Gedanken zum Tod im Lauf der Geschichte, Vergänglichkeit und Wiedergeburt
Von John Brubacker, Nick Cartago und Friedrich Winters
Ein Schuss aus dem Hinterhalt, ein kurzer Schrecken und eine Ohnmacht – dann wacht man wieder auf und blickt in ein Krankenzimmer. Verärgert, weil man ein paar Rüstungsteile verloren hat, niedergeschlagen, weil man nicht siegreich aus einem Kampf hervorging. Aber sonst? Sonst ist weiter nichts Schlimmes passiert.
Der Tod – er ist zu einer Unannehmlichkeit geworden. Etwas, das Verdruss schürt, aber nichts, vor dem man noch groß Angst hätte inmitten des 30. Jahrhunderts. Man blickt nach oben, in ein paar Monitore mit den Scanergebnissen der eigenen Lebensfunktionen. Funktionstüchtig steht man schließlich auf aus seinem Bett und setzt sein Tagesgeschäft fort. Die Medizin vollbringt heutzutage wahre Wunder – und mit der „Regenerationstechnologie“ hat sie gottgleiche Mächte entfesselt. Haben wir uns endlich selbst gesegnet oder nähren wir den Fluch der Unsterblichkeit?
Klar ist: Das 30. Jahrhundert hat den Tod fast besiegt. Er wird zu einer simpel anmutenden technischen Angelegenheit. Doch der Weg hierher war weit – und dies nicht nur im technischen Sinne, sondern auch im über Jahrtausende gewachsenen Selbstverständnis der Menschen. Im antiken Rom auf Sol III etwa, Vorbild des heutigen United Empire of Earth, gab es ein feststehendes Ritual: Hinter dem siegreichen Feldherrn ging beim Triumphzug ein Sklave durch die Straßen Roms und hielt einen Gold- oder Lorbeerkranz über den Kopf des Siegreichen. Ununterbrochen mahnte der Sklave: „Memento Mori – Sei dir der Sterblichkeit bewusst.“
Das Ritual betonte die Vergänglichkeit des großen Sieges und verwies auf die kleine Bedeutung des Triumphes im Angesicht der Unendlichkeit. Gedenke des Todes. Was heute noch die Welt bewegt, kann schon morgen vom Strom der Geschichte davon gerissen werden. Wo man dir heute noch zu Füßen liegt, kannst du morgen schon vergessen sein. Unabhängig von Art und Umfang des Begräbnisses – ob ägyptische Pyramiden oder indianischer Totenkult – immer war der Tod eines Gemeinschaftsmitgliedes früher eine Situation, die unmittelbar an den Gestorbenen gebunden war. Seine Individualität, Biographie, Erfahrungen oder Erlebnisse endeten mit der Totenfeier.
Gleichwohl: Keine Kultur der Menschheit hat jemals den Tod als ultimatives Ende begriffen – vielleicht auch, weil wir uns unsere Nicht-Existenz einfach nicht vorstellen können. Über Jahrtausende hatte die Vorstellung, wiedergeboren zu werden oder nach dem Tod im Paradies weiterzuleben, etwas Beruhigendes und für die Hinterbliebenen etwas Tröstliches. Die christliche Vorstellung von Auferstehung etwa ist, dass Körper und Geist, Leib und Seele nach dem Tod miteinander verbunden bleiben. Diese Vorstellung wurde spätestens mit der Überlieferung der österlichen Auferstehungsgeschichte um den Gottessohn Jesus Christus fest in der menschlichen Kultur verankert. Er wandelte nach seiner Auferstehung in sterblicher Gestalt einige Tage bevor er die Erde endgültig verließ um den Platz neben seinem Vater einzunehmen. Im Himmel, einem ätherischen Ort ohne Leid und körperliche Beschwerden. Ein jenseitiges Refugium der Seeligkeit, der Ort des Lebens nach dem Tode, dem alle Christen entgegenfiebern, als Belohnung für ein gottesfürchtiges Leben im Diesseits.
Die „Regenerationstechnologie“ macht solch regelkonforme Existenzen nun wohl überflüssig. „Der Tod verbirgt sich“, sagte bereits im 20. Jahrhundert der französische Historiker und Forscher Philippe Ariès über den Tod. „Die Gesellschaft hat den Tod ausgebürgert, sie legt keine Ruhepause mehr ein. Das Leben in der Großstadt wirkt so, als ob niemand mehr stürbe.“ In der Tat: Seit langem schon überlassen wir das Totengewerbe den Experten. In der arbeitsteiligen Gesellschaft hat sich Sterben zum funktionierenden Servicebetrieb entwickelt. Nun, im 30. Jahrhundert, wird dies auf die Spitze getrieben.
Bis hierhin war es ein steiniger Weg. Bis zur Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert sind Tod und Sterben fester Bestandteil des Familienlebens. Angehörige pflegen den Familienangehörigen bis zum Schluss, waschen die Leiche, kleiden sie und bahren sie auf. Mit steigender Zuverlässigkeit und mit zunehmendem Wissen der Medizin wächst jedoch der Glaube an die Allmacht der Ärzte. Der Tod wird schließlich nicht mehr hingenommen, sondern mit allen technischen Mitteln bekämpft. So wie die Allmacht Gottes – oder das, was die Menschen über Jahrhunderte dafür halten – wird auch der Tod scheibchenweise mit jeder neuen wissenschaftlichen Erkenntnis zurückgedrängt. Der Lauf der Zeit hinterlässt seine Spuren im Umgang mit dem Ableben. Der Tod wandelt sich: Zunächst mit feierlichen Zeremonien ritualisiert, wird er von den Kirchen über Jahrhunderte als Machtinstrument missbraucht. Die Erfindung des Teufels als Peiniger sündiger Seelen in der Hölle schürt tiefe Ängste unter den irdischen Christen. Der Tod wird zum Schrecken.
Mehr und mehr wird er gesellschaftlich verleugnet, auch dank wachsender Popularität asiatischer Glaubenskulturen, in denen der Tod im Kern lediglich als Übergangsphase von einem Leben in ein anderes verstanden wird. Das 20. menschliche Jahrhundert ist ein Jahrhundert erdumfassender Kriege. Die Menschheit tötet sich millionenfach gegenseitig. Die Allgegenwart des Todes macht ihn unerträglich. Massengräber und Militärfriedhöfe entpersonifizieren den Tod und pressen ihn in Grabsteinschablonen mit Aufschriften wie „Für immer beweint“ oder „Unseren Tapferen Brüdern und Schwestern“. Am Ende wird der Tod schließlich komplett tabuisiert. Es sind alles mehr oder weniger untaugliche Versuche, mit dem unentfliehbaren Schicksal eines jeden Einzelnen umzugehen.
Dafür wird der Tod geschäftstüchtig. Geradezu lächerlich scheint im Rückblick das Unterfangen, Menschen in flüssigem Stickstoff einzufrieren um sie irgendwann in ferner Zukunft mit Hilfe wundersamer Technologie wiederzuerwecken. Der erste Schritt zu einem nachhaltigen Geschäftsmodell macht die Klontechnologie. Ende des 20. Jahrhunderts wird mit „Klonschaf Dolly“ das erste Tier geklont. Bald darauf können Menschen für ein mittleres Jahresgehalt ihr liebstes Haustier klonen lassen. Fast zeitgleich folgt der erste 3D-Druck von Organen: Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird mit Hilfe eines Stammzellen verarbeitenden Druckers eine kleinen Niere synthetisiert. Es dauert dann noch 20 Jahre bis es einem israelischen Forscherteam auf Sol III gelingt, ein ganzes Herz zu drucken. Es verfügt über sämtliche Eigenschaften eines menschlichen Herzens, und sie verwenden in ihrer Erklärung erstmals den Begriff „Imprint“.
Es dauert nochmals knapp 1000 Jahre bis in 2949 erstmals die erfolgreiche Regeneration eines kompletten Menschen auf Basis der von BiotiCorp entwickelten Bio-Print-Technologie gelingt. Die Grundlagen hierfür legt Dr. Aka Ibrahim, nachdem er mit erbeuteter biogenetischer Scantechnik der Vanduul experimentiert und daraus die so genannte Ibrahim-Sphäre entwickelt. Sie ermöglicht die Anfertigung vollständiger biogenetischer Abdrücke einer Person. Der Abdruck – oder „Imprint“ – geht dabei weit über DNA- und Mentalscans hinaus und erfasst eine vollständige Version einer Person, einschließlich ihrer Erinnerungen, Gedanken und Persönlichkeit. Das Jenseits, so könnte man sagen, wird im Diesseits verankert, der Tod wird betrogen.
Zwar ist der Regenerationsprozess kostspielig, schnell wird aber jede Raumstation mit einem medizinischen Scanner ausgestattet, der einen Imprint erstellen kann – und die Menschen nehmen die neue Technologie auch umgehend an. Doch wie bei jedem technologischen Durchbruch gibt es Zweifel. So begehren religiöse Gruppen dagegen auf, dass die Seele eines Lebewesens eingefangen werde. Wirtschaftssachverständige äußern Bedenken, dass die Verlängerung des Lebens schwerwiegende Auswirkungen auf das sozialwirtschaftliche Gesellschaftsgefüge haben könnte.
Hinter alledem steht eine zentrale ethische Frage: Was ist das Leben noch wert, wenn man weitere in der Schublade hat, die man bei Bedarf herausziehen kann? Sind die Vanduul am Ende derart verroht, weil ihnen die Technik der Wiedergeburt in den Schoß fiel? Wie verändert es eine Gesellschaft auf Dauer, wenn man in einem Kampf nicht mehr die Existenz des Gegners an sich auslöscht, sondern nur noch dessen Abziehbild? Wie tief sinken die Hemmschwellen für brutale Konflikte? Wird das Imperium nun ein noch dunklerer und gefährlicherer Ort?
Es ist ein tiefer kultureller Bruch, den die neue Technologie mit sich bringt. Wir spielen mit Mächten, die wir noch immer weder mental noch technologisch verstehen. Es ist als würden wir mit einem Vordiplom in Ingenieurswissenschaften versuchen, gleich den Hauptantrieb im Maschinenraum der eigenen Existenz zu wechseln. Sofern es einen Gott gibt, so sollten wir mit jeder Faser hoffen, dass er uns trotz aller Anmaßung bei diesem naiven Unterfangen beisteht.
So mag tröstlich stimmen, dass wir den Tod noch nicht zur Gänze bezwungen haben, denn jedes Ableben hinterlässt seine Spuren. Je traumatischer ein Toderlebnis ist, desto prägnanter sind die Folgen. Traumata verursachen nachhaltige Echos – die Person wird nach ihrer Regeneration samt Traumaschädigung wiederhergestellt, kommt versehrt zurück. Auch Teile der Erinnerungen und Erfahrungen gehen weiterhin verloren. Kurzum: Abschied und Neubeginn bleiben auch im 30. Jahrhundert Teil der Menschlichkeit. Und so wohnt jedem Neuanfang weiter ein Zauber inne. Hier schließt sich der Kreis: Man erwacht auf seiner Liege im Krankenhaus, ohne Rüstung, Waffen, Kleidung, lediglich in einen Kittel gehüllt – einem Neugeborenen gleich. Von altem Ballast befreit, beginnt die die Reise als Wiedergeborener. Welches Risiko wird man diesmal bereit sein einzugehen? Man weiß nie genau, wie viele Chancen auf eine gelingende Regeneration noch bleiben.
Gerade jetzt, in Vorfreude auf das Weihnachtsfest und Luminalia, werden uns derlei existenzielle Fragen wieder bewusst. Luminalia – das Fest, das Banu und Menschen gemeinsam feiern. Während zeremonielle Lampen brennen, werden alle Banu, egal wo sie sind, als ein Souli betrachtet. Sie laden Freunde, Geschäftspartner und vorbeikommende Fremde ein und überreichen ihnen Geschenke. Gemeinsam feiern sie das Leben, ihre interstellare Existenz – in Frieden und Freundschaft! Auf der Erde und darüber hinaus feiern Christen nur drei Tage danach Christi Geburt, bekannt als Weihnachtsfest. Dass Gottes Sohn als Krone der Schöpfung Menschengestalt hatte, stand lange Zeit außer Frage – ein Weltbild, das mit der Entdeckung der Banu im Jahr 2438 zerbarst. Doch den Sturz vom Schöpfungsthron haben die Menschen augenscheinlich gut verwunden. Vermutlich hat dabei der Tausch gegen den Titel der interstellaren Spezies geholfen. Das macht Mut und spendet Zuversicht. Denn wenn im Lauf der Zeit und mit der Ausbreitung des Menschen in ferne Welten tatsächlich etwas stirbt, so sind es Gewissheiten. Davon zeugt die Geschichte vom Umgang mit dem Tod. Mit Sicherheit bleiben lediglich die Echos der Vergangenheit. Besinnen wir uns ihrer und hören wir auf sie!