Cassandra’s Tränen

Ein Kampf auf Leben und Tod zwischen Piraten und Vanduul

Von Dave Haddock

(übersetzt von Brubacker)


Kapitel 01

UEES-Träger “Gemini”, Centauri-System

Vier Wochen… vier lange Wochen, seit Cal Mason den entführten Xi’An-Diplomaten gerettet hatte. Nun wurde er von der Krankenstation entlassen. Er hatte dieses bestimmte Verlangen, das daher kam, dass er schon zu lange am Boden war. Piloten befiel das immer. Fast so, als trauten sie ihren Gliedern nicht zu, sie zu tragen. Nein, sie mussten sich mit Flügeln und Triebwerken durch das Universum bewegen, nicht mit ihren Armen und Beinen.

Cals Rippen schmerzten immer noch von dem Hit, den er auf der Vega eingesteckt hatte, aber das war ihm egal. Er musste einfach raus. Cal machte sich auf den Weg zurück in sein Quartier. Eine Patrouille war gerade gelandet. Sie überholte ihn auf dem Weg zu einer Nachbesprechung.

“Hey, Mason. Haben sie dich endlich rausgelassen?”

Cal drehte sich um. Penny sah müde aus, dabei aber fröhlich wie immer. Wenn es in diesem Universum etwas gab, das ihre Laune trüben konnte, dann hatte Cal es bisher nicht gesehen.

“Nicht offiziell. Wie ist es da draußen, Kleine?”

“Gefahr auf Schritt und Tritt”, antwortete sie mit einem Augenzwinkern.

“Hast du dich schon bei Grandpa gemeldet?”

“Bin gerade auf dem Weg dorthin.”

Penny joggte, um den Rest ihres Wings einzuholen. Sie löste ihr Haarband, um ihr feuerrotes Haar freizulegen, und drehte sich um. “Oh, und Cal…”, sagte sie, während sie noch einmal umdrehte, “hör auf, mich Kleine zu nennen.”

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Admiral Showalter war schlecht gelaunt. Wenn es in diesem Universum etwas gab, das Showalter in gute Laune versetzen konnte, so hatte Cal es bisher nicht kennengelernt. Es war wie bei Penny – nur andersherum. Der Admiral, der von Crewmitgliedern mit Todeswunsch den Spitznamen “Grandpa” erhalten hatte, war Soldat auf Lebenszeit. Als Überlebender mehrerer Bodenkampagnen, hunderter Einsätze und wahrscheinlich dutzender verdeckter Operationen war seine Karriere in seine Gesichtszüge eingebrannt. Seine schmalen Augen nahmen alles auf, gaben aber nie etwas preis.

“Sie sollten noch auf der Krankenstation sein.”

Er brummte den Satz mehr, als er ihn sagte, während er den Bericht des Arztes auf seinem Bildschirm überprüfte. “Außerdem werden Sie bis zu Ihrer Untersuchung nicht in die Nähe eines Schiffes kommen. Command macht mir die Hölle heiß wegen der Nummer, die Sie da abgezogen haben.”

“Tut mir leid, Sir.”

Cal konnte sich ein Grinsen kaum verkneifen. Einem Schmugglerschiff durch die belebte Stadt Titus zur Hauptverkehrszeit hinterherzujagen, konnte schon mal ein paar Hühner aufscheuchen. Dafür war  es aber eine höllisch gute Verfolgungsjagd gewesen.

“Sie müssen sich nicht entschuldigen. Sie waren gut da draußen. Ich werde nicht zulassen, dass sie Sie zum Sündenbock machen, um sich politische Vorteile zu verschaffen.”

“Danke, aber bringen Sie sich meinetwegen nicht in Teufels Küche.”

“…denken Sie, ich bin dahin gekommen, wo ich bin, ohne ein paar politische Fallstricke umgehen zu können?”

Das war der Grund, warum sich alle von Showalters Truppen für diesen Mann eine Kugel einfangen würden. Showalter schaltete seinen Bildschirm aus und sah Mason an.

„Aber ich setze Sie trotzdem nicht wieder auf die Rotation.”

“Ich werde darum betteln.”

“Und ich werde, wenn es sein muss, einen Verletzten schlagen. Und jetzt verschwinden Sie.”

Cal beschloss, ihn nicht weiter zu reizen. Er wollte unbedingt wieder in die Luft kommen. Er musste nur herausfinden, wie. Wie sich herausstellte, würde er nicht lange warten müssen. Ein Notruf schrillte in dem Moment durch das Schiff, in dem der Vanduul-Angriffstrupp das System erreichte. Füße donnerten durch die Gänge, die Triebwerke zündeten. Die massiven Hangartore des Trägers rollten zurück. Penny schnallte sich in ihrem Sitz an, während ihr NavComputer hochfuhr. Sie schaute durch die Hangarbucht – und sah Cal, der soeben vor ihrem Schiff vorbeiflog. Er grinste und salutierte.

“Verrückter Sohn einer…”

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Admiral Showalter war auf der Brücke, als Mason abhob. Er drückte auf die Comms.

“Verdammt, Mason. Bringen Sie den Vogel zurück auf das Deck. Ich sage es Ihnen nur einmal.”

“Tut mir leid, Sir, die Navigation ist bereits eingerastet.”

Cal schaltete den Kanal stumm. Das Kribbeln eines bevorstehenden Sturms stieg in ihm auf. Für ihn war das hier sein Zuhause. Er wusste es, seit er das erste Mal in einem Cockpit gesessen hatte und seitdem war es jedes Mal so. Penny schloss zu ihm auf.

“Was zum Teufel machst du da?”

“Na, ich helfe Euch.”

“Der Admiral hat mir befohlen, dich vom Himmel zu holen.”

“Ich werde brav sein. Versprochen.”

Penny starrte ihn ein paar Augenblicke lang an. Schließlich schüttelte sie den Kopf.

“Gut. Pass auf uns auf und mach keine Dummheiten.”

“Komm schon, Penny, du kennst mich doch.”

“Eben drum.”

Cal fiel zurück in die Formation. Der Wing besaß sechzehn Schiffe – zehn Cestus-Dogfighter, drei Zipper und zwei Anvils. Das sollte reichen, um mit allem fertig zu werden. Auf der Brücke der „Gemini“ beobachtete Showalter, wie die Blips des Vanduul-Überfallkommandos auf der Kartensphäre kreisten. Sie verschwanden soeben in der Atmosphäre des Planeten Yar. Das ließ ihn innehalten. Warum dort? Er dachte nach. Es gab viel dichter besiedelte Planeten in dem System. Die Vanduul hatten in der Vergangenheit keine Angst vor einer Flottenpräsenz der UEE gehabt. Wenn sie hier waren, um zuzuschlagen, warum dann auf einem trostlosen Planeten am Rande mit nur einer Handvoll Siedlungen und Forschungsstationen?

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“Admiral. Neuer Kontakt. Peilung acht-sieben-null.”

Whitacre, Radar-Spezialist, ließ den neuen Impuls auf der Radarkugel aufleuchten. Showalter warf einen Blick darauf und wusste sofort. Es war ein Vanduul-Flaggschiff. Es war auf dem Weg, sie abzufangen.

“Tja, da ist wohl jemand zum Spielen gekommen.”

Er gab den Befehl, dass sich die „Gemini“ für die Schlacht bereit machen sollte.

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Kapitel 02

Cals Schiff schüttelte sich in der Sekunde, in der es auf Yars Atmosphäre traf. Penny und der Rest ihres Wings waren bereits durchgestoßen und in den dichten Wolken der oberen Atmosphäre verschwunden. Seine Comms fielen aus, als er durch die Wolken raste. Cal konzentrierte sich, blieb genau auf Kurs, bis er wieder etwas sah.

Nur Sekunden später geriet mitten in die Schlacht. Fighter auf beiden Seiten kreischten durch die Luft, als sie sich über dem Kraterplaneten aus rotbraunem Gestein umeinander drehten. Einer ihrer Zipper bekam einen Treffer an den Triebwerken ab, was sofort seine Geschwindigkeit reduzierte – die einzige Stärke, den er ausspielen konnte. Bevor Cal überhaupt nur reagieren konnte, stürzten sich zwei Vanduul auf ihn. Er sah, wie Penny sich mit einem Raider anlegte und beschloss, dass er an der Reihe war, sich einzumischen.

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Auf der Brücke der Gemini beobachtete Admiral Showalter unterdessen das sich nähernde Flaggschiff der Vanduul.

“Reden Sie mit mir, Corporal.”

Seine Miene bewegte sich kaum. Corporal Whitacre studierte seine Scanner.

“Die Waffen werden hochgefahren, Sir. Es sieht so aus, als würde es seinen Kurs um ein paar Grad drehen.”

Showalter warf einen Blick auf die Radarkugel und auf ihre neue Flugbahn.

“Es versucht, uns von Yar abzuschneiden.”

Er zeichnete die Flugbahn der „Gemini“ auf dem Nav ein und übermittelte sie zum Piloten. Dessen Augen wurden groß.

“Sir, das wird uns in die obere Atmosphäre bringen. Ich glaube nicht, dass wir in der Lage sein werden, der Schwerkraft des Planeten zu widerstehen….”

“Das ist mir egal. Ich werde unsere Leute nicht im Stich lassen. Schilde auf Backbord, ich will runter, bevor sie ihre Arc-Kanonen auf uns ausrichten.”

Die massiven Typhoon-Triebwerke der „Gemini“ zündeten und schickten das Schiff Richtung Yar. Unterdessen wich Cal dem Feuer der Raider aus. Er zündete seine Kompensator-Triebwerke, um einen Ausweichmanöver einzuleiten. Der Vanduul-Raider, der ihn verfolgte, schwenkte plötzlich in sein Sichtfeld. Cal drückte den Abzug. Pure Energie brannte sich seinen Weg durch den Himmel, der Vanduul versuchte ebenfalls auszuweichen – erfolglos. Sechs Schüsse durchschlugen seinen Flügel. Der siebte traf genau das Cockpit. Der Vanduul begann seine lange, feurige Todesreise nach unten.

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Cal nahm sich einen Moment Zeit, um die Situation zu sondieren. Im Moment war es ein Kampf auf Leben und Tod. Eine der Anvils war weg. Die andere feuerte schwere Artilleriegeschosse ab, langsam, dafür aber mit großem Schaden. Zwei Cestus-Piloten kämpften mit einem Raider. Dessen Hauptflügel sah aus, als wäre er in schwarze Kriegsbemalung getaucht worden. Er hatte zwar noch nie solche Vanduul-Markierungen gesehen.

Penny hatte gerade ihren zweiten Raider abgeschossen. Hinter ihr sah Cal in der Ferne wie weitere Schiffe die Atmosphäre durchbrachen. Die Wolken beeinträchtigten immer noch seine Scans, so dass er kein klares Ziel ausmachen konnte. Er begann, sie abzufangen. Wenn es weitere Vanduul waren, würde er nicht zulassen, dass sie sich von hinten anschleichen… tatsächlich: Etwa ein Dutzend weitere Scythes und ein paar Crawler kamen auf sie zu.

“Aufgepasst, Leute. Wir kriegen Gesellschaft.”

Cal sah gerade noch rechtzeitig nach unten, um zu erkennen, wie ein Vanduul-Raider, eine Black Talon, ihre Triebwerke startete um gekonnt jedem Feuer auszuweichen. Er schnitt eine Cestus mit seinem Flügel in zwei Hälften und feuerte einen gezielten Energiestoß auf eine andere. Cal hatte so ein Manöver noch nie gesehen. Wer auch immer dieser Pilot war, er war verdammt gut.

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Auf der „Gemini“ heulten sämtliche Alarme. Showalter hatte das Schlachtschiff in Reichweite des Vanduul-Flaggschiffs geschwenkt. Die beiden gigantischen Schiffe lieferten sich nun ein Kopf-an-Kopf-Rennen und dabei einen Schlagabtausch auf kürzeste Distanz. Der Raum zwischen ihnen blitzte auf, als die massiven Schilde aufflackerten, um die schweren Schüsse zu absorbieren. Immer wieder wurde die Brücke der „Gemini“ in grelles Licht getaucht.

Der Plan selbst hatte jedoch funktioniert. Für den Moment hielt die „Gemini“ zwischen dem Vanduul-Schiff und dem Planeten einen Fluchtweg offen. Ihre Steuerbordkompensatoren feuerten mit voller Kraft, um zu verhindern, dass sie in die Atmosphäre von Yar fiel.

“Sir, Schilde bei 30 Prozent.”

“Zur Kenntnis genommen. Finch, wie hoch ist der Schaden?” Der Waffenoffizier, war auf seine Scanner fixiert und koordinierte die massive Feuerkraft der „Gemini“.

“Sie müssen ordentlich einstecken, Sir.”

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Über dem Planeten drehte Cal sein Schiff in Richtung der Vanduul-Verstärkung bereit zum… doch sie griffen nicht an. Stattdessen rasten sie auf eine alte Siedlung am Boden zu.

“Penny, Irgendeine Idee, was da drüben ist?”

“Nicht jetzt, Cal.” murmelte sie. Ihr Peilsender piepte. Endlich hatte der Computer sein Ziel erfasst. Ein Strom winziger Raketen zischte aus dem Bauch ihres Schiffes, verfolgte einen weiteren Raider und ließ diesen kurz darauf explodieren. Cal sah etwas anderes. Die Black Talon flog auf sie zu.

“Penny! Auf Deiner Sechs!”

Penny zögerte nicht und ließ ihr Schiff nach unten wegsacken. Eine ganze Salve Granaten explodierte an der Stelle, wo sie noch Millisekunden zuvor gewesen war. Cal gab ein paar Schüsse ab. Acht verfehlten, drei trafen, aber die Schilde fraßen sie auf.

“Oh Mann.”

Cal seufzte.

Jetzt hatte er die ganze Aufmerksamkeit von Black Talon.

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Kapitel 03

Vierzig Prozent Schilde. Vier seiner Monitore waren ausgefallen. Nur noch zwei Raketen unterm  rechten Flügel. Zumindest die Waffen funktionierten noch und Treibstoff hatte er auch noch. Das war die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht? Cal Mason konnte nicht mehr lange auf die Black Talon schießen. Er würde abdrehen müssen.

Penny und die anderen kämpften immer noch mit dem Rest des Angriffstrupps. Der Himmel war ein Chaos sich auflösender Kondensstreifen und Rauchsäulen von den brennenden Wracks unter ihnen. Cal musste seine Konzentration bewahren. Er wusste, dass sich das Blatt jeden Moment wenden konnte.

Black Talon drehte hart nach links ab. Cal blieb an ihm dran. Er feuerte eine Salve ab, aber die Black Talon drehte eine Pirouette um die Schüsse, als wäre es nichts. Cal erkannte, wo er hinwollte. Die letzte verbliebene Anvil beharkte mit Artillerie einen Raider. Die Black Talon steuerte direkt auf das Netz aus explodierenden Granaten zu.

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An Bord der „Gemini“ war Admiral Showalter währenddessen zwischen dem Vanduul-Flaggschiff und der Anziehungskraft von Yar gefangen. Der massive Träger konnte beidem gleichzeitig nicht mehr lange standhalten. Er starrte auf die Radarkugel, studierte jede Position und wartete darauf, dass sich ein günstiger Schachzug ergab. Das Vanduul-Schiff befand sich leicht erhöht über ihrer Steuerbordseite. Sie beschossen es mit ihren großen Kanonen. Der Planet befand sich knapp unter ihrem Backbordhorizont.

“Sir. Wir können hier nicht bleiben”, rief der Pilot. Showalter ignorierte ihn, er war hochkonzentriert.

“Sir!”

Showalter drehte sich um, es könnte funktionieren.

“Schließen Sie die Suspensor-Triebwerke drei bis neun. Reduzieren Sie acht, zehn und zwölf um sechzig Prozent.”

“Aber Sir, dann fallen wir doch – “

“… in Richtung des Planeten, genau. Ich möchte, dass Sie genau das tun…”

Alle hörten zu. Ihren Gesichtern nach zu urteilen, dachten sie wohl, der alte Mann hätte endgültig den Verstand verloren. Die Hauptkanonen des Vanduul-Flaggschiffs begannen sich aufzuheizen. Energie ballte sich an der Spitze der Geschütze. Plötzlich neigte sich die „Gemini“ in Richtung des Planeten, die Backbordtriebwerke blitzten auf und zwangen das massive Schiff zu einer Drehung. Es flog am Rande der Atmosphäre entlang und nutzte die Schwerkraft, um herumzuschleudern, schließlich kam seine Backbordseite direkt unter dem Vanduul-Schiff zum Stehen.

Die „Gemini“ feuerte sofort mit jeder Waffe, die sie hatte, auf die schwache Unterseite des Flaggschiffes. Erst flackerten die Schilde auf, dann durchschlugen Energiestrahlen die Hülle, gefolgt von Raketen. Zum ersten Mal wurden die Vanduul ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen.

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Auf Yar wich Cal Artilleriegeschossen aus. Heller, der letzte Anvil-Pilot, versuchte, die Black Talon auszumanövrieren, aber der Vanduul erwies sich als ebenso geschickt. Weder direktes noch indirektes Feuer traf. Penny reihte sich hinter Cal ein. Es war offensichtlich, dass der Vanduul, obwohl er in der Defensive war, den Kampf diktierte. Das würde sich jetzt ändern. Sie würden Black Talon gemeinsam angreifen.

“Bist du bereit, Penny?”

“Lass uns den Kerl zu Staub machen.”

Cal grinste.

Irgendwie ahnte Black Talon, was bevorstand. In der Sekunde, in der Penny und Cal sich in Angriffsposition begaben, lösten sich Paneele am Schiff und gaben sechs zuvor versteckte Triebwerke. Frei. Black Talon ließ sie aufblitzen, um sich in halsbrecherischer Geschwindigkeit komplett zu drehen und auf sie zuzurasen. Cal wich aus, um dem gleichen Angriff auszuweichen, der seinen Kameraden zuvor in zwei Teile zerschnitten hatte. Die Black Talon schoss mit ihren Nachbrennern in Richtung Horizont und schloss sich einer Gruppe Vanduul Scythes und Crawlers an, die weiterhin auf die alte Siedlung zuhielten. Penny und das restliche Geschwader folgten ihnen. Cal tat es nicht. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er änderte den Kurs und flog stattdessen auf die Gebäude zu.

Das Flaggschiff der Vanduul drehte langsam ab. Die „Gemini“ hatte den Spieß umgedreht. Leider konnte sie  das Kingship nicht mehr einholen. Showalters waghalsiges Manöver hatte sein Schiff im Gravitationsbereich des Planeten eingeschlossen. Er sah, wie die Raider aus Yar auftauchten und in den zahlreichen Landebuchten verschwanden. Die massiven Triebwerke des Flaggschiffs heulten auf, dann war es auf und davon.

Auf der Oberfläche kletterte Cal die Leiter seines Schiffes hinab. Er entsicherte seine Pistole, als er sich dem Gebäude näherte. Ein Schild vor dem Gebäude war mit rotem Staub bedeckt, der überall  in der Luft lag. Cal wischte die oberste Schicht ab. Dies war eine geologische Forschungsstation. Er stieß die Tür auf. Ein paar Lichtstrahlen fielen durch Löcher in der Decke, aber ansonsten war es dunkel. Der rote Staub war überall. Aber so sehr Cal das Zeug auch hasste, im Moment tat es ihm einen großen Gefallen – er zeigte ihm Fußabdrücke und, noch besser, die Umrisse dessen, was fehlte.

Cal lief durch die Anlage. Es sah aus, als hätten die Vanduul vier Maschinen, etwa vier Meter hoch und ein paar Meter breit mitgenommen. Er machte ein paar Fotos von der Szene mit seinem Visor und konzentrierte sich dann auf die Maschinen, die in der Nähe der Gestohlenen standen. Ihm zog sich der Magen zusammen. Das war kein Überfall. Das war ein Raubüberfall. Was waren das für Maschinen? Wozu konnte und wollte dieser Vanduul-Clan veraltete Technik verwenden? Was hatten sie vor?

Penny verfolgte Black Talon und den Rest der Vanduul so weit sie konnte. In der Sekunde, in der sie aus der Atmosphäre ausbrachen, entfesselte das Flaggschiff einen Schwall Deckungsfeuer. Auf der anderen Seite sah es aus, als hätte Grandpa  ihnen eine ordentliche Abreibung verpasst. Hoffentlich werden sie es sich zweimal überlegen, ob sie dieses System noch einmal angreifen wollen, dachte sie.

“Alles klar, ab nach Hause.”

Das Geschwader brach die Verfolgung ab und kehrte zur „Gemini“ zurück, die sich mittlerweile stabilisiert hatte, aber immer noch daran arbeitete, sich aus dem Sog des Planeten zu befreien. Penny sah sich die Überreste ihres Wings an. Sie ging die Liste derjenigen Piloten durch, die sich nicht mehr melden würden. Aber wo war…

“Cal, hörst du mich?”

“Hey Penny. Sind die Vanduul noch im System?”

“Kaum noch. Sie fliehen im Eiltempo.”

“Irgendwas stimmt da nicht, Penny. Das war kein Raid.”

“Wovon redest du, Cal?”

“Du musst mir einen Gefallen tun.”

“Ich mag keine Sätze, die so anfangen…”

“Du musst mich bei Grandpa decken.”

“Du machst wohl Witze, Cal.”

“Ich melde mich, wenn ich mehr habe. Hier ist noch etwas anderes im Gange.”

Ein paar Augenblicke schwiegen beide.

“Weißt du, Cal, eines Tages werde ich all diese Gefallen einfordern.”

Auf der Brücke der „Gemini“ sah Admiral Showalter, wie Penny und die anderen Piloten zurückkehrten. Es waren viel weniger, als ihm lieb war. Dann sah er, wie sich Cals Schiff von Yar löste. Er hatte es auf das Flaggschiff der Vanduul abgesehen…

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Kapitel 04

Cal Mason warf einen letzten Blick auf die „Gemini“, die sich immer noch aus der Anziehungskraft von Yar freikämpfte, als Penny und der Rest des Geschwaders ihre Landeformation einnahmen.

Das ist es wert, dachte Cal. Bis er Admiral Showalter davon überzeugt gehabt hätte, dass hinter dem Vanduul-Überfall mehr steckte als einfacher Diebstahl, würde der Vanduul-Clan wieder in seinem Territorium verschwunden sein und das Oberkommando würde niemals eine Operation im feindlichen Raum genehmigen. Das wäre es dann gewesen.

“Das ist es wert”, sagte er noch einmal zu sich selbst und lud die entsprechende NavPlan-Datei. Der Computer übernahm die Kontrolle, als Cal den Sprungpunkt ansteuerte. Jetzt musste er nur noch warten, während der Computer das Schiff mit programmierter Perfektion durch den Zwischenraum schlängelte, und hoffen, dass die Vanduul nicht auf der anderen Seite saßen, bereit, jeden Idioten zu erschießen, der versuchte, ihnen zu folgen…

Cal beobachtete den Countdown auf seinem Monitor. Langsam nahm er wieder die Flugsteuerung in die Hand. Ein Finger schwebte über dem Schild-Booster, nur für den Fall. Er sprang auf der anderen Seite heraus, bereit für alles, dann atmete er erleichtert auf. Alles war gut. Er konnte sehen, wie das Flaggschiff zum Rest seines Clans zurückkehrte – eine Flotte von Frachtern, kleinen Zerstörern und Tankern, allesamt wahrscheinlich die Beute von Hunderten von Kämpfen, die im Laufe der Jahrzehnte stattgefunden hatten. Cal schaltete alle fremden Systeme ab, um seine Energiesignatur zu minimieren, dann sogar seine Triebwerke, nachdem er sich weiter auf die Flotte zubewegt hatte. Er sollte in der Lage sein, ziemlich nah heranzukommen, wenn sie nicht ihre Flugbahn änderten. Um ihn zu sehen, würden sie schon aus dem Fenster schauen müssen. Laut ihren Scannern war er einfach nur leerer Raum. Auch die Vanduul verließen sich einfach zu sehr auf ihre Technik. Cal konnte nicht zählen, wie oft er sich schon aus der Patsche geholt hatte, weil er einfach mehr seinen Sinnen vertraut hatte.

Cal überflog die Flotte, bereit für jedes Anzeichen, dass er entdeckt worden war. So weit, so gut. Er passierte etwas, das wie ein altes Farmschiff aussah, das wahrscheinlich die Zuchtfarmen für den gesamten Vanduul-Clan beherbergte. Es tuckerte dahin und hinterließ eine Spur von Abgasen.

Das Kommando versuchte, Datenbanken über jeden Vanduul-Clan zu erstellen, aber sie hatten immer Probleme mit den Rohdaten. So lange die Menschen auch schon gegen die Vanduul kämpften, war Cal doch immer wieder erstaunt, wie wenig sie doch über sie wussten. Es half auch nicht, dass die Spezies selbst so zersplittert war. Obwohl jeder Vanduul-Clan und jede Vanduul-Flotte ihre eigenen Traditionen, diplomatischen Verbindungen und sogar Religionen hatten, gab es ein paar Gemeinsamkeiten. Ihre Kämpfer waren sich ähnlich, ebenso wie ihre Flaggschiffe.

Wie auch immer, nicht viele Leute waren jemals so nah an eine Vanduul-Flotte herangekommen. Also machte Cal das Beste daraus, fotografierte und markierte jedes der Schiffe, wenn er eines passierte. Der militärische Geheimdienst würde ausflippen. Cal lächelte. Plötzlich blitzten die massiven Triebwerke des Flaggschiffs auf. Es änderte seinen Kurs. Als dann noch ein Schwarm von Jägern aus dem vorderen Teil des Schiffes startete, wusste Cal mit Sicherheit: Jemand hatte doch aus dem Fenster geschaut. Cal hatte etwa dreißig Sekunden Zeit, bevor er überrannt wurde. Er zündete die Triebwerke seines Jägers und steuerte auf den Rumpf des Flaggschiffs zu. Er konnte nicht einfach abhauen. Selbst wenn er es bis zum Sprungpunkt schaffen sollte, war er nicht näher dran, herauszufinden, was sie vorhatten. Nein, er musste in der Nähe bleiben.

Die Vanduul-Jäger schossen aus ihren Startrampen, angeführt von Black Talon. Sie flogen zu dem törichten, bald toten Menschen. Schließlich hatten sie ihn eingeholt. Die Black Talon entlud den ersten Strahl Laser-Feuer. Der Rest der Vanduul-Jäger folgte. Innerhalb von Sekunden wurde Cals Schiff in tausend Stücke gesprengt.

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…eine Schande, dachte Cal, als er an der Seite des Vanduul-Flaggschiffs schwebte, es war ein gutes Schiff gewesen. Da bemerkte er noch etwas anderes. Da war noch ein anderes Schiff in der Ferne. Zu weit entfernt zwar, um es zu identifizieren, aber es war definitiv kein weiteres Vanduul-Schiff. Cal schwebte am Rumpf des Schiffes entlang zu einem der klaffenden Löcher, die durch den Kampf mit der „Gemini“ entstanden waren und kletterte hinein.

Cal bewegte sich vorsichtig durch das Schiffsinnere. Der Bereich war nach dem Verlust der Hüllenintegrität abgeriegelt worden. Cal untersuchte die Türschlösser. Es war in Vanduul und das Zeichensystem war ihm völlig fremd. Plötzlich entriegelte es sich. Cal versteckte sich, bevor die Tür aufglitt. Ein Vanduul trat durch die Türöffnung. Cal beobachtete ihn aus einem Spalt in der Wand, seine Pistole zum Schuss bereit.

Der Vanduul näherte sich dem Loch in der Hülle und untersuchte es. Es musste ein Techniker sein. Cal blickte zwischen dem Vanduul und der offenen Tür hin und her. Der Techniker stand mit dem Rücken zu ihm. Cal schlüpfte vorbei und durch den unter Druck stehenden Vorraum in das Schiff selbst. Obwohl es schön war, die Schwerkraft zurück zu haben, konnte er seinen Anzug nicht ausziehen, da die Vanduul keinen Sauerstoff atmeten.

In dem Bemühen, nicht daran zu denken, wie lächerlich selbstmörderisch es war, in einem Vanduul-Flaggschiff herumzuschleichen, konzentrierte sich Cal gedanklich auf die Identität des neuen Schiffes. Die Jäger waren nicht umgeleitet worden, also nahm Cal an, dass das Schiff keine Überraschung für die Vanduul gewesen war. In diesem Fall könnten sie auf dem Weg zur Landebucht sein.

Cal bewegte sich vorsichtig durch die gewundenen, schrägen Gänge und wich gelegentlich weiteren Vanduul aus. Schließlich sah er einen Strom von Piloten durch eine Tür kommen. Vielleicht war einer von ihnen Black Talon. Cal wartete, bis sie um eine Ecke verschwunden waren, bevor er durch die Tür blickte, durch die sie gekommen waren. Sie führte in den Hangar. Er ging an unzähligen Vanduul-Jägern vorbei und sah schließlich, wie eine stark modifizierte Constellation in der Halle landete. Ein paar Dutzend Vanduul-Soldaten warteten, die Waffen griffbereit. Cal fand einen guten Platz, um sich zu verstecken und zu beobachten, was nun geschah.

Die Constellation setzte auf. Die Triebwerke wurden abgeschaltet, aber der Geschützturm blieb weiterhin besetzt. Die Ladebucht öffnete sich. Zwei humanoide Gestalten verließen das Schiff. Beide trugen geschlossene Anzüge. Sie waren etwa so groß wie Menschen.

Cal hatte gehört, dass einige Piraten mit bestimmten Vanduul-Clans Geschäfte machten, aber das war ziemlich selten. Die meisten wurden in der Sekunde getötet, in der sie auch nur in die Nähe eines Vanduul-Schiffes kamen. Die großen Stücke der Technik, die die Vanduul aus der Siedlung auf Yar mitgenommen worden waren, wurden auf die Constellation geladen. Einer der beiden Humanoiden untersuchte die Technik, während der andere mit einem Vanduul sprach. Als sie zufrieden waren, brachten die Humanoiden wiederum ein paar andere Kisten aus dem Schiff.

Plötzlich brummte ein Plasmagewehr direkt neben Cals Ohr.

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Kapitel 05

UEES Gemini, Centauri-System

Penny hatte sich seit genau siebzehn Minuten nicht mehr bewegt. Admiral Showalter hatte nach ihr geschickt, als sie auf dem Weg zur Nachbesprechung war. Damit hatte sie gerechnet. Womit sie hingegen nicht gerechnet hatte, war die Stille. Grandpa hat kein Wort gesagt, nachdem sie eingetroffen war. Er sagte auch kein Wort, als sie salutierte. Siebzehn lange Minuten starrte er sie einfach nur an. Sie konnte hören, wie die Ventilatoren ansprangen. Sie konnte die gedämpften Stimmen der Besatzung hören, die vor der Tür vorbeigingen. All das war ohrenbetäubend in dieser Stille. Fünf weitere Minuten vergingen…

“Sir, ich-“

Er brachte sie mit einer schnellen Handbewegung zum Schweigen. Showalter ließ seine Hand sinken und nahm seinen starren Blick wieder auf. Penny war schon einmal in dieser Situation gewesen. Das Schweigen war ein neuer Trick, aber sie war damit einverstanden. Was sie nicht ertragen konnte, war diese nagende Angst, die in ihrem Herzen brodelte, die Angst, dass Cal etwas Schlimmes passiert war.

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Zwei Systeme entfernt. In der Landebucht des Flaggschiffs des Vanduul-Clans stieß ein Plasmagewehr Cal Mason aus seinem Versteck in Richtung der beiden Humanoiden und des Vanduul-Commanders. Sechzehn weitere Gewehre wurden auf ihn gerichtet.

“Was zum Teufel soll das?”

Einer der Humanoiden sprach durch eine Box, die seine Stimme verzerrte.

“Hi”, sagte Cal.

Er hielt seinen Blick auf den Vanduul-Commander gerichtet. Offensichtlich mochte der Vanduul Direktheit, also wollte er versuchen nicht zurückzuschrecken. In seinem Kopf kramte Cal jedoch nach Ideen. Der Vanduul Commander zog sein Messer, als er auf Cal zuging. Er setzte die scharfe Klinge gegen den Sauerstoffschlauch seines Anzugs, während er sich herunterbeugte und ihm etwas ins Gesicht murmelte. Es war eine Mischung aus Knurren und Zischen. Vanduul klang für Cal immer wie ein schmutziger Motor, der gerade anspringt.

„Er will wissen, ob Sie allein sind.”

Der erste Humanoide übersetzte es.

„…und ich würde ihm lieber antworten.”

“Ja, ich bin allein.”

Die Klinge drehte sich gegen den Sauerstoffschlauch. Es folgte eine weitere Reihe von Knurr- und Zisch-Geräuschen.

“Er hält Sie entweder für dumm oder für verrückt.”

“Sag ihm, man hat mich bereits beides genannt.”

Cal zuckte mit den Schultern. Er riss sich zusammen, wollte einfach abwarten und sehen, ob sich irgendeine Gelegenheit ergab. Der Vanduul blickte wieder zu dem Humanoiden, der übersetzte. Der Commander fand das offenbar nicht lustig. Er packte Cal an der Kehle und begann zuzudrücken. Der Humanoide trat vor und sprach in schnellem Vanduul. Die anderen Vanduul-Soldaten richteten ihre Waffen aus. Der Geschützturm der Constellation scannte in der Landebucht hin und her, der Kanonier war offenbar erschrocken über die rasch außer Kontrolle geratende Situation. Cal rang nach Atem gegen den schraubstockartigen Griff des Vanduul-Commanders. Seine Sicht begann zu schwimmen. Noch ein paar Sekunden, ein letzter Kampf, und er tauchte in die Dunkelheit ein….

 

Cal kam wieder zu sich. Er brauchte einen Moment, um klar zu werden. Er befand sich mit dem Gesicht zu einer Wand. Er trug seinen Anzug nicht mehr. Sein Kopf pochte. Er konnte seine Hände nicht bewegen. Sie waren mit Handschellen gefesselt. Cal brauchte noch ein oder zwei Sekunden, um sich zu sammeln, bevor er sich umdrehte. Er war in der Constellation. Sie hoben soeben von der Vanduul-Flugbucht ab. Der Humanoide, der offenbar fließend Vanduul sprach, stand etwa fünf Meter entfernt, immer noch von Kopf bis Fuß in seinem Anzug.

“Also …”, quäkte er aus seiner Verzerrerbox, “wie wär’s, wenn du mir erzählst, was du auf einem Vanduul Clanship herumschleichst?”

Cal setzte sich mühsam auf. Er schaute sich im Laderaum um. Ein Mann kletterte aus dem Frachtraum der Constellation und flüsterte zu jenem im Anzug, der wiederum nickte. Cal schaffte es nur, ein einziges Wort zu verstehen:

Cassandra.

Cal lehnte sich zurück

“Ihr habt die Vanduul angeheuert, um dieses System anzugreifen, richtig? Um etwas zu stehlen…”

Der Humanoide wartete schweigend.

“…was ich herausfinden will, ist, warum Ihr es nicht selbst getan habt? Für ein Schiff dieser Größe muss es doch ein Kinderspiel sein, unerkannt in ein System hinein und wieder heraus zu kommen.”

Die Gestalt griff nach oben und löste ihr Atemgerät.

“Außerdem…warum lasst Ihr mich am Leben? Ich nehme an, Ihr habt die Vanduul davon abgehalten, mich sofort zu töten.”

Der Humanoide schnallte den Rest des Anzugs ab. Die Lautsprecherbox surrte kurz, als sie sich abschaltete. Dann zogen die Humaniode ihre Gesichtsmaske ab… es war eine Frau. Ein Mensch. Kurzes, abgeschnittenes schwarzes Haar – so schwarz, dass es fast blau wirkte. Haut so golden wie ein Sonnenuntergang. Scharfe, intelligente grüne Augen. 

“Du bist unsere Geisel.”

Sie ließ ein vernichtendes Grinsen fallen.

“Ich hoffe, es macht Dir nichts aus.”

Einen Moment lang hatte Cal wirklich nichts dagegen.

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Zurück auf dem Flugdeck der „Gemini“ geschah ein Wunder. Piloten, Vorbereitungscrews und Mechaniker starrten sich alle ungläubig an. Jeder konzentrierte sich auf eine Sache: Admiral Showalter kletterte in einen Fighter. Das Einsteigen in den Pilotensitz erinnerte ihn daran, wie viele Pfunde er zugenommen hatte, seit er das letzte Mal einen Fluganzug getragen hatte. Er konnte sehen, wie sein XO Marden und der Rest der Brückenbesatzung applaudierten, als er aus der Startrampe schoss. Showalter setzte einen Kurs auf den Sprungpunkt.

So sehr er es auch hasste, er hatte nicht vor, jemand anderen zu schicken, um seine Vermutung zu beweisen oder zu widerlegen. Doch als er ankam, sah er nichts. Alle Scans sagten ihm dasselbe: Das System war leer. Etwas klapperte an seinem Flügel. Showalter schaute von seinen Scannern auf. Er flog durch einige Trümmer. Es dauerte eine Sekunde, bis er erkannte, was es war. Es war Cals Schiff.

“Verdammt, Cal.”

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Kapitel 06

Lt. Cal Masons Beerdigung war eine überschaubare Angelegenheit. Das Geschwader stand stolz in Formation, aber ansonsten waren nur eine Handvoll Offiziere und die Deckcrew anwesend. Kerny, ein Mechaniker, tauchte auf. Cal hatte Kernys Familie vor etwa einem Jahr zur Flucht aus dem Nul-System verholfen. Jetzt stand der stille Riese da und rang die Hände, als ob das seine Tränen zurückhalten würde.

Admiral Showalter spulte die Beerdigung routiniert ab. Sein Gesicht war wie immer aus Granit. Worte wurden gesagt. Es folgte ein dreifacher Salut. Dann der Abschuss des leeren Sarges. Und das war’s. Die Gruppe wurde entlassen und löste sich auf. Penny, Showalter und Kerny blieben noch einen Moment, denn jeder Schritt weg von der Beerdigung war ein Schritt in Richtung Akzeptanz des Unvermeidlichen.

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Cal Mason war ständig unter Bewachung. Trotz der Handschellen, mit denen seine Hände gefesselt waren, und der Fesselung an der Wand, beobachtete ihn immer jemand. Es waren schon ein paar Tage vergangen und sie hatten drei weitere Sprungpunkte passiert. Cal war ein vorbildlicher Gefangener, aber er hielt die ganze Zeit seine Augen und Ohren offen. Die Crew der Constellation war vorsichtig, wenn es darum ging, Namen zu nennen oder Dinge in seiner Nähe zu besprechen. Das war gut, denn es bedeutete, dass sie nicht mit dem Gedanken spielten, ihn zu töten. Trotz ihrer Versuche der Geheimhaltung, konnte er folgendes aufschnappen: Das Schiff wurde Phoenix genannt.

Der große Kerl, der mit der Anführerin gesprochen hatte, die vielleicht Cassandra war, hatte den Spitznamen Trunk. Seiner Größe und seinem allgemeinen Auftreten nach zu urteilen, schien er der Stärkste der Truppe zu sein. Es gab irgendeine Verbindung zu Cassandra, aber Cal konnte nicht herausfinden, ob sie romantischer oder eher rein sachlicher Natur war.

Dann war da ein Schütze, der gerne redete. Sein Name war Nesser Yahro. Das hatte er Cal ganz offen gesagt. Er hatte auch ein Alkohol-Problem, was erklärte, warum er sich an den Großteil ihrer Diskussionen nicht erinnerte. Er schien auch der Reservepilot zu sein, wenn Cassandra selbst flog. Cal konnte immer erkennen, wer gerade flog. Wo sie quasi eine Tänzerin an den Kontrollen war, war er eine Abrissbirne.

Das letzte Besatzungsmitglied war der Mechaniker des Schiffs. Er wollte nichts mit Cal zu tun haben und tat alles, was in seiner Macht stand, um nicht gesehen zu werden. Nesser nannte ihn Mahony. Es war am dritten Tag, als sich Cassandra Cal näherte und zum ersten Mal seit seiner Entführung mit ihm sprach.

“Bequem?”

“Aber sicher. Wer liebt es nicht, mit Handschellen gefesselt zu sein?”

“Kommt auf die Gesellschaft an.”

“Stimmt.”

Sie grinste. Cal wog seine Optionen ab. Er könnte sagen, was er wusste, in der Hoffnung, sie so zu überrumpeln. Andererseits, wenn sie nicht anbiss, entschied sie sich vielleicht, ihn zu töten. Nein, dachte er. Besser er wartete ab, ob er einen Hinweis darauf bekommen würde, was sie vorhatten oder wohin sie fliegen wollten.

“Lass uns wissen, wenn wir etwas für Dich tun können”, sagte sie.

“Wie wäre es damit, wenn Ihr mich gehen lasst?”

“Ich kümmere mich gleich darum.” Sie stand auf.

“Bye Cassandra.” sagte Cal, hauptsächlich aus Neugierde. Sie wurde für eine Nanosekunde langsamer,  versuchte es aber zu überspielen. Doch Cal nahm es wahr. Das beantwortet die Frage, dachte er. Doch das tat es nicht wirklich, denn ihr Name war nicht Cassandra.

Sasha Tai bewegte sich zum Pilotensessel, und sie schien zu überlegen, woher er diesen Namen kannte. Sie schlüpfte hinter die Kontrollen und schaltete die Automatik aus. Die Hydraulik pulsierte in den Kontrollen, als sie das Ruder übernahm. Im Nachhinein betrachtet hätte sie den Vanduul nicht davon abhalten sollen, Mason zu töten. Ihn an Bord zu haben, brachte alles in Gefahr, aber sie hatte gesehen, was die Vanduul mit UEE-Gefangenen machten. Sie sagte sich, dass sie besser schlafen würde, wenn sie ihm selbst eine Kugel ins Gehirn jagen würde.

Sie überprüfte die Nav-Pläne. Sie waren geändert worden, schon wieder. Nesser verschwendete zu viel Zeit und verbrannte zu viel Treibstoff mit seinen ineffizienten Flugplänen. Trunk meldete sich, als sie den Anflug neu kalibrierte.

“Was ist los?”, fragte er und rutschte auf den Sitz neben ihr.

“Nesser wird das Schiff in Grund und Boden fliegen”

Sie flüsterte und sie vergewisserte sich, dass Nesser nicht in Hörweite war. Sasha hielt kurz inne und lehnte sich dann zu Trunk hinüber.

“Hat jemand mit ihm geredet?”

“Ich glaube nicht. Warum?”

“Er hat mich Cassandra genannt.”

“Seltsam.”

Trunk kaute eine Minute lang darauf herum,

“Nun, dann weiß er nicht, was es ist.”

“Trotzdem.”

“Mach dir nichts draus, Schwesterherz. Wenn er zu einer Belastung wird, werfen wir ihn über Bord.”

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Zurück auf der „Gemini“, lag Penny in ihrer Koje. Showalter hatte ihre Strafe für Cals Stunt bei Yar nicht wirklich durchgesetzt, also setzte sie sie bei sich selbst durch. Sie schrubbte das Flugdeck, führte Simulationsübungen für Neupiloten durch, alles, um beschäftigt zu bleiben. Das war der einzige Weg, um irgendwann einschlafen zu können.

In der Sekunde, in der sie das Bett erreichte, wurde ihr etwas klar. Sie schnappte sich das SysBook aus ihrem Regal und rief alle Fotos auf, die Cal ihr von der Siedlung auf Yar geschickt hatte – unter anderem von der fehlenden Ausrüstung. Doch selbst nach zwei Stunden Studium konnte sie nicht herausfinden, um was es sich dabei gehandelt hatte, also wechselte sie zur Siedlung selbst. Merkwürdigerweise waren alle Info-Links hinter Sicherheitsprotokollen verschlossen. Sie suchte nach einem Weg, sie zu umgehen, bis sie einen fand.

Die Siedlung auf Yar war im Jahr 2880 als Forschungslabor eingerichtet worden. Penny erinnerte sich: Damals waren alle wegen des neuen Synthworld-Projekts völlig aus dem Häuschen. Alle Unternehmen suchten nach Wegen, um einen Fuß in die Tür des lukrativen Regierungsprojekts zu bekommen. Sie grub weiter. Offenbar wurde die Siedlung gegründet, um an einem einzigen Projekt zu arbeiten, einem Projekt namens „Cassandra“.

Obwohl das meiste aus Wissenschaftssprache und Formeln bestand, verstand sie doch, dass das  Cassandra-Projekt versuchte, einen Planeten auf molekularer Ebene neu zu gestalten. Ein selbstreplizierender Nanovirus, der einen bestehenden Planeten zerstören und neu erschaffen sollte. Und die Wissenschaftler auf Yar hatten es wohl tatsächlich geschafft.

…in diesem Moment wurde ihr Bildschirm plötzlich schwarz.

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Kapitel 07

Penny starrte auf ihr SysBook. Es war tot. Es ließ sich nicht einmal mehr einschalten. Das konnte nicht wahr sein, nicht nach allem, was sie durchgemacht hatte, um dieses Gerät für sich persönlich zu konfigurieren. In den nächsten Stunden nahm sie das Gerät auseinander. Nichts schien durchgebrannt oder kaputt zu sein.

Obwohl sie sich innerlich eingestand, dass der Absturz offenbar eine direkte Folge des Zugriffs auf geheime Dateien war, schloss sie dies eigentlich aus zwei Gründen aus. Erstens waren die Dateien zum Cassandra-Projekt fünfzig Jahre alt, und zweitens hatte sie noch nie von einer Möglichkeit gehört, ein System aus der Ferne einfach so auszuschalten – zumindest nicht ohne eine Art Vorwarnung. Nach und nach machte sich ihre Frustration bemerkbar.

„Lt. Penelope Ayala”, sagte plötzlich eine Stimme aus dem Türrahmen.

Dort standen drei Militärpolizisten.

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Die Piratencrew des Schiffes schlief. Nesser sollte eigentlich fliegen, aber seinen Schnarchgeräuschen nach zu urteilen hatte ihn nach einem ordentlichen Drink der Schlaf übermannt. Die Crew hatte, bevor sie sich hingelegt hatten, Cal Mason mit Handschellen an die Wand zwischen Cockpit und Andockschleuse gefesselt. Er sah sich um und begann, sich einzuprägen, wo Werkzeuge aufbewahrt wurden, achtete auf alles, was nützlich sein könnte, wenn die Situation plötzlich brenzlig werden sollte. Im Moment hielt er nach allem Ausschau, was als Dietrich dienen konnte.

Ein Piepen riss Cal aus seiner Suche. Nesser schnarchte weiter. Schließlich hörte Cal, wie sich die Tür, die zum Frachtraum und zu den Quartieren führte, öffnete. Sasha ging an ihm vorbei zum Steuerstand und schaltete den Alarm aus. Trunk folgte ihm.

“Schafft ihn hier raus”, sagte Sasha kalt.

Trunk riss Nesser aus dem Pilotensitz und Sasha nahm seinen Platz ein.

“Was zum Teufel, Mann..?”

Nesser lallte, bevor Trunk ihn neben Cal auf den Boden warf.

Trunk stellte einen Fuß auf Nessers Brust und sagte: “Wenn wir landen, zahlen wir dich aus und du bist weg. Verstanden?”

Nesser nickte ergeben. Dann sahen Sasha und Trunk zu Cal.

Plötzlich löste Trunk Cals Handschellen,  während Sasha eine Pistole aus ihrem Spind kramte und sie durchlud. Sie zog Cal in den hinteren Teil des Schiffes, wo die Fracht gelagert wurde. Er sah die Umrisse der P52, die im Boden zwischen den Stapeln der Fracht verstaut war. Cal hatte eine kleinere Variante des Kurzstreckenjägers geflogen, als er noch zu Hause war. Hier ergab sich vielleicht eine Fluchtmöglichkeit.

Cal erhaschte einen flüchtigen Blick auf Mahony, den Schiffsmechaniker, der von den Schlafräumen aus zusah, was nun geschah. Sasha blieb neben einem Stapel Kisten stehen. Sie öffnete ein verstecktes Paneel und tippte einen Code ein. Eine Tür sprang zischend auf. Alle separaten Frachtkisten waren in Wirklichkeit ein großer leerer Schmuggelcontainer. Sasha deutete mit der Pistole nach innen. Cal blickt hinein, bevor er widerwillig hineintrat. Sasha folgte ihm und Trunk versiegelte das Versteck wieder. Der Container war kürzlich zum Schmuggeln von Menschen benutzt worden. Es gab einen Hocker und einen leeren Eimer, der übel roch.

“Setz Dich”, befahl Sasha schroff.

Cal kippte den Eimer mit dem Fuß um und setzte sich. Sasha setzte sich ihm gegenüber, die Pistole auf ihn gerichtet.

“Braucht dich deine Crew nicht?”, fragte Cal, während er sich setzte.

“Ich denke, sie kommen schon zurecht. Außerdem, wenn der Zoll mich bei einem Scan erwischt …”

Sasha seufzte kurz.

“…sagen wir einfach, es könnte problematisch werden.”

“Vielleicht passt ihnen dein krimineller Lebensstil nicht.”

“Oh nein. Es passt gut zu mir. Außerdem werden sie in ein oder zwei Monaten sowieso wieder alles vergessen haben. Das tun sie immer.”

“Komm schon. Immer über die eigene Schulter schauen? Nicht zu wissen, wem man vertrauen kann? Das ist doch keine Art zu leben.”

“Genau, nach den Launen der UEE-Oberen zu leben und zu sterben, ist der bessere Weg.”

“Es ist ein ehrliches Leben”, erwiderte Cal ohne zu zögern.

Sasha starrte ihn eine Sekunde lang an, bevor sie leise kicherte.

“Ich war ein Opfer der UEE-Bomben auf Cathcart. Du kannst es ja ein ehrliches Leben nennen. Ich nicht.”

An der Grenze zum Banu-Protektorat hatte sich ein Stau gebildet. Der UEE-Zoll führte bei jedem Schiff einen gründlichen Check durch, bevor er Zugang zum Jumppoint gewährte. AutoTurrets und Drohnen scannten jeden Zentimeter der Strecke zwischen dem Kontrollpunkt und dem Sprungpunkt. Die Schiffe bewegten sich langsam vorwärts. Die Phoenix driftete ebenfalls langsam auf den Sprungpunkt zu. Trunk saß an den Kontrollen. Endlich waren sie an der Reihe. Ein Zollbeamter erschien über die Comms. Trunk lud die Tags hoch. Der Rumpf des Schiffes summte, als die Scanner darüber fuhren.

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Im Container starrten sich Cal und Sasha gegenseitig an. Sie sahen beide auf, als sie die Scanner hörten.

“Hör zu, sobald hier durch sind, werden wir eine Entscheidung treffen, was mit dir geschehen soll. Die Mehrheit tendiert zur Luftschleuse.”

“Ich verstehe.”

“Aber du hast die Wahl…”, sie zögerte einen Moment, “…mit uns zu kommen.”

“Was?”

“Du hast Nesser gesehen, er ist am Ende. Wir könnten jemanden wie dich gebrauchen.”

Ihre smaragdgrünen Augen leuchteten fast, trotz des gedämpften Lichts.

“Ohne Regeln und Befehle ist das Leben wild, unberechenbar, leidenschaftlich. Und wer weiß, vielleicht gefällt es dir ja sogar. Wenn nicht, verdiene dir ein paar Monate lang deinen Unterhalt, und du kannst zurückgehen.”

“Du willst, dass ich meine Freunde, mein Schiff und meine Pflicht verrate, um so auf erbärmliche Weise mein eigenes Leben zu retten?”

“Wenn es dich vor der Luftschleuse bewahrt, sicher.”

Sasha zuckte mit den Schultern und grinste: “Es ist ja nicht so, dass sie es je erfahren müssten.”

“Ich würde es wissen.”

Cal sah ihr in die Augen, jede Andeutung, dass er diesen Vorschlag vielleicht einen Moment in Erwägung gezogen hatte, war verschwunden.

“Und das ist genug.”

Der Scanvorgang stoppte. Sie hörten, wie die Triebwerke ansprangen. Es folgte das vertraute Ruckeln im Magen, als sie den Sprungpunkt passierten. Wenige Minuten später zischte die Tür und öffnete sich. Sasha schob sich an Trunk vorbei. Dieser zog Cal auf die Beine und brachte ihn zurück in den Frachtraum. Sasha verstaute ihre Pistole wieder in ihrer Koje. Trunk hielt Cal fest und blickte zu ihr.

“Wie lautet das Urteil?”, fragte er.

Sasha war einen oder zwei Momente lang still. Dann sah sie zu Cal. Er starrte trotzig zurück.

“Töte ihn.”

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Kapitel 08

Penny wartete in der kalten Arrestzelle. Mehr als sechs Stunden waren vergangen, seit sie die Wärter hineingeworfen hatten. Das Schloss an der Tür quietschte, bevor es sich öffnete. Ein Beamter trat ein, und Penny schreckte auf. Sie konnte zwischen den Medaillen an seiner Brust keine Einheits- oder Divisionsbezeichnung erkennen. Auf seinem Schild stand lediglich sein Name: Darrow. Er würdigte sie kaum eines Blickes, denn seine Aufmerksamkeit galt etwas, das auf seinem Mobiglas scrollte. Darrow ließ sich in einen Sitz gleiten. Penny setzte sich ebenfalls. Nach ein paar weiteren Augenblicken hob er seine kristallblauen Augen, um sie anzuschauen.

“Sie stecken ganz schön in der Klemme, Lieutenant.”

“Ich bitte um Erlaubnis, frei sprechen zu dürfen, Sir.”

“Sicher.”

“Zunächst einmal, was zum Teufel haben Sie mit meinem Sysbook gemacht? Sie haben keine Ahnung, wie lange ich gebraucht habe, um das Ding zusammenzubauen, also sollte es besser wieder funktionieren, wenn ich hier rauskomme. Zweitens wurde das Cassandra-Projekt vor etwa sechzig Jahren stillgelegt, also warum verschwenden Sie Ihre Zeit damit, mich über eine alte Geschichte auszufragen, anstatt sich zu fragen, warum ein Vanduul-Angriff so sehr daran interessiert war, veraltete Technologie zu erhalten?”

Darrow schnappte gekünstelt nach Luft.

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Cal Mason befand sich ebenfalls in einer misslichen Lage. Mit Handschellen im Frachtraum der Phoenix gefesselt, war gerade sein Todesurteil gesprochen worden.

“Du hättest mein Angebot annehmen sollen, Mason”, sagte Sasha kalt und ging zurück zum Pilotensessel. Nesser schaute zwischen Sasha und Trunk hin und her, offensichtlich fühlte er sich ein wenig unwohl bei dem anstehenden kaltblütigen Mord.

“Ich habe kein Problem damit, Leute wie dich ins Leere zu werfen”, zischte Trunk.

Er schob Cal in Richtung der Luftschleuse. Cal erspähte aus dem Augenwinkel etwas in einem Werkzeugkasten an der Steuerbordwand, das vielversprechend aussah. Jetzt musste er nur noch dorthin…

“Darauf wette ich. Es erspart dir die Peinlichkeit, in einem fairen Kampf zu verlieren.”

“Was?”

Trunk gluckste. Cal drehte sich um und stellte sich direkt vor Trunks Gesicht.

“Klar. Ich habe gehört, die einzigen Überlebenden auf Cathcart waren diejenigen, die sich wie Feiglinge versteckt haben.”

Er sagte es mit möglichst großer Überzeugung in der Stimme, obwohl er insgeheim dachte, dass er damit wohl ein bisschen zu weit ging. Anscheinend tat Trunk das auch. Er stieß Cal hart in den Magen. Cal stolperte zurück und knallte gegen die Steuerbordwand. Seine Finger fanden dabei, was sie suchten.

“Weißt du, ich glaube, die Luftschleuse ist noch ein bisschen zu gut für dich.”

Trunk näherte sich Cal, seine Hand griff nach Cals Kehle und drückte ihn gegen die Wand. Die andere zog eine Klinge.

Nesser sprang aus seiner Koje, angelockt durch den Lärm. Cal ließ in diesem Moment eine Handschelle um Trunks Handgelenk einschnappen – und Trunks Augen wurden groß. Er versuchte Cal mit dem Messer zu erwischen. Doch es war unbeholfen und übereilt. Cal wich dem Angriff aus und schleuderte Trunk gegen die Wand des Schiffes. Das Messer klapperte auf das Deck. Sasha sprang aus dem Pilotensessel, eine Waffe in der Hand. Sie näherte sich Cal in dem Moment, in dem er das Messer an Trunks Kehle ansetzte. Sie erstarrte und es folgten ein paar Momente in absoluter Stille.

“Was denkst du, was du da tust, Mason?”

Cal warf einen Blick auf Nesser, der sich seine Waffe geschnappt hatte.

“Ganz einfach. Ich lehne den Rauswurf aus eurer Luftschleuse ab.”

Cal blickte auf  die beiden Pistolen, die auf ihn gerichtet waren.

“Überleg’ es dir gut. Wenn du ihn tötest, stirbst du eine Sekunde später.”

Sasha warf einen Blick auf Nesser.

Cal trat gegen das Bedienfeld auf dem Boden. Das Gehäuse für die P52 glitt auf. Trunk hustete und wehrte sich, aber das Messer an seinem Hals machte ihn kampfunfähig. Das Cockpit der P52 öffnete sich.

“In dem Ding hast du keine Chance.”

“Ich liebe die Herausforderung.”

Cal grinste. Er bewegte sich neben das Cockpit und drückte den Knopf, damit sich das Gehäuse wieder zu schließen begann. Er lehnte sich zu Trunk.

“Es tut mir leid wegen der Sache mit Cathcart. Ich  fand diese Kampagne schändlich.”

Cal stieß Trunk kräftig Richtung Sasha, wodurch ein Moment der Verwirrung entstand und ließ sich eine Sekunde, bevor sich das Cockpit des kleinen Schiffes wieder schloss, hineinfallen. Augenblicklich fuhr er  die Systeme hoch. Sasha rannte unterdessen zurück zum Cockpit, um alle Außentüren zu verriegeln, aber es war zu spät – die P52 hatte schon abgekoppelt. Sasha sprang zurück in den Pilotensitz und brachte die Phoenix in Angriffsposition. Trunk stolperte hinter ihr her und rieb sich die Handgelenke.

“Klettere in den Geschützturm”, schrie sie.

Cal nahm sich einen Moment Zeit, um sich zu orientieren. Er befand sich im Banu-Territorium, etwa eine halbe Stunde entfernt vom Verkehrsfluss, der auf den Sprungpunkt zusteuerte. Seine Bildschirme leuchteten auf, als die Phoenix eine Reihe von Raketen abfeuerte. Cal gab Vollschub. Er leitete Energie von den Waffen auf die Triebwerke um, um seine Geschwindigkeit auf das Maximum  zu erhöhen. Sie hatte Recht mit der P52 – sie besaß nicht die Feuerkraft, um die Phoenix auch nur anzukratzen. Dafür war sie aber sehr wendig. Cal wich den anfliegenden Raketen aus. Die Raketen wichen ihrerseits aus, wenn er auf sie feuerte. Der Geschützturm der Phoenix entlud unterdessen ein regelrechtes Feuerwerk auf Cal.

Cal schlängelte sich durch die Schüsse und wendete schließlich direkt auf die Phoenix zu. Die Raketen rasten ihm hinterher. Sasha wusste, was er vorhatte, ging in den Sinkflug und schaltete die Triebwerke ab. Die Raketen blieben so auf Cal gerichtet. Trunk beharkte ihn weiter mit dem Geschützturm. Ein Schuss durchschlug eine Rakete. Cal kalibrierte fieberhaft den Piloten-Assistenten neu. Zu viele Funktionen waren auf Auto eingestellt. Er brauchte die Steuerung, um das kleine Schiff eigenhändig manövrieren zu können.

Die Phoenix tauchte hinter ihm wieder auf.  Die Triebwerke der P52 rissen das kleine Schiff mit ihrer zusätzlichen Leistung vorwärts. Die Phoenix feuerte eine weitere Salve ab. Lasergeschosse schossen an Cal vorbei. Er konzentrierte alle Schilde aufs Heck und wich eins ums andere mal aus, um seinerseits die Raketen in die Schusslinie zu bekommen. Ein Neutronenschuss streifte eine weitere Rakete, die vom Kurs abkam und dann explodierte. Nach und nach verschaffte sich Cal etwas Abstand zur Phoenix.

An Bord der Phoenix verlor Sasha die Geduld. Die P52 erwies sich als fast unmöglich zu treffen. Auch die automatische Zielerfassung versagte.

“Er wird bald im Verkehr vor dem Sprungpunkt untertauchen”, brüllte Trunk über Funk.

“Das spielt keine Rolle. Er hat keinen Sprungantrieb…und er wird in zehn Minuten keinen Treibstoff mehr haben”, schrie Sasha zurück und leitete die Energie des Schiffes um, um den Triebwerken der Phoenix zusätzlichen Schub zu geben.

“Wir haben Besuch.”

Sasha blickte hinüber. Banu-Militär kreiste über ihnen, hielt aber Abstand. Wahrscheinlich wollten sie sicherstellen, dass das bald aufhörte. Sasha lenkte ihren Blick wieder auf Cal. Sie nahm einen tiefen Atemzug, gab sich ganz den Kontrollen des Schiffes hin und versuchte  Cals wilde Flugmanöver auszugleichen.

Immer weiter rasten die die beiden Schiffe durch den Raum. Eine nach der anderen erreichten die Raketen ihr Reichweitenlimit und explodierten. Sasha feuerte und feuerte. Mehr und mehr Energiestöße trafen und zermürbten die Schilde des kleinen Jägers. Trunk erwischte die P52 schließlich mit einem Volltreffer. Die Schilde konnten den Schuss nicht absorbieren. Er schlug in das Triebwerk ein. Cal raste am Sprungpunkt vorbei und zog das Schiff hart nach oben. Sasha blieb an ihm dran. Cals Schiff wurde immer langsamer, schließlich konnte ihn der Zielcomputer der Phoenix erfassen. Sasha hielt ihr Schiff genau auf Kurs – und ihr Finger schwebte über dem Abzug.

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Der letzte Schuss hätte sein Schiff eigentlich in zwei Hälften schneiden müssen, aber irgendwie hielt es stand. Cal wusste, dass er nur einen Versuch hatte. Er warf einen Blick auf den Sprungpunkt. Eine Caterpillar war soeben dabei, ihn zu passieren. Cal machte einen Rückwärtssalto, drehte sich und stieß von oben in das Tor hinab. Die Phoenix fegte an ihm vorbei, der Sprungpunkt öffnete sich, die  Caterpillar verschwand darin.

“Verdammt”, murmelte Cal und stürzte durch den Sog selbst in den Sprungpunkt, bevor er sich wieder schloss.

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Sasha sah fassungslos zu, wie die P52 im Sprungpunkt verschwand.

“Ähm…” sagte Trunk über die offene Comm. Schließlich wendete Sasha die Phoenix. Sie mussten längst woanders sein.

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Kapitel 09

Alles verschwamm. Die P52 schrie ihren Schmerz heraus. Plötzlich wechselte das Geräusch von dem einer kreischenden Turbine zu absoluter Stille. Der Steuerbordflügel knickte ein und riss ab. Das Heck der Caterpillar verschwand aus Cals Blickfeld. Er kämpfte mit dem Schiff, um hinter der Cat  zu bleiben. Entweder gelang ihm das – oder es war das Ende.

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Die UEE-Zollstation am Sprungpunkt von Ferron zum Banu-Protektorat war an diesem Tag besonders stark frequentiert. Der Beamte starrte auf eine Manifestation von Monotonie – eine unendliche Reihe von Schiffen, Schleppern und Transportern, so weit das Auge reichte. Er nahm sich einen Moment Zeit, um sich mit dem langen, langweiligen Tag, der vor ihm lag, abzufinden. Dann scannte er das erste Schiff seiner Schicht. Er ließ die Tags des Schiffes durch die Datenbank laufen, während die Scanbots ihren Job machten.

Ein Caterpillar-Transporter tauchte aus dem Jumppoint auf und flog auf den Kontrollpunkt zu. Der Beamte warf einen flüchtigen Blick auf ihn. Er erstarrte bei dem, was er dann sah. Eine P52 war ebenfalls durchgekommen. Eine der Tragflächen war abgerissen. Die Nase war eingeknickt. Ein Triebwerk funktionierte noch, das andere war tot. Der Zollbeamte riss sich los und schlug Alarm.

Nach wenigen Minuten waren Polizei und Sanitäter bei der P52. Der Agent lauschte dem fieberhaften Geplapper über die Comms. Jemand sagte, der Pilot sei UEE-Militär-Angehöriger und wie durch ein Wunder noch am Leben.

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Cal Mason wachte auf einem Tisch auf. Die Sanitäter schwebten über ihm, überrascht davon, dass er bei Bewusstsein war.

“Wie lange war ich bewusstlos?”, fragte Cal ohne eine Sekunde zu verschwenden. Der Sanitäter stammelte etwas. Die anderen tauschten verwirrte Blicke aus. Cal setzte sich auf. Sein Körper schrie vor Schmerzen auf

“Sir…”

Eine Krankenschwester versuchte, Cal auf den Tisch zurückzudrücken. Doch nichts konnte Cal aufhalten. Eine Uhr auf einem der Bildschirme zeigte an, dass etwas mehr als eine Stunde vergangen war. Die Sanitäter und Krankenschwestern eilten ihrem Patienten hinterher.

Cal drängte sich durch eine Traube weiterer Sanitäter, Wachen und ein paar Zollagenten und erreichte schließlich die Landebahn und das Wrack der P52. Ein paar Mechaniker standen um sie herum und bestaunten ihren Zustand.

“Hey, habt ihr ein Omni-Werkzeug zur Hand?”, sagte Cal zu einem der Mechaniker. Er starrte Cal entgeistert an, hielt ihm dann aber eines hin. Cal kletterte auf die P52 und begann, eine Platte abzuschrauben.

“Lt. Mason?”

Eine Stimme dröhnte aus dem Eingang des Hangars. Cal achtete nicht darauf. Die Piraten setzten zweifelsfrei ihren Plan fort. Cal konnte sie immer noch einholen, aber wenn sie erst einmal in ein anderes System gesprungen waren, dann waren sie weg. Eine Chance hatte er aber noch: P52s waren, wie die meisten Kurzstreckenjäger, mit Peilsendern ausgestattet, die auf ihr Trägerschiff ausgerichtet waren. Das machte es einfacher, sie wiederzufinden. Die meisten Piraten und Schmuggler deaktivierten die Peilsender zwar – aber nur die wenigsten wussten, dass man den Sender mit einer kleinen Modifikation wieder aktivieren und sogar umpolen konnte. Anstatt dass die Constellation also die P52 orten konnte, konnte dann die P52 die Constellation orten. Cal wusste das.

“Lieutenant!”

Cal blickte auf. Ein Zollinspektor stand über ihm, ein amüsiertes Grinsen im Gesicht. 

“Sind Sie in Ordnung?” “

“Ja, bestens.”

“Vielleicht sollte ein Arzt einen Blick auf Sie werfen. Nur zur Sicherheit.”

„Ich habe keine Zeit.”

Cal entfernte den letzten Bolzen und zog die Bake heraus. Deaktiviert, wie erwartet, aber intakt.

“Ich nehme nicht an, dass Sie ein Schiff haben, das ich benutzen könnte?” Der Zollinspektor drehte sich um, als ein paar Polizisten in den Hangar eilten.

“Fragen Sie sie.”

Dreißig Minuten Diskussion später startete Cal mit einer Cutlass, die kürzlich wegen Schmuggels beschlagnahmt worden war. Ein Dutzend verwirrter Polizisten und medizinisches Personal sahen zu, wie das Schiff im Sprungpunkt verschwand. Auf der anderen Seite angekommen, schloss Cal das Funkfeuer der P52 an sein NavSystem an. Während er darauf wartete, dass der Computer die Daten importierte, kalibrierte er den Piloten-Assisstenten neu. Dann piepte das Radar. Die Phoenix war noch im System.

Sie setzten auf Queeg auf, dem dritten Planeten im System und der Hauptstadt. Es war ein trockener, dürrer Planet, anfällig für massive Staubstürme. Das Radar der Cutless zeigte, dass die Phoenix in einer kleinen Siedlung auf der dunklen Seite des Planeten gelandet war. Es handelte sich nur um ein paar Dutzend Gebäude.

Cal landete auf einem der äußeren Landeplätze. Er fand ein Atemgerät und Ausrüstungsgegenstände, die von den Vorbesitzern der Cutlass zurückgelassen worden waren. Er fand die Phoenix relativ leicht. Sie hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, sie zu verstecken. Cal sah ein schwaches Licht im Cockpit. Jemand war noch an Bord.

Cal suchte sich einen sicheren Platz und wartete. Schließlich kam Trunk aus dem Schiff und verriegelte es. Er blickte sich um, bevor er in den engen Straßen verschwand, die voll mit Banu, Menschen und Tevarin waren, während sich ein Staubsturm zusammenbraute. Cal nahm die Verfolgung auf. Ein paar Mal verlor er Trunk fast in der Menge. Schließlich lief Trunk einige Treppen hinunter in den Keller eines Gebäudes.

Der obere Teil war in massive Strukturen unterteilt, die wie Flossen geformt waren und auf rotierenden Plattformen saßen, damit sie sich immer in den Wind drehten. Alle Fenster in den ersten beiden Stockwerken waren verdunkelt. Es war schwer, durch den Sandsturm etwas zu erkennen, aber der Ort sah verlassen aus. Cal wartete ein paar Augenblicke, bevor er sich dem Treppenhaus näherte, in dem Trunk verschwunden war. Als er schließlich nach unten spähte, führte die Treppe zu einer einzigen Tür. Cal schlich die Stufen hinunter und versuchte sie aufzudrücken. Sie war verschlossen.

Cal schaute sich nach einem anderen Eingang um. Etwa fünfzehn Meter in der Lücke zwischen den Rotationsplatten und dem oberen Gebäude sah er Licht zwischen den Gittern. Dort befand sich die Lüftung des Gebäudes. Cal zwängte sich in den Spalt und kroch auf das Gitter zu, dann schlüpfte er in den beengten Lüftungsschacht. Nachdem er sich durch Staub und Schmutz gekämpft hatte, fand er ein weiteres Gitter, schob es beiseite und ließ sich in einen leeren Raum darunter fallen. Cal bewegte sich leise durch die dunklen, verlassenen Gänge. In der Ferne klapperte etwas Metall. Kurz darauf hörte er Stimmen.

Als er leise um eine Ecke sah, weitete sich die Halle. Es war es eine Art Labor. Mehrere Computer umgaben ein riesiges Gerät, das unter einer Plane versteckt war. Kabel führten durch ein Loch in der Plane, um offenbar das Stromnetz der kleinen Siedlung anzuzapfen.

Trunk saß auf einer Kiste. Sasha studierte einige der verblichenen Banu-Banner, die an der Wand hingen. Mahony hingegen steckte bis zu den Ellbogen tief in den Eingeweiden einer der Maschinen, die auf Yar entwendet worden waren. Cal vermutete, dass er sich geirrt hatte.  Mahony war nicht der Mechaniker der Phoenix, er war offensichtlich eine Art Ingenieur. Er murmelte etwas vor sich hin, als er vorsichtig einen glatten Metallkanister herauszog. Was auch immer darin war, war entweder sehr wertvoll oder extrem gefährlich.

“…sie kapieren es nicht. Wir stehen an der Schwelle zu einer Entdeckung, die die gesamte  Menschheit verändern könnte, und was machen sie? Sie töten es!”

Mahony murmelte die Worte mehr denn er sie sprach. Es war für Cal schwer zu erkennen, aber es sah so aus, als befände sich in dem Kanister eine Art Klumpen von grasbewachsenem Dreck.

“…interessiert es sie, dass Männer und Frauen ihr Leben dafür geopfert haben? Nein. Alles, was sie bekommen haben, war ein leichtes Schulterklopfen, die Drohung, nie darüber zu reden und ein Tritt zur Tür hinaus.”

Mahony schloss einige Drähte an den Kanister an, immer noch vor sich hin murmelnd. Sasha ging langsam hinüber.

“…das ist nicht richtig. Das ist Leben. Diese Bürokraten müssen sich das merken.”

Offenbar war Mahony verrückt. Sasha nickte ausdruckslos. Sie hatte nicht vor, sich in seine Selbstgespräche einzumischen.

Mahony ging zu einer der Konsolen und wischte den Staub vom Bildschirm. Er schaute auf das Gehäuse, während er einen Knopf drückte. Ein paar Sekunden lang schien nichts zu passieren.

“Ich dachte, Du -“

Mahony brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. Er blickte nervös zwischen dem Gehäuse und der Konsole hin und her. Sasha wandte sich wieder dem Gehäuse zu. Selbst aus dieser Entfernung konnte es schließlich auch Cal sehen. Das Gras und der Schmutz lösten sich auf. In Sekundenschnelle verwandelte es sich in eine Art grauen Schlamm. Was immer in dem Kanister war – schließlich sah es wieder genauso aus, wie vorher … nur dass es jetzt violett war.

“Ich sagte doch, es würde funktionieren.”

Mahony sprang umher, während Sasha sich hinunterbeugte, um einen besseren Blick zu bekommen. Mahony eilte hinüber zu den Geräten in der Mitte des Raumes und riss die Plane ab. Cals Herz sank ins Bodenlose. Es konnte keinen Zweifel geben.

Es war eine Bombe.

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Kapitel 10

Im Nul-System vertrieb sich Grady Monk die Zeit, in der er auf seinen Kontaktmann wartete, indem er die Sonne beobachtete. Die Wissenschaftler sagten, es sei ein pulsierender Stern. Für ihn sah es nicht so aus, als würde er pulsieren. Er sah auf seine Uhr. Er gab diesem Kerl noch zehn Minuten, dann wollte er zum nächsten Käufer weiterziehen. Grady Monk wartet nicht auf Kunden. Dann nahm er im Augenwinkel eine Bewegung außerhalb des Schiffes wahr.

“Wird auch Zeit”, dachte er und drehte sich um.

Seine Augen weiteten sich. Direkt vor seinen Augen explodierte sein Schiff.

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An Bord der Gemini saß Darrow Penny gegenüber.

“Sie könnten eine Menge Ärger bekommen, Lieutenant”, sagte er, “Ihr hübscher Monolog hat zwar Ihre Gründe für den illegalen Zugriff auf Archivdateien erklärt, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass Sie illegal auf geheime Daten zugegriffen haben.”

Die Tür öffnete sich. Admiral Showalter kam herein. Er sah nicht amüsiert aus. Penny und Darrow salutierten. Showalter betrat den Raum und blickte Darrow an.

“Möchten Sie erklären, warum Sie meinen Piloten belästigen?”

“Sir, Lieutenant Ayala griff auf…”

“…auf die Dateien des Cassandra-Projekts zu. Das weiß ich. Ich habe mit Ihrem Vorgesetzten gesprochen.” Showalters Stimme war ruhig und bedächtig.

“Sie haben meine Frage nicht beantwortet.”

“Nun, vor drei Monaten bemerkten wir Versuche, das Archiv nach Laboraufzeichnungen über Cassandra zu knacken. Wir verfolgten die Spur bis zum Enkel des ehemaligen Projektleiters, einem gewissen Mahony, zurück.”

Darrow rief den Bildschirm auf. Darauf tauchte Warden Mahony  auf,

“Die Advocacy setzte Mahony auf eine Beobachtungsliste. Vor drei Wochen verschwand er dann plötzlich.  Als nun Lt. Ayala auf die Projektdateien zugriff, befürchteten wir eine Sicherheitslücke.”

“Nun, sie hat nicht für diesen Mann gearbeitet.”

Showalter sah Penny an. Sie schüttelte den Kopf.

“Also damit dürfte die Angelegenheit wohl geklärt sein.”

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Vier Systeme entfernt im Banu-Territorium war die Angelegenheit noch lange nicht geklärt. Cal versuchte gerade einen Plan auszuhecken, wie er die Crew der Phoenix in einen Hinterhalt locken konnte, als ein paar Söldner auftauchten. Anstelle von Sasha, Trunk und Mahony hatte er es nun mit sechs weiteren bewaffneten Personen zu tun. Cal konnte nicht hören, ob sie die Maschine verkaufen oder benutzen wollten. Egal, das Ding durfte den Keller nicht verlassen.

Jetzt brauchte er nur noch einen Plan, wie er das anstellen wollte. Hier drin ein Feuergefecht zu beginnen, klang nach einer schlechten Idee. Ein Querschläger würde genügen, um vielleicht sogar die Bombe zu zünden, und von dem Raum, vielleicht sogar der ganzen Siedlung, wäre nichts weiter übrig. Cal hatte immer noch den P52-Sender mit der Position der Phoenix verknüpft, also war es wohl das Beste, zunächst ins All zu fliegen und sie dort zu bekämpfen. Er sah zwar keine große Chance darin, mit einer Cutlass gegen eine Constellation anzutreten, aber es war besser, als zu versuchen, es hier unten auszufechten.

Außerdem war er mit Flügeln besser als mit Fäusten. Sasha sprach leise mit den Söldnern und ging dann zu Mahony hinüber, der die restlichen Kanister des Cassandra-Projekts in die Bombe lud.

“Bist du fertig? Wir müssen das Ding verladen.”

“Ja, ein paar Minuten noch”, murmelte er, während er die Kanister sorgfältig mit dem Zündmechanismus verkabelte.

Sasha wandte sich wieder an die Söldner.

“Sobald wir das Ding draußen haben, begebt Ihr Euch auf Eure Positionen entlang unserer Route. Wenn Ihr glaubt, dass uns jemand folgt oder uns zu viel Aufmerksamkeit schenkt, will ich das sofort wissen.” Sie wandte sich an Trunk.

“Hast du sie bezahlt wie vereinbart?”

“Ja.”

Cal trat den Rückzug an. Er wollte hier raus, bevor die Söldner ihren Weg antraten, und verfolgte seine Schritte zurück zum Lüftungsschacht. Als er wieder unter freiem Himmel angelangt war, luden sie gerade die Bombe auf eine Antigrav-Plattform. Sasha nickte den Söldnern zu, die sich schnell in der Menge zerstreuten. Cal versuchte sich so gut wie möglich ihre Gesichter einzuprägen, Sasha und Trunk hielten Wache, während Mahony die Bombe durch die engen Straßen der Banu-Siedlung schob. Keiner der Passanten schenkte ihnen Beachtung.

Cal hielt Schritt und beobachtete alles mit gebührendem Abstand, wobei er darauf achtete, den Söldnern auszuweichen. Diese Söldner waren gut, denn Cal sah keinen einzigen von ihnen. Erst als sie die Bombe in den Laderaum der Phoenix luden, brach Cal sein Versteckspiel ab und lief zurück zur Cutlass. Er ließ sich in den Pilotensitz fallen und startete die Triebwerke. Ein schneller Scan und die P52-Bake zeigte die Phoenix auf seinem Radar. Cal ließ sie etwas Abstand gewinnen, bevor er ihnen folgte.

Sie waren auf dem Weg zurück zum Sprungpunkt. Cal hatte eine Entscheidung zu treffen. Zweifellos hatten sie einen Weg gefunden, die Bombe an den Scans des Zolls vorbeizuschmuggeln. Cal konnte sie aufhalten und die Bombe sicherstellen. Der Nachteil wäre, dass er dann den Käufer nicht bekommen würde – wenn es denn einen gäbe. Also wog er seine Optionen ab und beschloss: Es war das Risiko nicht wert. Je länger das Ding da draußen war, desto mehr Möglichkeiten gab es, Cal zu überraschen. Und er hatte es satt, überrascht zu werden.

“UEE-Zollstation Charlie, Ferron-System. Hier spricht Lt. Cal Mason, UEE Navy, SysID#5847DDC. Ich verfolge eine gefährliche Waffe, die im Begriff ist, in Ihr System geschmuggelt zu werden auf einem Schiff der Constellation-Klasse, mögliche Bezeichnung Phoenix. Bitte stoppen Sie alle Schiffe, die dieser Beschreibung entsprechen, und leiten Sie diese Nachricht an Lieutenant Penelope Ayala, UEES Gemini, weiter.”

Er skizzierte alles, was er gesehen und erfahren hatte, als separaten Anhang und schickte die Nachricht an die Relaisstation weiter.

Damit sollte die Sache erledigt sein. Er bezweifelte, dass die Phoenix versuchen würde, einen Kampf zu beginnen. Unglücklicherweise verwandelte sich dieser “Zweifel”, als er weiterflog, in “sie könnten” und dann in “höchstwahrscheinlich”. Auf keinen Fall würden sie sich schließlich mit einer „Weltuntergangsmaschine“ erwischen lassen wollen. Plötzlich war Cal überzeugt, dass er eine Menge Zollbeamte in Gefahr brachte. Er gab Vollgas und flog direkt in den Sprungpunkt hinein.

…auf der anderen Seite herrschte pures Chaos. Schiffe taumelten ohne Energie durch den Raum. Die Zollstation war abgeriegelt. Jemand hat eine EMP-Ladung gezündet – und zwar eine riesige. Manche Schiffe nutzten den unerhofften Vorteil der deaktivierten Sicherheit und rasten durch den Sprungpunkt, während die wenigen Zoll- und Polizeischiffe, die noch Strom hatten, versuchten, die Ordnung wieder herzustellen. Kurzum: Es war die perfekte Tarnung für die Phoenix, um durchzuschlüpfen. Cal fand die Peilung der Phoenix auf seinem Radar und verfolgte sie. Als sie in Sichtweite kam, waren nur noch eine Handvoll Schiffe in ihrer Flugbahn. Cal begann, seine Waffen zu laden. Er musste sie schnell und hart treffen, sofort so viel wie möglich von ihrer Verteidigung ausschalten, wenn er eine Chance haben wollte.

Laserfeuer schoss an seinem Cockpit vorbei. Cal wich instinktiv aus. Ein Marauder raste an ihm vorbei und wendete für einen weiteren Angriff. Auf seinen Scans fuhr die Phoenix die Schilde hoch. Da wurde es Cal klar. Als Sasha im Labor sagte: “Geht auf eure Positionen entlang unserer Route.” – da hatte sie nicht die Siedlung gemeint, sie meinte im Weltraum.

“Cal, du dummer Hurensohn…”

Die Phoenix feuerte wieder. Cal rollte das Schiff. Plötzlich erhielt er einen Funkspruch von der Phoenix.

“Identifiziere Dich.”

Es war Sasha.

“Rate mal.”

Cal schwenkte seinen Geschützturm und erwiderte das Feuer.

“Mason?”

“Du musst aufhören.”

Es folgte eine lange Pause.

“Geh nach Hause, Mason.”

“Nachdem ich gesehen habe, was diese Bombe anrichten kann…” erwiderte Cal.

Er warf ein paar Gegenmaßnahmen aus.

“…du weißt, dass ich das nicht tun kann.”

Cal hoffte, dass sie den Kanal noch nicht geschlossen hatte.

“Du trägst etwas bei dir, das Millionen, vielleicht Milliarden auslöschen könnte. Ich weiß, ihr habt ein Hühnchen mit der UEE zu rupfen, und das verstehe ich auch, aber das ist zu viel, und ich denke, das wisst ihr auch.”

Der Marauder markierte ihn mit einem IR-Marker. Wenige Augenblicke später schoss eine Salve Raketen aus dem Bauch des Schiffes. Sein Geschützturm schwenkte herum und feuerte ebenfalls.

Der Söldner in der Marauder waren gut, aber nicht großartig. Das Problem war, dass die beiden Schiffe im Tandem kämpften. Cal brach die Verfolgung der Phoenix ab und drehte ab, wobei er die  Raketen mit sich zog. Der Marauder verfolgte ihn. Die Phoenix tat es nicht, ihre Triebwerke blitzten auf und sie raste davon. Cal entkoppelte die Trägheitsdämpfer, schaltete die Triebwerke ab und drehte die Cutlass um, ohne seinen Schwung zu verlieren. Cal eröffnete mit seinen Lasern sofort das Feuer auf die anfliegenden Raketen. Er schaffte es, sechs der acht Raketen  zu zerstören.

Der Marauder ließ sein gesamtes Arsenal auf Cal los. Er erwischte die letzten beiden Raketen, aber auch die Cutlass wurde schwer getroffen. Doch ihre Schilde hielten. Frei von den Raketen, war Cal bereit, sich ganz auf den Marauder zu konzentrieren. Nachdem das erledigt war, blickte Cal auf das Radar. Der Peilung der Phoenix nach zu urteilen, waren sie auf dem Weg zum Sprungpunkt nach Croshaw. Er sah ihr Signal flackern und verschwinden. Sie waren durch. Cal leitete alle verfügbare Energie auf die Triebwerke um und raste hinter ihnen her.

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Darrow schickte seinen Bericht über den Vorfall ab und wartete auf Befehle seiner Vorgesetzten. Penny starrte an die Decke und langweilte sich zu Tode. Die Tür glitt auf. Ein junger Fähnrich steckte seinen Kopf herein.

“Mitteilung für Lt. Ayala.”

Der nervöse Fähnrich warf einen Blick auf Darrow und hielt inne.

„…es ist von Cal, Ma’am.”

Nur Minuten später stand Penny vor Showalter und gab Cals Nachricht über die Phoenix, die Bombe und alles andere wieder. Showalter starrte vor sich hin. Seine Augen verengten sich, als er zuhörte, aber sein Gesicht war ansonsten unergründlich, wie immer. Darrow stand an der Tür.

“Sie fliegen zur Erde”, sagte Showalter nach langem Schweigen.

Sie glauben doch nicht, dass sie versuchen werden, es zu verkaufen?”

Showalter lief kurz auf der Brücke auf und ab.

“Triebwerke voller Schub. Wir ändern den Kurs.”

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Im Croshaw-System war es ruhig. Es war ein durchschnittlicher Tag. Die Menschen gingen zur Arbeit. Kinder gingen zur Schule. Es gab vier aktive Sprungpunkte im System, einer führte ins Sol-System und damit direkt zur Erde, der zweite führte ins Nul-System, der dritte ins Davien-System… Cal verließ den vierten Sprungpunkt von Ferron. Es dauerte eine Sekunde, bis sein Radar die Phoenix wieder erfasst hatte. Sie war auf Kurs nach Nul. Cal nahm die Verfolgung auf, umschiffte den allgemeinen Verkehr im System. Dann erblickte er die Constellation in der Ferne.

Plötzlich spielten seine Systeme verrückt. Eine allgemeine Notfallwarnung wurde auf allen Kanälen ausgestrahlt. Irgendwas mit… Oh nein.

Er blickte auf. Die Black Talon tauchte aus dem Nul-Sprungpunkt auf, gefolgt von Dutzenden von Vanduul-Jägern. Sie begannen sofort, die Zollagenten anzugreifen. Ein Vanduul-Flaggschiff und der Rest der Clan-Kampfschiffe tauchten kurz darauf auf. Lokale Milizen und private Piloten drehten ab, um das System zu verteidigen. Die Phoenix flog indes ungerührt an den Wellen der Vanduul vorbei und verschwand im Inneren des Flaggschiffs. Schlagartig fielen alle Teile an ihren Platz – die Phoenix hatte die Vanduul nicht angeheuert, um das System anzugreifen. Die Vanduul hatten die Menschen angeheuert, um eine Bombe zu bauen. Dies war nicht Mahonys Rache, dies war ein organisierter Angriff der Vanduul auf das Herz ihres Feindes!

 

Das Flaggschiff eröffnete sofort das Feuer mit all seinen Geschützen. Seine Fighter trafen lediglich auf wenig menschlichen Widerstand. Cal übernahn sofort das Generalkommando, um die Piloten zu koordinieren und stürzte sich ebenfalls direkt in die Schlacht. Piloten beider Seiten tanzten umeinander herum. Laser brannten durch die Leere. Bald war der Raum mit Trümmern und Wrackteilen übersät. Hektisches  Geschrei füllte alle Kanäle – kurzum: Es herrschte Krieg. Das Vanduul-Flaggschiff änderte unterdessen seinen Kurs in Richtung Sol-System, in Richtung Erde.

Cal erledigte den Vanduul-Jäger, mit dem er sich in dem Moment beharkt hatte und bewertete die Situation. Kurz gesagt, es lief alles andere als gut. Die Vanduul hatten mehr Erfahrung, waren skrupelloser. Die lokalen Behörden und die versprengten Militärangehörigen richteten zwar einigen Schaden an, aber die Vanduul starteten immer neue Jäger. Cal wusste, dass sich das Blatt schon bald tödlich gegen sie wenden würde. Selbst wenn es ihnen gelang, die Jäger zu zerstören, waren sie gegen die größeren Vanduul-Schiffe machtlos. Dann aber sah er die Rettung…

Die Gemini. Die wunderschöne Gemini erschien durch den Ferron-Sprungpunkt. Cal vermutete, dass sie seine Nachricht erhalten hatten. Sieben Wings starteten noch im gleichen Augenblick vom Deck.

“Wir dachten, du wärst tot”, sagte Penny über Funk.

“Komm schon, Penny”, erwiderte Cal.

“Wenn Grandpa dich in die Finger kriegt, wirst du dir wünschen, du wärst tot.”

“Schön, dich zu sehen, Penny.”

“Dich auch”, erwiderte Penny.

“Sollen wir?”

Sie stürzten sich in den Kampf.

Das Vanduul-Flaggschiff richtete seine Waffen auf die Gemini. Die Deckskanonen schickten massive Strahlen der Zerstörung durch das Vakuum. Unablässig flackerten die Schilde auf. Kleinere Schiffe wurden im Kreuzfeuer verbrannt. Cal und Penny kämpften Seite an Seite, wie sie es immer taten. Cal sah, wie die Phoenix vom Flaggschiff abhob. Sie bahnte sich einen Weg durch die Schlacht und flog zurück zum Ferron-Sprungtor.

Cals Schilde flammten auf. Er sah auf. Black Talon kamen auf ihn zu.

“Seht mal, wer wieder da ist.”

“Schnappen wir ihn uns.”

Cal und Penny ließen von ihren Gegner ab und nahmen Black Talon ins Visier. Sie sahen, wie auch lokale Piloten versuchten, Black Talon anzugreifen, aber sie waren dem Vanduul-Ass nicht gewachsen. Cal eröffnete das Feuer auf Black Talon, der gekonnt um die Schüsse herumtanzte. Penny versuchte, dorthin zu schießen, wohin Black Talon ausweichen würde – aber er war einfach zu flink. Gleichzeitig mussten sie selbst Lasern der Gegner ausweichen. Cal konnte Black Talon kaum im Auge behalten, während er  Schlag um Schlag einstecken musste.

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An Bord der Phoenix beobachtete Sasha den leeren Raum vor sich. Ihr Gesichtsausdruck war müde. Trunk saß im Geschützturm. Er beobachtete den verzweifelten Kampf der Menschen, der sich mittlerweile über das gesamte System streckte, mit ähnlicher Miene. Er kletterte die Leiter hinunter und gesellte sich zu seiner Halbschwester ins Cockpit.

“Sie werden da draußen zerrissen”, sagte er nach einer langen Pause.

“Das ist nicht unser Problem”, erwiderte Sasha leise.

Es klang nicht überzeugend.

“Ja, rein technisch gesehen …”, begann Trunk zu sagen, hielt aber inne.

“Was?”

“…wir haben den Job gemacht und wurden bezahlt. Also ist technisch gesehen unsere Verantwortung ihnen gegenüber jetzt erledigt. Wir können tun, was wir wollen.”

Sie saßen schweigend da.

“Ich meine ja nur …”, sagte Trunk.

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Mittlerweile versagten einige der Schilde des Vanduul-Flaggschiffs. Aber auch die Gemini hatte eine Menge Treffer einstecken müssen. Eines der Hauptgeschütze war weggesprengt worden und verursachte Munitionsexplosionen unter Deck. Der Rumpf hatte an mehreren Stellen riesige Löcher. Die anderen Vanduul-Schlachtschiffe hatten es vor allem auf die Triebwerke der „Gemini“ abgesehen. Der riesige UEE-Träger wurde immer langsamer. Cal richtete sein Visier auf das Flaggschiff aus. Die Bombe musste noch dort sein. Das würde Sinn machen. Das war der sicherste Ort. Außerdem war es das einzige Schiff, das den Sol-Sprungpunkt ansteuerte. Er schätzte, es würde in wenigen Minuten springen können.

“Penny, gib mir Deckung.”

“Was tust du jetzt wieder?”

“Das willst du wahrscheinlich gar nicht wissen.”

Cal drehte sein Schiff um Black Talons Feuer herum und hielt auf das Flaggschiff zu. Black Talon begann, ihn zu verfolgen, aber Penny beschoss ihn weiter mit allem was sie hatte und gab Cal so einen Vorsprung. Er hörte Penny über die Comms fluchen. Er schaute zurück. Sie wurde getroffen. Eines ihrer Triebwerke war ausgefallen. Die Black Talon und die Vanduul-Jäger kreisten um sie, um ihr den Rest zu geben. Cal schaute zurück zum Flaggschiff, das sich schnell dem Sprungpunkt näherte. Er musste sich entscheiden.

In dem Moment, in dem er umdrehen wollte, rauschte etwas an seinem Schiff vorbei und auf Penny zu. Laserbeschuss vernichtete die Vanduul Scythes, bevor sie angreifen konnten. Die Black Talon wich aus, um dem Feuer zu entgehen. Es war die Phoenix.

“Viel Glück, Mason.”

Das war alles, was über die Comms kam. Dann war die Phoenix verschwunden. Penny brachte ihre Tribwerke wieder in Gang und brachte sich in Sicherheit.

Cal konzentrierte sich wieder auf das Flaggschiff. Im Geiste ging er den Grundriss des Schiffes durch. Er stellte sich die Landebucht vor. Tief, höhlenartig, aber mit viel Platz zum Manövrieren. Das Flaggschiff verschwand im Sprungpunkt. Laserschüsse schossen von hinten an ihm vorbei – die Black Talon war Cal dicht auf den Fersen. Cal schaltete die Nachbrenner ein. Die Cutlass flog auf den Sprungpunkt zu und verschwand mit der Black Talon direkt hinter ihm ebenfalls darin. Der Autopilot übernahm und begann, das Schiff auf eine sichere Geschwindigkeit zu reduzieren. Cal deaktivierte ihn und gab weiter Vollschub. Er war schon dutzende Male durch den Croshaw-Sol-Sprungpunkt geflogen. Er hatte etwa fünf Minuten, bevor sie auf der anderen Seite herauskommen würden.

Etwas zertrümmerte seinen Flügel. Das Flaggschiff zog langsam vorbei, flackerte ein wenig und verschwand wieder aus seinem Blickfeld. Der Rahmen der Cutlass ächzte, als sie sich drehte. Cal taumelte vor dem Flaggschiff durch den Sprungtunnel. Mit aller Kraft schaltete er die Nachbrenner ab und drehte das Schiff. Auf diese Weise wurde er in die Landebucht des Vanduul-Schiffes geschleudert. Er scannte das Flugdeck unter ihm. Verwirrte Vanduul feuerten mit Handfeuerwaffen und schrien sich gegenseitig an.

Drei Minuten.

Er flog einmal komplett durch das Flugdeck, aber er konnte nicht…

…da. Mechaniker waren soeben dabei, die Bombe an einem Vanduul-Bomber zu befestigen. Cal schwenkte den Cutlass herum. Die Black Talon kam plötzlich in Sichtweite und hielt auf ihn zu. Cal versuchte, sich davon nicht ablenken zu lassen. Er konzentrierte sich auf sein Ziel. Er wusste, er würde keine weitere Chance bekommen…

Zwei Minuten.

Black Talon griff ihn an. Und auch Cal feuerte.

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Es war ruhig in Sol. Verstärkung sammelte sich am Sprungpunkt. Die Front des Vanduul-Flaggschiffs durchbrach den Sprungpunkt. Alle UEE Marineschiffe waren bereit sofort zu feuern – aber sie feuerten nicht. Nur die vordere Hälfte des Vanduul-Flaggschiffs taumelte aus dem Sprungpunkt, die hintere Hälfte war weg. In dem Moment, in dem das Schiff auseinandergebrochen war,  hatte Cals Cutlass von der Landebucht abgehoben. Auch er war vom Cassandra-Gas getroffen worden. Er zog den Hebel des Schleudersitzes – und der Schwung schleuderte ihn direkt auf die Linie der Navy-Geschütze zu. Er drehte sich um und sah, wie das gesamte Vanduul-Flaggschiff in der Schwerelosigkeit plötzlich zu einer Art molekularen Glibber wurde. Die Cutless auch. Es war eine Schande. Er hatte eben angefangen, das Schiff zu mögen. Er spürte einen scharfen Schmerz in seinem Bein. Es fühlte sich gebrochen an. Er seufzte und winkte der Kavallerie, damit sie ihn abholte.

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Cal kehrte unter donnerndem Applaus zurück auf die Gemini. Kerney, der riesige Mechaniker, umarmte ihn. Penny wartete mit ihren Händen in den Hüften und einem dicken Grinsen. Cal grüßte sie. Sie nickte. Die Piloten und die Crew klopften ihm auf die Schulter, als er über das Deck humpelte. Die Menge teilte sich und er stand Admiral Showalter gegenüber. Cal stand stramm und salutierte.

“Sir.”

Showalter starrte ihn einige Augenblicke lang an.

“Wir haben Sie begraben, Mason.”

“Es tut mir leid, dass ich das wieder mal vermasselt habe, Sir.”

Cal versuchte, nicht zu lächeln. Das war die vierte Beerdigung, die sie für ihn gehabt hatten.

“Ich werde versuchen, das nächste Mal tot zu bleiben, Sir.”

Showalter schüttelte den Kopf und verließ das Flugdeck. Cal verbrachte die nächsten zwei Wochen auf der Krankenstation mit seinem Bein in Gips. Er suchte nach irgendwelchen Berichten über Sasha oder die Phoenix. Das Schiff wurde verlassen in der Nähe von Terra gefunden. Sasha und ihre Crew  war verschwunden. Vier Tage später bekam er wieder dieses Jucken, das davon kam, zu lange am Boden zu sein…

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Das Nul-System. Scavengers stöberten in den treibenden Teilen eines Frachters. Die ID sagte, es hatte einem gewissen Grady Monk gehört. Das meiste davon war Schrott, aber Credits waren eben Credits. Die Zeiten waren hart. Das Radar pulsierte wegen eines neuen Kontakts. Der Scavenger führte einen Scan durch, konnte es aber nicht identifizieren. Sie blickte aus dem Cockpit. Eine Vanduul Scythe raste vorbei. Sie drehte sich nicht um oder griff an, sondern raste zurück in Richtung Vanduul-Gebiet. Bevor es in der Leere verschwand, bemerkte sie, dass einer seiner Flügel aussah, als sei er in Schwarz getaucht worden.

– Ende –

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