Die Crew

– Das Jahr 2953 –

War es klug, sich auf Anvils Angebot einzulassen, eine Carrack für “Radio Infinity” zu fliegen und eine kleine Radioshow zu produzieren? Was hat es mit einem geheimnisvollen Artefakt an Bord auf sich? Tatsache ist: “Die Crew” fordert Brubacker auf vielfältige Weise. Er hofft in diesem Jahr viele offene Fragen zu klären und macht Schritte in ein vielfach größeres Universum – natürlich wie immer nicht ohne Schwierigkeiten…


Journal-Eintrag 03 / 01 / 2953

Wir flitzen mit diversen Bodenfahrzeugen über Microtech – Hermieoth, Nick Cartago, Gabriel Winters und ich. Kleiner abendlicher Ausflug zum Jahresstart 2953. Irgendwann stehen wir mitten in der Wildnis, der Wind pfeift, die Sonne geht unter, das Oberstübchen ist genug durchgelüftet. Wir wollen schon umkehren, als in der Nähe plötzlich eine Avenger landet, ein kleiner Jäger. Herausspaziert kommt ein vermummter Mann.

„Hallo?“

„Hallo.“

Er hat keine Waffe, kommt ganz ruhig auf uns zu – dann erklärt er uns, wer – besser – was er sei: eine symbiotische Lebensform, rund 2000 Jahre alt. Es sprudelt alles nur so aus ihm heraus – der Name seines Heimatplaneten, auf dessen Suche er ist, dass er mehrere Jahrhunderte auf der Erde gelebt habe, dass er uns nichts Böses wolle. Nach Jahrzehnten der absoluten Isolation habe er beschlossen, sich ein paar Menschen zu offenbaren, den nächsten Schritt zu wagen. Er sei einer der letzten seiner Art. Hier draußen, im Nirgendwo, fühle er sich dafür sicher genug.

Erst weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Vor mir steht augenscheinlich ein normal aussehender Mensch, doch die Lebensform erzählt, dass sie zwei Personen sei. Sie redet immer weiter, nennt extrem seltsam fremd klingende Begriffe, steht einfach nur da und mich überkommt es plötzlich heiß und kalt. Was – wenn das wirklich stimmt? Was, wenn wir es nicht mit einem Verrückten mit Langweile zu tun haben? Ich blicke hinauf an den Himmel. Da draußen sind unzählige Welten. Das Verse endet nicht an den Grenzen der UEE. Hat man früher gedacht, dass man eines Tages auf die Tevarin, die Vanduul oder die Xian treffen würde? Das Leben findet immer einen Weg, oder?

Ich stottere ein paar Sätze zusammen. Was, wenn wir wirklich die ersten sind, die eine neue Alien-Lebensform zu Gesicht bekommen? Haben wir es mit einem Verrückten zu tun, verlieren wir nichts – stimmt die Geschichte, können wir nur gewinnen.

„Ich…ich – wer weiß noch davon?“

„Vier Menschen. Ihr drei und noch eine weitere Person meines Vertrauens.“

„Verrückt.“

Meine Gedanken rasen. Eines nach dem anderen.

„Erstmal nicht zur UEE, die legen dich sofort auf einen Seziertisch“, sagt Hermieoth

„Ist mir bewusst.“

„Das UEE hat aktuell noch ein paar andere Sorgen. Die Menschheit steht unter Druck“, sage ich.

„Weiß ich. Habe lange genug unter Menschen gelebt.“

Plötzlich dreht sich die Person um, läuft zu ihrem Schiff.

„Wir sehen uns, jetzt da wir ersten Kontakt gehabt haben…“

So schnell die Avenger gelandet war, so schnell steigt sie wieder auf. Nach wenigen Minuten ist sie am Nachthimmel verschwunden.

„…und jetzt?“

„Zurück zu unseren Schiffen.“

Plötzlich hören wir eine Durchsage – auf Port Tressler, wo wir zuvor gestartet waren, hat es ein Gasleck gegeben. Wir checken uns auf Huskys FROST – alles nur eine Halluzination, ausgelöst durch eine Vergiftung?

„Wir haben alle das Gleiche gesehen, mit der Person gesprochen“, sage ich.

Will jemand, dass wir glauben, dass wir nur eine Erscheinung hatten?

Was zum Henker machen wir jetzt?

Am nächsten Tag erhalte ich von Husky folgende Nachricht:

_____________________________

Auf Blumen

Als ich später das Band abhöre, aus dem die Redaktion von „Radio Infinity“ die neue „Crew“-Sendung zusammenschneiden wird, klinge ich wie ein Irrer. Als hätte ich komplett den Verstand verloren.

Ich rede mit Blumen.

Eine gesteht mir, dass sie in Menschen verliebt sei, eine andere, dass sie Durst habe, weil sie so selten gegossen werde, wieder eine andere fühle sich unansehnlich. Das gebe ich zumindest auf dem Band wieder. Im Hintergrund sind Nick und Husky zu hören, erst belustigt, dann genervt und schließlich erschrocken.

Ich könnte jetzt schreiben, dass war wieder nur eine Halluzination oder besser: Ich wollte Nick und Husky nur mal ordentlich veralbern, weil ihr größtes Problem war, sich nicht entscheiden zu können – zwischen der militärischen und der zivilen Version eines Quantumantriebs für eine Anvil Pisces Medic, die Nick von der Rust Society für unser „Crew“-Projekt gestellt bekommen hat. Nichts interessiert mich schließlich weniger, als dieser technische Kram. Man kommt fünf Minuten später irgendwo an – so what? Das klingt jetzt vielleicht seltsam für einen Reporter, der ja angeblich immer unter Strom zu stehen hat. Gut, für ein medizinisches Rettungsschiff hat das natürlich schon Relevanz … doch zurück zu den Pflanzen: Wahr ist: Sie haben mit mir gesprochen, irgendwie kommuniziert. Ich wünschte, ich könnte etwas anderes sagen.

Die  Blumen auf Microtech – sie sind gezüchtet worden. Es sind quasi halbkünstliche Gebilde, meterhoch, in allen Farben schillernd, wunderschön. Auf Microtech war ich ja nun schon unzählige Male – nie zuvor hatte ich mich den Blumenkübeln aber so genähert und sie so intensiv betrachtet. Nun, natürlich, einmal schon – als ich mich damals nach dem Besäufnis in Wallys Bar in ein Blumenbeet übergeben hatte.

Pflanzen, so heißt es, kommunizieren untereinander. Wird eine Pflanze etwa durch Schädlingsbefall bedroht, so sendet sie Botenstoffe aus, die die umgebenden Pflanzen warnen, die dann ihrerseits Abwehrmechanismen einleiten. Möglichkeit genug, auch Menschen mitzuteilen, wenn ihnen etwas nicht passt?

Wir fliegen im Weltall umher, haben uns fremde Systeme zu eigen gemacht und Planeten kultiviert – doch leben wir wirklich noch mit und in der Natur? Wir umgeben uns mit allerlei modernster Technik, sitzen in luftdicht abgeschlossenen Blechbüchsen, für jedes Problem haben wir eine technische Antwort parat. Pflanzen in Kübeln sind allenfalls zu unserem Wohlgefallen da – oder um sie medizinisch auszubeuten. Doch hören wir noch hin? Sind wir wirklich noch offen für Neues? Im Grunde wissen wir  nichts über die Beschaffenheit des Universums. Ich denke an den Symbionten.

Wahr ist: Als mir die riesige rötliche Pflanze wenige Minuten zuvor ein paar gescheuert hat, war ich so perplex, dass ich laut aufgeschrien habe. Nick und Husky kamen denn auch sofort herbei gerannt. Das riesige Blatt der Pflanze hing über das Geländer – grad so, als habe sie nur darauf gewartet, mir endlich eine zu knallen – oder habe ich mir das nur eingebildet? Weil ich seit meinem Ausfall in Wallys Bar unterbewusst das Gefühl hatte, eine Ohrfeige verdient zu haben?

Die Pflanzen, in die ich mich vor nunmehr zwei Jahren übergeben habe, sind längst ausgetauscht und entsorgt worden. Oder können sich Pflanzen so etwas merken? Das so genannte Myzel-Wurzel-Netzwerk, das als Pilzgeflecht alles pflanzliche Leben miteinander verbindet – vielleicht ist es so eine Art Gedächtnis. Als habe mir die Backpfeife den Weg weisen wollen, kommunizieren die Pflanzen nun mit mir – nicht im Sinne eines klassischen Gesprächs, eher auf einer Gefühlsebene, eine Art nonverbale Kommunikation.

Und so klettere ich zwischen den Blumen umher, bedacht darauf, nirgendwo draufzutreten, nehme – vielleicht – unbewusst, vielleicht für diesen Moment aber auch nur besonders offen für die Geheimnisse des Universums, die Dinge auf.

„Bru, alles okay mit dir?“

„Ja…äh…ja, alles klar.“

„Welchen Quantumantrieb sollen wir deiner Meinung nach nehmen?“

„Wie… was? Ist mir egal. Hat man euch eigentlich schon mal gesagt, dass ihr totale Unromantiker seid?“

„Uff. Wir sollten Ella Bescheid sagen…“

Ich stehe mittlerweile mitten in den Kübeln, krauche bäuchlings drin umher.

„Ich verstehe deinen Schmerz…nein, du bist nicht hässlich…“

„Bru, komm raus da!“

Ich höre die Stimmen meiner Freunde.

„Es tut mir leid, es kommt nicht wieder vor…“

„Bru…“

Journal-Eintrag 24 / 01 / 2953

Ich glaube, ich höre nicht recht – im Radio wird davon gesprochen, dass ein Unbekannter durch die Pflanzen auf New Babbage getrampelt sei. Sogar mein einstiger kleiner Ausfall, als ich mich in die Kübel übergeben hatte, wird noch einmal aufgegriffen. Gottlob hat man mich diesmal nicht erkannt,  sonst hätte ich wohl bald Einreiseverbot nach New Babbage. Irgendein Mitarbeiter in der Stadt-Administration muss gute Verbindungen zur Nachrichtenredaktion von „Radio Infinity“ haben.

Ich höre nebenbei die News, mache mich fertig und bin kurz darauf ausgehbereit. Friedrich hat auf die „Nordlicht eins“ eingeladen, kleiner Ausflug zum Jahresbeginn. Nick ist auch dabei – ich treffe ihn in der Metro. Er trägt heute zur Abwechslung mal abgefahrene Klamotten und eine abgespacte Brille.  Es fällt kein Wort über die Blumen-Eskapade. Mit an Bord ist noch Gate von Gate Catering und Chris Kross, der das Schiff steuert. Offenbar hat er für einzelne Aufträge bei Nordlicht angeheuert. Eine kleine  illustre Runde.  Bald cruisen wir über Microtech dahin. Wir fliegen die Route des Rick Targoli aus dem Scenic Cruise „Bergkönig“ – Nordlichts Einstand im Stanton-System aus dem vergangenen Jahr.

Ich blicke aus dem Fenster und sinniere – was steht in diesem Jahr alles an? Enos und die Aufklärung des Anschlages auf mein Leben. Die Free Riders. Nicks “kleines” Drogen-Problem. Und natürlich – die Crew samt seltsamem Artefakt. Viel auf der Agenda, viele verschiedene Stränge. In der Bar erzählen die anderen beim Bier, was bei ihnen ansteht – Friedrich will seinen Scenic Cruise vorantreiben, Gate seine Catering-Firma weiter aufbauen. Nick hat dies und das auf der Uhr, sein Job bei „Radio Infinity“ nimmt ihn ganz schön unter Beschlag, höre ich raus.

Draußen ist es stockdunkel. Wir unternehmen einen kleinen Spaziergang, warten den Sonnenaufgang ab und genießen das farbenfrohe Spiel über den schneebedeckten Gipfeln. Es ist immer wieder schön anzusehen. Jeder neue Tag bringt etwas Neues. So wie jedes Jahr.

Journal-Eintrag 25 / 01 / 2953

Mord, Raub, Überfälle – das Verse wird immer brutaler. So scheint es zumindest. Die Advocacy ist dagegen machtlos. Im Gegenteil: Immer wieder werden Verantwortlichkeiten auf die Bürger selbst abgewälzt. Beispiel: Die „Civilian Defense Force“ – brave Bürger in Uniformen sollen in den Krieg ziehen und für das Militär die Karre aus dem Dreck ziehen. Natürlich unentgeltlich und in ihren eigenen Schiffen. Es ist im Grunde nicht zu glauben. Zeit mal wieder eine „Off the Record“-Seite und einen passenden Kommentar zu schreiben…

.

On Fire

Zero sitzt im Klescher-Knast, so viel ist klar. Nur für wie lange – und wann haben sie ihn dorthin gebracht? Können und sollten wir ihn eventuell befreien?

Gabriel weiß mehr – offenbar hat Ray Keaton, der ja immer noch hinter Zero wegen der Renaissance-Geschichte her ist und der mich geschlagen hatte, aus einem Com-Array eine Funkübertragung abgefangen, in der Hurstons Gefangenentransporte der letzten Zeit kodiert waren. Diese Daten hat Ray auch Husky gegeben – zur Dekodierung. Zwei Krypto-Keys hat Gabriel daran bereits verschlissen, dann hatte er wohl eine rettende Idee: Eine Platine, die in der Lage ist, die verschlüsselten Daten zu lesen, ist auf einem abgestürzten Satelliten zu finden – wo genau, weiß wiederum ein gewisser Clovus Darneely, der auf Hurston die örtliche Schrotthalde betreibt.

Ich schüttele den Kopf, als Gabriel mir davon erzählt. Jeder weiß in diesem Verse immer irgendetwas – nur freiwillig rausrücken will damit kaum einer. Alles hat eben seinen Preis.

Ich stolpere also Gabriel durch Lorville hinterher. Immer wieder grüßt er mir wildfremde Leute. Es scheint so, dass er viele kennt, sogar einige Wächter. Gut, Husky hat auf Lorville ja auch seine Zelte aufgeschlagen, wie er erzählt. Gleichwohl: Heimliches F.R.O.S.-Mitglied einerseits – braver Lorville-Bürger andererseits? Irgendwie passt das aber auch zu Husky; ein bisschen zwielichtig kommt er mir manchmal schon vor.

Es geht vorbei an zerrissenen Raumschiffen, metall-kreischenden Sägen und Altmetall, dann erreichen wir Clovus Darneely, einen alten, wie es scheint, zutiefst zynischen, vor sich hin hustenden Mann. Er mustert uns misstrauisch, dann rückt er die Koordinaten auf Hurston raus, an denen wir die Platine finden werden. Haben wir ihm dann ebenfalls ein paar Daten übertragen, an denen er gesteigertes Interesse hat, so wird er alle Funktionen der Platine frei schalten. Wir dürfen sie behalten und damit machen, was wir wollen. So weit, so gut.

Kurz darauf fliegen wir mit der „Clarke II“ zur Absturzstelle – als wir an dem betreffenden Ort niedergehen, ist der Nachthimmel so schwarz, dass ich den Boden bei der Landung erst sehe, als schon fast die Landestützen aufsetzen. Hermieoth, der ebenfals mit von der Partie ist und der nach einer kurzen Einweisung über Funk schon auf uns wartet, leuchtet den Landeplatz aus. Minuten später stehen wir auch schon vor dem Funken sprühenden Wrack. Um uns herum lodern meterhohe Feuer. Wie immer hat der liebe Gott vor den Erfolg den Schweiß gesetzt – und so gibt das Wrack die Platine nicht ohne Kletterpartie her. Gabriel gelingt es besser als mir, das Wrack zu erklimmen, ich rutsche ein paar Mal ab, bis ich schließlich aufgebe – Hauptsache, wir haben die Platine.

Diese müssen wir nun noch in eine Konsole stecken, haben dafür aber nur 35 Minuten Zeit, bevor sie sich selbst zerstört. Wir wollen recht flott zum Schiff zurücklaufen, da merken sowohl Gabriel als auch ich, wir sehr unsere Beine schmerzen – klar, mehrfach aus mehreren Metern Höhe abzustürzen, ist nicht gerade förderlich für die Gesundheit. Mit letzter Kraft schleppen wir uns ins Schiff, Hermieoth fliegt voraus.

Was würden wir jetzt für ein paar Medipens geben! Herrgott, ich muss wirklich mehr darauf achten, das Schiff besser auszurüsten. Meist fliege ich nach dem Motto los: Wird schon schief gehen. Tut’s dann ja meistens auch. Wie auch immer – bald rennt uns die Zeit davon und wir können alles andere als rennen. Wir landen gut zwei Kilometer von der bewachten Konsole entfernt – je weniger Aufmerksamkeit wir erregen, umso besser. Gabriel ist noch ein wenig besser zu Fuß unterwegs als ich. Bald muss ich ins Schiff umkehren. Hermieoth und Gabriel kämpfen sich unterdessen erneut bei stockdunkler Nacht durch das unwegsame Gelände Hurstons. Ich höre über Funk mit, wie sich die Dinge entwickeln.

Alles schneide ich nicht mit – wie es scheint, reicht die Zeit aber noch und Gabriel überspielt Darneely die Daten. Erschossen wird auch keiner. Es läuft besser als gedacht. Nachdem Gabriel zurückgehumpelt ist, hauen wir wieder so schnell ab, wie es geht, dann entschlüsselt er die Daten und sieht, seit wann Zero im Klescher-Knast ist.

„…hast du eigentlich die Nachricht gelesen, die ich dir vorhin geschickt hatte?“

„Welche Nachricht?“, fragt Gabriel geistesabwesend.

Ich checke mein Mobi.

Herrgott, ich hatte sie Friedrich geschickt.

Ich zeige Husky die kryptische Nachricht, die ich über die Notfallfrequenz erhalten hatte.

Heiße Chips – Spacehub Gundo – so viel hatte ich verstanden. Mehr nicht.

Gabriel liest die Nachricht einmal, zählt zwei und zwei zusammen und sagt dann:

„Wolf Point Aid Shelter auf Daymar. Dort ist Zero.“

Wir hätten uns die ganze Aktion sparen können.

Journal-Eintrag 27 / 01 / 2953

Anvil will, dass wir im System bleiben – nix mit Hades.

Als uns Mr. Aruhso diese Nachricht an Bord der Carrack verklickert, sind wir alle mehr oder weniger geschockt. Erst schicken sie uns einen Babysitter mit an Bord, nun legen sie uns auch noch an die Kette! In mir steigt kalte Wut auf und ich überlege für einen Moment, das ganze Projekt hinzuwerfen.

Jeder von uns ist ein gestandener Raumfahrer, eine gemischte Truppe mit verschiedenen Fähigkeiten, klar. Aber dann hätte Anvil  nicht so großkotzig daherreden sollen mit seinem Werbespruch „Jeder kann ein Raumschiff fliegen.“

Ich lächle bitter. Na klar – aber bitte nicht so weit raus.

„Mr. Aruhso…“

„…Mr. Brubacker, ich überbringe die schlechte Nachricht nur, ich bin der Hausmeister. Das wissen Sie doch.“

Das war also die Nachricht, die er aus dem Anvil-Hauptquartier für uns mitgebracht hat. Hatte mich schon gewundert, wo Aruhso die vergangenen Male gesteckt hatte.

Ich nicke resigniert und reiße mich zusammen.

Was soll’s – Stanton also, bis auf Weiteres.

Das Intercom – Nick.

„Bin gleich bei euch, habe den neuen Quantumdrive in die Picies einbauen lassen. Komme jetzt hoch nach Port Tressler.“

„Roger.“

Sobald Nick da ist, wollen wir starten – Zero retten.

Wir warten und blicken uns stumm an. Die Stimmung ist im Keller.

Eine weitere Nachricht von Nick: In Orison über Crusader brennt erneut der Himmel – ein weiteres Mal versuchen die Ninetails die schwebenden Plattformen einzunehmen, was wiederum dazu führt, dass auf allen Planeten des Systems der Verkehr stark limitiert wird, um aus einem lokalen Konflikt keine systemweite Katastrophe werden zu lassen.

„Wo müssen wir hin?“, fragt er.

„Daymar.“

„Okay, dann komme ich direkt da hin.“

„Alles klar.“

Wir machen uns auf den Weg – ein Jahr kreuz und quer durch Stanton zu reisen, das wird vielleicht eine Freude…

„Mr. Aruhso….meinen Sie nicht, da könnte man vielleicht doch noch etwas machen?“

„Mr. Brubacker…“

Nick – schon wieder.

Zwar hat er es bis Tressler geschafft, nun aber hat die Civilian Defense Force das ganze System unter Lockdown gesetzt. Kurzum: Er sitzt auf der Orbitalstation fest. Er fällt damit aus.

Wie erreichen unterdessen Daymar und Gabriel bringt uns runter zum Wolf Aid Shelter, in dem Zero sitzen soll. Vor der kleinen Station im Nirgendwo steht eine kleine Cutter – Zeros Schiff? Während Gabriel das Schiff in Startkonfiguration hält, falls es sich um einen Hinterhalt handelt, checken Ella und ich die Lage.

Wir suchen das Shelter, Ella hat zur Sicherheit ihre Waffe gezogen. Dann finden wir Zero – ein Häufchen Elend, zusammengekauert in einer Ecke. Er sieht leichenblass und halb verhungert aus.

„Zero…Scheiße, Mann!“

„Bru…Gott sei Dank!“

Wir schleppen ihn zur Carrack. Dann erzählt uns Zero, was vorgefallen ist – er war überfallen, entführt und nach Klescher gebracht worden, wo man ihm allerdings alle Rechte vorenthielt und ihn für immer verschwinden lassen wollte. Nur mit viel Glück sei es ihm gelungen zu fliehen.

„Und nun?“

„Nun…nun, bin ich offiziell tot.“

Ich schüttele den Kopf – und das alles wegen ein paar kleineren Schmuggeleien?

„Lasst uns mal scharf nachdenken. Und erstmal weg von hier…“

Ich laufe ins Cockpit und will die Maschinen hochfahren. Einmal, zweimal, dreimal.

Es tut sich nichts.

Wir sind gestrandet.

.

Außer Kontrolle

Krass, fast wie damals bei Chhris. Nur diesmal mit kurzer Nachricht. Einfach abgeflogen. Nun, ich hatte von Beginn das Gefühl, dass das „Crew“-Projekt nicht das Richtige für ihn ist. Er stand wohl zu sehr unter Druck. Ich mache mir aber auch Sorgen um ihn.Wir werden sehen müssen…

Nun denn – zurück zum Tagesgeschäft.

Daymar – wir sitzen fest.

Ich versuche noch zwei-, dreimal die Carrack wieder anzuwerfen – erfolglos, als ich aus der Messe über das Intercom des Schiffes komische Geräusche höre.

„…so, jetzt kommt her…“

„Ey, was willst du von mir?“

Mir läuft es den Rücken runter. Ich springe aus dem Stuhl und hetze nach hinten – zu spät.

Ich springe in der Messe die Stufen mit einem Satz hinunter und stehe vor dem Hausmeister, der bewusstlos vor mir liegt.

„Was ist denn hier passiert..?“

Husky steht direkt neben Mr. Aruhso, die Spritze noch in der Hand.

„Na, was wohl? Ich habe ihn schachmatt gesetzt.“

„Wie bitte? Bist du von allen guten Geistern verlassen?“

Husky verzieht keine Miene.

„Wir reden immer nur. Wir wollen nach Hades. Aber nichts passiert – ich bringe uns jetzt aus Stanton raus. Ich sehe es einfach nicht ein, dass wir die ganze Zeit verarscht werden.“

„Bist Du verrückt? Du kannst doch nicht ein Mitglied der Crew außer Gefecht setzen!“

„Er schläft nur. Jetzt können wir ihn in Ruhe vom Schiff schaffen und dann nach Hades fliegen.“

„Auf keinen Fall!“

Ich spüre, wie meine Fassungslosigkeit in Wut umschlägt.

Erst die Nachricht von Nick – und jetzt das.

Ella beugt sich über Aruhso und bearbeitet ihn mit einem Meditool.

„Das bringt nichts, wir müssen ihn in die Krankenstation schaffen.“

Wir nehmen ihn unter die Arme und schleppen ihn halb bewusstlos rüber. Danach rufe ich zur Mannschaftssitzung.

Unterdessen höre ich, wie Husky das Schiff startet und abhebt – das gibt’s doch nicht.

„Husky, was zum…“

Keine Ahnung, wie er das Schiff zum Laufen gebracht hat, doch besonders weit kommt auch er nicht.

„Sag mal, kaperst du das Schiff? … Shit, wir stürzen ja ab…“

Mehr bringe ich nicht hervor, nachdem ich ins Cockpit gestolpert war.

Ich beobachte entgeistert, wie die Carrack auf einen Canyon zurast.

„Alle festhalten!“

Erst im letzten Moment gelingt es Husky, das Schiff noch mit letzter Kraft hochzureißen und dann recht unsanft aufzusetzen. Für einen Moment gehen im gesamten Schiff die Lichter aus.

Übers Intercom höre ich, wie alle tief ein- und ausatmen.

„Alle Mann in die Messe, pronto!“

Ich kann kaum noch an mich halten – benimmt sich so ein souveräner Captain? Ich bezweifle es – doch wer mit Menschen zu tun hat, muss mit so etwas schließlich immer rechnen. Als wir in der Messe sind, lege ich los.

„Ist euch eigentlich klar, was das bedeuten kann? Das Ende des Projekts…oder meint ihr ernsthaft, das hat keine Konsequenzen?“

Ich ernte betretenes Schweigen, nur Zero fabuliert gut gelaunt davon, dass ich mich nicht so anstellen solle. Er habe schon Schlimmeres erlebt. Ungerührt fragt er, ob es einen weiteren Raumanzug an Bord gibt.

Herrgott, manchmal nervt Zero, aber echt.

„Ja, Zero, alles klar…“

„Bru, komm mal wieder runter…“

Ich schüttele resigniert den Kopf.

Ein Mannschaftsmitglied außer Gefecht gesetzt, das Schiff fast abgestürzt, das Vertrauen in die Mannschaft erschüttert…

„Schauen wir mal nach Mr. Aruhso…“

Wir laufen zur Krankenstation – Mr. Aruhso ist verschwunden.

„Da haben wir’s…“

Wir rennen in den Laderaum – der Ursa ist auch weg.

„Na prima…“

Ella eilt die Laderampe hinunter – am Horizont ist entfernt noch eine Staubwolke auszumachen.

„Mr. Aruhso, können sie uns hören?“

Ich brülle fast in das Mikro.

Schweigen.

„Mr. Aruhso, machen Sie doch keine Dummheiten. Es lässt sich alles erklären…“

Schweigen.

„Mr. Arhuso – hören Sie mich…?“

„Ja, ich höre Sie.“

„Kehren Sie um, ich bitte Sie! Es ist alles … ein schreckliches Missverständnis.“

„Das glaube ich nicht.“

So eine verdammte Scheiße.

Ella schaltet sich ein – und bittet ihn umzukehren.

Ich weiß nicht wieso, aber schließlich fährt er eine weite Kurve und kehrt zum Schiff um – vielleicht einfach nur, weil der nächste Außenposten zu weit weg ist und wir mitten in der absoluten Einöde stehen.

Nach wenigen Minuten ist er wieder an Bord – und ich rufe zur zweiten Mannschaftsrunde.

Husky ist mittlerweile ganz kleinlaut – so hat er sich das ganz bestimmt nicht vorgestellt.

„Mr. Aruhso, haben Sie an dem Schiff etwas manipuliert? Ich muss das jetzt wirklich wissen.“

Er sieht mich mit seinem typischen Hausmeisterblick an.

„Mr. Brubacker, das kann schon sein. Ich habe Ihnen und Ihrer Crew nun schon mehrfach angeboten, mich einfach abzusetzen und dann können Sie Ihrer Wege gehen…“

„…aber das wollen wir doch gar nicht…“

„Wie auch immer. Wenn Sie mir versprechen, dass Sie mich nicht einfach wieder außer Gefecht setzen und irgendwo entsorgen, baue ich die Entriegelung aus.“

„Hauptsache, wir kommen hier weg…“, wirft Husky ein.

„….aber klären Sie das erstmal mit ihrer Crew. Bis dahin bleibt alles so wie es ist.“

Wir bleiben gestrandet. Weil wir einen Saboteur an Bord haben. Und das Vertrauen an Bord im Eimer ist.

Ich lege mich in die erstbeste Koje – für die nächsten Stunden will ich keinen sehen.

So hatte ich mir das Crew-Projekt garantiert nicht vorgestellt.

Journal-Eintrag 16 / 02 / 2953

Ich stehe auf meiner Carrack an den Konsolen der oberen Brücke und gleite durch die Unendlichkeit.

Allein.

Kein nervender Mr. Aruhso.

Kein unheimliches Artefakt.

Keine menschlichen Enttäuschungen mehr.

Ein Anruf von Friedrich Winters, meinem guten Freund.

Ob ich ihn beim Auskundschaften einer neuen Route für eine Spezialversion des Scenic Cruise „Bergkönig“ auf Microtech begleiten könne, möchte er wissen. Ich drehe die Carrack und steuere Port Tressler über Microtech an. Dort wartet Friedrich bereits in einer kleinen Origin 85X. Nach einer gekonnten Landung in der Carrack geht es gemeinsam hinunter auf den Planeten.

Mit Rovern möchte Friedrich diesmal zu der Höhle fahren, wo man den Bergkönig bestaunen kann.

Ich lande das Schiff butterweich auf einem Außenposten, werfe noch manchen verliebten Blick zurück, dann flitze ich mit Friedrich im Tumbril Cylone auch schon durch die einsame Winterlandschaft.

Friedrich erzählt ein wenig über Tumbrils Firmengeschichte, ich genieße unterdessen die Umgebung. Es ist schon erstaunlich, wie viele Entwicklungen, die wir heute als normal hinnehmen, aus nackter Not während der ersten Entdeckerphase mit Sprungtoren entstanden sind. Er berichtet davon, wie er sich seine Zukunft im Stanton-System und darüber hinaus vorstellt, dann kehren wir zur Carrack zurück. Über uns leuchten die Sterne – wie in einem Wintertraum recken sich die verschneiten Bäume scheinbar bis in den Himmel.

Ich strecke mich unbewusst.

….es war wirklich nur ein Traum…

Nebenan höre ich leise Mr. Aruhso schimpfen.

Ich bin auf Daymar.

.

Gestrandet

Als ich aufstehe, geht ein tiefes, sonores Brummen durch das Schiff.

Im ersten Moment denke ich, Husky hat das Schiff wieder zum Laufen gebracht, doch dann weiß ich: Es ist etwas anderes. Das Geräusch kommt vom Bug des Schiffes. Plötzlich fällt es mir siedendheiß ein: In der Garage der Carrack wird der Ursa Rover gestartet – wer macht sich nun wieder ohne Absprache aus dem Staub?

Ich springe aus meiner Koje und sprinte auf die Brücke.

Mr. Aruhso, Ella und Zero – alle sind da. Nur einer fehlt: Husky.

Ich schalte aufs Intercom.

„Husky, wo willst du hin? Mach es nicht noch schlimmer, als es ohnehin schon ist…Husky?“

„Ja…?“

„Komm bitte zurück.“

„Nein, ihr hattet eure Chance.“

Wir sehen am Horizont nur noch die Staubwolke des Rovers.

Herrgott.

„Mr. Aruhso – schaffen Sie es vielleicht, das Schiff doch zu starten?“

„Ich gebe mein Bestes.“

„…und du, Zero, sieh bitte mal im Maschinenraum nach dem Rechten. Vielleicht findest du dort etwas…“

„Okay.“

Ich blicke weiter hinaus in die endlose Sandwüste Daymars.

Dann rührt sich plötzlich etwas im Schiff.

Schwerfällig hebt sich die Carrack vom Boden, sie schwankt in der Luft, kippt fast zur Seite.

„Richtig in die Höhe bekomme ich sie nicht“, vermeldet Mr. Aruhso.

„Soll ich vielleicht aussteigen und schieben“, wirft Zero ein, nachdem er auf die Brücke zurückgekehrt ist.

„Zero…hast du was im Maschinenraum entdeckt?“

„Nope. Scheint alles okay zu sein.“

Mr. Aruhso steuert das Schiff unterdessen im Tiefflug über Sand und Geröll Daymars.

„Wohin jetzt?“

Ich zucke mit den Schultern. So fliegen wir im Schneckentempo ziellos erst einmal einfach nur geradeaus.

Unter uns breiten sich die Canyons Daymars aus.

Landen können wir also auch nicht mehr – das gäbe garantiert eine Bruchlandung.

„Dort drüben“, ruft Ella plötzlich.

„…seht ihr das?“

Wir blicken angestrengt aus dem Cockpit – dann schält sich aus dem Steinmeer plötzlich etwas heraus: ein Wrack, genauer: das Schiffswrack einer Caterpillar.

„Mr. Aruhso, versuchen Sie zu landen. Vielleicht finden wir darin irgendwelche Ersatzteile.“

Der Hausmeister nickt, ganz konzentriert auf seinen Anflug auf ein Plateau zwischen allen Canyons.

Dann bringt er uns langsam und sanft hinunter. Sieh an – in dem grummeligen Hausmeister steckt mehr, als man auf den ersten Blick denkt.

Draußen geht mittlerweile die Sonne unter.

„Ich gehe mal raus und schaue mich um.“

Übers Intercom höre ich, wie die anderen über die Ersatzteile sprechen, die vielleicht in der alten Caterpillar auf uns warten.

„Ich fliege uns rüber auf das andere Plateau und lande direkt neben der Cat. Mr. Brubacker, kommen Sie bitte zurück an Bord.“

„Nee, fliegt mal, ich probiere es so“, erwidere ich.

Ein Riesefehler, wie sich schon bald zeigen wird. Mr. Aruhso quetscht aus den Engines das letzte Quäntchen Saft und bringt die Carrack auf die andere Seite des Canyons, dessen Rand ich in der Zwischenzeit erreiche.

Ich blicke hinab – herrje, das sah aus der Luft weder so tief noch so weit aus. Doch ich will mir keine Blöße geben – das bisschen Restrespekt, das ich noch habe, will ich nicht auch noch verspielen.

„Das wäre doch gelacht…“, sage ich noch – und rutsche ab.

Es geht mehrere Meter steil abwärts, dann fange ich mich ab.

„Hmpf…“

„Bru, alles okay, bei dir?“

„Alles super, komme gut voran.“

Fast senkrechte Abschnitte wechseln sich mit leichteren Passagen ab. Ich kraxle, stütze mich ab, nutze kleine Felsvorsprünge, um mich festzuhalten – und irgendwann bin ich unten. Mehr schlecht als recht zwar – aber egal. Jetzt muss ich auf der anderen Seite nur noch wieder hinauf. Doch die Felswand sieht nun mindestens dreimal so hoch aus wie vorher.

Über Intercom höre ich, wie die anderen das Caterpillar-Wrack betreten. Ich atme tief durch und versuche einen Weg nach oben auf das Plateau zu finden. Doch immer, wenn ich es fast geschafft habe, rutsche ich wieder zurück – geradeso, als würde mich der Fels verhöhnen wollen. Ich laufe um das Plateau herum – doch eine geeignete Aufstiegsmöglichkeit finde ich nicht.

Mr. Aruhso versucht, mich von oben zu lotsen – erfolglos. Mal probiere ich es hier, mal dort, während über dem Horizont der Gasplanet Crusader aufgeht, ein Naturschauspiel, wie man es aus dieser Perspektive selten sieht. Unterdessen scheint Zero im Wrack tatsächlich etwas zu finden, was uns nützlich sein könnte.

Meine Biosensoren schlagen Alarm, ich bin nah an der Dehydrierung.

„Beeilt euch, Leute. Mir geht hier langsam die Puste aus.“

„Alles klar.“

Plötzlich wird irgendwo in der Nähe geschossen.

„Ähem…Leute…“

„…ja, haben wir auch gehört, scheint aber nicht uns zu gelten.“

Dann höre ich, wie die Maschinen der Carrack hochfahren.

„Sieht gut aus, Bru. Kommen dich jetzt holen.“

„Alles klar. Mir wird schon schwarz vor Augen.“

Kurz darauf schwebt die Carrack langsam in den Canyon hinab, ich krauche auf allen Vieren die Rampe hinauf. Ella muss mir mehrfach eine Spritze geben, doch werde ich immer wieder ohnmächtig.

„Ab auf die Krankenstation mit ihm. Der ist ja völlig fertig.“

Erst jetzt wird mir so richtig klar, wir anstrengend meine Kletterpartie in Wirklichkeit war. Ich bin völlig durchgeschwitzt – wie sehr eine kühle Mondnacht doch täuschen kann.

Zero schleppt mich auf die Krankenstation, wo mich der Autodoc versorgt.

Nachdem ich wieder halbwegs hergestellt bin und die Maschinen des Schiffes wieder laufen, kehren wir zu unserer eigentlichen Aufgabe zurück: Husky finden. Ja, Husky…der kann mittlerweile sonst wo sein…

Journal-Eintrag 08 / 03 / 2953

Habe in einer ruhigen Minute Nicks letzte Folge seines „Cargo Man“ im Radio gehört – ich muss schon sagen, ich bin echt gerührt. Der lobt unsere Freundschaft echt über den grünen Klee. Und war mir gar nicht so klar, wie sehr ihn die Paranoia wegen der Drogen-Story wirklich gepackt hatte….kurz nach der Ausstrahlung hat mich dann auch eine Nachricht von Schuster erreicht – Nick sei entführt worden. Nur eine False-Flagg-Nachricht um ihn aus der Schusslinie zu bringen? Seine letzten persönlichen Worte sagten ja etwas völlig anderes aus. Weiß nun gar nicht mehr, was ich glauben soll. Ich hoffe in jedem Falle, dass es ihm soweit gut geht. Dann ploppt eine Nachricht auf:

Jetzt müssen wir ihn nur noch finden.

.

Die Black Kite

Wir fliegen mit der Carrack im Tiefflug über Daymar und suchen Husky. Unter uns fließt die zerklüftete Oberfläche des Mondes dahin – Canyon reiht sich an Canyon. Mir wird klar: Es wird extrem schwierig werden, ihn hier ausfindig zu machen.

„Husky…Husky…kannst du mich hören?“

Stille.

„Husky…sei kein Idiot! Du machst einen Riesenfehler. Husky…“

Dann höre ich plötzlich ein atemloses Schnaufen im Headset.

„Ja, ich…ich…mir geht es gar nicht gut…“

Irgendetwas stimmt mit ihm nicht.

„Husky…alles klar…“

Ich spüre, wie meine Wut verraucht und sich in Sorge verwandelt.

„Gib uns eine Richtung…irgendeinen Anhaltspunkt…“

„…fliegt Richtung Crusader…“

Ich blicke angestrengt zur Cockpitscheibe hinaus, der Gasriese liegt steuerbord von uns. Aruhso, der am Steuer sitzt, dreht das Schiff, sodass wir den Planeten nun direkt vor uns haben.

Fieberhaft suchen wir die endlose Sandwüste ab. Immer wieder scannen wir die Gegend.

„Da…da vorn…“

Ella sieht es als erstes – ein kleines Licht, nicht viel größer als ein Punkt, kaum wahrnehmbar. Aruhso geht tiefer.

Dann wird es größer – es ist ein Scheinwerfer, der Scheinwerfer des Ursa.

Es ist pures Glück, dass wir Husky finden.

Aruhso landet das Schiff in dem Canyon, Ella und ich laufen zu dem Fahrzeug, wo wir einen halb-bewusstlosen Gabriel Winters vorfinden.

Gemeinsam schleppen wir ihn an Bord der Carrack und bringen ihn auf die Krankenstation. Zero fährt unterdessen den Rover zurück in die Carrack.

Nachdem er sich erholt hat, erklärt Husky, dass ihn das Artefakt irgendwie unter Kontrolle gehabt habe – er habe eigenartige Visionen gehabt. Er solle nach Hades fliegen und anderes mehr… Mir kommt das zwar komisch vor, ich lasse es aber dabei bewenden. An Bord dieses Schiffes passieren so viele seltsame Dinge, die einer Crew eigentlich nicht passieren sollten – da kann mittlerweile alles möglich sein – oder nicht? Außerdem bringt es auch nichts, wenn wir uns nur weiter streiten.

„Lass uns das verdammte Ding einfach hier über Bord werfen…“

„Husky…“

Zero tritt zu uns und blickt uns aufmerksam an.

„Ich weiß vielleicht, wohin wir als Nächstes müssen…“

„Na..?“

„Microtech-System, ein Schiff namens Black Kite. Komm mit, ich will dir etwas zeigen.“

Im Captains-Quartier ruft Zero die Daten auf, die von der Relaisstation auf Microtech gesendet wurden.

„Ich habe die Daten noch einmal gescannt – und rausgefunden, wohin sie transferiert wurden. Auf eine Reclaimer im All. Das Schiff heißt Black Kite.“

„Nur ein weiteres Puzzleteilchen“, werfe ich ein.

„Wir werden den Brotkrumen wohl oder übel folgen müssen, wenn wir rausfinden wollen, was es damit auf sich hat.“

Ich nicke.

In der Messe informiere ich die anderen, wohin es als Nächstes geht, dann sind wir auch schon im Quantumsprung.

Dieser dauert länger als gewöhnlich – nicht nur haben wir das verdammte Artefakt an Bord, auch scheint das Schiff der allerletzte Kahn zu sein, den sie bei Anvil noch im Hangar zu stehen hatten. Jeder hängt während des Sprungs mehr oder weniger seinen Gedanken nach.

Dann meldet sich Zero wieder über Intercom.

„Leute, ich habe die Zeit genutzt, um noch ein wenig über die Black Kite zu recherchieren. Nun…uns werden dort Ninetails erwarten.“

Piraten….doch hatte nicht auch Danvers von ihnen gesprochen? Zumindest scheint es so, als wären wir auf der richtigen Spur.

Das Schiff schwebt mitten in der Unendlichkeit und scheint verlassen. Eines muss man Husky lassen – er ist immer vorbereitet. Und so hatte er die Carrack zuvor mit allem ausgestattet, was das Kämpferherz begehrt und wir rüsten uns in der Waffenkammer im Heck entsprechend aus.

Ich bin alles andere als ein Kämpfer, doch als ich das Behring-Gewehr in der Hand halte und die schwere Rüstung trage, fühle ich mich gut vorbereitet. Schließlich verlassen wir das Schiff durch die seitliche Andockschleuse und schweben zu viert hinüber. Mr. Arhuso, für den das gar nichts ist, bleibt allein zurück.

In der „Black Kite“ ist es so unheimlich wie auf der Reclaimer, auf der Husky und ich letztens allein waren. Überhaupt hat das Schiff etwas Unheimliches an sich, das bedrohliche Äußere eines Salvage-Schiffes setzt sich im Innern fort. An jeder Ecke wirkt es so, als könnte gleich ein Alien dahinter hervorspringen.

Unsere Probleme sind weit menschlicherer Natur – die Ninetail-Piraten. Ich luge um eine Ecke – und habe auch schon den ersten im Visier. Sofort eröffnet er das Feuer.  Wir schießen zurück.

Dann liegt er tot zu unseren Füßen.

„Wird da drüben etwa geschossen? Was ist da los?“

Mr. Arhuso.

„Ja, klar, wir sind auf einem Piratenschiff…“

„Aber Ihr könnt doch nicht…“

“Mr. Aruhso, bitte…nicht jetzt…“

Der Großkotz  lässt den Moralapostel raushängen.

Zero dringt in den Raum vor, der sich als Quartier des Captains entpuppt. Er checkt den Computer, der offenbar mit Servern verlinkt ist, die im Laderaum stehen.

„Wir müssen ins Heck.“

„Okay.“

Gemeinsam schleichen wir weiter durch das Schiff, checken jede Ecke, dann fahren wir mit dem Fahrstuhl in den riesigen Laderaum, in dem normalerweise abgebautes Salvage-Material gelagert wird. Von einer Brüstung schauen wir versteckt hinab in den riesigen Raum – und trauen unseren Augen nicht. Der ganze Raum ist eine einzige illegale Server-Farm. Weiß der Himmel, welche Rechner hier gehackt werden, welche Daten verschoben, welche Konten geknackt.

Unter uns patrouillieren gleich mehrere Ninetails.

Jetzt macht sich bezahlt, dass Ella so eine gute Schützin ist. Schnell erledigt sie einen Piraten nach dem anderen. Auch Zero schießt, Husky und ich ebenfalls.

Es ist, man kann es nicht anders sagen, ein Blutbad, ausgeführt aus einer komfortablen, erhöhten Position heraus. Ich versuche mir einzureden, dass es okay ist, was wir hier tun. Es sind schließlich „nur“ Piraten. Würden wir nicht schießen, würden sie uns ohne mit der Wimper zu zucken töten. Wir haben keine Alternative. Und wir tun dem Verse einen Gefallen, wenn wir die Serverfarm offline nehmen. Oder etwa nicht?

Alles in mir schreit, dass es dennoch falsch ist. Jedenfalls nicht auf diese Art und Weise.

Nachdem der Raum klar ist, checken wir die Server und Zero extrahiert von einem Rechner eine Nachricht, die er uns weiterleitet.

Es geht zurück nach Microtech. Ich sinniere: Wofür dieses Hin- und Herschicken von Daten? Vielleicht um Spuren zu verwischen? Es würde zumindest Sinn machen. Ich versuche die Geschehnisse der vergangenen Tage so schnell wie möglich zu verdrängen. Was geschehen ist, ist geschehen.

Journal-Eintrag 22 / 03 / 2953

Ein weiterer Aufpasser an Bord…nicht zu fassen. Aber war ja irgendwie auch klar, dass Anvil spitz kriegen würde, dass es an Bord nicht ganz so rund läuft…mit meiner Autorität an Bord ist damit jedenfalls dahin. Bin gespannt, wen wir da als nächstes an Bord bekommen…

Journal-Eintrag  31 / 03 / 2952

Mr. Aruhso ist offenbar bei Anvil zum Rapport einbestellt worden. Keine Ahnung, was nun schon wieder droht. Ich gehe mal davon aus, dass sie uns nach den vergangenen Ereignissen nicht gleich das ganze Schiff wegnehmen wollen…und auch Husky hat sich gemeldet: Er braucht etwas Abstand und wird für die Wildstar Amateurliga ein paar Rennen fliegen und sich mal richtig den Kopf freipusten. Er habe sich in zuletzt ziemlich daneben benommen und erkenne sich selbst kaum noch. Na, das klingt doch ganz vielversprechend. Zero ist auf Daymar wieder mal nicht erreichbar. Kurzum: Zeit für eine kleine Pause bei der “Crew”.

Journal-Eintrag 23 / 04 / 2953

Zeit, unseren neuen Anvil-Aufpasser zu treffen. Nach diversen Verschiebungen haben wir nun endlich einen Termin gefunden auf Port Tressler. Das trifft sich gut, weil wir wegen der kryptischen Nachricht, die wir auf der „Black Kite“ aufgeschnappt hatten, ohnehin nach New Babbage müssen – zu „Microtech Planetary Services“, was immer das auch sein soll. Wir wollen so jedenfalls gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Zero ist immer noch verschwunden, Mr. Aruhso offenbar nach wie vor bei Anvil gebunden. Nun, ist vielleicht ganz gut so – dann treffen nicht gleich wieder zwei riesige Egos aufeinander. Ich denke über diesen Umstand und wie eine neue Person das zerbrechliche Gefüge in der Crew wohl verändern wird, noch nach, während Husky das Schiff aus dem Hangar steuert.

Dann höre ich über Funk auch schon eine Stimme, die mir aber seltsam bekannt vorkommt.

„PAL-01, hier ist der Techniker, der Ihr Schiff inspizieren und überprüfen soll. Ich bitte an Bord kommen zu dürfen.“

Der Techniker kommt mit einer Pisces, dem kleinen Begleitschiff einer Carrack. Ich erteile ihm die Landegenehmigung, Ella öffnet das obere Hangartor. Kaum ist der Techniker gelandet, was er wirklich sehr gekonnt und professionell macht, öffnet sich auch schon die kleine Heckklappe des Schiffes – und herausspaziert kommt: Hermieoth.

„Hermie…?“

„Bru…?“

Wir stehen uns mit offenen Mündern gegenüber.

„Du bist der Techniker von Anvil?“

„Ich bin freier Auftragnehmer. Anvil hat mich für diesen Job gechartert.“

„Ah, verstehe. Was für ein Zufall.“

„…und ihr macht hier…was?“

„Wir…ähm…machen eine kleine Radioshow für Radio Infinity. Haben aber ein paar kleinere Probleme…“

„…technischer Natur?“

„Sowohl als auch.“

Hermieoth bringt seine Habseligkeiten auf die Carrack, Husky fliegt das Schiff unterdessen in einen sicheren Orbit über Microtech, dann treffen wir uns alle in der Messe. Fast wirkt es wie eine kleine Familienzusammenführung.

„Was habt ihr denn für Probleme mit dem Schiff?“

Ich will Hermieoth nicht gleich mit allem überfallen und sage nur, dass diese vielfältiger Natur seien.

„Vielleicht schauen wir uns das Schiff einfach mal gemeinsam an.“

„Yep.“

Hermieoth wechselt die Klamotten, nachdem wir ihm seine Koje gezeigt haben, er trägt dann einen Monteursanzug mit Werkzeugen und gemeinsam gehen wir Abteilung für Abteilung durch. Schnell entdeckt er: Diverse Sicherungen sind durchgebrannt, ein Relais sprüht Funken und anderes mehr.

„Ist jetzt alles nichts Lebensbedrohliches, aber repariert werden müsste es schon.“

Dann entdeckt er im Cockpit die Drake-Schalttafeln, die Zero und Mr. Aruhso provisorisch eingebaut hatten.

„Was ist das denn?“

„Ähm…wir haben das Schiff nur so wieder flugfähig bekommen. Wir waren auf Daymar gestrandet und…“

„…das ist jetzt echt gefährlich. Völlig unterschiedliche Konverter mit anderer Auslegung. Passen nicht zusammen. Schmoren irgendwann durch und jagen Spannungsspitzen durch das ganze System. Dann ist schlagartig das ganze Schiff tot.“

„Ah, okay…tauschen wir dann dringend besser wieder aus.“

„Besser wäre es. Ich werde mal eine Liste mit Dingen machen, die wir alle brauchen.“

„Danke, Hermie.“

Mir ist seine Rettung von Hurston während der Attacke mit dem Zariska-Virus noch gut im Kopf. Ich lächle still in mich hinein, er scheint echt ein patenter Mann zu sein.

„Hilft es, wenn wir runter nach New Babbage fliegen? Da könntest du ja vielleicht schon das eine oder andere besorgen?“

Hermie nickt. Er scheint ganz in seinem Element zu sein.

„Die Carrack lassen wir einfach hier oben im Orbit, um sie so wenig wie möglich irgendwelchen Belastungen auszusetzen.“

„Klingt gut.“

„Dann los, Husky bleibt allein auf dem Schiff.“

Husky und ich nicken uns kurz zu – eine stillschweigende Übereinkunft der Wiederherstellung unseres Vertrauensverhältnisses.

Minuten später sind wir bereits unterwegs.

Die Blumenepisode ist mir noch gut im Gedächtnis. Ich werde diesmal den Ball flach halten. Rein und wieder raus – das ist die Devise.

Nach der Landung steuern wir dann auch direkt das „Planetary Service Büro“ an, Hermieoth macht ein paar schnelle Einkäufe.

Beim Büro der „Planetary Services“ angekommen, suchen wir den Code, der die verschlüsselte Datei öffnen kann. Doch nichts weist darauf hin, dass hier etwas versteckt ist – weit und breit ist keine Zahlenfolge auszumachen. Dann findet es Hermieoth an einer Pinnwand.

Auf einem Postit steht: „Doorcode 8340. Lower Level“

Klar, wenn du etwas verstecken willst, machst du es am besten so, dass gar keiner hinsieht.

Ich öffne das Dokument und schicke es auch an Husky.

Von wem ist die Botschaft? Captain Denvers? Es scheint fast so. Klar ist jedenfalls: Die Ninetails hängen wirklich voll mit drin. Wir haben da ganz heiße Fracht an Bord.

Kudre Ore – so lautet der nächste Schnipsel auf unserer Schnitzeljagd.

Zeit, Zero ausfindig zu machen.

.

Speed

Die Origin M50 schneidet geschmeidig durch die dicke Wolkendecke Hurstons. Ich freue mich über das wendige kleine Schiff, als ich eine Stimme im Headset höre, die mir schlagartig die Laune verhagelt: Ray Keaton…das Arschloch, das mir auf beim Schrottlatz auf Hurston nach dem Zariska-Giftanschlag eine Waffe unter die Nase gehalten und mich dann zusammengeschlagen hatte, um aus mir rauszupressen, wo Zero sich aufhielt.

Eben war ich noch gut drauf, denn das Ausleihen des kleinen Flitzers bei „New Deal“ in Lorville hatte wunderbar geklappt. Ich bin auf dem Weg zu Husky, um ihn an der Rennstrecke auf  Lorville zu überraschen. Er testet dort für „Radio Infinity“ eine der von Rennorganisation Wildstar betriebenen Strecken hinter dem brachialen Hurston-Hauptquartier.

Und nun dies – Ray Keaton. Fast bin ich geneigt umzudrehen. Aber – doch nicht wegen einem wie Ray Keaton! Ich gebe stattdessen Vollschub. Der soll mich kennen lernen. Auf diese Gelegenheit warte ich schließlich schon ewig. Ich balle die Fäuste.

„Husky…Bru hier…“

„Bru…“

„Yo, ich dachte, ich besuche dich  mal bei der Arbeit. Ich komme mit einer Origin M50.“

„Ach…das ist ja eine Überraschung.“

Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit. In Wirklichkeit hatte mir „Radio-Infinity“-Chef Mason eine Nachricht geschrieben:

Ich soll also ein wenig Kindermädchen spielen. Eigentlich habe ich darauf überhaupt keine Lust. Gut, ich muss Husky die Nachricht ja nicht auf die Nase binden. Und außerdem: Rennstrecken – das ist doch mal was anderes. Erst recht an der Seite eines versierten Rennpiloten wie Husky. Das könnte eine ganz neue Welt sein. Im Hintergrund höre ich plötzlich eine krude Mischung, aus Gestammel, Lallen und Seufzern.

„Hermie…?“

„Yo…“

Offenbar hat er ordentlich getankt.

„Alles in Ordnung?“

„’türlich.“

Dann schaltet sich Ray Keaton dazwischen.

„Brubacker…“

In mir kocht kalte Wut hoch.

„Bin gleich da, dann gibt’s ordentlich was aufs Maul zurück. Kannst dich schon mal drauf freuen.“

Ich ärgere mich schlagartig über mich selbst – ich bin so dumm, mich so anzukündigen. Besser wäre gewesen, ihn eiskalt zu erwischen, so wie er es auch mit mir gemacht hat. Egal, zu spät. Die Rennstrecke, bekannt als „Lorville Gatway“, kommt in Sicht. Ich hatte erst wenige Tage zuvor Huskys Reportage darüber bei „Radio Infinity“ gehört. Es ist ein anspruchsvoller Rennkurs, jedenfalls für Anfänger, eingebettet in eine alte Mine. Ich kreise über der herunter gekommenen Szenerie, flackernde Lichter beleuchten die Landschaft in der Dunkelheit, Gas wird abgefackelt – kurzum: ein Rennkurs für Lebensmüde.

Husky steht am Start.

„Bru…vielleicht erstmal ne Runde drehen, um hier richtig an- und runterzukommen…?“

Ich zögere kurz.

„Okay.“

Ich schalte den Autopiloten ab und gebe langsam Schub – und die M50 macht einen Satz nach hinten. Herrgott, was ist das – ein Montagsschiff? Irgendetwas muss falsch verkabelt sein. Egal, dann muss es eben so gehen. Ich schleiche hinter Husky her. Es geht quer durch die Mine, vorbei an alten Fördertürmen, entlang an rostigen Rohrleitungen. Wir passieren Querträger, Stahlskelette, zurück gelassenes Abbaugerät. Mal geht es bergauf, dann bergab. Im Radio klang das viel einfacher – Theorie- und Praxis eben. Mir wird klar: ein geborener Rennpilot bin ich nicht. Ich vergesse für den Moment sogar Ray Keaton, dann passiert es – ich stoße irgendwo gegen… der rechte Flügel des Rennschiffes bricht ab. Entgeistert blicke ich dem in die Tiefe flatternden Teil der M50 hinterher.

„Husky…“

„Ja, hab’s gesehen. Die Runde ist aber eh gleich zu Ende. Noch scheinst du ja genug Auftrieb zu haben.“

„Ja, nur ein wenig Schlagseite.“

Bei „New Deal“ werden sie sich freuen.

Aber ich habe ja jemanden, an dem ich gleich meinen Frust ablassen kann…

„So, Ray nun gleich zu dir…“

„Ich weiß gar nicht, was du von mir willst. Für mich ist das Fall längst gegessen.“

„Für dich vielleicht. Mir ist er noch sehr gut in Erinnerung.“

Es geht ein wenig hin und her, dann hat er glatt die Nerven, mich noch einmal nach Zero zu fragen.

„Ray… echt jetzt? Ich kann es dir gern schriftlich geben – aber ich werde meine Freunde nie ans Messer liefern. Und ich habe auch keine Ahnung, was da auf der Renaissance los war…im Übrigen bin ich Journalist. Schon mal was von Quellenschutz gehört?“

„Ich glaube dir nicht.“

„Das ist echt dein Problem, Mann.“

Ich spüre, wie meine Wut langsam verraucht und in Fassungslosigkeit umschlägt.

Das ist schon nicht mehr dreist, sondern nur noch dumm.

Ich lande ein Stück von Huskys „Frost“ entfernt, einer Carrack, die er als Stützpunkt für seine Ausflüge zu den Rennstrecken nutzt und beschließe mir ein paar Minuten die Beine zu vertreten, bevor ich hinüber laufe. Ich gehe zur Abbruchkante der großen Mine und blicke mich um. Hurston Dynamics, Eigner des Geländes, hat echt einfach alles so zurückgelassen, wie es gerade war, als sie die Schürfstätte aufgaben. Na ja, das passt ins Bild zu dieser „Firma“.

Ich spüre, wie ich überhaupt keine Lust habe, mich mit dem Kerl zu prügeln – auch wenn er es echt verdient hätte. Das ist alles schon deprimierend genug.

„Ray, pass auf, ich komme jetzt erstmal zu dir. Machen wir hier erstmal einen Punkt.“

„Ganz, wie du willst.“

Herrje, was hat der für eine Art am Leib! Fast bin ich geneigt, ihm doch spontan eine zu scheuern.

Dann aber holt Husky, der das Ganze offenbar recht ahnungs- und fassungslos verfolgt hat, ein paar Smolz aus der Kiste. Ich traue Keaton nicht weiter als ich spucken kann und in der Luft Hurstons liegt zwischen uns auch eine gewisse Spannung, um es nett zu formulieren. Langsam wandert unterdessen die Sonne über das geschundene Land und weil ich nicht weiß, was ich noch groß sagen soll, steige ich bald wieder in die ramponierte M50 und drehe noch eine Runde.

Dann fliege ich das Schiff zurück zu „New Deal“. Dort hat man schon geschlossen. Ich stelle die M50 ab und freue mich auf die Nachricht, wo denn der Rest des Schiffes sei. Als Nächstes muss ich Husky verklickern, dass ich ihm ein wenig auf die Pelle rücken werde.

Journal-Eintrag 28 / 04 / 2953

Wenige Tage später meldet sich Husky von sich aus – ob ich Lust hätte, ihn ein wenig auf seiner Tour  zu den verschiedenen Wildstar-Strecken zu begleiten. Sechs Stück gebe es insgesamt. Was für ein Zufall…

„Klar, klingt spannend. Ist mal was anderes“, sage ich.

Wie es der Zufall zudem will, sind wir beide noch im Raum Hurston, springen kurz darauf aber Richtung Microtech und dort zum Mond Euterpe. Dort gibt es die sogenannte „Icebreaker“-Rennstrecke. Unterwegs bringe ich das Gespräch kurz auf Ray Keaton – die beiden sind nicht eng befreundet, aber ein tieferes Problem haben sie auch nicht miteinander. Wir sprechen ein wenig über das Geschehene, Husky versteht meine Position, will aber auch keine Partei ergreifen. Klar, warum soll er sich ein Problem zu eigen machen, das ihn im Grunde nichts angeht.

Schließlich fallen wir aus dem Quantumsprung. Husky war dort schon einmal, für mich ist es das erste Mal. Und ich bin erstaunt – der Konzern Microtech hat auf Euterpe ein riesiges Forschungslabor gebaut, mitten an einen zugefrorenen See. Wüsste man nicht, dass hier eine Wildstar-Rennstrecke ihren Sitz hat, es müsste schon großes Glück sein, wollte man darüber stolpern. Zwar sind hier und dort Fenster erleuchtet, ansonsten ist es aber extrem ruhig.

„Ich wette, die machen hier irgendwas anderes, als am Mobiglas zu schrauben“, sage ich.

Husky ist denn auch sofort mit einer Verschwörungstheorie bei der Hand: Er habe gehört, Microtech  forsche dort an Sensoren, die auf besonders präzise Weise Geschwindigkeiten messen würden. Der offizielle Rennkurs sei nur Tarnung für eine geheime Teststrecke.

„Möglich wär’s“, erwidere ich, und blicke mich um, während ich in meiner Mercury eine Runde über das Gelände drehe. Husky ist mit seiner Origin 300R gekommen, die den Namen „Shadowfax“ trägt. Ich erfahre, dass das Schiff sein täglicher Racer ist, mit dem er die Wildstar-Kurse testet.

Wir landen und ich steige um – als Co-Pilot schaue ich Husky über die Schulter. Kurz darauf hebt er ab, erhält nach einiger Verzögerung die Freigabe für das Zeitrennen und gibt Stoff. Es geht vorbei an  von Eis  überzogenen Gebäuden, zwischen denen wilde Felsen herausragen. Es folgen Antennenmasten, Landepads und andere künstliche Strukturen. Ich muss mich ordentlich festhalten, wenn Husky sein Schiff mal auf die eine, dann auf die andere Seite reißt. Es sind Sekundenbruchteile, in denen die „Shadowfax“ eine komplett neue Fluglage einnimmt.

Fast möchte ich schon bereuen, mich auf dieses Abenteuer eingelassen zu haben, andererseits ist es auch eine Heidengaudi. Erneut wird mir klar: Ich hätte nie zum  Rennpiloten getaugt.

Schließlich holt Husky sich die Silbermedaille für seine Zeit knapp über zwei Minuten. Als Nächstes geht es nach ArcCorp, eine Rennstrecke über den Dächern einer Millionenmetropole – das krasse Gegenteil zur Einsamkeit von Euterpe.

.

Erscheinungen

Eine alte verlassene Siedlung nördlich eines Miningpostens mit Namen Kudre Ore…so hatte es in der Nachricht des Unbekannten geheißen.

Der Mond Daymar also, es geht zurück in die Wüste…

Uns bleibt echt nichts erspart.

Sei’s drum! Wollen wir irgendwann herausfinden, was es mit dem verdammten Artefakt auf sich hat, müssen wir den Brotkrumen wohl oder übel folgen.

Husky steuert das Schiff, der Rest von uns blickt hinaus in das zähe Grau, das unter uns dahin fließt. Am Horizont geht langsam Crusader auf.

„Wunderschön, oder?“

Ella ist von den Naturschauspiel fasziniert, ich jedoch bin mit dem Kopf woanders und frage mich, wohin das alles noch führen wird… Plötzlich gellt Alarm durch das Schiff – wir sind aufgeschaltet worden! Dann werden wir auch schon beschossen – eine Cutlass, die uns offenbar als Prise aufbringen will.

Ella und Hermieoth besetzen die Türme und geben Gegenfeuer, Husky fliegt mit dem Schiff wilde Pirouetten, um so gut wie möglich auszuweichen. Dann, von einer Sekunde auf die andere, explodiert die Cutlass, und nur Momente später meldet Husky: „Ich sehe da unten Lichter.“

„Alles klar, das wird es wohl sein. Lass uns ein Stück davon entfernt landen. Wir nehmen dann den Rover.“

„Okay.“

Wir sind zu viert unterwegs. Mr. Aruhso ist immer noch von Anvil in Beschlag genommen, Zero verschwunden. Hermieoth kann keine Minute still sitzen und schleicht durch das Schiff. Alle naselang meldet er, wo er etwas reparieren müsse. Nun, nach dem Kampf, erst recht.

„Alles klar, danke“, melde ich über Funk zurück. „Machen wir alles. Eins nach dem anderen.“

Husky landet unterdessen das Schiff. Zu dritt wollen wir in einem weiten Bogen den Außenposten ansteuern, um unsere Position so geheim wie möglich zu halten. Husky steuert den Rover durch die felsige einsame Landschaft – wie auf Microtech gehen die Pferde ein wenig mit ihm durch und so springen, segeln und fliegen wir abwechselnd durch die Einöde. Ich halte mich hinten im Rover fest und meine Klappe – es ist sinnlos, Huskys Temperament zu zügeln. Soviel hatte ich mittlerweile verstanden.

Irgendwann kommt der Außenposten in Sicht.

Ella und ich steigen gerade aus, als sich Hermieoth meldet, der auf dem Schiff zurückgeblieben ist.

„Leute, mit dem Schiff stimmt irgendetwas nicht…“

„Hermie, alles klar? Wie meinst du das?“

„Ich höre hier Stimmen an Bord, obwohl ich allein bin. Hier bleibe ich nicht…“

„Hermieoth, mach keinen Unsinn! Bleib an Bord!“

Doch Hermieoth hat seine Com abgeschaltet.

„Soll ich zurück zum Schiff?“, fragt Husky.

Ich nicke matt.

„Weit kommt er zu Fuß nicht. Beeil dich. Eine einzelne Person ohne Licht auf diesem kahlen Felsen zu finden, dürfte so schwer werden, wie die berühmte Nadel im Heuhaufen.“

„Bin unterwegs.“

Ich denke fieberhaft nach – das Artefakt ist noch an Bord…bestimmt hat es etwas damit zu tun…

„Wir sollten vorrücken“, sagt Ella. „Hier zu warten, bringt gar nichts.“

Ich nicke in meinem Helm, dann laufen wir geduckt und mit gezogenen Waffen dem fahlen Lichtschein entgegen.

Schließlich erreichen wir die aus alten Metallteilen zusammengehauene provisorische Behausung.

Ich klettere ein Dach empor, als mich eine Stimme schlagartig stoppt.

„Halt…wer da? Stopp! Ich habe dich im Visier…“

Die Stimme kommt mir sofort bekannt vor, doch vor Schreck bin ich wie gelähmt.

„Wer ist da? Hier ist John Brubacker. Wir sind…“

„Bru?“

„Ja…Zero…?“

Mir fällt ein Riesenstein vom Herzen.

Kurz darauf stehen wir gemeinsam an einem Lagerfeuer.

„Was zum Henker machst du denn hier?“

„Mich verstecken. Schon vergessen, dass hinter mir das halbe Verse her ist?“

„Ja…nee…klar.“

Über Funk meldet sich Husky.

„Ich habe Hermieoth eingefangen. Ihm geht es gar nicht gut. Ich bringe ihn auf die Krankenstation auf das Schiff. Wie läuft’s bei euch?“

„Gut, wir sind auf Zero gestoßen“, antworte ich.

„Soll ich dann mit dem Schiff vielleicht zu euch kommen? Würde vieles vereinfachen.“

„Gute Idee.“

Zero zeigt mir seinen Unterschlupf.

„In solche Ecken kriechst du also, wenn du mal wieder von der Bildfläche verschwunden bist.“

„Na ja….und es ist auch ein guter Ort zum Schmuggeln.“

Ich blicke mich um.

„Denke ich mir.“

Wir laufen zur Kante auf dem Plateau und blicken hinab in ein Tal.

„Dort unten war ich allerdings noch nicht.“

Wir erblicken eine größere Ansammlung verfallener Gebäude.

„Das ist der Ort, der in der geheimen Botschaft genannt wurde. Dort finden wir vielleicht weitere Hinweise zum Artefakt…“

„Echt? Dann müssen wir da unbedingt runter.“

„Yep. Wir warten nur auf Husky und das Schiff. Außerdem wird es bald hell und dann ist es sowieso besser. Rührt sich da unten was?“

„Nope, scheint alles tot zu sein. Hab’s immer wieder mit meinem Zielfernrohr gecheckt.“

„Alles klar.“

Nachdem Husky gelandet ist, machen wir uns mit dem Rover auf den Weg. Diesmal bleibt Ella zurück auf dem Schiff. Bald schon kommt die verlassene Siedlung in Sicht. Wir steigen aus und sehen uns um.

„In der Tat: Alles verlassen. Ist aber noch nicht lange her, dass jemand hier war“, sage ich.

Wir stolpern durch verfallene Hangars, erklimmen einen Aussichtsturm, öffnen ein paar Kisten…als plötzlich  eine gruselige, tiefe Stimme aus dem Nichts ertönt.

Unverständlich und definitiv nicht von dieser Welt.

„Ich will hier sofort weg“, jammert Hermieoth.

„Klar, äh, ja. Wir gehen. Ich springe über eine kleine Kante und traue meinen Augen nicht: Vor mir schweben ein paar Steine, als hätten für sie die Gesetze der Schwerkraft keine Gültigkeit.

„Äh, Leute….“

Erneut ertönt die Stimme.

„Lasst und hier sofort abhauen…und hier sind übrigens weitere Artefakte.“

„Was? Echt? Das gibt’s doch nicht…“

Eines steht damit jedenfalls schlagartig fest: Wir sind am richtigen Ort.

„Sollen wir die mitnehmen?“

„Ich…äh…keine Ahnung“, stottere ich. Ich merke, wie ich zunehmend überfordert bin.

Dann aber weiß ich plötzlich instinktiv, was zu tun ist.

„Ja, die nehmen  wir mit. Keine Ahnung wieso, aber es ist das Richtige.“

Kaum sind wir zurück an Bord, starten wir auch schon.

Zurück im All, versammeln wir uns.

„Na, das war ja was…“

„Ich habe echt ne Scheißangst gehabt“, sagt Hermieoth.

„Ging mir genauso.“

Dann schießen die Spekulationen ins Kraut: Die Artfakte wollen heim nach Hades, sie wollen zusammengesetzt werden und sich vervollständigen und anderes mehr. Es geht wild hin und her, bis uns schließlich klar wird: Wir haben nicht die geringste Ahnung, was hier vor sich geht.

Schließlich ergreift Zero das Wort.

„Ich bin der Meinung, das Artefakt muss von Bord. Schleunigst.“

Ich stimme ihm zu.

„…ich weiß auch schon, wo.“

Als wir die Messe verlassen, werfe ich einen Blick auf den kleinen Fahrstuhl, der über alle Decks durch das ganze Schiff führt und traue meinen Augen nicht: Die Plattform ist aus der Verankerung gerissen und völlig verdreht. Fast sieht es so aus, als würde uns das Schiff nicht mehr gehen lassen wollen…

Mich überkommt nackte Panik.

Journal-Eintrag 06 / 05 / 2953

Zwei Jahre Radio Infinty – was für ein Ritt! Obwohl ich dort nur freier Mitarbeiter bin, hatte ich doch das Gefühl, mit dem Projekt ganz verwachsen zu sein. Was haben Nick und  ich in diesen zwei Jahren nicht alles an Produktionen für den neuen Sender auf die Beine gestellt…

Nun hat Chefredakteur Paul Mason zu einer kleinen Feier geladen – und dafür die „Nordlicht eins“ von „Nordlicht Aviation“ gechartert. Mit an Bord sind andere Mitarbeiter, die sich ebenfalls um den Sender verdient gemacht haben. Ich entdecke eine Sprecherin namens Kruliene, und den bekannten Moderator Mitch van Hayden, der beim Sender sogar eine eigene Show hat – die „Trancemissions from the Outerrim.“

Ich darf den hohen Herrn Chefredakteur bei dem kleinen Get-together über ArcCorp vertreten. Wieder einmal so eine zweifelhafte Ehre, nach dem Motto: Du machst das schon.

Friedrich Winters hat seine übliche Crew gechartert – Gate steht hinter dem Tresen, Chris Kross fliegt die „Nordlicht eins“ – und wie! Es ist fast Millimeterarbeit, wie er das riesige Schiff durch die Wolkenkratzer ArcCorps steuert. Unterdessen werden über Intercom interessante News sowie ein Grußwort des Chefredakteurs eingespielt. Das wollte er sich dann offenbar doch nicht nehmen lassen.

Mason lobt seinen Sender überschwänglich, dass man „Perlen im Nachrichtengeschäft“ produziere, ein tolles Info- und Entertainmentprogramm biete und so fort. Nun ja – ist ja aber auch sein Job, seinen Sender über den grünen Klee zu loben. Dennoch wirkt das Ganze ein wenig verkrampft, geschäftsmäßig, nicht wie eine ausgelassene Party.

Egal, ich bin mit dem Kopf eh woanders – bei der „Crew“, dem Artfakt und was es mit uns macht. Einstweilen bin ich aber auch erstmal froh, von dem Anvil-Kahn runter zu sein. Dann werde ich zu allem Überfluss noch von einem gewissen Greg Lee angequatscht, der ausgerechnet etwas zur Crew wissen möchte – aber mir steht alles andere als der Sinn danach, einem Wildfremden unsere Probleme auf die Nase zu binden.

So schön es auf der „Nordlicht eins“  bei Friedrich auch ist, ich bin froh, als wir nach zwei Stunden wieder anlegen. Groß geredet habe ich mit Friedrich auch nicht – das ist auch so etwas, das dringend auf meiner Agenda steht. Jedenfalls freut es mich für ihn, dass er sein Unternehmen mittlerweile so gut in Stanton am Markt platziert hat.

Journal-Eintrag 15 / 05 / 2953

Die Mischung aus bunten Leuchtreklamen und Holo-Gates hier oben über den Dächern ArcCorps hat fast etwas Psychedelisches, ja Hypnotisches. Husky lässt sich davon jedoch nicht beirren und schießt mit seiner Origin 350R im Höchsttempo durch die Tore, um den Skyscraper-Kurs, eine weitere Strecke der Wildstar-Amateurliga, abzuschließen.

„Eigentlich ist er für Anfänger zu anspruchsvoll. Hat echt seine heiklen Ecken“, brüllt er gegen die aufheulenden Maschinen seines Gleiters an.

Spricht’s und dreht sein Schiff in einer gerissenen Rolle um 90 Grad. Ich kralle mich an meinem Beobachterplatz hinter ihm fest, sehe uns schon am nächsten Büroturm zerschellen. Doch Husky kriegt die Kurve. Fast glaube ich, die steil aufragende Wand des Wolkenkratzers berühren zu können – so nah rasen wir zwischen zwei Gebäudeteilen hindurch. Dann ist unter uns wieder nichts als ein gähnender Abgrund.

Ich stehe hinter Husky, und schaue ihm auf die Finger – die Bewegungen, die er am Steuer vollführt, sind klein, aber extrem präzise. So zwingt er die „Shadowfax“ immer wieder auf die gewünschte Bahn. Hinter uns brüllt der Nachbrenner auf.

Ich muss unwillkürlich an all die Menschen denken, die unter uns in den zahllosen Appartements wohnen, die Angst davor haben, dass ihnen der Putz von der Decke fällt, die Sorge haben, dass ihre Appartements wegen der neu eröffneten Rennstrecke über ihren Köpfen bald nichts mehr wert sind. „Radio Infinity“ hatte darüber berichtet.

Plötzlich flucht Husky.

„Verdammt, nicht schon wieder….“

Er wendet sein Schiff fast auf der Stelle und fliegt zurück zu einem Tor, das er eben schon passiert hatte.

„Der Checkpoint-Marker hat nicht ausgelöst. Dabei bin ich sauber durch das Tor durch…“

Er hält erneut auf das Tor zu. Nach dem zweiten Durchflug wird das nächste Gate freigeschaltet.

„…das hat garantiert etwas mit den riesigen Datenströmen zu tun, die hier überall durch die Luft schwirren. Gibt’s auf keiner anderen Rennstrecke…“

Ich nicke wortlos.

Freud und Leid des Rennpiloten – eben noch ganz vorn dabei, kann im nächsten Moment alles schon wieder zunichte sein. Husky dreht drei, vier Runden, er erreicht wenigstens eine Bronzeplatzierung. Dann kehren wir zum Riker Memorial Spaceport zurück.

„Wie war’s?“, fragt er, während wir aus seiner „Shadowfax“ klettern.

„Cool“, sage ich, „aber jetzt brauche ich erst mal ne Pause.“

Journal-Eintrag 18 / 05 / 2953

Ein bisschen frischer Lack, ein paar Leuchtreklamen – und die Erlaubnis mal im Tiefflug über Lorville seine Bahnen zu ziehen – fertig ist das neue Image vom freundlichen, aufgeschlossenen und der Zukunft zugewandten Familienunternehmen? Zumindest scheint man so in Hurstons Marketingabteilung zu denken. Anders ist nicht zu erklären, warum man nun Lorville so aufgehübscht hat. Und in der Tat zeigt die Stadt nun ganz neue Ein- und Ausblicke – es glitzert und glänzt an allen Ecken und Enden, wobei die industrielle Basis des Erfolgs nicht verheimlicht wird. Eine Stadt – als Mischung aus Stahlkocherei mit Goldfassade. Das ist schon faszinierend, wie es wohl auch die Selbstverleugnung der Familie sein muss. Fast möchte man vergessen, dass es sich bei Hurston Dynamics immer noch um eine extrem ausbeuterische Megacorp handelt. Zurück auf dem Boden ist man nach der Landung  – Im Innern sieht es aus wie eh und je. Und die Laune der Wachen hat sich auch nicht über Nacht gebessert.

_____________________________

Journal-Eintrag 20 / 05 / 2953

Mirai? Nie gehört.

Fury – das klingt nach einem kleinen Wildpferd.

Ich stehe auf der Invictus Launch Week 2953 vor dem fliegenden Triebwerk mit Sitz – und schlage sofort zu. Das Ding ist total witzig. Ich muss gar nicht erst Platz nehmen – die Sicht muss großartig sein. Das verspricht schon die große Glaskuppel. Eine echte Spaßmaschine.

Ich verlasse die Messe so schnell, wie ich gekommen bin. Mir steht aktuell der Sinn nicht nach Militär. Es wird ohnehin schon überall viel zu viel geballert.

Klar, an der Mirai Fury sind auch ein paar Waffen montiert – aber deshalb kaufe ich sie nicht. Sie wird ganz wunderbar hinten in die “Clarke II” passen. Dann lande ich einfach irgendwo und zische mit ihr ein paar Runden.

Gesagt, getan.

Kurz darauf drehe ich in meiner kleinen Neuerwerbung über ArcCorp Pirouetten und Loopings, bis mir fast schlecht wird.

Kotzmaschine, das wäre auch ein guter Name gewesen.

Gut, vielleicht jetzt nicht marketingtechnisch.

Mit dem Ding werde ich jedenfalls noch jede Menge Spaß haben.

Oder steht irgendwo geschrieben, dass Reporter keinen Spaß haben dürfen?

_____________________________

Nachtrag:
Ich habe die Mirai Fury wieder in Zahlung gegeben nachdem ich damit noch eine Runde über Microtech gedreht habe. Das Ding säuft ja mehr als ich in meinen schlimmsten Zeiten. Natürlich verschweigen sie das, wenn sie Dir das Ding verkaufen – aber mit ihm kannst Du ja gleich sofort wieder umdrehen, sobald du die Tankstelle verlassen hast. Klar, Spaß kostet – aber bin ich Krösus? Ein Spielzeuggefährt für die Reichen? Nein, danke. Das war jetzt das zweite Mal in so kurzer Zeit, dass ich mich verkauft habe. Einfach mal genauer hinschauen, was man wirklich braucht und zu einem passt.

Journal-Eintrag 25 / 05 / 2953

Ich trete vor die Tür, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Mit den dunklen Wolken, die sich seit kurzem über ArcCorp und dem ganzen Planeten sammeln, sind auch die Abende kühler. Ich hatte gelesen: Umweltschützer sind entsetzt. Irgendein Kipppunkt sei auf dem Planeten erreicht worden. Es werde Jahrzehnte brauchen, bis sich das Klima davon wieder erholt habe.

Die Menschen sind die gleichen Idioten wie eh und je.

Ich laufe ein wenig über die Plaza, recke mich, als ich ein bekanntes Gesicht entdeckte: Friedrich Winters. Ich laufe auf ihn zu.

„Friedrich, das ist ja eine Überraschung…“

„Bru…wohin des Wegs?“

„Ach, eigentlich nirgendwo hin. Nur ein bisschen die Beine vertreten. Und du?“

„Wollte grad’ zur Messe.“

„Ah ja…“

Mich wundert es, denn einerseits schimpft Friedrich immer darüber, dass militärische Schiffe nichts in zivilen Händen zu suchen hätten, andererseits zieht es ihn dann doch wieder dahin. Na ja, er war ja früher auch bei der Navy…irgendeine innere Verbundenheit mit den alten Kameraden, schätze ich.

„Weißte was? Ich komme mit.“

Abgesehen von dem „Radio Infinity“-Cruise, auf dem wir uns auch kaum gesprochen hatten, hatten wir wenig Kontakt in letzter Zeit.

„Schön. Dann mal los.“

Wir laufen zur Bahn, die uns direkt zum Bevic Convention Center bringt. Unterwegs erzählt Friedrich, dass er fast Mitglied der legendären „Lost Squad“ geworden wäre und damit auch gegen die Vanduul gekämpft hätte – dann aber doch „nur“ bei einer Aufklärungseinheit landete.

Mein alter Freund – ein ehemaliger Elitesoldat, kaum zu glauben.

Auf der Messe habe wir fast so etwas wie ein Déjà-vu – die Hallen sind in das gleiche Navy-Blau wie in den Jahren zuvor getaucht, es gibt die gleichen Stände.

„Ehrlich“, sage ich, „das Ganze ist doch total zu einem Ritual erstarrt, über das niemand mehr nachdenkt.“

Friedrich nickt.

„Schlimmer noch, es ist zu einer reinen Verkaufsmesse verkommen. Die Navy hat ein paar Beistelltischchen“, erwidert er.

Wir laufen über die Messe – an vielen Ständen sind die gleichen Schiffe ausgestellt, wie schon vor Jahren. Eine Menschentraube steht fasziniert vor einem Superior-Fighter. Fast kann man den Glanz in ihren Augen erkennen.

Ich schüttele den Kopf und denke an die Fury.

„Ich muss dir aber beichten, dass ich auch schon zugeschlagen habe.“

Friedrich blickt mich interessiert an.

„Ach ja…?“

„Die neue Mirai Fury – dieser waffenstarrende Turret.“

„Hab’ davon gehört.“

„Ich habe ihn aber nicht zum Ballern gekauft, ist eher ein Spaßgefährt. Kommt hinten in die Clarke“, rechtfertige ich mich.

Friedrich nickt.

„Wie du denkst.“

Mir ist mittlerweile klar, dass die Fury mehr ist als nur ein Spaßgefährt – man wird in dem Ding selbst zur Waffe, jede Distanz zu den eigenen Handlungen geht verloren. Doch Friedrich ist auch der falsche, um mir Absolution zu erteilen, warum auch?

Wir laufen noch ein wenig über die Messe, dann machen wir uns bald wieder auf zum Ausgang.

„Gehen wir noch etwas trinken?“

„Gern.“

Wir laufen in die G-Loc-Bar und quatschen über die Fury und anderes. Dann schneit eine Pressemeldung von Tumbril herein: Sie bringen einen neuen Panzer auf den Markt. Sein Name: Storm.

Als wenn es eines Beweises bedurft hätte.

.

Auf Sand gebaut

Wir wollen das Artefakt loswerden –  denn wenn wir nicht wirklich auf einem Gespenster-Schiff unterwegs sind, so scheint es tatsächlich für die unerklärlichen Phänomene verantwortlich zu sein. Doch wohin damit?

Ich sinniere darüber, während wir mit der Carrack über Daymar fliegen. Denvers hatte davon gesprochen, dass er irgendeinen „Deal“ niemals hätte eingehen dürfen. Was, wenn plötzlich die Ninetails das Artefakt von uns wollen und wir keines mehr haben?

Scheissegal.

Alle an Bord haben mittlerweile Angst vor dem verdammten Ding. Zero hat schließlich eine rettende Idee –  auf Daymar gebe es mitten im Nirgendwo Sandhöhlen. Dort könnten wir die Kiste vergraben. Während ich aus dem Cockpit blicke, suchen Zero, Husky und Ella das Gebiet ab. Dann entdecken sie klein, mitten in einem Krater,  den Höhleneingang. Wir landen und laufen zur Senke – nicht ohne wieder manch seltsame Erscheinungen zu haben.

„Lass uns die Kiste jetzt endlich loswerden und dann verschwinden“,  sagt Husky.

„Ja, alles klar. Abstieg.“

Der Eingang zur Höhle ist eng, aber dahinter weitet sich die Höhle schnell. Licht fällt von oben durch kleine Öffnungen – es ist ein wunderschönes Naturschauspiel. Von den Wänden hallen unsere Stimmen und Schritte wider.

Wir laufen immer tiefer hinein, vorbei an Stalagmiten, die sich im Lauf der Jahrmillionen durch  herabtropfendes Wasser gebildet haben. Die Höhle hat fast etwas Ehrfurcht einflößendes. Hätten wir nicht so seltsames Gepäck dabei, wir würden das Schauspiel aus vollen Zügen genießen.

Plötzlich gellt ein Schrei durch die Höhle. Ella ist abgerutscht und tief in die Höhle gestürzt – Husky gleich hinterher.

„…ahhhh!“

Aus der Tiefe höre ich noch ein kurzes Wimmern, dann verstummt es.

Mir rutscht das Herz in die Hose – und nun? Da kriegen wir sie nie wieder heraus. Ich hoffe inständig, dass ihre Imprints auf der Carrack funktionieren.

Auch wenn die Technologie nun schon einige Zeit auf dem Markt ist – es ist und bleibt einfach unheimlich, einen Menschen, der eben gestorben ist, nur kurze Zeit später wieder quicklebendig an anderem Ort wiederzubegegnen.

Es knistert im Funkgerät – erst meldet sich Husky, dann Ella.

„Lasst uns hier abhauen, bevor noch mehr passiert. Hermieoth, hier hinten in der dunkeln Ecke – da stellen wir das Artefakt ab und dann nichts wir raus hier.“

Hermieoth stellt die Kiste ab. Er hatte sie klaglos heruntergeschleppt. Ihm ist deutlich anzusehen, dass er heilfroh ist, das unheimliche Artefakt endlich loszuwerden.

Dann machen wir uns auf den Rückweg.

Über Funk hören wir eine mehr als seltsame, geradezu absurde Diskussion. Offenbar ist bei den Imprints nicht alles glatt gelaufen. Wieso auch sollte bei diesem Horrortrip mal alles wie am Schnürchen laufen?

Ella und Husky streiten jedenfalls lautstark darüber, dass sie sich an Bord mal gegenseitig sehen würden, dann wieder nicht – quasi als körperliches Déjà-vu.

Kaum an Bord sehen wir, wie Ella wie ein Geist durchs Schiff taumelt, Husky hat einen irren Blick drauf und setzt sich zu unserem Entsetzen vor unseren Augen mit einem Medipen selbst schachmatt.

„Hermieoth, ab ans Steuer, bringt uns hier weg! Vielleicht hört der Wahnsinn dann auf.“

Ich befehle die Worte lauter als beabsichtigt, aber mir gehen die Nerven auch langsam durch. Ich muss das Hermieoth nicht zweimal sagen – nur Sekunden später sind wir mit  Vollgas auf und davon.

.

Das Tobin Valley

Die Nachricht kommt kurz nachdem Friedrich und ich uns nach dem Invictus-Messebesuch getrennt haben – ob ich vielleicht Lust hätte, ihn auf einer kleinen Tour auf seiner „Nordlicht eins“ zu begleiten? Er habe auf Microtech eher durch Zufall ein wundschönes, abgelegenes Tal entdeckt, das sich eventuell als Ziel für einen neuen „Scenic Cruise“ eignen würde.

Den Kopf frei bekommen, raus aus der Enge der eigenen Gedanken – ich muss nicht lange überlegen und sage zu. Neue, unbekannte Ecken im Stanton-System zu entdecken, ist außerdem immer spannend.

Wir treffen uns auf Port Tressler über Microtech, wo Friedrich seine Origin 890 Jump angedockt hat. Wir freuen uns, dass wir uns so schnell wiedersehen – erst hatten wir über Monate kaum Kontakt, jetzt so rasch hintereinander. Nun, so ist das Leben manchmal.

Friedrich steuert das Schiff mit ruhiger Hand über den Planeten, als er mich plötzlich nach Husky fragt. Er habe da so komische Dinge gehört. Ich druckse ein wenig herum, dass im Grunde alles okay sei, gehe jedoch nicht tiefer in Detail. Es scheint weniger Neugier, sondern eher echtes Interesse an seinem Enkel zu sein –  ich will ihm nicht den Floh ins Ohr setzen, dass Husky irgendwie ein Problem hat. Schließlich lässt er es dabei bewenden.

Unterdessen sucht Friedrich nach dem so genannten Tobin Valley – er hat dem Tal den Namen gegeben – benannt nach Magnus Tobin, dem Gründer des Microtech Konzerns.

„In dem Tal gibt es drei Flüsse, eine absolute Ausnahme auf dem Planeten“, sagt Friedrich – es scheint, als würde sich Microtech fast von allein wieder renaturieren. Als würde der Permafrost, der den Planeten durch das gescheiterte Terraforming-Experiment im Lauf der Jahrzehnte überzogen hatte, durchbrochen und zurückgedrängt.

„Den Flüssen habe ich auch schon Namen gegeben – Magnus, Fikri und Camryn. Das sind die drei Tobin-Brüder“, erklärt Friedrich weiter.

„Schöne Idee“, antworte ich und sinniere. Wie viele Orte im Universum sind wohl noch namenlos? Es müssen Millionen, nein Milliarden, sein.

„…und ich habe gehört, man überlegt sogar, manche Gebiete des Planeten unter Naturschutz zu stellen. Das wäre so ein Ort, der sich dafür anbieten würde.“

Ich nicke, während ich aus der Frontscheibe des riesigen Schiffes blicke und bin gespannt darauf, was uns gleich erwartet.

Schließlich geht Friedrich mit der „Nordlicht eins“ tiefer und taucht in ein weitläufiges Tal ein, am Horizont begrenzen es hohe, schneebedeckte Berge. Unter uns sind tatsächlich drei Flüsse auszumachen, die jeweils in einem eigenen See enden.

„Ist das nicht traumhaft?“

Friedrich blickt zu mir herüber, als würde er eine Bestätigung erwarten.

„Ja, das ist es“, erwidere ich.

„Man könnte glatt ein paar kleine Rover-Touren anbieten, um das Gebiet zu erkunden“, schlage ich vor.

„Vielleicht findet man sogar wilde Früchte, die die Gäste dann selber pflücken können“, schwärmt Friedrich. Er ist ganz in seinem Element.

Ich erinnere mich an eine Nachricht auf „Radio Infinity“, dass das Entstehen neuer Flüsse auf Microtech sogar schon zu einem regelrecht Goldrausch geführt habe – das in engen Canyons dahin schießende Wasser wäscht wohl allerhand Edelmetalle aus dem Boden aus.

Nach der Landung zwischen Bäumen, die Friedrich gekonnt meistert, erkunden wir das Gelände. Es ist geradezu malerisch – glasklares, frisches Wasser plätschert im Fluss, ein leichter Wind geht, Blumen wiegen sich in der Brise, die Sonne wärmt unsere Gesichter – Microtech, das ist in der Tat ein Planet der Gegensätze: Nur ein paar dutzend Klicks entfernt kann es schon wieder so kalt sein, dass man binnen kürzester Zeit erfriert.

Erst jetzt erkennt man, dass das Tal quasi an drei Seiten von recht hohen Bergen umschlossen ist.

„Hier muss sich so eine Art Microklima gebildet haben“, mutmaßt Friedrich.

„Möglich“, sage ich, „in jedem Fall ist es ein außergewöhnlicher Ort. Und ganz sicher ein lohnendes Ziel für einen Scenic Cruise.“

Friedrich lächelt – er freut sich über seinen Fund, aber offenbar auch darüber, dass es mir ebenso gefällt. Wer braucht nicht ab und zu ein wenig Bestätigung?

„Dann ist es also ausgemacht – der nächste Scenic Cruise führt ins Tobin Valley“, sagt Friedrich.

Nach der traurigen Geschichte um Rick Targoli tut dem „Scenic Cruise“ etwas Erbauliches sicher gut.

Journal-Eintrag 04 / 06 / 2953

Husky, Ray Keaton und Hermieoth sind im offenen Funk – ich klinke mich ein.

„Hallo zusammen, was treibt ihr?“

„Wir liefern Pakete aus, bisschen Geld verdienen“, antwortet Husky.  „Willst du mitmachen?“

Ich stutze kurz – bin ich bei der Post oder was?

„Nein, danke.“

Ich höre ein wenig im Funk zu – Empfänger verzogen, Paket nicht zustellbar, Ort falsch.

Ich grinse in mich hinein. Manche Dinge ändern sich nie.

Der ganze Nervkram – für die paar Credits.

Ich cruise ein wenig über ArcCorp und genieße im Tiefflug die Skyline der Stadt, während die anderen durch Stanton hetzen – jeder, wie er mag. Nachdem offenbar alle Pakete ausgeliefert sind, verabschieden sich Ray Keaton und Hermieoth in den Feierabend. Husky und ich beschließen, uns noch gemeinsam die Rennstrecke „Snake Pit“ auf dem Mond Clio anzusehen. Da bin ich sofort wieder mit dabei.

Das Renn-Gen – es lässt sich bei Husky eben nur eine gewisse Zeit unterdrücken. Während wir im Quantumjump sind, spreche ich ein paar Dinge an.

„Husky…“

„Ja?“

„Nimm es mir nicht persönlich – aber hast du vielleicht ein echtes Drogenproblem?“

„Wie bitte?“

„Na ja, als wir vor ein paar Tagen gesprochen haben, da standest du komplett neben dir. Du hast dir auf der Pal-01 einen Schuss mit der Medgun selbst gesetzt, Maze an Bord gebracht. Ich mache mir echt Sorgen – dein Großvater hat mich auch schon gefragt…“

„Ach, der Friedrich…“

„Husky…“

„Nein, Bru, habe ich nicht. Ich weiß schon, dass ich manchmal ein wenig über die Stränge schlage. Aber da ist nichts, worüber du dir ernsthaft Sorgen machen müsstest.“

„Hmm…okay.“

Ich will noch etwas erwidern, belasse es dann aber dabei.

Dann sage ich: „Ray Keaton und ich haben übrigens das Kriegsbeil begraben. Die besten Freunde werden wir wahrscheinlich nicht mehr, aber ich will jetzt nicht so einen Dauerstress draus machen.“

“…gut zu hören. Ist vielleicht manchmal einfach auch besser so“, antwortet Husky.

Ich nicke.

„…und die Free Riders-Sache ist ja auch irgendwie eingeschlafen, oder?“

„Ja, da tut sich aktuell nichts“, sagt Husky, „irgendwie ist jeder zu sehr auf sich fokussiert.“

„Stimmt.“

Irgendwann wird schon wieder der passende Zeitpunkt für eine richtige Biker-Gemeinschaft kommen.

Wir erreichen den Mond Clio und ich lande in der Nähe des Rennkurses. Von oben aus der Luft, sieht die Rennstrecke tatsächlich aus wie eine auf dem Boden liegende Schlage – daher auch ihr Name: „Snake Pit“.  Ich steige in Huskys „Shadow Fax“ um, dann rast er mit mir auch schon zwei Runden durch die verlassene Abraumhalde.

„Das ist meine Haus- und Hofstrecke“,  erklärt Husky, während mir wegen der zahlreichen gerissenen Kehren und Wenden schwummerig im Kopf wird.

Spricht’s, nimmt eine Kurve zu eng – und reißt sich den halben Heckspoiler an seinem Schiff ab.

„Verdammt…das passiert mir sonst nie.“

Zwar holt Husky noch eine Platinum-Zeit heraus – die beste Zeit, die man auf dem Snake-Pit erfliegen kann, aber die damit verdienten Credits werden wohl für die Reparatur seines Schiffes draufgehen.

„Wie gewonnen, so zerronnen“ sage ich, ohne groß zu überlegen.

„Ist nur ein Kratzer“, erwidert er genervt.

Er setzt mich an der „Clarke II“ ab und ist Sekunden später auf und davon zur Reparatur.

Noch so’n Spruch, Kieferbruch – oder wie heißt es so schön?

.

Krankes Spiel

Husky leitet mir eine Nachricht weiter, die er über das Schiffsintercom der „PAL-01“ empfangen hatte.

Miles Eckhardt – ich hatte von diesem schmierigen Typen schon gehört – woher zum Henker hatte er Informationen zum Artefakt? Gut, das Stanton-System ist eine Quasselbude. Manchmal hat man echt das Gefühl, jeder kennt hier jeden. War eigentlich klar, dass so etwas nicht lange unter dem Radar bleiben würde. Wer nur halbwegs interessiert „Radio Infinity“ hört, dem muss klar sein, was wir an Bord hatten.

Ich leite die Nachricht an alle anderen Crew-Mitglieder weiter.

Zero kann kaum an sich halten – Loreville, ausgerechnet. Er hat Null Bock noch einmal von der Hurston Security hochgenommen zu werden. Ich verstehe ihn, wobei mit dem Start des Radio-Projektes klar sein musste, dass wir uns auch auf dem Präsentierteller bewegen würden.

„Also, was machen wir?“

Ich blicke in der Messe in die Runde.

„Ich bleibe auf jeden Fall an Bord, nach Loreville kriegen mich keine zehn Pferde“, sagt Zero.

„Ich bleibe auch auf dem Schiff, dann kann ich mich noch ein wenig weiter umsehen“, ergänzt Hermieoth.

„Okay, dann fliegen Husky, Ella und ich runter und statten Mr. Eckhardt mal einen Besuch ab. Mal schauen, was er zu bieten hat.“

Minuten später sind wir im Tochterschiff der „PAL-01“ auf dem Weg nach Loreville – der Anblick ist spektakulär, doch irgendetwas stimmt nicht, dann fällt es mir auf: der Luftraum ist fast komplett leer.

„Ist so ruhig heute…“

„Yep“, antwortet Husky, „aber ist ja gut für uns. Weniger Aufmerksamkeit.“

Nach der Landung dann das gleiche Bild auf dem Teasa Spaceport, in der Untergrundbahn und im Arbeiterdistrict: alles wie ausgestorben. Nur ein paar Wachen haben noch Stellung bezogen, stoisch und desinteressiert wie immer.

„Seltsam, was ist denn hier los?“

Wir laufen schnurstracks in die „M&V“-Bar, dort sehen wir Eckhardt in einer dunklen Ecke sitzen – einsam und verlassen. Er ist nicht gerade der gesprächigste Geselle. Er blickt uns kurz und rein geschäftsmäßig an, dann schiebt er eine Satellitenmission rüber, irgendeine Observation.

„Mehr müsst ihr nicht wissen, erledigt das, dann reden wir weiter.“

Das Gespräch dauert keine zwei Minuten.

„Alles klar.“

Wir machen uns auf den Rückweg, als sich Zero über Funk meldet.

„Äh, Leute, ich habe hier etwas Komisches gefunden – eine Gasflasche, die an das Lebenserhaltungssystem angeschlossen war. Und da strömt etwas aus.“

„Aha, tja, klemm sie zur Sicherheit mal ab!“

„Schon geschehen.“

Nachdem wir mit der Pieces wieder gelandet sind, trauen wir unseren Augen kaum – das kleine Schiff sieht aus, als wäre es in Säure gebadet worden.

„Was zum Henker ist das denn?“

„Ich sage ja, auf Loreville hat etwas ganz und gar nicht gestimmt. Die komplett leeren Hallen und jetzt das hier – ich wette, da hat’s einen Chemieunfall gegeben. Das musste ja mal passieren – die haben ihre Raffinerien direkt neben Wohngebiete gebaut. Ich würde vermuten, wir sind durch säurehaltige Wolken geflogen oder so…“

Zero meldet sich wieder.

„Äh, Leute, hier ist noch was Komisches – ich habe eben eine Art Sender entdeckt…“

„Zero, ganz ruhig. Wir sind hier in ein paar Sekunden weg. Dann schauen wir uns das alles in Ruhe an.“

„Ich will zurück nach Daymar.“

„Pass auf, wir durchsuchen jetzt mal gemeinsam das Schiff, dann fühlst du dich vielleicht besser.“

Gesagt, getan – doch was wir nun finden, bringt das Fass zum Überlaufen.

Als ich auf meinem Rundgang das Kartendeck betrete, schlägt mir eine schwarze Rauchwolke entgegen – aus Lüftungsschächten quillt schwarzer Qualm.

„Was zum…?“, bringe ich noch hervor, dann bekomme ich einen elenden Hustenanfall und mir wird schwarz vor Augen.

Als ich die Augen hustend wieder öffne, zieht mich Ella gerade aus der Gefahrenzone.

„Alle Helm auf! Hier stimmt etwas ganz gewaltig nicht.“

Nur ein Minute später knallt Hermioth ein verstecktes Mikrofon auf den Tisch – und Zero den Sender, der offenbar sogar während eines Quantumsprungs Daten senden kann. Dann dämmert es uns – Radioshow hin oder her: Wird werden hier übel verarscht.

Hermieoth spricht den ungeheuerlichen Verdacht als erstes aus: „Kann es sein, dass wir Teilnehmer einer unfreiwilligen Sitcom sind, nach dem Motto: Idioten im All, um die Zuhörerzahlen ein wenig in die Höhe zu treiben?“

Ich will den Gedanken nicht zulassen, das kann nicht sein.

Ich laufe in mein Captain’s Quarter, um ein paar Minuten allein zu sein – nun, da ich aufs entsprechende Gleis gesetzt bin, fällt es mir sofort auf – das Funkeln im jeweils linken Auge zweier Teddybären, die hier schon die ganze Zeit an Bord sind. Ich nehme einen in die Hand und traue meinen Augen nicht: Es ist eine Miniatur-Kamera.

Plötzlich schaltet mich ein kleiner Bildschirm auf, den ich zuvor für einen leeren Bilderrahmen gehalten hatte – und ich sehe mich live im Spectrum.

„Das kann nicht wahr sein…“

Nachdem ich mich gesammelt habe, rufe ich die anderen in die Messe.

„Leute“, ich versuche meine Gedanken zu sortieren, „ich glaube in der Tat auch, wir werden hier auf Rolle geschoben.“

Es herrscht Totenstille.

Mir kommt Mr. Arhuso in den Sinn – hatte er nicht schon vor Wochen gesagt, dass unsere Visionen nichts mit dem Artfakt zu tun hätten? Hat er uns warnen wollen? Herrgott, wo steckt der eigentlich?

Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen – es war von Anfang an ein abgekartetes Spiel. Schon das fehlende Schiff im Hangar diente nur dem Zweck, uns dumm aussehen zu lassen.

In mir kocht kalte Wut hoch.

„Wir müssen das Zeug in der Flasche analysieren, dann haben wir den Beweis“, sagt Zero. „Leider ist das mit Bordmitteln nicht möglich. Aber auf Yela gibt es ein Labor mit einem entsprechenden Analysegerät.“

„Dann ist das unser nächstes Ziel – Husky…“

„Bin schon unterwegs.“

Sollte das Radio dahinterstecken, vielleicht sogar Mason selbst, dann würde ich den ganzen Laden hochgehen lassen – das schwöre ich mir in dem Moment. Sie hatten schließlich nicht einmal vor Mord zurückgeschreckt und uns auf die Fährte der „Black Kite“ gesetzt, wo wir Piraten erschossen.

„Eckhard hat den Auftrag übrigens zurückgezogen“, meldet Husky.

Ich quittiere es mit einem Schulterzucken, das ist jetzt unser geringstes Problem.

Husky bringt uns über Yela in den Orbit, dann steuert er einen Research Outpost an. Kurz darauf schieben wir die Gasflasche in das Analysegerät und blicken gespannt auf den Bildschirm. Schließlich spukt das Gerät aus, was da drin ist und womit wir in den vergangenen Wochen vergiftet wurden.

„Ein Halluzinogen“, sagt Husky nüchtern. „Das ist der Beweis.“

Mir ist kotzübel.

„Bringt mich bitte nach Daymar, ich will jetzt weg von hier.“

„Machen wir – und es tut mir echt leid, Zero…“

Der Sprung nach Daymar vergeht im Wimpernschlag, unsere Gedanken rasen – Husky landet, als plötzlich wie von Geisterhand die Selbstzerstörung der „PAL-01“ aktiviert wird.

„Himmel – alles raus hier!“

Doch der Countdown wurde offenbar beschleunigt.

Wir schaffen es nicht einmal aus unseren Cockpitsitzen.

Die helle Explosion zerfetzt das Schiff – und uns gleich mit.

Journal-Eintrag 09 / 06 / 2953

Als ich Mason die Nachricht schreibe, kann ich kaum an mich halten.

Die Antwort kommt zwei Stunden später – und hat einen ganz anderen Ton, als den, den ich sonst von Paul Mason kenne.

Die können mich echt kreuzweise.

Journal-Eintrag 15 / 06 / 2953

Gelungener Scenic Cruise  zum Tobin-Tal – inklusive Lehrstunde zu den Xi’an. Friedrich ist es sogar gelungen, den Leiter des Instituts für UEE Linguistik zu engagieren – einen Mann namens Chris Harrow. Wir treffen  uns auf Port Tressler und ich lerne, dass die Xi’an überall unter uns sind –  wenigstens als Schriftzeichen. „Scharfes Essen“ steht etwa auf einem Schild in einer Nudelküche, daneben ist eine rote Chilischote abgebildet. Es geht viel um Konsonanten und Silben, dass die Xi’an von oben nach unten schreiben und andere sprachliche Feinheiten. Es ist ein Cruise, der offenbar auf großes Interesse stößt – die „Nordlicht eins“ ist bis zur letzten Kabine ausgebucht. Unterwegs erzählt Friedrich Geschichtliches zu den Xi’an, er ist wie immer sehr gut vorbereitet. Bei unserem Cruise begleitet uns eine Khartu-Al, ein für Menschen umgebauter Xi’an-Scout – und das Tobin-Tal ist so spektakulär, wie bei unserem letzten Besuch – und wirklich einen Ausflug wert. Friedrich hat ein neues Highlight im Programm!

_____________________________

Journal-Eintrag 20 / 06 / 2953

So, von Anvil Aerospace gibt es nun auch eine Rückmeldung. Uff – ich glaube, damit hat mein Ruf als seriöser Journalist ordentlich gelitten. Und bei denen brauche ich zunächst einmal nicht mehr anzuklingeln. Und Mason hat mir den Namen des Redakteurs genannt, der das Ganze hier geplant und aufgezogen hat: ein gewisser Achim Schuppke. Nie gehört zuvor – aber da latschen auch lauter Leute durch den Sender. Keine Ahnung, wie es jetzt weitergeht.

Journal-Eintrag 21 / 06 / 2953

Drei Rennstrecken am Stück: Wildstar Racing hat Husky gebeten, die Racetracks vielleicht ein wenig schneller als geplant zu besuchen und zu begutachten. Es geht daher in einem Rutsch nach Orison, dann auf die Monde Daymar und Yela. Nach der explodierten PAL-01 tut uns ein wenig Abwechslung gut. Die Sprache kommt zwar kurz auf das Geschehene, aber da wir immer noch unter Schock stehen, verlassen wir das Thema auch recht schnell wieder. Husky geht mit seiner „Shadowfax“ in den Tiefflug über die Wolkenstadt Orison und sticht dann von oben direkt in den Racetrack ein. Wir fliegen bei absoluter Dunkelheit – entsprechend konzentriert und wortkarg ist er.

Es geht vorbei an tausenden Containern und längs durch eine riesige Verladestation. Grelles Neonlicht sticht uns in die Augen, während die Arbeitslampen an uns vorbeihuschen. Es folgt ein Slalomkurs, der mir ordentlich auf den Magen schlägt, dann geht es durch zwei Stahl-Kanäle – schließlich erreicht Husky das Silber-Finish.

„Eine gute Zeit“, sagt er zufrieden.

Er atmet kurz durch. Am Horizont geht Stantons Sonne auf.

„Eine gute Strecke, kompakt mit vielen Plattformen in der Nähe, von der man die Rennen gut beobachten kann. Noch eine Runde?“

„Vielleicht noch eine langsame“, antworte ich.

Dann verlassen wir die Rennstrecke – und mir geht beim Abschied durch den Kopf, wie sich das wohl für die Arbeiter anfühlen muss, wenn ihnen die Rennflieger nur so um die Ohren zischen. Nun, manche werden es als willkommene Abwechslung sehen, andere nur genervt abwinken. Jedenfalls ist es eine schöne Attraktion für die sonst so ruhige Wolkenstadt.

Unser nächstes Ziel ist das so genannte Yadar Valley auf dem Mond Daymar. Dort liegt die Rennstrecke wie auf Hurston und Clio in einem alten Tagebaugebiet. Wir fliegen diesmal tagsüber – und die riesigen Stahlskelette wirken wie Fremdkörper in der unendlichen Sandwüste.

„Das ist eigentlich meine Lieblingsstrecke“, sagt Husky, während er sein Rennschiff um extrem enge Kurven drückt. Ein paar Mal geht es fast schief.

„…aber das wird alles erst richtig interessant, wenn man gegen andere fliegt, nicht nur auf Zeit“, sagt er nach seiner Runde, die ebenfalls in einem Silver-Finish endet. Wir schauen uns noch ein wenig die Rennstrecke an, die aus der Luft so wirkt, als wäre sie hier extra platziert worden – dann machen wir uns auf nach Yela – zu einer Rennstrecke mit dem Namen „Miner’s Lament“. Es ist der letzte Stopp auf diesem Renn-Parcours im Stanton-System.

Die Rennstrecke, die in einem alten Asteroidenfeld unter anderem durch ausgehöhlte Asteroiden führt, hat es in sich.

„Hier weiß man am wenigsten, wo man als nächstes hin muss“, sagt Husky – hier bestehe eindeutig Nachbesserungsbedarf. Dafür ist die Szenerie mit dem Mond Yela im Hintergrund und dem aufgehenden Gasriesen Crusader spektakulär.

Letztlich beendet Husky seine Runde – diesmal ist es sogar ein Gold-Finish, dann zieht er sein Fazit: „Es sind schöne Strecken. Wildstar hat hier etwas Tolles aufgebaut, es kann aber noch ein wenig nachjustiert werden.“

Seinen Bericht wird er dann demnächst an Wildstar schicken.

Schon morgen dürfen wir uns erst einmal wieder mit den bitteren Dingen des Lebens beschäftigen – der Explosion der PAL-01 und dem, was dahinter steckt.

.

Pistenjunkies

So langsam hebt sich der Vorhang und es kommen immer mehr Details zur der großen Verarsche auf der PAL-01 ans Licht. Und ein weiterer Name ist aufgetaucht: Richy Schuppke, der wohl der Cousin von Achim Schuppke ist und sich erst seit kurzem im Stanton-System aufhält. Er gab auf ArcCorp Mr. Denvers. Mehr noch: Ich jage die erste Denvers-Nachricht mal durch einen Stimmenverzerrer und traue meinen Ohren nicht: Das Ganze ist mit meiner Stimme gesprochen.

Dreister geht es kaum.

Wir sitzen zu viert auf Orison in kühler Abendstimmung in der Voyager-Bar und trinken Bier.

Zero: abgetaucht. Hermie von Anvil angezählt, weil er die Manipulation auf dem Schiff nicht schnell genug entdeckt hat. Mr. Aruhso – still ruht der See. Kurzum: Das ganze Projekt ist mal so richtig in die Binsen gegangen.

„Bock auf ein bisschen Spaß?“

Ella, Husky und Hermie blicken mich fragend an.

„Hier wurde letztens eine Buggy-Strecke eröffnet. Da kann man sich die kleinen Dinger ausleihen und so oft fahren, wie man will. Pustet uns vielleicht ein wenig den Kopf durch.“

Die anderen nicken – warum nicht?

Wir trinken aus und machen uns auf den Weg.

Die Plattform, auf der die Buggy-Stecke aufgebaut ist, liegt recht weit draußen. Das Shuttle beschleunigt und stoisch zieht die Wolkenstadt an uns vorbei. Die Rennstrecke ist extrem kurvenreich und strotzt nur so vor Werbetafeln von Firmen, die sich offenbar an der Finanzierung der Strecke beteiligt haben.

Flott sitzen wir in unseren Buggies und ab geht’s.

Während ich immer wieder mit der Lenkung kämpfe, hat vor allem Hermie den Dreh schnell raus – und fährt uns allen davon. Husky und ich bauen unterdessen eine Karambolage nach der anderen. Dennoch haben wir dabei eine Menge Spaß – was uns endlich mal richtig gut tut.

Schließlich, nach mehreren Runden, lassen wir es gut sein. Wir machen ein paar Fotos auf dem Siegerpodest. Husky betrinkt sich besinnungslos, dann klettern die anderen in einem gesicherten Bereich noch ein wenig umher – während ich in den pechschwarzen Nachhimmel blicke und hoffe, dass sich dieser ganze Wahnsinn doch noch aufklärt.

Journal-Eintrag 28 / 06 / 2953

Nachricht von meinem allseits geschätzten Freund und Crew-Mitglied – Hausmeister Sean Aruhso. Nun, er bleibt sich wenigstens treu, typisch Hausmeister eben. Er hat natürlich schon vorher alles gewusst. Na klar. Wird Zeit, dass wir das Ganze nun endlich aufklären.       

_____________________________

Der Schrottplatz

Zero Nachricht klingt dringlich –  der muss aktuell echt ganz schön einstecken: Von Hurston Dynamics verfolgt und in den Klescher-Knast gesteckt, dann in der Wüste Daymars ausgesetzt und seine „White Rabbit“ zerstört, nun wieder zusammengeschlagen….

Kurzum: Wir machen uns sofort auf den Weg. Seit die PAL-01 explodiert ist und Anvil das Projekt offiziell beendet hat, sind wir auf uns gestellt. Hermieoth kann helfen:  Ihm wurde von einem Freund eine Freelancer zur Verfügung gestellt. Ich war ewig nicht mehr auf einer drauf – und als ich sie auf Port Olisar betrete, weiß ich auch wieder warum: Es ist eine fliegende Sardinenbüchse: Eng, unbequem, spartanisch – und mit einer Cockpitscheibe, die nicht viel mehr ist, als ein Sehschlitz.

Gut, wir müssen ja auch nur runter nach Daymar, ein kleiner Sprung.

Wir sitzen alle im Cockpit und ich frage mich, wer so ein Schiff freiwillig kauft – aus der Cockpitscheibe sieht man wirklich gar nichts – erst recht nicht, wenn es draußen dunkel ist. Über Funk ist uns Zero zugeschaltet und wir verabreden, dass wir uns bei Wolf Point treffen. Zero kommt mit einer kleinen Vulture, einem so genannten Salvage-Schiff; weiß der Himmel, woher er das nun wieder hat. Er steigt um und gemeinsam fliegen wir zu besagtem „Whistlers Crypt“.  Husky stößt mit seiner Origin 300 Shadow-Fax von der anderen Seite dazu.

Wie oft waren wir als Crew nun schon auf oder über Daymar unterwegs – fast scheint es so, als wäre dies unser Schicksalsmond. Was hatten wir hier nicht alles erlebt! Streit, Meuterei, Versöhnung. Immer wieder zieht es uns hierhin. Die unendliche Einöde des Wüstenmondes hat darüber hinaus auch etwas Faszinierendes und Anziehendes – erst recht, wenn dann noch der Gasplanet Crusader aufgeht.

Doch mit der Romantik ist es schnell wieder vorbei. Zero landet das Schiff in einer Senke, dann nähern wir uns versteckt dem Schrottplatz. Immer wieder checkt Zero die Lage durch sein Zielfernrohr, dann entdeckt er Ninetails. Auch auf sie treffen wir immer wieder: Auf Microtech beim Reclaimer-Wrack, auf der Black Kite mit den illegalen Serverfarmen – und jetzt hier. Zero macht kein langes Federlesen, Schüsse peitschen durch die Nacht und schnell knipst er einen nach dem anderen aus.

Zero – er ist mittlerweile ein Mann mit vielen Fähigkeiten. Der Feigling, der er war, als wir uns kennengelernt haben – er ist einem harten Mann gewichen. Das Verse  härtet die Menschen ab, ob man nun will oder nicht. Als alles aufgeklärt ist, durchstöbern wir das Camp. Wie immer ist alles aus Schrott und alten Metallen zusammengedengelt worden. Es gibt einen Aussichtsturm, eine paar Unterkünfte, ein paar Verhaue. 

Plötzlich peitschen weitere Schüsse durch die Nacht – wir haben Nineteils übersehen  und Husky wälzt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht im Sand. Ella hilft sofort mit ihrem Meditool. Wir lernen wieder einmal auf die harte Tour: Niemand lässt sich seine Geheimnisse handzahm entreißen.

Zero macht schließlich eine entscheidende Entdeckung.

„Wie hieß euer durchgeknallter Radio-Redakteur gleich?“

„Ähm…Schuppke…“, antworte ich.

„Hier auf dem Laptop ist von dem eine Nachricht…“

„Echt?… Lies vor!“

„Hier steht: Die Sache ist aufgeflogen, der Deal damit geplatzt… Alles Weitere über den Boss.“

„Welcher Deal? Welcher Boss?“

„Keine Ahnung…“

„Lass uns mal rüber zu der Starrunner und checken, ob es sich wirklich um deine White Rabbit handelt…”

Gemeinsam laufen wir über eine offene Ebene auf das tief im Sand eingegrabene Schiff zu. Auch dort wieder: Ninetails. Zero erledigt sie souverän und mich fröstelt bei der Kälte, mit der er sie aus dem Weg räumt. Doch für tiefschürfende Gedanken ist keine Zeit.

Wir schleichen um das Schiff herum, Zero ist außer sich.

„Jetzt fällt es mir wieder ein: Hier haben sie mich von Hurston Dynamics damals ausgesetzt und gesagt, ich solle mit meinem Schiff im Sand verrecken…“

Zero sucht nach dem Namen seines Schiffes auf dem Rumpf – erfolglos.

„Das ist nicht die White Rabbit“, sage ich schließlich. „Außerdem liegt das Schiff hier schon viel länger. Ist ja fast schon ganz begraben vom Sand. Die haben dich übel verarscht.“

Zero huscht ein Lächeln über das Gesicht.

„Aber dann bedeutet das ja…“

„…dass dein Schiff keineswegs Schrott ist. Nur finden müssen wir es. Aber es ist irgendwo da draußen.“

Wir kehren um und laufen zurück zum Schrottplatz, als Zero ein weiteres Wrack entdeckt. Wir nähern uns vorsichtig, werden erneut beschossen und sehen dann, worum es sich handelt – um eine riesige Origin 600i, die mit voller Wucht in einen Höhle gekracht und dabei auseinander gebrochen ist. Der Aufschlag muss enorm gewesen sein.

„Was für eine Schande“, sagt Husky, „meinem Großvater würden die Tränen kommen…“

Das vordere Teil ist mit Stahlstreben an den Felswänden der Höhle befestigt, damit es nicht weiter abrutscht, schmale Stege führen hinab zur Cockpitsektion…es ist eine gefährliche Kletterpartie. Schließlich sind aber alle unten, unheimliche Geräusche dringen aus dem Tiefen der Höhle herauf und wir schauen uns im Cockpit um. Totenköpfe liegen wie Trophäen auf einer Ablage.

„Das hier war garantiert das Quartier vom Ninetail-Boss“, sagt Zero.

„..der wahrscheinlich oben irgendwo tot im Sand liegt“, ergänze ich.

Zero öffnet einen blinkenden Laptop – und sieht eine Nachricht. Sie ist nur kurz und lautet:

„Muss untertauchen. Melde mich. A.S.“

„Schuppke“, sage ich. „Ist abgehauen.“

Wir durchsuchen noch ein paar Minuten das Cockpit, dann machen wir uns auf den Rückweg. 

Kein Schiff, kein Plan, keine Ahnung wie es weitergeht.

„Und nun, ist die Crew damit Geschichte?“, fragt Ella in die Stille hinein.

„Hängt nur von uns ab“, antworte ich.

Nach einer kurzen Pause füge ich hinzu: „Wir sind doch eine ganz lustige Truppe – ich für meinen Teil will jedenfalls wissen, was hinter all dem steckt…“

„Ich auch“, wirft Hermieoth ein, „wenn ich den in die Finger kriege…“

Während die anderen vier nach Grimhex aufbrechen, kehre ich nach Port Olisar zurück. Urlaubsreif sitze auf der Bank vor dem großen Aussichtsfenster starre auf Crusader. Ich genieße die Minuten auf der alten Station, über die ich wegen ihrer ganzen Macken weiß Gott oft genug geflucht habe. Ich weiß noch, wie wir damals über Funk versucht haben, einen Kollegen von C.R.A.S.H. wieder von Daymar zu bekommen und ich damals die halbe Station auseinander gebaut habe, weil es ständig Disconnects gab…ein Grinsen fliegt mir über das Gesicht. Die empörte Sicherheitsoffizierin kommt mir wieder in den Sinn – herrje…

Doch was schon seit Jahren im Schwange war, ist nun endlich Gewissheit geworden: Port Olisar soll durch eine moderne Station ersetzt werden. Ich weiß schon heute – viele werden dem alten fliegenden Klapperkasten noch hinterher trauern. Vor unserem Abflug hatte ich mich erst mit dem Casaba-Verkäufer angelegt, weil  er nur ein giftgrünes, fast metallisch schmeckendes Getränk im Angebot hatte – bald wird es hier das übliche Standardsortiment zu kaufen geben…ich bezweifle, dass das besser sein wird. Wie lieb und teuer einem manches ist, wird immer erst dann klar, wenn es nicht mehr da ist.

Hier auf Port Olisar hatte vor nunmehr sechs Jahren alles begonnen… ich schalte „Radio Infinity ein“. Der Sender dudelt, als wenn nichts geschehen wäre…dann kommen die Nachrichten…unterbewusst zucke ich zusammen, Schweiss bricht mir auf der Stirn aus…

Ermöglicht die Imprint-Technologie Erinnerungs-Implantate? Dieser ungeheuerliche Verdacht steht aktuell in der UEE im Raum. Aufgekommen ist der Vorwurf, nachdem Bewohner Psychologen aufgesucht – und von traumatischen, fast identischen Träumen und Erinnerungen berichtet hatten. Offenbar werden an ahnungslosen Aspiranten während der Regeneration Versuche durchgeführt, die dazu dienen sollen, in einer fremden Welt zu überleben, Kampfszenarien durchzuspielen, allein größte Herausforderungen zu lösen. Das implantierte Paralleluniversum ist bei den Betroffenen identisch, die gemachten Erfahrungen jedoch sind individuell. Eine Verschwörungstheorie mit vielen Anhängern ist, dass die Menschen mit neuen unterbewusst trainierten Überlebensstrategien auf eine neue Heimat vorbereitet werden könnten – und die UEE nach dem kräftezehrenden Krieg gegen die Vanduul dem Untergang geweiht ist. Oder steckt vielleicht noch etwas anderes dahinter? Fest steht, dass sich immer mehr Menschen melden, nachdem die Vorwürfe publik wurden. Noch ist unklar, wer hinter den Manipulationen stecken könnte. Das Militär weist jede Verantwortung von sich.

_____________________________

Journal-Eintrag 22 / 07 / 2953

Ich recke mich in dem engen EZHub – und kann kaum die Arme ausbreiten. Eins steht fest: Die schlauchförmigen Schlafkojen wurden nicht für Menschen mit Platzangst entworfen. Egal – ich habe mich richtig ausgepennt und alles mal sacken lassen – wer weiß, wie lange das auf Port Olisar noch möglich ist.

Ich blicke auf mein Mobiglas – und entdecke Husky auf der offenen Unicom-Frequenz. Spontan funke ich ihn an.

„Husky, wohin des Wegs? Alles klar bei dir?“

„Bru…ja, alles klar soweit. Bin gerade auf dem Weg nach Hurston und soll dort im Auftrag meines Großvaters ein wenig das Gelände erkunden. Er sucht wieder ein paar Spots für seine Touren – und auf Hurston soll es neuerdings sogar Flüsse geben.“

„Flüsse? Ich dachte der Planet wäre einfach nur kaputt – abgesehen von ein paar Wäldern und verstreuten schönen Flecken.“

„Hab ich auch gedacht, scheint aber nicht so… Ich sitze auf Everus Harbor und dummerweise fehlt mir grad ein Schiff für den Trip…“

„Wo ist die Frost?“

„Im Reparaturdock, ebenso wie die Shadow Fax.“

„Ich hol dich ab und dann machen wir die Tour gemeinsam, was denkste? Flüsse auf Hurston, das ist doch mal was Neues…“

„Cool, warte hier auf dich.“

Ich packe meine Habseligkeiten, schaue mich auf Port Olisar noch einmal um – und habe das dumpfe Gefühl, dass ich hierher nicht mehr allzu oft zurückkehren werde. Dann bin ich mit der „Clarke II“ auch schon auf dem Weg zu Husky.

Nachdem ich ihn auf der Orbitalstation des Planeten eingesammelt habe, machen wir uns auf den Weg. Doch der Fluss ist alles andere als leicht zu finden – wie zu Zeiten der alten Seefahrer müssen wir den Kurs regelrecht koppeln – mit Kompass, Geschwindigkeit und Entfernungsmessung. Und das in absoluter Dunkelheit.

„Manchmal habe ich das Gefühl, wie haben uns keinen Schritt weiterentwickelt“, sagt Husky.

Ich nicke.

„Das liegt alles an dem KI-Verbot. Wir könnten technisch schon viel weiter sein. Aber offenbar glaubt man im Senat eben, dass der Mensch immer noch die bessere, letzte Instanz ist.“

Wir fliegen eine Weile stumm nebenher, dann entdecken wir den Fluss direkt unter uns.

„Sauber geflogen“, sagt Husky anerkennend.  „Genau nach Vorgabe.“

Ich lächle – doch das vergeht mir schnell wieder, als ich den „Fluss“ aus der Nähe sehe: Ein Rinnsal, das in einem traurigen See endet, umgeben von Bergen von Schrott, garantiert durch Schwermetalle verseucht.

„Das ist sicher nichts, wo dein Großvater mit seinen Klienten hin möchte“, sage ich.

„Nope.“

Wir kreisen ein wenig über der deprimierenden Szenerie, dann entdecken wir ein Stück flussaufwärts, wie der Fluss durch einen engen Canyon fließt. Das sieht schon interessanter aus.

„Lass uns hier mal runtergehen“, sagt Husky.

Wir landen ein wenig entfernt vom Canyonrand und laufen dann zum Fluss, der sich tief in den Felsen eingeschnitten hat. Am Horizont geht unterdessen die Sonne auf und taucht die Umgebung in ein fahles, rötliches Licht. In der Tiefe hören wir den Fluss plätschern.

„Das könnte jetzt genauso gut auf dem Mars sein“, sage ich. Wind umtost uns.

Wir nähern uns vorsichtig dem steil abfallenden Canyonrand.

„Das hat schon etwas echt Fremdes und Faszinierendes“, sagt Husky.

Wir laufen ein wenig den Canyon ab, hier und dort wird es glitschig und rutschig, sodass wir uns nur langsam vorwärts bewegen können, dann kehren wir zum Schiff zurück.

„Es gibt noch einen zweiten Fluss, vielleicht gibt der mehr her…“

„Lass uns hinfliegen“, sage ich, „du kannst gern das Steuer übernehmen.“

Während Husky den zweiten Fluss ansteuert, hänge ich meinen Gedanken nach und mir kommt die „Radio Infinity“-Sondermeldung in den Sinn.

„Hast du in letzter Zeit eigentlich mal Radio gehört..?“

„Ja, passender Weise eine Sendung über den Mars und dessen Eroberung“, antwortet Husky.

„Nee, ich meine etwas anderes…“

Ich erzähle Husky von der Meldung mit den implantierten Erinnerungen und dass sich darum mittlerweile verrückte Verschwörungstheorien ranken.

„Nein, habe ich noch nichts von gehört…“, antwortet Husky schließlich.

Täusche ich mich – oder hat er kurz gezögert, bevor er geantwortet hat?

„Stell dir mal die Implikationen vor“, sage ich, „wir wären in unseren eigenen Gehirnen nicht mehr sicher. Wir wüssten nicht mehr, was wahr und was falsch ist. Was wir wirklich erlebt haben und was nicht…“

Ich mache eine Pause.

„…ich weiß, das klingt zu verrückt – aber wer hätte noch vor nicht allzu langer Zeit an eine funktionierende Imprinttechnologie geglaubt?“

Husky schweigt und starrt zur Cockpitscheibe hinaus. Es scheint, als würde er sich ganz auf seine Suche nach dem zweiten Fluss konzentrieren, aber mir scheint, als würde etwas in ihm arbeiten.

„Bru…keine Ahnung…oh…da ist der Fluss.“

Wir gehen ein zweites Mal hinunter, landen an einer geschützten Stelle und machen uns auf den Weg zu einer Stromsschnelle.

„Das sieht schon besser aus“, sage ich. „Hier könnte man mit einem Boot richtig runterrauschen.“

Wir laufen querfeldein und folgen dem Flusslauf, gleichzeitig geht die Sonne schon wieder unter.

Schließlich kehren wir zur Mercury zurück.

Ich setze Husky wieder auf Everus Harbor ab.

Er ist wortkarg, in sich gekehrt.

Als wir uns trennen, bin ich mir sicher, Husky geht es wie mir.

Ich bin mir sicher, die pfuschen irgendwie in unseren Erinnerungen herum.

.

Danke für Nichts

Nachricht von Zero: Er hat den Schildgenerator aus seiner „White Rabbit“ in einem „Dumpers Depot“ auf Grim Hex gefunden. Die dortige Mitarbeiterin will aber keine Infos rausrücken, woher sie den Generator hat – dafür aber ein Typ namens Skutter, der offenbar im benachbarten Waffenladen auf der Piratenstation arbeitet. Wie Zero schreibt, will dieser aber eine Gegenleistung – Zero soll ihm die Waffen von einer im All gestrandeten Aegis Hammerhead bringen. Nun braucht Zero dafür Hilfe, weil der Frachtraum seiner Vulture zu klein ist.

Ich erkläre mich spontan bereit zu helfen, auch wenn ich nur mit einer Mercury dienen kann. Nach ein paar Tagen gibt’s ein Update – Hermieoth hat anscheinend Zugriff auf eine Crusader Hercules – da kriegen wir garantiert alles rein.

Wenige Tage später ist es soweit – die Hammerhead liegt mitten im leeren Raum zwischen Crusader und Microtech, Hermieoth gabelt mich auf einer nahe gelegenen Station auf, Zero ist im Funk und bereits mit seiner Vulture an der Hammerhead zu Gange.

„Zero, alles klar?“

„Yo, cool, dass ihr mir helft.“

„Bist du immer noch in der Vulture unterwegs, die du auf dem Schrottplatz gefunden hast?“

„Jep, die war ja offenbar zum Verschrotten gedacht.“

„Ich bin mir da nicht so sicher…“

„Doch, klar..“

Ich lasse es dabei bewenden.

Hermieoth steuert unterdessen den Riesenvogel zur Position der Hammerhead.

„Hoffentlich haben sie die White Rabbit noch nicht komplett demontiert und verhökern die Einzelteile nun zu besseren Preisen“,  sage ich.

„Hoffe ich auch“, erwidert Zero, „ein Grund mehr, schnell etwas über den Verbleib meines Schiffes herauszufinden.“

Kaum sind wir vor Ort, steigen wir auch schon aus – Hermieoth wirft wie Zero sein Multitool an, demontiert damit im Handumdrehen die riesigen Repeater-Waffen und bugsiert sie per Traktorstrahl in den Hangar des Schiffes.

„Immer vorsichtig“, wirft Hermieoth ein, „manche Waffe könnte noch geladen sein und losgehen.“

Während die beiden ackern, versuche ich in das Schiff zu kommen – doch wie alles andere, will auch das gelernt sein, die richtige Position in der Schwerelosigkeit einzunehmen. Immer wieder pralle ich am Bugschott ab – und kassiere dafür dumme Sprüche. Klar, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

„Zero, kann ich mich in der Vulture mal im Salvagen ausprobieren?“, frage ich, nachdem ich aufgegeben habe.

„Nur zu, tu dir keinen Zwang an. Wir gehen derweil in Deckung.“

Die Vulture von Hersteller Drake ist innen extrem eng und nichts für Menschen mit Platzangst. Drake-typisch ist alles aufs rein Funktionale beschränkt. Ich brauche einen Moment, bis ich mich zurechtgefunden habe. Zero gibt mir über Funk Anweisungen. Schließlich richte ich den Salvage-Laser aus, trage von der Hammerhead die schwere Stahl-Composit-Verkleidung ab und sauge sie über einen Verdichter in das Heck des Schiffes.

Ich höre Zeros und Hermieoths Instruktionen, mit dem Laser die Hülle gleichmäßig abzutragen. Mal bin ich ihnen zu hektisch, dann wieder zu träge… Was profan klingt, ist dabei eine todtraurige Angelegenheit – es fühlt sich an, als würde ich dem Schiff die Haut vom Leib ziehen.

„Man kommt sich vor wie ein Abdecker“, sage ich.

Kurzum: Es ist alles andere als ein schöner Job – und nichts, was ich länger als unbedingt nötig machen möchte. Gottlob meldet sich Zero – im Heck des Schiffes müssen als Nächstes Container mit dem verdichteten Composit gestapelt werden. Ich bin froh, wieder aus dem Pilotensitz zu kommen, schnappe mir ebenfalls ein Multitool und bugsiere die Kisten nun so, dass sie später während des Fluges nicht wild durch den Frachtraum taumeln können. Mir wird wieder einmal klar: Alles in diesem Leben muss hart erarbeitet werden. Nichts gibt es umsonst.

Zero übernimmt die nächste Runde.

Hermieoth, der nach eigenen Angaben jedes im Verse verfügbare Schiff schon betreten hat, bietet mir einen schnellen Rundgang durch die halb zerstörte Hammerhead an. Diesmal und unter seiner Anleitung gelingt der Einsteg durch die Frontluke. Erst im Innern wird mir klar, wie zerstört das Schiff bereits ist – überall züngeln Flammen hervor, brennt es, Dämpfe treten aus den verschiedensten geborstenen Rohrleitungen und begrenzen die Sicht. Hermieoth kennt sich jedoch tatsächlich gut aus und so folge ich ihm.

„Lass uns flott machen, bevor uns die Kiste noch um die Ohren fliegt.“

„Keine Panik, so  schnell geht das nicht“, erwidert Hermieoth.

Es geht durch lange Gänge, vorbei an Crew- und Arbeiterquartieren, hinab ins Cockpit und dann ins Heck zum Maschinenraum. Dort wüten die Feuer am Schlimmsten. Trotz allem ist immer noch Strom im Schiff.

„Ich glaube, ich habe genug gesehen“, sage ich schließlich.

Das große Schiff, das wie ein verwundetes Tier in seinen letzten Lebenszügen liegt, ist ein furchtbarer Anblick – von der Crew zum Sterben in der Unendlichkeit zurückgelassen und zum Ausweiden freigegeben.

Wir verlassen die Hammerhead – draußen wartet schon wieder Arbeit. Gemeinsam laden wir die Kisten mit dem Stahl-Composit von der Vulture in die Hercules um. Es ist eine Schweiß treibende Arbeit – und ich hoffe, dass sie der Mühe Wert ist. Irgendwann ist alles verstaut, wir verlassen die Hammerhead und überlassen sie ihrem weiteren Schicksal.

Hermieoth versucht, die Hercules so vorsichtig wie möglich zu fliegen – dennoch hören wir, wie sich unter uns im Frachtraum die großkalibrigen Waffen mehr bewegen, als sie eigentlich sollten.

…und dann passiert es auch schon.

Im Anflug auf Grimhex – mitten im Asteroidegürtel von Yela – geht ein großer Knall durch das Schiff. In einer der Waffen muss sich ein Bolzen gelöst und die Waffe einen Schuss abgegeben haben. Sofort fallen im gesamten Schiff Elektronik und künstliche Schwerkraft aus.

„Raus hier!“, brüllt Hermieoth, „bevor noch Schlimmeres passiert.“

So schnell wir können, hangeln wir uns durch das tote Schiff –  auf dem Cargodeck herrscht Chaos. Überall schweben die  riesigen Waffen umher, die Container mit dem schweren Composit hat es aus den Verankerungen gerissen. Außerhalb des Schiffes sehe ich, dass es zudem fast die komplette Außenhülle weggerissen hat. Es kann nicht mehr viel gefehlt haben und das gesamte Schiff wäre explodiert.

Bis zur Grimhex-Station sind es noch ein paar Klicks – ich hoffe, dass meine Anzugenergie bis dort hin reicht. Ich atme tief durch und mache mich auf den Weg.

Über Kopfhörer höre ich Zero, der uns in der Vulture gefolgt ist.

„Was ist da eben passiert?“

Hermieoth, der vor mir fliegt, erklärt es mit ein paar knappen Worten.

„Da geht meine Information zu meinem Schildgenerator dahin“, sagt Zero frustriert. 

Auch die ganze Arbeit an der Hammehead – umsonst.

Fast scheint es so, als wollte uns das Schiff im letzten Moment ein Schnippchen schlagen. Kleines Trostpflaster für Zero: Auf der  Hammerhead fand er allerhand Drogen, die er nun auf Grimhex gewinnbringend verkaufen kann.

Schließlich erreichen wir die Station, nehmen einen alten Geheimeingang und finden uns auf dem Observationsdeck wieder – vor einem Haufen Imprints. Wir stehen einen Moment geschockt vor dem Leichenberg, dann findet Zero seine Sprache wieder.

„..davon habe ich schon gehört. Jemand auf der Station macht mit fehlerhaften Imprints illegale Geschäfte. Unfassbar.“

Wir verscheuchen das grauenhafte Bild mir einem Smolz, dann nehme ich mir ein Schlafkoje.

Für heute habe ich genug gesehen. 

.

Rennen um Land

Mein Geist kommt nicht zur Ruhe.

Nur ein Traum? Oder vielleicht doch eine Erinnerung? Aus den tiefsten Tiefen des Bewusstseins?

Ich quäle mich aus dem Bett, schalte das Licht ein. Grell beleuchtet die kleine Lampe die kalte Realität –  Leichenberge, dem Tod geweihte Schiffe mitten im Nichts und intergalaktische Verschwörungen…ich reibe mir den Kopf um ihn klar zu bekommen. Und nun auch noch dies: Kann wirklich wahr sein, was da letztens in der Radio-Meldung berichtet wurde? Kann es so etwas geben wie eingepflanzte Erinnerungen?

Ich öffne das Mobiglas, spreche ein paar Sätze hinein – für einen späteren Journal-Eintrag. Manche Eindrücke muss man festhalten, solange sie noch frisch sind.

Ich sinniere kurz – das war mehr als ein Traum, eindeutig, oder…?

Plötzlich summt mein Mobiglas.

Ich traue meinen Augen nicht – das Gesicht würde ich unter tausenden sofort wieder erkennen: Smith.

„Sie haben vielleicht Nerven mich anzurufen!“

„Seien Sie still!“, unterbricht er mich sofort.

„Hören Sie…“

„Nein, Sie hören: Stoppen Sie sofort die Aufnahme und löschen Sie alles, was Sie bisher aufgesprochen haben. Wo sind Sie? Wir treffen uns.“

„Ich soll – “

„Wo sind Sie?“

„Stopp! Sie haben mich bewusstlos geschlagen und entführt. Und woher wissen Sie überhaupt…“

„Mr. Brubacker…“

„Ich leg’ jetzt auf.“

Kaum habe ich die Verbindung unterbrochen, summt das Mobiglas wieder.

Zu meiner Überraschung ist es nicht erneut Smith, sondern ein mir völlig unbekanntes Gesicht.

„Mr. Brubacker?“

„Ja?“

„Mein Name ist Honeywell. Ich bin ein Vertreter von der Universal Claim Company. Sie kennen uns?“

„Nicht, dass ich wüsste.“

„Wir sind Landvermesser. Die ersten vor Ort, wenn Sie so wollen, wenn es darum geht, für unsere Bürger neues Land zu gewinnen.“

Sein breites Lächeln mit blitzblanken weißen Zähnen lässt keinen Zweifel daran, dass er entweder sehr gute Verbindungen oder einen verdammt guten Zahnarzt hat.

„Wir hätten gern Ihre Expertise. Als Journalist, der schon viel gesehen hat, als Mensch mit wachem Verstand.“

„Ich…“

Mir kommt die Entführung in den Sinn, aus der mich damals im letzten Moment Thane McMarshall befreit hatte.

„…das ehrt mich. Aber ich muss ablehnen. Ich bin da nicht so kompetent, wie Sie vielleicht denken.“

Sein Lächeln wird noch ein bisschen breiter.

„Oh, ich bin mir sicher, Sie werden uns zufrieden stellen. In fünf Minuten ist jemand bei Ihnen – es dauert auch nicht lang.“

Sein Lächeln nimmt fast groteske Züge an.

Der Unbekannte schaltet sich ab.

Keine Sekunde später summt das Mobiglas erneut.

Smith.

„Smith, ich sagte Ihnen doch schon…“

„Mit wem haben Sie eben gesprochen?“

„Ich…äh…verdammt, das geht Sie überhaupt nichts an.“

„Wenn es jemand von der Universal Claim Company war, sind Sie in spätestens drei Minuten tot. Und ich meine tot. Geghostet. Keine Regeneration möglich. Aus dem Leben gelöscht.“

Er blickt mich durchdringend an.

„Lassen Sie daher alles stehen und liegen und hauen Sie ab! Jetzt!“

„Smith…“

„Die Uhr tickt. Ich sagte Ihnen doch schon: Wir sind nicht die Bösen in diesem Spiel. Nur läuft das hier alles andere als geplant.“

Er atmet tief durch.

„Sie müssen überleben. Sie sind zu wichtig.“

Etwas in mir schreit danach, die Beine in die Hand zu nehmen.

„Okay, ich bin unterwegs. Melden Sie sich in zwei Stunden wieder. Dann werde ich an einem sicheren Ort sein.“

„In Ordnung“

Smith legt auf.

Ich trete aus der schmuddeligen Schlafkabine und schleiche wie ein Krimineller zum Schott der Unterkünfte. Kaum bin ich um die nächste Ecke, höre ich schwere Schritte den Gang heraufkommen.

Als die Schritte leiser werden, beschleunige ich mein Tempo und schnappe mir das nächstbeste Schiff.

Irgendetwas sagt mir, dass ich nur ganz knapp dem endgültigen Tod entronnen bin.

_____________________________

„Einen besseren Platz haben Sie nicht gefunden?“

Mich juckt es in den Fingern, Smith einfach k.o. zu schlagen.

Der Agent sieht müde und abgespannt aus.

„Jedenfalls bin ich froh, dass Sie sich so entschieden haben und noch am Leben sind.“

„Smith, was zum Henker wollen Sie bloß von mir?“

„Können Sie sich noch an unser Gespräch erinnern?“

„Ja, dass ich aus Vergangenheit stamme und all das…“

Smith nickt.

Er macht eine theatralische Handbewegung und blickt mich an als habe er es mit einem begriffsstutzigen Kind zu tun. Dann greift er zu seinem Bier, das hier auf der „Ambitious Dream“-Station abgestanden und alt schmeckt.

Smith reisst mich aus meinen Gedanken.

„Haben Sie schon mal etwas von Consolidated Outland gehört?“

Ich nicke.

„Ja, der Schiffshersteller mit diesen kleinen Racern. Wie heißen die gleich…Mustang…“

„Demnächst werden sie ein Schiff auf den Markt bringen, das Pioneer heißt. Ein Schiff zum Errichten von Outposts, eventuell sogar ganzen kleinen Städten…im Handumdrehen. Das Schiff hat alles an Bord, was man dazu benötigt.“

Ich pfeife durch die Zähne.

„Verstehen Sie, was ich Ihnen sagen will? Das da draußen, das ist der neue Wilde Westen. Es findet ein Rennen um Land statt. Oder glauben Sie, das Universum ist an den Grenzen der UEE zu Ende? Nein, dahinter geht es erst richtig los…wir glauben, dass die Menschen mit der neuen Imprint-Technologie im Rücken bereit sind, größte Risiken einzugehen. Größer, als jemals zuvor. Kurz: Es ist das brutalste Rennen, das es jemals in der Menschheitsgeschichte gegeben hat. Und der Sieger kriegt alles.“

„Das erwähnten Sie schon einmal…“

„…und Sie stehen im Zentrum einer Verschwörung, in der Menschen bereit sind alles – und ich wiederhole: alles – zu tun, um dieses Rennen zu gewinnen. Es ist wie zu Zeiten des großen Goldrausches im Klondike auf der Erde. Wer rammt zuerst seinen Claimstick in den Boden, Mr.  Brubacker. Dafür brechen die Menschen sogar in fremde Gehirne ein.“

Wie bei unserem ersten Treffen blicke ich Smith offenbar an, als habe ich es mit einem Verrückten zu tun. Dann holt er tief Luft und holt weit aus.

„Herrje, wenn wir in der Menschheitsgeschichte eines gelernt haben, dann, dass sich die Natur des Menschen nicht ändert. Er ist und bleibt ein Eroberer. Die Azteken – durch Cortez vernichtet, das nordamerikanische indigene Ureinwohnervolk, umgebracht durch den weißen Mann…brauchen Sie weitere Beispiele?“

Ich schüttele den Kopf. Unwillkürlich kommt mir der Skandal mit den Killersatelliten in den Kopf – hat man da nicht auch versucht, Land mit krimineller Energie zu gewinnen, indem man versuchen wollte, alles Leben zu tilgen, was neues Land wohlmöglich unter den Fair Chance Act gestellt hätte? Ist bei Project Enos nicht auch von irgendwelchen Supersoldaten die Rede?

„…also, was soll ich tun?“

„Zunächst einmal niemandem vertrauen.“

Er macht eine Pause.

„…und mir berichten, was Sie in ihren Träumen erleben.“

„Also ist es real?“

„So real es sein kann. Sehen Sie, unser Gehirn ist im Grunde nichts anderes als ein ultraleistungsfähiger Computer, stimuliert durch elektrische Impulse. Wussten Sie, dass es im menschlichen Gehirn mehr mögliche Verbindungen zwischen den Gehirnzellen gibt als Atome im gesamten Universum?“

„Das wusste ich nicht.“

„Es stimmt aber. Das Gehirn lässt sich jedenfalls auf vielfältige Weise manipulieren, füttern und befüllen. Mit Eindrücken, die so real wirken, dass man das Gefühl hat, die Dinge wirklich erlebt zu haben.“

„Verrückt.“

„Man gibt ein paar Eckdaten ein, den Rest übernimmt die famose Rechenmaschine in Ihrem Kopf. Sie löst Probleme, dichtet hinzu, lässt weg, kurz: bastelt ganz neue Realitäten. Anschließend kann man die Dinge auslesen, wie aus einem ordinären Speicher und daraus Schlüsse ziehen – militärische, zivilisatorische oder meinetwegen auch moralische.“

Ich spüre, wie mir schwindelig wird. Konnte das alles wirklich wahr sein? Menschen, die in fremde Gedanken einbrechen und Erinnerungen manipulieren?

„Und wie geht es nun weiter?“

„Fertigen Sie Berichte über Ihre Erlebnisse in ihren Träumen an – aber ganz klassisch auf Papier, auf keinen Fall elektronisch. Wir vereinbaren einen toten Briefkasten für den Austausch.“

„Wie in einem schlechten Agentenfilm.“

Smith lächelt süffisant.

„Die alten Methoden sind manchmal immer noch die besten.“

„Sind andere von diesen Gedankenmanipulationen auch noch betroffen?“

„Wir denken schon. Wir wissen aber nicht, wer und wie viele. Die meisten werden es einfach für Sinnestäuschungen oder ein wenig Überreiztheit halten. Beim nächsten Imprint wird ihr Gehirn dann ausgelesen.“

„Also schön, ich bin dabei.“

Smith macht eine Pause.

„Gut. Eines noch: Es tut mir leid, dass wir Sie damals nach Ihrer Party ein wenig – nun – zu gewaltsam aus dem Spiel nehmen wollten. Aber Herrgott, manchmal sind Sie einfach auch zu redselig.“

Ich lächle. Damit hat Smith wohl recht.

„Und das ist alles wirklich die Wahrheit?“

„Ja, die Wahrheit, so wahr ich hier vor Ihnen sitze – wenn vielleicht auch noch nicht die volle Wahrheit.“

„Die volle….?“

„Eins nach dem anderen, Mr. Brubacker…John. Sie wissen schon viel mehr, als Sie aktuell eigentlich sollten. Leben sie einfach Ihr normales Leben weiter und berichten Sie uns ab und zu über das, was sie unter anderen Umständen für einen netten Traum halten würden.“

Ich muss fast laut auflachen, als Smith von einem „normalen Leben“ spricht. Keine Ahnung, was der für „normal“ hält. Dann trennen sich unsere Wege wieder – und habe wieder mal lauter Fragezeichen im Kopf. Und noch immer habe ich keinen blassen Schimmer, für wen Smith eigentlich arbeitet.

Journal-Eintrag 29 / 08  / 2953

Zero hat einen weiteren Hinweis auf den Verbleib seiner „White Rabbit“. Dazu muss er unbemerkt nach Everus Harbor über Hurston. Damit er nicht auffällt, bräuchte er einen Overall der Arbeiter des Cargo Decks. Ich biete ihm meine Hilfe an – doch Hermieoth ist schneller. Kurzum: Als ich zu beiden stoße, ist der Job bereits erledigt.

„Der Schreiberling – immer zu spät“, begrüßt mich Zero.

Ich kann mir eine entsprechende Antwort gerade noch verkneifen. Vom Beruf des Journalisten scheint er echt gar nichts zu halten. 

„Sonst alles klar?

„Bin meinem Schiff auf der Spur. Sie wird immer heißer.“

„Sehr schön. Halt mich auf dem Laufenden.“

Zero checkt sein Mobiglas.

„Hab’ grad noch einen Auftrag reinbekommen – ein weiteres Schiff, das wir salvagen können. Eine Starfarer – ist aber zeitkritisch, weil illegal.“

Wir machen kein langes Federlesen und sind kurz darauf unterwegs – Hermieoth und ich in einer kleinen Cutter, die einem gewissen Andersen gehört, Zero in seiner Vulture.

Das Schiff, ein Tanker, muss schon lange im All liegen – eine fette Eiskruste hat es überzogen. Zero macht sich sofort ans Werk, Hermieoth und ich untersuchen unterdessen das Schiff. Es ist nicht in einem ganz so erbärmlichen Zustand wie die Hammerhead, auf der wir unlängst waren – tote, verlassene Schiffe haben aber per se etwas Unheimliches und Trauriges.

Zero ackert und ackert – schließlich hat er nur begrenzt Zeit. Und rasch ist diese auch schon um.

„Wir müssen los. Keine Ahnung wer hier gleich auftaucht.“

Hermieoth und ich schweben aus dem Schiff zurück zur Cutter. Kaum haben wir sie erreicht, ploppt auf dem Radar auch schon eine weitere Vulture auf, anschließend Schiffe der UEE. Sofort eröffnen sie das Feuer.

„Da haben wir wohl zu lange im falschen Pool gefischt“, sagt Zero.

„Yo“, antworte ich. „Zeit die Biege zu machen!“

Hermieoth holt alles aus der Cutter raus, fliegt Schlangenlinien und kurvt die beiden Jäger gekonnt aus. Schließlich lassen sie von uns ab. Statt uns zu vernichten, geht es ihnen offenbar mehr darum, uns zu verscheuchen.

Nun denn, Zero ist mit seiner Ausbeute zufrieden und wir fliegen zur Piratenstation Grimhex – unter das Radar der UEE. Zero verkauft sein gewonnenes Material an einem Terminal, dann treffen wir uns in der Bar – und das Gespräch kommt unvermittelt auf die Gehirnmanipulationen nach Imprint. Beide hatten offenbar die Nachricht auf „Radio Infinity“ gehört.

Ich druckse ein wenig herum, dann erzähle ich, was ich weiß – von der Universal Claim Company und dem Mordanschlag, davon, dass ich auch schon komische Träume hatte, von meinem neuerlichen Zusammentreffen mit Smith. Beide schauen mich ungläubig an – Zero ist es ja mittlerweile gewohnt, dass ich ihm  seltsame Geschichte auftische. Er quittiert es mit Augenrollen und Schulterzucken. Hermieoth sieht das Ganze eher entspannt.

„Ich würde mir da jetzt nicht so große Sorgen machen“, sagt er, „solange man noch Herr der eigenen Sinne ist.“

Ich denke darüber nach, trinke aus. Dann verabschieden wir uns. Kaum habe ich mir ein Hub genommen, bin ich auch schon weggesackt – in ein fremdes Universum…

.

Rückkehr der Biker

„Wie viel? Dafür lege ich Zero ja selbst höchstpersönlich um…“

Ich blicke in verdutzte Gesichter.

„Mann, das war nur ein Scherz!“

Ich verdrehe die Augen – aber ein Viertelmillion Credits sind schon eine Menge Kopfgeld.

Ich kann kaum glauben, was mir Hermieoth da erzählt – offenbar dreht Ray Keaton nun völlig frei und hat auf Zero Sense ein Kopfgeld ausgesetzt.

Wir treffen uns als der klägliche Rest der “Crew” nach ein paar Wochen wieder – vom Hausmeister habe ich gar nichts mehr gehört, auch Ella ist verhindert.

„Also, wie soll es jetzt weitergehen?“

Gabriel steht mir auf der Port Olisar gegenüber.

„Wir besuchen Zero auf Grimhex, dort waren wir zuletzt auseinander gegangen. Er ist bestimmt immer noch dort.“

„Stimmt“, sage ich, „ist ja erst ein paar Tage her.“

„Und dann sollten wir ihm von dem Kopfgeld erzählen, wenn er es nicht ohnehin schon weiß.“

Alle in der Runde nicken – dann machen wir uns auf den Weg in Huskys „Shadowfax“. 

Es ist nur ein Katzensprung zu der alten Bergbaustation, doch Husky kann offenbar nicht anders, als auch auf diesen paar Metern ein paar haarsträubende Manöver zu fliegen. Es haut Hermieoth und mich aus den Latschen. Einmal Rennflieger, immer Rennflieger.

Auf Grimhex suchen wir Zero – und finden ihn in der dunkelsten und schäbigsten Ecke, die die Station zu bieten hat. Wir treffen ihn dabei an, wie er gerade irgendwelchen Technikkram zusammensucht. Als wir ihn von hinten ansprechen, zuckt er regelrecht zusammen – klar auf Grimhex muss man seine Augen stets überall haben. Erst Recht, wenn auf einen ein hohes Kopfgeld ausgesetzt ist. Wir erzählen ihm von Rays “großartigem” Plan – aber Zero weiß es schon. Er berichtet von irgendeinem Deal, der wohl außer Kontrolle geraten ist. Es scheint: Rays Zündschnur ist einfach extrem kurz.

„Der hat doch irgendein Psycho-Problem, um nicht zu sagen eine Vollmacke“, sage ich und erinnere mich, wie ich ihm fast auf die Stirn nageln musste, dass ich nichts über Zeros Treiben auf der Renaissance wusste. Egal – Menschen kann man nicht ändern, nur lernen, mit ihnen umzugehen.

„Lasst uns erstmal von hier abhauen“, schlage ich vor. „Je mehr du in Bewegung bleibst, umso geringer ist seine Chance, dich per Kopfgeld zu bekommen.“

Die anderen nicken zustimmend.

Wir fliegen zur Sicherheit mit zwei Schiffen zu einer Station, die in Stanton in einem Nebel versteckt ist. Unterwegs kommt mir der Traum der vergangenen Nacht wieder in den Sinn – die Mining-Höhle, das Artefakt, das Horror-Forschungslabor, New Atlantis, der Mars…es ist alles total präsent.

„Husky…?“

„Ja?“

„Wir hatten uns doch letztens über diese Träume unterhalten, diese implantierten Gedanken. Weißt du noch?“

„Klar…“

„Ich habe jetzt was voll Abgefahrenes geträumt. Alles hat sich total echt angefühlt.“

Ich erzähle ihm von meinen Traum-Erlebnissen.

Eine zeitlang sagt Husky nichts.

„Ich habe genau das Gleiche geträumt.“

„Was?“

„…ja, exakt das Gleiche.“

„Das gibt’s doch nicht!“

Das kann kein Zufall sein. Jetzt, da das Gerücht um implantierte Gedanken und Träume plötzlich real wird, bin ich doch geschockt. Wir sprechen ein wenig darüber, dann kommt die Station in Sicht.

„Darüber müssen wir uns in Ruhe austauschen.“

„Yep…“

Auf der Station suchen wir uns eine ruhige Ecke, beratschlagen, wie es nun mit unserer kleinen Gemeinschaft weitergeht – dann hat Husky eine Idee.

„Wie wäre es, wenn wir die Free Riders reaktivieren?“

Er holt kurz Luft, sammelt seine Gedanken.

„Ich fand es eigentlich eine coole Idee und irgendwas in mir brennt dafür. Und als Crew, die es ja eigentlich nicht mehr so richtig gibt, haben wir ja nun einiges erlebt…“

Er macht eine kurze Pause.

„…ich meine: Wir haben uns gezofft, aber auch wieder zusammengerissen. Wir waren füreinander da, als es drauf ankam. Ich finde, das bedeutet etwas.“

Wir hören ihm schweigend zu.

Husky hat Recht – warum etwas auflösen, wo es eigentlich gerade anfängt, interessant zu werden?

„Ich würde dafür auch meine Carrack zur Verfügung stellen. Als fliegende Werkstatt und FROS-Heim sozusagen.“

Wir machen kein langes Federlesen – und sind sofort dabei. Die Idee wird einstimmig angenommen.

„Gut, dann lasst uns darauf anstoßen.“

Wir laufen zur Bar der Station, doch zu trinken bekommen wir nichts – weiß der Himmel, wo der Barkeeper steckt. Doch davon lassen wir uns heute nicht runterziehen. Wir gehen ein Stockwerk tiefer und stoßen ganz banal mit Zuckerwasser aus einem Asia-Shop auf die Neugründung unserer Biker-Gemeinschaft an – vielleicht ist es sogar ganz gut, wenn man alles nicht immer gleich so überhöht. Dinge mit ultimativen Ansprüchen scheitern schließlich immer am schnellsten.

Ich nehme mir auf der Station ein EzHub – und kaum bin ich erschöpft eingeschlafen, habe ich das Gefühl, sofort wieder aufzuwachen

Journal-Eintrag 20 / 09 / 2953

Mein Mobiglas piept mitten in der Nacht.

Schlaftrunken öffne ich es.

Smith.

„Mr. Brubacker…“

„Smith, was zum…“

„Haben Sie schon Berichte zu Ihren Träumen geschickt?“

„Bin noch nicht dazu gekommen.“

„Vergessen Sie es. Wir sind auf dem Laufenden…“

So nach und nach kehren meine Sinne zurück.

„Wie das?“

„Wir, nun…“

Smith druckst ein wenig herum.

„Nun, bei unserem letzten Treffen habe ich Ihnen einen Transmitter ins Bier gemischt. Er ist schneller als gedacht durch Ihren Blutkreislauf gewandert und hat an Ihrer Hirnrinde angedockt. Wir können jetzt alles so auslesen.“

Sofort bin ich hellwach.

„Smith! Wollen Sie mich verarschen? Da ist ja wohl…“

Er hebt abwehrend die Hände.

„Tut mir leid, aber wir sichern uns immer doppelt ab. Es steht zu viel auf dem Spiel.“

„Und jetzt sind Sie in meinem Gehirn drin, oder was?“

„Exakt.“

Ich hätte ihm niemals trauen dürfen.

Ich sammle meine Gedanken.

„Ein Journalist, der nicht mehr Herr der eigenen Gedanken ist, kann seinen Job auch gleich ganz an Nagel hängen.“

Smith nickt.

„War nicht meine Entscheidung.“

Er atmet tief durch.

„Seien Sie in ihren Träumen jedenfalls mutiger, gehen Sie auch mal ungewöhnliche Wege. Herrje, wie oft sind Sie jetzt auf dieser Raumstation hintereinander gestorben? 20, 30 Mal?“

„Hab’ nicht mitgezählt“, antworte ich, immer noch fassungslos.

Ein Chip in meinem Gehirn ist das allerletzte, was ich wollte.

Er macht eine kurze Pause.

„Wie die Geschichte ausgeht, wissen wir. Die Frage ist, auf welche Art Sie Probleme lösen – und ehrlich gesagt, sind wir bisher nicht besonders beeindruckt. Und unsere Freunde auf der Gegenseite sicher auch nicht.“

„Ich hatte bisher noch kein Imprint.“

“Umso besser. Kennen Sie eigentlich noch jemanden, der betroffen ist?“

Ich zögere, Huskys Namen zu nennen.

„Möglicherweise…“

„Nennen Sie mir den Namen.“

Ich starre stocksauer auf mein Mobiglas. Wohl meine Wut spürend, lässt es Smith dabei bewenden. Dann ist das Gespräch beendet.

Ich falle mit dem Kopf zurück aufs Kissen.

So eine verdammte Scheiße.

_____________________________

Im Simpod

Der König ist tot – es lebe der König!

 Ganz so passt der Spruch sicher nicht auf das rein funktionale Ersetzen einer Raumstation – ein wenig hier aber schon, denn nun ist es tatsächlich passiert, nachdem zuvor jahrelang darüber spekuliert wurde: Port Olisar, seit Urzeiten Fixpunkt für Raumfahrer im Stanton-System, ist durch Inhaber Crusader Industries durch eine moderne, nüchterne Rest&Relax-Station mit allen Annehmlichkeiten ausgetauscht worden. Zwar haben die Konstrukteure die charakteristischen Ringe der alten Station übernommen, aber ansonsten ist alles neu.

Ich blicke auf der „Serphim“ genannten Station – benannt nach Engeln – hinab auf den Gasriesen Crusader. Gut, der spektakuläre Ausblick hat sich nicht geändert. Das ist immerhin etwas. Dennoch: Es wird nicht lange dauern und wir werden noch Port Olisar und ihre kurzen Wege vermissen…

Mein Mobiglas piept. Husky. Wir treffen uns auf Port Tressler. Per Funk hatten wir uns in den vergangenen Tagen darauf verständigt, dass wir als neu gegründete Biker-Gruppe gleich ganz groß auftrumpfen wollen – indem wir per Bike den Planeten Microtech umrunden. Wenn schon, denn schon.

„Husky, alles klar?“

„Yo, habe soweit alles vorbereitet. Es kann losgehen.“

„Ich mache mich auf den Weg. Bis nachher.“

Von dem Transmitter-Chip in meinem Kopf erzähle ich lieber nichts.

Ich rufe im Spectrum einen alten Artikel über Kate auf, die Microtech als erste bezwungen hatte.

 „Der März 2952 wird definitiv einen Vermerk im Archiv der Arche erhalten. Nach zwölf langen, frostigen Tagen und der Querung von 6997 Kilometer Wildnis hat Kate ihre Dragonfly wieder im Hangar von New Babbage geparkt. Sie hatte eine waghalsige Expedition unternommen und  hatte als erster Mensch überhaupt Microtech auf einem Hoverbike umrundet. Die Reise hatte ihr, ihrem treuen Navigator Will und dem Support durch Skunk Works alles abgefordert. In rund 30 Stunden reiner Flugzeit ging es in mehreren Etappen immer querfeldein über die Tundra und mitten durch tief unter dem Schnee schlummernde Wälder.

 Ganze Gebirgsketten müssten überquert werden, um zur nächsten Station inmitten der harschen Weiten des Planeten zu kommen. Um das Erreichen des nächsten Etappenziels sicherzustellen, schwebte Will ständig über Kate und wies ihr die richtige Richtung. Auf dem letzten Drittel der Strecke zur Umrundung Microtechs kam es zu einem Zwischenfall, der noch vor wenigen Jahren das Aus der Expedition bedeutet hätte.

 Beim Gleiten über Microtechs größten Ozean verlor die Dragonfly jeglichen Auftrieb, krachte durch die gefrorene Oberfläche und zog die Fahrerin in die Tiefe. Nur Dank der Imprint-Technologie konnte sie die gefährliche Expedition schließlich doch noch zum Erfolg führen. Ganz nebenbei klärte sich durch ihre Expedition auch die Frage nach zahlreichen in der Wildnis Microtechs verschollenen Bürgern.“

Da haben wir uns echt etwas vorgenommen. Was werden wir alles sehen und erleben? Höhlen, Schneestürme, unendliche Weiten, Tundra und Taiga: Gleichwohl gehen wir es auch etwas entspannter an – schließlich werden wir uns abwechseln können und es wird eine echte Gemeinschaftsleistung sein. Husky stellt für das waghalsige Unterfangen seine Anvil Carrack „FROST“ bereit. Sie wird unser Stützpunkt und Begleitschiff sein.

Ich mache mich auf den Weg. Unterwegs scrolle ich ein wenig in den Nachrichten zurück. Zero hat eine heiße Spur zu seiner „White Rabbit“. Doch um mehr herauszufinden, muss er auf Orison nun einen Computer hacken, eine höchst illegale Aktion. Hermieoth und Husky wollen ihm helfen. Chris Kross hängt da auch irgendwie mit drin. Soweit ich mich erinnere, hatte er bei einem „Scenic Cruise“ mal am Steuer der „Nordlicht eins“ gesessen. Ohne groß zu überlegen, biete ich Zero ebenfalls Unterstützung an. Falls wir auffliegen, fehlt eh nicht mehr viel und ich bin als Journalist in Stanton komplett verbrannt.

Microtech kommt in Sicht, ich lande mit der „Clarke II“ auf Port Tressler. Zero wird bei unserem heutigen Biker-Start nicht mit dabei sein, dafür lässt sich Ella mal wieder blicken. Und Hermieoth hat Chris Kross im Schlepptau. Wir sind also zu fünft. Wie immer hat Husky alles vorbereitet. Sogar mehrere Anzüge für unseren Biker-Start in Eis und Schnee hat er eingepackt. In solchen Dingen ist auf ihn echt Verlass.

Ich ziehe mich noch auf der Station um und schlüpfe in einen sauschweren, gepanzerten Caldera-Anzug mit integrierter Heizung. So wird es sich auf dem Bike aushalten lassen. Husky steuert die „FROST“ anschließend zum Rayari Deltana Outpost, unserem Startpunkt.

Er landet sicher, doch schnell merken wir, dass etwas nicht stimmt – das Schiff wird durch extreme Scherwinde zur Seite gedrückt. Kaum haben wir das Schiff verlassen, erfasst uns auch schon ein Blizzard aus Schnee und Eiskristallen. An einen gemütlichen Start auf Bikes zum großen Trip ist nicht mehr zu denken. In jedem Fall ist es aber ein Vorgeschmack auf das, was uns da draußen erwarten wird.

Sturmumtost und gebückten Schrittes laufen wir zurück in die Carrack, die sich trotz ihrer wuchtigen Landestützen kaum auf ihrem Landepad halten kann.

„Und jetzt?“

„Wir  müssen es verschieben“, sagt Husky.

Die anderen stimmen zu.

Husky läuft ins Cockpit und bringt uns aus der Gefahrenzone.

Bald docken wir wieder an Port Tressler an.

„Ich habe eine Idee. Wie wäre es mit einer Runde Arena Commander? Electronic Access hat ein großes Update aufgespielt. Und die haben hier Simpods auf der Station.“

„Warum nicht?“, antworte ich.

Wir ziehen die Schnee-Klamotten aus und machen uns auf den Weg. Gemeinsam sind wir nach ein paar Minuten in der perfekten Simulation der realen Welt abgetaucht. Zu viert bekämpfen wir virtuelle Piraten in kleinen, flotten Fightern wie Buccaneers und großen Kampfschiffen wie einer Hammerhead oder sogar eine Aegis Idris. So hautnah und echt habe ich das noch nie gesehen. Vor allem Hermieoth erweist sich als echtes Kampfass. Er allein zählt zum Schluss 34 Abschüsse. Seine Zeit bei den „Yellow Hands“  hat sich ausgezahlt. Der Mechaniker weiß nicht nur mit Schweißbrenner und Lötkolben umzugehen, sondern auch mit Laserwaffen.

Verschwitzt verlassen wir nach gut einer halben Stunde wieder den Simpod.

Es war viel Input auf einmal in den vergangenen Tagen. Ich fühle mich erschöpft und müde. Klar, dass mich da nun wieder eine intensive Traumphase erwarten würde…

.

Into the Wild

Husky scharrte bereits seit Tagen mit den Füßen. Er konnte es kaum erwarten, der Zivilisation zu entkommen. Keine Ahnung, wovor er vielleicht auch flieht.

Die kommenden Monate werden es zeigen.

Wir reiten auf unseren Bikes über die bis zum Horizont blau schimmernde Eisfläche in den wunderschönen Morgen des 27 / 09 /2993.

Dies ist – hoffentlich – der Beginn eines großen Abenteuers.

Husky  hatte vorher zum Taschenrechner gegriffen und als Scout eine grobe Route ausgetüftelt.

10.000 Kilometer Wildnis.

Ich spüre hinter dem gepanzerten Visier des Novikov-Helms selbst bei Höchsttempo auf meiner Nox kaum ein Lüftchen des eiskalten Windes – und habe doch das Gefühl, alles einmal hinter mir zu lassen.

Smith. Enos. Durchgeknallte Radioredakteure und andere Arschgeigen.

Ich drehe das Tempo noch ein wenig hoch und überhole Husky.

Seine Carrack hatten wir zuvor zu einem alten Outpost gebracht, wo sie uns nun als Ziel dient. Es sind nur 50 Kilometer bis dahin. Und doch ist es der erste große Schritt eines  großen Wagnisses.

Die Umrundung Microtechs.

Mann, das hätte ich schon viel eher machen sollen, schießt mir durch den Kopf.

Hermie zieht an meiner linken Seite an mir vorbei. Dann holt auch Husky wieder auf.

So geht es dahin und so langsam wird die Natur schroffer und abweisender. Der lang gezogene See, der westwärts von New Babbage wegführt, endet in diversen kleineren Buchten und Landzungen.

Wir halten an und steigen vom Bike.

Dann drehe ich mich auf dem See um.

New Babbage, die Zivilisation, ist hinter einem Nebelschleier verschwunden.

Into the Wild.

Journal-Eintrag 06 / 10 / 2953

 „…die Filter sind total verstopft. Die solltest Du dringend mal reinigen!“

Hermie kniet vor Huskys Bike und inspiziert es fachmännisch.

Soeben sind wir auf Microtech gelandet – in der Nähe der Stelle, an der wir beim letzten Mal die Tour beendet hatten.

„Okay, werde mich drum kümmern“, gibt Husky zurück. Er wird beim nächsten Streckenabschnitt zunächst auf seiner „FROST“ bleiben und uns den Weg scouten.

Hermie und ich machen uns unterdessen startklar und quetschen uns wieder in den unbequemen, sauschweren Novikov-Anzug. Ohne geht es allerdings nicht. Das Thermometer zeigt außerhalb des Schiffes Minus 90 Grad Celsius an. Wir biken im Wortsinne in einem Eisschrank.

Vorsichtig bugsieren wir die Bikes rückwärts aus dem Schiff, dann machen wir uns auch schon wieder auf den Weg – Leg Nummer zwei auf diesem Wahnsinns-Unterfangen. Ich höre dumpf, wie Husky hinter mir die Carrack wieder in den Himmel bringt, dann schießt er im Tiefflug auch schon über uns hinweg und weist uns fortan den Weg. Rund 200 Kilometer wollen wir heute schaffen.

Die ersten Kilometer geht es flott dahin über pechschwarzes Eis, der beständige Wind hat über weite Strecken auch noch die letzten Schneefetzen davon geweht. Bald jedoch nähern sich die eben noch in der Ferne glitzernden Berge und wir müssen uns den Weg durch Schnee und zwischen dichten Wäldern freikämpfen.

Immer wieder beschlägt mein Visier, ich höre die Nox unter mir vibrieren und den Motor jaulen, wenn Schnee vom Gebläse angesaugt, durch die Ritzen des Aggregats gequetscht wird und dann unter Druck und Hitze verdampft. Ich bin gespannt, wie lange die Maschine das durchhält. Garantiert hatte der Hersteller der Nox nicht im Sinn, dass man sich mit seinem Bike über tausende Kilometer durch Eis- und Schneegestöber quält.

Irgendwann, mitten im Nirgendwo, machen wir eine Pause. Husky ist mit der Carrack zu unserem Tagesziel vorgeflogen und kehrt nun mit dem Begleitschiff zurück. Wir wechseln – jeder soll auf der Tour schließlich zu seinem Recht kommen.

„Keine Kratzer, okay?“, sage ich, bevor ich abhebe.

„Indianer-Ehrenwort.“

Ich höre über Funk, wie sich Husky anschließend ebenso abmüht – tja, querfeldein ist eben etwas anderes als eine saubere Rennstrecke. Ich grinse mir eins, stelle das kleine Begleitschiff der Carrack auf Autopilot, lege die Füße hoch und genieße die weiße, vorbei gleitende Traumlandschaft unter mir.

Schneller als gedacht, kommt auch schon unser Ziel in Sicht. Vor der Höhle, die Husky als Ziel ausgewählt hatte, liegt ein hoher Berg. Ich lande auf dem Bergrücken und stapfe zur Spitze hinauf. Dann genieße ich die mich umgebende Stille und schaue in die Ferne. Was für ein majestätischer Ausblick!

Ich merke nicht, wie unter mir der Schnee wegsackt – und schon stürze ich in die Tiefe. Es sind bestimmt 20 Meter, bis ich in einer Felsspalte hängen bleibe. Der Novikov-Anzug verhindert Schlimmeres, aber ich spüre sofort, dass ich mir etwas gebrochen habe. Es ist das linke Bein. Herrgott – hatte ich nicht letztens noch so daher geredet, dass Glück und Pech auf dieser Reise nah beieinander liegen werden?

Offenbar hören die beiden anderen mein Stöhnen.

„Bru, alles okay?

„Nope.“

Ich erzähle von meinem Missgeschick.

„Sind gleich da“, sagt Hermie. „Wir kommen direkt zu dir und holen dich mit der Pisces raus.“

„Alles klar.“

Ich versuche mich so wenig wie möglich zu bewegen, dann steht Hermie auch schon über mir. Er versorgt mein Bein mit der Medipistole, dann bugsieren mich Husky und Hermie mit dem Traktorstrahl in das kleine Schiff.

„…der Bru – irgendwie immer ein Klotz am Bein“, sagt Husky.

Ich muss laut auflachen.

„Danke, sehr nett…“

„Los, wir bringen dich auf die Krankenstation der Frost.“

Minuten später humple ich über das Schiff, dann strecke ich mich auf der Krankenliege aus. Den Rest erledigt die Maschine und kurz darauf ist mein Bein wie neu.

„Zurück nach Port Tressler“, sagt Husky. „Die Höhle heben wir uns für das nächste Mal auf.“

Ich nicke matt. Ein Absturz pro Tag reicht.

Von dem kleinen Unfall mal abgesehen, lässt sich die Tour aber ganz gut an – und es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass uns etwas passiert. Sonst muss man mit dem Hintern zu Hause bleiben.

Journal-Eintrag 10 / 10 / 2953

Die nächste Etappe unserer Microtech-Umrundung steht nur wenige Tage später an – wir haben Blut geleckt. Ich habe mich nach meinem Sturz komplett erholt. Von Port Tressler geht es wieder hinab auf den Planeten, mit einem kurzen Abstecher bei New Babbage.

Husky parkt die „Frost“ millimetergenau vor den Garagen. Ich will mein Bike reparieren lassen, doch die Terminals spinnen mal wieder. Schließlich bekomme ich nicht einmal mehr meine Maschine zurück. Es scheint überall das Gleiche zu sein – oberflächlich viel Glanz und Gloria, darunter verrottete Kabel. Kurzum: Wir müssen heute mit nur einer Nox und Hermies Dragonfly klar kommen.

Dafür ist ein alter Bekannter mit dabei: Valentin Benz. Er war Gründungsmitglied der „Free Riders“, wir waren uns schon einige Male über den Weg gelaufen. Wie Husky, scheint er auch so seine dunklen Seiten zu haben. Wenn ich mich recht erinnere, lebt er auf der alten Piratenstation Grimhex.

Er begrüßt mich wie einen alten Kumpel.

„Bru…alter Kollege…“

„Äh…hi.“

„Wie läuft’s?“

„Öhm…ja….okay.“

„Kennst mich nicht mehr?“

„Ich…du, sorry.“

Schließlich klingelt es bei mir aber doch. Hermie hatte Val wieder mit angeschleppt.

Wir fliegen mit der „Frost“ zu unserem letzten Etappenpunkt – und aus der Luft erkennen wir, dass wir schon ein gutes Stück zurückgelegt haben. Husky hat die Orientierung genauso wie sein Großvater im Blut. Nach ein paar Wendungen mit dem Schiff findet er die Höhle. Kurz nach der Landung machen wir uns zu viert auf hinab zu steigen. Unsere Schritte der schweren Eisenschuhe der Novikov-Anzüge hallen laut auf dem Gestein wider und werden als Echos von den kahlen Wänden zurückgeworfen. Es klingt, als würde pausenlos ein Hammer auf einen Amboss schlagen.

Wir wollen nichts minern, auch niemanden bergen – es ist eine reine Sightseeing-Tour. Umso blöder ist, als plötzlich Vals Schrei durch die riesige Grotte hallt. Irgendwie muss er ein Stück unter mir abgestürzt sein. Husky eilt ihm zu Hilfe.

Ich höre, wie die Worte hin- und hergehen, wie gestöhnt und geächzt wird, dann hat ihn Husky offenbar mit einem Traktorstrahl am Haken. Wir sehen zu, dass wir die Höhle wieder verlassen, bevor noch Schlimmeres passiert. Draußen hat sich der Schneesturm unterdessen zu einem Blizzard entwickelt. Anfängerglück ist uns auf unserer Tour jedenfalls nicht beschieden.

Egal – das müssen Mensch und Maschine abkönnen und so reiten wir wenige Minuten später los, ich auf Huskys Nox, Hermie auf seiner Dragonfly mit Valentin als Sozius.

Es geht flott dahin, während langsam die Sonne hinter dem Horizont versinkt. Immer wieder wische ich mit der Hand über mein Visier – als es auch schon passiert. Ich rase frontal gegen einen Baum und meine Nox explodiert. Das nächste, was ich wieder wahrnehme, ist, dass ich auf der Krankenstation der „Frost“ liege.

„Bru…?“

„Hm..?“

„Wir fahren weiter, okay. Damit wir wenigstens noch ein paar Kilometer heute schaffen.“

Mir tut alles weh, ich versuche einen klaren Kopf zu fassen.

„Alles klar, ich bleib einfach hier liegen.“

„Nimm dir Zeit.“

Ich schließe die Augen.

Draußen heult der Sturm.

Drei Etappen – und ich bin bereits einmal in die Tiefe abgerutscht und explodiert. Val ist in einer Höhle abgestürzt. Wollen wir Microtech überleben, müssen wir dringend besser lernen, Land und Gelände zu lesen.

Journal-Eintrag 17 / 10 / 2953

 „In Deckung!“

 Ich weiß nicht, wer das brüllt, ziehe aber instinktiv den Kopf ein. Nur Momente später kracht das kleine Rennschiff auch schon in den Hangar der „FROST“.

Sofort gehen ein paar der zuvor mühsam eingeparkten Bikes in Flammen auf.

„So ein Arschloch! Der hat wohl Langeweile.“

 Der Start zu unserem nächsten „Into the Wild“-Streckenabschnitt auf Microtech steht alles andere als unter einem guten Stern. Auch das Schiff selbst hat etwas abbekommen und so heißt es zunächst: zurück in den Hangar.

Und das ausgerechnet heute, wo wir gleich zu  fünft in die Wildnis aufbrechen wollen. Zero Sense lässt sich mal wieder blicken und Chris Kross ist auch wieder mit am Start. Doch es hilft alles nichts – es heißt: von vorn anzufangen. Wer aber hatte behauptet, dass die Umrundung eines ganzen Planeten eine einfache Sache sein würde, Idioten inklusive.

Gut eine Stunde später sind wir wieder startklar – und diesmal klappt alles, zumindest bis zur Suche unseres Startpunktes. Hermie und Husky kriegen sich fast in die Haare, als sie aus eisiger Höhe die Stelle suchen, an der wir das letzte Mal die Tour beendet hatten.

Meine Augen schweifen ebenfalls über die Eiswüste unter uns, doch für mich sieht das alles gleich aus – und so halte ich lieber die Klappe. Die Stimmung ist eh nicht die beste. Wir fliegen kreuz und quer, dann kommt das Ziel doch noch in Sicht: ein Berg, der inmitten eines riesigen Ozeans aus dem Wasser ragt.

Zero kommt mit seinem kleinen gestohlenen Bergbauschiff und begleitet den Streckenabschnitt aus der Luft – ich ahne, ich werde mir wieder manch’ dumme Sprüche anhören dürfen. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

„Zero alles klar bei dir? Schön, mal wieder was von dir zu sehen.“

„Yo, alles schön trocken und warm hier oben.“

„Na dann.“

Chris Kross, Hermie und ich schwingen uns auf die Bikes – rund 150 Kilometer liegen vor uns.

Geht es zunächst noch über glattes Eis, so hat uns bald wieder die Wildnis verschluckt – und schnell zeigt sich: Dieser Abschnitt wird schwieriger als erwartet. Riesige Klamotten ragen wie Monolithe aus dem Boden, es geht steile Böschungen hinab und Bergkämme hinauf. Wir sind froh, dass uns zwei Schiffe aus der Luft begleiten.

Bald schon tut mir von dem ständigen Geholper der Hintern weh, auch verkrampfen meine Finger, während ich versuche, die Nox auf Kurs zu halten.

Weiter, immer weiter. Keine Schwäche zeigen.

Zum ersten Mal beschleicht mich nach der Anfangseuphorie leiser Zweifel, auf was wir uns da eingelassen haben.

Hermie und Chris fahren weit vor, Husky scoutet wie immer die Strecke.

Mehrfach kann ich nur im letzten Moment Felsbrocken ausweichen, auch werden die Wälder dichter. Ein ums andere Mal rase ich nur knapp an Bäumen vorbei und der Schnee von den Ästen fliegt mir um die Ohren.

„…Leute, wie weit noch?“

Ich krächze die Worte mehr, als ich sie sage.

„Zirka 80 Kilometer.“

„80…“

„Bru, du fährst falsch! In der Richtung ist nur zerklüftetes Gelände. Da kommst du nicht durch.“

„Danke Zero, aber hier ist eine Schneise.“

Ich folge meinem Weg, muss aber schnell erkennen, das Zero Recht hat. Kein Durchkommen.

Missmutig drehe ich um – wenn man auf diesen Trip wohl eins lernt, dann auf seine Freunde zu hören.

„Bru…“

„Schon gut, hab’s verstanden.“

Ich reite auf meiner Nox weiter den anderen hinterher. Schließlich erreiche ich sie durchgefroren und durchgeschüttelt auf einer Anhöhe. Die Sonne ist untergegangen, die letzten Kilometer habe ich in absoluter Dunkelheit hinter mich gebracht.

„Ich kann nicht mehr.“

„Dann komm an Bord“, antwortet Husky.

Ich stelle die Nox im Hangar der „FROST“ ab und ziehe mich um. Auch Chris hat die Segel gestrichen.

Hermie ist der letzte, der jetzt noch fährt – aber das macht nichts: Nur ein F.R.O.S.-Mitglied muss biken. Ich blicke aus der Cockpitscheibe in die Dunkelheit – Husky sitzt konzentriert und schweigsam am Steuer seines Schiffes. Um uns herum zieht die Schwärze der Nacht vorbei. 

Schließlich erreichen wir unser Ziel. Husky versucht noch eine Weile, unser Ziel – erneut eine Höhle –zu finden. Dann lassen wir es dabei bewenden und kehren nach Port Tressler zurück.

.

Sperrzone

„Setzt Euch die Spritze, wir nähern uns der Sperrzone.“

Mir ist alles andere als wohl bei der Sache – doch mit gefangen, mit gehangen.

Ich gebe mir das Mittel, das binnen Sekunden meine Vitalzeichen auf ein Minimum dämpfen wird, in den rechten Oberarm. Schon nach wenigen Augenblicken wird mir schwindelig.

„Husky…“

„Keine Panik, das legt sich gleich wieder.“

Wir sitzen zu dritt bis auf die Unterhose ausgezogen, um verräterische Signaturen soweit wie möglich zu reduzieren, im Crewquartier der „FROST“ und harren der Dinge, die da kommen mögen. Husky macht unterdessen letzte Kurskorrekturen. Dann will er sich die Spritze auch geben und das Schiff für ein paar Minuten führerlos sich selbst überlassen, während es in die Atmosphäre von Crusader stürzt.

Was für ein Wahnsinn, geht mir durch den Kopf – aber was macht man nicht alles für seine Freunde. Wir wollen unbemerkt in die Sperrzone auf der Wolkenstadt Orison eindringen – auf diejenigen Plattformen, die vor ein paar Monaten von den Ninetails angriffen worden waren und auf denen diese ein Massaker veranstaltet hatten. Ich hatte gehört, dass sie ohne Gnade gewütet hatten.

Während ich langsam wegdämmere, sinniere ich: Woher nur kommt dieser Hass, vielleicht auf ein unerreichbares, besseres Leben? Oder war es nur profane Gier? Wo früher das Leben war, ist jetzt jedenfalls der Tod, ein Tatort, von Crusader Industries abgesperrt. Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, diesen Ort zu meiden.

Der Grund, warum wir ihn jetzt dennoch anfliegen: Zero vermutet dort einen Computer, auf dem er ein kleines Software-Script schreiben kann, mit dem er dann wiederum seine Einträge bei Hurston Dynamics löschen möchte, um sich so wieder frei im Stanton-System bewegen zu können. Mit dabei ist neben Zero, Husky und mir auch noch Hermie – kurzum: die halbe Mannstärke der „Crew“. Husky und Hermie hatten die Lage vor wenigen Wochen bereits sondiert und herausgefunden, dass es rein technisch durchaus möglich ist, unbemerkt in die Flugverbotszone einzudringen. Zwar werden auf den Schiffen dann automatisch die Steuer übernommen – da die Carrack „FROST“ aber zwei davon hat, kann man dies umgehen. Es ist quasi eine Lücke im Sicherheitssystem.

Ich denke daran, wie ich noch kurz zuvor mit einer kleinen Aurora friedvoll nach Grimhex gesprungen war, wo wir uns getroffen hatten und Zero uns erklärt hatte, was er vorhat – jetzt stecken wir schon wieder voll drin im Schlamassel. Hermie hat mir einen fetten Kampfanzug mitgebracht – gut, darunter werde ich kaum zu erkennen sein. Garantiert werden auf den Plattformen noch Kameras scharf geschaltet sein. Ich komme mir vor wie ein Frontreporter.

Ich komme langsam wieder zu mir, die anderen ziehen sich bereits an.

„Geschafft! Wir sind durch. Ich setze euch da unten ab.“

Wir blicken zur Cockpitscheibe der „FROST“ hinaus und sehen, wie die gesperrte Plattform immer näher kommt. Nur Minuten später verlassen wir das Schiff.

Hermie macht die Vorhut – und es dauert nicht lang, bis wir die ersten Spuren der vergangenen Kämpfe sehen: umgestürzte Fahrzeuge, Barrikaden, verkohlte Überreste – und Leichen. Zero kann nicht an sich halten und entkleidet eine.

„Geht’s noch?!“, fragt Hermie geschockt. „Das ist Leichenfledderei!“

Zero blickt nur kurz auf.

„Das sind nur noch tote Körper – die hatten alle ein Imprint. Außerdem komme ich aus der Wüste, da lässt man nichts liegen und verkommen.“

Hermie schüttelt fassungslos den Kopf, dann klärt er in sich gekehrt weiterhin die Gegend auf. Später werden wir erfahren, dass er bei dem Massaker dabei war und als Mitglied der Söldnertruppe „Yellohands“ versucht hatte, das Schlimmste zu verhindern.

Auch ich fange mir bald einen Rüffel ein.

„Bru, bitte hinter mir bleiben, wir wissen nicht, ob hier noch jemand unterwegs ist.“

„Alles klar.“

Doch schnell nimmt meine Neugier wieder überhand.

„Bru…“

„Okay, okay.“

So schleichen wir über die Plattformen. Es zeigt sich: Leben und Tod liegen nah beieinander. Die Kampfspuren bilden einen krassen Kontrast zu der idyllischen Umgebung mit ihren Restaurants, Entspannungsecken, Showrooms und leise im Wind raschelnden Bäumen. Scheiben glitzern in der Nachmittagssonne, wie ein Hohn wiegen sich Blumen im Wind. Und doch ist alles tot: Alle Büros und Wohnungen in den großen Türmen sind geräumt. Mehr noch: Alles scheint wie bei einer Flucht Hals über Kopf verlassen worden zu sein.

„Wohin jetzt?“

„In einen der großen Türme. Oben soll es Büros der Administratoren geben“, sagt Zero.

„Okay.“

Nachdem wir uns auf einer Wegweiser-Tafel orientiert haben, betreten wir auch schon ein Gebäude. Der noch funktionsfähige Aufzug bringt uns in die oberste Etage. Dort finden wir tatsächlich ein Büro – und Zero macht sich sofort ans Werk.

Ich schaue mich unterdessen um – erneut zum Ärger Hermieoths.

„Bru, du latscht wie auf dem Präsentierteller vielleicht gleich in den Tod.“

„Sorry.“

Irgendwie hat Hermie einen ganz schönen Befehlston drauf. Na ja, das geht einem wohl ins Blut über, wenn man jahrelang bei einer Söldnertruppe beschäftigt war. Doch ist alles verlassen – außer uns ist keine Menschenseele weit und breit zu sehen. Echte Gefahr besteht kaum. Hier oben, wo die bessere Gesellschaft feiert, zeigt Crusader Industries dafür sein wahres Gesicht. Ausgestellt ist neben den Raumschiffen des Herstellers auch die MOAB – die „Mutter aller Bomben“, wie sie heißt. Wo nur noch Geld die entscheidende Rolle spielt, hat die Moral keine Chance mehr, denke ich. Friedrich hat Recht mit seiner Kritik an Crusader Industries. Was nützen all die schönen Schautafeln mit wohlwollenden Sätzen, wenn man nicht danach lebt?

„..ich hab’s. Bin fertig“, schallt Zero’s Stimme aus dem Computerraum.

„Dann lass uns aus diesem riesigen Grab abhauen!“

„Es fehlt noch ein Hackingchip. Den bekomme ich vielleicht auch hier.“

Wir durchsuchen ein Restaurant, ob jemand in der Hektik des Überfalls vielleicht etwas liegen ließ, dann deutet Zero auf eine weitere gesperrte Plattform, die über uns schwebt.

„Vielleicht dort…“

„Herrje, Zero…“

„Jetzt sind wir eh schon dabei.“

Husky holt uns mit der „FROST“ ab, dann nehmen wir das kleine Tochterschiff und gehen erneut auf die Suche. Auch auf dieser Plattform das gleiche Bild: Verwüstung und Tod überall vor malerischer Kulisse.

„Wenn mich nicht alles täuscht, wurden wir hier das letzte Mal von Geschütztürmen beschossen“, sagt Hermie.

„Also jetzt bitte besonders vorsichtig.“

Wir folgen ihm, infiltrieren ein weiteres Gebäude, suchen fieberhaft nach Etwas, das Zero weiterhelfen könnte. Doch: Fehlanzeige. Schließlich findet Zero ein Art elektronischen Zugang. 

„Damit sollte es auch….“

…Alarm!

„Wir müssen sofort weg von hier!“, sagt Hermie, ruhig aber eindringlich. Auch Husky drängt.

Wir hören, wie ein Countdown herunterzählt, haben aber keine Ahnung, was danach passieren wird. So schnell wir können, rennen wir zum Tochterschiff der „FROST“. Kurz darauf landet Hermie und wir sind auf und davon. Zurück auf Grimhex wird uns klar, wie sehr es Hermie getroffen hat, diesen Ort erneut besucht zu haben – und warum er ein für allemal die Waffen an den Nagel hängen will.  

Er hat genug vom Tod.

Höchste Zeit, ins Leben zurückzukehren.

.

Eine Ahnung

Ich wache schweißgebadet auf.

Irgendetwas stimmt ganz und gar nicht mit mir.

Dass mich meine Träume in ein fremdes Universum entführen, daran habe ich mich fast schon gewöhnt, dass ich benutzt werde wie ein Versuchskaninchen – aber das…

…das fühlt sich ganz anders an.

Nach Schmerz und Trauer. Nach Überleben. Nach Abschied. Kurz: nach Krieg.

Dem großen Krieg.

Mir völlig unbekannte Personen kommen mir doch sehr vertraut vor, Namen, Orte, an denen ich noch nie gewesen bin, Bilder, die sich mir doch eingebrannt haben…es ist alles unsortiert, verschwommen – scheint aber doch real.

Erschreckend real.

Ich muss dringend mit Smith darüber sprechen – und hinterlasse eine Nachricht.

Kurz darauf meldet er sich zurück.

„Mr. Brubacker…John…“

Er sieht fast ein wenig verstört aus, sucht die richtige Worte.

„…es sind Ihre richtigen Erinnerungen. Tief in Ihnen begraben. Das Rumpfuschen in ihrem Gehirn, das Auslesen, muss sie an die Oberfläche geholt haben…anders kann ich es nicht erklären…“

Smith blickt mich intensiv an, dann räuspert er sich. Offenbar weiß er nicht, was er noch sagen soll.

„…eine gute Nachricht habe ich aber…“

Ich schaue auf.

„Die UCC hat offenbar das Interesse an Ihren verloren.“

„Ich verstehe nicht ganz…“

„Ihre Gehirnwellen während der REM-Schlafphase haben sich normalisiert. Es sollte nicht mehr lange dauern und das fremde, künstlich implantierte Universum sollte aus ihrem Unterbewusstsein verschwunden sein. Unser Transmitter registriert kaum noch etwas.“

„…vielleicht waren Sie einfach nicht interessant genug. Haben zu wenig draus gemacht…“

„Smith, das ist…“

„…seien Sie doch froh! Den Transmitter werden sie bald ausscheiden. Wenigstens haben Sie in Ihren Träumen mal Mars, Erde und Mond einen Besuch abgestattet. Wer kann das schon behaupten?“

Ich muss unwillkürlich lächeln.

„Und die anderen Träume..?“

Smith blickt mich einen Moment ruhig an.

„Wie gesagt: keine Träume, echte Erinnerungen. Das haben Sie wirklich erlebt. Sie waren dort.“

Ich sitze im EzHub, zittere am ganzen Körper.

Wer zum Henker bin ich?

.

Der Dieb

Es ist der ganz schnelle Schatten eines Arms.

Er schießt aus der dunklen Ecke hervor und zieht sich sofort wieder darin zurück.

Kaum drehe ich mich um, springt mir der Junge auch schon durch die Beine und rennt auf und davon.

Mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter, denn ich weiß sofort, was passiert ist – der Kerl hat mir mein Mobiglas gestohlen.

Mit einer rasend schnellen Fingerbewegung ließ er den Verschluss aufschnappen und sich das Mobiglas in die eigene Hand fallen.  Dann war er auch schon weg. Ich renne hinterher. Wenn er mir entwischt, bin ich verloren. Darauf sind alle meine Kontakte, alle meine persönlichen Informationen…

Die Station Port Tressler ist riesig – jetzt kommt sie mir gleich noch einmal doppelt so groß vor. Der Junge kann überall sein.

Ich überlege, zum  Admin-Office zu gehen. Nein, dann ist er garantiert über alle Berge. Ich muss das allein lösen – und zwar in den nächsten Minuten.

Ich blicke mich fieberhaft um. Um mich herum nur desinteressierte Gesichter.

Dann zittern in einem dicken Blumenkübel direkt vor mir ganz leicht die Pflanzen. Ich greife in den dünnen Spalt zwischen Kübel und Wand und zerre den Jungen heraus.

Wutentbrannt blicke ich ihn an.

„Sag mal, hast du sie noch alle, mich zu beklauen?“

Ich reiße ihm mein Mobiglas aus der Hand.

Der Junge legt den Kopf schief.

„…musst auf deine Sachen eben besser aufpassen!“

„Das ist alles was dir einfällt?“

Er zuckt mit den Schultern.

„Ist’n hartes Leben. Man muss nehmen, was man kriegen kann.“

Ich bin drauf und dran, ihn am Schlafittchen zu packen und zum nächsten Advocacy-Büro zu schleppen. Doch dann schaue ich ihn mir genauer an.

Abgerissene Klamotten, schmutzige Hände, dürr – dafür helle, wache Augen.

„Wo kommst du her?“

Wieder zuckt er mit den Schultern.

„Wenn du mir nicht gleich ein paar Antworten gibst, bringe ich dich zur Advocacy.“

„Mach doch! War bei denen schon tausend Mal. Lassen mich eh wieder laufen.“

„Hör mal…“

Er dreht sich um, will wegrennen, doch ich bin schneller und packe ihn am Arm.

„Lass los!“

Ich halte inne, schaue ihn genauer an.

„Wie alt bist du?“

„Weiß nicht.“

Ich schätze ihn auf zwölf, vielleicht dreizehn Jahre.

„Herrgott…hast du Hunger?“

Er nickt sofort.

„Komm mit!“

Ich schleppe ihn zur nächsten Würstchenbude.

„Wie viele Hotdogs willst du?“

„Drei“, antwortet er ohne zu zögern.

Ich blicke ihn kurz an, doch der Junge starrt nur geradeaus.

„Vier Hotdogs“, sage ich zu dem Verkäufer.

Wir suchen uns eine Bank.

Der Junge schlingt sie herunter.

„Langsamer, sonst kriegst du garantiert Bauchschmerzen. Wie heißt du?“

Doch der Junge antwortet nicht.

Dann, zwischen zwei Bissen, sagt er schließlich: „Hab’ keinen Namen.“

„Quatsch, jeder hat einen Namen.“

Es dauert ein paar Sekunden, dann bringt er ein undeutliches „Killer“ hervor.

„Killer? Das ist doch kein Name.“

„Heiße aber so.“

Ich habe meinen Hotdog fast aufgegessen und will mich verabschieden.

„Nun, mach’s gut…Killer.“

„Haste nen Schiff?“

„Ich…“

„Haste oder haste nicht?“

„…doch, hab’ ich.“

„Was für eins? Ich kenn alle.“

„Ach ja?“

„War schon fast auf allen drauf. Bin ein super Co-Pilot.“

„Wirklich?“

Ich unterdrücke ein Lachen.

Der Junge nickt fest.

„Machst’ keinen Fehler, wenn du mich mitnimmst. Will das ganze Universum sehen. Hier sind nur Arschlöcher.“

„Ich…tut mir echt leid, aber…“

„…hab’ ich mir eh schon gedacht.“

Er verdrückt den letzten Bissen und eine Sekunde später ist er um die nächste Ecke verschwunden.

Journal-Eintrag 31 / 10 / 2953

Der Schreck über mein fast geklautes Mobiglas steckt mir noch tief in den Knochen, als wir uns zu unserer nächsten Etappe für die Microtech-Umrundung auf Port Tressler treffen.

Wir haben diesmal volles Haus – fast die gesamte Crew-Stärke ist da, nur Zero ist kurzfristig verhindert. Wie immer haben Husky und Hermie alles vorbereitet, die „FROST“ beladen und ausgerüstet, sodass es relativ flott losgehen kann. Auch der Anflug zu unserem Startpunkt gelingt diesmal besser. Und: Anders als beim letzten Mal werden wir eine Fahrt am Tag absolvieren.

Husky bringt sein Schiff zu unserem Startpunkt, dann schwingen sich Hermie und Ella sowie Husky auf die Bikes. Chris Kross steuert die Carrack – und ich genieße den Ausblick von der oberen Brücke.

Bald schon verändert der Planet sein Gesicht: Aus der Schneewüste wird eine Tundra mit immergrünen Pflanzen. Für die Biker geht es durch tiefe Täler, vorbei an riesigen Gebirgen und Gesteinsformationen. Über Funk höre ich sie jauchzen und Spaß an der Tour haben.

So soll es sein, dafür sind wir hier!

„Bru, willst du nicht doch mal? Ist echt wunderschön…“, fragt Husky über Funk.

„Doch, gern.“

Chris Kross sucht eine geeignete Landestelle, dann tauschen Husky und ich die Plätze. Und in der Tat: Es ist wunderschön. Mal wandert mein Blick in die Ferne, dann tauche ich wieder in die unmittelbare Umgebung ein. Mehrfach passieren wir tiefe Krater die von Meteoritenbeschuss herrühren müssen.

„Dieser Planet hat mehr Geheimnisse, als man zunächst denkt“, sagt Hermie.

Immer wieder stoppen wir, genießen die weitläufige, einsame Landschaft. Alte, ausgetrocknete Flussläufe durchziehen den Planeten wie Lebensadern. Es wirkt alles unheimlich friedlich, nein, es ist friedlich und mich überkommt eine innere Ruhe, nach der ich mich schon lange sehne. Ich denke an den Jungen auf Port Tressler.

So biken wir vor uns hin, aus der Carrack hören wir Kommandos, dann tauschen Husky und ich noch einmal die Plätze. Insgesamt ist es jetzt nicht der spektakulärste Streckenabschnitt, aber doch einer, der vor allem die ganze Schönheit Microtechs zeigt und was den Planeten in seinem Kern ausmacht.

Nach rund drei Stunden Fahrzeit und zirka 200 Kilometern zurückgelegter Strecke steigen wir glücklich von unseren Bikes ab und genießen an unserem Zielort, einem großen Eissee, einen wunderschönen Sonnenuntergang.

So kann es weitergehen.

___________________________________

Zurück auf Port Tressler.

Das Geschrei hallt durch die gesamte Station. Es klingt, als würde jemand am Spieß gebraten werden, hoch und schrill.

Ich drehe mich um, um zu schauen, woher das Gebrüll kommt. Dann sehe ich es.

Ein stämmiger Mann stößt „meinen“ kleinen Dieb brutal vor sich her. Abhauen kann er jedoch nicht – der Mann hat ihm Handschellen angelegt.

„…Advocacy?“, brüllt der Mann unter seinem Helm, „ich scheiße auf die Advocacy! Ich werde dich auf dem nächsten Sklavenmarkt verscherbeln, an irgendeinen Banu. Da kannst du dann dein erbärmliches Leben fristen. Das wird dir eine Lehre sein, andere zu beklauen. Vorwärts!“

Der Junge heult und schreit in einem Atemzug.

Ohne groß nachzudenken, mache ich einen großem Satz und lande direkt vor den beiden.

Der Mann stoppt abrupt.

„Wer sind Sie denn?“

Er blickt mich misstrauisch an.

„Ich bin sein Vormund.“

„Unsinn, das ist nur ein kleiner Dieb.“

„Sie irren, er gehört zu mir. Lassen Sie ihn los!“

„Er hat mich beklaut und jetzt erhält er seine gerechte Strafe.“

„Wie ich schon sagte…“

„Können Sie das beweisen, haben Sie Papiere?“

Ich blicke dem Mann fest in die Augen.

„…tun es auch hunderttausend Credits?“

Sowohl die Augen des Mannes als auch die des Jungen werden riesengroß.

„Hundert…?“

„Sofort auf der Stelle.“

Der Blick des Mannes wechselt von erstaunt sofort wieder zurück auf misstrauisch.

„Das ist ein Trick…ihr arbeitet zusammen.“

„Nein…aber Sie können natürlich auch den weiten Weg ins Banu-Protektorat auf sich nehmen und wer weiß, was man Ihnen dort dann zahlt.“

Der Mann reibt sich das Kinn.

„Okay. Aber wenn das Schwarzgeld ist oder so…ich finde euch.“

„Schon klar.“

Der Mann löst die Handschellen, checkt auf einem Mobiglas den Geldeingang, nickt kurz, ruft sein Schiff am Terminal und ist im nächsten Fahrstuhl verschwunden.

Killer steht wie vom Donner gerührt vor mir.

„Du wolltest doch das Universum sehen…das ist deine Chance.“

.

Killer

„…dann mal raus mit der Sprache. Woher kommst du?“

Killer druckst herum, schließlich fängt er aber doch an zu reden.

„Ich bin aus einem Waisenhaus in Lorville auf Hurston. 500 Kinder in einem riesigen Schlafsaal. Irgendwann bin ich abgehauen. Ist keinem aufgefallen.“

„Verstehe – und seitdem klaust du?“

„Von irgendwas muss man leben.“

Ich nicke. 

„Hast du schon mal jemanden umgebracht?“

Der Junge schüttelt vehement den Kopf.

„Warum heißt du dann Killer?“

Er zuckt mit den Achseln.

„Klingt gefährlicher.“

Er blickt sich ehrfürchtig im Schiff um.

„Davon habe ich schon immer geträumt.“

Er macht eine Pause.

„Die meisten von uns kommen nie von dem Ort weg, an dem sie geboren wurden.“

„Wen meinst du?“

„Diebe, arme Schlucker, Leute, die es nicht schaffen, Bürger zu werden. Die meisten aus Lorville.“

Er nestelt mit seinen Händen herum.

Ich gebe mir einen Ruck.

„Wenn du willst, kannst du bei mir bleiben.“

Der Junge kneift die Augen zusammen.

„…warum?“

Ich atme tief durch.

„Nun, sagen wir, ich habe einfach das Gefühl, mal etwas Gutes tun zu müssen. Mal etwas auf das Haben-Konto des Universums einzahlen. Denn du hast Recht. Da draußen gibt es viele Arschlöcher. Zu viele.“

„Und du verkaufst mich nicht doch noch plötzlich an die Banu?“

„Nein“, sage ich ernst, „versprochen.“

„Womit verdienst du denn dann dein Geld?“

„Ich bin ein Journalist.“

Seine Augen weiten sich.

„…aber jetzt sollten wir von hier weg. Vielleicht suchen noch andere nach dir.“

Journal-Eintrag 07 / 11 / 2953

Wir haben viel vor – satte 330 Kilometer. Davon geht es allerdings rund 150 Kilometer zunächst über einen See. Die Strecke ist in einem Rutsch machbar. Ich blicke an Bord von Huskys „FROST“ während des Anflugs hinab auf Microtech und sinniere, wie das alles so weitergehen wird. Hinter mir wird lautstark über irgendeinen Kampf-Einsatz auf Orison gestritten.

Herrgott, machen wir diese Tour nicht, um diesen ganzen Mist mal hinter uns zu lassen?

Irgendwann kann ich nicht mehr an mich halten, gehe nach hinten zu Hermie und Val und mische mich ein.

„Worum geht’s, Leute?“

„Darum, dass der gnädige Herr hier eine ordentliche Doppelmoral an den Tag legt.“

Val steht stocksauer vor Hermieoth.

„Und zwar…?“

„Er hat einen unbewaffneten Ninetail erschossen. Ich stand direkt daneben.“

Ich blicke Hermie fassungslos an. Mir kommen seine salbungsvollen Worte in den Sinn, dass er das Töten endlich hinter sich lassen will, seine stockende Stimme auf Grimhex…

„Hermie…?“

„Der hatte vielleicht dutzende Morde auf dem Gewissen…“

„Genau, vielleicht“, schaltet sich Val ein, „du weißt es nicht…“

„Er war ein Ninetail!“

Unübersehbar, hier treffen zwei verhärtete Positionen aufeinander.

Ich bin mit der Situation überfordert. Keiner der beiden scheint nachgeben zu wollen.

„Wir sind gleich da“, meldet Husky aus dem Cockpit.

„Alles klar. Machen wir uns startklar. Frische Luft wird uns gut tun.“

Ich atme tief durch.

Zu uns stößt Zero. Er ist wieder mit seiner Vulture dabei und wird beim Scouting helfen.

Wir fahren die Bikes soeben aus dem Hangar, als wir ein Geräusch hören.

Im Tiefflug donnert eine Origin 300 über uns hinweg.

„Das ist der Advocacy-Typ, der uns schon vorhin beim Verladen der Bikes gescannt hat“, sagt Husky.

„Soll er doch. Ist ein freies Land.“

Hermie und ich steigen auf die Bikes, Husky und Val bleiben an Bord.

Ich schalte mir „Radio Infinity“ auf die Innenlautsprecher meines Novikov-Helms und bald hat mich das tiefschwarze Eis des riesigen Sees verschluckt.

Mit konstantem Tempo geht es dahin – gespenstisch leuchtet Zero die Szene von hinten aus.

Wir sind ganz bei uns, der Rest der Welt scheint nicht mehr zu existieren, wenn da bloß der blöde Streit zwischen Hermie und Val nicht wäre – einmal sind uns die „Free Riders“ wegen so etwas schon mal um die Ohren geflogen…

Husky fliegt über uns mit seiner „FROST“ manche Kunststückchen, die Adovcacy hängt währenddessen an ihm dran, als hätte sie an ihm einen Narren gefressen. Dann meldet Hermie, der ein gutes Stück vorausfährt, dass das andere Ufer des Sees in Sicht ist.

„Jetzt geht’s wieder in die Wildnis…“

„Das letzte Wort geht in einem lauten Knall unter – der Advocacy-Pilot stürzt mit seinem Schiff in einem Wald ab.

„Himmel…“

„Cool, den werde ich gleich mal plündern.“

„Zero, nein!“

„Doch, natürlich!“

Schon landet er und macht sich wie ein Aasgeier über seine Beute her.

Wir beobachten sprachlos das Treiben.

„Hast du es bald?“

„Yep, kann weitergehen.“

Wir biken durch raues Gelände, überqueren zwei Bergkämme, dann wird das Gelände nach und nach immer grüner, fast morastig.

„Der Planet ändert sich“, sagt Hermie, „vielerorts tauen die Permafrostböden auf.“

Mir kommmen die zahlreichen neuen Flüsse in den Sinn, die es auf Microtech mittlerweile gibt. Vielleicht hat der Planet nach dem gescheiterten Terraforming ja doch noch eine Zukunft.

Als ob es eines Beweises bedurft hätte, geht die Sonne wunderschön hinter einem Berg auf und taucht die Szenerie in ein unwillkürliches Licht. Husky und ich wechseln die Positionen, doch schnell wird auch auf dieser Tour wieder klar: das Biken wird nie so recht sein Ding werden. Irgendwann höre ich dumpf entfernt einen Knall.  Das war es wieder mit meiner Nox.

„Komme zurück an Bord“, sagt Husky frustriert.

Ich lande und Husky übernimmt erneut das Steuer – ein Ass hinter dem Knüppel eines Raumschiffs, weit davon entfernt am Lenker eines Bikes. So kann es gehen. Ich schwinge mich auf den Soziussitz von Hermies Dragonfly, um die Landschaft aus Bodennähe genießen zu können – ein schwerer Fehler, wie sich schnell zeigen wird. Es geht auf und ab und weil ich nicht sehe, was als Nächstes kommt, wird mir schon bald kotzübel. Jede Bodenwelle schlägt mir wie ein Hammer in den Magen.

„Hermie…“

„Bru, wir wollen da heute noch ankommen.“

Ich beiße die Zähne zusammen, die Landschaft wischt undeutlich an mir vorbei.

Irgendwann erreichen wir die Calhoun-Ebene, auf der Friedrich Winters seine erste Tour mit „Nordlicht Aviation“ angeboten hatte. Auch der kleine Shelter kommt in Sicht. So schön die Gegend auch ist: Ich lasse mich kaputt vom Bike in eine Blumenwiese fallen, mache die Augen zu.

Nie wieder rückwärts biken.

Journal-Eintrag 09 / 11 / 2953

Hurston Dynamics beschlagnahmt Schiffe und verkauft diese an den Höchstbietenden, während Bürger eine Haftstrafe in Klescher absitzen. Dieser ungeheuerliche Vorwurf scheint sich zu bewahrheiten, während wir mit einer kleinen Picses in die Atmosphäre von Hurston stoßen.

Ich denke darüber nach – warum sollte eine Megacorp so etwas tun? Am Geld kann es nicht liegen. Davon haben sie sicher genug. Vielleicht um sich Bürger gefügig zu machen – seht her, wir sind so mächtig, wir können machen, was wir wollen….vielleicht arbeiten hier aber auch nur ein paar Angestellte auf eigene Rechnung.

Tatsache ist jedenfalls: Zero hat seine „White Rabbit“ in Lorville ausfindig gemacht. Dort wollen wir sie nun zurück stehlen. Husky, Hermieoth, Zero und ich sitzen in dem kleinen Schiff, während Husky gekonnt und tief den Stadtmoloch anfliegt. Hermieoth will zunächst zu Konstantin Hurston, dort einen Rechner knacken und so den Zugangscode zu Zeros Schiff erhalten. Dafür hat er uns ein paar extra Klamotten besorgt – ich ziehe mich um und sehe wie ein Bauarbeiter aus, der Glühlampen auswechseln will. Immer diese Maskeraden…

„Sei am besten auch noch hysterisch. Das, was du am besten kannst…“

„Sag mal, was bildest du dir eigentlich ein? Wenn Zero das sagt, ist das etwas anderes. Wir kennen uns seit Jahren, dich kenne ich kaum…“

Er zuckt sofort zurück.

„Tut mir leid!“

Husky landet das Schiff vor den Stadtmauern.

Es sind nur ein paar Meter bis zum Eingang, doch kaum habe ich das Schiff verlassen, wird mir schwummerig. Es war keine gute Idee, nur mit einem Bauarbeiterhelm und ohne Druckanzug über die Oberfläche des Planeten zu laufen. Ich schaffe es bis zur Bahn, dann werde ich fast ohnmächtig.

„Leute, mir geht es gar nicht gut…ihr müsst das ohne mich durchziehen.“

„…dann komm zurück zum Schiff.“

Ich stolpere  zurück, lege mich in die Medbay.

Dann höre ich, wie die Sache vonstatten geht. Hermieoth gelingt es offenbar, tatsächlich den Code zu besorgen, dann spüre ich, wie die Pisces wieder abhebt.  Wie ich aus dem Cockpit mitbekomme, unterfliegt Husky wohl alle Containerbrücken, schleicht sich trotz Höchsttempo in die Stadt. Dann landen wir auch schon wieder und Zero und Hermieoth springen hinten aus dem Schiff.

Es folgt eine kurze Pause – dann ein Freudenschrei.

Zero hat seine „White Rabbit“ wieder – vielmehr seine „Black Rabbit“. Vor dem Verkauf ließ Hurston Dynamics das Schiff umlackieren. Nicht zu fassen – das Ganze läuft hier gewerbsmäßig.

„Lasst uns hier schnell verschwinden.“

Nach wenigen Minuten sind wir wieder raus aus dem Untergrund-Labyrinth der Stadt und auf und davon.

Die Stimmung ist gelöst, auch wenn es mir nach wie vor schlecht geht.

Doch dann liest Husky eine Nachricht der Advocacy vor:

Die Advocacy benötigt Ihre Mithilfe!
Die Advocacy sucht in Kooperation mit dem microTech Protection Service nach Informationen zu einem Zwischenfall auf Microtech. Am 06.11.2953 stürzte ein Advocacy-Schiff der 300er-Serie der Marke Origin nahe eines gefrorenen Sees ca. 300 km nordöstlich vom Calhoun-Pass ab. Stand aktueller Ermittlungen kann ein technischer Defekt als Absturzursache ausgeschlossen werden. Zudem wurde der Zwischenfall über ein anonymes Beacon gemeldet. An der Absturzstelle fanden sich Landespuren einer Carrack, einer Vulture sowie mehrerer Hoverbikes. Hinweise bezüglich dieses Vorfalls nimmt das örtliche Büro der Advocacy in New Babbage entgegen.

Verflucht noch eins. Da haben wir’s.

Journal-Eintrag 13 / 11 / 2953

Den gibt es also doch noch. Stichwort „ENOS“ – ich  wusste, dass mich dieser Mist noch einmal einholen würde. Ich leite die Nachricht wie gewünscht an Zero weiter, doch der schreibt nur zurück, dass er sich auf der Seraphim-Station aktuell nicht blicken lassen könne. Er sei dann auf Grimhex. McMarshall kann wiederum dort nicht hin. Ich versuche zu vermitteln…uff, immer diese Geheimnisse…

Egal, ich schwinge mich auf mein Bike – heute geht es zu der Höhle, in die einst Rick Targoli stürzte. Es sind nur knapp 60 Kilometer. Nach unserer letzten Gewaltfahrt tut uns ein wenig Pause ganz gut. Hermie will in die Höhle, ein wenig minern und Geld verdienen.

Es geht über ausgedehnte, weite Flächen, auf denen kaum ein Baum steht. Dann stehen wir plötzlich auf einer Anhöhe und sehen in der Ferne die drei Schwestern, drei nah beieinander stehende Berggipfel, die uns als Orientierungspunkt für unser Ziel dienen. Die Sonne geht hinter dem Horizont unter, es ist ein malerischer Moment.

Hermie fährt wie immer voraus, Husky scoutet den Weg. Unterwegs kommt das Gespräch auf das explodierte Advocacy-Schiff.

„Zero hätte davon echt die Finger lassen sollen“, sage ich. „Mit denen ist nicht zu spaßen. War doch klar, dass sie das nicht auf sich beruhen lassen.“

Die anderen stimmen mir zu – wir werden einfach abwarten müssen, wie sich das weiter entwickelt.

Bald darauf erreichen wir die Höhle.

Mit dem Begleitschiff der „FROST“ geht es hinab in die Tiefe des so genannten Sinkholes. Schnell hat uns der Berg verschluckt.

Anders als beim letzten Mal geht es diesmal jedoch nicht zum Bergkönig, sondern in ein weit verzweigtes Tunnelsystem, in dem Hermie viele Edelsteine vermutet.

Wir kriechen bäuchlings durch einen engen Gang, dann weitet sich die Höhle wieder. Leuchtende Bakterien haben einen riesigen Überhang-Felsen besetzt. Darunter funkelt es – Hermie greift sich seinen kleinen Mininglaser und macht sich ans Werk.

Ella, die heute ihre ersten Minuten auf dem eigenen Bike verbracht hat, Husky und ich laufen unterdessen tiefer in die Höhle hinein.

„Seid vorsichtig, hier gibt es überall Erdspalten, in die man fallen kann. Dann geht es sofort abwärts.“

Ich nicke und stolpere weiter vorwärts, an meinem Helm ist blöderweise die Lampe defekt.

„So ein Mist, ausgerechnet jetzt…“

…als es auch schon passiert: Ich sehe die schwarze Öffnung im Boden einen Moment zu spät, dann lande ich auch schon unsanft ein paar Stockwerke tiefer auf allen Vieren.

„Verdammt, so eine….“

„Bru, alles okay?“

„Na ja, hab’s überlebt.“

Die anderen eilen zu dem Loch und blicken hinab.

„Ist nicht so schlimm, hier drüben kannst du wieder rausklettern.“

Ich komme mir vor wie der letzte Trottel, dann ziehe ich mich wieder langsam hinauf. Je höher ich komme, umso glitschiger und rutschiger wird der Stein jedoch und schließlich ist ganz Schluss – die letzte Stufe bekomme ich einfach nicht zu greifen. Ich probiere es ein gutes Dutzend Mal, dann gebe ich außer Atem und genervt auf.

Husky klettert hinab zu mir – doch ihm ergeht es genauso. Nun ist guter Rat teuer. Zunächst probiert Husky es ebenfalls ein paar Mal, dann suchen wir einen anderen Ausweg, doch Fehlanzeige.

Schließlich hat Hermie die rettende Idee. Er springt zu uns hinab und schleudert uns danach mit seinem Traktorstrahl hinaus. Nun ist er allerdings gefangen.

„Himmel…“

„Im Schiff müsste sich ein zweiter portabler Traktorstrahl befinden. Ich hole ihn“, sagt Husky.

Wir hören ihn über Funk schnaufen und ächzen, dann startet Husky die Pisces und entfernt sich flugs. Wir lauschen unterdessen in die Stille der Höhle hinein. Nach einer gefühlten Ewigkeit kehrt er zurück.

„Hat alles geklappt“, sagt er und richtet den Traktorstrahl nun seinerseits auf Hermie. Nach ein wenig Justieren und Probieren hat er ihn am Haken und Hermie ist rasch aus dem Loch heraus. Wenn die Aktion eines gezeigt hat, dann, dass wir uns in der Crew aufeinander verlassen können.

In sich gekehrt und enttäuscht von unserem schief gegangenen Ausflug kehren wir auf die „FROST“ zurück. Am nächsten Tag wollen die beiden noch einmal in die Höhle zurück und es erneut probieren.

Journal-Eintrag 15 / 11 / 2953

Dutzende neue Namen.

Neue Hinweise, Briefe, Verstrickungen.

Es wird dauern, bis wir das alles auch nur halbwegs entwirrt haben.

Zero, Hermie, Thane McMarshall und ich klettern in der abgestürzten Origin 600i vorsichtig umher und suchen nach Hinweisen. Nüchtern beleuchtet über uns der Gasriese Crusader die Szene – und auch Daymar ist heute alles andere als einladend. Das Schiff hat Emyr Thormento gehört, Xedans Vater, der in dem ganzen Wirrwarr offenbar eine entscheidende Rolle spielt.

„Vorsichtig, Bru, hier geht es abwärts.“

Hermie – er kann nicht aus seiner Haut.

„Alles klar, bin vorsichtig“, erwidere ich und hangele mich weiter durch das Schiff, vorbei an geborstenen Rohrleitungen, herunterhängenden Stromkabeln, scharfen Graten und Glassplittern.

Schnell zeigt sich: Das Schiff ist bei aller Traurigkeit eine Fundgrube für Informationen. Danach haben wir lange gesucht – ein echter  „Missing Link“.

Schließlich hören wir einen tiefen fast entsetzten Schrei.

Thane McMarshall hat einen Beweis dafür gefunden, dass seine Eltern tatsächlich wegen ihrer Forschungen auf Microtech umgebracht worden sind. Sie wurden Opfer einer riesigen Verschwörung. Niemand sagt ein Wort – und so klettern wir in der gespenstischen Nachtruhe des Mondes weiter im Wrack umher – bis wir uns entschließen, das Schiffsgrab wieder zu verlassen.

An Bord von McMarshalls Origin 400i werfen wir unsere neuen Informationen alle in einen großen Topf – nur so werden wir weiterkommen und sind der Enthüllung  von „Enos“ nun hoffentlich dicht auf den Fersen. Die Gedanken fliegen nur so umher, dann wird uns klar: „MACH“ – so heißt offenbar die Organisation, die hinter alldem steckt. „MACH“ sind gleichzeitig aber auch die vier Anfangsbuchstaben von Microtech, ArcCorp, Hurston und Crusader.

Die Biobot-Technologie hat offenbar noch ein viel größeres, gefährlicheres Potential als bisher angenommen – versteckt hinter einem Schattenzirkel, der die Galaxis nach eigenen Interessen manipulieren und formen will. Wie es scheint, wurde eine gute Idee zum Wohle der Menschheit von bösen Mächten korrumpiert.

Im Schiff diskutieren wir uns die Köpfe heiß, ich höre zu, bin mit meinen Gedanken aber eigentlich weit weg – bei unserer Bikertour. Wie schön und einfach kann das Leben sein, wenn man solchen Mist einfach hinter sich lässt. Warum nur sind die Menschen so unendlich darauf versessen, Macht anzuhäufen?

Journal-Eintrag  18 / 11 / 2953

Was macht ein Alienschiff so besonders? Nun, dass es fremdartig wirkt. Sodass man auf den ersten Blick erkennt: Es ist von Wesen erdacht worden, die so ganz anders sind als Menschen. Die eine komplett andere Vorstellung von Schönheit, von Formen und Geometrie haben – und die doch eine Funktion erfüllen, nämlich den Piloten sicher über riesige Distanzen zu bringen.

Alienschiffe – sie sind im United Empire of Earth nichts Besonderes, auch wenn sie nicht allgegenwärtig und immer noch die Ausnahme am Sternenhimmel sind – von der Banu Defender über die Esperia Prowler der Tevarin bis zur Glaive der Vanduul.  Sie alle eint jedoch: Sie sind als solche immer auf den ersten Blick zu erkennen, haben aber doch etwas zutiefst Menschliches: Ein Cockpit, einen Rumpf, Flügel.

Ganz anders die Gatac Syulen der Xian. Auf den ersten Blick fehlt ihr all dies. Auf der Intergalactic Aerospace Expo 2953 thront das fremdartige Gebilde in der Mitte der Messe wie eine Skulptur, ja wie ein Tempel des Fremdartigen und dominiert den Raum und alle anderen Schiffe – so als wäre die Syulen eben erst von oben herabgeschwebt.  Im Innern setzt sich das Andersartige und Exotische fort: Es geht mit einem Fahrtsuhl aufwärts quer durch das Schiff, begleitet von einem tiefen Brummen, das einem das Blut in den Adern gefrieren lässt.

Mir läuft jedenfalls ein Schauer über den Rücken, als ich mich im Innern umsehe.  Für menschliche Kauf-Interessenten ist eine Toilette eingebaut, es gibt einen kleinen Tisch und ein Bett – nette Accessoires, die in einem echten Xian-Exemplar des Schiffes jedoch kaum zu finden zu sein dürften. Die Beleuchtung und die Schalttafeln sind genauso fremdartig wie der Rest des Schiffes – und das einzige Licht fällt durch das Cockpit herein, das sich über mir befindet.

Ich nehme in ihm Platz, dann geht es weiter himmelwärts, während sich der Stuhl dreht und man dann mit dem Blick an den Himmel gerichtet, startet. Für Xian mag das toll sein, für uns Menschen ist es mindestens gewöhnungsbedürftig. Tatsache ist aber: Das Betrachten und Betreten von Alienschiffen ist immer auch ein Schritt in eine größere, unbekannte Welt.

Journal-Eintrag  21 / 11 / 2953

Das Mobiglas piept schon seit gut einer Stunde, als ich es endlich wahrnehme – Himmel, ich habe verschlafen!  Vor dem Fenster im  17. Stock des Aspire Grand in New Babbage geht soeben die Sonne unter.

Ich morse Husky an.

„Husky, Bru hier…“

„Morgen, auch schon wach?“

„Ich habe verschlafen! War wohl ein bisschen viel in letzter Zeit. Wo seid ihr?“

„Auf dem Weg zu unserem Startpunkt. Wir haben eine Weile auf dich gewartet, dann sind wir los.“

„Verdammt.“

Insgeheim bin ich auch ein wenig froh, dass ich verpennt habe. Mir tut der Hintern noch von unserer letzten Biker-Runde weh.

„Ich würde sagen, dann setze ich heute einfach mal eine Runde aus. Wer ist denn alles am Start?“

„Eigentlich alle“, antwortet Husky, „bis auf dich.“

Auch Valentin Benz wird heute das erste Mal auf seiner eigenen Dragonfly biken.

„Okay, dann schalte ich euch einfach aufs Mobiglas und schaue ein wenig zu.“

Ich drehe mich noch mal um und genieße die Wärme der Bettdecke.

Wie sich schnell zeigt, verpasse ich nicht wirklich viel – es geht über weite Strecken durch eine öde Steppe, am Horizont zeichnen sich ein paar Berge ab. Bald höre ich, wie Val vor sich hin meckert – wie langweilig das sei, dass er Besseres zu tun habe…Ich schalte die Übertragung stumm. Warum zum Henker will er dann ein Biker sein?

Die Tour, nur rund 120 Kilometer, verläuft ereignislos; sogar Husky kommt unfallfrei über die Runden. Unterwegs wird auf die Rückkehr der „White Rabbit“ angestoßen, ein bisschen gequatscht, dann packen mitten im Nirgendwo alle die Bikes wieder ein. Als Nächstes sollen ein paar unbekannte Outposts folgen, die von Satelliten unlängst entdeckt wurden – wer weiß, was wir dort dann entdecken werden? Da bin ich auf jeden Fall wieder  am Start!

Ich drehe mich um und schlafe noch eine Runde.

Journal-Eintrag 30 / 11 / 2953

Man könnte sagen, man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Und weil ich von unseren letzten Ausflügen die Nox gewöhnt bin, habe ich auch überhaupt kein Gefühl  dafür, wie breit der Hintern des Hoverquads nun ist, auf dem ich sitze; für unsere „Into the Wild“-Tour haben wir ein wenig unseren Fuhrpark erweitert: Neben Nox und Dragonfly reiten wir nun auch auf ihnen. Sie sind zwar widerstandsfähiger und robuster, dafür aber auch ausladender. Und das ist alles andere als vorteilhaft auf der Strecke, die vor uns liegt.

„Ich möchte gern mal den Scouter an Bord der Carrack sprechen“, sage ich über Funk.

„Ja, bitte?“, kommt es von Hermie zurück.

„Wer zum Henker hat sich diese Strecke ausgedacht?“

„Bru, das gehört dazu.“

Ich schleiche genervt  im Schritttempo durch den Wald, immer wieder geht es auf und ab. Oft passt das Hoverquad gerade so durch zwei Bäume – als es schließlich passiert. Ich bleibe an einem Baum hängen – nein, das Quad wickelt sich fast senkrecht um den Baumstamm herum.

„Bru…?“

„Alles super.“

Wie eine übergroße Frucht hänge ich senkrecht von dem Baum herab.

Ich fummle an der Steuerung herum, gebe mal Gas, dann nehme ich es wieder weg – schließlich kommt das Quad frei.

„Uff.“

Am Horizont geht die Sonne unter, die Landschaft wird in wunderschönes, unwirkliches Licht getaucht. Bald jedoch wird es rabenschwarz, weil die hohen Baumwipfel kaum Licht durchlassen. So ist es kein Wunder, dass ich immer mehr Bäume touchiere. Auch die anderen vor mir fluchen laut vor sich hin.

Schließlich passiert es – mein Quad explodiert und ich finde mich auf der Krankenstation der Carrack wieder. Neben mir stehen Ella Clemens und Valentin Benz in Unterwäsche, die sich ebenfalls durch das Dickicht gekämpft hatten.

Wir haben drei Bikes gleichzeitig geschrottet.

Nun sind nur noch Husky und Chris Kross da draußen unterwegs. Hermie lotst sie so behutsam und vorausschauend es geht durch das Unterholz. Die Lichtkegel ihrer Bikes werfen geheimnisvolle, fast gespenstische Schatten.

„Auch mal nett anzusehen“, sagt Ella.

„Yo“, erwidere ich nickend.

Dieser Planet ist wirklich extrem facettenreich. Aber das erkennt man natürlich nur, wenn man ihn sich am Boden erobert. Wer nur mit 500 Stundenkilometer drüber brettert, wird ihn nie so erfassen.

Weit werden wir heute dafür nicht kommen.

Egal.

Wir wechseln noch einmal durch, dann haben wir zirka 90 Kilometer auf dem Zähler und machen Feierabend. Warum sollte es uns der Planet auch einfach machen?

.

Die Konferenz

Ich sitze in meiner Redaktion und möchte am liebsten im Boden versinken.

Die Aufnahme im Spectrum ging sofort viral – ein offensichtlich volltrunkener Journalist steht vor hochrangigen Wirtschaftsvertretern des Stanton-Systems, lallt von „Arschlöchern“ für die er arbeiten müsse, pöbelt und macht keinen Hehl daraus, dass er die meisten an Bord für Idioten hält.

Ich bin im Eimer – aber so was von!

Mein Mobiglas piept. Nur eine kurze Nachricht von Zero.

„Brubacker for President“ steht da knapp.

Ich falle mit dem Kopf zurück auf mein Kopfkissen.

Ohhh….mein Brummschädel.

Die verdammten Abendroths sind schuld, ganz klar – eine schwerreiche Familie, die zu der Konferenz in den „Aaron Halo Belt“ geladen hatte. Ihr Geld hat sie mit Treibstoff gemacht. Nun will sie die größten Player des Systems zusammenbringen, darunter die Yellohand und Tyr Security, Asada Mining & Trading Corperation oder die Scientific Union. Auch Hermie will sein neues Unternehmen, den Pentragon Service Club, vorstellen. Ich soll ein wenig über “Off the Record” und “Radio Infinity” erzählen.

Dabei fängt alles ganz gesittet an.

Friedrich Winters, der seine „Nordlicht eins“ als Charterschiff für die Konferenz zur Verfügung gestellt hat, steht neben Thane McMarshall, Microtechs Sicherheitschef. Wir warten in der Bar des Luxusdampfers darauf, dass es losgeht. Die beiden kennen sich noch nicht, also machen wir ein bisschen Smalltalk. Wir reden über unsere Biker-Tour, über den „Scenic Cruise“ und anderes mehr. Unterdessen steuert das Schiff den Aaaron Halo Belt an, einen Asteroidengürtel.

Friedrich und Thane trinken Smoothies – da greife ich schon aus Protest zum Bier. Eines nach dem anderen rinnt meine Kehle hinab. Gleichzeitig merke ich, wie ich frustrierter werde. Immer diese ständige Warterei, bis sich die bessere Gesellschaft gnädig bequemt, dem Fußvolk mal ein paar Minuten zu schenken.

„Passiert hier heute noch was?“

„Bru…“

„Gib mir noch ein Bier.“

„Findest du nicht, dass du schon genug hast?“

„Himmel, dann hole ich es mir selber.“

Ich hangle mich hinter den Tresen, als ich aus dem Hintergrund eine bekannte Stimme höre – Ray Keaton.

Ich werfe mich auf den Boden, vielleicht übersieht er mich ja.

„Bru, alles okay?“

Manchmal nervt Hermie mit seiner überfürsorglichen Art, aber echt.

 „Psssscht.“

Ich krabble unter den Bänken entlang, quetsche mich in eine Ecke.

„Bru…“

Keaton entfernt sich wieder ohne mich entdeckt zu haben.

Ich versuche wieder aufzustehen, doch es gelingt mir nicht. Gut, bleib‘ ich eben liegen.

Plötzlich taucht Ella über mir auf, unsere Krankenschwester mit Herz – mit einer Medigun in den Händen.

Sofort richtet sie das blöde Ding auf mich.

„Geh‘ mir weg damit.“

„Bru…hier kommen gleich die Abendroths…“

Ich raffe mich auf so gut es geht.

„Mir doch egal.“

Dann stehen Siegberth Abendroth und seine Tochter Cäclia auch schon vor mir.

„Guten Abend.“

„…nabend auch“, bringe ich eben so hervor.

„Geht‘s Ihnen nicht gut?“

Die scheißfreundliche Art geht mir sofort auf den Wecker.

„Spitze. Schöne Klamotten haben Sie da an. Die Schuhe farblich passend zur Jacke…toll.“

In der Bar herrscht peinlich berührtes Schweigen.

„Bru…“

„Was?!“

Dann sticht mich der Hafer – und ich renne auf und davon.

Hermie und Ella rennen mir hinterher.

„…der dreht ja völlig durch.“

Es geht kreuz und quer durch das riesige Schiff, bis mich die beiden schließlich packen und in eine Mannschaftskoje stecken.

Ich bin allein.

Ich höre dumpf durch die Schiffswände wie ein Mikro hochgedreht wird. Offenbar beginnt der offizielle Teil der Konferenz.

So ja schon mal nicht – nicht ohne mich.

Ich wuchte mich hoch und mache mich auf den Weg.

Als ich das obere Foyer erreiche, beendet Friedrich soeben seine Kurzvorstellung von “Nordlicht Aviation”.

Ich bin als nächstes dran, das Unheil nimmt seinen Lauf.

Ich schwanke auf das Podest des Foyers, dutzende Augen auf mich gerichtet. Ich kann mir gerade noch verkneifen, dass ich das alles hier abgrundtief verachte, das ganze Getue, die verlogenen Reden und all das. In Wirklichkeit denkt hier jeder nur an sich, Friedrich ausgenommen.

Dann stammle ich mir ein paar Worte zu „Off the Record“ ab und sage wörtlich, dass ich mich bei den Arschlöchern von “Radio Infinity” als Nachrichtentexter verdinge, weil man ja von irgendwas leben muss. Ich schleudere ihnen die Worte geradezu entgegen, gleichzeitig will mein Schädel explodieren.

Ich spüre die konsternierten, entsetzten Blicke.

„…so viel von mir, Fragen?“, schließe ich pampig.

Dann wanke die ich Treppe wieder hinunter.

Ich schneide geradeso mit, dass es auch irgendwie um Enos geht, aber das ist mir in dem Moment herzlich egal.

Friedrich steht vor mir.

„Ich habe in eine deiner Vasen gekotzt. Ich kauf dir ne neue. Gibt’s eigentlich noch was zu trinken?“

Ich lasse die hohen Herren hinter mir und begebe mich wieder in die Bar.

Zwei weitere Smolz lassen mich die vergangenen Minuten zumindest kurzfristig vergessen.

Irgendwann werde ich gerufen – Mr. Abendroth bittet zum Einzelgespräch. Ich schleppe mich trotz dröhnender Kopfschmerzen in das Heck des Schiffes. Besser allemal, als nur weiterhin stumpf vor mich hin zu starren. Natürlich hat Abendroth die Eignerkoje zu seinem Refugium erkoren.

Vor Selbstsicherheit nur so strotzend, thront er regelrecht vor mir – und ich habe sofort das Gefühl, dass ich über den Tisch gezogen werden soll. Doch so betrunken kann ich gar nicht sein, dass ich das nicht mehr merken würde. Die feinen Antennen eines Journalisten lassen sich mit ein paar Drinks jedenfalls nicht kappen.

Abendroth schlägt mir dann auch vor, gern mit mir zusammenarbeiten zu wollen – aha, daher weht der Wind. Er will sich ein Sprachrohr kaufen.

Ich weise das Angebot brüsk von mir.

„Vergessen Sie’s!“

Doch Abendroth quittiert meine Zurückweisung mit einem jovialen Lächeln und hebt entwaffnend die Hände.

„So war das nicht gemeint, Mr. Brubacker…“

Keine Frage: Er beherrscht die Klaviatur des gehobenen Managements perfekt – blitzschnell schaltet er um, wenn sich das Gespräch in eine Sackgasse entwickelt, ohne dabei sein Ziel aus den Augen zu verlieren. Er schmiert mir noch ein wenig Honig um den Mund, dann bin ich entlassen. Seine wahren Absichten und Gefühle – sie bleiben verborgen hinter der kühlen Maske des Erfolgs.

So langsam klärt sich der Nebel in meinen Kopf, ich schleppe mich auf das obere Aussichtsdeck und lasse mich in einen der riesigen, sündhaft teuren Sessel fallen. Dann starre ich hinaus ins Nichts.

Mir ist kotzübel…und nein, das ist nicht nur der Alkohol. Die Wahrheit ist: Ich bin total überfordert. Mit der Crew, mit ENOS und irgendwelchen Verschwörungen. Mit Zeitreisen, angeblich eingepflanzten Erinnerungen. Mit dem, was andere ständig von mir wollen…

Gut eine halbe Stunde sitze ich da, bemitleide mich selbst, dann drücke ich mich aus dem Sessel hoch und suche Cäcilia Abendroth. Ich entschuldige mich für mein Benehmen, sie ist ganz der weibliche Gentleman, nickt mir verständnisvoll zu – Hauptsache, es ginge mir nun wieder besser. Ich möchte ihr gern glauben, aber ihre dunklen Augen sind undurchdringlich.

Unterdessen wird im Hinterzimmer auf der „Nordlicht eins“ große Politik gemacht. Und niemand an Bord hat auch nur die geringste Ahnung davon, wie sehr uns das noch um die Ohren fliegen wird.

Journal-Eintrag 07 / 12 / 2953

Kopf einziehen, schnell zurück in die Natur und das Ganze runterspielen.

Mehr fällt mir zu meinem oberpeinlichen Auftritt bei der Konferenz nicht ein.

Schlimm genug, dass es viral gegangen ist  – und das Spectrum vergisst nicht.

Wir sind auf Huskys „FROST“ zu unserem Startpunkt unterwegs.

…aber wie könnte es anders sein:  Natürlich kommt die Sprache doch noch mal drauf. Friedrich hat es seinem Enkel erzählt, der grinst mich nun nur genüsslich an. Hermie findet hingegen die Abendroths eigentlich ganz sympathisch und ich solle mich mal nicht so anstellen. Ella denkt sich ihren Teil. Dann aber zeigt sich, dass Hermie von den Abendroths bisher noch kein Geld für seine Dienste auf der „Nordlicht eins“ gesehen habe…

Ich könnte mich totlachen – es ist wie aus dem Lehrbuch.

Nach vorn scheißfreundlich, aber erst mit der Kohle rausrücken, wenn es gar nicht anders geht. Ich blicke Hermie aus dem Augenwinkel an: Manchmal sitzt er auf einem verdammt hohen moralischen Ross. In unserem internen Funkkanal hat er sich erst vor wenigen Tagen darüber ausgelassen, dass er allein selbstkritisch mit seinen Fehler umgehen würde – niemand außer ihm würde das sonst tun. So viel Selbstbeweihräucherung ist nur schwer auszuhalten. 

Ich schüttele den Kopf und beschließe, das alles nicht zu tief sacken zu lassen. Menschen sind, wie Menschen sind. Soll die „Crew“ weiter eine Überlebenschance haben, müssen wir aufhören, alles ausdiskutieren zu wollen. Meinungsaustausch ja, Selbstzerfleischung nein. Sonst können wir das Projekt gleich beerdigen.

Unser Startpunkt kommt in Sicht – zu zweit waren Husky und Hermie auf ein paar Kilometer an einen  alten Outpost heran gebikt. Mir kommt in den Sinn, was ich letztens gehört hatte – nämlich, dass das Stanton-System schon lange vor seiner offiziellen Entdeckung im Jahr 2851 besiedelt gewesen sei. Die ursprünglichen Siedler wurden dann von der UEE aber quasi weggebombt, nachdem das System mit seinen drei Supererden als extrem wertvoll eingestuft worden war. Manche Siedlungen seien bis heute die Überbleibsel  dieser ersten Siedler – und die Ninetails zum Teil ihre Nachfahren, die verständlicherweise auf die UEE und ungebetene Besucher alles andere als gut zu sprechen sind.

Wie auch immer: Hermie, Chris Kross und ich reiten der Schneegrenze entgegen, die am Horizont in hohen Bergen mündet. Es geht zurück ins Eis. Bald hat uns wieder der erste Blizzard verschluckt. Noch ist es nicht so kalt, wie in vielen anderen Regionen des Planeten – aber  das ist nur der Anfang.

Schließlich empfangen wir ein feindliches Schiffsignal – ein Vorbote der Ninetails?

Husky fliegt ein paar enge Kreise, wir stellen uns am Boden tot.

Dann ist der Luftraum wieder klar – vielleicht ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass wir aus dieser Gegend verschwinden sollen?

Husky landet das Schiff und kurz darauf kämpfen wir uns zu Fuß durchs Schneegestöber zu Überresten des Outposts. Er ist komplett verfallen – und verlassen. Zumindest scheint es auf den ersten Blick so.

Husky entdeckt ein paar Nahrungsmittel, die noch nicht allzu alt sind.

„Ist nicht lange her, dass jemand hier war“, sagt er.

Wir laufen ein wenig durch die alten Mauern, als wir plötzlich Schüsse hören.

Die Carrack wird angegriffen!

Dann pfeifen die ersten Laserschüsse auch schon über unsere Köpfe hinweg.

Herrgott, die Ninetals haben sich in der Luft im Schneegestöber versteckt und nur darauf gewartet, dass wir uns hier unten vollkommen schutzlos selbst zum Abschuss freigeben.

Wir rennen, so schnell es der eiskalte Gegenwind zulässt, zurück zum Schiff. Husky zieht die „FROST“ hoch, Ella und Hermieoth besetzen die Türme. Ich bin nicht ganz so schnell. Um mich herum explodieren die Schüsse, ein Bike nach dem anderen fliegt in die Luft.

Wir waren so dumm!

„Bru…“

„…kümmert Euch nicht um mich. Macht sie fertig.“

Über mir höre ich Explosionen, dann regnet es auch schon Trümmer.

Schließlich kehrt Ruhe ein.

„Alle Ninetails vom Himmel geholt“, meldet Hermie.

Ich blicke mich gehetzt um.

Dann sehe ich ein Bike, das offenbar überlebt hat – es ist meine Nox.

„Nichts wie weg von hier.“

Nur Sekunden später sind wir wieder unterwegs – möglichst schnell Distanz zwischen uns und den Piraten-Außenposten bringen.

Ich reite konzentriert, spüre die harten Schläge kaum, die das Bike einstecken muss, während ich es über gefrorene Baumstümpfe und Eiskuppen prügele.

Schließlich entspanne ich mich und werde ruhiger.

Am Horizont geht unterdessen malerisch die Sonne unter. So ist das Leben auf einem Eisplaneten: Die Gegensätze zwischen traumhafter Kulisse und der Brutalität des Lebens könnten kaum größer sein. 

Journal-Eintrag 15 / 12 / 2953

„Hab‘ dich im Spectrum gesehen. Hast Recht gehabt. Sind alles Arschlöcher.“

„Hmm…?“

Killer steht hinter mir in der „Clarke II“, während ich eine leere Kiste nach der anderen öffne.

„Herrgott – wie kann man so blöd sein?“

„…ich mein’, was du beim Radio gesagt hast. Die ganzen reichen Typen. Interessieren sich einen Dreck für uns.“

„Ja, Killer, ich weiß.“

„Wollt‘ dir nur mal sagen, dass ich es gut finde, dass du dich das traust. Machen nicht viele.“

„Killer…ich…sorry…hast du irgendwo noch was zum Anziehen gesehen?“

„Nee…“

„Solche Idioten…“

Ich drehe mich zu ihm um.

„Die Schwachköpfe hier auf Port Tressler haben meine ganzen Klamotten in ein falsches EzHub gelegt. Nun sind sie natürlich geklaut.“

„Nerv‘ ich dich?“

„Nein, nein. Alles okay…wo waren wir?“

„Dabei, dass ich gut fand, was du denen da gesagt hast…“

Ich ringe mir ein Lächeln ab.

„Na ja, es war mehr der Alkohol. Aber es stimmt auch schon…irgendwie.“

„Musst du wieder zu deiner Biker-Tour?“

„Ja, aber ich verspreche dir, dass bald nur wir beide etwas unternehmen. Ich habe dir gesagt, dass du bei mir bleiben kannst. Aber erst gibt es da noch ein paar andere Dinge, um die ich mich kümmern muss.“

„Kein Problem. Schaue viel Spectrum. Warte einfach auf dich.“

„Aber nicht klauen gehen.“

„Versprochen.“

Ich verlasse im Krankenhaus-Kittel die „Clarke II“ – wir sind gleich verabredet zu einem weiteren Abschnitt. Husky, Ella und Hermie warten bereits.

„Bru, eben erst aufgestanden?“

„Sehr lustig.“

Ich berichte kurz vor meiner Malaise, dann laufen wir auch schon zu Huskys „FROST“. Er hat ein paar Klamotten an Bord. Nur Minuten später sind wir unterwegs zum Startpunkt unserer heutigen Tour.

Es herrscht wunderbares Winterwetter – und die Sonne geht soeben auf.

In einen Novikov dick eingemummelt sitze ich auf meiner Nox, genieße die vorbei fliegende Landschaft und sinniere.

Killer – ich werde mich mehr um ihn kümmern müssen. Mein sagenhafter Auftritt bei der Konferenz – vielleicht war es gar nicht das Schlechteste. Zumindest war er der ehrlichste.

Das Jahr neigt sich mit riesigen Schritten dem Ende zu. Es war ein wildes Jahr – im Mittelpunkt natürlich die große Verlade durch Schuppke. Was haben wir nicht erlebt mit der „Crew“…

Plötzlich muss ich laut auflachen und schüttele den Kopf – was für ein Affentheater das Leben doch ist! Dann konzentriere ich mich wieder aufs Biken. Und das wird auch prompt bitter nötig. Denn einmal mehr zeigt Microtech, wie schnell er sein Gesicht wandeln kann. Eben noch einladend und freundlich, ist er nur ein paar Minuten später abweisend und unwirtlich. Kurzum: der Planet ist unberechenbar. Jeder Meter auf den Bikes wird in Schneesturm und Gestöber zur Gefahr. Bäume tauchen erst im letzten Moment auf, zugeschneite Felsen sogar erst, wenn man schon fast dagegen knallt.

Dennoch legen wir eine große Strecke zurück – fast 300 Kilometer. Zum einen ist die Gegend weniger rau und zerklüftet als bisher, zum anderen wissen wir mittlerweile aber auch unsere Maschinen gut zu handeln. Als wir zum Schluss unser Ziel – einen großen See – erreichen, macht es sogar noch richtig Spaß.

So kann es weitergehen.

.

Verknallt

Erlaubt sich da jemand einen blöden Scherz – oder haben sie jetzt komplett den Verstand verloren?

Ich schaue verdutzt auf das Display des Schiffs-Terminals.

Eindeutig:  Ich bin angeblich Besitzer einer RSI Scorpius. 

Erst die geklauten Klamotten und jetzt das…

Dabei habe ich das Schiff nie gekauft – oder vielleicht doch? Vielleicht im Suff?

Nein, es muss sich um einen Irrtum handeln.

Es gehört garantiert jemand anderem.

Egal…soll ich oder soll ich nicht?

Ich soll. Und ich will.

Ich rufe das Schiff und hebe ein paar Minuten später damit ab. Wenn sie es mir schon in den Hangar stellen, wird es wohl auch erlaubt sein, damit eine kleine Runde zu drehen, oder? Früher gab es mal Filme, die hatten Raumschiffe, die ganz ähnlich aussahen – doch ich komme nicht auf den Namen, während ich New Babbage ansteuere.

Die Sicht aus dem Cockpit ist fantastisch und so beschließe ich, ein paar niedrige Überflüge über der Stadt zu unternehmen. Es ist noch früh am Morgen und während ich den Nachbrenner erzittern lasse, grinse ich mir eins. Der eine oder andere dürfte jetzt senkrecht im Bett stehen. Was gibt es besseres, als ein wenig Unsinn mit einem fremden Schiff anzustellen und anschließend die Unschuld zu mimen? In den vergangenen Jahren ist die Stadt ganz schön gewachsen, das Shuttlenetz wurde deutlich erweitert – kein Wunder: Hightech zieht eben immer neue Startups an. Wer will nicht an der Speerspitze einer neuen Technologie mitarbeiten?

Ich cruise über die Stadt, als es mir siedend heiß wieder einfällt: Hermie! Er hat heute Geburtstag und feiert auf Orison.

Sofort schalte ich mich auf seinen Kanal und wie ich höre ist die Party schon im Gange.

„Hermie, alles Gute. Feiert ihr schön?“

„Yo, ist noch reichlich Bier da. Komm vorbei!“

Im Hintergrund höre ich plötzlich Cäcilia Abendroth.

Ich schalte sofort um.

„Ms. Abendroth, das ist ja eine Überraschung: Haben Sie Ihren goldenen Käfig mal verlassen? Was machen Sie denn beim Fußvolk?“

„Mr. Brubacker…äh, wie bitte?“

„Ach…nichts…“

Ich habe das Gefühl, jetzt muss ich unbedingt nach Orison. Ich ziehe die Scorpius nach oben und begebe mich auf den direkten Weg nach Crusader. Wie ich im Funk mithöre, wird vor Ort bereits ordentlich gebechert. Hermie erzählt von seinem neu gegründeten Club „Pentragon“, einem Ein-Mann-Unternehmen, mit dem er künftig alle möglichen Dienstleistungen anbieten will – von der Lieferung bis zum Personenschutz. Ich bin gespannt, wie er das mit seinem vorgeblich hohen Ansprüchen in Einklang bringen will, wenn es plötzlich heißt: Geld oder Moral…

Auf Orison suche ich wie immer nach dem Dunlow Spaceport und frage mich – wie jedes Mal, wenn ich hier zu Besuch bin – wie man etwas so Entscheidendes wie eine Landeinweisung vergessen kann. Abgenervt finde ich ihn nach Minuten des Umherirrens. Nach der Landung nehme ich das Shuttle und treffe kurz darauf auf dem Dach des Green Circle ein, einem Hochhaus auf der Hauptplattform Orisons. Fünf Partygäste sind gekommen, auch Ella ist da.

Noch geht es gesittet zu, man stellt einander vor, mein Blick fällt sofort auf Ms. Abendroth – sie sieht echt gut aus. Irgendein alter Kumpel von Hermie, ein gewisser Eckehardt ist auch da – er scheint ein ziemlicher Partylöwe zu sein, jedenfalls nimmt er kein Blatt vor den Mund. Genau meine Kragenweite. Ich nehme mir ein Smolz und werde von Hermie sofort ermahnt, es heute mal nicht zu übertreiben.

Wir trinken, genießen den Ausblick, dann hat plötzlich jemand die Idee, das Spa zu besuchen…und plötzlich heißt es: runter mit den Klamotten und schließlich stürzen wir uns ein paar Stockwerke tiefer in einen Pool. Immer zunächst die braven Bürger geben, aber dann…

„Das ist der geilste Pool, in dem ich jemals war“, sage ich und blicke über den unter uns liegenden Platz. Dann brülle ich den hochnäsigen Typen mit ihren Maßanzügen unter mir spontan zu: „Ey, ich habe hier eben in den Pool gepinkelt.“

Hinter mir höre ich leise: „Nicht schon wieder.“

Ich drehe mich um. Herrgott, die haben alle so viel Geld, bilden sich so viel darauf ein und lassen ihren Reichtum derart überall raushängen, da muss man einfach mal gegen den Strich bürsten, oder? Ein bisschen Punk geht immer.

„Was denn? Ist das jetzt ne Pool-Party oder nicht?“

Voller Hass starrt mich unterdessen Ray Keaton an – keine Ahnung, wieso der hier auch aufgetaucht ist. Letztens noch hatten sich Hermie und er im Funk wegen ein paar Rundenzeiten auf Rennstrecken gezofft wie die Kesselflicker. Irgendwie scheint er aber auch an mir einen Narren gefressen zu haben.

„Ray, komm ins Wasser! Hab‘ auch nicht reingepinkelt.“

„Bru…“

Er knurrt meinen Namen mehr als er ihn sagt.

Ich zucke mit den Schultern. Dann eben nicht. Bin eh mehr daran interessiert, wo Ms. Abendroth steckt.

Ich verlasse den Pool wieder und spüre sofort die wärmenden Sonnenstrahlen Stantons auf meiner Haut. Langsam geht die Sonne unter. Nirgendwo kann man das besser genießen als auf Orison. Während sich die anderen wieder anziehen, beschließe ich so zu bleiben. Ray Keaton ist bis oben hin zugeknöpft – und im Holster trägt er eine Waffe…

„Alter, bist du sicher, dass du keinen Therapeuten brauchst?“

Er würdigt mich keines Blickes.

Wir steuern die Bar an, um ein wenig zu tanzen. Während die anderen das Bein schwingen, nehme ich noch mal ein erfrischendes Bad mit Blick auf den Sonnenuntergang – nicht ohne mir sofort wieder einen Rüffel einzufangen.

„Bru, das ist ein Teich mit Seerosen. Der ist nicht zum Baden.“

„Hermie, wir sind hier unter uns. Besser als das hier geht’s doch gar nicht.“

Manche kannste auch zu ner Party einladen, wenn irgendwo zu viel Stimmung ist. Gut, vielleicht muss man auch 700 Jahre in einem Kühlschrank eingesperrt gewesen sein, um entspannter zu werden.

Ms. Abendroth gibt sich derweil so nach und nach die Kante. Dann tanzt sie auf der Tanzfläche ab, als würde es kein Morgen geben. Ich geselle mich zu ihr. Unterdessen liegen mir die anderen in den Ohren, ich solle mir gefälligst etwas anziehen. Schließlich laufe ich ein Stockwerk tiefer in einen sündhaft teuren Klamottenladen und besorge mir Shirt und Hose.

Mann, Mann – fünf Minuten Tanzen in Badehose auf einer Party, das geht gar nicht, aber hunderte Credits abknöpfen, um eine stinklangweilige Faltenhose in hässlich-grau zu bekommen und damit die Edelholzfurniere in ihren Edelshops zu finanzieren, das ist okay…

Als ich zurückkehre, spüre ich, wie das fünfte Bier seine Wirkung tut. Der Zorn verraucht, heilige Scheiße…Cäcilia sieht echt hot aus.

„Ms. Abendr…Cäcilia… wie wär‘s? Wo übernachten Sie…äh, du heute eigentlich?“

Aber Anstandsdame Ella grätscht dazwischen.

„Bru…Schluss jetzt!“

Rays Blicke würden mich am liebsten töten.

„Bru, benimm dich jetzt, das ist meine Geburtstagsfeier…“

Hermie scheint mittlerweile echt sauer zu sein.

Schmollend klettere ich ein wenig auf den Brüstungen umher, stelle mich auf einen Tisch wie ein Stehova  und wie könnte es anders sein – stürze ab.

Als ich wieder aufwache, liege ich im Krankenhaus von New Babbage.

Den Rest der Party habe ich wohl verpasst.

… ach, Cäcilia…wie schön könnte alles mit uns sein…

*****

Am nächsten Morgen lese ich in Zeros Journal, dass er sich aktuell auf Orison als Putzhilfe verdingt, während wir gefeiert haben. Wieder irgendeine Hyper-Geheime-Inkognito-Sache. Gut, dann kann er ja mal gleich unsere ganzen Bierflaschen beseitigen. Hab’ auch schon einen neuen Namen für ihn: Kehro.

Ich schreibe unterdessen eine Nachricht an Cäcilia.

Shit, ich glaube, ich bin verknallt.

Journal-Eintrag 21 / 12 / 2953

 Okay, das ging schnell. Da hat Cäcelia nicht lange gefackelt.

Eine Abfuhr.

Das habe ich wohl selbst verbockt.

 Ich formuliere meine Antwort.

Mein Finger schwebt kurz über dem Sendeknopf, dann lösche ich die Nachricht wieder…was bin ich doch für ein feiger Hund.

Ich sinniere über Cäcelia nach und darüber, dass Hermie mit ihr wohl ein paar schöne Stunden nach seiner Party verbracht hat – ausgerechnet Hermieoth, unser Obermoralapostel…

Zu allem Überfluss macht er sich nun auch noch über mich lustig, zieht mich damit auf, was für eine tolle Verbindung sie in kürzester Zeit aufgebaut hätten.

An mir fliegt die dunkle Eisfläche eines großen Sees nur so vorbei – und ich koche innerlich vor Wut. Es sind nur noch wenige Kilometer bis zu unserem großen Jahresendziel, einem Outpost namens SMO-22. Husky und Hermie hatten zuvor rund 400 Kilometer abgerissen, sodass wir nun recht gechillt unserem Ziel entgegen cruisen können.

Zum ersten Mal mit dabei  ist die neu auf den Markt gebrachte X1 von Hersteller Origin – ein Bike mit riesiger Glasscheibe, ein „Rentner-Bike“, ein „Senioren-Schlitten“, wie ich bekunde. Auch die Beine sind schön geschützt. Es fehlt nur noch ein Einkaufskörbchen.

Natürlich hat Hermie genau die konträre Meinung.

Super-Ding, müsse man haben, viel besser als die Nox.

Ich habe das Gefühl, dass wir irgendwann nochmal richtig hart aneinander geraten.

Und wenn’s wegen Cäcilia ist.

Ich atme tief durch. Aber nicht mehr dieses Jahr.

Dann kommt der Outpost in Sicht, passend dazu geht die Sonne auf.

Wir parken die Bikes in der „FROST“, dann klettern wir auf das Dach der Carrack und genießen das Natur-Schauspiel, das jedes Mal aufs Neue faszinerend ist. Wir sinnieren kurz darüber, was das nächste Jahr bringen könnte. Man wünscht sich ja immer, dass alles besser wird, dass es irgendwie aufwärts gehen wird.

Doch ich habe da eine dunkle Ahnung, behalte sie aber lieber für mich.

Die anderen treiben am Outpost noch ein paar Späßchen mit den Bikes, ich lege mich ausgelaugt in die Koje.

Dann piepst mein Mobiglas.

Eine Nachricht von der Advocacy, die aus ein paar dürren Zeilen besteht. Man hat meine Fingerabdrücke an der Scorpius gefunden, die ich auf Orison einfach abgestellt hatte.

Verflucht, das hatte ich schon ganz vergessen.

.

Das Tattoo

Für dieses Jahr bleibt eigentlich nur noch eines zu tun.

„Hast du jetzt Zeit?“

Killer blickt mich erwartungsvoll an.

Ich blinzele ihm zu.

„Hast du schon mal einen Gasriesen gesehen?“

Er runzelt die Stirn.

„Einen Gas…?“

„Crusader.“

„Nein, was ist das?“

„Ein riesiger Planet. Am anderen Ende des Systems.“

„Nein.“

„Willst du?“

Killer springt auf.

„Jaaaa!“

„Dann lass uns abhauen.“

Ich fahre die Triebwerke der „Clarke II“ hoch, Momente später sind wir unterwegs.

Killer sitzt neben mir und strahlt über das ganze Gesicht.

„Bester Tag meines Lebens!“

Ich grinse breit.

Eine kleine Freude zu machen, das Leben selbst – es kann alles so einfach sein.

„Wie läuft‘s auf eurer Biker- Tour?“

„Äh…okay…kommen gut voran. Haben bald die Hälfte geschafft.“

„Wow, einmal um einen ganzen Planeten rum. Das möchte ich auch mal machen.“

„Wirst du vielleicht. Man kann nie wissen.“

Draußen wischen hinter der Cockpitscheibe die Sterne vorbei.

„Ich will die alle mal besuchen.“

Killer rutscht mit dem Oberkörper nach vorn, wedelt  mit der Hand über die Scheibe. Dabei rutscht der linke Ärmel seiner Jacke ein wenig zurück. Zum Vorschein kommt ein ungewöhnliches Tattoo auf seinem Unterarm.

„Hey, was ist das?“

„Mein Zeichen.“

So schnell er kann, versteckt er das Tattoo wieder.

„Dein Zeichen? Zeig mal!“

„Nee, gehört nur mir.“

„Killer, ich tu dir nichts.“

Er zögert kurz, dann schiebt er sich den Ärmel wieder nach oben.

Auf dem Tattoo ist ein Drache.

„Woher ist das, was bedeutet das?“

„Das bedeutet, dass ich jemand ganz Besonderes bin. Ein Drachenbezwinger. Vielleicht sogar ein Prinz oder so.“

Ich muss fast laut auflachen.

Doch Killer blickt mich todernst an.

„Stimmt aber…“

„Woher hast du es?“

„Weiß nicht, hatte ich schon immer.“

Ich schaue es mir genauer an – Risse sind darin zu sehen, es muss ihm bereits gestochen worden sein, als er noch ein Baby war.

„Könnte auch ein blöder Scherz gewesen sein.“

Killer stampft wütend mit den Füßen auf.

„Ist es nicht!“

„Okay, okay.“

Ein paar Minuten sitzen wir still nebeneinander.

„Wir werden herausfinden, was es bedeutet.“

„Ehrlich..?”

Ich drehe mich zu ihm, hole tief Luft.

„Hör zu, wir beide sind uns gar nicht so unähnlich. Viele halten mich für einen Idioten und machen sich lustig über mich. Und auch ich weiß nicht, woher ich eigentlich stamme. Aber die Wahrheit ist: Die meisten da draußen sind mir egal und was sie denken auch. Und wenn ich etwas verspreche, dann halte ich es auch.“

In dem Moment fallen wir aus dem Quantumdrive.

„Wir sind da…Crusader.“

Killers Augen werden riesengroß.

„Ich verspreche dir: Wir werden herausfinden, wer du bist.“

Killer sagt kein Wort.

Ich schalte den Antrieb ab und eine Zeit lang lassen wir uns treiben und von der Schwerkraft des Gasriesen anziehen.

„Wunderschön, oder?“

Killer nickt nur.

„Ich weiß einen Ort, wo wir noch einen besseren Blick haben. Seraphim-Station.“

Ich denke kurz an Port Olisar, an all die Menschen, die mir in den vergangenen Jahren dort  begegnet waren. Tausend Dinge, die keinen Bestand hatten.

Panta rhei.

You cannot copy content of this page