langsam in den Himmel steigt: Der zerschmetterte Rest seiner Talon. Hoffentlich ist seine wertvolle Fracht darin noch intakt. Sie ist der Grund dafür, dass er in diesen Schlamassel geraten ist. Das Eindringen in den Sicherheitsposten war nicht schwieriger als sonst gewesen, aber danach war alles zum Teufel gegangen. Nicht nur, dass sein Abgang blutiger war als geplant. Plötzlich war zu allem Überfluss noch dieser verdammte Kopfgeldjäger Jorg Tala aus dem Nichts aufgetaucht, hatte Krenn von seiner Gruppe isoliert und ihn hier runter getrieben.
Jorg hatte in den letzten Monaten systematisch Jagd auf Mitglieder von Ashen Haunt gemacht. Dass er zu einem so großen Problem werden würde, war Krenn nicht mal entfernt in den Sinn gekommen. Angesichts der fanatischen Art und Weise, in der Jorg seine Bande ins Visier nahm, musste er zu den Fremdenhassern gehören, die jene glorreichen Tage des Sieges der Menschheit über die fremde Spezies wieder aufleben lassen wollten.
Das Schiff des Kopfgeldjägers verschwindet aus Krenns Blickfeld und landet dem Triebwerksgeräusch nach zu urteilen in der Nähe der Rauchfahne. Der Jäger wird als Nächstes zweifellos die Absturzstelle der Talon untersuchen. Das setzt Krenn unter Zugzwang, weil er dem Bastard die Fracht auf gar keinen Fall überlassen will. Doch in gewisser Weise wähnt sich Krenn sogar als Glückspilz. Wären die Rollen vertauscht, hätte Krenn, einfach um sicher zu gehen, eine Rakete auf das Wrack abgefeuert. Dieser Mangel an Entschlossenheit eines Kopfgeldjägers ist eine ausgesprochen menschliche Eigenschaft.
Der Pirat versichert sich genau seiner Lage: Eine Handwaffe, deren letztes Magazin nicht einmal zu Hälfte geladen ist, eine einzelne Granate, die beim Absturz nicht explodiert ist, eine Bakor-Klinge und vor allem die böse Wunde am Bein. Der Druckverband verlangsamt zwar den Blutverlust, kann ihn aber nicht stoppen. Krenn braucht dringend eine dauerhafte Lösung, wenn er hier überleben will. Das Adrenalin wird den Schmerz vorerst in Schach halten, dennoch bleibt ihm nicht die Spur einer Chance, weder wenn er verblutet, noch wenn die Durchblutung seines Beins versiegt.
Krenn sucht den Schrott um sich herum ab und humpelt dann die kleinen schmutzigen Gassen hinunter, die sich zwischen den vergessenen Schiffsresten hindurch schlängeln. Er findet, was er sucht: Vor ihm ruht ein großer Frachter, er ist relativ neu, gemessen an den übrigen stählernen Eingeweiden. Der Rumpf des Lastkahns ist bereits entblößt und erlaubt einen freien Blick auf ein Geflecht aus Rohren und Kabelbäumen. Aus einigen Enden tropft so langsam wie stetig eine grüne Flüssigkeit. Krenn betritt das Schiff durch das Loch im Rumpf, folgt den Rohren bis zum Kühlmitteltank. Er schmunzelt und stellt sich vor, wie stolz Ragwheel wäre, wenn er ihm diese Geschichte erzählen könnte. Es war der Beweis dafür, dass der Pirat tatsächlich auf den alten Mechaniker hörte, auch wenn er immer so tat, als würde er es nicht tun.
Dann holt der Tevarin tief Luft und zieht das Bakor. Auch wenn es gleich laut wird, es gibt keine Alternative hierzu. Wenn Jorg ihn jetzt hört, dann ist das eben so. Krenn stößt den mittleren Stachel des Bakors in die dicke Ummantelung des Kühlmitteltanks. Das Metall antwortet mit einem dumpfen Geräusch – und bleibt unversehrt. Krenn umschließt den Griff seines Bakors noch entschlossener und rammt die Spitze mit voller Wucht nochmals in die Kerbe. Der Tank gibt sich geschlagen und belohnt den Piraten mit einem sprudelnden Strom grüner Flüssigkeit. Krenn verliert keine Zeit, nimmt seinen ganzen Mut zusammen und streckt das wunde Bein in den Strahl der Flüssigkeit.
Es kostet ihn jedes Fünkchen Willenskraft, stehen zu bleiben und den Schmerz zu ertragen, damit die ätzende Chemikalie seine Wunde versiegeln kann. Es gelingt ihm das Bein zu drehen, um auch die Austrittswunde der bestialischen Behandlung zu unterziehen. Sobald die Wunde verschlossen ist, reißt Krenn sein geschundenes Bein aus dem Chemikalienstrahl und sackt augenblicklich zusammen. Der ekelerregende metallische Geruch seines Blutes vermischt sich mit dem beißenden Gestank der Kühlflüssigkeit und lässt ihn schwindeln. Sein Blick auf das verätzte Fleisch seines Beins macht ihm wenig Hoffnung, dass er damit jemals wieder ordentlich laufen wird – aber zumindest blutet es nicht mehr.
Schwer humpelnd verlässt Krenn den Frachter auf demselben Weg, auf dem er gekommen war. Schnell hat er die Rauchfahne seines Schiffes wieder im Blick. An ihr orientiert sich der Pirat, während er tiefer in die Ansammlung zerschossener Schiffe und ihrer lose verteilten Kadaver vordringt. Das Labyrinth aus scharfkantigem Schrott führt oft in Sackgassen, viele Wege enden vor Hügeln rostigen Metalls. Blindlings humpelt er voran durch die Ödnis und nimmt weite Umwege in Kauf, um an das Wrack seines Schiffes zu gelangen. Er geht so leise, wie es ihm trotz seiner ernsten Verletzung möglich ist, aber lautlos ist das beileibe nicht. Der Beweis folgt auf dem Fuße. Eine Kugel bohrt sich schmerzvoll in Krenns Schulter.
Der plötzliche Einschlag wirft ihn hinter ein schweres Blech. Es folgt ein weiterer Schuss, der nur wenige Zentimeter vor seinem Gesicht in seiner Deckung einschlägt. Jorg hat ihn gefunden. Dass ihm das so schnell gelungen ist, lässt den Piraten hoffen, dass seine Fracht noch sicher ist.
„Krenn“, ruft der Kopfgeldjäger. Es klingt entfernt. „Zeit aufzugeben. Es ist vorbei.“
Krenn drückt sich gegen die Metallplatte und legt seine Hand auf seine Schulter. Zum Glück ist die Kugel vollständig durchgedrungen und hat offensichtlich keinen größeren Schaden angerichtet. „Lass dich nicht durch Unglück von deinem Segen ablenken“, erinnert sich der Tevarin an eine Weisheit seiner Vorfahren.
Er lugt hinter seiner Deckung hervor und erhascht einen Blick auf Jorg, der eine grüne, schwere Rüstung trägt. Er hockt auf den Überresten einer Carrack und nutzt sie als Ausguck. Selbst aus dieser Entfernung kann der Pirat eine Laserpistole an der Hüfte des Kopfgeldjägers erkennen, zusammen mit dem, was er für ein Messer hält. Und dann ist da noch das Sturmgewehr, das offenbar für seine jüngste Verletzung gesorgt hat.
„Komm doch“, ruft Krenn und versucht, nicht zu erschöpft zu klingen.
Er schaut sich nach einem guten Fluchtweg um.
„…du solltest inzwischen wissen, dass ich nicht gerade der Typ bin, der leise ist.“
Gleichzeitig rennt Krenn los, während er darauf achtet, so tief wie möglich in Deckung zu bleiben und möglichst viel Abstand zwischen sich und den Jäger zu bringen. Seine zahlreichen Verletzungen sabotieren diesen Plan aber rasch.
„Wenn du aufgibst, kann ich dich medizinisch versorgen lassen“, antwortet Jorg von seinem Spähposten aus. „Mir wäre es lieber, du würdest nicht sterben.“
„Sieht nicht so aus, als ob du dich dafür besonders anstrengen würdest!“
„Dein Kopfgeld ist nun einmal höher, wenn ich dich lebend fange“, erwidert Jorg. „… aber nicht viel. Deine Bande hat einfach zu wenig Freunde.“
Krenn ignoriert ihn und bewegt sich weiter, und gerät erneut in eine Sackgasse. Ihm bleiben zwei Optionen. Die eine führt über einen Schrotthügel, aber der Versuch, ihn in seinem jetzigen Zustand zu erklimmen, wird Jorg sofort aufscheuchen. Der andere führte über eine Lichtung und macht ihn zu einem leichten Ziel.
Krenn zieht vorsichtig ein loses Rohrstück aus dem Schrotthaufen und späht zu Jorg hinüber. Der Jäger sucht durch das Visier seines Gewehrs nach einem Anzeichen von Bewegung. Sobald Jorgs Kopf abgewandt ist, wirft Krenn das Rohr in hohem Bogen von sich. Das aufschlagende Metall bündelt wie geplant die Aufmerksamkeit des Kopfgeldjägers und Krenn nutzt das Ablenkungsmanöver, um sein Versteck aufzugeben. Er zieht seine Laserpistole und entlädt den letzten Rest seiner Batterie auf die Carrack, auf der Jorg noch immer mit seinem Sturmgewehr im Anschlag weilt. Die Schüsse finden nicht nur ihr Ziel, Krenn landet einige Glückstreffer, das Gerippe der Carrack knickt ein und verschlingt dabei mit lautem Kreischen Jorg. Krenn wirft seinen leeren Blaster beiseite und quert so schnell es sein verletztes Bein zulässt die Lichtung. Er hat die Lichtung noch nicht ganz hinter sich gelassen, als er erneut das Geräusch quietschenden Metalls wahrnimmt und ihn dazu zwingt, sich umzusehen.
Als er herumfährt erkennt er Jorg, der sich aus den Überresten der Carrack wühlt. Er scheint bei dem Sturz sein Gewehr verloren zu haben, aber ansonsten wirkt er unverletzt. Lediglich seine Rüstung zeugt mit tiefen Kratzern von seinem Sturz. Der Pirat flucht laut. Solange Jorg die verdammte Rüstung trägt, bleibt Krenn ohne jede Chance.
Jorg erblickt den Piraten, zieht seine Pistole und feuert, aber der humpelnde Tevarin schafft es gerade noch bis zum anderen Ende der Lichtung und gerät außer Sicht…Krenn könnte dem Jäger bei einer direkten Verfolgungsjagd niemals entkommen, also zieht er im Vorbeihasten wahllos spitz hervorstehende Metallteile aus den Trümmberbergen zu seiner Rechten und Linken und hat erneut Glück: Eine Müllwand kollabiert direkt hinter ihm und bildet einen zerklüfteten, mörderischen Hindernisparcours aus Metallsplittern zwischen ihnen.
„Du glaubst wirklich, dass du entkommen kannst?“, brüllt Jorg stocksauer.
Er stürmt voran, springt über und unter den metallenen Trümmern hindurch. „Du wirst genauso untergehen wie der Rest deiner erbärmlichen Bande.“
Krenn wittert eine Gelegenheit und verlangsamt sein Tempo, um sicherzugehen, dass Jorg ihn sieht.
„Ihr glaubt, ihr seid so viel besser als wir? Es ist alles so einfach und klar, wenn man das Universum nur in Schwarz und Weiß sieht wie du.“
Jorg hebt seine Pistole zum Feuern, aber Krenn duckt sich wieder um eine Ecke und entkommt ihm knapp. Aber er lässt sich nicht abhängen, gewinnt an Tempo und umrundete die… BUMM…es ist der alte „Granate um die Ecke“-Trick. Es ist nicht das erste Mal, dass Krenn diese Taktik erfolgreich anwendet, und er hofft, dass es auch nicht das letzte Mal war. Wie das Sprichwort schon sagt: “Hunger kann selbst das gefährlichste Raubtier blind machen.”
Nicht gewillt, Jorg auch nur einen Moment Zeit zur Erholung zu schenken, zieht Krenn seinen Bakor und stürzt sich in die Staubwolke, die sich mit der Detonation der Granate gebildet hat. Gerade als der Staub sich zu verziehen beginnt, sieht Krenn, wie sein Jäger bereits wieder auf die Beine kommt. Die Explosion hat ihren Zweck erfüllt: Jorgs Rüstung ist schwer in Mitleidenschaft gezogen. Sogleich schwingt der Pirat seinen Bakor nach der Pistole des Jägers und erwischt die Waffe, der nächste Hieb gilt Jorgs Kopf. Krenns Angriff verfehlt ihr Ziel zwar nicht, aber die tödliche Klinge kann Jorgs Helm nicht auf Anhieb durchdringen, gleichwohl bringt die Wucht des Schwungs den Jäger ins Taumeln. Krenn hastet gegenwärtig nach Jorgs Pistole, richtet sie auf den Jäger … und erstarrt mit dem Finger am Abzug. An der Stelle, an der seine Axt Jorgs Helm getroffen hatte, ist das Visier gesplittert und erlaubt einen Blick auf das Gesicht dahinter: Es ist ebenfalls ein Tevarin!
„Nicht das, was du erwartet hast?“, höhnt Jorg.
„… warum?“, fragte Krenn schnaufend. „Du könntest jeden anderen jagen, aber du bist hinter uns her? Hinter deiner eigenen Art?!“
Krenn spürt, wie unbändige Wut in ihm aufsteigt.
„…du…du arbeitest für die Bastarde, die uns alles genommen haben?!“
„Die Menschen müssen sehen, dass wir es wert sind, respektiert zu werden.“
„Und wie soll das gehen? Indem wir uns gegenseitig zur Strecke bringen?“
„Du und deine Bande bremsen unser ganzes Volk aus“, antwortet Jorg ruhig. Er klingt so, als sei er davon tief überzeugt.
Das macht Krenn sprachlos. Wie kann ein Tevarin nur so etwas glauben? Nachdem ihr Volk so viel ertragen, so viel gelitten hat …
Eine blitzartige Bewegung bringt Krenn in die Gegenwart zurück. Ein geworfenes Messer schneidet durch die Luft auf direktem Weg zu seiner Kehle. Krenn kann gerade noch ausweichen, erleidet am Hals aber einen tiefen Schnitt. Darauf folgt Jorgs harte körperliche Offensive.
Krenn stolpert zurück und versucht, die Pistole in den Anschlag zu bringen, aber Jorg schlägt Krenns Handgelenk gegen seinen gepanzerten Rumpf und bricht so den festen Griff des Piraten um seine Pistole. Die Waffe fällt ihnen vor die Füße. Krenn tritt sie mit dem Absatz seines Fußes davon, noch bevor Jorg nach ihr greifen kann. Mit leisem Scheppern verschwindet die Waffe unter einem großen Haufen rostender Stahlteile. Krenn gewinnt etwas Freiraum, schwingt seine Axt nach unten, aber der Jäger kann sich rechtzeitig mit einem Sprung vor der Klinge zu retten. Der Pirat drängt hinterher, seinen Bakor wieder und wieder schwingend.
Schier endlos ziehen sich die Sekunden des Kampfes und Krenns Ausdauer beginnt zu schwinden. Jeder Kraftvorteil, den Krenn gerade noch gehabt haben mochte, ist bald aufgezehrt. Und so sehr Krenn diesen Gedanken auch hasst – er muss zugeben, dass Jorg insgesamt austrainierter ist. Um den Kopfgeldjäger zu besiegen, muss Krenn die Sache schnell zu Ende bringen. Von dieser Erkenntnis angestachelt bringt der Pirat ein kehliges Brüllen aus seinem tiefsten Innern hervor, holt weit aus und leitet damit einen fatalen Hieb auf seinen Gegner ein. Jorg greift nach der Axt, während sich Krenns Gesichtszüge zu einem grimmigen Grinsen verziehen. Die Finte funktioniert. Zielsicher treibt der Gejagte den Stachel seines Bakor durch eine von der Granate hinterlassene Lücke in Jorgs Beinpanzer ins Fleisch seines Jägers. Jorgs knickt sofort ein. Der Pirat hat den Jäger endlich in seiner Gewalt… und verzichtet auf den Gnadenstoß. Denn so sehr er Jorg auch dafür hasst, dass er nach seiner eigenen Art trachtet – er ist immer noch Tevarin.
Jorg versucht, sich aufzurichten, aber sein Bein kann sein Gewicht nicht mehr halten und er fällt erneut zu Boden. Mit dem auf Jorg gerichteten Bakor wendet sich Krenn an den Besiegten: „Ich werde dir eine Chance geben … aber nur eine. Verfolge mich nie wieder!“ Dann wendet er sich ab und hört, wie Jörg versucht ihn zu greifen aber sofort wieder zusammenbricht, unfähig, ihn zu verfolgen.
Den Rauch fest im Blick marschiert Krenn direkt auf ihn zu, während ihn Jorgs Überzeugung beschäftigt und dazu drängt, sich mit diesem Artgenossen irgendwie zu arrangieren. Noch ohne gedanklichen Abschluss erreicht er die Absturzstelle. Dort findet er, was er sucht: Seine Talon, hinter der Jorgs Avenger parkt. Wenngleich wenig von Krenns Schiff übrig ist, das Schmuggelversteck scheint noch intakt zu sein.
Er setzt seinen Bakor als Brechstange an, und hebelt einen kleinen Spalt zwischen Panzerung und Verkleidung. Nach und nach löst sich die Verkleidung unter der Kraftanstrengung. Dann kann Krenn die Verkleidung abheben und hat einen freien Blick auf das Triebwerk. Inmitten seines Innenlebens versteckt sich ein Fach, darin eine kleine, verstärkte Box, nur wenig größer als seine Hand. Krenn atmet erleichtert auf und entnimmt das Kästchen. Dumpf trifft ihn wie aus dem Nichts ein Rohr am Hinterkopf und lässt ihn mitsamt seiner Box zu Boden gehen. „Ich habe mich schon gefragt, wo du hinwillst“, sagt Jorg, „ich dachte, du wolltest mein Schiff, aber…“
Mit verschwommener Sicht verfolgt Krenn, wie Jorg sich bückt und seine Box aufhebt. „Das hast du vom Sicherheitsaußenposten mitgenommen … das ist der Grund dafür, dass dort so viele Menschen sterben mussten?“
Krenn stöhnt, seine Sicht ist immer noch verschwommen.
„Sie waren im Weg“, sagte er mit rauer Stimme.
„Das ist alles?“, fragt Jorg. Er wirft seine Pistole weg und nimmt Krenns am Boden liegendes Bakor auf. „Weisst du, was bei jedem Verbrechen passiert, das sie begehen?“
Jorg wartet kurz auf eine Antwort. Aber sie kommt nicht.
„…sie bestätigen all die schrecklichen Dinge, wegen derer sie uns verachten. Sie bestärken die Menschen in ihrem Glauben, dass wir nur Probleme sind, die gelöst werden müssen.“
„Und dafür gibst du mir die Schuld?“ fragte Krenn, fast ungläubig und gibt sich dabei alle Mühe trotz seiner lodernden Schmerzen verständlich zu sprechen. „Sie haben keinen Platz für uns in ihrer Welt. Wir haben nichts zu verlieren, wenn wir uns wehren.“
„Wir haben unsere Zukunft“, entgegnet Jorg. „Unser Leben.“
„Das nennst du ein Leben?“
Frust, Wut und Traurigkeit toben hörbar in Krenn.
„All ihre Systeme, all ihre Gesetze, sind darauf ausgelegt, uns schwach zu halten. Und weißt du, was passiert, wenn wir den Menschen auch nur ein Zeichen von Stärke zeigen? Sie brandmarken uns als Kriminelle. Sie überzeugen das Universum davon, dass wir eine Bedrohung sind, die ausgerottet gehört, obwohl wir in Wirklichkeit nur überleben wollen. Also gut, wenn du willst, dass ich ein Krimineller bin, dann werde ich der verdammt nochmal alles geben, der beste Kriminelle zu sein der ich kann. Ich werde dir zeigen, wozu unser Volk fähig ist.“
„Was ist da drin?“
Jorg hält das Kistchen hoch. „Was ist dieses ganze Elend wert?“
„Überzeugen dich selbst. Der Code ist 2610.“
Krenn beobachtet Jorgs Mimik aufmerksam. Falls er den Code wahrgenommen hat, so gibt er das nicht zu erkennen. Dann öffnet sich der Deckel der Box und die Stirn des Kopfgedljägers runzelt sich verwirrt. Er greift hinein und holt einen Datenstick hervor.
„Was ist das?“
„Leben!“, antwortet Krenn.
„Ich verstehe das nicht …“
„Es sind Neuanfänge. Saubere Ausweise, mit denen man Tevarin aus der UEE schmuggeln kann“, erklärt Krenn. „An Orte, an die sie aus welchen schwachsinnigen Gründen auch immer nicht reisen dürfen. Gründe, die lokale Regierungen benutzt haben, um sie als Kriminelle zu brandmarken.“
Als sich das Schweigen zwischen ihnen legt, meint Krenn einen Riss in Jorgs ausdrucksloser Miene zu erkennen. Er nutzt die Sekunde und setzt nach: „Die ganze Zeit über hast du mich und die anderen vom Ashen Haunt gejagt, aber wir haben nicht für uns gestohlen.“
„Wo bringst du das hin?“
„Nach Branaugh“, antwortet Krenn.
Der Pirat sieht so etwas wie Erkenntnis auf dem Gesicht des Jägers.
„…raus aus dem Empire.“
Krenn lächelt bei dieser Aussage. „Das Empire weiß sehr genau, was wir tun. Ich mag sie hassen, aber sie sind nicht dumm. Was glaubt du, warum unsere Kopfgelder so hoch sind? Sie können es nicht ertragen, wenn Tevarin sich gegenseitig helfen.“
„Es gibt andere Wege“, antwortete Jorg, und seine Stimme ist noch unsicherer als zuvor.
„Man muss nicht morden, um andere zu retten.“
„Wir tun das Einzige, was wir können. Wenn einige Menschen sterben müssen, um mein Volk zu retten, dann soll es so sein.“
„Das ist nicht … ich meine, das sind keine Soldaten auf den Stationen, die ihr angreift. Es sind unschuldige Menschen. Wir sind nicht im Krieg.“
„Natürlich sind wir das!“
Die donnernden Triebwerke von Krenns Begleitern beenden die Diskussion schlagartig. Endlich haben seine Freunde ihn ausfindig gemacht. Darauf hat er gewartet. Den Überraschungsmoment nutzend wirft sich Krenn auf seinen Verfolger und nutzt dabei jedes seiner Pfunde, die ihm einen kleinen Vorteil gegenüber dem kleineren Tevarin verschaffen. Einen Moment später schnappt Jorg laut gurgelnd nach Luft. Krenn lässt von ihm ab und blickt auf Jorgs bebenden Brustkorb. Ein Metallstab ragt blutverschmiert aus ihm heraus. Den Bakor noch immer fest umklammernd stemmt sich Krenn hoch während Jorg an den Boden genagelt einen Blick auf seine Verletzung riskiert. Ruhig gestellt vom Schock nimmt er die Wunde in Augenschein.
„Nun“, flüsterte er mühsam. „das ist definitiv nicht die zusätzlichen Credits wert.“
Krenn betrachtet ihn einige Augenblicke lang. Der Hass, der ihn zu diesem Punkt getrieben hatte, ist abgeflaut.
„Die Menschen…“, beginnt Krenn. „…warum interessierst du dich so sehr für sie?“
Einen Moment lang ist Krenn nicht sicher, ob Jorg antworten wird. Dann schließt der Jäger seine Augen.
„Sie sind nicht alle gleich…“
Krenn sucht in Jorgs Gesichtsausdruck nach etwas, das nicht da ist.
„Das habe ich nicht gefragt. Was kümmert es dich?“
Die Pause währt dieses Mal länger. Jorgs Atmung wird langsamer.
„Als ich jung war … war ich allein … ein Mensch nahm mich auf. Er zeigte mir einen anderen Weg. Sie können Verbündete sein … wenn man sie nicht alle wie Feinde behandeln würde…“
Jorgs Worte treffen Krenn wie ein harter Faustschlag. Die schiere Überzeugung, mit der Jorg spricht, beunruhigt ihn.
„…hast du dein Imprint letztens erneuert?“, fragt er.
Jorg nickt kaum mehr wahrnehmbar. Das Leben weicht bereits aus ihm.
„Vielleicht kannst du mir davon erzählen, wenn wir uns wiedersehen.“
Es dauert eine Weile, bis die Antwort über Jorgs blasse Lippen kommt.
„Gut. Nächstes Mal…“, sagt Jorg schwach, bevor seine Atmung zum Stillstand kommt und Krenn Zeuge wird, wie Jorg Talas stirbt.
Seinen Bakor fest im Griff wirft Krenn dem Jäger einen letzten Blick zu. Ihm ist vollkommen klar, dass Jorg zurückkommen wird. Einer der Vorteile des legalen Lebens ist nun einmal, dass man ohne weitere Komplikationen regeneriert wird. Komplikationsfrei insofern, als dass man nicht gleich nach dem Aufwachen verhaftet wird. Die Kopfschmerzen sind in jedem Fall dieselben. Krenn hofft unterbewusst, dass Jorgs Regeneration schmerzfrei abläuft, hält den Gedanken fest und ist überrascht von seiner eigenen Sentimentalität.
In der Ferne sieht er seinen Trupp im Tiefflug über den Schrottplatz gleiten. Offensichtlich suchen sie nach einem Zeichen von ihm oder seinem Schiff. Auf ihre Kritik könnte er gut verzichten. Krenns Blick fällt auf Jorgs Avenger. Er könnte das Schlimmste vermeiden, indem er die Verbündeten vor seinem neuen Schiff in Empfang nimmt. Obwohl: Jorg wird sicher wütend über das Verschwinden seines Schiffes sein.
“…eine kleine Spende für unsere Sache kann er aber leisten”, murmelt Krenn und läuft daraufzu.