Vom ganz besonderen Moment einer Sonnenfinsternis – mitten im Weltraum
Von John Brubacker
Yela, unwirtlicher Mond von Crusader, zernarbt und kalt aus der Nähe, umschlossen von einem Ring aus Asteroiden, deren Herkunft bis heute nicht geklärt ist – er leuchtet plötzlich wie eine Christbaumkugel. Als wäre ihm Leben eingehaucht worden. Als hätte er von einer Sekunde zur nächsten eine Metamorphose durchgemacht. Hinter ihm lecken die Flammen von Stantons Sonne hervor, züngeln um ihn herum, umschmeicheln ihn geradezu. Je näher man heranzoomt, umso stärker wird der Effekt.
Eine Eclipse ist mehr als nur ein Himmelskörper, der sich vor die Sonne geschoben hat. Es ist die Kunst, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein, um sie zu beobachten. Wir blicken hinaus aus dem Foyer der Origin 890 Jump, mit der wir angereist sind, dann ziehen wir uns Raumanzüge an und schweben hinaus, um das Schauspiel einmal ohne störende Glasscheibe zu genießen. Die nächsten Planeten oder Monde sind Millionen Kilometer entfernt. Wir sind – im Wortsinne – wirklich im tiefen Raum. Vor uns der Mond Yela, wie auf ein glühendes Feuerrad gespannt. Crusader ruht stoisch daneben. Keiner von uns sagt ein Wort, jeder hängt seinen Gedanken nach – es gibt Momente, da konzentriert sich das ganze galaktische Schauspiel in einem einzigen Punkt.
Alles dreht sich umeinander, alles ist immer in Bewegung – vom Atom bis zur Galaxie. Und doch gibt es Augenblicke, da kommt einfach alles scheinbar zum Stillstand, ruht in sich selbst. Es ist, als hätte jemand die Zeit selbst angehalten. Ehrfurcht vor der Präzision des galaktischen Räderwerks kombiniert mit Losgelöstheit von allen irdischen Problemen – kurz: Es ist der perfekte Moment.
Für jeden Himmelskörper eines Sonnensystems gibt es einen solchen Eclipse-Punkt, man muss ihn nur finden. Es braucht Wissen, Recherche – und vor allem Geduld. Mit der aktuellen Quantum-Technologie lassen sich die Punkte nicht direkt anspringen, man muss sie mit dem konventionellen Antrieb erreichen. Das kann Stunden dauern – und ist doch ein Wunder. Denn über Jahrhunderte konnten die Menschen eine Eclipse – umgangssprachlich auch Sonnenfinsternis – nur auf der Erde betrachten. Auch hier musste man zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein.
Es war ein Phänomen, das die Menschen lange in Panik geraten ließ und viele glaubten an schlechte Omen oder gar den Weltuntergang. Dabei verdunkelte der Mondschatten nie die ganze Erde, sondern stets nur einen relativ kleinen Flecken, der durch die Rotation der Himmelskörper über die Erdoberfläche wanderte. Der Streifen der so genannten Totalität, das heißt, das Gebiet, in dem die Sonne total verdunkelt wurde, war im Schnitt nur etwas mehr als hundert Kilometer breit. Die Zone, in der sich die Sonne nur partiell verdunkelte, erstreckte sich über einige tausend Kilometer. Vor allem spielte aber ein kosmischer Zufall eine große Rolle: Von der Erde aus betrachtet, sind die Himmelskörper Sonne und Mond fast gleich groß, obwohl sie sich in der tatsächlichen Größe und Entfernung natürlich sehr unterscheiden. Erst dieser Umstand machte eine Sonnenfinsternis möglich.
Eine totale Eclipse von außen zu beobachten, wurde daher erst mit der Raumfahrt möglich. Heute lassen sich die Punkte nach Belieben anfliegen – sofern man zuvor die richtigen Berechnungen angestellt hat. Die Wissenschaftliche Union SCIUN, die zu dem ungewöhnlichen Ausflug eingeladen hat, hat diese Anstrengungen unternommen, zum Beispiel zur Eclipse von Yela, oder jenen von Hurston oder dem Mond Aberdeen. Es begann mit der Veröffentlichung eines Videos über dieses Phänomen im Spectrum. „Da die Abteilung Astronomie die größte in der SCIUN ist, fanden sich schnell genug Forschende, die sich aufmachten die Eclipse-Punkte anzufliegen“, erklärt SCIUN-Mitglied Alaska Seadeleare aus der Abteilung Archäologie, der bereits drei Eclipse-Reisen begleitet und die aktuelle mit organisiert hat.
Ein großes Problem ist dabei die immer wieder auftretende Raumkrankheit bei den langwierigen und teils auch ereignislosen Reisen hinaus in den leeren Raum zu einem Eclipse-Punkt – deshalb wurden bislang auch nur die Flüge zu den Eclipse-Punkten in den inneren Planeten des Stanton Systems durchgeführt. Problem: Der Abstand eines Eclipse-Punktes zum jeweiligen Himmelskörper verlängert sich mit der Entfernung des Himmelskörpers zur Systemmitte – sprich – der Sonne. „Der Eclipse-Punkt von Yela ist zum Beispiel zirka 9300 Kilometer von Yela entfernt. Da eine Origin 890 Jump eine maximale Geschwindigkeit von 950 Meter pro Sekunde fliegen kann, dauert eine solche Reise mit diesem Schiff zirka zweieinhalb Stunden“, erklärt Seadeleare – vorausgesetzt man fliegt die Ideallinie vom Mittelpunkt des Himmelskörpers zum Mittelpunkt der Sonne.
Gleichwohl ist dies auch heute noch immer ein Kunststück. „Es erfordert ein gewisses Geschick, den Kurs halten zu können.“ Dabei ist es letztlich recht unerheblich, welchen Himmelskörper man ansteuert – die Ringe, die man bei einer solchen Art der Sonnenfinsternis sehen kann, variieren nur sehr wenig. Der leuchtende Ring um Aberdeen besitzt etwa eine leichte gelbliche Einfärbung im Gegensatz zu den anderen bereits beobachteten Ringen der anderen Himmelskörper Stantons. Yela hat wegen seiner Asteroidenringe eine besondere Stellung. Die Coronen der Sonnen variieren hingegen etwas deutlicher. Die Gründe für dieses Phänomen sind allerdings noch nicht ganz geklärt.
Falls es abenteuerlustige Raumfahrende gibt, die eine solche Reise einmal auf eigene Faust unternehmen wollen, sollten sie folgende Punkte beachten. Der größte Feind des Raumfahrenden ist die Langeweile. „Seit der Entwicklung des Quantumsprungs befinden wir uns in einer luxuriösen Situation. Alle relevanten Stellen im Stanton-System sind auf diese Weise recht zügig zu erreichen. Doch wo keinerlei Quantummarker existieren, werden wir auf die technischen Gegebenheiten der Anfänge der bemannten Raumfahrt zurückgeworfen“, so Seadeleare. Und so sind eben auch die Eclipse-Punkte des Stantonsystems bislang alle noch nicht mit Quantummarkern ausgestattet.
„Eine gute Reisevorbereitung ist daher von entscheidender Bedeutung. Man sollte eine solche Reise nur zu zweit oder mit mehreren durchführen. Es sind zwar keinerlei größere Zwischenfälle bei unseren Flügen bekannt geworden, doch wurden unter der Hand ein paar Fälle von Beinahe-Weltraumkoller berichtet. Eine gute Gesellschaft ist auf solchen Reisen daher nicht zu unterschätzen.“
Es besteht jedoch eine theoretische Möglichkeit, die Flugzeit zu den Eclipse-Punkten – zumindest zu jenen der Planeten – zu verkürzen. „Dafür muss man den jeweiligen L2-Lagrangepunkt eines Planeten anspringen und anschließend im freien Fall auf die Mitte des jeweiligen Himmelskörpers zusteuern. Das dürfte die Gesamtreisezeit etwas verringern.“
Doch warum sollte man neben der reinen Faszination einen Eclipse-Punkt überhaupt ansteuern? „Die SCIUN hat das erklärte Ziel, Wissenschaft nahbar und für jeden nachvollziehbar zu machen – schließlich bewegen wir uns alle durch das gleiche Universum“, erläutert Seadeleare. Das Geschäft des Forschens und Entdeckens sei aber häufig reine, nüchterne Fleißarbeit. Mehr noch: Die so gewonnenen Erkenntnisse sind häufig komplexer Natur und nur durch eine trockene, technokratische Sprache wissenschaftlich effizient kommunizierbar. „Deshalb finden wir solche Reisen, wie wir sie nun zum Eclipse Punkt von Yela unternommen haben, so wichtig.“ Sie zeigen, worum es bei der Wissenschaft im Kern geht.
Mehr noch: Oft verlieren auch die Wissenschaftler selbst bei ihrem analytischen Blick mal das große Ganze aus den Augen. „Das Universum ist von einer immensen Schönheit geprägt und diese Schönheit geht im wissenschaftlichen Diskurs nur zu oft verloren. Gerade diese müssen wir mehr und immer öfter kommunizieren.“ Anders gesagt: Auch Forscher müssen das Staunen wieder lernen – und öfter ihre Formeln und Tabellen zur Seite legen. „Wer die glitzernde Schönheit der Stanton-Corona im Schatten eines Mondes betrachtet, der freut sich wie ein Kind, ist plötzlich Eins mit dem Verse.“
Kurzum: Es ist ein erhabenes Gefühl, ein Augenblick, den man nicht so schnell wieder vergisst – ob man nun Wissenschaftler ist, oder nicht.
Wer einmal den „Eclipse-Punkt“ eines Planeten oder Mondes unter fachkundiger Führung erleben möchte, wendet sich an die Scientific Union. Ihre Ausflüge werden regelmäßig angeboten.